Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, January 21, 1892, Page 2, Image 2

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    2 ettUlebe« in Liaurte«.
Die Bewohner der ligurifchen Küste
find im Allgemeinen honette Leute.
Zwar sind sie ein bischen unreinlich, ein
klein bischen eitel, grausam gegen da»
liebe Vieh und gewohnt, in neun Zehn
tel de» Jahres auf den Lorbeeren aus
zuruhen, aber sie haben doch auch ihre
guten, nicht immer von ihren althistori
schen Urvätern ererbten Eigenthümlich
keiten—sie sind ehrlich und find selten
auf den Kopf gefallen, was bei der Be
schaffenheit ihrer Fußsteige besonder«
anzuerkennen ist. Auch haben sie viel
Familiensinn und halten sogar ihre
Schwiegermütter heilig, al« eine gute
und billige Arbeitskraft. Sie verkennen
nicht—wie wir Barbaren es häufig thun
daß seit Jahrtausenden die Schwie
germutter sich als nützlich und segen
bringend erwiesen hat; denn schon Ja
son nahm, als er Meda aus KolchiS
entsühnn wollte und die schon damals
schwer zu beschaffenden Drachenzähne
säen mußte, da» Gebiß seiner Schwie
germutter und senkte es in die Erde.
So entkam er glücklich über das
Meer.
Die Ligurier südlich von Genua
sprechen den genuesischen Dialekt, aus
dem der Wohlklang der italienischen
Sprache bis auf ein kleines Restchen
verschwunden ist und der eine ebenso
eigenartige als keinliche Vorliebe für
de§ zischende Sch. ausweist. Wenn sie
«Ja, mein Herr" sagen wollen, dann
sagen sie „Boki statt „s!
und dann haben sie auch einige
eigene Wortbildungen, allesamint mit
diesem Ueberfluß an zischenden Lauten.
Wenn sie aber einmal ihr zivilisirteS
Italienisch hervorholen und ansangen,
nach der italienischen Schriftsprach zu
reden, dann verweilen ste bei jeder
Silbe, als ob fies sich auf die nächste be
sinnen müßten, sie dehnen die Worte
mit einer komischen Wichtigkeit, die nur
ihrer Hilflosigkeit entspringt, aber doch
unendlich affektirt und geziert erscheint,
sowie ein Fräulein, das der engen
Stiefeln oder der allzu hohen Absätze
wegen nur einhertänzeln kann, auch
leicht in den Verdacht der Ziererei
geräth.
In kurzen Abständen schmücken die
kleinen Städte den buchtenreichen
Strand, sie sind aus dem schmalen
Küstenstreifen zwischen dem blauen
Meer und den dunklen Bergen zierlich
aufgebaut, und das Meer vor ihnen und
die Berge hinter ihnen begrenzen ihr
Wachsthum. Aber hoch in die Berge
hinaus klettern die winzigen Dörfer, bi»
dort hinauf zur Höhe, wo der Wind
pfeift und die grauen Wolken so nah
vorüberziehen.
Und so hoch oben in den Berghügeln
liegt Ruta. ES hat ein Dutzend Häu
ser und eine kleine, im Innern ganz
bunt geschmückte Kirche, »S hat einen
Gasthof, eine Schmiede, einen Schnei
der und drei Schuhmacher. Es hat
keinen Barbier, ja, nicht einmal einen
Sindaco, und infolgedessen hat es auch
noch keine Laternen auf den Straßen.
Aber die Leute von Ruta trösten sich
damit, daß sie dann den Laternenan
zünder nicht zu besolden brauchen. Sie
wissen, daß der Einzige, der sich hier
allenfalls bei Nachtzeit das Genick bre
chen könnte, der würdige Greis ist, der
den Postverkehr zwischen Ruta und der
Welt dort draußen in seiner Person
verkörpert und den sie jüngst aus dein
Gießbach herausgefischt haben, in den
er, nicht nur von der Welten Schönheit
berauscht, unvorsichtig gestolpert war.
Ist auch meine arme Correspondenz
von den Fluthen diese» hurtigen BacheS
in das weile Weltmeer getragen wor
den, oder Libt e» irgendwo zwischen
Ruta und Deutschland einen Briefkasten
mit einem Leck? Die Rutaer sind ge
wiß nicht schuld an diesem Massenver
lust von Briefen, denn sast täglich kann
man sehen, wie sie auf der Landstraße
bemüht sind, ihrem oben geschilderten
Postverkehr auf die Beine zu helfen.
All' die Berge bi» weit zum Süden
hinunter und bi» weit nach Norden
hinaus, über Genua hinweg, die ganze
Riviera entlang, sind bepflanzt mit
Oliven. Ueberall sind die Höhenzüge
terassensörmig ausgebaut, und aus
sen, von grünen Steinmauern gestützten
Terassen wächst der Oelbaum, in locke
rem, mehr' oder weniger gedüngtem
Erdreich. Seine kleinen, eichelähnlichen
Früchte werden gesammelt, gewaschen
und dann in Mühlen gepreßt. Aber
das Oel, das sie geben, ist sehr ver
schieden an Güte und eS ist ein gewalti
ger Unterschied zwischen dem edlen Oel
der ~'l'lt<;sisse.!t", das aus dem Teller
des Feinschmeckers wie ein goldgelbes
Bächlein die Sardine umfluthet und
dem gemeinen Oel der „volomksr»",
das die rußige Hand des Arbeiters aus
der blechernen Ranne auf das Räder
werk der Maschine träufelt. O, von
der bis zur „(^vlombar»"
ist's gerade so weit wie von Dumas
t,I» bis zu Zola!
