Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 11, 1892, Page 2, Image 2

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    2 (kh.»«fische Banken.
. Ueber chinesische Banken enthält dei
»Ostasiat. Lloyd" in seiner neuesten
Nummer eine interessante Llizze, de»
wir Folgendes entnehmen: Heutzutage
bestehen die chinesischen Bankeil in dei
Regel au-Z einer deschränkten Aiizah!
von Theilhabern, welche so viel Kapital
zusammenschieße», als ihnen »olhwendig
erscheint. DaS größte einbezablte Ka
pital der chinesischen Bank in Shang
hai beziffert sich z.B. aus 500,00 V Taeli
<Z Millionen Mari), andere besitzen
20,000 —!)0,000 Taels, einige dagegen
verfügen über, nicht mehr als 2,000
1.000 TaelS. Die letzteren beschränken
sich ans daS GeldumwechselungSgesckäst
und aus Trausaktionen mit Landbe
sitzern und kleinen Händlern. Die
Operationen der chinesischen Banken mit
ausländischen Geldinstituten und Fir
men sind sehr bedeutend und alle ma
chcn von ihrem Kredit den größmöglichen
Gebrauch. Viele der Theilnchmer de,
Banken sind reiche Leute, die keinen An
stand nehmen, im Falle des Bedarses
der Bank, bei welcher sie betheiligt sind,
außer der darin rhnedies angelegter
Summe auch ihre sonstigen flüssigen
Kapitalien zur Verfügungzu stellen, ein
Umstand, der den chinesischen Banken bei
Ausführung größerer Operationen oder
in einer pltzöl'ch eintretenden unerwar
teten Zwangslage zum besondern Vor
theile gereicht. Die m Shanghai etablir
te» chinesischen Banken haben überdies
an allen Handelsplätzen im Innern
Korrespondenten, welche ihre Baar
vorräthe hierher zur Placirung
transferiren, sobald der ZinSsuß ein
hoher wird.
Während der eigentlichen Ge'chäftS
faison < imFrühjahr und in den Sommer
monaten),wo die chinesischen Banken den
Theehandel leiten nnd bei den Kaufleu
ten starke Vorschüsse zu leisten haben,
in Folge deren das Geld sehr knapp
wird und der Zinsfuß bedeutend steigt,
bewirkt das Anlegen einiger weniger
Lakh TaelS (1 Mark)
eine augenblickliche Erleichterung des
Geldmärkte?, und zwar in einem weit
größern Verhältnisse, als die Höhe des
Betrages es vermuthen ließe.
Durch dieses Shstem einer gegensei
tigen Unterstützung wird die Lage de,
chinesischen Banken nicht nur im Allge
meinen gestärkt und die stete Verkäuf
lichkeit iqrer Noten unter den Fremden
gesichert, sondern auch dem chinesischen
Kausincnn die Möglichkeit gegeben, mit
den Produkten zurückzuhalten, waS e,
sonst nicht könnte, wenn die Position
derjenigen Bank, von welcher er hierauf
Vorschüsse erhalten hat, durch ein län
geres Zuwarten gesährdet würde. Di«
Banken nehmen auch Depositen zu ver
schiedenem Zinsfüße und sür längere
oder kürzere Perioden in Empfang; sii
leisten Vorschüsse und diskonirten Wech
sel, gerade wie europäische Institute,
und ihre Dienste stehen Kaufleuten alle,
Art, von den größten Finnen bis zum
kleinsten Ladenbesitzer, zu Gebote. Alle
vom Auslande importirten und von
chinesischen Kaufleuten sür den inländi
schen Konsum gekauften Waaren wer
den mit Noten (Orders) auf chinesische
Banken, zahlbar ,in .S bis 10 Tagen
nach Datum, honorirt eine Usance,
welche entweder der betreffenden Banl
den freien Gebrauch der Valuta wäh
rend der Umlauszeit ihrer Noten sichert,
oder dem Käufer die nöthige Zeit ge
währt. mit einer der chinesischen Ban
ken seine finanziellen Arrangements zu
tessen. Die Fähigkeit,ihrcn Verpflichtun
gen so pümtlich nachzukommen,verdanken
die chinesischen Banken zum Theil auch
einer unter den Chinesen herrschenden
Gepflogenheit, nach welcher alle Aus
stände und Verpflichtungen zu verschie
denen festgesetzten Epochen geregelt und
beglichen werden müssen. DaS Wech
selgeschäst mit den Provinzen im Jn
n«rn und mit dcnVertragShäsen ist bei
nahe ausschließlich in den Händen der
Shansi-Banken, welche zahlreiche Agen
turen in Shanghai besitzen. Ihr Kre
dit ist ein sehr großer und fester, und de»
Ulniang der Geschäftsverbindungen läßt
sich daraus entnehmen, daß sie bereit
und fähig sind, Wechsel für jeden Platz
de» chinesisch«» Reiches zu kaufen oder
zu verkaufen. Viele der reichen Chine
sen sind Theilhaber an mehr als einer
der Shansi-Banken, ein Umstand, der
natürlich im Falls deS Bedarfes die ge
genseitige Unterstützung sichert.
letztere beschränkt sich übrigens nicht
aus daS Bank-Geschäst, sondern erstreckt
sich auf den Verkehr der Chinesen mil
den Fremden überhaupt, und verdient
»l» ein charakteristisches Merkmal ganz
besonders hervorgehoben zu werden
In allen Geschäften mit Fremden wer
den sich die Chinesen niemals Konkur
renz machen und dadurch ihren Gewinn
verringern. Im Gegentheil, sie stehen
fest zu einander und unterstützen sich ge
genseitig, wodurch sie ihren Kredit im
zroßcn Ganzen erhalten und stärken.
In Shangha sind zur Zeit über 70
chinesische Banken in Thätigkeit, und
doch sind ungeachtet der schlechten Ge
schäfte die Fälle von Insolvenzen sehr
'elten und nicht von großem Belang.
