2 Die verdächtige Reisegefährtin Eine lustige Geschichte, die kürzlich in einem Coupe des Berlin - Wiener Schnellzuges spielte, wird erzählt. Ein bekannter Berliner Kaufmann, den Geschäfte nach Wien führten, erhielt in Prag Gesellschaft. Eine junge Dam: von hübscher Erscheinung bestieg das Coupe und ließ sich nach einem kurzen Kopfnicken als Gruß in der entgegenge setzten Waggonecke nieder. Begreif licher Weise schenkte der Paffagier dem hinzugekommenen weiblichen Fahrgaste einige Aufmerksamkeit und er hat viel leicht gehofft, mit dem hübschen Passa gier durch ein Gespräch die Fahrstunden nach Wien einigermaßen zu verkürzen. Allein nach einer Stunde schon fühlte er sich in dieser Absicht bedenklich erschüt tert. Er hatte etwas gar zu «seltsames an der Dame wahrgenommen und manchen Augenblick beschlich ihn ein fast unheimliches Gefühl, sich in der Gesell schaft der Dame zu befinden. Zeitweilig blickte sie anscheinend ganz theilnahmslos znyi Coupcfcnster auf die winterlich kahle Landschaft hinaus, dann wieder begann sie ein anscheinend sehr lebhaftes, mit murmelnden Lippen geführtes Selbstgespräch. Halb unter drückte Geste» begleiteten zeitweilig die sen gelispeltcu Monolog, und hatte sich die Dame zu einer lebhafteren Geberde hinreißen lassen, so streifte sie mit einem kurzen Blick ihr Gcgeuüber, wie, um sich zu vergewissern, daß er nichts davon ge sehen. Das that dieser auch redlich. Was sollte er auch mit einer Unglück lichen, bei der es offenbar im Kopse nicht ganz richtig war? Eine fanbere Unterhaltung das! Manchmal stand das arme Madchen sogar, wenn es sich unbeachtet glaubte, sür einen kurzen Moment aus, trat vor den Eonpespicgel und schnitt eine Grimasse, nicht stark, sast nur leicht markirt, aber immer hin eine Grimasse. Kein Zweifel; ein Psychiater wäre da cinc entsprechendere Gesellschaft, als ein Kaufmann. Eine Stunde vor Wien cutnahm das inzwi schen ganz ruhig gewordene Fräulein eine» kleinen Imbiß einer Handtasche, verspeiste ihn mit Appetit nnd appetit lich der Beobachter sah das gar wohl und nachdem sie sich gestärkt, begann sie selbst mit ihrem Wagcngcnossen ein Gespräch. Ein wenig ungemüthlich zwar, aber man mußte doch autwortcn, aus Höflichkeit und am Ende vielleicht auch aus Vorsicht. Das Gespräch nahm eine sesselnde Wendung. Das Mädchen verrieth Witz, Munterkeit armes Mädchen, wie schade! Und doch sollte er sich ge täuscht haben? Er beschloß, ein Wag niß zu unternehmen und auf die leb haften Selbstgespräche anzuspielen. Irre plaudern ja, wie es heißt, gern über ihre Eigenart. Und so begann er Nach wenigen Worten hatte er die Aufklärung; sie war merkwürdig ver nünftig und für feine unheilvolle Phantasie beschämend. Das Monolog- Fräulein war eine Schaus' iclerin, die telegraphisch nach Wien berufen worden, um an einer dortigen Bühne sür ein widerspenstiges Mitglied in einer Pre miere einzuspringen. Die Selbstge spräche waren kleine Repctitionen, be sten uud Mienenspiel vor dem kleinen Waggonspiegel die nothwendigen Er gänzungen. Erleichtert und lachend wälzte der Fahrgenosse nun alle Skru pel von seinem Herzen, indem er seinen unheimlichen Verdacht gestand. Ehe ihm die vor Lachen sprachlose Künstle rin noch recht Absolution ertheilt, war der Zug in die Wiener Bahnhofhalle eingelaufen. Der Berliner hat seine Schuld bei der Premiere mit dem frem den Gaste redlich mit fleißigen Händen abgeklatscht. Im Zeitwechsel. Sanfter sind die Zeiten 'worden, Denn gerädert wird nicht mehr. Aber leicht kommt aller Orten Man in ein Gerede sehr. Ein zum Bedürfniß ge - wordener