Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 06, 1892, Page 3, Image 3

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    Ein letzter Brief.
fI. Fortsetzung und Schluß.)
Helene hatte nur die Hälfte meiner
Aede vernommen. Sie starrte wie ab
wesend vor sich hin, die Hände krampf
haft verschlungen.
Gestürzt! Und ich bin schuld! Er
leidet und ich kann nicht zu ihm, ihn
-nicht pflegen! Das ist unnatürlich! Ich
gehöre zu ihm! Was thue ich hier noch
länger? Kommen Sie, ich fahre mit
Ihnen zur Stadt.
Schnell hatte sie ihren Schleier wie
der über den Kopf geworfen, den herab
gefallenen Mantel über die Schultern
gehängt und war im Begriff, das Zim
mer zn verlassen. Was ich alles aus
dachte, was für plötzliche Eingebungen
ich anwandte, um die unglückliche Frau
zurückzuhalten, ich weiß es heute nicht
mehr. Genug, es gelang mir. Sie
ließ sich beschwichtigen uud blieb. Ich
nahm ihr den Mantel ab, drückte sie
aus den Sessel und redete ihr vernünf
tig zu. Sie möge doch einmal ruhig
überlege», daß sie durch eine voreilige
Handlung alles verdürbe. Sie habe
feine Frau vergessen. Was würde die
bei ihrem plötzlichen Erscheinen am
Krankenbette sagen? Sie müsse vor
fichtig sein, grade jetzt, schon der Zu
iliust wcgeu.
Sie gab mir schließlich Recht, sah
alles ein, wollte vernünftig sein, wollte
warten. Aber eine Zeile für ihn sollte
ich wenigstens mitnehmen. Vielleicht
gelänge es mir, sie ihm zukommen zu
lassen. Anch davon brachte ich sie ab.
War es nicht schon genug, daß er den
gefährlichen Brief zu verbergen hatte?
Er war in feinen Bewegungen ja nicht
frei. Die geringste Unvorsichtigkeit
ihrerseits sei mit der größten Gefahr
für alle Betheiligten verbunden. Sie
mögen warte», geduldig einige Tage
vergehen .äffen, sich uni ihr Kind be
kümmern. die herzlose Wärterin fort
fchicken, sich durch Thätigkeit im Hause
zu zerstreuen suchen, morgen würde ich
wiederkommen nnd ihr wo möglich
'Nachricht von ihm bringen. Es schnürte
mir das Herz zu, die Äermste jetzt zu
verlassen. Aber ich mußte fort, es
war die höchste Zeit. Mein Kutscher
wartete gewiß schon ungeduldig brau
chen am Gitter, und zu Hause konnte
ich meinem Mann meine Abwesenheit
nicht erklären. Ich trennte mich von
der armen Frau mit fast schwesterlicher
Zärtlichkeit, denn dieselbe hatte, ob
gleich ich ihre Handlungsweise ja durch
aus nicht billigte, dennoch meine
innigste Theilnahme gewonnen, und
wir waren, das fühlte ich deutlich, in
den vicrnndMinzig Stunden unserer
Bckanntschast durch die außergewöhn
lichen traurigen Ereignisse Freundin
nen geworden.
Aus dem Wege zur Stadt überdachte
ich das Erlebte noch einmal. Im Gan
zen war ich mit meiner Handlungsweise
zufrieden. Es war mir unmöglich ge
wesen, der unglücklichen Fran, die heute
Morgen ahnungslos den letzte» Gruß
des geliebten Mannes empfangen hatte,
die die einzige unbewußte Zeugin seines
Sturzes gewesen war. die entsetzliche
Wahrheit zu sagen. So war sie we-
MGstens vorbereitet. Aber was mochte
«lis dem schlimmen, verfänglichen Brief
geworden sein? Welch' Unheil konnte
noch aus dem wahrscheinlich in die un
geeignetsten Hände gelangten Schrift
stücke entstehe»! Immer wieder mußte
ich daran denken. ES mochte eben acht
Uhr vorüber sei», als ich endlich todt
müde zu Hause anlangte.
Mein Maiin war zum Glück noch
nicht zurückgekehrt. Aber ich hatte kaum
Mantel und Hut abgelegt, da trat er
auch schon in's Zimmer.
Du siehst etwas leidend ans. Du
Hättest heute in die Lust gehen sollen,
bemerkte er. als wir uns im Wohn
zimmer gegenübersaßen.
Wahrscheinlich hat mich die traurige
Nachricht, die du mir heute Bormittag
gebracht hast, angegriffen. Hast du
übrigens »och etwas Näheres von dein
Ungiück mit Schottwitz erfahren?
Ich wollt« ihn lieber sprechen lassen
und zuhören, um nicht von mir berich
ten zu müssen, denn es wnrde mir
schwer, Heimlichkeiten vor ihm zu haben.
Aber ich hätte sür keinen Preis der Welt
die vertrauliche Angelegenheit einer an
dern, deren Vertraute ich doch nun ein
mal, wenn'auch gegen meine Wünsche,
geworden war, meinem Manne mitge
theilt.
Die Cache erregt überall die größte
Theilnahme, beantwortete mein Mann
meine Frage. Schottwitz gehörte, so
scheint es, zu den wenigen wirklich glück
lichen Menschen. Alles war vereint,
um ihm ein beneidenswerthes Dasein
zu schaffen. Jung, beliebt, gesund,
reich, eine schöne, vornehme, wohlerzo
gene edelgesinnte Frau
So, ist sie das letztere auch? unter
brach ich.
Es wird allgemein so behauptet.
Eine Frau, die ihn über alles liebte.
