Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 29, 1892, Page 2, Image 2

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    2 Die verdächtige Reisegefährtin
Eine lustige Geschichte, die kürzlich in
einem Coupe des Berlin - Wiener
Schnellzuges spielte, wird erzählt. Ein
bekannter Berliner Kaufmann, den
Geschäfte nach Wien führten, erhielt in
Prag Gesellschaft. Eine junge Dam:
von hübscher Erscheinung bestieg das
Coupe und ließ sich nach einem kurzen
Kopfnicken als Gruß in der entgegenge
setzten Waggonecke nieder. Begreif
licher Weise schenkte der Paffagier dem
hinzugekommenen weiblichen Fahrgaste
einige Aufmerksamkeit und er hat viel
leicht gehofft, mit dem hübschen Passa
gier durch ein Gespräch die Fahrstunden
nach Wien einigermaßen zu verkürzen.
Allein nach einer Stunde schon fühlte
er sich in dieser Absicht bedenklich erschüt
tert. Er hatte etwas gar zu «seltsames
an der Dame wahrgenommen und
manchen Augenblick beschlich ihn ein fast
unheimliches Gefühl, sich in der Gesell
schaft der Dame zu befinden.
Zeitweilig blickte sie anscheinend ganz
theilnahmslos znyi Coupcfcnster auf die
winterlich kahle Landschaft hinaus,
dann wieder begann sie ein anscheinend
sehr lebhaftes, mit murmelnden Lippen
geführtes Selbstgespräch. Halb unter
drückte Geste» begleiteten zeitweilig die
sen gelispeltcu Monolog, und hatte sich
die Dame zu einer lebhafteren Geberde
hinreißen lassen, so streifte sie mit einem
kurzen Blick ihr Gcgeuüber, wie, um sich
zu vergewissern, daß er nichts davon ge
sehen. Das that dieser auch redlich.
Was sollte er auch mit einer Unglück
lichen, bei der es offenbar im Kopse
nicht ganz richtig war? Eine fanbere
Unterhaltung das! Manchmal stand
das arme Madchen sogar, wenn es sich
unbeachtet glaubte, sür einen kurzen
Moment aus, trat vor den Eonpespicgel
und schnitt eine Grimasse, nicht stark,
sast nur leicht markirt, aber immer
hin eine Grimasse. Kein Zweifel; ein
Psychiater wäre da cinc entsprechendere
Gesellschaft, als ein Kaufmann. Eine
Stunde vor Wien cutnahm das inzwi
schen ganz ruhig gewordene Fräulein
eine» kleinen Imbiß einer Handtasche,
verspeiste ihn mit Appetit nnd appetit
lich der Beobachter sah das gar wohl
und nachdem sie sich gestärkt, begann
sie selbst mit ihrem Wagcngcnossen ein
Gespräch. Ein wenig ungemüthlich
zwar, aber man mußte doch autwortcn,
aus Höflichkeit und am Ende vielleicht
auch aus Vorsicht.
Das Gespräch nahm eine sesselnde
Wendung. Das Mädchen verrieth Witz,
Munterkeit armes Mädchen, wie
schade! Und doch sollte er sich ge
täuscht haben? Er beschloß, ein Wag
niß zu unternehmen und auf die leb
haften Selbstgespräche anzuspielen.
Irre plaudern ja, wie es heißt, gern
über ihre Eigenart. Und so begann
er
Nach wenigen Worten hatte er die
Aufklärung; sie war merkwürdig ver
nünftig und für feine unheilvolle
Phantasie beschämend. Das Monolog-
Fräulein war eine Schaus' iclerin, die
telegraphisch nach Wien berufen worden,
um an einer dortigen Bühne sür ein
widerspenstiges Mitglied in einer Pre
miere einzuspringen. Die Selbstge
spräche waren kleine Repctitionen, be
sten uud Mienenspiel vor dem kleinen
Waggonspiegel die nothwendigen Er
gänzungen. Erleichtert und lachend
wälzte der Fahrgenosse nun alle Skru
pel von seinem Herzen, indem er seinen
unheimlichen Verdacht gestand. Ehe
ihm die vor Lachen sprachlose Künstle
rin noch recht Absolution ertheilt, war
der Zug in die Wiener Bahnhofhalle
eingelaufen. Der Berliner hat seine
Schuld bei der Premiere mit dem frem
den Gaste redlich mit fleißigen Händen
abgeklatscht.
Im Zeitwechsel.
Sanfter sind die Zeiten 'worden,
Denn gerädert wird nicht mehr.
Aber leicht kommt aller Orten
Man in ein Gerede sehr.
Ein zum Bedürfniß ge -
wordener Lurusgegenstand. In der
ersten Klaffe einer höheren Töchterschule
sprach die Lehrerin in der Botanikstunde
vom Tabak und bezeichnete diesen als
einen znm Bedürfniß geworde .» Lu
xusgegenstand. Da sie bei», Vortragen
bemerkt hatte, daß eine der jungen Da
men statt aufzupassen zum Fenster hin
aus sah, so richtete sie an diese die
Frage: „Else, was habe ich soeben als
einen zum Bedürfniß gewordenen
Lurusgegenstand bezeichnet?" Elfe,
welche noch ganz von dem Bilde, wel
ches sie aus der Straße gesehen hatte,
erfüllt war, antwortete: „Ein Lieute
nant!"
Boshaft. In einer Gesell
schaft weiß ein junger Mann nicht ge
nug vou seiner Niens zu
berichte». „Ich sehe beispielsweise,"
behauptet er unter Anderem, „auf den
ersten Blick, was Andere von mir den
ken!" Allgemeines Staunen—bis eine
Dame das Schweigen unterbricht mit
den Worten: „Das muß aber für Sie
ost sehr unangenehm sein!"
Ein Dummkopf fragt
einen geistvollen Mann, warum er stets
einem Gespräch mit ihm ausweiche.
„Nun, mein Lieber, wenn Sie es wissen
wollen, so darf ich Ihnen meine
Gründe nicht vorenthalten. In Fällen,
wo Sie nicht meiner Mcinung sind,
bedauere ich Sie, wenn Sie mir aber
zustimmen, so fühle ich mich sehr beun
ruhigt."