Lurusgegenstand. In der ersten Klaffe einer höheren Töchterschule sprach die Lehrerin in der Botanikstunde vom Tabak und bezeichnete diesen als einen znm Bedürfniß geworde .» Lu xusgegenstand. Da sie bei», Vortragen bemerkt hatte, daß eine der jungen Da men statt aufzupassen zum Fenster hin aus sah, so richtete sie an diese die Frage: „Else, was habe ich soeben als einen zum Bedürfniß gewordenen Lurusgegenstand bezeichnet?" Elfe, welche noch ganz von dem Bilde, wel ches sie aus der Straße gesehen hatte, erfüllt war, antwortete: „Ein Lieute nant!" Boshaft. In einer Gesell schaft weiß ein junger Mann nicht ge nug vou seiner Niens zu berichte». „Ich sehe beispielsweise," behauptet er unter Anderem, „auf den ersten Blick, was Andere von mir den ken!" Allgemeines Staunen—bis eine Dame das Schweigen unterbricht mit den Worten: „Das muß aber für Sie ost sehr unangenehm sein!" Ein Dummkopf fragt einen geistvollen Mann, warum er stets einem Gespräch mit ihm ausweiche. „Nun, mein Lieber, wenn Sie es wissen wollen, so darf ich Ihnen meine Gründe nicht vorenthalten. In Fällen, wo Sie nicht meiner Mcinung sind, bedauere ich Sie, wenn Sie mir aber zustimmen, so fühle ich mich sehr beun ruhigt." —Mi ß v erst änd n iß. Tante: „Leb' wohl, Liesle, Dein Schutzen gel geleite Dich!" Nichte: „Ach Gott, Tantcle, der lann heute nicht der hat heut' Dienst!" Kostspielige Feuerung. Verehrer: „Wie kalt Sie sind! Wenn ich nur wüßte, womit ich Ihr Gefühl für mich erwärmen könnte!" Tänze rin: „Na, Probiren Sie's mal mit kry stallisirter Kohle':" Tie heirathet. Engenie war das älteste Kind des Bankdircllors Stiller, der außer ihr noch vier Töchter und drei Söhne besaß. Was Eugeuies körperliche Eigenschasten betras, so war in dieser Beziehung nur eine Stimme in der Stadt: Eugenie Stiller war eine Schönheit. Ihr Ge sicht war von einer geradezu klassischen Rcgclmäßigleit, der Teint bewunde rungswccth, Mund uud Nase überaus fein gezeichnet. Ihr Haar war selten stark und lang nnd von blauschwarzer Farbe, ihre Figur hatte etwas Sylphi dcuhaftcS, so schlank, so zart, so bieg sam, und ihre Formen hatten die fchwclleuds Fülle der Knospe. Ihre größte Zierde aber waren ihre Angen, über denen sich ein Paar stolzgeschwun gener Braue» wölbten und welche von langen, tiefschwarzen Wimpern beschat tet ivnrden. Einige verunglückte Courmacher der jungen Dame wollten behaupten, Eu genie's Schönheit habe etwas Marmor nes: sie sei monoton und kalt wie die ser. Es fehle ihr das Temperament, und deshalb könne sie nicht sür wahr hast schön gelten, denn die wahre Schönheit reiße hin uud entflamme. Eugenie aber sci kalt uud läffe kalt und höchstens könne man sie anstaunen. Ties innerlich zn entzücken und zu fes seln ocrmSgc sie aber ebensowenig, - wie ein schönes Marmorbildniß, das man nur bewundere, so lange man es vor Au gm habe Richtig war allerdings, daß Engenie Stiller, trotz ihrer Jugend, etwas Ern ste, Ruhiges hatte und daß sich Nie mand erinnern konnte, sie je so recht ausgelaiZcn, so recht vo» Herzen fröh lich uud lustig gesehen zu haben. Das mochle auch der Grund sein, daß Eu genie nie eine jener Mädchcn-Freund ichaflcn geschloffen hatte, die darin be stehen, daß zwei Altersgenossinnen ein ander ihre zarten Geheimnisse anver trauen, ihre Herzen vor einander ansschütten uud mit einander schwär men vou irgend etwas Gegenwärtigem oder Zukünftigem, das ihre leicht ent zündbare Backfisch-Phantasie erregt. Eugenie hatte von ihrer frühesten Kindheit an ihren Gespielen und Ge spielinnen gegenüber immer etwasUeber legeneS