Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, January 21, 1892, Page 3, Image 3

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    Sergius Uanin.
<t»man »» n <se « rge » Ohne«.
s 7. Fortsetzung )
Cayrol war wirklich nicht glücklich
tnspirirt. Jeann« sprang auf wi« «ine
Hindin, di« im Dickicht «in«» Schuß
hört.
„WaS, sie dort aufsuchen!" rief si«.
„Um mit ihnen die Reise gemeinschaft»
tich fortzusetzen. Eine Partie zu vieren,
zwei junge Ehepaare; da» wird r«iz«nd
s«in! Sergius, dem ich meinen Pia»
mitgetheilt habe, machte zuerst Ein
wände, als mir ober di« Fürstin zu
Hilfe kam und er dann sah, daß seine
nur der Form wegen. Man mag im
merhin sag«n. di« Litb« sei der Egois
mus zu zweien; aber nach vierzehn
wir, unserer Vier in einem Schiffchen,
in dieser himmlischen Naiur schwelgen."
Cayrol hätte noch stundenlang sort
fprechen, hätte noch den ganzen Bädeker
ritirrn können, Jeanne hörte nicht mehr
auf ihn sie sann nach. Alle ihre An-
Hinführe«, wenn sie glaubte, ihm «nt
flohen zu sein. Und ihr «ig«n«r Mann
war e», der diese erzwungene Vereini
gung herbeiführte. Ein düstere» Hohn
lächeln umspielte ihre Lippen. Es lag
rol s«lbst stin Weib dem Fürst«» in di«
ihm meinen Plan auseinandersetzte."
Jeanne wandte sich hastig ab. Dieser
Vergleich, den Cayrol unwillkürlich
Einfalt dieses Ehemanne» fing an, ihr
lästig zu werden.
Der Bankier, gänzlich verwirrt durch
den üblen Eindruck, den sein Projekt
hervorgebracht, suhr sort: „Sollte
Ihnen mein« Reise zuwider sein? Ich
bin sofort bereit, darauf zu verzich
ten"
So viel Nachgiebigkeit rührt« das
sung« Weib. „Nun ja," sagl« si« b«-
sänstigt, „Sie würden mich zu Dank
verpflichte»."
»Ich hofjte, Ihne» eine angenehm«
Ueberraschung zu bereiten," erwidert«
Cayrol, „habe ich mich aber geirrt, so ist
es an mir, mich zu entschuldigen. Wir
wolle» also in Pari» bleiben; wo ich
mich auch befinden mag, wen» ich nur
bei Ihnen bin, so hab« ich lein« weite
r«n Wünsche."
Er näherte sich ihr und flüsterte mit
glühenden Blicken: „Sie sind so schön,
Jeanne, »nd ich liebe Si« 'chon so
lange...."
Sie zog sich erschrocken von ihm zu
rück. Cayrol legte ihr in höchster Er
regung den Ueberwurs um die Schultern
und sagte, sich zur Thür wendend: „Der
Wag«n ist bereit, wir können fahren."
sie rührte sich nicht.
„Lassen Sie uns noch einen Moment
warten," sagte sie endlich.
Cayrol erwiderte mit gezwungenem
Lächeln: „Soeben erst lrieben Sie mich
zur Eile."
Das war richtig. Aber e« hatte sich
plötzlich in diesem jungen Weibe eine
Uniwandlung vollzogen; ihre Energie
verschwunden, sie fühlte sich gänz«
Mch erschlasft. Der Gedanke, mit Cay-
Wl abzureisen und sich mit ihm allein
enge» Wage» zu b«find«n,
wM ihr schrecklich. Si« blickt« ihn an
u»W sah wie in «inem Nibel di« Ge«
stalN dieses dicken Manne», dessen Lei
beSsWe sein Vorhemd geknickt hatte,
sah dit geratheten Fleifchwülst« an f«in«m
starkeii Auv«rgnat«n - Nack«n, wie sie
über soinem Kragen hervorquollen, sah
die flach gedrückten Ohren, an denen
nur nitch die Ohrringe fehlten, sah
seine d«en behaarten Hände und de»
glä»zei'«cn neuen Trauring am Fing«r.
tigen das seine und spöttische
d>« blauen Augen und den lan
gen blonde!» Schnurrbarl de» Fürsten.
Eine tiese Traurigkeit bemächtigte sich
der jungen Frau und ihr« Aug«» würd«»
feucht.
„Wa» ist Ihnen? Si« w«in«n?'
rief Cayrol unruhig.
„Es ist nichts, meine Nerven sind
etwa« angegrissen. Ich erinner« mich
soeben, daß dieses Schloß, in dem wir
unS befinden, meinen Namen trägt.
Hier war «S, wo ich m«in« Kindheit zu
brachte, hier starb mein Vater. Tausend
Bande knüpfen mich an diese Wohnung
und ich kann si« nicht ohn« lies« Ge
müthsbewegung verlassen."
„ES «»wartet Sie eine ander«, eine
lachende, prächtig geschmückte Woh
nung, " flüsterte Cayrol leise, „«in«
Wohnung, di« Jhr«r würdig ist. Dort
werden Si« künftig leben, an meiner
S«ite, glücklich durch mich, ganz di«
Mein«."
Dann bat er mit heißem Flehen:
„Jeanne, lassen Sie un» fahren!"