Unten am User entlang schlängeln
sich um tausend Hindernisse herum die
Banngeleise, und die Züge pusten und
dampfen hinauf und hinunter. Es ist
nicht sehr empfehlenswerth, von ihnen
Gebrauch zu machen, denn sie arbeiten
sich durch ungezählte Tunnels hindurch,
und solch eine tunnelgesegnete Bahn
fahrt am aussichtsreichen ligurischeu
Strand ist wie ein Zeitschriften-Roman,
bei dem es immer an der schönsten und
spannendsten Stelle heißt: „Fortsetzung
folgt im nächsten Heft." Und ei dauert
manchmal so lange, bis daS nächste Heft
erscheint!
Nein, da ist eS schöner oben auf der
Landstraße, die wie ein weißes Bqnd
über die Hügel sich hinzieht und das
Dutzend Häuser von Ruta in zwei halbe
Dutzend theilt. Ueber ihr steigen höher
und höher die olivenbepflanzten Berge
hinaus, unter ihr klettern die Oliven
terassen hinunter bis tief in das blaue
Wogenmeer. Und in der Ferne sieht man
den dunklen Landstreisen der Rivieru di
Ponenle und Genuas Leuchlthurm und
NerviS weiße Häuser und Villen und
dann daS kleine Recco, daS sich furcht
sam in der Bucht verkriecht, und Ca»
moglie, diese» entzückende Cainogli«,
dessen hohe, oft zu acht Stockwerken auf
steigende Häuser so eng aneinandegeklebt
sind aus den zackigen Felsen, aus denen
das Städtchen in s Meer hineingebaut
ist, wie eine alte Seeränberveste.
Dann, weiter nach Süden über Ruta
hinaus, hemmt das gewaltige Vorge
birge de? Montesino den Blick, und man
muß rings um den Bergkoloß herum
schreiten, wenn man die Südküste sehen
will, Santa Margherita und das statt
liche, in seinem Golf wie eine Schnecke
in'» Gehäuse zurückgekrochene Ragallo,
Chiavari und Sestri Levante. Porto
fino aber, in dessen hoch in'» Meer ge
bautem Kastell unser armer FrühlingS
kaiser, damal» noch Kronprinz Friedrich,
vor nun vier Jahren lange Wochen ge
weilt hat, Portofino sieht man von der
Landstraße nicht, eS liegt ganz versteckt,
eine Welt sür sich, am Fuße de» weit in'S
Meer tretenden Vorgebirges.
Die Leute in all' diesen kleinen Städ
ten leben vom Olivenbau und von der
Schifffahrt. Und daher kommt'S, daß
man in allen Straßeu und auf allen
Plätzen so viel vergnügte Nichtsthuer
antrifft. Denn der Olivenbau macht
ihnen, wenn die Terrassen eingerichtet
und gedüngt sind, nur in der Erntezeit
noch zu schaffen und die Seefahrer, die
nach Nord- und Südamerika gesegelt
sind, Pflegen sich nach ihrer Rückkehr
reichlich ein halbes Jahr lang Ruhe zu
gönnen. Und so sieht man sie dann auf
dem freien Platze vor dem Municipio
unter den Kastanienbäumen, wo in der
Mitte gewöhnlich da» steinerne Denk
mal irgend eines Freiheitshelden sich
stolz erhebt; da sitzen und stehen sie
herum, die Hände in den Hosentaschen,
sie rauchen, und debattiren über die Po
litik von Chile und Marherita. Sie
tragen schr gerne gelbe Strandschuhe
und spucken bereits auf amerikanische
Art.
Aber wie Müßiggang aller Laster
Anfang ist, so sind auch diese braven
Liguren in ihrem Hang zum Nichts
thun aus recht dumme Gedanken gera
then. Denn neben ihrem Lieblings
spiel, dem Koooi, ist nun ihre einzige
Unterhaltung das Bogelschießen. Und
das betreiben sie mit einer fabelhaften
Leidenschaftlichkeit, mit einer Wuth, als
gälte es Italiens schlimmsten Feind zu
verderben. Sie stehen hinter jedem
Baum, sie schießen Alles weg, was sie
sehen. Singvögel und Spayen. Und
sie haben eS verstanden, aus ihren Wäl
dern und aus dem ganzen Lande die
fröhlichsten Gesellschafter der Menschen
hinauszutreiben. Sie schauen ja sehr
malerisch aus, wenn sie mit ihren lan
gen Flinten über die Hügel dahinschlei
chen, aber beim Himmel, wenn sie schon
wie Gemälde ausschauen, dann sollte
man auch dafür forgen, daß sie gut ge
hängt werden!
In den Oliventerassen droben und
drunten schütteln sich leise die mattgrü
nen, fast grauen kleinen Blätter aus den
verknorpelten Aeften, und dazwischen
leuchtet mit herbstlichem Rothgelb das
Laub der Edelkastanien hervor. Aber
wie schwarze, unheimliche, spitzige Säu
len springen über all' dem Laubgewirr
die Cyprefsen heraus. Sie haben etwas
UeberraschendeS, Unheimliches, wie sie
plötzlich in oie Höhe schießen, gleich um
gekehrten AuSrufungszeichen. Sie sind
etwas so ganz Besonderes mit ihren
enganeinander geschmiegten Zweigen, so
etwas sest in sich Geschlossenes, dunkel
Drohendes. Ja, sie sind die Bänme
Böcklins, die Bäume der märchenhasten
Todteninsel, auf der das große, ewige
Schweigen wohnt.
Und nun wird's auch an der Küste
so ganz schweigsam und ruhig. Nur
dann und wann hört man das Hü oh
der Maulthiertreiber und sieht die drei
oder vier Maulesel, hinter einander ge
spannt, den zweirädrigen Wagen über
die steile Straße ziehen. Da» stärkst«
und größte der Thiere geht zuletzt, dicht
vor dem Wagen, eS muß am schwersten
ziehen und bekommt die! ganze Maaß
der Schläge grausame, brutale
Schläge. Und sieht sich dann so unver
nünftig wehmüthig um und weiß nicht,
daß eS in der ganzen Welt so zugeht und
daß überall die größten Esel Prügel
bekommen.