—Mi ß v erst änd n iß. Tante:
„Leb' wohl, Liesle, Dein Schutzen
gel geleite Dich!" Nichte: „Ach Gott,
Tantcle, der lann heute nicht der hat
heut' Dienst!"
Kostspielige Feuerung.
Verehrer: „Wie kalt Sie sind! Wenn
ich nur wüßte, womit ich Ihr Gefühl
für mich erwärmen könnte!" Tänze
rin: „Na, Probiren Sie's mal mit kry
stallisirter Kohle':"
Tie heirathet.
Engenie war das älteste Kind des
Bankdircllors Stiller, der außer ihr
noch vier Töchter und drei Söhne besaß.
Was Eugeuies körperliche Eigenschasten
betras, so war in dieser Beziehung nur
eine Stimme in der Stadt: Eugenie
Stiller war eine Schönheit. Ihr Ge
sicht war von einer geradezu klassischen
Rcgclmäßigleit, der Teint bewunde
rungswccth, Mund uud Nase überaus
fein gezeichnet. Ihr Haar war selten
stark und lang nnd von blauschwarzer
Farbe, ihre Figur hatte etwas Sylphi
dcuhaftcS, so schlank, so zart, so bieg
sam, und ihre Formen hatten die
fchwclleuds Fülle der Knospe. Ihre
größte Zierde aber waren ihre Angen,
über denen sich ein Paar stolzgeschwun
gener Braue» wölbten und welche von
langen, tiefschwarzen Wimpern beschat
tet ivnrden.
Einige verunglückte Courmacher der
jungen Dame wollten behaupten, Eu
genie's Schönheit habe etwas Marmor
nes: sie sei monoton und kalt wie die
ser. Es fehle ihr das Temperament,
und deshalb könne sie nicht sür wahr
hast schön gelten, denn die wahre
Schönheit reiße hin uud entflamme.
Eugenie aber sci kalt uud läffe kalt und
höchstens könne man sie anstaunen.
Ties innerlich zn entzücken und zu fes
seln ocrmSgc sie aber ebensowenig, - wie
ein schönes Marmorbildniß, das man
nur bewundere, so lange man es vor
Au gm habe
Richtig war allerdings, daß Engenie
Stiller, trotz ihrer Jugend, etwas Ern
ste, Ruhiges hatte und daß sich Nie
mand erinnern konnte, sie je so recht
ausgelaiZcn, so recht vo» Herzen fröh
lich uud lustig gesehen zu haben. Das
mochle auch der Grund sein, daß Eu
genie nie eine jener Mädchcn-Freund
ichaflcn geschloffen hatte, die darin be
stehen, daß zwei Altersgenossinnen ein
ander ihre zarten Geheimnisse anver
trauen, ihre Herzen vor einander
ansschütten uud mit einander schwär
men vou irgend etwas Gegenwärtigem
oder Zukünftigem, das ihre leicht ent
zündbare Backfisch-Phantasie erregt.
Eugenie hatte von ihrer frühesten
Kindheit an ihren Gespielen und Ge
spielinnen gegenüber immer etwasUeber
legeneS zur Schau getragen, sie war für
ihre Jahre auffallend klug und handelte
schon als kleines Mädchen erstaunlich
gescheidt.
Wohl hatte auch sie, wie ihre Schul
kameradiiinen, aber
ihre Gunstbczeugungen an die kleinen
Ritler, welche ihr auf dem Wege von
der Schule nach Hause den Hof mach
ten, erstreckten sich nicht weiter, als daß
sie sich gnädig herbeiließ, dem Bevor
zugtesten threc Courmacher ihre Mappe
anzuvertru,<u oder daß sie im Winter
aus der Eisbahn sich huldvoll die Schlitt
schuhe anichne.llen ließ.
Bei den Getcllschaftsfpielen, mit wel
chen sich in ihrem gastlichen elterlichen
Hause die Jugend an Sonntagabenden
zu unterhalten pflegte, verstand sie sich
nie'dazu, die Pfänder, wie es die Ge
fühlvolleren unter ihren Freundinnen
-thaten, durch Küsse auszulösen.
Sie half sich in solchen Fällen immer
mit der Tetlamation eines Gedichtes
oder mit dem Vortrag eins Liedchens.
Als einmal ein etwas ungestümer uud
heißblütiger vievzehnjähriger Seladon
sich nicht zurückweisen lassen, sondern
mit Gewalt das übliche Psandobject
von ihren Lippen rauben wollte, da
wußte sie sich ebenso entschlossen wie
kraftvoll zu Helsen, indem sie
Wagehals einen schlagende» Beweis
ihrer Unersättlichkeit in dieser Hinsicht
gab.
Als Engenie achtzehn Jahre alt ge
worden, hatte ihre Mama eine lange
Unterredung mit ihr. „Du hast jetzt
das gesellschaftsfähige Alter erreicht,"
sagte die kluge Mutter der klugen Toch
ter unler Anderem, „und es wird Dir
auf künftigen Bällen »nd sonstigen ge
sellschaftlichen Vergnügungen nicht an
Courmachern fehlen. Es ist nun die
Aufgabe Deines Taktgefühls, Dein
Verhalten je nach den Absichten und den
Eigenschasten Deiner Bewerber einzu
richten und entweder discret entgegen
kommend, vorsichtig abwartend nicht
kalt, nicht warm oder aber kühl ab
lehnend zu sein. Das letztere Verfah
ren wirst Du natürlich ohne Weiteres
gegen Solche auwenden, die ihrer un
zulänglichen finanziellen Positionen we
gen überhaupt nicht in Betracht kommen
können, denn Deiner Zukunft wegen
wirst Du immer vor Allem vor Augen
haben müssen, eine gute Partie zu ma
chen, weil wir, wie Du weißt, nicht in
der Lage sind, Tir einmal eine ncn
nenswerthe Mitgisi geben zu können.