Sie soll halb wahnsinnig vor Schmerz
sein. Es wird übrigens eine großartige
Beerdigung werden. Regimcntsmnsik,
Lfficiere folgen. Was wird
,mr Wenoland sagen, wenn er morgen
bei seiner Rückkehr das Unglück erfährt,
das auf feinem Grund und Boden,
vic-.leicht durch Nachlässigkeit seiner
Leute, geschehen ist! Er war vor Jah
ru> mit «chottwitz sehr befreundet, die
Mmilien haben miteinander verkehrt.
Tann sollen sich die Männer überwar
fen haben die Frauen stimmten nie
besonders zusammen —, und sie kamen
auseinander. Ich denke, er wird trotz
der Feindschaft zum Begräbniß gehen,
meinst du nicht?
Ich glaube es auch. Aber da du ge
rade von Wendland spricht hast du
nicht gestern den Eindruck gehabt, daß
er gegen seine Frau recht unfreundlich
ist? H)ie peinlich war nicht die Ge
schichte mit örn Servietten bei Tische,
erinnerst du dich?
Gewiß.
Der Mann erschien mir in seinem
Hause in einem ganz andern Lichte als
früher. Ich tonnte mir das nicht er
klären und habe mich heute bei Hansen,
wo ich zufällig einen Herr», der ihn
seit zehn Jahren genau kennt, traf, da
Wendland nicht anwesend war, ein biß
chen näher nach ihm erkundigt und ganz
gegen meine sonstige Gewohnheit nach
seinen Familienverhältnissen ansge
sragt. Da habe ich de»» erfahre», daß
eS mit seiner Eheschließung eine beson
dere Bewandtniß gehabt hat. Seine
Fran stammt aus einer guten Hambur
ger Familie. Sie gali sür eins der
reichsten, verwöhntesten Mädchen.
Wendland verlobte sich mit ihr im
Glanben, eine Mitgist zn erhal
te». wurde aber wenige Wochen vor
der Hochzeit seine» Irrthum gewahr.
Das große Gilt, das er sich mit Rück
sicht auf das vermuthete Bennögeu fei
ner küuftigeu Fran gekauft hatte, konnte
er nicht wieder- los werden, und fein«
Braut wollte er nicht wieder IoS sein,
denn er halte sie liebgewonnen. Er hei
rathete sie.
Aber hat sie ihn denn geliebt? unter
brach ich meinen Mann. Warum hat
sie ihn denn genommen?
Du lieber'Golt, sie wird ihn wohl
geliebt habe»! Warum auch nicht?
Wendland ist ja ein hübscher Manu.
Im Laufe der Jahre soll er nun aller
lei Verluste erlitten nnd, den Groll uud
die Enttäuschung, die er betreffs der
Vcrinögeiisverhältnissc seiner Fran
cmpsuiidc», nicht länger verbergend,
durch Engherzigkeit und Genauigkeit
im Hause nnd seiner Frau gegenüber
dieser das Leben »»angenehm gemacht
haben, sodaß die für stolz und verwöhnt
geltende Frau sehr darunter litt und,
(hrcn Kummer verbergend, sich von
aller Welt zurückgezogen hal. Das ist
der wahre Gruud, warum die schöne
junge Frau so einsam da draußen aus
dem Lande lebt, uud warum ich mich
besonders srene, daß du sie keimen ge
lernt hast und ihr vielleicht durch deinen
Umgang nützlich sein kannst. Ich selbst
habe mir vorgenommen, jetzt, Ivo ich
die Lage der Dinge durchschaue, mir den
verehrten Herrn Wendland auch einmal
vorzunehmen und zu versucht», auf ihn
zu wirken. Und so hoffe ich, obgleich
man sich nicht in die Angelegenheiten
anderer mischen soll, daß wir einen
günstigen Einfluß auf das Paar übe»
werden. Es ist ja schade n»i die Frau
und deu im Grnndc sicher nicht schlech
ten Man». Sie hat gewiß anch Schuld,
daß er so geworden ist, denn sie scheint
mir sehr kalt nnd gleichgültig gegen
ihren Mann zu sein. Das ist natür
lich nicht die Art uud Weise, einen un
freundlichen Gallen zn bessern. Wenn
Krauen wüßten, wie erbittert und un
geduldig der beste Manu iu seinem
Hause wird, wenn er eine Art Trauer
weide als Lcbeusgcsührtiu hat! Uud
so ein bische» Trauerweide scheint mir
die im übrigen so s>>mpathische Frau
Wendland zu sei».
Ich dachte »och laiige über die Worte
meines MnuncS nach, nnd es wurde
mir klar, daß er in gewisser Beziehung
recht hatte, daß Helene ohne ihre Liebe
zu Schottivitz, ohue den Gedanken aus
die Möglichkeit eiuer Befreiung ans
ihrer unglücklichen Lage ernster und er
folgreicher bestrebt gewesen wäre, das
Leben an der Seite ihres Mannes und
in ihrem Hause erträglicher und ange
nehmer zn gestalten. Sie hätte ihn
Klugheit und Liebenswürdigkeit nur zu
dem einen Zweck verwerthen müssen,
mit gegebenen Faetoren zn rechnen,
einmal feststehende Verhältnisse nicht
umzustoßen und zu erneuern streben,
fondern'zu verbessern. Aber es ist so
leicht, kluge, gute Rathschläge zu ge
ben, wenv man selbst unbctheiligt ist.
Vielleicht wird dennoch alles gut,
dachte ich. Dieser Tod verhütet viel
leicht den Ruin und die Schande einer
Frau, zweier Familien. Ich ertappte
mich aus einer erschreckend grausamen
Gerechtigkeit. Das kam natürlich nur,
weil ich deu Berunglückten nicht näher
gekannt hatte.
Ja, alles konnte noch gut werden,
wäre der Brief, dieser Schuldbeweis,
ans der Welt zn schaffen gewesen! Alles
konnte vergeben, vergessen, todt sein,
nur das geschriebene Wort lebte weiter,
wirkte weiter, nnd das schmale Couvert
niit dem nnseligen Inhalte ivnchs mir
im Traum zu einem Ungeheuer heran,
das uns alle zu verschlingen drohte.