zur Schau getragen, sie war für ihre Jahre auffallend klug und handelte schon als kleines Mädchen erstaunlich gescheidt. Wohl hatte auch sie, wie ihre Schul kameradiiinen, aber ihre Gunstbczeugungen an die kleinen Ritler, welche ihr auf dem Wege von der Schule nach Hause den Hof mach ten, erstreckten sich nicht weiter, als daß sie sich gnädig herbeiließ, dem Bevor zugtesten threc Courmacher ihre Mappe anzuvertru,m sonst nxir, als cin Beivccbcr ans dc> Bildflächc crschicn, dem vier gcwichtigk Vorzüge zur Seite standen und mit dem Keiner anch nnr annähcrnd kon kurrircn tonnte. Reich, schön, Baron nnd Lieutenant. Welch' Madchen hcrz hätte nicht höher geklopft beim Nahen eines vom Schicksal so überaus glücklich bedachten Eourinachcrs? Auch Eugeuie sühltc ihr Blut raschcr cirkulircn, ihr Hccz vor Freude und Enizückcu hoher schlagen, als Barou Herbert von Wislinghauscii aus dem großen Ball im Eafino, der den Höhe punkt dec Saison darstellte, sie in einer Weise anszcichnete, daß cs allgemkin auffiel und ihr dcn neidvollcn Haß aller ihrer Freuudiuncn eintrug. Nicht nur, daß Baron Herbert Contre und Cotil lou mit ihr tanzte nnd sie außerdem zu cincm Walzer und einer Polka engagir> hatte, cs vcrging anch kaum ciner der übrigen Ruiidtänze, in wclchcm Euge nie von dcm schönen Husarcnlicute nnnt nicht zu einer Extratour gcholt wurde Die stolze Genugthuung, mit der sie dic ihr gewordene Auszeichnung erfüllte, hielt das tlugc Madchcu jcdoch nicht ab, mit dcr Mama iu d.'r Souper-Pausc kaltblütig zu konserireii und vorsichtig um Bcrhaltungsmaßregeln zu bittcn. In dem ausführlichen Bericht, d.m fie der begierig anfhorchcndcn Mnttcr ab legte, uutcrfchtug sic nicht dic geringste Galanterie, die ihr dec Baron gespen det. „Diskret entgegenkommend, Kind!" entschied die weltkluge Mama. Und die gelehrige Tochter richtete danach ihr Verhalten ein und als dcr schncidigc Kavallerist, der nicht viel von einer Zauber-Taltik zu halte» schien, ihr während dcr letzten Extratour, vou Liebe uud Champagner entflammt, ins Ohr wisp.'rte: „Gnä' Fräulcin sind cin Engel, auf Ehrc!" da kam sie ihm mit einem leisen, ganz leisen Händedruck diskret entgegen. In dcn nächsten Tagen, ans dcr Eis bahn, imhm das Liebes- nnd Jntri gnenspiel seinen Fortgang. Baron von WiSlinghauscn erwies der schönen Eugenie alle nur crdcuklichen Aus nicrksamkcitcn und sie, die kalte, un nahbare Schönheit bewies, daß sie lie benswürdig scin loniite, bezaubernd liebenswürdig, wcnn sie es sür der Mühe wcrth hielt. Während des zwei ten Batlcs zeigte sich dcr innthige Lieu tenant noch kühncr, als auf dcm frü heren, denn diesmal ließ er sich von seiner Bewnuderuug zueiner förmliche» Licbcscrklärung hinreißen. „Ich liebe Sie, Eugenie, ich bete Sie an", flüsterte er ihr, während einer Fignr des EotillonS. zu. Eugeuie ju belie innerlich: Triumph! Sie war ihrem Ziel nahe. Mit einem vielsa gende» Ausdruck senkte sie ihre Augen tief in die ihres Tänzers, ohne im Uebrigen z» verrathen, ob sie seine küh nen Worte gehört oder nicht. Acht Tage später fand ein Ansflng nach einem außerhalb der Stadt gelegenen Ver gnügungsort statt. Jeder Herr führte in einem zweisitzigen Schlitten eine Dame der Gesellschaft mit sich, natür lich Baron von WiSlinghansen Eugc nien. Während der Rückfahrt brach die Dämmerung herein, fodaß das Auge die Entscrnung von einem Schlitten zum anderen nicht mehr durch messen konnte. Erwartungsvoll saß ?ugcnie neben ihrem Ritter. Es war eine Situation, die sogar ihr kühtes Temperament aus dem Gleichgewicht bringen konnte. Angeregt von der