Mit Solchen —und es gibt gerade deren
leider nur zu viele die nichts wollen,
als sich amüsiren und ihrer Eitelkeit
sröhnen; halte Dich ebensalls nicht all
zulange aus, denn das compromiltnt
unnütz und schreckt Andere, die es ehrli
cher meinen, zurück. Die Männer sind
listig, gewissenlos und egoistisch. Zur
Liebe sind sie immer bereit, aber zur
Heiraih —?!" (Die Sprechende machte
hier eine höhnische, verächtliche Miene
und schnippte mit den Fingern.) „Für
ein junges Mädchen jedoch gilt das Um
gekehrte: in ihrem Wörterbuch steht das
Wort „Hcirathen" obenan die Liebe
findet sich nachher von selbst. Das
schreib' Dir hinter die Ohren und sei
klug und vernünftig!"
Und Eugenie war klug und ver
nünftig und schrieb sich, wie die Zu
kunft erweisen sollte, die guten Lehren
ihrer Mutter hinter die Ohren. Sie
Sie wappnete ihr Herz mit Unempsind
lichkeit uud ihre Augen mit der Brille
der Bcrnunst.
Das gesellschaftliche Leben, in dem
sie vermöge ihrer blendenden Erschei
nung bald eine hervorragende Rolle
spielte, brachte sie mit Männern der
verschiedensten Kategorien zusammen,
aber nie verschwendete Eugenie an einen
von ihncn ein Lächeln oder cincn wär
meren Blick, wenn sie sich nicht zuvor!
vergewissert hatte, daß er ?n den „guten
Partien" gehörte.
Einer ganzen Schaar von Rcscren
darcn, Assessoren »nd jungen Kaus
leuten, dic sic alsbald wic Komclcn die
Sonne umschwärmten, begegnete sic
mit so eisiger Kalle, daß sie sich zum
größten Theil nach sehr kurzer Zeit wie
der rückwärts tonzeutrirtcii uud auch dic
Wcuigcii, dic ihr Heil in unerschütter
licher Asisdaucr tuchtcn, mußte» endlich
cinschcn, daß allcr Liebe Mühe u>m
sonst nxir, als cin Beivccbcr ans dc>
Bildflächc crschicn, dem vier gcwichtigk
Vorzüge zur Seite standen und mit
dem Keiner anch nnr annähcrnd kon
kurrircn tonnte. Reich, schön, Baron
nnd Lieutenant. Welch' Madchen
hcrz hätte nicht höher geklopft beim
Nahen eines vom Schicksal so überaus
glücklich bedachten Eourinachcrs?
Auch Eugeuie sühltc ihr Blut raschcr
cirkulircn, ihr Hccz vor Freude und
Enizückcu hoher schlagen, als Barou
Herbert von Wislinghauscii aus dem
großen Ball im Eafino, der den Höhe
punkt dec Saison darstellte, sie in einer
Weise anszcichnete, daß cs allgemkin
auffiel und ihr dcn neidvollcn Haß aller
ihrer Freuudiuncn eintrug. Nicht nur,
daß Baron Herbert Contre und Cotil
lou mit ihr tanzte nnd sie außerdem zu
cincm Walzer und einer Polka engagir>
hatte, cs vcrging anch kaum ciner der
übrigen Ruiidtänze, in wclchcm Euge
nie von dcm schönen Husarcnlicute
nnnt nicht zu einer Extratour gcholt
wurde
Die stolze Genugthuung, mit der sie
dic ihr gewordene Auszeichnung erfüllte,
hielt das tlugc Madchcu jcdoch nicht ab,
mit dcr Mama iu d.'r Souper-Pausc
kaltblütig zu konserireii und vorsichtig
um Bcrhaltungsmaßregeln zu bittcn.
In dem ausführlichen Bericht, d.m fie
der begierig anfhorchcndcn Mnttcr ab
legte, uutcrfchtug sic nicht dic geringste
Galanterie, die ihr dec Baron gespen
det.
„Diskret entgegenkommend, Kind!"
entschied die weltkluge Mama. Und
die gelehrige Tochter richtete danach ihr
Verhalten ein und als dcr schncidigc
Kavallerist, der nicht viel von einer
Zauber-Taltik zu halte» schien, ihr
während dcr letzten Extratour, vou
Liebe uud Champagner entflammt, ins
Ohr wisp.'rte: „Gnä' Fräulcin sind cin
Engel, auf Ehrc!" da kam sie ihm mit
einem leisen, ganz leisen Händedruck
diskret entgegen.
In dcn nächsten Tagen, ans dcr Eis
bahn, imhm das Liebes- nnd Jntri
gnenspiel seinen Fortgang. Baron
von WiSlinghauscn erwies der schönen
Eugenie alle nur crdcuklichen Aus
nicrksamkcitcn und sie, die kalte, un
nahbare Schönheit bewies, daß sie lie
benswürdig scin loniite, bezaubernd
liebenswürdig, wcnn sie es sür der
Mühe wcrth hielt. Während des zwei
ten Batlcs zeigte sich dcr innthige Lieu
tenant noch kühncr, als auf dcm frü
heren, denn diesmal ließ er sich von
seiner Bewnuderuug zueiner förmliche»
Licbcscrklärung hinreißen.
„Ich liebe Sie, Eugenie, ich bete Sie
an", flüsterte er ihr, während einer
Fignr des EotillonS. zu. Eugeuie ju
belie innerlich: Triumph! Sie war
ihrem Ziel nahe. Mit einem vielsa
gende» Ausdruck senkte sie ihre Augen
tief in die ihres Tänzers, ohne im
Uebrigen z» verrathen, ob sie seine küh
nen Worte gehört oder nicht. Acht Tage
später fand ein Ansflng nach einem
außerhalb der Stadt gelegenen Ver
gnügungsort statt. Jeder Herr führte
in einem zweisitzigen Schlitten eine
Dame der Gesellschaft mit sich, natür
lich Baron von WiSlinghansen Eugc
nien. Während der Rückfahrt brach
die Dämmerung herein, fodaß das
Auge die Entscrnung von einem
Schlitten zum anderen nicht mehr durch
messen konnte. Erwartungsvoll saß
?ugcnie neben ihrem Ritter. Es war
eine Situation, die sogar ihr kühtes
Temperament aus dem Gleichgewicht
bringen konnte.
