Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 04, 1892, Page 3, Image 3

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    Sergius Uanin.
Roman von »«arge» vhnet.
fs. Fortsetzung.)
„Wieso denn? Auch ick) möchte mtr
einmal'gute Tage machen, will auch ein
mal ein vornehmes iühren! Sie
können mich e« lehren, Herr Savinien,
«I wird wohl nicht besonder« schwer sein!
denke, es genügt ein kiirze« lauben-
Le Brede, sich einen srisirten Scheitel
«»zulegen, wie Herr du-Tremblay.und
«inen Angriff auf die Bank von Monaco
zu mache» ..."
„Wie alle dies» Herren!" schloß heile»
Der Thüroorhang des Salons, in dem
sich Herr und Fräulein Herzog, Mare
»ückgeschlagen und Frau DeSvarenne«.
gesolgi von ihrer Tochter, Cayrol, Ser
gius und Pierre, erschienen. Der Sa
lon. in welchen, sich jetzt die ganze Ge
sellschaft befand, lag am äußersten Ende
der Villa; er war von drei Seiten durch
eine mit Glaswände» versehene Galle
rie umgeben, welche mit Pflanzen ge
schmückt mar. Weite Oeffnungen, welch«
auf italienische Art, von großen Vor
hängen halb verdeckt waren, sührten in
se». Sie hatte ihn in orientalischer
Weise möblirt, mit niedrigen Sesseln
»nd breite» DivauS. die süßen
Nichtsthun und zum Träumen am hellen
Tage einluden. Die Mitte dieses Rau
mes war von einem gepolsterten Möbel
eingenommen, in dessen Mittelpunkt sich
eine Blumengruppe erhob. Eine zierlich
gewundene Freitreppe führte von der
Gallerie auf eine Terrasse, wo sich eine
weite Aussicht über Land und Meer
Al« Savinien die Prinzipalin er
blickte, eilte er auf sie zu und ergriff
ihr« Hände. Die Ankunft der Frau
DeSvarenneS war in seinem mäßigen
Leben ein Ereigniß von großem Inter
esse. Dieser Stutzer ahnte, daß hier
ein gehcimnißvoller Umstand vorliegen
müsse, de» er vielleicht auskundschaften
könnic. Er suchte daher mit gespitzten
„Beste Tante, wenn Sie wüßten, wie
ich staune, Sie hier zu sehen!" sagte «r
im Schmcichelton.
„Nicht mehr, als ich selbst darüber
staune," erwiderte die Prinzipalin lä
chelnd. „Aber was thut's! Ich habe
mein Joch auf acht Tage abgeschüttelt.,
die Freude soll leben!"
„Aber sagen Sie doch gefälligst, was
werden Sie hier anfangen?" fuhr Sa
vinien fort.
„Nun, ich werde thun, was alle Welt
hier thut. Aber wirklich, was treibt
man den» hier eigentlich?" fragte Frau
DeSvarenneS lebhaft.
„DaS ist Geschmackssache, " erwiderte
der Fürst. „ES leben hier zwei ganz
verschiedene Menschensorten; die eine be
sieht aus Leuten, die sich pflegen, die an
dere aus solchen, die sich amusiren. Die
erste Sorte kultivirt den kurgemäßen
langsamen Spaziergang im Sonnen
schein, aus der .Promenade deS AnglaiS'.
Die andre Sorte amusirt sich auf Aus
flügen mit Echellengeklingel, auf Wett
rennen, wo man die Ehance hat, sich das
legentlicheS unfreiwilliges Bad einErtra
vergnügen bildet. Die einen gehen mit
ihrem Leben sparsam um, wie Geiz
hälse; die andern vergeuden eS, wie Ver
schwender. Sehe» Sie, jetzt sängt eS
an, Nacht zu werden, die Luft wird kalt;
diejenigen »un, welche ihre Gesundheit
pflegen, kehren nach Hause zurück, wo
die lustigst« Stadt. Man stirbt hier,
weil man sich zu viel amusirt, und amu
„Es scheint also, der Aufenthalt hier
ist gefährlich?"