schnellen Fahrt, Schulter an Schulter mit dem schön sten, begehreuswerthesten jungen Mann der Stadt, mußte sie alle ihre von frü her Jugend an geiibte Selbst-Controlle aufbieten, um bei den stürmischen, glü henden Worten, die ans des Lieutenants Munde jetzt auf sie eindrangen, nicht die ruhige Ueberlegung zu verliere». Wie ein süßer Rausch wollte es sie um sangen bei dem cinschmeichclndcn Klange der leidenschaftlichen Stimme, aber sie kämpfte die unstatthafte Anwandlung, welche sie au seine Brust drängen wollte, krastvoll nieder und als er sie jetzt mit einem Arm umschlang und sich zu ihr hinüberneigte. um sie zu küssen, da wi derstrebte sie ihm mit so viel Entschie denheit, daß er erstaunt, bestürzt iuue hielt. „Eugenie", stieß er erregt, verletzt hervor „Sie sind unempsiudlich Sie Sie lieben mich uicht." „Herbert!" hauchte sie, und legte be schwichtigend ihre Hand auf seine» Arm. „Sie thun mir Unrecht, aber bitte sparen wir uns das aus bis bis zu unserer Verlobung." Nun war es heraus, nun wußte er. daß sich eine Eugenie Stiller nicht küfseu ließ, ehe man ihr nicht den Verlobungs ring an de» Finger gesteckt. Mit Span nung erwartete sie seine Antwort. Abc, er erwiderte nichts, eine peinliche Panje entstand: Plötzlich griff er mit heftige, Bewegung nach der Peitsche und hieb aus die Pferde ein, die im saufenden Galopp vorwärts stürmte». Wälzend des Restes der Fahrt wnrde kein Won mehr zwischen Baron von WiSlinghan sen und der schönen Engenie gewechielt. Vergebens wartete die Letztere wäh rend der nächsten Tage. Die Maina, der Eugeuie natürlich Alles, was sich zwischen ihr und dem Lieutenant abge spielt, getreulich berichtet halte, tieß dic Schutzdecken von Sopha und Fautcuils im Salon abnehmen und trat den Tag über wohl zehn Mal an's Fenster, aber kein Baron, kein Freier käm. Als zwei »nd drei Wochen vergangen wa ren, da wgr eS klar, das; Engenie nie darauf rechnen durste, je Barouin von Wissinghausen zu werden. In dcr nächsten Saison war cs ein berühmter junger Klavicr-Virtnose, der dcr schöucuEugcuie mit lcidcuschast lichcm Eiscr den Hof machte und sich sterblich in sic vcrlicble. Eugenie ließ sich die Huldigungen des geseicrtcn Künstlers, der ursprünglich nur zum kurzen Anscnlhalt von Berlin nach der Provinzialhauptstadt übcrsicdclt war und dcn nun ihre Augen Wochen- »nd monatelang bannte», anfangs gern ge fallen. Erstens, weil cs ihrcm Stolz, ihrer Eitclkcit schmeichelte, dcn Mann, den alle Damen der Madt umschwärm ten, zu ihren Füßen zu sehen, und zweitens, was deu Ausschlag gab, weil sie kaltulirtc, daß cin Künstler, der so große Einnahnvn. wie Rasacli hatte, ein vennögeudcr Mann scin mußte und deshalb zn dcn guten Partien zähle. Als aber schlicßlich die Informa tionen, welche die kluge Mama sich vor sorglich von Berlin zu verschaffen ge wußt, wider Erwarten sehr ungünstig lauteten und besagten, das; Rasaeli ein Verschwender sei, der nicht nur Nichts besitze, sondern noch tics in Schulden stecke, da begann sie kühler und kühler zu wcrdcn. Der heißblütige Künstler aber lMe bereits zu tief in die Augen der schönen Eugenie geschaut und sein? Lcidenschast cntzündeie sich erst recht an dcr Kälte und Zurückhaltung, mit der die Unempfindliche ihm jetzt begegnete. Eines Tagcs kam cs zu einem Ausbruch und glühend vor Liebe sank Rasaeli dcr Angc'betctcn zu Füßen und warb mit st mnischen Worten um ihre Gegenliebe „Sic müssen dic Meine werden, l>a gcnic, Sie müssen!" rief dcr Künstler ekstatisch aus. „Ich muß?" Die stolze Schöne wei dete sich einigt Secunden lang an dem Anblick