Ein vescheidener Mann
ist der Herr Bürgermeister einer hessi
schen Landgemeinde, der das Unglück
hat, eine Verwaltung sich beigegeben zu
seyen, die ihm allzeit widerspricht. Prin
zipielle Opposition nennt man dies in
der politischen Welt. »Wir möge ge
ead' nit!". nennt eS die B«aerschast.
Einmal kam der Herr Vorsteher aus
einer Nachtsitzung nach Hause und sagte
zu seinem Weib: „Fra<! Heut Haben's
mir Alle beigestimmt!" „Und wie
kam das?" „Wir säße Abends bei
samme, bis es stark dunkelte. Da sagte
ich: Männer! Meint Ihr nöt, daß wir
uns Licht aufzünde zu lasse? Da stimmte
sie Alle bei!"
Pra kti s che Bot aui k. Stu>
dent: Ach. sieh' da die drei reizende»
Töchter des Rechnungsraths Knapper:
Viola, Rosa und Flora, welche reizende
Blumen! Referendar: Was nützt
das Alles, wenn den Blume? das nö
thige Moos fehlt?
Spielkarte«.
Mehr noch, als in der Industrie, neh
men die Spielkarten in unserem gesell
schaftlichen Leben einen breiten Raum
ein. Eine Herrengesellschaft, in der
nicht ein Spielchen gemacht wird, ist
kann, denkbar: das Spieken ist mit un
seren Sitten io eng verbunden, daß man
nicht mit Unrecht vKn einer Skatkrank
heit spricht. Glücklicherweise ist der
Skat eines der harmlosesten Spiele, das
verhältnißmäßig wenig Geld, dasür
aber desto mehr Zeit beansprucht. In
unserem Vereinsleben ist das Spiel
ebenfalls stark vertreten. Gut ein
Drittel sämmtlicher GeselligkeitSvereine
sind Skatklubs mit ei«er mehr oder
minder großen M»tgllederzahl. Von
den Junggesellen wird das Spiel mehr
gepflegt, denn da sie kein eigenes Heim
haben, ist ihnen der Ausenthalt im
Wirthshause, umgeben von gleichge
sinnten Seelen, lieber, als in ihren vier
Wänden. Und dann verfügen sie ja
auch noch frei über den Hausschlüssel.
Welches Volk den Gebrauch der
Spielkarten ersunden hat, ist noch nickt
festgestellt; es wird wohl auch niemals
erwiescn, welchen Weg die Karten nah
men, um zu uns zu gelangen. Interes
sant wäre es aber, ihren Ursprung
näher zu untersuchen, weil dieser auch
aus die Ansänge der Malerei und Holz
schneidekunst Bezug hat. Die Meinung,
daß die Egypter die Erfinder der Spiel
karten seien, hat unter den Knlturhisto
rikern eine große Verbreitung gesunden,
trotzdem diese''e nicht durch unwiderliche
Beweise gestützt werden kann. Die
Karten sollen dieser Meinung zufolge
eine in alter egnptischer Büchersprache
entworsene Allegorie sei». Die vier
Farbe» sollen die vier Stände, Ade'l,
Geistlichkeit, Bürger- und Bauernstand,
darstellen. Von den EgNptern sollen
die Karten nach Arabien und nach
China gewandert sein, um sich dann über
den ganzen Orient zu verbreiten.
Die Araber sollen das Kartenspiel
auch nach Europa gebracht haben. In
der That weisen die Karten aus einen
asiatischen Ursprung hin. denn ihre
Aebnlichkelt mit dem Schachspiel ist un
verkennbar. Wie beim Schachspiel fin
den wir auch bei den Karten Könige,
Damen, Osficiere und die Bauern. Die
selbe Grundidee mag beiden Spielen ei
gen sein, wiewohl die Spielarten sich im
Lause der Jahrhunderte gänzlich geän
dert haben. Das Schachspiel mit seinen
Figuren hat seit seiner Erfindung kaum
Neimens wert he Aenderungen erfahren;
die Zahl der Kartenspiele dagegen ist
Legion.
Die Spielkarten sind ein sehr wichti
ger Gegenstand unserer Kulturgeschichte.
Die Kirche hat zu wiederholten Malen
gegen das iHrhandnchmende Spiel
Verbote erlaWn, ohne jedoch ihren
Zweck zu erreichen. Sogar unter der
Geistlichkeit war das Spielen und
außerdem auch das Würfeln stark ver
breitet; die Mönche wußten im„Teufels
Gesangbuch" beinahe besser Bescheid,
als im Brevier. Trotzdem die Karten
nicht sabriksmäßig hergestellt wurden,
fanden sie doch Eingang in Hütten und
Palästen. Die Kriegsknechie fanden
ein besonderes Vergnügen an ihnen,
wie schon der Name eines französischen
Spieles (Landsknecht)
es auf das Deutlichste beweist. Gingen
doch einige Forscher, deren Phantasie
allerdings bedeutender war. als ihr
Wissen, so weit, die Erfindung der
Spielkarten einem trojanischen Kriezs
mann, Ncmeus Palamedes, zuzuschrei
ben. Die Ansicht ist freilich ebensowe
nig ernst zu nehmen, wie eine andere,
welche behaupte», Alexander der Große
habe einige Soldaten wegen des Kar
tenspiels strenge bestrast.
Die ersten Karten wurden einzeln
gemalt oder gezeichnet, und der Preis
richtete sich nach der aufgewandten
Mühe des Herstellers und den mehr
oder weniger kunstvollen Bildern. Eine
Rechnung aus dem Haushalte des fran
zösischen Königs Karl VI. vom Jahre
13Ü2 gibt den Preis von drei in ver
schiedenen Farben und in Gold aus
geführten Spielen auf SV SouS an.
Dieser Preis ist ein sehr geringer im
Vergleich zu den kunstvollen Karten de»
Herzog Visconti, der dasür 1430 an
seinen Se.retär Marziano ISOO goldene
Skudi zahlte. Diese Summe mag aber
mehr ein Gnadengeschenk gewesen sein.