„Verehrte Frau! Es wäre vielleicht
gut, wenn Sie hente im Laufe des
Nachmittags hinaus nach Heinersdorf
führen. Unsere arme Freundin, Frau
Helene Wendland ist recht elend und
bedars Ihrer. Sie werden ihr viel
leicht nützlicher sein können, als der
Arzt. Ich komme soeben von dort.
Eiligst grüßend Ihr sehr ergebener
Berchner."
Diesen flüchtig mit Blei geschriebenen
Brief erhielt ich am nächsten Tage bei
Tisch. Ich zeigte ihn meinem Manne,
und dieser rieth mir, sofort einen Wa
gen kommen zu lassen und hinanSzu
sahren.
Mir klopfte das Herz recht bang. Ich
ahnte, daß die arme Frau die Wahrheit
erfahre» hatte, fassungslos vor
Schmerz, nicht sich selbst überlassen
bleiben dnrste.
Paßt es dir, wenn ich mitkomme und
dich begleite?
Ich überlegte.
Ja, es war vielleicht ganz gut, wenn
mein Mann selbst sah und hörte. Ich
brauchte dann keine andernfalls wahr
scheinlich dennoch nothwendig werdenden
Aufklärungen zu geben.
Wir fuhren also hinaus ich zum
dritten Mal in meiner kaum dreitägi
gen Bekanntschaft. Seit dem ersten
Besuch schien niir ein Jahr verflossen zu
sein. Ticsmal stand das Gitterthor
geöffnet. Als der Wagen vor dem
Hause hielt, trat Wendland selber aus
demselben nnd begrüßte uns.
Er sah sehr ernst ans. Unser Be
such schien ihn zu überraschen. Er
hatte jemand anderes erwartet, wahr
scheinlich den Arzt.
Meine Frau ist recht krank, fürchte
ich. Sie wird gewiß sehr bedauern,
aber der Arzt hat absoluteste Ruhe ab
geordnet. Niemand darf zu ihr, ich
selbst nicht.
Ich sah meinen Mann fragend an.
Dieser verstand mich.
Doctor Berchner war heute bei uns
und hat meiner Frau gerathen, Frau
Wendland zu besuchen. Lassen Sie
meine Fran ruhig zu ihr, ich bleibe so
lange bei Ihnen. Der Besuch wird
der Kranken nichts schaden, im Gegen
theil!
Was sollte Wendland thun? Er
konnte mich doch nicht zurückhalten.
Ich kannte den Weg und, die Männer
in den, kleinen Zimmer, in dem sie vor
zwei Tagen Karte», gespielt hatte», zu
rücklassend, eilte ich hinauf zu der un
glücklichen Frau.
Sie wandte nicht den Kopf, öffnete
nicht einmal die Augenlieder, als ich an
ihr Lager trat, auf dem sie angekleidet
sie hatte sich bisher von Niemand be
rühren lassen wollen —, seitdem man
die Ohnmächtige heute Morgen darauf
gebettet hatte, ausgestreckt lag, wie er
starrt vor Schmerz, mit zurückgelehntem
Kopfe, festgeschl offenen Lippen, herab
gefallenen Armen.
Später hat sie mir selbst gestanden,
daß sie nicht bewußtlos gewesen sei, daß
sie Schritte vernommen, meine Nähe
gefühlt habe, daß es ihr aber unmög
lich gewesen sei, sich zu rühren, und daß
eine so überwältigende Gleichgiltigkeit
sie beherrscht habe, daß sie, hätte sie
durch eine Bewegung des Fingers den
Weltuntergang verhindern können, sich
unfähig gefühlt hätt«, es zu thun.
Sie habe nur den einen Gedanken, in
verschiedenen Formen auftretend, ge
habt: Todt sein wie stirbst du?
Wann kommt der Tod? Ende!
Aufhören! Erst als ihr die Kräfte
wiedergekommen, habe sie das unsag
bare, herzzerreißende Weh, das noch
monatelang in ihrer Brust tobte, in
seiner vollen Gewalt verspürt.
Der gute Doctor hatte sich geirrt.
Vorläufig konnte auch ich hier nichts
ausrichten. Ich setzte mich zu ihr und
sagte ihr einige herzliche, warm em
pfundene Worte. Sie rührte sich nicht,
schien nichts zu hören. Ihr Mädchen,
das mich nun bereits kannte und mei
nen gestrigen Besuch mit dem Zustande
der Kranken wohl in irgend eine Ver
bindung bringen mochte, trat ein. Ich
nahm sie in das Nebenzimmer und ließ
mir berichten, wie Alles so gekommen
sei-
Der Herr habe heute Morgen gleich
bei seiner Rückkehr auf dem Hose laut
mit einigen Arbeitern gescholten. Die
Frali hätte grade neben ihr am offenen
Fenster des WirthschaftszimmerS gestan
den uud ihr einen Austrag gebe» wol
len. Da seien die Worte „Rittmeister
von Schottwitz! Stein zum Genick
brechen in den Weg legen!" bis zu
ihnen gedrungen. Die Frau sei sehr
bleich geworden und habe sich an dem
Fensterbrett halten muffen. „Was in
denn geschehen?" habe sie dann gesr.u t
und da hätte sie ihr gesagt, was die
Arbeiter schon morgens unten in der
Küche erzählt hatten: daß sie gestern
Mittag einen todten Officicr. der vom
Pferde gestürzt fei, auf der Landstraße
gesunden uud iu die Stadt gebracht
hätten, auf einem Wendlandschcn Ar
beilswagen. Die Fran habe wohl
nicht mehr alles gehört, denn sie sei
plötzlich lautlos umgesunken, sie habe
sie nicht halten können, habe um Hilfe
geschrieen, da sei der Herr gekommen,
der hätte die ohnmächtige Frau aufs
Bett getragen und sofort einen Boten
in die Stadt znm Doctor geschickt. Und
nnn lüge sie schon viele Stunden so nnd
die Pulver, die Doctor Berchner heute
Morgen verschrieben hatte, hätte sie nicht
angerührt.