Er wollte sie in seine Arme schließen.
Das junge Weib entwand sich ihm und
ries zurückweichend: „Lassen Sie mich!"
Cayrol blickte sie bestürzt an.
„Was hab«» Si«? Si« zittern, sind
ganz «rschrocken!"
Er versuchte zu scherzen: „Bin ich
denn so sürchlerlich? Oder ist «» d«r
G«danke, von hier fortgehen zu müs
sen, der Sie so beunruhigt? Ist e»
dies, warum sagten Sie «s nicht srü-
her? Ich kann da« b«gr«lftn. Biti
ben wir also hier im Schloss«, ein«n
Tag, zwei Tage, so lange wir wollen.
Ich habe meine Geschäfte so geordnet,
daß ich gänzlich frei bin. Unser Para
dies kann warten."
Der Ton seiner Stimme klang ganz
harmlos, aber man konnt« doch «inen
Schimmer von Unruh« an ihm wahr
nehmen. Jeanne näherte sich ihm
zögernd, «rgrifs sein« Hand und sagt«
Nichts, als daß Sie mit mir zusritdtn
sein möchten."
„Nun denn, -rollen Sie wir einen
Gesollt«: erweisen /" fuhr die junge Frau
fort.
„Ob ich eS will?" rief Cayrol eifrig,'
„was soll ich thun?"
„Frau DeSvarenniS wird sehr betrübt
sein, wenn morgen »hre Tochter fort ist;
sie wird Tpost und Zerstreuung nöthig
haben.... "
„Ah, ah!" fiel Cayrol ,tn dem ein
Licht aufzugehen schien, da wollen
Si« "
„Ich möcht« «in« Zeit lang bei ihr
bleib«». Si« könnt«» uns dann täglich
b«suchen, zum B«ispi«l morg«n schon...
Ich würde Jhn«n sehr dankbar sein und
Sie recht lieb haben. "
„Aber, aber, aber!" rief Cayrol,
ganz fassungslos, „wa» fällt Ihnen
denn ein, Jeanne! Wie, meine Lieb«,
Si« wollen, daß ich heute Abend allein
nach Paris zurückkehre? Wa» wird denn
m«in« Dienerschaft dazu sagen? Sie
laden ja den Fluch der Lächerlichkeit auf
mich!"
Er sah wahrhaft kläglich aus. dieser
arme Cayrol. Jeanne sah ihn an,
jung« Frau.
„Wa« damit di«L!«be zu schassen hat.
w«iß ich wirklich nicht!" ries
Cayrols „im Gegentheil! Aber Ich, ich
„Soll ich eS Ihnen etwa dadurch be
weisen, daß ich Sie verlasse? Wahrlich,
Jeanne. ich bin bereit, alle» für Sie zu
thun, alle Ihre Launen zu befriedigen,
solange si« », den Grenz«» d«r Möglich
keit bleibe». Si« scheinen sich über
Sie sind mein Weib, und das Weib
muß seinem Manne solgen, so schreibt
«» das Gesetz vor."
„Also bloß auf Grund des Gesetze»
wollen Sie mich festhalten?" erwiderte
Jeanne heslig werdend; „sollten Sie
vielleicht vergessen haben, waS ich Ihnen
Ihnen gebe."
„Und ich antwortete Ihnen, daß eS
meine Sache sei» würde, Ihr Herz zu
Liebe," fuhr der Bankier mit entschlos
sener Miene fort, „Sie b«handeln mich
wie «in Kind, Ich bin nicht so «insäl
tig, wie Sie meinen. Ich weiß, was
reizende Schamhastigkeit, nur dars sie
nicht zu lange währen."
Jeanne wandt« sich ab, ohne ihn eine»
Antwort zu würdigen. Ihr Antlitz
nahm einen andern Ausdruck an, «s
„Wahrlich, Sie könnten einen Heili
gen ungeduldig machen!" suhr Cayrol
sort. „Bitte, sagen Sie mir doch end
lich, was dies Benehmen bedeuten soll?"
Die junge Frau schwieg noch immer;
sie fand keine Gründ« mehr und hatte
sich in eine Sackgasse verrannt, aus d«i
si« k«inen Ausweg mehr wußte. Durch
den Widerstand ermüdet, fühlte sie sich
tief entmuthigt, aber si« wollte dennoch
nicht nachgeben; si« schauderte vordem
Gedanken, diesem Manne anzugehören;
an eine so brutal« und g«m«in« Lösung
ditstS Abenteuers hatte sie nie gedacht;
jetzt, als sie vor ihr stand, «mpsand sie
Cayrol vcrsolgte mit unruhigem Blick
die wachsende Angst, die sich im Ant
litz seiner Frau abspiegelte. Er
hatte «ine Ahnung, daß sie ihm etwas
verheimlich«. Bei diesem Gedanken
stieg Hm eine Blutwelle bi» an « Herz;
er glaubte ersticken zu müssen. Nun
wollte er Gewißheit haben, und mit
dem Verdacht war auch seine Schlauheit
wied«r zurückgekehrt; er näherte sich
Jeanne und sagte mit zärtlicher Stimme:
»Hören Sie, m«in li«b«» Kind, ich so
wohl, als auch Si«, wir b«id« sind auf
Abwtge gerathen; ich, weil ich zu laut
spreche, Sie, weil Sie sich weigern,
mich zu versteh«». Vergessen Sie jetzt,
daß ich Ihr Mann bin, sehen Sie in mir
nur einen Freund und sprechen Sie
offen. Ihr Widerstand verbirgt ein
Geheimniß; Si« hatten einen Kummer,
ein« Enttäuschung.... *
Jeanne wurde gerührt und antwortete
tonloS: „Sprechen Si« nicht so zu mir,
lass«» Sie mich."