„O nein, Tante, nicht besonders,
namentlich aber durchaus nicht so amü
sant, wie der liebe Fürst ihn schildert.
Wir find hier ein Haufen junger Lebe
männer, welche die Zeit todischlage»,
aber gerade nicht."
„Den Speisaal will ich noch gelten
lassen," sagte Marechal, „aber da»
Taubenschießen muß doch auf di»
„Ab»r wie denn?"
„O, da« ist sehr einfach! Ein Herr
steht z. B. mit der Flinte in der Hand
vor dem Behälter, in dem sich die Tauben
befinden. Si« sagen mir: ,Jch wett«
fünfzig Louisdor, daß der Vogel fällt,'
und ich aniworte: ,E« gilt.' Der Herr
eust: .Pull', der Behälter öffnet sich,
die Taube fliegt aus und der Schuß
sällt. Nun ist entweder der Vogel ge
troffen, oder nicht und ich habe fünfzig
„DaS ist aber aufregend!" rief Su
sanne Herzog.
„Puh!" suhr Savinien mit ironischem
Gleichmuth fort, „eS ist eine Abwechse
lung i» dem ewigen Einerlei des Karten
spiels und amüsanter als das Wetten,
ob der nächste Fiaker ein« gerade oder
ungerade Nummer hat."
sagen?" sragte Pierre ernsthaft.
„Man fragt sie leider nichl um ihre
Meinung," antwortete Sergiu« lachend.
„Nun, und dann haben wir noch bat
Wettrennen und die Regatten ..."
„Und da weiten Sie auf die Pferde,'
unterbrach ihn Marechal.
„Oder auf die Boote."
„Mit and«rtnWorttn,man benützt dt
verschiedensten Vorkommnisse des Leben«
zum Hasardspiel."
„Und um das Ganze zu krönen, ha
ben wir des Abends den Klub, wo di,
eigentliche, große Partie gespielt wird
Dort herrscht das Baecarat, welches
übrigens auch keine große Abwechselung
darbietet. Hundert Louisdor! E«
gilt. Fünf, ich kaust. ES gibt
nämlich ein. Klaff, Mtnschtn, dit bti
fünf kaufen. Nun, ich decke auf.
Entweder ich ziehe den Gewinnst ei»,
oder ich zahl«, und das Spiel geht wei
ter. "
„Und da« geht bei der Hitze der Gas
flammen und in dichtem Tabaksrauch
vor sich, während der Himmel voller
Sterne glänzt und die Orangenbäumejo
köstlich dusten! Was ist das sür eine
lächerliche Eristenz!" sagt« Marechal.
„Eine Eiijkuz von Idioten, Mare
chal, eine Lebensweise, die mich, einen
Mann der ernsten Arbeit, dank der
Strenge meiner herrschsüchtigen Tante,
zur traurigen Eristenz, eines Vergnü.
gungsmenschen herabwürdigt, zu einer
Eristenz, die mich zwingt, eine mir
auserlegte Demüthigung mit gebeug
tem Haupte geduldig zu ertrage»
und in der Menge von Lebemännern auS
Berus unterzugehen. Sie wissen jetzt,
lieber Freund, so gründlich als nur mög
lich, wie diese Lebemänner ihre Zeit ver
bringen, und können daher einen den
wesentlichen Inhalt dieser Lebensweise
umfassenden Bericht darüber schreibe»,
dem Sie nach dem Muster eines Gebet
buchs de» Titel: „Stunden eine» Idio
ten" geben können. Ich garantire
Ihne» einen glänzenden Erfolg!"