Draußen vor dem Dorf stehen die
Leute beim doooi. Greife und Kinder,
AlleS spielt mit einander, die Alten mit
ruhiger Würde, die Jungen mit Streit
und Geschrei. Sie werfen eine kleine
Kugel voraus sie ist das Ziel. Und
dann gilt es mit den größeren Kugeln
diese Kleine zu treffen. Ich habe Kerle
gesehen, die es darin zu einer erstaunli
chen Fertigkeit gebracht hatten, und die
sich die Sache durch allerhand Nuancen
beim Wersen noch künstlich erschwerten.
Ja, wenn man so viel Zeit hat, sich'S
auszuprobiren.
Von dem Haus dort, gleich hinter der
Schmiede, in der die rothe Glmh noch
nicht erloschen ist, kommt Gesang. Es
ist ein Haus, so bunt mit Säulen und
unwirthlichen Fenstern bemalt,jwie alle
anderen. Es lehnt sich eng an die
grauen Olivenhügel und hat einen klei
nen, mauerumschlossenen Garten mit
Feigenbäumen und Orangen. Unter
dem Dach von dünnen Arsten und Zwei
gen neben der Hausthür, aus dem der
Sommerwein sich ranken soll, sitzt ein
Mädchen, nur aus der Entfernung
hübsch, wie sie alle hier. Und sie ist es,
die singt.
Es ist PaladilheS alte Mandolinata,
die ihren Autor in ganz Italien be
rühmt gemacht bat und die sie hier träl
lern, wie bei uns die „kleine Fischerin",
die nun alt genug ist, um allein fahren
zu dürfen. Und das Mägdlein unter'm
Rebendach singt immer wieder ihr „8u
»uäism", das verdeutscht etwa so lauten
würde.
„O kommt, die Nacht ist köstlich,
Schon naht der Mondensche>n,
Bald dort, bald hier durchstreifen wir
Die Straßen ans und ein.
So lang die Schatten weilen.
Darf jubeln jedes Herz,
Die Stadt entlang zieht sonder Zwang
Mit Sang und Klang und Scherz!"
Und dann kommt die schöne Geschichte
von der herrlichen Geliebten, die am
Fenster erscheint und dem Sänger di«
Rose herabwirst. O, eS ist kein sehr
geistvolle» Lied, aber e» ist sozusagen
Schwung dar,n. Und als da» Alles
ausgesungen ist und der glückliche Ge
liebte die Rose ausgenommen hat, er
sterben leise die Klänge.
Man hört dann nur noch daS Hü-oh
der Treiber und das Aufschlagen der
Kugeln beim Loooi und daS gleichför
mige Klappern der Klöppelhölzchen,
das aus allen Häusern dringt; denn
überall sitzen die alten und jungen
Frauen und klöppeln ihre Spitzen, von
Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang;
und manchmal verdienen sie so 1 Lire
am Tag. Aber daS sreilich ist selten,
denn daS Absatzgebiet wird immer klei
ner und die Concurrenz wird auch hier
immer größer.
Nun kommt schon leise das Abend
weben über das blaue Meer, und in der
Luft beginnt jener stille, kaum fühl
bare Kampf zwischen den goldenen
Sonnenstäubchen, die zurückgeblieben
sind, ein Erbe des geuorbenen Tag«
und den DämmerungSschatten, die erst
ganz dünn und schwach und machtlos
herniederschweben.
Um diese Zeit ist die Natur am schön
sten, da ist der Friede in ihr am reinsten
und wunderbarsten, ein wehmüthiger,
schweigsam klagender Friede, noch erfüllt
von dem Dust der AbschiedSblumen aus
dem Sarge der Königin. Da hebt je
des Blatt an den Bäumen sich so dunkel
von dem matten Abendhimmel ab und
um jedes von den Blättern spielt diese
unsichere, weiche Dä.nmerungslust; und
sie umwebt mit ihrey, fast fichtbaren,
melancholischen Zauber die wunderba
ren, breiten Schirmdächer der Pinien
und die verwachsenen und verkrüppelten
Stämme der Oliven und die undurch
dringlich schwarze Nacht der Cypressen,
sie legt sich um die Stechpalmen und die
wehende» Epheuranken und um das
Rebendach an dem kleinen Hause dort
und scheint Alles aufzulösen zu leuchten
dem Duft, alles Scharfe, alles Eckige,
alle Gegensätze und alle Feindschaft.
Aber dann ziehen die drohenden, ver
derbentragenden schwarzen Wolken am
Himmel auf, wie die Heere der Hunnen,
die ausziehen, die Welt z» zerstören,
und das Meer beginnt zu rauschen und
sich schwer gegen die Felsen zu Wersen.
Die Nacht ist da.
Wieder singt vor dem stillen Haus
das Mädchen, das nur au» der Entfer
nung hüofch erscheint, aber sie singt nicht
mehr die Mandolinata mit ihrem in
haltslosen, cmpfindungSarmen Kehr
reim, sie singt—ja, wer wird'S glauben
das gute, liebe HeimathSlied vom
rothen RöSlein auf der Haide. Sie
weiß nicht, was sie singt, sie kennt
eigentlich nur die Melodie und von den
mechanisch ausgenommenen Worten haf
ten ihr nur einige noch im Gedächtniß,
aber sie singt es doch, leise und mit ver
hallender Stimme—„RöSlein, Röslein,
Röslein roth. Röslein auf der Haide!"
Ach, es ist sehr unvorsichtig, wenn man
Lieder singt und dann nicht weiß, was
sie bedeuten!