„Nein," fuhr Cayrol fchonungSvoll
fort, „wir sangen jetzt, unser Leben an,
und darum dars zwischen un» kein Miß
»erständniß herrschen. Seien Sie auf
richtig, und Sie werden mich nachsichtig
sind?». Die jungen Mädchen sind gar
häufig phantastisch: sie träumen von
einem Ideal, bilden sich etwa« von einer
Liebe ein, die nicht erwidert wird, die
vielleicht derjenige, auf den sie sich be
zieht, nicht einmal kennt. Und dann
stürzt man plötzlich in die prosaische
Wirklichkeit hinab. Man sieht sich einem
Gatten gegenüber, der nicht« von dem
ersehnten Romeo an sich hat, der aber
ein braver, ergebener, liebender Mann
ist, welch« alle Wunden, di« nicht er
geschlagen hat, zu heilen bereit ist.
Man fürchtet sich vor diesem Gatten,
man mißtraut ihm, man weigert
sich, ihm zu folgen. Aber man hat
unrecht, denn unter seinem Schutze,
i» einer gesunden und ehrenhaften Eri
stenz, an der er euch theilnehineu läßt,
findet man zunächst da« Bergessen und
schließlich auch den Frieden mit sich
selbst."
Cayrols Stimme zitterte! mit einem
von fürchterlicher Seelenpein gequälten
Herzen sucht« er in Jeanne» Zügen den
Eindruck seiner Worte zu erspähen. St«
hatte sich abgewandt. Cayrol neigte sich
zu ihr nieder und sagte: .Sie antworten
mir nicht?"
Ali sie jedoch immer noch schwieg, er»
griff er ihr« Hand nnd zwang sie ihn
anzusehen. Da erblickte er ein in Thrä
nen gebadetes Gesicht. Er stutzte
ein« raftnde Wuth bemächtigte sich
seiner,
„Sie weinen!» rief er, „Es ist als»
wahr, Sie haben geliebt?"
Jeanne sprang aus; sie erkannte ihr«
Unvorsichtigkeit und sah, daß man ihr
«in« Falle gestellt hatte; ihre Wangen be'
deckten sich mit einer verzehrendenGlulh;
sie trocknete ihre Thräne», wandte sich an
Cayrol und fragt« ihn: .Wer sagt
das?"
„Sie täuschen mich nicht,' erwidert«
der Bankier heslig, „ich habe ei in Ihren
Blicken gelesen! Jetzt aber den Namen
dieses Mannes, ich will den Namen
wissen!"
Jeanne sah ihm fest in's Gesicht und
sagt« entschlossen: „Niemals!"
„Ah," ries Cayrol, ,da» ist «in Ge>
fiändniß!"
„Sie haben mich durch Ihre angenom
mene Sanstinuth auf eine unwürdige
Weis« getäuscht," unterbrach ihn Jeanne
stolz, „ich sag-kein Wort mehr."
Mit eine», Satz sprang er aus sie zu:
der grobe Bauernlümmel regte sich in
ihm; er stieß eine sürchterliche Schmä
hung auS und packte sie am Arm.
„Nehmen Sie sich in Acht! Spot
ten Sie meiner nicht! Sprechen Sie'
Ich will eS. oder ~.. "
Er schüttelte sie brutal.
Jeanne war entrüstet; sie stieß einen
Zornesschrei auS, riß sich von ihm IoS
und riej empört: „Lassen Sie mich lo»!
Mir graut vor Ihnen!"
Der Mann war außer sich; bleich wie
der Tod, krampjhast zitternd nnd nicht
im Stande, «in Wort hervorzubringen,
wollte er sich eben aus sie losstürzen,
als sich di« Thür össnele und die Prinzi
palin mit den Briefen erschien, die sie
für Cayrol ausgefertigt hatte. Jeanne
stieß einen Freudenschrei aus und wars
sich ungestüm in die Arme derjenigen,
die Mutterstelle an ihr vertreten hatte.
Elftes Kapitel.
Frau DeSvarenneS sah aus den ersten
Blick, was hier vorgegangen war.
Sie erblickte Bayrol, leichenblaß, schlot
ternd und fassungslos, während sich
Jeanne bebend und zitternd an ihre Brust
schmiegte; sie ahnte, daß hier eine bose
Scene stattgefunden haben müsse, und
suchte möglichst ruhig und kalt zu blei
ben, um den Widerstand, dem sie mög
licherweise begegnen würde, leichter die
Spitze bieten zu können.
„Was ist denn hier loS?" fragte sie
Cayrol, indem sie ihn streng anblickte.
„Ein unvorhergesehenes Ereigniß."
erwiderte der Bankier mit krampfhaftem
Lachen; „Madame weigert sich mir zu
folgen."
Die Prinzipalin schob die junge Frau,
welche sich sest an ihre Schulter anklam
merte, sanst von sich und fragt«: .Und
weshalb?"
Jeanne blieb stumm.