des anf dcn Knicn vor ihr lie genden jungen Mannes und cntgegiictc dann mit spöttifchcm Lächeln: „Und wenn ich nicht will?" „So so tödte ich mich," stieß Ra saeli in wirtlicher Leidenschaft hcrvor. „Ich kann nicht lcbeu ohne Sie." Nur einen Augenblick, einen flüchtigen Mo ment hindurch gab sich Eugcnie dcr süßen, schmeichelnden Einpfindnng hin. die diese gluthvolle Erklärung in ihr erregte, dann war sie wieder ganz kühle, überlegene Ruhe, und um sich ein für allemal vor dcn weiteren Bewerbungen dcs Heißsporns, die sic compromittiren konnten zu schützen, versetzte sie mit schneidendem Hohn: „Bravo, Herr Rasaeli, Sie sind ein ebenso guter Schauspieler wie Musiker. Doch wolle» Sie nicht lieber ausstehen? Sie werden sich aus dem kalten Erdboden den Schnupfen holen." Er sprang empor, wie von einem glühenden Eisen berührt. Eine jähe Blässe überzog seine Wangen nnd cr starrte sie aus schreckensvoll weit aus gerissenen Augen an wie eine über natürliche Erscheinung. Dann wandte er sich und ging. Am andern Tage verbreitete sich das Gerücht in der Stadt, der Pianist Ra saeli habe durch cinc» Pistolc»,schuß sei nem Leben cin Ende gemacht, »nd am nächsten Morgen bestätigten es die Zci tungcn. Natürlich machte diese Nachricht ein sensationelles Aufsehen und bildete den Gesprächsstoff in allen Kreisen der Be völkerung. Ueberall erörterte man das überraschende Ereigniß und forschte nach der Ursache, die auch bald sei es, daß der Verstorbene Aufzeichnungen hinterlassen oder vor der Katastrophe einigen Freunde» fei» Herz ausgeschüt tet hatte in aller Munde war. Die Folge war, daß Eugeuie für den Rest der Saison öffentlich nicht mehr erschien, wenn ihr auch das Ende des begabten juugen Künstlers nicht sonder lich nahe ging, sondern in ihr mehr Aerger nnd Verdruß als eine andere E-mpsindung erzeugte. Von feiten der jungen Leute der Stadt wurde ihr einige Zeit hindurch mit ostentativer Nichtachtung begegnet, und sie mußte sich mit den Huldigungen begnügen, die ihr „Onkel Rost", ein Freund und Kollege ihres Vaters, widmete uud von jeher gewidmet hatte. Onkel Rost war ein alter Jungge selle, Mitte der Vierziger uud Kassirer an der Bank, deren Director Herr Stil ler war. Der alte Junggeselle war sast täglicher Gast iu der Familie des Bankdirectors uud wurde von den Kindern nie anders, als „Onkel Rost" genannt. Onkel Rost lebte in ange nehmen Verhältnissen, er hatte zwar kein Vermögen, aber sein Gehalt von SWV Mark war mehr als hinreichend sür seine Vedürsnisse. Leidenschaften besaß er leine; »ic einzige Verschwen dung, der er sröhnte, war seine Ge wohnheit, zu jeder Ziehung der Staats lotterie ei» ganzes Loos zu spielen. Als Eugenie zur schönen Jungfrau herangeblüht war, da pflegte Onkel Nost sie ost lächelnd „meine kleine Braut" zu nennen und scherzend zu er klären. daß sie ihn wahrhastig noch sei nem Vorsatz, als Junggeselle fem Le be» zu beschließen, untreu machen werde. Eugenie nahm Onkel Rosts Späße verschiedenartig auf. Wenn sie gut gelaunt war, so lachte sie und verstieg sich wohl auch dazu, Onkel Rost schmeich lerisch mit der weichen Hand über die rundlichen Wangen zu sahren. War sie aber wcgeu irgend einer Sache un wirrsch, so tonnte sie sehr spitz werden und höhnisch erklären, daß sie für einen Galten von zwei Centner Gewicht (On kel Rost litt an einem starten Embon point) bestens danke: auch dürfe ihr Zu künftiger leine Brille tragen, keine rothe Nase und keine Glahe haben. wahrend ihrer nothgcdrungeiicn Znruckgezogcuheit bezeigte sie sich gegen Onkel Rost sehr liebenswürdig und das