Angeregt von der schnellen Fahrt,
Schulter an Schulter mit dem schön
sten, begehreuswerthesten jungen Mann
der Stadt, mußte sie alle ihre von frü
her Jugend an geiibte Selbst-Controlle
aufbieten, um bei den stürmischen, glü
henden Worten, die ans des Lieutenants
Munde jetzt auf sie eindrangen, nicht
die ruhige Ueberlegung zu verliere».
Wie ein süßer Rausch wollte es sie um
sangen bei dem cinschmeichclndcn Klange
der leidenschaftlichen Stimme, aber sie
kämpfte die unstatthafte Anwandlung,
welche sie au seine Brust drängen wollte,
krastvoll nieder und als er sie jetzt mit
einem Arm umschlang und sich zu ihr
hinüberneigte. um sie zu küssen, da wi
derstrebte sie ihm mit so viel Entschie
denheit, daß er erstaunt, bestürzt iuue
hielt.
„Eugenie", stieß er erregt, verletzt
hervor „Sie sind unempsiudlich
Sie Sie lieben mich uicht."
„Herbert!" hauchte sie, und legte be
schwichtigend ihre Hand auf seine»
Arm.
„Sie thun mir Unrecht, aber bitte
sparen wir uns das aus bis bis zu
unserer Verlobung."
Nun war es heraus, nun wußte er.
daß sich eine Eugenie Stiller nicht küfseu
ließ, ehe man ihr nicht den Verlobungs
ring an de» Finger gesteckt. Mit Span
nung erwartete sie seine Antwort. Abc,
er erwiderte nichts, eine peinliche Panje
entstand: Plötzlich griff er mit heftige,
Bewegung nach der Peitsche und hieb
aus die Pferde ein, die im saufenden
Galopp vorwärts stürmte». Wälzend
des Restes der Fahrt wnrde kein Won
mehr zwischen Baron von WiSlinghan
sen und der schönen Engenie gewechielt.
Vergebens wartete die Letztere wäh
rend der nächsten Tage. Die Maina,
der Eugeuie natürlich Alles, was sich
zwischen ihr und dem Lieutenant abge
spielt, getreulich berichtet halte, tieß dic
Schutzdecken von Sopha und Fautcuils
im Salon abnehmen und trat den
Tag über wohl zehn Mal an's Fenster,
aber kein Baron, kein Freier käm. Als
zwei »nd drei Wochen vergangen wa
ren, da wgr eS klar, das; Engenie nie
darauf rechnen durste, je Barouin von
Wissinghausen zu werden.
In dcr nächsten Saison war cs ein
berühmter junger Klavicr-Virtnose,
der dcr schöucuEugcuie mit lcidcuschast
lichcm Eiscr den Hof machte und sich
sterblich in sic vcrlicble. Eugenie ließ
sich die Huldigungen des geseicrtcn
Künstlers, der ursprünglich nur zum
kurzen Anscnlhalt von Berlin nach der
Provinzialhauptstadt übcrsicdclt war
und dcn nun ihre Augen Wochen- »nd
monatelang bannte», anfangs gern ge
fallen. Erstens, weil cs ihrcm Stolz,
ihrer Eitclkcit schmeichelte, dcn Mann,
den alle Damen der Madt umschwärm
ten, zu ihren Füßen zu sehen, und
zweitens, was deu Ausschlag gab, weil
sie kaltulirtc, daß cin Künstler, der so
große Einnahnvn. wie Rasacli hatte,
ein vennögeudcr Mann scin mußte und
deshalb zn dcn guten Partien zähle.
Als aber schlicßlich die Informa
tionen, welche die kluge Mama sich vor
sorglich von Berlin zu verschaffen ge
wußt, wider Erwarten sehr ungünstig
lauteten und besagten, das; Rasaeli ein
Verschwender sei, der nicht nur Nichts
besitze, sondern noch tics in Schulden
stecke, da begann sie kühler und kühler
zu wcrdcn. Der heißblütige Künstler
aber lMe bereits zu tief in die Augen
der schönen Eugenie geschaut und sein?
Lcidenschast cntzündeie sich erst recht an
dcr Kälte und Zurückhaltung, mit der
die Unempfindliche ihm jetzt begegnete.
Eines Tagcs kam cs zu einem Ausbruch
und glühend vor Liebe sank Rasaeli dcr
Angc'betctcn zu Füßen und warb mit
st mnischen Worten um ihre Gegenliebe
„Sic müssen dic Meine werden, l>a
gcnic, Sie müssen!" rief dcr Künstler
ekstatisch aus.
„Ich muß?" Die stolze Schöne wei
dete sich einigt Secunden lang an dem
Anblick des anf dcn Knicn vor ihr lie
genden jungen Mannes und cntgegiictc
dann mit spöttifchcm Lächeln: „Und
wenn ich nicht will?"
„So so tödte ich mich," stieß Ra
saeli in wirtlicher Leidenschaft hcrvor.
„Ich kann nicht lcbeu ohne Sie." Nur
einen Augenblick, einen flüchtigen Mo
ment hindurch gab sich Eugcnie dcr
süßen, schmeichelnden Einpfindnng hin.
die diese gluthvolle Erklärung in ihr
erregte, dann war sie wieder ganz kühle,
überlegene Ruhe, und um sich ein für
allemal vor dcn weiteren Bewerbungen
dcs Heißsporns, die sic compromittiren
konnten zu schützen, versetzte sie mit
schneidendem Hohn: „Bravo, Herr
Rasaeli, Sie sind ein ebenso guter
Schauspieler wie Musiker. Doch wolle»
Sie nicht lieber ausstehen? Sie werden
sich aus dem kalten Erdboden den
Schnupfen holen."
Er sprang empor, wie von einem
glühenden Eisen berührt. Eine jähe
Blässe überzog seine Wangen nnd cr
starrte sie aus schreckensvoll weit aus
gerissenen Augen an wie eine über
natürliche Erscheinung. Dann wandte
er sich und ging.
