Ein letzter Brief. fI. Fortsetzung und Schluß.) Helene hatte nur die Hälfte meiner Aede vernommen. Sie starrte wie ab wesend vor sich hin, die Hände krampf haft verschlungen. Gestürzt! Und ich bin schuld! Er leidet und ich kann nicht zu ihm, ihn -nicht pflegen! Das ist unnatürlich! Ich gehöre zu ihm! Was thue ich hier noch länger? Kommen Sie, ich fahre mit Ihnen zur Stadt. Schnell hatte sie ihren Schleier wie der über den Kopf geworfen, den herab gefallenen Mantel über die Schultern gehängt und war im Begriff, das Zim mer zn verlassen. Was ich alles aus dachte, was für plötzliche Eingebungen ich anwandte, um die unglückliche Frau zurückzuhalten, ich weiß es heute nicht mehr. Genug, es gelang mir. Sie ließ sich beschwichtigen uud blieb. Ich nahm ihr den Mantel ab, drückte sie aus den Sessel und redete ihr vernünf tig zu. Sie möge doch einmal ruhig überlege», daß sie durch eine voreilige Handlung alles verdürbe. Sie habe feine Frau vergessen. Was würde die bei ihrem plötzlichen Erscheinen am Krankenbette sagen? Sie müsse vor fichtig sein, grade jetzt, schon der Zu iliust wcgeu. Sie gab mir schließlich Recht, sah alles ein, wollte vernünftig sein, wollte warten. Aber eine Zeile für ihn sollte ich wenigstens mitnehmen. Vielleicht gelänge es mir, sie ihm zukommen zu lassen. Anch davon brachte ich sie ab. War es nicht schon genug, daß er den gefährlichen Brief zu verbergen hatte? Er war in feinen Bewegungen ja nicht frei. Die geringste Unvorsichtigkeit ihrerseits sei mit der größten Gefahr für alle Betheiligten verbunden. Sie mögen warte», geduldig einige Tage vergehen .äffen, sich uni ihr Kind be kümmern. die herzlose Wärterin fort fchicken, sich durch Thätigkeit im Hause zu zerstreuen suchen, morgen würde ich wiederkommen nnd ihr wo möglich 'Nachricht von ihm bringen. Es schnürte mir das Herz zu, die Äermste jetzt zu verlassen. Aber ich mußte fort, es war die höchste Zeit. Mein Kutscher wartete gewiß schon ungeduldig brau chen am Gitter, und zu Hause konnte ich meinem Mann meine Abwesenheit nicht erklären. Ich trennte mich von der armen Frau mit fast schwesterlicher Zärtlichkeit, denn dieselbe hatte, ob gleich ich ihre Handlungsweise ja durch aus nicht billigte, dennoch meine innigste Theilnahme gewonnen, und wir waren, das fühlte ich deutlich, in den vicrnndMinzig Stunden unserer Bckanntschast durch die außergewöhn lichen traurigen Ereignisse Freundin nen geworden. Aus dem Wege zur Stadt überdachte ich das Erlebte noch einmal. Im Gan zen war ich mit meiner Handlungsweise zufrieden. Es war mir unmöglich ge wesen, der unglücklichen Fran, die heute Morgen ahnungslos den letzte» Gruß des geliebten Mannes empfangen hatte, die die einzige unbewußte Zeugin seines Sturzes gewesen war. die entsetzliche Wahrheit zu sagen. So war sie we- MGstens vorbereitet. Aber was mochte «lis dem schlimmen, verfänglichen Brief geworden sein? Welch' Unheil konnte noch aus dem wahrscheinlich in die un geeignetsten Hände gelangten Schrift stücke entstehe»! Immer wieder mußte ich daran denken. ES mochte eben acht Uhr vorüber sei», als ich endlich todt müde zu Hause anlangte. Mein Maiin war zum Glück noch nicht zurückgekehrt. Aber ich hatte kaum Mantel und Hut abgelegt, da trat er auch schon in's Zimmer. Du siehst etwas leidend ans. Du Hättest heute in die Lust gehen sollen, bemerkte er. als wir uns im Wohn zimmer gegenübersaßen. Wahrscheinlich hat mich die traurige Nachricht, die du mir heute Bormittag gebracht hast, angegriffen. Hast du übrigens »och etwas Näheres von dein Ungiück mit Schottwitz erfahren? Ich wollt« ihn lieber sprechen lassen und zuhören, um nicht von mir berich ten zu müssen, denn es wnrde mir schwer, Heimlichkeiten vor ihm zu haben. Aber ich hätte sür keinen Preis der Welt die vertrauliche Angelegenheit einer an dern, deren Vertraute ich doch nun ein mal, wenn'auch gegen meine Wünsche, geworden war, meinem Manne mitge theilt. Die Cache erregt