„Sie traut sich nicht, eS zu jagen!"
begann Cayrol, d«n sein« eigenen Worte
wieder muthiger gemacht halten. „Es
scheint, sie hat ein« unglücklich« Liebe im
Herzen! Nnd da ich d«m von ihr ge
träumten Ideal nicht entspreche, so em
pfindet Madame einen Widerwillen gegen
mich. Sie werden einsehen, daß dies«
Ang«leg«nheit auf solch« Wtist nicht
«nden kann. Man sagt doch nicht seinem
Mann zwöls Stunden nach der Trauung :
Mein Herr, e» ist mir zwar sehr l«id,
aber ich liebe einen andern! DaS wäre
ja recht bequem! Auf solche Launen
kann ich mich nicht einlassen, sühle auch
gar nicht den Berus in mir, die Rolle
eines Sganarelle zu spielen."
„Cayrol, thun Sie mir den Gefallen,
und schreien Sie nicht so!" sagte Frau
DeSvarenneS ruhig. „ES muß ein Miß
verständnis zwischen diesem Kinde und
Ihnen herrschen,"
Der Ehemann zuckte heftig fein,
stimmigen Schultern.
„Ein Mißverständniß! Teufel auch,
dal glaub' ich wohl I Ihre zarten
Umschreibungen können mir gefallen!
Ein Mißocrständniß ! Sagen Sie lieber
«ine unwürdige Täuschung! Aber „die
sen Herrn", den will ich kennen lernen I
Sie muß sich aussprechen. Ich bin keiner
von jenen gezierten und artigen Gentle
men; ich bin ein Bauer, und wenn ich.. "
„Genug!" rief Frau DeSvarenneS
und gab der kolossalen Faust, welche
Cayrol wie ein Schlächter, der einen
Ochsen zu sällen im Begriff ist, drohend
emporhielt, einen leichten Schlag.
Dann näherte sie sich dem wüthen-
Fenster: „Sind Sie toll, daß Sie
da« arme Kind so hart ansahen.
Gehen Sie einstweilen in mein
Zimmer. Ihnen wird sie jetzt doch
nicht» mehr sagen, mir dagegen vertraut
sie alles an, wir werden alsdann wissen,
wa» wir davon zu halten haben."
Cayrols Antlitz klärt« sich nun witder
auf und er sagte: „Ja, Sie haben recht,
Sie haben immer recht! Sie müssen
mich entschuldigen, ich verstehe nicht mit
Weibern umzugehen. Kanzeln Sie si«
tüchtig ab und setzen Sie ihr den Kopf
zurecht. Aber lassen Sie sie ja nicht
au» den Augen, sie wäre irgend einer
Frau DtSoarenne» lächelte und ant-
wartete ihm: .Seien Sie ganz unbe
sorgt."
Indem j:e dem abgehenden Cayrol
noch zuwinkte, kehrt« sie zu Jeanne zu
allein; erzähl« mir. Wa« hier passirt ist.
Wir Frauc» »nl,e un» verstehe» uu» ja.
Du fürchtest l>''ch, nicht wahr?"
auȟbe, sie konnte den Blick nicht von
ihr losreißen. Au» der Ti«f« ihre« In
nern aber tauchte stet« wi«d«r ein Ge
danke in ihr empor, der Gedanke an ihr
hoffnungslose» Leiden. Frau DeSva'
renne» betrachtete sie eine Zeitlang und
berührte dann ihre Schulter.
„Du willst mir also nicht antworten?
Hast kein Zutrauen zu mir? War ich e«
nicht, dir Dich erzogen hat? Und habe
ich Dich auch nicht geboren, so genügten
Vöglein >n fein Nest flüchtet und sich
unter die schützenvi» mütterlichen Flügel
vkrbirgl.
Dieser stumm«, verzweiflungZvoll«
sondern einen andern Mann. Weshalb
hatte sie denn nichiS gesagt, weshalb siH
mit dem Bankier vermählen lassen?
Wer ist eZ. den du liebst? Ich begreife,
daß du es deinem Manne verheimlichst,
aber mir? "
ahnte die Gefahr, der sie entgegenging.
Vor Frau DeSvarenne« ein Gekänduih
abl«gen, ihr den Namen desjenigen nen>
Augen an
„Barmherzigkeit! Vergessen Sie mein«
Thränen! Glauben Sie nicht, ivai
Sie nie etwa? zu erfahren! Lüften
Sie den Schleier dieses Geheimnisse»
nicht!"
„Ah! Der. um den es sich hier han
delt, steht mir also so nahe, daß du so>
Sic verstummte; ihre Augen wurden
starr, sie stierte vor sich hin, ohne «twa»
zu sehen, sie suchte.
„Ich bitte Sie!" rief Jeanne angst,
voll und bedeckte Frau DeSvarenneS'
wollte.
„Hätte ich einen Sohn", sagte di,
Prinzipalin, „so könnte ich glauben..'
Plötzlich verstummte sie, ward todten,
bleich und trat aus Jeanne z», ihre»
Blick bis in deren Seele versenkend.
„Ist eS .... " begann sie.