Am andern Tage verbreitete sich das
Gerücht in der Stadt, der Pianist Ra
saeli habe durch cinc» Pistolc»,schuß sei
nem Leben cin Ende gemacht, »nd am
nächsten Morgen bestätigten es die Zci
tungcn.
Natürlich machte diese Nachricht ein
sensationelles Aufsehen und bildete den
Gesprächsstoff in allen Kreisen der Be
völkerung. Ueberall erörterte man das
überraschende Ereigniß und forschte
nach der Ursache, die auch bald sei
es, daß der Verstorbene Aufzeichnungen
hinterlassen oder vor der Katastrophe
einigen Freunde» fei» Herz ausgeschüt
tet hatte in aller Munde war.
Die Folge war, daß Eugeuie für den
Rest der Saison öffentlich nicht mehr
erschien, wenn ihr auch das Ende des
begabten juugen Künstlers nicht sonder
lich nahe ging, sondern in ihr mehr
Aerger nnd Verdruß als eine andere
E-mpsindung erzeugte. Von feiten der
jungen Leute der Stadt wurde ihr
einige Zeit hindurch mit ostentativer
Nichtachtung begegnet, und sie mußte
sich mit den Huldigungen begnügen,
die ihr „Onkel Rost", ein Freund und
Kollege ihres Vaters, widmete uud von
jeher gewidmet hatte.
Onkel Rost war ein alter Jungge
selle, Mitte der Vierziger uud Kassirer
an der Bank, deren Director Herr Stil
ler war. Der alte Junggeselle war
sast täglicher Gast iu der Familie des
Bankdirectors uud wurde von den
Kindern nie anders, als „Onkel Rost"
genannt. Onkel Rost lebte in ange
nehmen Verhältnissen, er hatte zwar
kein Vermögen, aber sein Gehalt von
SWV Mark war mehr als hinreichend
sür seine Vedürsnisse. Leidenschaften
besaß er leine; »ic einzige Verschwen
dung, der er sröhnte, war seine Ge
wohnheit, zu jeder Ziehung der Staats
lotterie ei» ganzes Loos zu spielen.
Als Eugenie zur schönen Jungfrau
herangeblüht war, da pflegte Onkel
Nost sie ost lächelnd „meine kleine
Braut" zu nennen und scherzend zu er
klären. daß sie ihn wahrhastig noch sei
nem Vorsatz, als Junggeselle fem Le
be» zu beschließen, untreu machen
werde.
Eugenie nahm Onkel Rosts Späße
verschiedenartig auf. Wenn sie gut
gelaunt war, so lachte sie und verstieg
sich wohl auch dazu, Onkel Rost schmeich
lerisch mit der weichen Hand über die
rundlichen Wangen zu sahren. War
sie aber wcgeu irgend einer Sache un
wirrsch, so tonnte sie sehr spitz werden
und höhnisch erklären, daß sie für einen
Galten von zwei Centner Gewicht (On
kel Rost litt an einem starten Embon
point) bestens danke: auch dürfe ihr Zu
künftiger leine Brille tragen, keine rothe
Nase und keine Glahe haben.
wahrend ihrer nothgcdrungeiicn
Znruckgezogcuheit bezeigte sie sich gegen
Onkel Rost sehr liebenswürdig und das
Gesicht des alten Junggesellen strahlte,
wenn Eugenie sich zu ihm setzte und in
ihrer Liebenswürdigkeit so weit ging,
ihm im SechSundfechSzig fcin Gcld ab
zunchmcn. Für die Bonbonnieren und
soustigcn Präsente, die er ihr machte,
belohnte sie ihn mit cincm frcuudlichen
Lächeln, ja, hatte sich Onkcl Rost bc
sondcrs srcigcbig erwicse», so rcichtc sic
ihm wohl auch gnädig dic Wange znm
Kuß und dcs Junggcsellcn wnlstige
Lippcn fcicrtcn cin fcitencs Fcst.
Das Alles hinderlc freilich dic fchönc
Engcnic nicht, sobald Onlcl Rost den
Rücken gewandt, sich über ihn lustig zu
machcn uud dic jüngeren Schwcstcrn
uud Brüdcr zu allcrlci Schabernack gc
gen den Junggesellen zu veranlassen.
Eines Tagcs fand cin Ereignis; statt,
das Engcnic wicder ncu aufleben und
ihre gclangwcillcMicucwicdci, im srühc
rcn Glanzc erstrahlen ließ, das sie zn
gleicher Zeit aber gegen Onkcl Rost's
Galantcricn und Artigkeiten uncmpsiud
licher, ja, ungeduldiger als je machte.
Ein junger Fabrikbesitzer, der als
einer der reichste» Männer der Stadt
galt, ließ sich in das Haus des Bank
direktorS cinsührcn uiid wundcrbar war
es, daß, als dcr junge Mann nach sci
ncm ersten Besuch das HauS verlassen
hatte und dic andercn Familicnmitglic
dcr anfingen, über den Fortgehenden
Bemerkungen auszutauschen, Engcnic
nnd ihre Mama stillschwcigcnd wic auf
ein Commando einander ansahen nnd
einen langen, bedeutungSvolke» Blick
aiiStanschtcn. Später hatte» Beide un
ter vier Augen ein langes, inhaltrei
clies Gespräch und von da ab erschien
Eugenie wieder in dcr Gesellschaft.
Während des Sommers nnd der
nächsten Winterfaifon halte die Familie
Stiller vielfach Gelegenheit, mit Richard
Wcsciiheim, dem jnngen Fabrikbesitzer,
zusammenzutreffen. Eugeuie, die es
sich in den Kopf gefetzt hätte, daß der
reiche Fabritbcsitzer auf sie einen un
auslöschlichen Eindrnck gemacht habe,
bot alle jene lleinen Künste und Listen
auf, m t deucn die Natur arme Eva
töchter zum Kampf um's Dasein vor
sorglich ausgerüstet hat.
Sie erröthete, so ost sich Richard We
senheim ihr näherte, nnd senlte, wie
geblendet nnd benommen von der ihr
widerfahrenen Aiiszcichnnng, de» Kopf.