Die Reichen verstanden es, auch in den
gerinzsügigsten Dingen einen außer
ordentlichen Luxus zu entfalten. Als
Beweis dienen die drei Spiele, die in
der Ambraser Sammlung in Wien ent
halten sind. Das eine dieser drei
Spiele ist mit besonderer Sorgsalt aus
geführt. Die Figuren, deren Umrisse
gedruckt zu sein scheinen, sind mit Gold
und Silber aufgelegt. Statt der übli
chen vier Farben sind vier Wappen ge
wählt, und zwar der einköpfige deutsche
schwarze Reichsadler im goldenen Felde,
der weiße böhmisch» Löwe im rothen
Felde, das ungarische Wappen ein
weißes Andreaskreuz im grünen Felde
und endlich die goldenen Lilien im
blauen Felde, das Wappen deS Bour
bonS.
Jedes dieser vier Wappen umfaßt
zwölf Blätter, von denen der König und
die Königin keine besondere Zahl, tragen
die übrigen Blätter mit den Nummern
von I b,S 10 gezeichnet sind. Diese
nummerirten Karten enthalten die bo
hen Aemter nnd Hosdienste von Teutsch
land, Frankreich, Böhmen und Ungarn,
den vier Wappen gemäß. Es scheint
eine Tarokkarte gewesen zu sein, ähnlich
denen, die auch heute noch in Süddeutsch
land und Oesterreich gebraucht werden,
denn neben den übrigen ernsten Figu
ren sinden sich auch Herren mit der
Peitsche, der moderne „ShkiS" des Tar
rokS, Barbiere, Herolde und Trompe
ter. Außerdem sind Jäger mit Falten
und Hunden auf der Borderseite ge
malt. Die Rückseite ist mit Affen,
Früchten, Guirlanden :c. bedeckt. Ob
diese Karten, die das erzherzoglich öster
reichische Wappen tragen, zum Spielen
benutzt wurden, ist eigentlich fraglich,
ihre Größe von N Fuß ist nicht
handlich; es scheint vielmehr eine Prunk
karte gewesen zu sein, der dic Malereien
ihrcn Werth verliehen.
Auch edles Metall wurde zur Her
stellung oon Spielkarten benutzt. Eins
dieier Spiele, das noch erhalten ist und
auf französischen Ursprung hinweist,
war aus Silberplätrchen hergestellt.
Die Figuren waren eingravirt und ver
goldet. Nach der Zeichnung zu urlhei
len, stammte die Piquetkarte aus dem
IV. Jahrhundert und soll von einem
niederländischen Graveur ausgeführt
worden sein. Die Kostspieligkeit der
Karte» machte es nothwendig, daß sie
aus danerhaftem Stoff gearbeitet wur
den. Da hatten die Karten aus Leder
viel mehr Sinn, als die unsrigen auf
Gummi, da unsere Spielkarten schon
um einen lächerlich geringen Preis zu
haben sind. Das niedrige Volk und
besonders die Landsknechte begnügten
sich mit Spie karten aus Lede'.
Woraus die Araber diese Kurten ver
fertigten, läßt sich nicht bestimmen. Da
sie aber das Baumwollenpapier srüher
herstellten als die Europäer, so läßt sich
annehmen, daß sie dasselbe dazu ver
wendeten und mehrere Bogen zusam
menklebten, um den Karten eine grö
ßere Danerhastigkeit zu verleiben. Die
Franzosen behaupten, dvß ein Franzose
zuerst auf den Gedanken gekommen sei,
die Kartenfiguren auf dünne Pappe zu
schabloniren. Seine Spielkarten be
legte er mit seinem 'Namen Coeur Ba
tet. Daher sollen auch jetzt n >cb die
sranzöfjschen Kartenmacher den Namen
Tresle-Valet führen.
Wann man in Deutschland begonnen
bat, Kartei, zu spielen, läßt sich nicht
genau feststellen. Zum ersten Male
werden die Karten in einem Buche von
1472 genannt. In diesem alten Schrift
werke, „Das goldene Spiel", heißt es:
Nun ist das spil vol vatrew, vad als
ich gelesen hau, so ist es kommen in
teutschland der erste? in den, iar, da
man zahlt voii crist geburt tauscnd und
dreihundert iar." Als unwiderleglichen
Beweis wird man diese Stelle doch
nicht ansehen lönnen. denn das Buch,
welches von 1300 spricht, lst doch 1472
geichrieben, also Z 72 Jahre später.
Bedenkt man aber, daß wir trotz unserer
fleißigen Forschungen noch nicht über
alle Kulturzustände des vorigen Jahr
hunderts eingehend unterrichtet sind, io
wird man der oben angeführten Stelle
keine ausschlaggebende Bedeutung bei
legen können. Die Arten unserer Spiele
lassen darauf schließen, daß die Karten
von Italien aus ihren Weg nach
Deutschland genommen haben. Das
in Süddeutschland und Oesterreich üb
liche Tarcckspiel ist zweisellos italieni
schen Ursprungs und auch der Skat
Norddeutschlands kam von jenseits der
Alpen. Der Name Skat ist eine ver
änderte Form vom italienischen Scar
tare, bei Seite legen, entsernen und deckt
sich mit dem französischen Worte
Das Kartenspiel war auch in frühe
ren Jahrhunderten eine weit verbreitete
Unsitte. Wenn unsere Damen sich heute
über die Spieleisrigkett der Herren auf
halten, so mögen sie sich mit dem aller
dings mager» Troste beruhigen, daß es
in früheren Zeiten weit schlimmer war,
und daß die' Gegenwart mit den hohen
Ansprüchen, die sie an Jedermann stellt,
die Spiellust doch eingedämmt hat. In
der guten alten Zeit regnete es Spiel
verbote. Daß diese aber nichts genutzt
haben, wird Jedem einleuchten, der
den Charakter der Menschen kennt,
verbotene Frucht schmeckt doppelt süß,
behauptet nicht mit Unrecht das Sprich
wort, das auch aus das Kartenspiel An
wendung findet. Da aber die hohen
Ralhsher ei selber enVergnügen am
Spielen fanden, wurden die Verbote
gemildert oder—garnicht beachtet. Zu
Ende des vierzehnten Jahrhunderts
waren in Nürnberg die Spiele verbo
ten. „Awpgenommen rennen mit Pfer
den Schiessen mit Armbrusten, Carten,
Schofzagel, pettspiel bad Kugekn, waib
einen psenint zwen zu vier poten, an all
oen Veirtagen sol man nit rennen."