überall die größte Theilnahme, beantwortete mein Mann meine Frage. Schottwitz gehörte, so scheint es, zu den wenigen wirklich glück lichen Menschen. Alles war vereint, um ihm ein beneidenswerthes Dasein zu schaffen. Jung, beliebt, gesund, reich, eine schöne, vornehme, wohlerzo gene edelgesinnte Frau So, ist sie das letztere auch? unter brach ich. Es wird allgemein so behauptet. Eine Frau, die ihn über alles liebte. Sie soll halb wahnsinnig vor Schmerz sein. Es wird übrigens eine großartige Beerdigung werden. Regimcntsmnsik, Lfficiere folgen. Was wird ,mr Wenoland sagen, wenn er morgen bei seiner Rückkehr das Unglück erfährt, das auf feinem Grund und Boden, vic-.leicht durch Nachlässigkeit seiner Leute, geschehen ist! Er war vor Jah ru> mit «chottwitz sehr befreundet, die Mmilien haben miteinander verkehrt. Tann sollen sich die Männer überwar fen haben die Frauen stimmten nie besonders zusammen —, und sie kamen auseinander. Ich denke, er wird trotz der Feindschaft zum Begräbniß gehen, meinst du nicht? Ich glaube es auch. Aber da du ge rade von Wendland spricht hast du nicht gestern den Eindruck gehabt, daß er gegen seine Frau recht unfreundlich ist? H)ie peinlich war nicht die Ge schichte mit örn Servietten bei Tische, erinnerst du dich? Gewiß. Der Mann erschien mir in seinem Hause in einem ganz andern Lichte als früher. Ich tonnte mir das nicht er klären und habe mich heute bei Hansen, wo ich zufällig einen Herr», der ihn seit zehn Jahren genau kennt, traf, da Wendland nicht anwesend war, ein biß chen näher nach ihm erkundigt und ganz gegen meine sonstige Gewohnheit nach seinen Familienverhältnissen ansge sragt. Da habe ich de»» erfahre», daß eS mit seiner Eheschließung eine beson dere Bewandtniß gehabt hat. Seine Fran stammt aus einer guten Hambur ger Familie. Sie gali sür eins der reichsten, verwöhntesten Mädchen. Wendland verlobte sich mit ihr im Glanben, eine Mitgist zn erhal te». wurde aber wenige Wochen vor der Hochzeit seine» Irrthum gewahr. Das große Gilt, das er sich mit Rück sicht auf das vermuthete Bennögeu fei ner küuftigeu Fran gekauft hatte, konnte er nicht wieder- los werden, und fein« Braut wollte er nicht wieder IoS sein, denn er halte sie liebgewonnen. Er hei rathete sie. Aber hat sie ihn denn geliebt? unter brach ich meinen Mann. Warum hat sie ihn denn genommen? Du lieber'Golt, sie wird ihn wohl geliebt habe»! Warum auch nicht? Wendland ist ja ein hübscher Manu. Im Laufe der Jahre soll er nun aller lei Verluste erlitten nnd, den Groll uud die Enttäuschung, die er betreffs der Vcrinögeiisverhältnissc seiner Fran cmpsuiidc», nicht länger verbergend, durch Engherzigkeit und Genauigkeit im Hause nnd seiner Frau gegenüber dieser das Leben »»angenehm gemacht haben, sodaß die für stolz und verwöhnt geltende Frau sehr darunter litt und, (hrcn Kummer verbergend, sich von aller Welt zurückgezogen hal. Das ist der wahre Gruud, warum die schöne junge Frau so einsam da draußen aus dem Lande lebt, uud warum ich mich besonders srene, daß du sie keimen ge lernt hast und ihr vielleicht durch deinen Umgang nützlich sein kannst. Ich selbst habe mir vorgenommen, jetzt, Ivo ich die Lage der Dinge durchschaue, mir den verehrten Herrn Wendland auch einmal vorzunehmen und zu versucht», auf ihn zu wirken. Und so hoffe ich, obgleich man sich nicht in die Angelegenheiten anderer mischen soll, daß wir einen günstigen Einfluß auf das Paar übe» werden. Es ist ja schade n»i die Frau und deu im Grnndc sicher nicht schlech ten Man». Sie hat gewiß anch Schuld, daß er so geworden ist, denn sie scheint mir sehr kalt nnd gleichgültig gegen ihren Mann zu sein. Das ist natür lich nicht die Art uud Weise, einen un freundlichen Gallen zn bessern. Wenn Krauen wüßten, wie erbittert und un geduldig der beste Manu iu seinem Hause wird, wenn er eine Art Trauer weide als Lcbeusgcsührtiu hat! Uud so ein bische» Trauerweide scheint mir die im übrigen so