Auf feine Fragen antwortete sie an
fangs stammelnd, mit sichtlicher Befan
genheit; gegen die Verwirrung, mit der
seine Gegenwart sie erfüllte, scheinbar
vergeblich ankämpfend. Weilte er in
einiger Entfernung von ihr, so suchte
ihn ihr Auge unwillkürlich, wie unter
dem Zwange einer unwiderstehlichen
Macht.
Befanden sie sich Beide in nnbc
lauschtem Gespräch, so wurde sie ge
fühlvoll, erzählte von ihrer Kindheit,
von ihren Elter» uud' Geschwistern und
wie gut und liebevoll alle Ihrigen ge
gen sie feien. Oder sie brachte die Rede
anf seine Verhältnisse, auf feine Fabrik
und feine geschäftlichen Unternehmnn
gen. Sie verstand, ihn gesprächig zu
machen, indem sie das tiesste Interesse
für feine Thätigkeit henchelte und wäh
rend er mit Eifer und in eitler Selbst
befriedigung ihr den Betrieb feines Un
ternehmens und seinen Autheil an der
Leitung und d'N vortrefflichen Gang
derselben beschrieb, bekundete sie in
ihrem Mienenspiel und durch ihre Aus
rufe und Bemerkungen so viel Autheil
nahme, soviel stauucndc Bewunderung,
daß Richard Wesciiheiin später im
Freundeskreise mit Uebcrzcugug er
klärte, Eugenie Stiller sei nicht nnr das
schönste, sondern auch das klügste Mäd
chen der Stadt.
Durch gelegentliche, scheinbar unab
sichtliche, beiläufige Fragen erkundigte
sie sich nach seinem Geschmack in Bezug
anf Toilettensragen, nach seiner Licb
lingsfarbe, nach feinem Urlheil über die
verschiedenen moderneu Hutfa<?ons, und
wenn sie dann bei ihrem nächste» Zu
sammentreffen durch irgend einen Be
standtheil ihres CostüuiS zum Ausdruck
brachte, daß sein Geschmack für sie maß
gebend fei. so fühlte sich die Eitelkeit,
das Selbstgefühl des jungen Mannes
ungemein geschmeichelt.
Fast zwei Saisons dauerte es. bis
die Eroberung gelungen war. Und
dann erschien der große Tag. an dem
Richard Wescnhcim in aller Forin im
Stiller'schen Haufe um die Haud der
'ltesten Tochter anhielt und Engeuie
athmete aitt. Als Richard Wcseuhrims
Braut fühlte sie sich reich entschädigt
für alle früher erlittenen Enttäuschun
gen, für alle Mühen, die ihr die letzten
Monate
Mama Sliller küßte ihr kluges, folg
sames Töchtercheii gerührt auf die
Stirn und alle waren voll eitel Freude
uud Wonne. Nur Onkel Nost ging
.'in paar Tage lang mit einer wahren
Nrmenfündcrmicne herum, was Eugeuie
ungemein spaßhaft fand und worüber
sie sich vor Lachen nusschüllen wollte.
Schließlich sand sich anch Onkel Rost
mit der Thatsache von Eugeuies Ver
lobung ab uud widmete vou da ab
seine Komplimente und Bonbouuieren
sen jüngeren Töchtern der Familie,
oon denen inzwischen zwei ebenfalls zu
heirathsfähigen und nicht miiider hei
rathsluftigeu Damen Hera »gewachsen
waren.
Eugenie schwelgte förmlich in der
Wonne, Braut zu sein, noch dazn
Praut eines so reichen Mannes, als
Richard Weseiiheim es war. Ihr Bräu
ligain mußte ihr einen großen Theil
seiner Zeit widmen, er mußte sie täglich
ius Spaziergängen begleiten oder mit
ihr in seiner neue» Equipage, die er sich
aus ihren Wunsch angeschafft hatte,
spazieren fahren. Sie besuchte so viele
Aesellschasteu, Thcatcrvorstclluugcu und
Concerte wie unr möglich, um sich in
ihrem Brautglück dem Publikum zu
«eigen nnd die kostbaren Geschenke,
welche ihr der Bräutigam zu Füßen
legte, zur Schau zu tragen. Kurz, ihre
Freude war groß, »nd die Braut be
mühte sich, so öffentlich wie möglich da
von Zeugniß abzulegen. Mit gering
schätzigem Mitleid blickte sie anf dicjcui
zen ihrer Altersgenossinnen, die das
Ziel aller Mädchenträume und -Wim-
sche: „Braut zu sein", noch nicht er
reicht.
Sechs Monate vergingen dem Braut
paar wie im Rau'chc. Schon log Eu
genie's Ausstattung bis ans das letzte
Taschentuch bereit, schon war die Hoch
zeit aus eine» Tag des nächsten Mo
nats festgesetzt, als plötzlich ganz uncr
wartet eine Störung cinlcnl. In Ri
chard Wesen Heim's Fabrik sand ein
großer Ansstand aller Arbeiter statt,
und da der Besitzer uicht nachgeben
wollte oder tonnte, so zog sich der Strikc
in die Lange uud verursachte der Fabril
eine» ungeheuren Schaden. Dazu kam,
daß eines Nachts in dem eben vollende
ten Ncnbau dxr Fabrik, der noch nicht
versichert war, Feuer ausbrach, wodurch
dem Fabritbcsitzer auf's N?uc erhebliche
Verluste zugefügt w»rdc».
Tic natürliche Folge der beide» un
verhofften SchickfalSschlüge war, daß
die Hochzeit des Brautpaares hinaus
geschoben wnrde. Richard Weseiiheim
niichte sich indessen mit allen Kräften,
die crlittcne» Nachtheile wieder einzu
bringen und er ließ sich in diesem Be
streben zu Speculationen hinreißen, zu
denen er sich, bei ruhigerem Blute,
wohl kaum verstanden hätte. Das
Unglück aber hörte nicht aus, ihn auch
hierbei zu verfolgen und eines Tages
mußte er vor Eugcnie und dcrcn Eltern
mit der Erklärung hintrcten, daß crcin
rninirter Mann fci. Die aus allen
ihren Himmeln fallende Braut bekam
einen Weinkrampf nnd eilte ans dem
Zimmer, Richard Weseiiheim aber
schied von dem Schwiegervater mit der
Erklärung, daß seine Liebe für Eugenie
nie erlöschen werde und das; erhoffe,
auch unter bescheidenen Verhältnissen
mit ihr glücklich zu werden.