Eine weitverbreitete Spielwuth muß
während der früheren Jahrhunderte in
Deutschland grassirt haben. Als Car
dinal Eapistran 14SÄ in dem damal»
sehr kleinen Nürnberg predigte, wurden
Lb4o Brettspiele, 4V,VW Würfel und
ein außerordentlich großer Haufen
Spielkarten ans die Predigt hin öffent
lich verbrannt. Es scheint, als ob un
sere Altvordern die ganze sreie Zeit aus
das Spiel verwandt hätten. Venedig
war der Hauptsitz der Kartemabrikativn;
Faßweise wurden die Fabrikate in aller
Herren Länder verschickt, fodaß in
Deutschland z. B. ein Einsuhrverbot er
lassen werden mußte. Daß solche Un
mengen von Karten nicht gemalt wur
den, wie die wenigen Exemplare, die in
den Sainilluiigen ausbewahrt werden,
ist selbstverständlich. Der Holzschnitt
wurde zu Hilse genommen. Es ist so
gar wahrscheinlich, daß die Herstellung
der Spielkarte» von bedeutendem Ein
flüsse aus die Entwickelung der Holz
schneidekunst war.
Spiele, sondern auch zu ernsten wissen
schastlichen, besonders zu Memorir
zwecken benutzt. Der Rechtslehrer
Thomas Murner gab sogar ein logi
sches Kartenspiel, ein oli»rU>u<liu»i
heraus. Die einzelnen Kar
ten lehrten die Grundsätze der Logik.
Da muß das Studium der Philosophie
für die Studenten gar nicht so unange
nehm sein, wenn dieselben Blätter zu
Ernst und Sckerz verwendet weroen
konnten. Vielleicht würde die Methode
des alten praktischen Proseffvrs auch
in ltnseren Tagen Gutes stiften. Es
wäre gar nickt so übel, wenn man sich
beim „Lachssang" auch über die römi
schen Servituten oder über philosophi
sche Döktcrsragen unterrichten könnte.
Wir sind schon so weit gelangt, daß die
Rückseite der Karten zu Reklamezwecken
verwendet werden; warum sollten sie
nicht auch der Wissenschast dienen?
Daß die Karten nicht bloß zum
Spielen taugen, beweisen viele Inserate
in den Zeitungen. Da» Wort „Lenor
mand" kehrt so oft wieder, daß man sich
verwundert sragen muß, ob es denn
wirklich so viel« Leute gibt, die au» den
Karten di« Zukunft lesen, und die noth
wendige größere Zahl von Leuten, die
sich wahrsagen lassen. Doch Hand
auf's Herz, schöne Leserin, Du hast
auch einmal aus die Prophezeiung des
Herzbuben geschworen? Es ist ja am
Ende keine Schande, sich einmal düpire»
zu lassen. .
1
kleine» A«»veel«d»»itz.
Gegen Abend klärte sich der Himmel
auf. Vergnügt stand der Jagdclub
„Großer Nimrod" vor seiner Stamm
kneipe, in welcher der bei allen Sonn
tagsjägern bochangesehene Club wäh
rend der letzten Wochen als Skatclub
fungirt hatte.
„Morgen ist der Acker steinhart ge
froren," schmunzelte vergnügt der kleine
dicke Fuhrherr B. und schauderte in Er
innerung an die letzte Jagd, bei welcher
seine länger veranlagtem Jagdcumpane,
der Restaurateur M. und der bäum
lange, aber spindeld.irre Bauunterneh
mer L. ihn nnr mit der größten An
strengung aus dem ausgeweichten Sturz
acker herausgeschleppt hatten. Am
nächsten Morgen bei Tagesgranen suh<
ren die Jäger nach dem Jagdrevier,
das erst nach dreistündiger von Skat
spiel und einer Flasche Rvthspon an
genehm belebten Fahrt erreicht wurde.
Gleich hinter dem Dorse lag besagter
Sturzacker, aus d m stets mindestens ein
„Krummer" zu finden war.
Auch heute mißtraute B. diesem
Acker; während M. und L. querüber
schritte», walzte er vorsichtig am Feld
rain entlang. Das Wetter war schön
klarer Frost, aber, oh weh! die Ha
sen hatten heute kein Sitzfleisch. Aus
mehr als hundert Schritt weit standen
sie auf, wippten höhnisch mit der Blume
und verschwanden unbeüimmert um die
ihnen nachgesandte Salve hinter der
nächsten Terrainwelle. Plötzlich suhr
der Dicke zusammen. Da, kaum zwei
Schrille vor ihm, war ein alter Ramm
ler a'ls dem Lager gefahren. Bautz!
Bautz! beim zweiten Schaß stiebt sichc
lich die Wolle. Zum Uebersluß ladet
B. schnell ans's Neue, doch da verschwin
det der Krumme schon in einem tiefen
Graben. Der gemeinschaftliche „Hek
tar" hat soeben semen dritten Wetllauf
mit einem Hase» angetreten. Deshalb
entschließt sich 8., über den Sturzacker
zum Graben zu laufen, obgleich die nur
oberflächlich erstarrten Erdschollen in
ganz gefährlicher Weise krachen. Aber
weit und breit ist kein Hase iin Graben
zu erblicken.
„Er wird doch nicht in die Drumme
gekrochen sein?" meint der Dicke kopf
schüttelnd halb zu sich selbst.
„Das ist schon möglich." antwortete
der hinzukommende Restaurateur, „ich
habe wenigstens schon so etwas erzählen
hören."
Richtig, der Hase steckt in der langen
Röhre, die unter einem Feldweg hin
durch die Verbindung zum nächste»
Graben vermittelt. Jetzt ist auch der
lange Langer angelanzt.