Frau DeSvarennes, welche die erster
Worte dieser Red« angehört hatte, ach
tete nicht weiter auf die Fortsetzung. Si«
war in ein tiefe» Nachdenken versunken,
auf ihren erschlafften Gesichtszügen
konnte man die Spuren des Kummers
und der Sorge l«fen, die sich in diefeS
schöne Gesicht eingegraben hatten, das
den Einwirkungen deS Alter« so lange
Widerstand geleistet hatte. Ihre Schlä
fen waren gerunzelt', daS magere Kinn
ließ seine krästige Form deutlich erken
nen. Früher zeugte dies Kinn von
Willenskraft, jetzt schien «S nur noch
Starrsinn auszudrücken. Die immer
In der Nähe deS Fensters, an di»
Mitte de» Salon«.
Vierzehnte« Kapitel.
Micheline war im Begriff, ihrem
Mann zu folgen. Die Mutter aber er
griff ihre Hand und sagte mit saiistcm
Vorwurf, ohne aufzustehen: „Bleib ein
wenig bei mir; feit meiner Ankunft
habe» wir kaum zehn Worte miteinander
gesprochen. Bitte, sag' mir doch, freust
du dich auch, mich wiederzusehen?"
„Wie kannst du nur so fragen?" ant
wortete Micheline und setzte sich an ihrer
Mutter Seite aus « Sofa.
dir hören will," fuhr Frau DeSvarenne»
fort. „Daß du ei denkst, weiß ich
wohl, aber das genügt mir nicht."
und rief: „Liebe Mama!" AuSden
Augen dieser seit zwei Monaten Folter
qualen erduldenden Mutter rannen zwei
Thränen. Sie schloß die Tochter in
ihre Arme und drückte sie an die Brust,
wie ein Geiziger seinen Schatz an.sich
preßt.
„ES ist so lange her, daß ich diese
Worte vermisse, schon zwei Monat»!
Und während dieser ganzen Zeit «ar Ich
in jenem großen Hause, welche« nur von
dir allein erfüllt war, gänzlich einsam
und verlassen."
Die jung« Frau unterbrach ihre Mut
ter mit dem lebhaften Borwurf: „O,
Mama! Ich bitte dich, wann wirst du
endlich einmal vernünftig werden!"
„Vernünftig! Nicht wahr, daS bebtu
t«t. mich daran gewöhnen, ohne dich zu
leben, nachdem ich zwanzig Jahre hin
durch nur für dich gelebt habe? Ertra
gen, daß mir mein ganze« Glück gtraub»
wird, ohn« zu murrt»? Und fttzt, da ich
alt bin, bis an'« Ende meintr Tag« «in
haben?"
st«t. „Mutter!"
Aber die Prinzipalin war jetzt im
Zug und suhr, ohne sich zu mäßigen,
mit Icharier Stimme sort: „Ah,
ich muß dir sagen, dieser Herr sührt
sich mir gegenüber aus, daß
hinweg, obschon er weiß, daß mich meine
Geschäfte in Pari« zurückhalten "
„Du bist ungerecht, Mama," erwi
ordnen. was man selbst will!" fuhr die
Prinzipalin ärgerlich fort und schüttelte
verächtlich den Kops. „Dein Man» sagte
unserm gutenDoktor Rigaud: ,WaS mei
ne» Sie, würde meiner Frau ein Wimer
Als nun Micheline ihre Zweifel an
dem Gehörten äußern wollte, fuhr die
Prinzipalin fort: „Der Doktor sagte
es mir selbst, als ich ihn zur Rede
stellte. Ich hatte schon längst kein be-
Michcline suhlte, daß sie sich auf ein
sen, um ihre» Männern zu solgen. Es
ist das ein Naturgesetz. Du selbst bist
„Ah, wie du schmeicheln kannst, wenn
du willst! Und wie er glücklich ist, die
ser Sergius, daß er eine solch- Frau
AIS Micheline ein erstauntes Gesicht
machte, fuhr sie fort: „ES ist Zeit, darü
ber zu sprechen; du bist ernstlich be
droht!"
„In meiner Liebe?" fragte die junge
Micheline mußte herzlich auflachen.
„Wenn eS weiter nicht« ist!"