Hat sie denn mit dem Arzt gespro
chen?
Das weiß ich nicht, er ist allein mit
ihr geblieben. Selbst den Herrn hat
er gebeten, nicht zn ihr zu gehen.
Nun, haben Sie mit ihr sprechen
können? Wie geht es ihr? Mit diesen
Fragen empfing mich unten Herr Wend
land, als ich zu den Herren in's Zim
mer trat.
Ich verneinte und drückte meine Be
sorgnis; aus, daß auf diese Art vou
Starrheit die Möglichkeit eines hitzigen
Fieberanfalls nicht auSgeschlos>e» fei.
Das fürchtet Berchner auch, sagte
Wendland. Ihre Nerven sind von je
her in einem schlechten Zustande. Es
bedurfte nicht viel, um sie niederzuwer
fen. Nun dieser Schreck! Sie haben
doch gewiß von dem Unglück, das den
Rittmeister von Schottwitz hier in un
serer Nähe betroffen hat, gehört? Wir
waren früher sehr befreundet, und nun
kommt er hier in unserer nächsten Nähe
so schrecklich um's Leben. Es hat auch
mich erschüttert, als ich'S hörte, beson
ders weil ich mit ihm damals so —er
suchte nach einem passenden Ausdruck—
so dumm uuseiuandergckominc» bin.
Er war ein durch und durch anständige?
Mensch, aber entsetzlich stolz und em
pfindlich, gerade wie meine Frau. Da
hat er mir einmal etwas übelgenom
men, eine Aeußerung von mir, und da
war's vorbei. Du lieber Gott, wir
Landwirthe sind vielleicht etwas derber!
Es that mir ja jetzt leid. Seine arme
Frau! Es war eine so glückliche Ehe.
Wäre die meinige nicht krank, sie müßte
sofort hin und die unglückliche Fran
trösten. Die beiden Damen kannten
sich gut. Ich gehe auf alle Fälle zum
Begräbniß. Eine Feindschast über s
Grab hinaus gibt es sür mich nicht.
Wenn nur meine Frau erst wieder wohl
wäre! Da kommt der Doctvr!
Wir vernahmen das Rollen eines
Wagens, der vor dem Hause hielt.
Thliren wurden geöffnet uud zugeschla
gen, eine Männerstimme und schritte
vernehmbar, aber zu uns kam Nie
mand.
Er wird erst hinauf zu seiner Pati
entin gehen, sagte Wendland.
Eine kleine halbe Stunde später kam
Doctor Berchner in'S Zimmer. Nach-
dem er nnS freundlich begrüßt hatte
»nd f.ch meinen Eindruck von der Kran
ke» hatte berichten lassen, sagte er:
»so. Nun, ich hoffe, es wird sich
noch alles machen. Ich habe Ihnen in
der Voraussicht, daß Ihre Frau längere
Zeit der kundigen Pflege und aufmerk
samen Bedienung bedarf, gleich eine
Wärterin aus der, Stadt mitgebracht,
eine angenehme, diScrete, tüchtige Per
son. Die Kranke hat sich ruhig von
ihr entkleiden und niederlegen lassen.
Ich fürchte übrigens, daß heute Nacht
starkes Fieber eintreten wird, und habe
daher alle Maßregeln und Anordnun
gen der Pflegerin gegeben. Sorgen
Sie dafür, daß reichlich Eis im Haus«
ist, und lassen Sie uns das beste has
sen. Morgen früh komme ich selbst
verständlich wieder, nachzusehen.
Nachdem noch einige oberflächliche
Reden über die Kranke und das Unglück
des Rittmeisters gewechselt worden wa
ren, verabschiedeten wir nns alle drei,
Wendland recht gedankenvoll und be
sorgt zurücklassend. Der Doctor stieg
zu uns in den Wagen und ließ den
seinigen leer hinterher fahren.
Draußen war esdnnkel. Die Cigarre
des Doctors leuchtete wie ein glühender
Punct mir gegenüber im Wagen. Ich
lehnte mich zurück. Mir war ganz
unheimlich zu Muthe. Ganz dieselbe
Situation hatte ich ja vor kaum zwei
Tagen bei der gemeinsamen Rückfahrt
durchlebt, nur mit dem Unterschiede,
daß ich damals de» Brief, den Anfang,
die Ursache zu dem Unglück, da? uns
umgab, uoch bei mir hatte, daß die
verderbenbringende Kugel uoch nicht
abgeschossen war. Und schweigend,
ein jeder mit seinen ernsten Gedanken
beschäftigt, fuhren wir dahin.
Ist sie gefährlich krank? unterbrach
ich endlich, mich an den Doctor wen
dend, das Schweigen.
Vorläufig kann ich noch nicht viel
sagen. Ich fürchte, es wird sich ein
Nervensieber aus diesem lethargischen
Zustande entwickeln, jedenfalls eine
langwierige, traurige Geschichte, be
sonders da draußen auf dem Lande.
Ich wünschte, wir hätt«i sie erst über
den Winter. Sie ist so zart. Es war
sehr freundlich von Ihnen, daß Sie
meinen Wunsch erfüllten und gleich zu
ihr gegangen sind. Ich versprach mir
von Ihrer Anwesenheit irgendwelchen
Erfolg. Sie wundern sich, weshalb!