„Wissen Sie was, wir schieben Sie
in die Drumme, Sie fassen den Hasen,
und wir ziehen Sie dann zurück!"
„Machen Sie keine saulen Witze,
Dicker!"
Nun ist guter Rath theuer. Mit dem
Arm ist der Haie nicht mehr zu erlangen,
mit dem Flintenlauf stößt man ihn noch
gerade an.
„Wir können doch den Hasen nicht
hier stecken lassen!"
Jetzt erscheint Hektor auf der Bild
slüche, schnüffelt an der Drnmme und
kratzt mit den Vorderlänfen ein Loch in
den Boden.
„Heitor muß rein!" Wer es zuerst
zedacht, gesagt? Wahrscheinlich alle
drei. Der Köter wird gepackt und in
die anderthalbsuß hohe Röhre gescho
ben. Aha! jetzt merkt er den Braten,
jetzt setzt er van selbst vorwärts! Jetzt
muß er ihn haben: „Hektor, -iNous,
»ps,ort«7.!" Hektor rührt sich nicht.
„Da haben Sie was schönes ange>
richtet mit Ihrem Vorschlag, lieber B.;
jetzt kann der arme Köter wahrscheinlich
nicht vorwärts, nicht rückwärts!"
„Ach was! vor Allem hat M. den
Vorschlag gemacht!"
„Danke bestens! solch einen famosen
Gedanken kann nur L. aushecken!"
Heitor, »s>p»rtsü!" lockt
M. an einem Ende der Röhre, am an
dern Ende kommandirt B. energisch:
„Hektar hierher!" Kein Erfolg. Er
neuter Kriegsrath, infolgedessen der
Banuntcrnehmer auS dem Dorse eine
lange Stange herbeiholt. Der gefällige
Bauer, der sie hergaben, ist mitge
kommen. Ein schwarzer Verdacht ist in
seiner Seele ausgestiegen. Schonend
wird das dicke Ende mit einem baum
wollenen Taschentuch umwunden, um
Hektar beim Rückwärts>chieben nicht zu
verletzen. Doch was ist das? Der
Köter beißt in die Stange und weicht
ihr aus Endlich ist er soweit zurück
gebracht, daß L. ihn am Schwanz her
ausziehen kann. In der Schnauze hält
er getreulich den Hasen—? oh, nein,
aber ein Stück des blutigen Balges, an
welchem nur noch die Vorderläuse und
der Kops baumeln! Hektor soll „preis
nerth" zu verlausen sein.
Ein schwaches Geschöpf.
Präsident: „Schämen Sie sich nicht,
Angeklagter, ein schwaches Geschöpf wie
Ihre Frau mit Schlägen zu mißhan
deln?" Angeklagter (lächelnd):
„Schwaches Jeschöps? Haben Sie det
schwache JeschSps schun mal jeiehn,
Herr Präsident?" Präsident:
„Nein!" Angeklagter: „Nadann er
laben Se mir bloß eine janz kurze Mit
teilung. Bor drei Wochen habe ick ihr
wiegen lasse» us die Automatenwaze.
Da wog det schwache Je>chöps mit de
lNceder 78? Psund."
Frauen-Unterhaltung.
Zrau A,: Ohne mich zu rühmen, ich
bin wirtlich sehr sparsam, bei mir darf
das Geld nicht ausgehen. Frau B,:
Ich bin auch nicht verschwenderisch, bei
mir darf der Mann nicht ausgehen.
Elegant. Johann, was für
Llumen sind denn das? Frische Ver
gessen Sie mein nicht.
Da» Fra««nasftl in Part».
Die Straße Saint - Jacques ist stets
dieselbe. Nicht einmal die Boutiquen
wechseln ihr« Phusiognomie. Das
Frauenasnl liegt nicht weit vom Taub
stummeilinstitut, gegenüber steht ein
Kloster es ist das Viertel der
Hospitäler und der Klöster der Ort,
wo am meisten geweint und am meisten
gebetet wird in Paris. In den endlosen
Wwternächten. wenn die Dämmerung
griesgrämig herauskriecht, hört man
hier unglaublich viel Glocken läuten
zum Augelus, immer eine nach der
anderen, als sängen Nonnen ihre Ma
tinale.
Da« Etablissement des Frauenasyls
befindet sich in einem alten düstern
Hause. Durch ein« schmale Psorte be
trete ich Abends acht Uhr diesen Zu
fluchtsort der AuSgestoßenen und Ent
erbten. Zur Rechten deS sehr kleinen
Vestibüls sieht man einen Schalter, hin
ter welchem ein abgetragenes OssicierS
käppi erscheint, unter welchem ein ma
geres aber höchst sympathisches Gesicht
den Eintretenden mustert. Es ist der
Direktor, der mit berechtigtem' Stolz
ans das rothe Band der Ehrenlegion
in seinem Knopsloch blickt. Ich setze
mich neben ihn, gerade vor sein Register.
Ich durchblättere dieses Fremdenbuch
der Freiberberge, wo sich die Frauen,
welche die anderen Herbergen aus Geld
mangel zurückgewiesen, verewigt Häven.
Wer, der je von der Höhe irgend eines
der Hügel um Paris auf die unzählbar
vom Horizont sich abhebende» Häuser
massen herabzeblickt, hat wohl gedacht,
daß in diesem gewaltigen steinernen
Ameisenbausen Ameisen uniherirren,
die kein Loch finden, sich zur Ruhe zu
Dieses Register, wo alle Lebensalter,
alle Erwerbszweige alle Laster nnd
alle Tugenden in demselben Bett des
Elends untergebracht sind, ist unstreitig
eines der seltsamsten Bücher und in
Wahrheit ein hochdedeutsames mensch
liches Do'umenl. Das Mitleid hat da
etwas geschaffen, was das Talent und
sogar das Genie vergeblich in unserem
Zeitalter der Nachtreter hervorzubrin
gen sucht: ein Originalwerk.