Dieser Leichtsinn brachte die Prinzi-
„Du hast gut lachen! Wenn dein
Mann eS so weiter treibt, wird binnen
nichts mehr übrig fein."
„Nun! " erwiderte die Fürstin sorglo«,
„dann gibst du un« eine andre!"
Frau DeSvarenne« nahm jetzt ihre
Geschäft«miene an: handelte eS sich doch
um eine wichtige GefchäftSangelegenheit.
„So! Du bildest dir wohl ein, meine
Kasse sei bodenlo«! Du erhieltst bei dei
ner Verheirathung vier Millionen, und
zwar anderthalb Millionen in Werthpa
lich im Geichäft behalten und zahle euch
davon die Zinsen. Di« anderthalb Mil
lionen sind nun dahin und mein Notar
schreibt mir, daß da» Anwesen in der
Rue de Riooli verkauft sei, von einer
anderweitigen Anlag! de« Gelde« aber
wußte er »ich:»."
Die Prinzipalin schwieg. Sie hatt«
diese Worte mit ihrer gefurchteren Güte
gesprochen, die ihre Stärke ausmachte.
Sie blickte Micheline fest an und fragte:
„Wußtest du dies alles, meine Tochter?"
Die Fürstin war sehr bestürzt, denn
jetzt handelte es sich nicht um eine Ge
fühlssache, sondern um eine furchtbar
ernste materielle Angelegenheit. Sie
antwortete leise: „Nein, Mama."
„Wie ist daS möglich?" rief. Frau
DeSvarenneS heftig, „ohne deine Unter
schrift konnte er nichts thun!"
„Ich habe sie ihm gegeben", flüsterte
Micheline.
„Du hast sie ihm gegeben," wieder
holte die Prinzipalin in Hellem Zorn. —
,Und wann geschah es?"
„Am Tage nach der Hochzelt."
„Wie, er hatte die Unverschämtheit,
am Tage nach der Hochzeit dein« Unter
schrift zu verlangen?"
„Aus Vorsicht! Mit einem lockeren
her... Ich sagte dir nicht«, weil du, bei
deinem Eharakter, die Heirath rückgän
gig gemacht haben würdest, ich aber
alles verschwenden, ich b>» im Voraus
entschädigt!"
Die Prinzipalin zuckte die Achseln.
.Meine Tochter," sagte sie, ..du bist
so verrückt, daß man dich einsperren
sollte. Mein Gott, was ist nur an die'
fem Mcmche» daß er allen Fraueu den
Kops verdreht?"
Blick aus >hre Mutler.
gen kann. Eine Thräne und ein Kuß!
Soll daS ein Ersatz süc dein« Mitgift
fem?"
sein!"
Dummheiten zu begehen. Wozu braucht
ihr ein Gestüt für Rennpferde?"
„O, er hat fo reizende Farben ge-
und rosa Mütze! Wundervoll!"
„Findest du? Nun du bist leicht
zu befriedigen!" erwiderte Frau DeS
varenneS, lebhafter werden; „und der
Klub, und da« Spiel? Wai sagst du
dazu?"
Sergius schmerzte die Pnnzipalln und
brachle sie außer sich.
„Laß mich in Ruhe!" fuhr sie heftig
fort, >,ich weiß Bescheid. Er läßt dich
fast jeden Abend allein, um mit seinen
sie führen den König so leichlsinnig in'«
Feld, daß die Legitimisten sie sogar
darum beiicide» konnten. Willst du,
er, niit den Pferden sährt er fort und
mit den leichtsinnige» Weibern wird er
enden!"
„Mama!" rief Micheline, die sich bit
an'« Herz getroffen fühlte.
„Und mit deinem Gelde bezahlt e,
wieder aus den rechten Weg zu brinqen.
Ich will das Herrchen so zügeln, daß er
künftig geradeaus marschiren soll, dasür
bürge ich." . '
Micheline erblich; sie richtete sich in
die Höhe, so daß ihre Muller erschrak,
ein Wort zu sagen, du würdest mich dein
Lebenlang nicht wiedersehen!"