Das Mädchen hatte mir gesagt, daß
Sie der armen Frau Helene gestern
einen längeren Besuch abgestattet haben,
und da glaubte ich
Ich hatte vergeblich versucht, dem
Doctor durch ein Zeichen Schweigen zu
gebieten. Das Unglück war geschehen.
Erst in dem Augenblick, da er mein Ge
heimniß verrieth, hatte ich seinen Fuß
erreicht und leicht mit dem meinigen be
rührt.
Zu spät und an die falsche Mresse,
mein Kind, sagte mein Mann lächelnd.
Wozu auch Heimlichkeiten? Wie kamst
du denn darauf, den Besuch bei Wend
lands so schnell zu wiederholen? Als
ich heute Berchuers Brief las, hatte ich
mir schon vorgenommen, Sie zu fragen,
Doctor. weshalb Sie voraussetzen, daß
meine Frau
Da habe ich also eine Jndiscretion
begangen! Verzeihen Sie, gnädige
Frau, ich bin untröstlich, aber ich
ahnte nicht. Ich dachte, Ihr Mann
wüßte
Wie die Sachen nun lagen, war eS
am gescheitesten, den beiden Männern
wenigstens einiges zu sagen. Ich ver
schwieg natürlich den Brief und die mit
demselben verbundene beabsichtigte
Flucht. Ich hätte gewußt, daß Frau
Helene für den Rittmeister, trotz der
Feindschast ihres Mannes, freundschaft
liche Gesinnungen bewahrt habe und
hätte sie bei der Nachricht von dem Un
glück nicht allein wiffen wollen.
Das habe ich mir auch so gedacht,
meinte der Docwr. Als ich heute früh
mit ihr allein war und sie aus einer
langen Ohnmacht erwachend mich vor
sich sah, nannte sie Ihren Namen in
einem ganz verworrenen Zusammen
hang mit einem Briefe. Das veran
laßte mich noch mehr als die Mitthei
lung des DienstinSdcheiis, Sie zu be
nachrichtigen. Ich dachte, sie wolle
Ihnen schreiben oder erwarte von Ihnen
einen Brief.
Ich. ich hatte ihr versprochen, ihr
heute näheres über den Sturz des un
glücklichen Freundes zu berichten.
Also hat sie den Tod schon gestern
durch Sie erfahren? Wie konnte sie
da nur heute noch so erschrecken? meinte
der Doctor.
Das ist mir auch unerklärlich. Da
ist irgend ein dunkler Punkt, sagte
mein Mann. Dieser Sturz in der
Nähe des Gutes an einem Tage, an
dem Wendland abwesend, erscheint mir
auch seltsam. Aber es ist nicht unsere
Sache, dieser traurigen Angelegenheit
auf den Grund zu gehen. Ich frage
dich absichtlich nicht weiter aus, liebes
Kind. Die Leute thun mir allesammt
leid, wir brauchen sie nicht in diesem
Augenblick zu richten und zu verur
iheilen.
Selten hatte mir mein Mann so gut
gefallen, wie heute. Ich drückte ihm
sankbar die Hand. ES war sicher nicht
die des Doctors. Dieser erzählte »nS
noch während der Fahrt einiges Nähere
über den Berunglückten, den er heute
Morgen mit seinem Kollegen, dem
Schottwitz'schen Hausarzt, besichtigt
hatte. Er erklärte uns wissenschaftlich
sie Ursache des sofortigen Todes, der
verstorbene war mit dem Genick gerade
auf den Stein gestürzt. Merkwürdig
ruhig und gefaßt habe er bereit? heute
sie Wittwe des Rittmeisters gesunden.
Sie habe beide Aerzte selbst in das
Todtenzimmer geführt, sei aber nicht
mit an die Leiche herangetreten, sondern
habe im Nebenzimmer gewartet. Selten
hätte er, Doctor Berchner, einen so
schönen Todten gesehen, wie diesen un
glücklichen Schottwitz.
Wie ein junger gefallener Held lag
» da. Dieses vornehme männliche Ge-
ficht und die prächtige Gestalt! Ueber
morgen früh wird er begraben.
Arme Helene! Während sie von hef
tigstem Fieber ruhelos auf ihrem Lager
hin- und.hergeworfen wurde. Niemand
erkannte und mit trockenen Lippen und
brennenden Augen in'S Leere starrte
und draußen der erste Frost sich wie
ein Leichentuch auf den stillen dunkeln
Park legte, trugen sie zwei Tage später
unter den Klängen des Beethoven'schen
Trauermarsches Erich von Schottwitz,
bedeckt von Palmen und weißen Rosen,
zu Grabe.
Monate vergingen. Die Wohnung
Ohlauerstraße l 3 stand längst zum Ber
miethen, denn Frau von Schottwitz war
gleich nach dem Tode ihres Mannes
nach England zu ihren Eltern gereist.
Es hieß zwar, sie wolle wiederkommen,
doch das war nicht bestimmt. Ihre
Einrichtung stand auf einem Speicher.
Helene Wendland hatte sich von ihrer
Krankheit nur sehr langsam erholt und
war bald nach Weihnachten mit ihrem
Manne auf driiigcudeii Rath des Arz
tes nach dein Süden gereist. Mit ihrem
Manne!' Wendland hatte sich etwas
verändert. Ob die Krankheit seiner
Fran, ob der vertraulichere Umgang
mit meinem Manne oderein stiller Vor
wurf, den er sich betreffs des an dem
Feldstein Verunglückten machte, diese
Veränderung veranlaßt hatten, ich weiß
es nicht; aber anders war es geworden.
Helene hatte es mir noch vor ihrer Ab
reise selber mit einem matten Lächeln
mitgetheilt. Er war milder, freund
licher, nachgiebiger. Er rechnete auch
nicht mehr so genau. Während ihrer
Abwesenheit hatte ich den kleinen Wend
land zu mir genommen und mir dadurch
des VaterS Wohlwollen, das mir bisher
zweifelhaft schien er konnte sich eines
gewissen Mißtrauens gegen mich nicht
erwehren erworben. „Alles geht
vorüber, und man gewöhnt sich schließ
lich a» alles."