s>>mpathische Frau Wendland zu sei». Ich dachte »och laiige über die Worte meines MnuncS nach, nnd es wurde mir klar, daß er in gewisser Beziehung recht hatte, daß Helene ohne ihre Liebe zu Schottivitz, ohue den Gedanken aus die Möglichkeit eiuer Befreiung ans ihrer unglücklichen Lage ernster und er folgreicher bestrebt gewesen wäre, das Leben an der Seite ihres Mannes und in ihrem Hause erträglicher und ange nehmer zn gestalten. Sie hätte ihn Klugheit und Liebenswürdigkeit nur zu dem einen Zweck verwerthen müssen, mit gegebenen Faetoren zn rechnen, einmal feststehende Verhältnisse nicht umzustoßen und zu erneuern streben, fondern'zu verbessern. Aber es ist so leicht, kluge, gute Rathschläge zu ge ben, wenv man selbst unbctheiligt ist. Vielleicht wird dennoch alles gut, dachte ich. Dieser Tod verhütet viel leicht den Ruin und die Schande einer Frau, zweier Familien. Ich ertappte mich aus einer erschreckend grausamen Gerechtigkeit. Das kam natürlich nur, weil ich deu Berunglückten nicht näher gekannt hatte. Ja, alles konnte noch gut werden, wäre der Brief, dieser Schuldbeweis, ans der Welt zn schaffen gewesen! Alles konnte vergeben, vergessen, todt sein, nur das geschriebene Wort lebte weiter, wirkte weiter, nnd das schmale Couvert niit dem nnseligen Inhalte ivnchs mir im Traum zu einem Ungeheuer heran, das uns alle zu verschlingen drohte. „Verehrte Frau! Es wäre vielleicht gut, wenn Sie hente im Laufe des Nachmittags hinaus nach Heinersdorf führen. Unsere arme Freundin, Frau Helene Wendland ist recht elend und bedars Ihrer. Sie werden ihr viel leicht nützlicher sein können, als der Arzt. Ich komme soeben von dort. Eiligst grüßend Ihr sehr ergebener Berchner." Diesen flüchtig mit Blei geschriebenen Brief erhielt ich am nächsten Tage bei Tisch. Ich zeigte ihn meinem Manne, und dieser rieth mir, sofort einen Wa gen kommen zu lassen und hinanSzu sahren. Mir klopfte das Herz recht bang. Ich ahnte, daß die arme Frau die Wahrheit erfahre» hatte, fassungslos vor Schmerz, nicht sich selbst überlassen bleiben dnrste. Paßt es dir, wenn ich mitkomme und dich begleite? Ich überlegte. Ja, es war vielleicht ganz gut, wenn mein Mann selbst sah und hörte. Ich brauchte dann keine andernfalls wahr scheinlich dennoch nothwendig werdenden Aufklärungen zu geben. Wir fuhren also hinaus ich zum dritten Mal in meiner kaum dreitägi gen Bekanntschaft. Seit dem ersten Besuch schien niir ein Jahr verflossen zu sein. Ticsmal stand das Gitterthor geöffnet. Als der Wagen vor dem Hause hielt, trat Wendland selber aus demselben nnd begrüßte uns. Er sah sehr ernst ans. Unser Be such schien ihn zu überraschen. Er hatte jemand anderes erwartet, wahr scheinlich den Arzt. Meine Frau ist recht krank, fürchte ich. Sie wird gewiß sehr bedauern, aber der Arzt hat absoluteste Ruhe ab geordnet. Niemand darf zu ihr, ich selbst nicht. Ich sah meinen Mann fragend an. Dieser verstand mich. Doctor Berchner war heute bei uns und hat meiner Frau gerathen, Frau Wendland zu besuchen. Lassen Sie meine Fran ruhig zu ihr, ich bleibe so lange bei Ihnen. Der Besuch wird der Kranken nichts schaden, im Gegen theil! Was sollte Wendland thun? Er konnte mich doch nicht zurückhalten. Ich kannte den Weg und, die Männer in den, kleinen Zimmer, in dem sie vor zwei Tagen Karte», gespielt hatte», zu rücklassend, eilte ich hinauf zu der un glücklichen Frau. Sie wandte nicht den Kopf, öffnete nicht einmal die Augenlieder, als ich an ihr Lager trat, auf dem sie angekleidet sie hatte sich bisher von Niemand be rühren lassen wollen —, seitdem man die Ohnmächtige heute Morgen darauf gebettet hatte, ausgestreckt lag, wie er starrt vor Schmerz, mit zurückgelehntem Kopfe, festgeschl offenen Lippen, herab gefallenen Armen. Später hat sie mir selbst gestanden, daß sie nicht bewußtlos gewesen sei, daß sie Schritte vernommen, meine Nähe gefühlt habe, daß es ihr aber unmög lich gewesen sei, sich zu rühren, und