Der Direktor sagt mir nach der Be
grüßung : „Heut geht's gut heute
Abend werden wir ein starkes Publikum
haben." Ein Tbeaterdirekior könnte
nicht anders sprechen. „Ah", macht er
ganz leise, „da ist schon Eine". Ich
blicke hin nichts! Sie treten ganz
geräuschlos und verstohlen ein, die
Armen gleich Diebinnen.
Eine Frauengestalt erscheint am
Schalter. Das Costüm ist das einer
Köchin auS anständigem Hause, aber
das Gesicht todtenbleich und mager, ihr
Teint erinnert an einen oit gewaschenen
weißen Handschuh. „Sie sind wieder
da?" fragt der Director betroffen.
„Ja, Herr Director; man hat mit, aus
dem Hause, wohin Sie mich emvsablen,
wieder sortgesch ckt, weil ich sür den
Dienst nicht stark genug bin. Man hat
mich kenre zwölf Stunden behalten. Ich
erhielt 10-Francs, wovon ich süns sür
ein Hemd ausgegeben habe. Wollen
Sie mich aufnehmen, obgleich ich noch
im Besitz von ö Francs bin?" Die
Frau des Direktors, klein, lntelligent
und unendlich geschäftig, erscheint auf
einen Augenblick hinter dem Bureau.
„Es ist allerdings gegen dasßeglement,
indeß haben wir heute viel Platz; treten
Sie nur ein, Madame".
Ich sage zu der Frau: „Was werden
Sie aber machen, wenn die 5 Francs
ausgegeben sind?" Sie antwortet mir
mit jener fast sorglosen und doch unbe
schreiblich schmerzlichen Miene, welche
der ur.auskörliche und stets erfolglose
Kampf gegen das Schicksal ausdrückt:
„Ich hosse, daß ich bald sterben
werde". „Aber warum gehen Sic
nicht in ein Hospital?" „Man hat mich
erst heute Morgen wieder zuriickgew e
f.n, weil ich „nicht trank gew.sen
wäre!"
Da ist eine Andere, Zwanzig Jahre,
stahlblaue Augen, eine niedrige, von
rothblonden Löckchen umrahmt« Stirn
süperb, Costüin einer Ladenmamsell.
„Weshalb befinden Sie sich ohne As>il?"
„Tie Familie, bei der ich wohnte,
hat mich wr g schickt ich bin Nähe
rin jetzt ohne Beschäftigung."
„Aber weshalb hat die Familie "
betrachten sie genauer. Wir verstehen.
„Aber Ihre Schwangerschaft ist sehr
weit vorgeschritten. „Weshalb haben
Sie sicti nicht an die Gebäranstalt ge
wendet?"
„Ich war dort, mein Herr; man hieß
mich in zehn Tagen wiederkommen."
„Aber was werden Sie inzwischen thun?
H:er dars man Sie nur süns Nächte
hiiidiircli ausnehmen." Haben Sie Geld ?
„Sehr wenig, Herr." —„Wieviel?"
Füiiizig Centimes! Wir erleben da
einen Acr jenes Dramas, welches so
häusig im Pariser Leben spielt, daß es
schier banal geworden ist; es heißt:
„Das verführte Mädchen." Der sol
gei-.de Alt zeigt uns eine Kindesmördc
rin, wenn die Mutter nicht der Findel
anstalt der Ituv ihr Kind über
gibt, das sie dann niemal« wiedersieht.
Hier stehen wir vor einem dritten Fall:
das arme Mädchen will, daß ihr Kind
lebe und daß es von ihr gepflegt werde.
„Wollen Sie Amme werden?" Mit
lausend Freuden, mein Herr!"
Ich reiße einen Zettel aus dem No
tizbuch und schreibe an den Director der
Maternite, der Pariser Gebäranstalt.
Wie viele solcher Zettel habe ich schon
an die Direktoren all dieser Zufluchts
stätte» des Elends in Paris geschrieben!
Sie haben sich gewöhnt, den Autor die
ser anspruchslosen Unter-Weltstadtstu
dien gewissermaßen schon als College»
zu betrachten.
(In dein Augenblick, wo ich diese
Zellen niederschreibe, empfange ich eine
Telcgrammkarte des stets aufmerksamen
und rührigen DirectorS der Maternite.
Er zeigt mir an, daß da» ihm gestern
ev-psohlene junge Mädchen eines "räch
tigen kleinen SaminS genesen ist.)
Wieder herrscht Stille ringsum.
Aber der Director taucht die Feder in'S
Tintensaß, welche Geste mir die Ankunft
einer anderen Unglücklichen verkündet.
Blond! Mager! Sie sind alle mager!
Sie trägt einen schwarzen Sammet Hut
mit gleichfalls schwarzen Federn aus
dem Kopse, ein abgetragenes, aber sau
beres schwarzes Seisenkleid aus dem
Leibe.
Eine Lehrerin! SS Jahre alt! Zur
Stunde, da ich dies schreibe, ist d:e
Aermste schon placirt durch das Arbeits
comite. Von Zeit zu Zeit zog die junge
Dame an den Spitzen ihrer Taille, brei
tete anch, während sie mit uns sprach,
die Hände elwas auffällig, wie schützend
über den Busen. Man bemerkte durch
den Taillenausschnitt die Haut, weiß
und zart wie die Schale eines srisch
gelegten Eies. Diese übertriebene
Gchamhaftigkeit besremdele mich und
hatte doch eine nur zu erklärliche, ties
tranrige Ursache! Die zunge, so kokett
gekleidete Lehrerin wollle verbergen,
daß sie kein Hemd an hatte. Sie hatte
das letzte Hemd vom Leibe verlausen
müssen! 1 Francs SU Centimes.