Das sind zwar verbrauchte Re
densarten, Alltäglichkeiten, deren
Weisheit und Wohlthat sür das mensch
liche Geschick erst der Erfahrene zu wür
digen weiß.
Wir, Helene und ich, hatten uns noch
Monate lang gesorgt und geängstigt
und immer noch gefürchtet, daß eines
schönen Tages die Wittwe Erich von
Schottwitz ihr Rachewerk an Helenen
änsführen und „den letzten Brief" an
ihren todten Gatten dem lebenden ihrer
Nebenbuhlerin zusenden würde. Bei
jeder Post hatte Heleni anfangs gezit
tert, bei jeder Verstimmung Wendlands
war sie erbebt. Aber schließlich, als
immer noch nichts geschah, als wir hör
ten, daß die Frau fort sei, beruhigten
wir uns, ja, wir trösteten uns schließ
lich mit der Annahme, daß Schottivitz,
der sehr vorsichtig zu sein pflegte, den
Brief vielleicht dennoch vernichtet habe.
Helene kam Ende April erfrischter
von ihrer Reise zurück, immer noch voll
tiefer Trauer und Wehmnth, aber doch
fähig, ihren Hausstand zu führe», sich
über den Kleinen, den ich ihr in bestem
Wohlsein wieder abliefern konnte, zu
freuen.
Da unsere Freundschaft auf keinerlei
Schwierigkeit von feiten unserer Män
ner stieß, so folgte ich ihrer Einladung
und zog sür die Soinmcrmonate zu ihr
auf's Land.
Wir verlebten schöne ruhige Tage zu
sammen, machten lange gemeinsame
Spaziergänge, uud ich bemerkte zu mei
ner Freude, wie der tiefe, nagende
Schmerz um den geliebten Todten einer
sanfteren Wehmnth Platz machte. Wie
gut, daß Wendlands derbe Natur nichts
von alledem, was in der Seele seiner
Frau vorgegangen war, merkte! Oder
irrten wir uns? Wollte er nur nichts
merken?
An einem herrlichen Julitage war
Halene bereits stark genug, das Grab
des theuren Todten zu besuchen. Es
war ganz bedeckt mit weißen, blühenden
Rosen. Still weinend sank die schöne
Frau an demselben nieder. Ich ließ
sie einige Zeit allein. Als wir den
Rückweg antraten, sagte ich, daß es mir
von der fernen Frau von Schottwitz
gut gefalle, wie liebevoll sie für das
Grab ihres Gatten Sorge trage.
Helene trocknete sich die Augen und
sah mich wehmüthig lächelnd an.
Und du hast wirtlich geglaubt, daß
sie es ist. die so sein Grab schmücken
läßt?
Nein, nun glaubte ich es nicht mehr.
Im Herbst ivnrde Heinersdors unter
überaus günstigen Bedingungen ver
kauft. Wendlands zogen in die Stadt.
Unser Berkehr ivnrde nun womöglich
noch inniger.
Ungefähr zwei Jahre waren seit dem
Tage, an dem wir zum erste» Mal in
Heinersdorf gespeist hatten, vergangen.
Da hieß es, Frau Rittmeister von
Schottivitz sei wieder da. Sie war mit
ihrer Mutter nnd einer jüngeren Schwe
ster zurückgekommen, nahm eine große,
schöne Wohnung., richtete sich ein und
gab Gesclljchajtc». Bei der Nachricht
von ihrer Rückkehr durchzuckte es Hele
ne» und auch mich unangenehm. Wir
hatten uns während ihrer Abwesenheit
so sicher gesühlt. Jetzt cmpsandcn wir
beide wieder die alte Bangigkeit.
Wenn ich es nur endlich wüßte, ob sie
den Brief gesunden hat! sagte eines
Tages Helene zu mir. Diese Unsicher
heit macht mich ganz elend. Hat sie
ihn gelesen nnd bisber nichts gethan,
so wird es wohl so bleiben »iid ihre
Rache darin bestehen, mich in der Un
gewißheit z» lassen. Aber vielleicht
weiß sie gar nichts von demselben, nnd
meine Bcsangcnheit, wenn ich ihr be
gegnen sollte, ist überflüssig.
Ich glaube, diese Frage wird ewig
unaufgeklärt bleiben, erwiderte ich.
Dem war aber nicht so.
Kurz vor Weihnachten richtete eine
wohlthätige sürstliche Dame ciiien Ba
>ar zum Beste» armcr Soldatenwittiven
ein. Frau Wendland und ich waren
>ur Besprechung der Einrichtnugen nnd
>ur engere» Wahl eines Borstandes
oon der holieii Gründerin des Unter
nehmens eingeladen worden, uns bei
ihr einzufinden.
Wir betraten zusammen den große«,
vornehmen Salon, m dem uns die
Fürstin sehr gnädig empfing. Sämmt
liche außer uns noch ainvefcnde Damen
nahmen auf den im Halttreis um das
Sofa aufgestellten Sesseln Platz. Wir
waren elf Damen. Die zwölfte, deren
Stuhl neben Frau Wendland noch »n
-besetzt war, fehlte.