daß eine so überwältigende Gleichgiltigkeit sie beherrscht habe, daß sie, hätte sie durch eine Bewegung des Fingers den Weltuntergang verhindern können, sich unfähig gefühlt hätt«, es zu thun. Sie habe nur den einen Gedanken, in verschiedenen Formen auftretend, ge habt: Todt sein wie stirbst du? Wann kommt der Tod? Ende! Aufhören! Erst als ihr die Kräfte wiedergekommen, habe sie das unsag bare, herzzerreißende Weh, das noch monatelang in ihrer Brust tobte, in seiner vollen Gewalt verspürt. Der gute Doctor hatte sich geirrt. Vorläufig konnte auch ich hier nichts ausrichten. Ich setzte mich zu ihr und sagte ihr einige herzliche, warm em pfundene Worte. Sie rührte sich nicht, schien nichts zu hören. Ihr Mädchen, das mich nun bereits kannte und mei nen gestrigen Besuch mit dem Zustande der Kranken wohl in irgend eine Ver bindung bringen mochte, trat ein. Ich nahm sie in das Nebenzimmer und ließ mir berichten, wie Alles so gekommen sei- Der Herr habe heute Morgen gleich bei seiner Rückkehr auf dem Hose laut mit einigen Arbeitern gescholten. Die Frali hätte grade neben ihr am offenen Fenster des WirthschaftszimmerS gestan den uud ihr einen Austrag gebe» wol len. Da seien die Worte „Rittmeister von Schottwitz! Stein zum Genick brechen in den Weg legen!" bis zu ihnen gedrungen. Die Frau sei sehr bleich geworden und habe sich an dem Fensterbrett halten muffen. „Was in denn geschehen?" habe sie dann gesr.u t und da hätte sie ihr gesagt, was die Arbeiter schon morgens unten in der Küche erzählt hatten: daß sie gestern Mittag einen todten Officicr. der vom Pferde gestürzt fei, auf der Landstraße gesunden uud iu die Stadt gebracht hätten, auf einem Wendlandschcn Ar beilswagen. Die Fran habe wohl nicht mehr alles gehört, denn sie sei plötzlich lautlos umgesunken, sie habe sie nicht halten können, habe um Hilfe geschrieen, da sei der Herr gekommen, der hätte die ohnmächtige Frau aufs Bett getragen und sofort einen Boten in die Stadt znm Doctor geschickt. Und nnn lüge sie schon viele Stunden so nnd die Pulver, die Doctor Berchner heute Morgen verschrieben hatte, hätte sie nicht angerührt. Hat sie denn mit dem Arzt gespro chen? Das weiß ich nicht, er ist allein mit ihr geblieben. Selbst den Herrn hat er gebeten, nicht zn ihr zu gehen. Nun, haben Sie mit ihr sprechen können? Wie geht es ihr? Mit diesen Fragen empfing mich unten Herr Wend land, als ich zu den Herren in's Zim mer trat. Ich verneinte und drückte meine Be sorgnis; aus, daß auf diese Art vou Starrheit die Möglichkeit eines hitzigen Fieberanfalls nicht auSgeschlos>e» fei. Das fürchtet Berchner auch, sagte Wendland. Ihre Nerven sind von je her in einem schlechten Zustande. Es bedurfte nicht viel, um sie niederzuwer fen. Nun dieser Schreck! Sie haben doch gewiß von dem Unglück, das den Rittmeister von Schottwitz hier in un serer Nähe betroffen hat, gehört? Wir waren früher sehr befreundet, und nun kommt er hier in unserer nächsten Nähe so schrecklich um's Leben. Es hat auch mich erschüttert, als ich'S hörte, beson ders weil ich mit ihm damals so —er suchte nach einem passenden Ausdruck— so dumm uuseiuandergckominc» bin. Er war ein durch und durch anständige? Mensch, aber entsetzlich stolz und em pfindlich, gerade wie meine Frau. Da hat er mir einmal etwas übelgenom men, eine Aeußerung von mir, und da war's vorbei. Du lieber Gott, wir Landwirthe sind vielleicht etwas derber! Es that mir ja jetzt leid. Seine arme Frau! Es war eine so glückliche Ehe. Wäre die meinige nicht krank, sie müßte sofort hin und die unglückliche Fran trösten. Die beiden Damen kannten sich gut. Ich gehe auf alle Fälle zum Begräbniß. Eine Feindschast über s Grab hinaus gibt es sür mich nicht. Wenn nur meine Frau erst wieder wohl wäre! Da kommt der Doctvr! Wir vernahmen das Rollen eines Wagens, der vor dem Hause hielt. Thliren wurden geöffnet uud zugeschla gen, eine Männerstimme und schritte vernehmbar, aber zu uns