Ein ganz kleines Kuid, kaum drei
Jahre alt, raucht am Schalter aus. Hat
der sreundliche Leser schon bemerkt, daß
viele dieser ärmsten aller Kinder den
prächtigste» Enqelköpschen Murillo'S
gleichen? Welcher unsichlbare Engel
mag ihnen diesen geheimnißvolle»
Schönheitszug verleihen, denen sonst
nichts verliehen wurde vom Geschick, als
die Schmach nur „Kinder ihrer Mutter"
zn sein? Die Mutter ist eine große
Bäuerin. Sie ist zu Fuß von Ver
sailles nach Paris gelausen, um in den
Hallen Arbeit zu finden; sie fand aber
keine. Wo soll sie hin mit ihrem
Kinde?
„Haben Sie schon gegessen beut?"
fragt dcrj Director. Sie zögert, und
dann gestaltet sich ihre Antwort zur be
wunderungswürdigsten. rührendsten
Lüge, die ich je gehört habe. „Ja,
mein Herr, ich habe schon gegessen, aber
meine Kleine hat heut' noch gar nichts
zu sich genommen!" Trotz dieser er
greisenden, .heroischen Unwahrheit kön
nen wir nicht umhin, zu lächeln. „Es
i > gut", macht der T ir clor; „gelt zum
Abendessen, alle Beide!"
Das Denle setzt sich sort. Da ist
eine Mmter mit ihrem Sohn, welche
der Gute tiiauzgejazt bat. Der
Kleine isl legitimer Geburt, «.vis!
Eni seltener Vogel hier! Die nächste ist
eine Dame, eine wirkliche Dame mit
dem respektablen Air und den Allüren
der großen Welt. Sie grüßt. Wir
erheben uns bei der Erwiderung ihres
Grußes. Man besragt sie. Sie macht
Zeichen, daß sie nicht höre, und daß
man sie schriftlich befragen möge.
Sie ist schon V 0 Jahre alt. Noch
vor einem Jahre besaß sie ein Vermö
gen von 30,000 Fraiiien Rente, das sie
durch eine H>ette unerhörter Schicksals
schläge und Niederträchtigkeiten verlor.
Dann versuchte sie durch Arbeit ihr Le
ben zu fristen. Sie ist eine geschickte
Sterin, doch bei angestrengtestem
Fleiß vermochte sie nur 60 Centimes
täglich zn verdienen. „Das war ge
nug", sagte sie, um zu essen und mich zu
kleiden aber wovon sollte ich mein
Kämmerche» mit 20 Francs monatlich
bezahlen. Ich konnte es nicht, und
man hat mich auf die Straße gewor
fen!" Sie spricht mit leiser, aber wei
cher Stimme,n gewählten Ausdrücken.
Schweeweißes Haar bedeckt in dürsti
gen Strähnen ihr gebeugtes, zitterndes,
greises Haupt. Und taub! Man sagt,
daß es hienieden, keine Finsterniß ohne
einen Lichtstrahl, keine» Abgrund gäbe,
in dem nicht eine Blume sprieße! Hier
aber ist ein tieser, finsterer Abgrund,
den kein Strahl erhellt, keine Blume
ist sie gestorben. Gott war barmher
ziger als die Menschen und sandte
das Licht der Ewigkeit in die Nacht
des Lebens. Der Abend
rückt vor. Kurz vor Thoresschluß
kvnimt noch eine jener unseligen Töch
ter der Pariser Bevölkerung, wie ich
sie so ost gesehen habe.
lii Jahre alt! Auf dem Arm trägt
sie ein ganz kleines Kind. Ihren
Bruder? Nein— ihren Sohn! Ein
Kapitel Pariser Leben! Und da
die letzte der Reisenden, welche heute in
der Herberge des Mitleids absteigen
Ganz verstört läuft sie herein wie
eine verirrte, halberfrorene Schwalbe,
die durch den Kamin in's Zimmer sä lt!
Erschöpst stützt sie sich auf die Schalter
brüstung. Sie ist bildhübs t>. aber ver
wüstet durch Krankheit. S>e ist vor
gestern aus dem Hospital Nesinet ent
lassen worden und hat die vorige Nacht
aus dem Flur eines der Hauser geschla
fen, die Tag und Nacht geöffnet blei
ben. Auf den ersten Blick erkennt man
ein ehrbares Mädchen in ihr. Selten
habe >ch einen so kindliche» Mund in
einem Frauenantlitz gesehen. Die Augen
blicken schwerinütbig und müde, sind
aber trotzdem von wunderbarer strah
lender Schönheit. Die selige Madame
Musard hätie ihre Millionen in
Diamanten hingegeben/um diese Auge»
zu haben! Das Kleid des Mädchens
ist wie festgeklebt an ihrem Körper,
jede Linie desselben markireud. Es
siebt ans, als hätte man sie aus dem
Wasser gezogen und die Kleider aus dem
Leibe trocknen lassen.
Ich erinnere mich des Wortes, wel
ches die Direktorin io ost von den ver
teil.
So tief gefallen Viele von ihnen sein
mögen, sie haben dennoch stets einen fe
sten Glauben an Gott, verborge» aus
dem Grunde ihres Herzens wie eine ge
weihte Heiligeumetaille unter dem
Hemde. Und dann haben sie Alle einen
großen Schrecken vor der Prostitution
an welche sie sich doch so schnell ge
wohnen! Mit wollüstigem Grauen
blicken sie in die schimmernden Wellen,
welche, vom Winde gehoben und vom
zuckenden Gaslicht geliebkost, sich zu ihnen
voll mitleidiger Zärtlichkeit emporzuhc»
ben. tröstend zu winken und zu rufen
scheinen.
Die Kleine dauerte mich in tiefste,
Seele.
„Schlafen S>« ruhig und sorglos
diese Nacht, mein Fräulein." tröstete ich
sie; „ich werde sür eine gute Stellung
sorgen." Die Direclorin sagte mir spä
ter: „Die Kleine ii't letzt glücklich wie
eine Königin wie eine wahrhafte
Königin."
Die Stunde des Abendessens ist ge
kommen. Ich drücke dem Director dic
Hand und begleite die Direktorin in den
Saal. Ringsherum sitzen die Kranen
aus Holzbänken. Ein kleines Madchen
liegt mit dem Bauche aus der Erde und
erhebt den Kops gleich eine,
Svhinx. Seine Angen leuchten durch
das Halbdunkel wie die von G. I. A.