Frau DeSvarenne wich vor ihrer
Tochter zurück. Da? war nicht mehr die
schwache Micheline, eren ganze Krast
in ihren Thränen ber hte; nein, ein lei
denschastlicheS Weib ind vor ihr, wel»
cheS ihren Geliebten immig zu verthei
digen entschlossen war. AIS nun Frau
DeSvarenne» regungslos dastand, unt
sich nicht getraute, nur noch ein Wort z«
erwidern, da begann Micheline mit trauri,
gee, aber fester Stimm« aus « Neue
,Mutt«r ditse Erklärung war uno«r>
ineiblich. Ich sühlte schon im Borau« de«
Siymerz. den si, mir verursachen würde,
d«nn ich wußte, daß zwischen der Lieb«
Achtung für dich »in Konflikt entstehe«
müsse."
„Ich sehe, d?ß du, ohne zu schwan
ken, deine Wahl getroffen hast >'
„Da« war mein« Pflicht; hätte ich st«
außer Acht gelass«», so würdest du nzjl
deinem gesunden Menschenverstand selbst
eingesehen haben, daß ich unrecht thue."
voll. „Was «st mit dir vorgegangen!
Ist da» mein« Tochter, die so spricht?
Unsinnige, siehst du denn nicht, wohin
dich da» alles sührt? Du rinnst in dein
Unglück! Glaubt nur ja nicht, daß e«
Eifersucht ist, die meine Wort« diktirt,
nein, eS ist ein «dlereS Gefühl und ich
Die Fürstin schüttelt» hoheitSvoll da«
Haupt und lächelte: „Du kennst ihn
nicht, Maina. Er ist ein wahrer Edel.
Widerstand entgegensetzt. Du rügst seine
Lebensweise, denn du begreifst sie nicht;
ich aber versteht ihn. Er ist »un ein
mal auS anbtrm Holz geschnitzt al«
wir. Der rassinirte Lurus, entbehr,
lich sür uns beide, ist ihm Be
dürfniß, und eS wäre für ihn äußerst
Die Mutter war besiegt. Sie hatte
„Nicht wahr, lieb Mütterlein, du
tert wurde, in die Arme.
„Ich will thun, waS du begehrst,"
sagte Frau DeSvarenneS und küßte da«
Marechal und Susanne gefolgt, eili
gen Schrilles die Stusen der Treppe
herauf.
„Herr Le Brede hat Orangen ge
pflückt, " sagte Marechal, „und bcnützt
sie, um Bilboquet damit zu spielen »nd
sie mit seiner Nase aufzufangen; Herr
du Tremblay, den di» Erfolge feines
und diesmal für immer. Jeanne de
zauberte ch» und er war jetzt verliebt»»,
geworden. Unsähig, die Gedanken sei
ner Gefährtin zu «niräthseln, »ar Cay
eol ausrichiig überzeugt, daß er sich ohn«
in Anspruch, die Metamorphos« seiner
Frau^, bewirkt zu haben, und war stolz
darauf
Geist und beruhigte ihr Blut. Der
zu hören, und die Augen geschlossen,
um nicht» zu sehen. Die Prinzi
palin fragte sich nun, und zwar ganz
hatte. Man brauchte ditst Gesellschaft,
Geist noch Seele beherrschten di« Eri>
stenz dieser Menschen, sie lebten au«,
schließlich aus Kosten ihrer Nerven,
und diese wurden so sehr angestrengt,
daß sie schließlich reißen mußten. An
di« Stelle der Thätigkeit war die Aus
legung getreten. Sie glichen in ihrem
weltlichen Treiben dein Eichhörnchen
im Käsig, da» beständig wi« toll um
herwirbelt und sich einbildet, daß eS
vorwärts komme, weil e« fortwährend
al« blödsinnig im Irrenhause. Wa« hatte
sie, die Arbeiterin, inmitten dieser Welt
der Fäulniß zu schassen? Konnt« sie
gegen überboten sich gegenseitig, andere
Böse« zu lehr«». Diesen Kreb«schaden
de« »ergold«ten Laster« mußt» man flie
als «r sah, daß si« sich allein entfernte.