kam Nie mand. Er wird erst hinauf zu seiner Pati entin gehen, sagte Wendland. Eine kleine halbe Stunde später kam Doctor Berchner in'S Zimmer. Nach- dem er nnS freundlich begrüßt hatte »nd f.ch meinen Eindruck von der Kran ke» hatte berichten lassen, sagte er: »so. Nun, ich hoffe, es wird sich noch alles machen. Ich habe Ihnen in der Voraussicht, daß Ihre Frau längere Zeit der kundigen Pflege und aufmerk samen Bedienung bedarf, gleich eine Wärterin aus der, Stadt mitgebracht, eine angenehme, diScrete, tüchtige Per son. Die Kranke hat sich ruhig von ihr entkleiden und niederlegen lassen. Ich fürchte übrigens, daß heute Nacht starkes Fieber eintreten wird, und habe daher alle Maßregeln und Anordnun gen der Pflegerin gegeben. Sorgen Sie dafür, daß reichlich Eis im Haus« ist, und lassen Sie uns das beste has sen. Morgen früh komme ich selbst verständlich wieder, nachzusehen. Nachdem noch einige oberflächliche Reden über die Kranke und das Unglück des Rittmeisters gewechselt worden wa ren, verabschiedeten wir nns alle drei, Wendland recht gedankenvoll und be sorgt zurücklassend. Der Doctor stieg zu uns in den Wagen und ließ den seinigen leer hinterher fahren. Draußen war esdnnkel. Die Cigarre des Doctors leuchtete wie ein glühender Punct mir gegenüber im Wagen. Ich lehnte mich zurück. Mir war ganz unheimlich zu Muthe. Ganz dieselbe Situation hatte ich ja vor kaum zwei Tagen bei der gemeinsamen Rückfahrt durchlebt, nur mit dem Unterschiede, daß ich damals de» Brief, den Anfang, die Ursache zu dem Unglück, da? uns umgab, uoch bei mir hatte, daß die verderbenbringende Kugel uoch nicht abgeschossen war. Und schweigend, ein jeder mit seinen ernsten Gedanken beschäftigt, fuhren wir dahin. Ist sie gefährlich krank? unterbrach ich endlich, mich an den Doctor wen dend, das Schweigen. Vorläufig kann ich noch nicht viel sagen. Ich fürchte, es wird sich ein Nervensieber aus diesem lethargischen Zustande entwickeln, jedenfalls eine langwierige, traurige Geschichte, be sonders da draußen auf dem Lande. Ich wünschte, wir hätt«i sie erst über den Winter. Sie ist so zart. Es war sehr freundlich von Ihnen, daß Sie meinen Wunsch erfüllten und gleich zu ihr gegangen sind. Ich versprach mir von Ihrer Anwesenheit irgendwelchen Erfolg. Sie wundern sich, weshalb! Das Mädchen hatte mir gesagt, daß Sie der armen Frau Helene gestern einen längeren Besuch abgestattet haben, und da glaubte ich Ich hatte vergeblich versucht, dem Doctor durch ein Zeichen Schweigen zu gebieten. Das Unglück war geschehen. Erst in dem Augenblick, da er mein Ge heimniß verrieth, hatte ich seinen Fuß erreicht und leicht mit dem meinigen be rührt. Zu spät und an die falsche Mresse, mein Kind, sagte mein Mann lächelnd. Wozu auch Heimlichkeiten? Wie kamst du denn darauf, den Besuch bei Wend lands so schnell zu wiederholen? Als ich heute Berchuers Brief las, hatte ich mir schon vorgenommen, Sie zu fragen, Doctor. weshalb Sie voraussetzen, daß meine Frau Da habe ich also eine Jndiscretion begangen! Verzeihen Sie, gnädige Frau, ich bin untröstlich, aber ich ahnte nicht. Ich dachte, Ihr Mann wüßte Wie die Sachen nun lagen, war eS am gescheitesten, den beiden Männern wenigstens einiges zu sagen. Ich ver schwieg natürlich den Brief und die mit demselben verbundene beabsichtigte Flucht. Ich hätte gewußt, daß Frau Helene für den Rittmeister, trotz der Feindschast ihres Mannes, freundschaft liche Gesinnungen bewahrt habe und hätte sie bei der Nachricht von dem Un glück nicht allein wiffen wollen. Das habe ich mir auch so gedacht, meinte der Docwr. Als ich heute früh mit ihr allein war und sie aus einer langen Ohnmacht erwachend mich vor sich sah, nannte sie Ihren Namen in einem ganz verworrenen Zusammen hang mit einem Briefe. Das veran laßte mich noch mehr als die Mitthei lung des DienstinSdcheiis, Sie zu be nachrichtigen. Ich dachte, sie wolle Ihnen schreiben oder erwarte von Ihnen einen Brief. Ich. ich