Am andere» Tage wurde im Hausc
Stiller Familienrath abgehalten. Das
Familienoberhaupt war der Ansicht,
das; es ebenso herzlos wie unnobel wäre,
wenn man sich von Richard Wescnheiui
lossage. Es erschiene ihm als selbst
verständlich. daß Eugenie treu zu ihrem
Verlobten halte uud sich mit Gcduld in
dic veränderte Sachlage füge.
Mit diesem wohlgemeinten Rath kam
aber der Bankdirektor bei Frau nnd
Tochter schlecht an. Eugenie erklärte
mit aller Entschiedenheit, daß sie sich
bestens bedanke, als Braut eiucs rui
nirten Kansmaiines zu gelten mit der
Aussicht, alt »ud häßlich zu werden,
bis er im Stande sein würde, sie zu Hei
rathen. Und auch die Mutter stimmte
mit dem ganzen Gewicht ihrer im Hause
Stiller ausschlaggebenden Persönlich
keit für sofortige Aufhebung der Verlo
bung. Einem Buchhalter Richard
Wescnhcim würdc sich ja vorderhand
doch nicht wieder selbstständig machen
können —einem armenSchlucker würde
sie nie und nimmer eine ihrer Töchtcr
zur Frau geben, am wenigsten aber ihre
Eugenie, ihren Stolz. Das Einzige,
was dem Bankdirektor nach vielem Hin-
und Herreden zu erreiche» gelang, war,
daß man sich einverstanden erklärte,
einige Wochen mit der öffentlichen Er
klärung der Zurücknahme der Verlo
bung zu warten. Eugenie aber sollte
zu Verwandten nach außerhalb reisen,
bis sich das Aussehen, das der unlieb
same Vorfall hervorrufen würde, gelegt
habe.
Diesem letzten Vorschlage stimmte dic
unglückliche Braut um so mehr zu, aIZ
der Gcdanke, daß ihre Freundinnen,
denen gegenüber sie während der letzten
Monate ihr Glück so prahlerisch und
stolz zur Schau getragen, es nun ihrer
seits nicht an höhnischen, stichelnden
Bemerkungen fehlen lassen würden, ihr
cinc wahre Höllenpein bcrcitctc.
Und so verlies; sie die Vaterstadt,
nachdem sie an Richard Wksciilicun cin
paar kalte, förmliche Zeilen geschrieben
hatte, die der Unglückliche mit eincin
drei Bogen laugen, von leidenschaftli
chen Bethcucrnngen und Beschwörun
gen übcrflicßcnden Brief beantwortctc.
Eugeuie überflog dic Hcrzeusergießun
gen ihres Ex-Bräutigams nachlässig,
zuckte mit deu Achseln nnd warf die
cngbcschriebcnc» Bogen ins Feuer.
Eine Antwort hielt sie nicht sür nöthig.
Der Name Richard Wesenhcim war für
iuiiner aus ihrem Gedächtniß gestrichen.
Engenie war bereits ein volles hal
bes Jahr in der fremdcn Stadt, ohne
daß sie irgend cinc Aussicht hatte, bald
ihrcS Herzens sehnlichsten Wunsch, allcr
ihrcr Gedanken Ziel zu erreicht». Lag
es daran. Goß ihr Gesicht und Wcicn
noch crnstcr geworden waren alschedem
und sie ättcr crschcincn licßcn, als sic in
Wirklichkeit war, so das; sie uicht mehr
die frühere Anziehungskraft auf die
heirathsfähige Männerwelt ausübte
oder war ihr Mißtrauen, das sich nach
den gemachtcn schlimmen Erfahrungen
in ihr eingcwurzclt hatte, Schuld da
ran? Sie konnte sich selbst darüber nicht
klar werden.
Da eines Tages traf aus dem Eltern-
Hanfe eine Nachricht ein, die wie ein
elektrischer Strom auf sie wirkte.
„Tente Tir," schrieb ihre Mutter un
ter andmn. „was für ein unerhörtes
Glück Onkel Rost widerfahren ist! Tu
vcißt, das; er schon seit undenklicher Zeit
in der Lotterie gespielt, ein volles Loos,
immer dieselbe Nummer, ohne daß er je
mit einem höheren Gewinn als dem
Einsal; herausgekommen wäre. Ge
winnt der Mensch doch bei der letzten
Ziehung höre nur das große
Loos, baare MV,OOO Mark! Nun ist er
mit einem Schlage ein reicher Mann
und Du kannst Dir denken, wie freudig
wir alle überrascht sind. Milli und
Lllli, Deine Schwestern sind hinter ihm
her, wie die Mäuse nach dem Speck.
Uebrigeus ist Onkel Rost trotz seiner t 5
Jahre noch immer ein recht stattlicher
Mann und es vergeht fast lein Tag. an
dem er nicht von Dir spräche."
Der letzte Satz mit seiner eigenthüm
lichen Jdeenverbindung bewirkte, daß
Eugenie die ganze Nacht über schlaflos
und grübelnd in ihrem Bett lag. Als
der Morgen graute, war ihr Entschluß
gefaßt. Sie packle ihre Koffer und
trat noch an demselben Tage die Rück
reise in's elterliche Haus an.
Die ganze Familie, die telegraphisch
von Eugenie benachrichtigt worden war
empfing die Heimkehrende mit mehr
oder weniger Bewunderung über die
Plötzlichkeit ihrer Reife. Nur die
Mutter lächelte Eugenie verständnißin
nig zu.
. An demselben Abend stellte sich Onkel
Rost mit einem prächtigen Schmuck ein,
den er Eugenie zur Begrüßung über
reichte und der so kostbar war, daß die
Entzückle mit wirklicher Herzlichkeit dem
schmunzelnden alten Junggesellen um
den Hals siel. In den nächsten Wochen
kam Onkel Nost aus dem Schmunzeln
gar nicht mehr heraus.