Doch dann begann ein Anderer zu
singen, sein rauschendes, nimmer enden
des Lied der Regen. Und er sang
und sang, viele Tage und viele Nächte
und kam mit Hagel und Sturm und
wars ganze Eisstücke gegen die Fenster
und brauste durch die erschrockenen
Lüste, wie ich ihn in diesem Herbstwan
dern erst einmal habe brausen hören
als ich über den bergumgürteten
Gardasee fuhr und dann in Riva saß,
in der „Goldenen Sonne", in demfelbeu
Riva und in demselben Haus, wo einst
Jens Peter JakobsenS Niels Lyhne die
die schöne Sängerin Odero traf. Glück
licher Niels. Ich Armer, der ich lange
nach Lyhne kam und lange nach Frau
Odero, ich traf in den einsamen Sälen
nur noch Madame Ibsen und ihren
Sohn. Ach, der Regen schlug prasselnd
nieder aus das Dach, er schuf aus der
Wasserfläche tausend kleine Grübchen,
und der graue, lichtscheue Nebel lag vor
den ragenden Bergwänden wie ein
langweiliger Theatervorhang vor der
Walküre Zauberland. ES regnete ein
förmig und wandelloS, und wenn ich
an der Kammerthür vorüberschlich,
hinter der des nordischen Dichters Fa
milie ihr vollfeindliches Dasein sührte,
dann war mir'S. als hörte ich den Sohn
leise, bittend flüstern: Mutter, gieb mir
die Sonne!
Ein Ungar von rein st em
Blut war der Hauptmann I. ,n der
Budapester Garnison, unter seinen Ka
meraden beliebt, wie kaum ein Anderer,
in der Gesellschaft einer der Begehrte
sten. Er war Junggeselle, überaus
liebenswürdig, ein andauernder Theil
nehiner an den schwersten Dienststrapa
zen, wie an den längsten Kneipabenden,
hier und da leidenschaftlich aufflammend,
aber meistens von beschaulicher Sanst
muth. Andere Krieger der Garnison
galten wohl als flotter, der Hauptmann
I. aber wurde von den Damen Buda
pests als der Galanteste bezeichnet.
Einmal mußte er in einer Privatange
legenheit verreisen und kehrte unerwar
tet in der Nacht zurück, als die anderen
Osficiere gerade ein FaschingSsest feier
ten und nicht in ihrer Wohnung anzu
treffen waren. Nur den Oberstlieute
nant K. hatte ein höherer Wille zu
Hause gehalten, und dieser wurde des
NachtS aus dem Schlaf getrommelt.
Da fein Bursche sich nicht rührt, öffnet
er selbst. Vor ihm steht der Haupt
mann I. Gestiefelt und gespornt tritt
er zu ihm in'S Zimmer. „Kam'rad!"
sagt er. „Hast kein Nachtlager für
mich? Ich kann nicht in mein Quar
tier." „So tapp Dich zum Kanape'
oder mach Licht!" sagt der Ander«.
„Hast wobl Schlüssel auf Reif' verlo
ren ?"—„Nein!" erwidert I. „Burfche
gibt Unterhaltung!" „WaS?" fchreit
K. „In Deinem Zimmer. Vielleicht
auch meiner dort!"—„Alle!" antwortet
der Hauptmann. „Und hast Kerls nicht
massakrirt?" ruft K. zornig, worauf I.
gleichmüthig entgegnet: „Ging nichi!
Was glaubst denn? Sind ja Damen
dabei."
»«»««»»< l
«Zeit vielen, vielen Jahren verkehrt,
Herr Pimpel als Stammgast in de,
„Krone", sehr zu de» KronenwirtheS Zu
friedenheit und lange auch zu seiner ei
gene». Da» war ein böser Abend ge
wesen im vorigen Winter, wo Her,
Pimpel sich zum ersten Male einen Nar
ren schalt, daß er sa lange diese Diebe».
Höhle, wie er die „Krone" nannte, fre
quentirte. Na, so sehr im Unrecht wa,
er ja auch nicht gewesen. Durste es iv
einer Kneipe von dem geringen Umfan
ge, wie die „Krone", vorkommen, daß
ungesehen ein nagelneuer Ueberziehe,
vom Mantelstock verschwand und ein
schäbiger Ulster dasür zurückgelassen
wurde?
Gewiß, man konnte eS Herrn Pimpel,
dem diese» kleine Unglück passirt war,
nicht verdenken, daß er an jenem Abent
wetterte und fluchte und sich hoch unt
heilig verschwor, die Langfingerbud,
niemals mehr zu betreten. Er hätt«
auch wohl sein Versprechen gehalten,
wenn er nicht eben ein leidenschaftliche,
Scatspieler gewesen wäre. Und daß er
die gemüthlichen Skatabende iu de,
„Krone" so plötzlich aufgeben sollte, dai
ging nun doch über seine Natur. Kurz
und gut, einige Tage blieb Herr Pim
pel wohl schmollend fern, dann stellte er
sich aber eines Abend» mit süßsaurer
Miene wieder ein nnd der Sache wurde
keine Erwähnung mehr gethan. De,
Bestohlene legte sich auch bald einen
neuen, pikfeinen Ueberzieher zu, und
dann erinnerte er sich selbst nur noch
seine» Malheurs, wenn er diesen
Abend» an den Haken hing, was ihn
aber veranlaßte, die Stelle sürderhin
etwa» schärfer, wie früher im Auge zu
behalten.
Sechs Monate gingen darüber hin
weg. wieder war der Herbst ins Land
gezogen. Da sperrte Herr Pimpel eines
Abends gar verwundert die Augen auf,
als er bei seinem Eintritt in die „Krone"
flüchtig den Mantelstock streifte! Hing
da am Nagel nicht daS gestohlene Gut,
sein alter, treuer Ueberzieher? Kein
Zweifel, wenn auch in furchtbar herab
gekommenem Zustande, er mußte man
chen Sturm bestanden haben, aber er
war'S.
Wiedersehen macht Freude. Da-
Gefühl hätte auch Herrn Pimpel bald
veranlaßt, den alten Freund brüderlich
zu umarmen, wenn ihm nicht noch zur
rechten Zeit ein vernünftiger Gedanke
gekommen wäre.