hatte ihr versprochen, ihr heute näheres über den Sturz des un glücklichen Freundes zu berichten. Also hat sie den Tod schon gestern durch Sie erfahren? Wie konnte sie da nur heute noch so erschrecken? meinte der Doctor. Das ist mir auch unerklärlich. Da ist irgend ein dunkler Punkt, sagte mein Mann. Dieser Sturz in der Nähe des Gutes an einem Tage, an dem Wendland abwesend, erscheint mir auch seltsam. Aber es ist nicht unsere Sache, dieser traurigen Angelegenheit auf den Grund zu gehen. Ich frage dich absichtlich nicht weiter aus, liebes Kind. Die Leute thun mir allesammt leid, wir brauchen sie nicht in diesem Augenblick zu richten und zu verur iheilen. Selten hatte mir mein Mann so gut gefallen, wie heute. Ich drückte ihm sankbar die Hand. ES war sicher nicht die des Doctors. Dieser erzählte »nS noch während der Fahrt einiges Nähere über den Berunglückten, den er heute Morgen mit seinem Kollegen, dem Schottwitz'schen Hausarzt, besichtigt hatte. Er erklärte uns wissenschaftlich sie Ursache des sofortigen Todes, der verstorbene war mit dem Genick gerade auf den Stein gestürzt. Merkwürdig ruhig und gefaßt habe er bereit? heute sie Wittwe des Rittmeisters gesunden. Sie habe beide Aerzte selbst in das Todtenzimmer geführt, sei aber nicht mit an die Leiche herangetreten, sondern habe im Nebenzimmer gewartet. Selten hätte er, Doctor Berchner, einen so schönen Todten gesehen, wie diesen un glücklichen Schottwitz. Wie ein junger gefallener Held lag » da. Dieses vornehme männliche Ge- ficht und die prächtige Gestalt! Ueber morgen früh wird er begraben. Arme Helene! Während sie von hef tigstem Fieber ruhelos auf ihrem Lager hin- und.hergeworfen wurde. Niemand erkannte und mit trockenen Lippen und brennenden Augen in'S Leere starrte und draußen der erste Frost sich wie ein Leichentuch auf den stillen dunkeln Park legte, trugen sie zwei Tage später unter den Klängen des Beethoven'schen Trauermarsches Erich von Schottwitz, bedeckt von Palmen und weißen Rosen, zu Grabe. Monate vergingen. Die Wohnung Ohlauerstraße l 3 stand längst zum Ber miethen, denn Frau von Schottwitz war gleich nach dem Tode ihres Mannes nach England zu ihren Eltern gereist. Es hieß zwar, sie wolle wiederkommen, doch das war nicht bestimmt. Ihre Einrichtung stand auf einem Speicher. Helene Wendland hatte sich von ihrer Krankheit nur sehr langsam erholt und war bald nach Weihnachten mit ihrem Manne auf driiigcudeii Rath des Arz tes nach dein Süden gereist. Mit ihrem Manne!' Wendland hatte sich etwas verändert. Ob die Krankheit seiner Fran, ob der vertraulichere Umgang mit meinem Manne oderein stiller Vor wurf, den er sich betreffs des an dem Feldstein Verunglückten machte, diese Veränderung veranlaßt hatten, ich weiß es nicht; aber anders war es geworden. Helene hatte es mir noch vor ihrer Ab reise selber mit einem matten Lächeln mitgetheilt. Er war milder, freund licher, nachgiebiger. Er rechnete auch nicht mehr so genau. Während ihrer Abwesenheit hatte ich den kleinen Wend land zu mir genommen und mir dadurch des VaterS Wohlwollen, das mir bisher zweifelhaft schien er konnte sich eines gewissen Mißtrauens gegen mich nicht erwehren erworben. „Alles geht vorüber, und man gewöhnt sich schließ lich a» alles." Das sind zwar verbrauchte Re densarten, Alltäglichkeiten, deren Weisheit und Wohlthat sür das mensch liche Geschick erst der Erfahrene zu wür digen weiß. Wir, Helene und ich, hatten uns noch Monate lang gesorgt und geängstigt und immer noch gefürchtet, daß eines schönen Tages die Wittwe Erich von Schottwitz ihr Rachewerk an Helenen änsführen und „den letzten Brief" an ihren todten Gatten dem lebenden ihrer Nebenbuhlerin zusenden würde. Bei jeder Post hatte Heleni anfangs gezit tert, bei jeder Verstimmung Wendlands war sie erbebt. Aber schließlich, als immer noch nichts geschah, als wir hör ten, daß die Frau fort sei, beruhigten wir uns, ja, wir trösteten uns