Engenie nnigab ihn mit so viel Lie
benswürdigkeit. zeigte sich sür sein Wohl
und seine Unterhaltung so besorgt, daß
der Hagestolz gar nicht wnßte wie ihm
geschah. Alle seine kleinen Eigenschaf
ten und Gcwol?nhciten sah sie ihm ab
und sie umfchmcichelte uud nmtäudelte
ihn in einer Weise, daß es ihn wie ein
Ransch ergriff, daß allerlei kühne, un
sinnige Wüniche nnd Triebe in ihm
laut wurden, daß es mit einem Male
wie eiu zweiter Frühling über ihn kam.
Und als ihm Eugenie eines Tages, als
sie im tranlichen Zwiegespräch allein
bei einander saßen djc klnge Mama
hatte das sorglich zu artdngiren gewußt
plötzlich mit hingebender Gebärde an
die Brust sank und ihm zuflüsterte, daß
sie seinem Irenen Werbe» gegenüber
nicht länger unempsiudlich bleiben
könne, daß sie bereit sei, ihm anzugehö
ren als seine liebende kleine Brauk, die
sie ja schon immer, wenn auch nur im
Scherz, gewesen, da war er gor nicht
einmal sonderlich überrascht..,,
Drei Monate später fand die Hochzeit
statt. Als die glückliche junge Braui
zur letzten Musterung vor deu Spiegel
trat, näherte sich ihr ihre jüngste Schwe
ster, ein naseweiser, vierzehnjährnzer
Backfisch mit der Frage: „Sage mal,
Eugenie, liebst Du deu dicken alten On
kel Rost denn wirtlich?"
„Lieben?" antwortete die im Glanz
ihrer Schönheit Strahlende mit einem
geringschätzigen Achselzucken. „Unsinn!
Ich heirathe ihn!"
Und sie heirathete ihn....
Erinnerungen an den Grosjhcrzog
von Hessen.
Zu den vielen kleinen Eriniicruugen
an den verstorbenen Großherzog von
Hessen, welche in der letzten Zeit deut
sche Blätter veröffentlichten, sügen jetzt
die „Basler Nachrichten" solgendc Ge
schichte aus dem Munde eines Schwei
zers, die der Jugendzeit des Heimgegan
genen Fürsten angehört: „Im Jahre
1857 kamen die beiden Prinzen Lud
wig, der Erbprinz, und sein jüngerer
Lruder Wilhelm nach Göltingen, um
einige Kollegia zu hören. —Die jungen
Herren waren äußerst fleißig, versäum
ten keine Vorlesung, gingen nebenbei
auch viel iu Gesellschaft, wo sie sich äu
ßerst liebenswürdig, ja geradezu be
scheiden benahmen. Gegen uns Schwei
zer waren die Prinzen, wie überhaupt
eine Anzahl hoher Herrschaften, welche
sich in Güttingen StudircnS halber
ausl'iclten, besonders zuvorlommcnd;
wir waren eben
Ich war schon in höheren Semestern,
weder Mitglied noch Konkneipant irgend
welcher Verbindung, hatte aber ans
KlughciiSriicljichten bei einem Korps
den Fechlbodeu belegt.
Es ist immer praktisch, wenn man
viel in Gcscllschast geht, wissen zu las
sen, daß man »u bosoin die Klinge zu
sühren verficht. Hier nun sah ich die
Prinzen von Hessen hänsig und wurde
öfter von ihnen eingeladen, einen Gang
niil dein Einen oder de». Ander» zn schla
gen. Eine? stand ich dem Erb
prinzen gegenüber. In luartirtc als
Finte eine Tiesquart uud schlug »
tonipc, Terz »ach. Der Prinz, welcher
die Ticsquart f»r ernst geiiommcn, als
er die Terz lammen sah, fuhr mit dem
Arm in die Hohe und stülpte sich durch
die heftige Bewegung die Maske vom
Kopf, so daß mein Hieb den sast unbe
deckten Kopf trus und die Kopfhaut bös
zerriß. Wir führten den stark bluten
de» Prinzen in den Hof hinunter zum
Puiupcubruniien und wuschen und
verbanden ihn da, so gut es ging.
„Königliche Hoheit", sagte ich während
dieses Geschäftes, „ich bin untröstlich
über uuinc Uugcschicklichlcit".
„Bitte, keine Enttchuldiguug", sagte
der Priuz aufs Freuudlichfic. „ich war
ungeschickt. Im Uebrigen, lieber
Schweizer, k.inc Heuchelei! Für Sie
muß es ja eine Wonne fei», Theanucn
blnt zn vergießen!" Die Sache halte
Gottlob leine üblen Folgen; es war nur
ein leichler Hantriß".
A i unsere Söhne.
Willst dn, mein Sohn, viel Neu und
Leid
Aus deinem Lebcn cntserncn,
So thcilc die schöne Jugendzeit
In Gcnicßcn und in Lernen.
Durchlebe die schönen Märchen all
Mit Schwarme», Sehnen und Kosen;
Im Winter Ichlägt leine Nachtigall,
Im Winter blüh n keine Rosen.
Doch schlimm, wenn von der Arbeits
pflicht
Dein Träumen dich entfernte
Ten» Fruchte reifen im Frühling nicht.
Im Frühling giebt's keine Ernte.
A. Rodcrich.
Stoßseufzer eines jun
genEhemanncS. Früher konnte
ich nie begreifen, warum man so auf die
Schwiegermutter schimpft; jetzt aber
sühle ich es. obwohl ich nicht einmal eine
Schwiegermutter habe, söndcrn nur cme
Tochter davon!"
Verdächtige Einladung.
Afrikareisender.(bei den Menschenfres
sern): »Heute Mittag bin ich beim Kö
nig Abuhuzzu zum Essen eingeladen.
Ich glaub', ich thu' besser, nicht hinzu
gehen,—man weiß doch nicht recht, wie'S
gemeint ist!"