„Nein, nein!" unterbrach sie Jeann«,
schaudernd vor Schreck, daß Frau D«S
vartnne» aufbrausend, „du hast ihn als«
aus meine!! Lippen gel«s«n? Unglücklich«,
der Man», den du liebst, ist der Gatt«
Meiner Tochter! Der Au»druck, mi>
!,em Frau DeZoarenne» diese« „mein'
betonte, wzc von einer überivällig«».
d«n Tragik. Er ließ ahnen, daß dies,
Mutter, um da! Glück ihre» Kinde» zu
vertheidigen, ihres Kinde«, das si« v«r
göttirl«, zu allem sähig sei. Strgiu»
hall« ganz richtig gerechnet; zwischen
Jeanne und Micheline war sür Frau
De«oarenneZ kein Schwanken möglich.
Die Well hält» zusammenbrechen kön
nen, und sie würbe au« den Trümmern
für ihr« Tochi«e «in Asyl «rrichtel hab«n,
wo dies« lächelnd >»nd heiter w«it«rleben
könnt«.
Jeann« war g«brochen ni«derg«sunken.
Die Prinzipalin riß si« heilig «mpor;
si« kannte jetzt keine Schonung mehr.
w«rd«n, sie mußt« st« sagen.
„Oh, verzeihen Sie mir!' jammerte
das jung« Weib.
„Al» ob sich » darum handelt«! Ein
einziges Wort, sprich: Liebt er dich?'
„Weiß ich eS denn?"
„Er hat eS dir gesagt?"
„Und er hat Micheline geheirathet!"
ries Frau DeSvarenne» mit ein«m sürch
t«rlich«n Ausdruck. „Mißtraut« ich ihm
doch! Weshalb nur solgl« ich nicht
meinem Gefühl!"
Wie ein« Löwin in ihrem tkjsig. lies
hielt si« plötzlich inn« und blieb vor
Jeann« stehen.
„Du mußt mir helfen, Micheline zu
retten I"
Ihr einziger Gedank« war da» eigen«
Kind. Ohn« nur einen Augenblick zu
zaudern, gänzlich unbewußt, ließ sie die
andere, da» Adoptivkind, im Stich. St«
fordtrt« von ihr, gl«ichsam al» «in«
Schuld, da« Heil ihrer Tochter.
„WaS hat sie denn zu befürchten?"
antwortete Jeann« bitt«r. „Sie trium
phirt ja, denn si« ist f«in Weib."
„Aber wenn «r si« nun verließe?"
sagte die Mutter voller Angst. Dann
rief sie, sich b«sinn«nd: „Und «r hat mir
doch g«fchwor«n, daß «r si« lieb«!"
„Er hat gelogen I" ri«f Jeann« außer
sich. „Er hal Michelin« um ihr«» Gel
de» willen gehnralhet."
„Aber wethalb da»?" sagte Frau
De»oarenn«» drohend; „ist sie etwa nicht
schön genug, nm zu gefallen? Glaubst
du, daß man nur dich lieben könne?"
„Wäre ich reich gewesen, so hätte er
mich geheiralhel!" ri«f J«ann« aufge
bracht.
„Auf seine Ehre!" wiederholt« höh
nisch Frau DeSvarenne», die gänzlich
entmulhigi war. „So hat er un» solg
thun? WaS kann ich gegen ihn aus
richten? Eine Scheidung? Michelin«
würde sich «nlschi«den weig«rn, si«
Und in «in«« Anfall von Wuth aus
brechend, rief sie: „Wie ist e» nur mög
lich, daß dieses dumme Mädch«n einen
da» in ihren Adern rollt? Sagte man
ihr die Wahrheit, sie könnte am End«
gar daran st«rben!"
„Bin ich etwa daran gestorben?" sagl«
Jeann« finsttr.
„Du bist «ine energische Natur," ent
gegnete die Prinzipalin etwas milder,
„ab«r si«, die so schwach, so zart
ist! Oh, Jeanne, bedenke, was ich sü,
dich gethan habe, richte zwischen dir und
Sergius eine unübersteigbar« Schrank«
auf. Schließ« dich d«inem Manne an;
du wolltest vorhin nicht mit ihm g«hen,
da» war Wahnisinn. Trennst du dich
von Cayrol, fo bist du nicht m«hr im
Stande, Sergius von dir fern zu hal
ten, und wirst meiner Tochter den Gatten
rauben!"
„Ah, Sie denken nur an Ihre Toch
ter ! Ewig nur an sie, sie vor allen an
dern !" ries Jeanne zornig. „Aber ich,
auch ich lebe noch! Ich will auch mit
zählen, ich habe auch ein Recht aus
Schutz, «in Rkcht, glücklich zu fein ! Und
Si« verlangen, daß ich mich anfopsere,
daß ich mich jenem Manne au«liesere,
den ich nicht liebe, der mir Furcht ein
flögt.-
Diesmal war die Frage dentiich sor
mulirt und Frau Dtivartnnt» sand ihr«
Stlbstbeherrschung wieder; sie richtet«
sich auf, «rhob ihre Stimme, d«r«n Au
torität sich niemand zu ivid«rsetz«n
wagte, und ries: „Nun, und wa» denn
sonst? Willst du dich etwa von ihm
trennen? Durch «inen Skandal dein«
Freiheit zurückerobern? Und waS wär«
da» für eine große Freiheit? Man würd«
dich verachten, dich von sich stoßen.