Gesicht des alten Junggesellen strahlte, wenn Eugenie sich zu ihm setzte und in ihrer Liebenswürdigkeit so weit ging, ihm im SechSundfechSzig fcin Gcld ab zunchmcn. Für die Bonbonnieren und soustigcn Präsente, die er ihr machte, belohnte sie ihn mit cincm frcuudlichen Lächeln, ja, hatte sich Onkcl Rost bc sondcrs srcigcbig erwicse», so rcichtc sic ihm wohl auch gnädig dic Wange znm Kuß und dcs Junggcsellcn wnlstige Lippcn fcicrtcn cin fcitencs Fcst. Das Alles hinderlc freilich dic fchönc Engcnic nicht, sobald Onlcl Rost den Rücken gewandt, sich über ihn lustig zu machcn uud dic jüngeren Schwcstcrn uud Brüdcr zu allcrlci Schabernack gc gen den Junggesellen zu veranlassen. Eines Tagcs fand cin Ereignis; statt, das Engcnic wicder ncu aufleben und ihre gclangwcillcMicucwicdci, im srühc rcn Glanzc erstrahlen ließ, das sie zn gleicher Zeit aber gegen Onkcl Rost's Galantcricn und Artigkeiten uncmpsiud licher, ja, ungeduldiger als je machte. Ein junger Fabrikbesitzer, der als einer der reichste» Männer der Stadt galt, ließ sich in das Haus des Bank direktorS cinsührcn uiid wundcrbar war es, daß, als dcr junge Mann nach sci ncm ersten Besuch das HauS verlassen hatte und dic andercn Familicnmitglic dcr anfingen, über den Fortgehenden Bemerkungen auszutauschen, Engcnic nnd ihre Mama stillschwcigcnd wic auf ein Commando einander ansahen nnd einen langen, bedeutungSvolke» Blick aiiStanschtcn. Später hatte» Beide un ter vier Augen ein langes, inhaltrei clies Gespräch und von da ab erschien Eugenie wieder in dcr Gesellschaft. Während des Sommers nnd der nächsten Winterfaifon halte die Familie Stiller vielfach Gelegenheit, mit Richard Wcsciiheim, dem jnngen Fabrikbesitzer, zusammenzutreffen. Eugeuie, die es sich in den Kopf gefetzt hätte, daß der reiche Fabritbcsitzer auf sie einen un auslöschlichen Eindrnck gemacht habe, bot alle jene lleinen Künste und Listen auf, m t deucn die Natur arme Eva töchter zum Kampf um's Dasein vor sorglich ausgerüstet hat. Sie erröthete, so ost sich Richard We senheim ihr näherte, nnd senlte, wie geblendet nnd benommen von der ihr widerfahrenen Aiiszcichnnng, de» Kopf. Auf feine Fragen antwortete sie an fangs stammelnd, mit sichtlicher Befan genheit; gegen die Verwirrung, mit der seine Gegenwart sie erfüllte, scheinbar vergeblich ankämpfend. Weilte er in einiger Entfernung von ihr, so suchte ihn ihr Auge unwillkürlich, wie unter dem Zwange einer unwiderstehlichen Macht. Befanden sie sich Beide in nnbc lauschtem Gespräch, so wurde sie ge fühlvoll, erzählte von ihrer Kindheit, von ihren Elter» uud' Geschwistern und wie gut und liebevoll alle Ihrigen ge gen sie feien. Oder sie brachte die Rede anf seine Verhältnisse, auf feine Fabrik und feine geschäftlichen Unternehmnn gen. Sie verstand, ihn gesprächig zu machen, indem sie das tiesste Interesse für feine Thätigkeit henchelte und wäh rend er mit Eifer und in eitler Selbst befriedigung ihr den Betrieb feines Un ternehmens und seinen Autheil an der Leitung und d'N vortrefflichen Gang derselben beschrieb, bekundete sie in ihrem Mienenspiel und durch ihre Aus rufe und Bemerkungen so viel Autheil nahme, soviel stauucndc Bewunderung, daß Richard Wesciiheiin später im Freundeskreise mit Uebcrzcugug er klärte, Eugenie Stiller sei nicht nnr das schönste, sondern auch das klügste Mäd chen der Stadt. Durch gelegentliche, scheinbar unab sichtliche, beiläufige Fragen erkundigte sie sich nach seinem Geschmack in Bezug anf Toilettensragen, nach seiner Licb lingsfarbe, nach feinem Urlheil über die verschiedenen moderneu Hutfa