In dem Winkel der breiten Thüröff
er horchte.
„Setze dich, Jeanne." sagte die Prin
zipalin; „unser Gespräch wird nur kurz
sein; ich konnte e« nicht länger verschie-
„Wie, Sie wollen schon wieder ab
reise»?-
.Ja, Ich verließ Pari» nur um meiner
ei». Tann erwiderie Jeanne: .Ich
fürchtete, durch meine Weigerung seine»
Verdacht zu erregen."
lFortsetzung folgt.)
Abenteuer t» »er Reujahr»«acht«
Am Sylvesterabend gegen 10 Uhr
erschien in der Wohnung de» Tischler
meister« Sch. in Berlin ein Dienstmanti
mit einem Briefchen, daS ihm zur eili
gen Bestellung übergeben worden war.
„Ja, das thut mir leid," sagte da»
Dienstmädchen, .jetzt ist der Herr nicht
da: er ist in seinem Berein, dort habe»
sie eine Maskerade."—»ES ist mir aber
gesagt worden, der Bnes müßte unbe
dingt bestellt werden, er ist wichtig,"
meinte der genusfenhaste Dienstmann.
.Nun, dann werde ich ihn dem
Herrn hinbringen," sagte da» Mädchen,
machte schnell Toilette und begab sich
auf den Weg. Sie traf ihren Dienst-
Herrn in dem prächtigem Kostüm eine»
Türken, mit einem fürchterlich krummen
Säbel an der Seite. .Die Sache wäre
sehr eilig," sagte da» Mädchen bei
Uebergabe de» Briese», »sie müßte heut«
noch erledigt werden."
Herr Sch. öffnet hastiz da» Billet;
er ist viel zueisriger Geschäftsmann,
um sein Vergnügen dringlicheren An
gelegenheiten voranzustellen. Einer
seiner Freunde, der Bauunternehmer
B, schrieb ihm, er möge sogleich in da»
gemeinsame Stammlokal kommen. B.
hatte ihm schon mehrfach größere Arbei
ten zugewiesen, gewiß war der liebe
Freund wieder in der Lage, ihm einen
solchen Dienst zu leisten. Da durfte
freilich nicht gezögert werden. Er ließ
sich in der Garderobe seinen Ueberzieher
geben, nef auf der Stiäßeeine Droscht«
an und fuhr in da» Stammlokal. Dort
kannte ihn Jedermann, mochte man ihn
auch etwas anulken, wenn er als Türke
auftrat das Geschäft war die Haupt
sache, und wer zuletzt lacht, lacht an«
besten. .Wo ist B. ?" Ries er der durch
seine äußere Erscheinung belustigten
Tafelrunde zu. —„Der sitzt jetzt in P.'S
Restaurant in der Linienstraße," würd«
ihm zum Bescheid. „Bis vor einer
halben Stunde hat er mit einem anderen
Herrn auf Sie gewartet." Herr Sch.
eilt hinaus, bestellt wieder eine Droschke
und fährt nach der Linienstraße. Hier,
in dem fremden Restaurant, kann er aber
unmöglich als Türke austreten, denn der
Ueberzieher vermag nur einen Theil sei
ner orientalischen Tracht zu verdecken.
Er bittet den Kutscher,in daZ Lokal hin
einzugehen,nach Herrn B. zu fragen und
diesen zu ersuchen, auf einen Augenblick
herauszukommen. Kaum hat der Kut
scher das Lokal betreten, als ein vor
übergehender Bursche auf den Einfall
kommt, seiner Sylvesterstimmnng durch
da« Abbrennen eine» Schwärmers einen
erhebenden Ausdruck zu geben.