Glaube mir, gebiet« deinem Herzen
Stillschweigen und gehorche deiner V«r
nunst. Dein Gatte ist ein guter, recht
schass«n«r Mann; anstatt der Liebe wird
er dir Hochachtung einflößen. Durch
deine Heiralh hast du gegen ihn Verbind
lichkeiten übernommen. Erfülle sie, da»
ist deine Pflicht."
Jeanne empsand, daß sie besiegt wa«
und jammerte: «Aber waS habe ich sür,
„Da» Leben einer ehrbaren Frau,"
erwiderte di« Prinzipalin mit Hoheit.
„Sei Galtin, Gott wird dich auch
Mutter werden lassen, und du wirst ge
rettet sein."
Jeanne beugte sich vor diesen Worten.
In ihnen fühlte sie nicht m hr jenen er
barmungslosen mütterlichen EgoiSmuS
von vorhin. Wa« Frau DeSvarenne»
jetzt sagte, war ausrichtig und wahr.
E» sprach nicht mehr da» empört« und
verwundtl« Mult«rh«rz auS ihr, son
dern da« ruhigt, aufrichtig« G«wifs«n.
„Nun wohl, ich w«rd« Ihnen gehor
chen," aulwortet« da« junge Weib «in»
fach. „G«b«n Si« mir einen Kuß,
Mutter."
Sie bot Frau DeSvarenne« ihr»
Stirn, und dies« ließ zwei Thränen der
Dankbarkeit und Bewunderung darauf
fallen. Dann ging Jeanne selbst zur
Thür, welche nach dem Zimmer der
Prinzipalin führte, und fagle zu Cayrol:
„Kommen Si«, mein Herr!"
Der durch « Warten abgekühlt« und
durch di« Dau«r de» Gespräch» wieder
unruhig gewordene Gatt« «rschi«n aus
der Schwell«. Er «rblickt« Frau De»-
vartnne»' ernste» Gesicht und sah, daß
Jtann« g«saßt wa,. Er g«traut« sich
nicht, zu fragen.
„Cayrol," sagte die Prinzipalin,
„alle» hat sich aufgeklärt; Sie haben
durchaus nicht» zu befürchten. Der Be
treffendt ist vo» Jtanne auf ewig ge
trenn». Uebrigtn» ist auch zwischen ihm
und derjenigen, die Ihre Frau sein wird,
gar nichlS vorgefallen, was Ihre Em
pfindlichkeit verletzen oder Ihnen Grund
zur Eifersucht geben könnte. Ich nenne
Ihnen den Namen dieses Mannet heut«
s«in."
Der Prinzipalin Antlitz strahlte vor
Freude. Sie blickt« Cayrol und Jranne
nach, die sich entftrnttn, und flüsterte:
.Welch wacker« Herz««!"
Dann auf die Terrasse hinaustretend,
fügt« sie mit verändertem Ausdruck
hinzu: „Jetzt kommt d«r andere an die
R«ihel"
Zwilft«» Kapitel.
Die zw«! ersten Monate dieser Eh«
Sergius und Michelin« trennten sich nie.
Nach Ablauf von acht Tagen kehrten si»
mit Frau De»oarenn«» nach Pari» zu
rück, und die einst so ernsten und ehrba
ren Räume d«» Haus«» in d«r Straß«
St. Dominique wi«d«rhallten nun von
heilerem Gelächter. Aus dem Hose
h«rrscht« «in r«g«» L«b«n, «in Komm«n
und Gehen von Equipagen, ein Hin-
Grooml. Die großartigen Stallungen,
welch« «h«d«m sür die drei Pferd« der
Frau DeSoarennt» vi«l zu g«räumig
war«n, gtnügtt» jttzt kaum für d«nß«it-
und Fahrdi«nst d«» Fürsten. Zu sein««
Versitzung standen acht stolze Wagen
pferde, zwei reizende Ponie» waren ei
gen» für Micheline gekauft, obfchon di»
junge Frau sich noch ni« getraut hatt«,
selbst mit ihntn zu kutschir«n; s«rn«t
war«n noch vier Reitpferde vorhanden,
wenn die balsamischen Düst« d«r nächt
lichtn Kühl« da» Boulogner Wäldch«»
ersüllten, die jungen Gatten ihren Spa-
Lüstchen spielte mit Micheline» Schleier,
da» gelbliche Leder der Sättel knirschte,
Windhund umkreist« die beiden Reiter
in fröhlich-tollen Sprüngen. E» wa
ren dies glückliche Morgenstunden sür
Micheline, welch« da» köstlich« Wohlge
errieth, sie mit seinen Blicken hütete und
die lebhasttn Bewegungen seines eng
lischen Vollblutpserde» zügelte, um mit
seiner furchtsamen und unerfahr«n«n
R«it«rin gleich«» Schritt zu halt«». Zu,
weil«» tummelte sich ihres Gatten Roß
und bäumte sich in wildem Ungestüm,
dann solgten ihre Blicke wohlgesällig
dem eleganten Reiter, welcher sein seu
rigtS Ps«rd, ansch«in«nd vhn« Anstren,
gung, nur durch den nervigen Druck
s«in«r Schenkel bändigte.
Frau DeSvarenne»' Argwohn hatte
sich gelegt; sie sah ihr« Tochter glücklich.