Die Versammlung war schon eröff
net. Die die vom Sofa auS
den Borsitz führte, hatte uns eben iw
einer kleinen Ansprache ihre Ansichten
mitgetheilt, da öffnete sich die Salon
thür noch einmal und in langem,
schwarzen Seidenkleide rauschte die hohe
Gestalt der Wittwe Erich von Schottwitz
herein. Sie begrüßte mit vornehmer
Sicherheit die Fürstin, bat, ihre Ver
spätung zu entschuldigen, und wandte
sich dann ihrem Platze zu. Eben im
Begriff sich niederzulassen, sah sie zu
fällig nach links nnd erkannte Helene
Wendland. Ohne meine Freundin
eines Blickes zn würdigen, blieb sie ste
hen und sprach abgewandt mit ihrer
Nachbarin rechts. Daraus erhob sich
diese, eine liebenswürdige junge Frau,
und während sie den Platz neben Hele
nen einnahm, setzte sich Frau von
Schottivitz bleich und majestätisch wie
eine Königin ans den frei gewordenen
Sessel. Diese ganze Scene hatte viel
leicht eine halbe Minute gedauert.
Ich war zu sehr davon befangen, um
zu sehen, ob sie von den andern Da
men bemerkt worden war.
Als wir nach der uns endlos schei
nenden Versammlung endlich allein
unten im Wagen saßen, fiel mir He
lene um den Hals, und wie ein
Schrei der Befreiung erklangen die
Worte:
Endlich wissen wir's! Sie hat den
Brief gelesen!
Ja, sie hatte ihn gelesen und ver
nichtet. und nie hat ein Mensch er
fahre». was in der stolzen Frau vor
gegangen ist. Niemand hat darunter
zu leiden gehabt.
Helene ist im Laufe der Jahre eine
glückliche Mutter und zufriedene Frau
geworden. Frau von Schottivitz hat
sich wieder verheirathet und ist in's
Ausland gezogen. Und das Grab
des Rittmeisters ist nur noch an sei
nem Todestage mit weißen Rosen ge
schmückt vielleicht anch das nicht
mehr, denn alles geht vorüber.
(Ende»)
Vom verlorenen Soft».
Ein ehrwürdiger Pastor in einer der
östlichen Provinzen Teutschlands hatte
seinen erstgeborenen, taleiitirte» Filius,
nachdem derselbe das rito
absolvirt hatte, nach der Provinzial
hauptstadt zur Universität gebracht,
damit derselbe dortselbst dem Ins ob
liege. Der' junge Studiosus belegte
>war Institutionen und Pandekten,
kümmerte sich aber herzlich wenig um
das heilige Recht, traktirte vielmehr mit
größtem Eifer die »rs »iri»>iicli, und der
Kamps des Ins mit Amors Pfeilen
endete zu Gunsten Amors.
Der Studiosus lag in unlösbaren
Banden eines liebesrendigen Mädchens
und ließ darüber Semester über Seme
ster verstreichen. Die Warnungen und
Drohungen des besorgten Vaters hatten
keinen Erfolg, lind als derselbe seinen
verliebte» Sohn, um ihn aus den Lie
btsbanden loszureißen, nach Berlin
entsandte, folgte alsbald das allzeit
treue Mädchen auch nach der Kapitale
Deutschlands. Die Treue des Mäd
chens konnte den alten Pastor aber kei
neswegs rühren, und da der Herr Stu
diosus mittlerweile in das fünfte Se
mester gekommen, nnd im Verein mit
feiner Getreuen auch beträchtliche Sum
men verbraucht hatte, so mußte, zumal
der alle Vater durchaus nicht übermä
ßig mit GlückSgütern gesegnet ist, ener
gisch Wandel geschaffen werden.
Der Herr Pastor wandte sich in seiner
Noth an seinen Vetter und Amtsbruder
in Berlin, und der Ueberredekunst des
Berliner Geistlichen gelang es, den
Bruder Studio, den Wünscheil des Va
ters entsprechend, Hur Heimkehr in's
Vaterhaus zu bewegen. Der Tag der
Abreise käm heran, und wirtlich stellte
sich der Studio auf dem Bahnhof Fried
richstraße pünktlichst znr Stunde ein,
lim abzureisen. DaS Billet wird mit
.a. 2!) Mark vom Vetter gelöst und nun
bittet der Abreisende nur noch um eine
Postniarke, mit welcher er einen Brief
srankiren will, um ihn dann sofort in
de» Briefkasten zn stecken. Der Berli
ner Pastor, der seinen Pflegebefohlenen
nicht vom Perron lassen will, holt selbst
kine Marke herbei. Der Brief wird
damit versehen nnd gleitet in den Brief
kasten des Postwagens. Es wird Ab
schied geiioinmen und der Studiosus
steigt in das Coupee. Am anderen
Morgen srüh geht a»S Ostpreußen die
telegraphische Meldung in Berlin ein,
»aß der Sohn in der Heimath nicht
'ingetroffen sei. Der Vetter Pastor in
Berlin stellt die nöthigen Recherchen an
und erfährt denn auch, daß der ver
liebte Student eS vorgezogen, in Berlin
zu bleiben; er war darum auf dem
Bahnhof Alexanderplatz wieder ausge
stiegen, hatte aber als zärtlicher Sohn
jenen Brief, wozu ihm mit größter Lie
benswürdigkeit »och die Freimarke dar
gereicht wurde, an feinen Vater ge
sandt, damit dieser nur ja nicht durch
sein Ausbleiben beunruhigt werden
möchte. Natürlich wird nnn der alte
Pastor selbst die weile Reise nach der
Kaiserstadt antreten, um den um ihn
so zärtlich besorglen Sohn in Person
»einzuheimsen".
<?inst nnd jetzt.
Als Bna hab i' g'sensterlt
Vor'in Diandl sein Haus
Ta wirst's mir a' Sträußerl
Von Rosen heraus.
Und heut', wie i' Hain kimm
Vom Wirthshaus und klopf'
Da wirst mir mei' Alte
A' Haserl an' Kopf.