schließ lich mit der Annahme, daß Schottivitz, der sehr vorsichtig zu sein pflegte, den Brief vielleicht dennoch vernichtet habe. Helene kam Ende April erfrischter von ihrer Reise zurück, immer noch voll tiefer Trauer und Wehmnth, aber doch fähig, ihren Hausstand zu führe», sich über den Kleinen, den ich ihr in bestem Wohlsein wieder abliefern konnte, zu freuen. Da unsere Freundschaft auf keinerlei Schwierigkeit von feiten unserer Män ner stieß, so folgte ich ihrer Einladung und zog sür die Soinmcrmonate zu ihr auf's Land. Wir verlebten schöne ruhige Tage zu sammen, machten lange gemeinsame Spaziergänge, uud ich bemerkte zu mei ner Freude, wie der tiefe, nagende Schmerz um den geliebten Todten einer sanfteren Wehmnth Platz machte. Wie gut, daß Wendlands derbe Natur nichts von alledem, was in der Seele seiner Frau vorgegangen war, merkte! Oder irrten wir uns? Wollte er nur nichts merken? An einem herrlichen Julitage war Halene bereits stark genug, das Grab des theuren Todten zu besuchen. Es war ganz bedeckt mit weißen, blühenden Rosen. Still weinend sank die schöne Frau an demselben nieder. Ich ließ sie einige Zeit allein. Als wir den Rückweg antraten, sagte ich, daß es mir von der fernen Frau von Schottwitz gut gefalle, wie liebevoll sie für das Grab ihres Gatten Sorge trage. Helene trocknete sich die Augen und sah mich wehmüthig lächelnd an. Und du hast wirtlich geglaubt, daß sie es ist. die so sein Grab schmücken läßt? Nein, nun glaubte ich es nicht mehr. Im Herbst ivnrde Heinersdors unter überaus günstigen Bedingungen ver kauft. Wendlands zogen in die Stadt. Unser Berkehr ivnrde nun womöglich noch inniger. Ungefähr zwei Jahre waren seit dem Tage, an dem wir zum erste» Mal in Heinersdorf gespeist hatten, vergangen. Da hieß es, Frau Rittmeister von Schottivitz sei wieder da. Sie war mit ihrer Mutter nnd einer jüngeren Schwe ster zurückgekommen, nahm eine große, schöne Wohnung., richtete sich ein und gab Gesclljchajtc». Bei der Nachricht von ihrer Rückkehr durchzuckte es Hele ne» und auch mich unangenehm. Wir hatten uns während ihrer Abwesenheit so sicher gesühlt. Jetzt cmpsandcn wir beide wieder die alte Bangigkeit. Wenn ich es nur endlich wüßte, ob sie den Brief gesunden hat! sagte eines Tages Helene zu mir. Diese Unsicher heit macht mich ganz elend. Hat sie ihn gelesen nnd bisber nichts gethan, so wird es wohl so bleiben »iid ihre Rache darin bestehen, mich in der Un gewißheit z» lassen. Aber vielleicht weiß sie gar nichts von demselben, nnd meine Bcsangcnheit, wenn ich ihr be gegnen sollte, ist überflüssig. Ich glaube, diese Frage wird ewig unaufgeklärt bleiben, erwiderte ich. Dem war aber nicht so. Kurz vor Weihnachten richtete eine wohlthätige sürstliche Dame ciiien Ba >ar zum Beste» armcr Soldatenwittiven ein. Frau Wendland und ich waren >ur Besprechung der Einrichtnugen nnd >ur engere» Wahl eines Borstandes oon der holieii Gründerin des Unter nehmens eingeladen worden, uns bei ihr einzufinden. Wir betraten zusammen den große«, vornehmen Salon, m dem uns die Fürstin sehr gnädig empfing. Sämmt liche außer uns noch ainvefcnde Damen nahmen auf den im Halttreis um das Sofa aufgestellten Sesseln Platz. Wir waren elf Damen. Die zwölfte, deren Stuhl neben Frau Wendland noch »n -besetzt war, fehlte. Die Versammlung war schon eröff net. Die die vom Sofa auS den Borsitz führte, hatte uns eben iw einer kleinen Ansprache ihre Ansichten mitgetheilt, da öffnete sich die Salon thür noch einmal und in langem, schwarzen Seidenkleide rauschte die hohe Gestalt der Wittwe Erich von Schottwitz herein. Sie begrüßte mit vornehmer Sicherheit die Fürstin, bat, ihre Ver spätung zu entschuldigen, und wandte sich dann ihrem Platze zu. Eben im Begriff sich niederzulassen, sah sie zu fällig nach links nnd erkannte Helene Wendland. Ohne meine Freundin eines Blickes zn würdigen, blieb sie ste hen und sprach abgewandt mit ihrer Nachbarin rechts. Daraus erhob