Wo da» gestohlene Gut war, da
konnte ja auch der Dieb nicht fern sein.
Rache ist süß; und Herr Pimpel hatte
sich weidlich geärgert damals. So
setzte er sich gleichgiltig an den Stamm
tisch, nachdem er seinen neuen Ueberzie
her an dem gewohnten Platz gehangen.
Der Spitzbube würde sich jetzt schon
finden, Herr Pimpel hatte ja nur nö
thig, den alten, treuen Kameraden im
Auge zu behalten, und das besorgte er
denn auch gewissenhaft, was ihm von
den Skatfreunden manchen fchönen Rüf
fel eintrug. Herr Pimpel aber lachte
innerlich, wenn er an den schönen Mo
ment dachte, wo er den Lumpen am
Kragen fassen würde. Nur wurde seine
Geduld a»s eine harte Probe gestellt.
Wohl glauvre er drüben in der Ecke
und auch in jener einige verdächtige
Individuen zu bemerken, die er der
Thatverdächtige der Kerl ging aber über
,ll hier nur nicht auf den Ueberzieher zu.
Ob er vielleicht Lunte gerochen hatte,
der Spitzbube?
Es schlug zehn, elf; der „Kronen
lvirth" machte feine Kasse in Ordnung,
auch di- Skatsreunde gähnten, da
schaute sich Herr Pimpel um. Teufel,
da waren sie ja allein in der Wirth
schaft und noch hing der alte, halbzer
fetzte Ueberzieher da. Also doch ver
zebenS, der Lump hatte den Braten
gemerkt. Aergerlich zahlte Herr Pim
pel; jetzt verspürte er kaum mehr Lust,
»en Freunden seine Entdeckung zum
Kesten zu geben.
„Gehen Sie mit, Pimpel?" sragte
her eine.
Er erhielt nicht sogleich eine Ant
wort. Pimpel suchte mit den Augen
»en Mantelstock ab. „Haben Sie mei
nen Ueberzieher fortgehängt, Kronen
wirth?" fragte er dann, aber feine
Stimme zitterte merklich dabei.
Der Kronenwirth schüttelt« de <
!kopf. „Wie sollte ich dazu kommen;
übrigens würden Si« da» schon gemerkt
haben, wo Sie ihn jetzt immer so
Luge behalten!"
Da g ng Herrn Pimpel ein schreck
liches Licht auf. Der Spitzbube hatte
ihn zum zweiten Male geprellt, und
für den mitgenommenen neuen Ueber
zi-ber den abgetragenen alten zurückge
'«ssen!
Sein ganzerAerger. A..
„Sie haben auf die Ergreifung Ihre»
durchgebrannten KassirerS volle 2000
Mark ausgesetzt, ist denn die verun
treute Summe so groß?" B.:
„Nein, das nicht, aber ich möcht'S den
elendigen Kerl büßen lassen, daß er
nicht wenigstens eine von meinen
fünf Töchtern mitgenommen hat!"
Anzeige. Verein für Land-
Wirthschaft. „DaS Geburtsfest unsere»
verehrten Herrn Vorstandes wird näch
sten Sonntag durch einen Vortrag über
„Rinderpest und Klauenseuche" festlich
begangen werden! Zahlreiche Bethei
ligung erwünscht. Das Comite."
Beste Bezugsquellen
A.: „Unser Freund X. beklagt sich bit
ter, daß er nimmer zu seinem Recht und
zu seiner Gesundheit kommen kann!"
G.: „Glaub'S schon, der bezieht halt
sein Recht vom Advokaten und seine Ge
sundheit vom Doctor!"
Sonderbare Beruhi
gung. Müller: „Der Huber hat mich
ein <. chas geheißen; das kann ich mir
doch nicht gefallen lassen!" Maier:
„O, daS macht nichts —da ist eben jetzt
ein Mensch weniger aus der Welt!"
Lakonisch. Prinzipal: „Wech
sel eingegangen?" Buchhalter:
„Nein, wir!"
»»« Stund« de« «estSndUtff«»»
Frau Martha Wendland faß an ihrem
großen, bequem eingerichteten Schreib
tisch und schrieb. Bor ihr lagen Rech
nungsbücher,Auszüge,Belege undßrirf«.
deren Handschristen sämmtlich einen
durchaus geschäftlichen Charakter trugen
und in eng«n Beziehungen zu dem von
ihr verwalteten Gute Kirchbach standen.
Ab und zu hob die Schreibende den Blick
zu der kleinen Stutzuhr auf dem dunkel
braun geschnitzten eichenen SimS ihre»
Arbeitstisches, nnd je weiter die Zeiger
vorrückten, um so langsamer wurde dii
vor anderthalb Stunden so eisrig begon
nene Arbeit gefördert. Ja, als der Zei
ger, nur um Sekunden noch von ihr ge
trennt, die neunte Stunde wies, legt«
Frau Martha die Feder zerstreut au«
der Hand und ließ den Blick durch das
mit behaglichem LuxuS eingerichtet«
Zimmer gleiten. Dabei fiel ihr Auge auf
den Spiegel an der gegenüberliegenden
Wand, den eine nur halb verschleierte
Lampe hell genug erleuchtete, um Frau
Martha eigene Züge wiederzustrahlen.
Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Wi«
man nur so heucheln kann! Noch gestern
wollte der Onkel behaupten, ich sei in den
letzten Monaten um zehn Jahre jünger
geworden. Eine Frau oder gar ein
Mädchen von Fünfundzwanzig würde
sich für diese Schmeichelei bedanken."
Und dabei steckte Frau Martha eine der
fchweren schwarzen Flechten, die sich bei
der eifrigen Arbeit gelöst hatte, um den
fchöngeiormten, ovalen Kopf. Dann
senkte sie den Blick nieder auf eines de»
dickleibigen RechnungSbücker und ver
suchte es auf's Neue mit der Arbeit.