»er
Nach dem Ergebniß der in Pari»
geführten Boruntersuchung gegen den
»erhafteten Anarchisten Ravachsl unter-
Zieglt es keinem Zweifel mehr, daß der
selbe bei den Dynamitattentaten, welche
ganH Paris und die Pnivinz i» fieber
hafte Aufregung versetzten, entweder
als Anstifter oder Thäter betheiligt
war. Mit ihm sind fünf seiner Mit
schuldigen. darunter arrch die ?Mtrefse
des Anarchisten Dealot, Mariette Lou
bert, verhastet worden.
Ravachol.
Ravachol hat sich nicht gescheut, mit
einer Offenheit, die ihn. als Fanatiker
und kaltblütigen Verbrecher kennzeich
net. seine Verbrechen zu gestehen. Er
hat geraubt und gemordet, um der
Sache des Anarchismus die nöthigen
Geldmittel zufließen zu lassen, nicht um
sich zu bereichern. Der unversöhnliche
Haß gegen die Besitzenden, den sein
politisches Glaubensbekenntniß in jeder
Zeile athmet, steht in vollem Einklänge
mit seinem Fanatismus. Was sich
ihm und seinen Plänen entgegenstellt,
Inns! hinweggeräumt werden; den dar
benden Arbeiter will er an dem in Ge
nüssen schwelgenden Bourgeois rächen,
indem er diesen einfach todt schlägt.
Der direkte Anstoß zu den letzten
Verbrechen Ravachols wurde durch die
Verurtheilung seines Freundes und
Genossen Deeamps gegeben, der des
Mordangriffs aus einem Polizisten an
geklagt war. Der Vorsitzende Richter
Benoit, welcher die Verhandlung lei
tete, und der Staatsanwalt Boulot,
welcher die Anklage vertrat, nnirden zu
Opfern der Rache für Decamps' Ver
urtheilung auserkoren. Die Folgen
waren die Dynamitattentate auf dem
Boulevard St: Germain und m der
Ru» Clichy. Beide Verbrechen führte
Ravachol ohne Beistand aus.
Die äußere Erscheinung des Anarchi
sten ist keineswegs einnehmend, und so
charakteristisch, daß seine Jdentificirung
trotz seines Läugnens sehr bald über
jedem Zweifel feststand. Seine Augen
sind schwarz und stechend; besonders
aber wurde die Feststellung seiner Per
sönlichkeit durch die sorgfältigen Mes
sungen festgestellt, denen er bei seiner
letzten Verhaftung unterworfen war
und die aufs Haar bei dem Arrestanten,
der sich einen falschen Namen beigelegt
hatte, stimmten. In den Augen des
Pariser Spießbürgers erscheint Ravachol
als die Inearnatio» des Anarcyismus
und der Dynamitverbrecher.
Königlicher Empfang.
Als König Christian Vlll. von Dä
nemark nach seiner Thronbesteigung
zum ersten Male die deutschen Herzog
thümer bereiste, hatte er auch der Stadt
Mölln in Launeburg seinen Besuch
ankündei: lassen. Die Väter der Stadt,
hocherfreut über die ihnen zugedachte
Ehre, beschlossen, den Einzug Sr. Ma
jestät zu einem besonders festlichen zu
gestalten, natürlich mit Fahnen, Laub
gewinden, den »nvermeidlichen jungen
Mädchen in „Weiß", und vor Allem er
hielten di- Stadtmusikanten die Wei
sung, den König am Thore mit einer
Festhmnne zn empfangen, welche den
aufrichtigen Gefühlen und dem Jubel
der Stadt unverfälschten AuSdrnck zu
geben geeignet sei. DaS Repertoir
wie das Verständniß des Herrn Stadt
kapellmeisters war damals wohl etwas
beschränkt, oder war der selige Till
Eulenspiegel in ihn gefahren, um fei
nen engen Zusammenhang mit der gu
ten Stadt Mölln nicht in Vergessenheit
gerathen zu Das Programm
des Einzuges verlief durchaus zu hoher
Befriedigung der harmlosen Bürger,
«ur der etwas skrupulöser veranlagte
Stadthauptmann suhlte sich nicht gerade
defriedigt, als König Christian, der
bald darauf durch seinen „Offene»
Brief" die dentschenSympathien gründ
lich verscherzte, bei seinem Einzüge an
geblasen wnrde. mit den lustigen Klän
gen des damals so beliebten Volksliedes:
„Du bist der beste Bruder auch nicht!"
Das Stadthaupt, dem freilich von
dieser Ironie des Uitbewußten höchstens
eine schwache Dämmerung ausging, be
deutete gleichwohl in einem gelinden
instinktiven Gefühl des Unbehagen»
dem Herrn Stadtkapcllmeister: es fei
zwar ein recht schönes Lied gewesen,
aber bei einer Gelegenheit von so hoher
Bedeutung schiene ihm doch eine feier
lichere Weife angemessener, und er mö
ge daher bei der am Nachmittage er
folgenden Abreise des Königs die Wahl
des Musikstückes in dieser Richtung tref
fen. Till Eulenfpiegel war aber zur rech
ten Zeit wieder bei der Hand, und alz,
der König zitin anderen Thore wieder
hinausfuhr, bliesen die braves Stadt
nulsikanten als AbschiedSgruß den Cho»
»l,: „Nun oanket Alle Gott!"
I. v. Levetzow.
Menschlich.
Gaben die Götter Dir Glück auf der
F-Hrt,
Wollen holdieligst Dich alle begrüßen.
War aber Sturmwind. nnd Schiffbruch
Dein Part,
Treten Sie alle Dich gerne mit Füßen.
Warnung. Fräulein: Wa
rum sagen Sie immer zu mir: ./Neh
men Sie sich in Acht?" Herr: Ja
nun, bei so 'nein verteufelt schönen
Kerl?!
Ein Schl a überger. Wie,
Sie beschien Ihrer Frau, in'S Bad zu
reisen? Ja. denn wenn ich ihr etwas
befehle, dann thut sie'S ganz sicher
nicht! 3