sich diese, eine liebenswürdige junge Frau, und während sie den Platz neben Hele nen einnahm, setzte sich Frau von Schottivitz bleich und majestätisch wie eine Königin ans den frei gewordenen Sessel. Diese ganze Scene hatte viel leicht eine halbe Minute gedauert. Ich war zu sehr davon befangen, um zu sehen, ob sie von den andern Da men bemerkt worden war. Als wir nach der uns endlos schei nenden Versammlung endlich allein unten im Wagen saßen, fiel mir He lene um den Hals, und wie ein Schrei der Befreiung erklangen die Worte: Endlich wissen wir's! Sie hat den Brief gelesen! Ja, sie hatte ihn gelesen und ver nichtet. und nie hat ein Mensch er fahre». was in der stolzen Frau vor gegangen ist. Niemand hat darunter zu leiden gehabt. Helene ist im Laufe der Jahre eine glückliche Mutter und zufriedene Frau geworden. Frau von Schottivitz hat sich wieder verheirathet und ist in's Ausland gezogen. Und das Grab des Rittmeisters ist nur noch an sei nem Todestage mit weißen Rosen ge schmückt vielleicht anch das nicht mehr, denn alles geht vorüber. (Ende») Vom verlorenen Soft». Ein ehrwürdiger Pastor in einer der östlichen Provinzen Teutschlands hatte seinen erstgeborenen, taleiitirte» Filius, nachdem derselbe das rito absolvirt hatte, nach der Provinzial hauptstadt zur Universität gebracht, damit derselbe dortselbst dem Ins ob liege. Der' junge Studiosus belegte >war Institutionen und Pandekten, kümmerte sich aber herzlich wenig um das heilige Recht, traktirte vielmehr mit größtem Eifer die »rs »iri»>iicli, und der Kamps des Ins mit Amors Pfeilen endete zu Gunsten Amors. Der Studiosus lag in unlösbaren Banden eines liebesrendigen Mädchens und ließ darüber Semester über Seme ster verstreichen. Die Warnungen und Drohungen des besorgten Vaters hatten keinen Erfolg, lind als derselbe seinen verliebte» Sohn, um ihn aus den Lie btsbanden loszureißen, nach Berlin entsandte, folgte alsbald das allzeit treue Mädchen auch nach der Kapitale Deutschlands. Die Treue des Mäd chens konnte den alten Pastor aber kei neswegs rühren, und da der Herr Stu diosus mittlerweile in das fünfte Se mester gekommen, nnd im Verein mit feiner Getreuen auch beträchtliche Sum men verbraucht hatte, so mußte, zumal der alle Vater durchaus nicht übermä ßig mit GlückSgütern gesegnet ist, ener gisch Wandel geschaffen werden. Der Herr Pastor wandte sich in seiner Noth an seinen Vetter und Amtsbruder in Berlin, und der Ueberredekunst des Berliner Geistlichen gelang es, den Bruder Studio, den Wünscheil des Va ters entsprechend, Hur Heimkehr in's Vaterhaus zu bewegen. Der Tag der Abreise käm heran, und wirtlich stellte sich der Studio auf dem Bahnhof Fried richstraße pünktlichst znr Stunde ein, lim abzureisen. DaS Billet wird mit .a. 2!) Mark vom Vetter gelöst und nun bittet der Abreisende nur noch um eine Postniarke, mit welcher er einen Brief srankiren will, um ihn dann sofort in de» Briefkasten zn stecken. Der Berli ner Pastor, der seinen Pflegebefohlenen nicht vom Perron lassen will, holt selbst kine Marke herbei. Der Brief wird damit versehen nnd gleitet in den Brief kasten des Postwagens. Es wird Ab schied geiioinmen und der Studiosus steigt in das Coupee. Am anderen Morgen srüh geht a»S Ostpreußen die telegraphische Meldung in Berlin ein, »aß der Sohn in der Heimath nicht 'ingetroffen sei. Der Vetter Pastor in Berlin stellt die nöthigen Recherchen an und erfährt denn auch, daß der ver liebte Student eS vorgezogen, in Berlin zu bleiben; er war darum auf dem Bahnhof Alexanderplatz wieder ausge stiegen, hatte aber als zärtlicher Sohn jenen Brief, wozu ihm mit größter Lie benswürdigkeit »och die Freimarke dar gereicht wurde, an feinen Vater ge sandt, damit dieser nur ja nicht durch sein Ausbleiben beunruhigt werden möchte. Natürlich wird nnn der alte Pastor selbst die weile Reise nach der Kaiserstadt antreten, um den um ihn so zärtlich besorglen Sohn in Person »einzuheimsen".