HoffmannS Kater Murr. In dem
Zwielicht einer einzige» Lampe haben
die Züge all' dieser unglücklichen Frauen
etwas Gespenstisches.
Zwei ganz kleine Knaben, offenbar
Brüder und Waisen, deren Eltern Nie
mand kennt, sind aus dem kalten Stein
noch im Schlase sich eng umschlungen
hallend. Ein alter, breiter Filzhut, wie
ihn die Korn- und Mehllräger der
Hallen tragen, dient ihnen als Decke.
Die Direktorin hat sich in der Milte
des SaaleS niedergelassen. Sie liest
das Reglement vor. Ein mächtiges
schwarzes Kruzifix, an der weißen
Wand ihr gegenüber, ist wie ein Koni
mentar zu ihren Worten. Es ist. als
schwere Haupt des Erlösers aus diese
jammervolle Versammlung nieder:
„Kommet her zu mir, die ihr mühselig
und beladen ieid!"
Nachdem liest die Direktorin den
Willkommensgruß des Comites an
diese Armen vor. Er ist sehr schön:
sein ergreisender Schluß glpselt in den
Worten: „Meine Damen, hoffen Sie!"
Ich liebe dieses würdige Mitleid.
Wahre Barmherzigkeit ist wie dii
wahre Tapferkeit: höflich' und voll
Rücksicht.
Grad' als ich fortgehen will, tritt
noch ein neuer, verspäteter Ankömmling
herein. Ganz jung und ganz blond!
Ihre großen Augen leuchten verklärt—
man möchte sagen vor Lust.
Habt Ihr, sreundliche Leser, aber
schon bemerkt, wie das Fieber der To
desstunde die Augen der Frauen iml
wundersamem Feuer ersüllt gerade
wie das Fieber der Lebenslust? Nicht
selten verwechselt man die fieberheiße»
Augen der Sterbenden mit den Gluthen
der Leidenschast. Wenn man in tiefei
Nacht durch die Straßen von Paris
schlendert,, bemerkt man zuweilen ein
Fenster bell durch die Finsterniß strah
len. Ist's das hohe Lied der Liebe,
ist's das herzzerreißende Weine» eines
Sterbenden, das hinter solchem spät
erleuchteten Fenster verklingt? Wer
mag es sagen?
Hier war es die Agonie des TodeS,
welche aus den Augen der armen Klei
nen flackerte kaum eine Stunde nach
ihrer Ankunft bauchte sie ihr junges,
von der Schwindsucht verzehrtes Lebe»
aus.
So hatte das Asyl der obdachlosen
Frauen in dieser Nacht zwei Todte
zwei arme Reisende, die von der Her
berge der Barmherzigkeit zur ewigen
Heunath abgereist waren.
Der Pastor hat sich übe»
die Garteilpsorte gelehnt und raucht
andächtig seine Pseise. Da kommt sein
Freund, der Dr. Mertens angesahren.
„Guten Tag, Pastor, wie gehts?"
„Ach, nicht gut, ich kann nicht schlasen."
—„Nicht? Das ist ja schlimm."—„Ja
höre, Doctor, kannst Du mir nicht etwas
dagegen verschreiben?" „Nu, daS
könnte ich wohl, z. B. Ehloral. Brom
kal«, Sulsonal und ähnliche! Zeug
aber das ist nicht viel werth; das wird
vald Bedürfniß und dann muß man et
sich wieder abgewöhnen. Trink doch
de» Abends kurz vor dem Schlafengehen
«nen guten steifen Grog." „Nein,
Gott bewahre, das geht nicht an; ich
predige allsonntäglich gegen den Genuß
spirituöser Getränke; da kann ich doch
nicht selbst " —„Aber, Pastor—
wenn ich Dir das als Medicin ver
ordne!"—„Nein, nein, das unterschei
den meine Leute nicht. Und wie sollt
ich mir das heiße Wasser verschaffen?"
—Du sagst Deiner Wirthschaften!», Du
willst Dich rasiren, Abends statt Mor
gens verstehst Du?" „Na ja, ich
will mir s überlegen."—Nach 4 Wochen
kommt der Pfarrer wieder deS WegeS
und kehrt im Pfarrhaufe ein, trifft
aber den Pastor nicht daheim. „Nun,
wie geht'S dem Pastor," fragt er die
Haushälterin. „Ist verrückt gewor
den!" brummt dieAlte.—„Was ist er?"
—„Verrückt! Rasirt sich jeden Tag vier
Mal!"
Volks stimme. Die „Peit<
schensabrikantengattin" Frau F. in
Wien hatte kürzlich vor demSira richtn
des Bezirksgerichts Wieden die Ehren
beleidigungsklage gegen ein Dienstmäd
chen erhoben, das sie grundlos eines
Diebstahls beschuldigt hatte. Nich
ter: „Ich finde es begreiflich, daß Sie
sehr erbittert sind, aber n»t einer Ab
bitte könnten Sie sich doch zufrieden
geben." Klägerin: „Ich darf ja
nicht I" Richter: „Warum dürfen
Sie denn nicht?" Klägerin: „Mein
Mann hat mirs verboten." Richter:
„Aber Sie sind doch eine selbständige
Frau. Geben Sie sich mit einer Ehren
erklärung zufrieden." Während die
Klägerin noch zögernd dasteht, hört man
eine Stimme aus dem Publikum rufen:
„Sagen S' Ja!" Klägerin (zum Rich
ter): „Soll ich Ja sagen?"— Richter:
„Natürlich!" Klägerin (zum Publi
kum ): »Soll ich Ja sagen?" Pub
likum (im Chorus): »Sagen S'Ja!"
Klägerin: „Aber mein Mann ?"
Publikum: Dö» macht nix! Sagen
S' nur Ja!" —Klägerin: „Na. m
GotteS Namen, sag' i halt Jal"
Und unter dem Beifall des Publikum»
verließen Klägerin und Verklagt« den
BerhandlungSsaal.