Der sonst so vernünftige Gaul von
der Droschte des Herrn Sch. saßt die
Sache mißverständlich auf, vermuthet
ein Attentat und nimmt Reißaus. Herr
Sch. ist in arger Noth, er öffnet da»
Fenster und schreit um Hilfe. In der
Nähe der Ackerstraße wird endlich da»
Roß angehalten. Herr Sch. nimmt e»
am Zaum und bringt es im langsame»
Schritt nach dem P.'schen Restaurant
zurück. Der Eigenthümer deS Fuhr
werk» hat dies bereits verlassen, er be
findet sich aus der Suche nach Roß und
Gefährt. Der Tischler ist wüthend
was in aller Welt soll er mit der
Droschke anfangen! Endlich kommt
der Kutscher athemlos angerannt. ES
erfolgt eine lange Auseinandersetzung,
die damit endet, daß Herr Sch. dem
gekränkten Kutscher ein Zehnmarkstück
in die Hand drückt.
Dem Tischler ist inzwischen alle
Sylvesterfreude vergangen, er eilt nach
dem BereinSlokal, um seine Gattin ab
zuholen. Es wird noch zwei, drei Mal
herumgetanzt, dann geht man nach
Hause, gerade, nachdem die Uhr Eins
geschlagen hat und das feierliche Ge
laute der Kirchenglocken verstumm ist.
Aus der dunklen Treppe zündet Herr
Sch. seinen Fünfminutenbrenner an
und verdrießlich steigt man zur dritten
Etage empor.
.Aber um'» HimmelSwillen, Anna,
was fällt Ihnen ein?" rust Frau Sch.,
als sie vor ihrer Wohnung angelangt
sind, „weshalb sitzen Sie aus der
Treppe?"
„Ach Gott," jammerte das Mädchen,
„als ich heute Abend dem Herrn de»
Brief brachte, da hab' ich in der Eile
vergesse», den Drücker mitzunehmen,
und als ich wiederkam, da konnt? ich
nicht hinein. Da sitze ich nun schon
drei geschlagene Stunden."
Die Verwünschung, die jetzt dem
Munde des Tischlermeisters entfuhr,
soll sich, nach seiner eigenen Versiche
rung, denn er hat seine Abenteuer
unserem Gewährsmann selbst erzählt,
schauerlich angehört haben.
.Unglückliche," fügte seine Gattin bei,
„wir haben ja auch keinen Drücker.
Und wo sollen wir jetzt, in der Neu
jahrSnacht, einen Schlosser herholen,
der uns die Thür öffnet?"
„Wenn doch nur ein schwerer Ein
brecher käme," rief der Tischler. „Sonst
kommen sie ungerusen, aber wenn man
sie braucht, ist keiner zu haben. Eine
schöne Wirthschaft das!"
Anna. daS Mädchen ohne Drücker,
faßte beim Anblick de» Jammers, der
sich ihr darbot, einen kühnen Entschluß
und erhob sich, um auf einen Schlosser
lagtz zu machen. Nach einer Stunde
brachte sie wirklich einen an.
Am Neujahrs-Morgen suchte Herr
Sch. in aller Frühe seinen Freund, den
Bauunternehmer, auf, um von ihm die
wichtigen Mittheilungen entgegenzu
nehmen, um derentwillen er zu all' den
schlimmen Abenteuern gekommen war.
„Ach. Sie wollten ja immer in der
preußischen Lotterie spielen," sagte 8.,
der noch schlaftrunken im Bette lag;
„und da traf ich gerade gestern einen
Freund, der ein Viertel abgeben will.
Aber schnelle Entscheidung ist nöthig.
UebrigenS wollten wir auch eine»
dritten Manu zum Skat haben...."
Strafe. Die kleine Erna de
mühte sich aus dem Hose vergeblich, ein
Huhn zu greifen. „Warte," rust sie
schließlich aus, „o, wenn von dir Supp«
gekocht wird, ess' ich wieder nicht. 3