Aber sie hatte kaum wenige Zahlen
addirt, als „e die Feder wiederum nie
derlegte. Diesmal kam die Störung
von draußen. Ein langsam schlürfender
Tritt und ein fester selbstbewußter nä
herten sich ihrer Thür, die dunkle Por
tiere wurde zurückgeschlagen.
„Der Herr Dr. Arndt,gnädige Frau",
meldete der alte Diener.
Der Ankündigung auf demZuße folgte
der Gemeldete.
„Störe ich nicht, liebe Freundin?"
„Aber nicht im Geringsten. Sie hät
ten nur gestört, wenn Sie nicht mehr
gekommen wären Sie können wohl
denken, mit welcher Spannung —"
„Davon später. Jetzt eine Kardinal
frage: Haben Sie Ihren schon ge
trunken?"
Frau Martha lächelte und schüttelte
den Kopf.
„Darf ich?"
Arndt hatte den Zeigefinger bereits
an den Knopf der elektrischen Klingel
gelegt. Als sie nun zustimmend das
dunkle Hanvt bewegte, drückte er den
kleinen, weißen Elfenbeinknopf eifrig in
die Wand.
Dann ließ er sich wie schwer ermüdet
in einem von Frau Marthas bequemen
Sesseln sinken und sagte mit einem
Stoßseufzer:
„Offen gestanden, ich bin mehr todt
wie lebendig vor Durst und Hunger!"
„Hat man Ihnen die Sache so schwer
gemacht, armer Freund?"
Frau Martha sagte eS mit ausrichti
gem Mitleid. Er aber sprang so un
geberdig ans, als habe ein beleidigendes
Wort ihn getroffen, doch ehe er noch
die Livpen zu einer sicherlich nicht sanf
ten Eriviserung öffnen tonnte, trat der
alle Tiener wieder ein.
„Decken Sie für den Herrn Doktor
mit, Georg. Was trinken Sie: Thee,
Bier. Wein?"
„Thee, das heißt, wenn Sie ihn selbst
machen."
Es war nur für sie gesprochen, abe,
auch sie wollie es nicht gehört haben
und gab Bescheid, von allein auf den
Tisch zu setzen.
„Befehlen gnädige Frau im Eß
saal?"
Unwillkürlich schweifte Frau Martha»
Blick zu ihrem Gaste hinüber. Sein«
Augen hingen bittend, fchmeichelnd wi«
ein Kind an ihren Lippen.
„Nein, Sie mögen hier bei mir den
Tisch zurechtstellen, Georg, den The«
mache ich selbst."
AIS der Alte gegangen, schritt Arndt
lebhast auf Frau Martha zu und küßte
ihr die Hand.
„Sie sind ein Engel!"
„Und Sie ein Kind, dem man alle»
zu Willen thun muß, wohl oder übel.
Meine einzige Entschuldigung ist die
jeder schwachen Mutter, daß, da man
seine Kinder nicht das ganze Leben um
sich bat —"
„Und so weiter, und so weiter
unterbrach er sie gutlaunig.
Aber sie wollte sich nicht unterbrechen
lassen.
„.. und da Ihre Tage, mein lieber
Freund, wie die eines jeden erzogenen
Kindes an diesem Theetisch auch nur
gezählt sind, und seit heut oder
war es gar schon gestern? ganz be
sonders —"
Er traut so heftig mit dem Fuß aus
den Teppich, daß Frau Martha, die
während der letzten Worte mit dem
Einschließen ihrer Kirchbacher Geschäfts
bücher beschäftigt gewesen war, sich er
schrocken umwandte.
„Was ist Ihnen hat Fräulein—"
„Ich beschwöre Sie, mich erst in
Frieden meinen Ihren Thee trinken
zu lassen!"
In demselben Augenblick trat Georg
wieder ein und stellte geräuschlos den
Tisch zurecht, während Arndt wie ein
zorniger Löwe mit langen Schritten
hin »nd der lief.
„Und Ihre Schwester und Ihre Frau
Tante?"
„Sind bei Möllers zum Ball!—"
„Lassen Sie wie gewöhnlich allein,"
war» er ingrimmig dazwischen.
Martha wandte sich nach ihm uir
und lachte:
„Wozu wären wir denn sonst noch
Berlin gekommen? Glauben Sie, ich
häite die Absicht gehabt, Lilli selbst
von Ballsaal zu Ballsaal, von Concert
zu Concert, von Theater zu Theater
zu schleppen? Mir schwindelt schon
bei dem Gedanken. Ich bete die Tante
iirmlich dajür "n. daß sie mir so be-
reitwillig die» entsetzliche Amt abge
nommen hat. Und Lilli ist selig. Sie
stirbt ja in Kirchbach vor Langeweile,
wenn sie eS auch nicht eingesteht —-
„Und Sie, Sie langweilen sich na
türlich nie —", warf Arndt im Ton
sörmlich erbitterten Vorwurfs dazwi
schen. „Unbegreiflich —"
Frau Martha lachte.
„Und Sie sich stet» —?"
„Wenn ich nicht arbeite oder bei
Ihnen bin", fügte er kaum hörbar
hinzu.
„AuS diesem Grunde werden Sie ja
nun auch — ". sie warf einen schnellen
Blick nach dem Theetisch herüber
der Diener war geräuschlos verschwun
den.
Arndt's Blicke waren den ihren ge
folgt. Nun gab er ihr rasch den Arm.
„Bitte nach dem Thee."
Während Frau Martha das würzige
Getränk bereitete, und es ihm dann in
seiner Lieblingsmischung in die Tafle
goß, beobachtete er, itillschweigenv in
seinen Stuhl zurückgelehnt, jede ihrer
Bewegungen.