Der Schwiegersohn war ihr gegenüber
in jeder Beziehung die Herzlichkeit selbst
und von liebenswürdiger Zuvorkommen
heit. Cayrol nebst Gattin halten nach
ihrer Hochzeit Pari« kaum berührt; si«
waren sofort weiter gereist. Der Ban
kier war bei Herzog» großer Kreditope
ration betheiligt und bereiste nun ganz
Europa, um überall Comptoir» zu er
richten und Geschäftsverbindungen an
zuknüpfen, Jeanne begleitete ihn.
Augenblicklich befanden si« sich in Gne-
Maiine unrecht gethan habe, und ver
sichert«, daß er gegen sie von einer gren
zenlosen Güte sei.
Im Uebrigen macht« sie nicht di« ge
ringst« Anspielung aus das Ereigniß
jene« HochzeitSabend«, wo sie sich,
DeSvarenneS' Arm« geflüchtet und ihr
Geheimniß o«rrath«n hatte. Die Prin
zipalin konnt« also glauben, daß j«»«r
Gedank«, d«r ihr«n G«ist inimer noch
zuweilen beunruhigte, nur der Nach
klang «ineS bösen Traume« sei.
Jnbesondere ab«r war «« J«an»«s
Abwesenheit, welche der Frau DeSva
renneS ihr SicherheitSgesühl wiederge
geben hatte. Wäre diese« junge Weib
itt Sergius' Nähe geblieben, Frau DeS
varenneS würde stet« gezittert haben.
Aber Mich«lin«S schöne und verführe
rische Nebenbuhlerin war weit entfernt
und Sergius schien in seine Frau sehr
»erliebt zu sein.
Alles stand daher aus'« Beste. Die
bedrohlich«» Pläne, welche di« Prinzi
palin im Ciser ihre« Zorn« ausgeheckt
hatte, blieb«» unau«g«sührt. Sergius
hatte noch keinen Anlaß zur Unzusrie
d«nh«it gegeben. Allerding« verschwin
det« «r «ine wahnsinnig« Menge Gelde»
aber seine Frau war ja so reich!
Seinen Hauihalt hatt« «r auf einen
großartigen Fuß eingerichtet. Alle«,
wa« der Luru« in seiner höchsten
Verfeinerung ersonnen, war bei ihm
al« Gegenstand de« alltäglichen Bedarf«
eingesührt. Wöchentlich fanden meh
rere prunkvolle GesallschaftSabend«
b«i ihm stall und Frau DeSvarenne«,
die an solchen großen Festlichkeiten ihre»
Schwiegersohnes nie theilnehmen mochte,
konnte im äußersten Winkel ihre» ersten
Stocks den Festjubel vernehmen. Diese
anspruch»lose und einsache Frau, deren
ganz« Prachtentfaltung sich auf ihre
künstlerische Einrichtung beschränkte,
staunte, daß man sür so nichtige Lustbar«
keiten so viel Geld verschwenden könne.
Micheline aber war die Königin dieser
luxuriösen Feste; bevor sie sich in ihrem
Staale den Gästen zeigte, kam sie zur
Mutter, um sich von ihr bewundern zu
lassen, und diese, wenn sie ihre Tochter
so glänzend und zufrieden sah, hatte nicht
den Muth, ihr Vorstellungen zu machen.
Des Abend» wurde viel gespielt. Die
große Fremdenkolonie, welche allwö
chentlich bei Panin verkehrte, führte ihre
zügellose Leidenschaft für'S Kartenspiel
dort ein und Sergiu» hatte nur allzu
ohne ihren weißen Handschuh« abzuneh
men. Auf diese Weis« wurde der Appe
tit gereizt, bevor man in den Klub ging,
präsentirten sie ihre prachtvollen Toilet
ten, flüsterten hinter den Fächern über
Putz und Moden, oder horchten auf den
g«r», während die jung« Herrenwelt
ihnen galante Phrusen in'» Ohr fii«
sterte.
folgt.)
Berühmte Häuser «»» t»r«
satt.
In einer der ältesten Straßen von,
Pari», in der „Rus deren
Häusergruppen vielfach an den Franko
furter Alten Markt und dessen Umge
bung erinnern, befindet sich die ehema
lige Villa der schönen Ewbrielle d'
EstreeS, der Geliebten Heinrichs IV.
In diesem, um einen kleinen Borhof
herum errichteten Häusereomplexe, der
noch zahlreiche Spure» seiner ursprüng
lichen schönen Renaissance-Architektur
zeigt, ist heute eine der verrufenste»
Nachtkneipen von Pari».
Im „rothen Schloß", wie da« Hau»
jetzt genannt wird, in welchem die rei
zende Gabrielle ihren königlichen Gebie
ter, umgeden von verschwenderischer
Pracht, zu empfangen pflegte, nichtigen
jetzt regelmäßig 150 bi« LOY bestraste
Verbrecher, Luhälter niedrigster Sort«
und gefährliche Bagabonden beiderlei
Geschlechte«. Bei einem Besuche, wel
chen wir n» Begleitung eine» hohen Be
amte« derSichvcheittpolizei dieser Tage
der Cite abstatteten, betraten wir unge
fähr um die zehnte Stunde da» „Rothe
Schloß". In zwei großen Räumen de»
Erdgeschosse» saßen, lagen und kauerten
die unheimlichen Gäste auf Tischen,
Stühlen und Bänken oder aus dem
Fußdoden, dicht an einander gepfercht
wie die eingepökelten Häringe, in einer
wahrhast verpesteten Luft, die Meist.'»
schon in tiefem Schlummer.
Ein anderer Theil der HauSgäste
lagerte im ersten Stocke in den« einsti
gen Boudoir der königlichen Maitress»
ius dem Fußboden. Einige Flasche»
„rothen Gesiegelten", welche wir dein
noch wachen jüngeren Theile der sau
beren Sippschaft anboten, brachten etwa»
Leben in die Bude. Mit unserem poli
zeilichen Begleiter thaten die Gesellen
meist recht vertraut. Einer gab sogar
mehrere Couplet» zum Besten und schien
überaus glücklich zu sein mit der Hand
voll Sou», welche ihm sein „Vortrag
einbrachte. Man kann sich keinen
schrofferen Gegensatz denken, al» de»
Unterschied zwischen den glänzenden
Pariser Boulevards und diesen schauer
lichen Höhlen de» Elend», welche doch
keine zwei Kilometer von einander ent
fernt sind. Den Zutritt zum „Rothen
Schloß" erlangen die' Schläfer de»
Abends, indem sie ihr Nachtmahl mit
Lll—SS Centimes zahlen, dafür läßt si»
der Wirth bi» 2 Uhr herumliegen. Um
diese Zeit werden Alle uuerdlttlich an
die Lust gesetzt, da da» „Rothe Schloß
keine Logier-, sondern nur eine Wirth»
schastSkonzession besitzt. E» ist geradez»
unbegreiflich, daß die Polizei nicht den
thatsächlichen Verhältnissen Rechnung
trägt und soweit nicht andere Asyls
vorhanden sind di« Besucher des
„Rothen Schlosse»" und ähnlicher Lokals
der Nachbarschaft wenigstens die Nacht
über in Ruhe läßt. Ich zweifle nicht
daran, daß mancher nächtliche Uebersaik
auf der Straße, mancher Einbruch und
Diebstahl in vorgerückter Nachtstunde
die Folge dieser falschen und inhumane»
Polizeivorschrift ist.
Eine andere historische Erinnerung
tauchte gleich darauf bei uns auf in
einem Logirhause, wenigstens etwa»
besserer Art. Dasselbe befindet sich in
der kius yuinoampoix im Templevler«
tel und zwar in keinem geringeren
Hause als demjenigen, in welchem vor
17S Jahren der Schotte John Law mit
seiner ersten französischen Bank, der
Lantus clu bis zu feinet»
Sturze gewirhfchaftet hat. Das alte
Gebäude mit feinem geräumigen Hofe,
in welchem seiner Zeit die Agiotage ihre
berüchtigten Orgien feierte, ist noch seh«
gut erhalten. In den oberen Stockwer
ken sind die großen Vorplätze durch
Einbauten in Verbindung mit den Zim
mern zu Logirräumen eingerichtet, zwi
schen welchen Nur ganz schmale Gänge
bleiben. In jedem dieser Logirräume
befinden sich o—B0 —8 eiserne Bettstellen,
welche meist von Arbeitern benützt wer
den, die S Centime» für die Nacht zah
len und wochenweise nur LS Centime»
für die Nacht zahlen.
Außer dem Bette ist absolut kei»
Möbel in den ziemlich rein gehaltenen
Schlaskammern zu sehe». Die Kleider
werden einfach unter da» Bett auf den
Boden gelegt. Ein große» Waschbecke»
ist im Vorraum. Al» wir um 11 Uhr
durch einige dieser Kammern gingen,
lag Alle» schon in tiefem Schlafe.
Schließlich besuchten wir eine Nacht
kneipe ganz besonderer Art, die eben,
falls aus historischem Boden sich befin
det. ES ist dies ein Keller m der liu«
äs» lonoesnt», nahe den Central«
Markthallen. Da» betreffende Hau»
ist auf dem Terrain des ehemalige»
Klosters erbaut. Die katakombenarti
gen, bombenfesten Kelleraewölbe stain'
men auS dem Ende de» 16. oder An
fang de» 17. Jahrhundert»; sie sind
drei Etagen untereinander angelegt und
sollen einst zu Grabgewölben gedient
haben. Heute benützt der intelligent»
Wirth die zwei obersten Keller al»
WirthfchaftSrSume, während der un
terste der häufigen Ueberschwemmungen
vegen unbenutzt bleibt.
Diese Wirthschaft gehört zu den we
nigen, welche wegen veS Marktverkehre»
die Erlaubniß haben, ihre Lokale die
ganze Nacht hindurch offen zu halten.
Von zwei Uhr Nachts an füllen sich alle
Räume mit „korts" und „ci»mvs" der
Hallen, welche vor dem Beginn der
Arbeit dort ihr Frühstück einnehmen.
Schon von Mitternacht an verkehren
jedoch daselbst allerlei fahrende Künst
ler, spanische Guitarren- und italienische
Mandolinspieler, Tänzerinnen der
öffentlichen Bälle, Coupletsänger u.s,w.,
welche sich nach. Vollendung ihres Tage
werk im cl«s ei»
paar Stunden amüsiren und nebenbei
von den Marktleuten durch ihre Pro»
ductionen noch einige SouS einheimse»
wollen. Doch geht et dabei recht säu
berlich her. Die Marktleute würde»
e» auch nicht ander» dulden.
So ändern sich die Zeitfn und mit,
ihnen die Schicksale der Häuier eine«
Million« st!?t. 3