Wie wohl seinem unsteten, leicht er
regbaren Wesen ihre sanfte, abgeklärte
Ruhe that. Diese« trauliche Gemach
war ein Hasen des Friedens, den ihm
in seiner Art nichts in der Welt jemals
würde ersetzen können. Und ach. sie
hatte Recht, seine Tage waren gezählt,
denn er kvnnte sich'S nicht denken, daß
er hier, wo er Martha so ost allein ge
genüber gesessen hatte, mit einer Ande
ren sitzen sollte. Die Andere war sast
noch ein Kind; sie würde gar nicht be
greifen, was ihn in jahrelanger Freund
schaft mit dieser seltenen Frau verbun
den.
All' die seinen Fäden von Seele zu
Seele, die innigstes Verständniß ge>
spönnen und liebe Gewöhnung befestigt
hatten, sie würden diesem jungen, kaum
flügge gewordenen Dinge nichts als ein
ewig Räthselhastes sein und bleiben, an
dem sie vergeblich deuteln und klügeln,
in das sie, ach, vielleicht mit täppischen
Hände» hineingreisen und das seiue Ge
webe unheilbar zerstören würde.
Für Helma von Saldern war Mar
tha Wendland, die seit zwölf Jahren
verwittwet, eine alte Frau, die nicht
mehr mitzählte, die etwa nur noch gut
dazu war, in praktischen Dingen Rath
zu ertheilen, besonders wenn man so
unpraktisch erzogen war, als Fräulein
Helma. Was aber sollte man mir der
alten Frau ansangen?
Arndt lächelte ein trübes Lächeln.
Was war denn er, wenn die um zwei
Jahre jüngere Martha eine alte Frau
war? Aber sreilich, eine Frau von
sülisunddreißig und ein Mann von sie
benunddreißig, das ist ein Unterschied,
der für die Frau ein etwa achtjähriges
PluS ergibt. „Und weshalb? Weil
eine alberne Gefellfchaftsusance die«
ZZaradoxon ein sür alle Male als Regel
hingestellt hat vor der eS keine Aus
nahme gibt Eselei —"
„Was murmeln Sie denn da sür Lie
benswürdigkeiten in Ihren Bart ?"fragt
nun Frau Mariha, sich ihrerseits au?-
raffend, denn auch sie hatte, vielleicht
?hue daß sie selbst es gewußt, stillschwei
gend mit einem nicht eben sorgenfreien
Lächeln vor sich hin geblickt.
„Ich denke, Sie siud durstig? Ihr
sprachen mir nach dem Thee wer wird
iine gute Freundin so auf die Folter
spannen?"
„Gute Freundin, beste Freundin!"
Er hielt ihr über den Tisch hinüber
die Hand hin, in die sie die ihre frei
müthig und ohne Zögern legte. Aber
»lS sie die Finger nach Secundenlänge
zus den seinen wieder lösen wollte, ließ
er sie nicht.
„Ihre Hand ist heiß, Martha Sie
!ind krank."
„Ich krank?"
Sie lachlt gezwungen, unharmonisch,
wie er sie. die sein Ideal ungetrübten
Nleichmuihs war, niemals hatte lachen
hören. Und noch einmal:
„Ich krank? Die Leute in Kirchbach
würden Sie auslachen, wenn Sie das
hörten!"
Nein, nein, sie hatte recht, sie war
nicht krank. Diese unermüdlich treue
Arbeiterin in dem umfangreichen Wir
kungskreise, den der Verstorbene ihr
hinlerlassen batte, war ein Bild der
Gesundheit, Kraft und Frische, ein Bild
der Jugend im Vergleich zu der
bleichsüchtigen, nervösen, sogenannten
jungen Generation, und wenn er jetzt
Martha Wendland noch einmal mit
Helma von Saldern verglich wahr
hastig, Martha konnte, rrotzdem sie hätte
Helmas Mutter sein können, den Ver
gleich nicht nur aushalten, sie konnte
aber nein, nichts davon.
Endlich setzte er den Thee an die
Lippen und trübselig über den Rand
°>er Tasse sort zu Martha hinüberblik
lend, sragte er:
„Wo werd' ich künftig solchen Thee
trinken?"
„In Ihrer eigenen Häuslichkeit
Sie haben eS dann noch viel bequemer,
Sie Faulpelz, Sie. Sie brauchen dann
nicht einmal mehr wie jetzt über den
Straßendamm, sondern nur von einem
Zimmer in's andere zu gehen!"
„Hm!"
„Hm —? WaS soll da? heißen?"
„Nichts oder Alle«. Wie Sie wollen."
„Sie sind heut' unerträglich!"
„Ich danke Ihnen für das Eompli
ment. Sie werden ja nicht lange mehr
unter meiner Unerträglichkeit zn leiden
haben. Wann gehen Sie nach Kirch
bach?"
„In vier Wochen —"
„Unumstößlich?"
„Unumstößlich! Und wann Heira
then Sie?"
„Das ist wider die Abrede. Ich
habe meinen Thee noch nicht ausgetrun
ken!— Und in der nächsten Saison?"
„Komme ich mit Lilli natürlich wie
der nach Berlin zurück!"
„Dann werden Sie mich schwerlich
mehr hier finden der Minister machte
mir gestern Andeutungen, daß eS sehr
wahrscheinlich sei, daß ich aus ein Jahr
nach Afrika defignirt würde —"
„Nach Afrika ?"
Arndt kam e» einen Augenblick vor,
als ob Frau Martha sehr blaß gewor
den wäre. Aber er mußte sich wobl
getäuscht haben, denn sie fragte voll
kommen ruhig:
»Und Helma?"
Er hob die Tasse, die noch zur Hälfte
gefüllt war.
„Nach dem Thee, liebe Freundin!"
Sie sah ihn unwillig, beinahe zornig
an. Fast bätte sie eine heftige Bewe
gung gemacht.
„Verzeihen Sie —" bat er und trank
seine Tasse nun mit einem Zuge leer.
Martha seufzte erleichtert auf und
lehnte sich dann weit in ihren Stuhl zu
rück, wie um behaglicher anhören zu
tonnen. Ihr Gesicht war bei dieser
Bewegung vollständig in den Schatten
gerückt worden. Nur aus ihre beiden,
nicht kleinen, aber edelgeformten Hände,
die ihr im Schooße ruhten, siel das
volle Lampenlicht. Wußte sie eS nicht,
wie unruhig diese schlanken Finger zuck
ten ?
Hm Ton eine» trockenen Geschästi
berichts fing Arndt zu sprechen an.
„Ich ging also gestern gegen Abend
zu Caldern und that nach Ihrem
bot!"
„Nach meinem Gebot?"
„Oder nach Ihrem Rath, wenn Sie
das lieber hören. Aber nein," rief er,
lebhafter werdend „das war kein
Rath mehr, das war entschieden ein
Gebot, oder nennen Sie es etwa kein
Gebot, was ich seit zwei Monaten und
darüber täglich höre: „Lieber Freund,
es ist die höchste Zeit, daß Sie Heira
then, Sie werden sonst ein bequemer
alter Junggeselle, zu welchem Berus
Sie überdies bedenkliche Anlage haben
Lilli ist erwachsen, folglich habe
ich nicht mehr so viel Zeit wie früher,
um Mutterstelle an Ihnen zu vertreten.
Helma von Saldern ist in jeder Hinsicht
eine sehr vortreffliche Partie, hübsch,
jung, wohlhabend, gut erzogen, der
Bater Ihr Borgesetzter, der viel von
Ihnen hält kurz und gut, gehen Sie
zu ihm und kalten Sie um Helma bei
ihm an" haben Sie das gesagt oder
i cht?"
„Ja gewiß aber mein Gott, wie
!ann man so heftig werden hat Sal
dern Ihnen etwa —?"
„Einen Korb gegeben! Ha, ba!
hätte er'S nur gethan. Aber glücklicher
weise war er.mehr noch als gewöhnlich
zerstreut, ging, nachdem ich kaum ein
paar Worte über seine Tochter hervor
zestottert und er ohne Besinnen „ja
natürlich" gesagt, sofort auf die Interes
sen unserer Abiheilung über, so daß ich
hoffen darf, er weiß gar nichts mehr
»avon, welche Eselei ich begangen
habe —"
„O, und ich meinte e» so gut!"
„Gut? Das ist geradezu empörend.
Schlecht, sehr schlecht, über Alles schlecht
haben Sie'S mit mir gemeint. Wenn
S«e mich durchaus lo» sein wollten, so
hätten Sie'S mir wenigsten! ehrlich sa
gen können eS bätte mir weh gethan,
natürlich sehr weh unglaublich
tveh aber, doch immer besser, als ei
nen vernünftigen Menschen, ich möchte
beinahe sagen, hinter seinem Rücken, mit
solch' einer niedlichen Spielpuppe ver
heirathen zu wollen ich frage Sie um
Nolteswillcn, Martha, was fängt man
mit solch' einer Frau an?"
Frau Martha antwortete nicht. Sie
hatte ein Gefühl, daß, wenn sie jetzt
spräche, sie entweder in einen Jubel
ohne Gleichen oder in Thränen aus
brechen würde, und beides durste nicht
sein.
„Sie antworten mir nicht einmal?
Ich verstehe, Sie sind mir böse, Sie ha
ben das Recht dazu, ich habe mich un
verantwortlich heftig betragen. Ver
zeihen Sie! Aber Martha, so verzeihen
Sie mir doch! ES ist doch am End«
kein Verbrechen, daß ich Sie —daß ich
Helma nicht liebe!"
„Trinken Sie noch eine Tasse Thee!"
„Gott soll mich bewahren! Ich hatt«
Ihnen nach dem Thee ein Geständniß
zugesagt. Ich habe mein Wort gehal
ten ich trinke keinen Tropfen mehr."
„Nun denn auf morgen!"
Er schüttelte traurig den Kopf.
„Nein, liebe Freundin! Ich —ich
oill mir« lieber abgewöhnen!"
„Ist Ihnen der Weg über dieStraßel
zu weit ?"
„Martha, diesen Spott habe ich nie»
verdient —"
„Ich wollte nicht spotten," sagte s»
und erröthete dabei so tief, wie Hein»
von Saldern mit ihren achtzehn Jahr»
nicht tieser und ehrlicher hätte erröthfn
können. „Ich ich meinte nur
daß, was bei Helma möglich gewesen
wäre —"
„Martha, Martha! Ich beschwör«
Sie bedenken Sie, was Sie sprechen.
Meinen Sie meinst Du, daß ich nicht
mehr über die Straße zu gehen brauchte,
um Deinen Thee zu trinken ? Daß eS
auch bei Martin Wendland, wie Du'»
bei Helma vorgeschlagen, von Zimmer
zu Zimmer ginge?"
Sie schüttelte mit einem holden
Lächeln den schön n Kopf.
„Bei Martha Wendland nein
aber —"
„Bei Martha Arndt! O Du, Du
göttliches Geschöpf! O und ich Esel!
Um das zu erfahren, mußte ich erst bei
Saldern um seine Tochter anhalten!"
Er hielt sie so eng umschlungen, als
ob er die Langoesuchte, Jmmerbesesseii«,
Endlichgesundene nie wieder lassen
wollte.
„Und nun geh', Du Liebster e»
ist spät!"
„Und wann darf ich morgen wieder
kommen?"
„Da Du nun doch einmal die Ge
schmacklosigkei: begangen, durchaus eine
alte Frau statt einer jungen haben zu
wollen zur Stunde der Geständnisse
nach dem Thee!"
Ende einer DiScussion.
.Lieber Freund, erlaube mir, Dir zu
sagen, daß Du ein Esel bist." „Un
terscheiden wir: Bin ich ein Esel, weil
ich Dein Freund bin, oder Dein Freund,
weil ich ein Esel bin?"