2 ettUlebe« in Liaurte«. Die Bewohner der ligurifchen Küste find im Allgemeinen honette Leute. Zwar sind sie ein bischen unreinlich, ein klein bischen eitel, grausam gegen da» liebe Vieh und gewohnt, in neun Zehn tel de» Jahres auf den Lorbeeren aus zuruhen, aber sie haben doch auch ihre guten, nicht immer von ihren althistori schen Urvätern ererbten Eigenthümlich keiten—sie sind ehrlich und find selten auf den Kopf gefallen, was bei der Be schaffenheit ihrer Fußsteige besonder« anzuerkennen ist. Auch haben sie viel Familiensinn und halten sogar ihre Schwiegermütter heilig, al« eine gute und billige Arbeitskraft. Sie verkennen nicht—wie wir Barbaren es häufig thun daß seit Jahrtausenden die Schwie germutter sich als nützlich und segen bringend erwiesen hat; denn schon Ja son nahm, als er Meda aus KolchiS entsühnn wollte und die schon damals schwer zu beschaffenden Drachenzähne säen mußte, da» Gebiß seiner Schwie germutter und senkte es in die Erde. So entkam er glücklich über das Meer. Die Ligurier südlich von Genua sprechen den genuesischen Dialekt, aus dem der Wohlklang der italienischen Sprache bis auf ein kleines Restchen verschwunden ist und der eine ebenso eigenartige als keinliche Vorliebe für de§ zischende Sch. ausweist. Wenn sie «Ja, mein Herr" sagen wollen, dann sagen sie „Boki statt „s! und dann haben sie auch einige eigene Wortbildungen, allesamint mit diesem Ueberfluß an zischenden Lauten. Wenn sie aber einmal ihr zivilisirteS Italienisch hervorholen und ansangen, nach der italienischen Schriftsprach zu reden, dann verweilen ste bei jeder Silbe, als ob fies sich auf die nächste be sinnen müßten, sie dehnen die Worte mit einer komischen Wichtigkeit, die nur ihrer Hilflosigkeit entspringt, aber doch unendlich affektirt und geziert erscheint, sowie ein Fräulein, das der engen Stiefeln oder der allzu hohen Absätze wegen nur einhertänzeln kann, auch leicht in den Verdacht der Ziererei geräth. In kurzen Abständen schmücken die kleinen Städte den buchtenreichen Strand, sie sind aus dem schmalen Küstenstreifen zwischen dem blauen Meer und den dunklen Bergen zierlich aufgebaut, und das Meer vor ihnen und die Berge hinter ihnen begrenzen ihr Wachsthum. Aber hoch in die Berge hinaus klettern die winzigen Dörfer, bi» dort hinauf zur Höhe, wo der Wind pfeift und die grauen Wolken so nah vorüberziehen. Und so hoch oben in den Berghügeln liegt Ruta. ES hat ein Dutzend Häu ser und eine kleine, im Innern ganz bunt geschmückte Kirche, »S hat einen Gasthof, eine Schmiede, einen Schnei der und drei Schuhmacher. Es hat keinen Barbier, ja, nicht einmal einen Sindaco, und infolgedessen hat es auch noch keine Laternen auf den Straßen. Aber die Leute von Ruta trösten sich damit, daß sie dann den Laternenan zünder nicht zu besolden brauchen. Sie wissen, daß der Einzige, der sich hier allenfalls bei Nachtzeit das Genick bre chen könnte, der würdige Greis ist, der den Postverkehr zwischen Ruta und der Welt dort draußen in seiner Person verkörpert und den sie jüngst aus dein Gießbach herausgefischt haben, in den er, nicht nur von der Welten Schönheit berauscht, unvorsichtig gestolpert war. Ist auch meine arme Correspondenz von den Fluthen diese» hurtigen BacheS in das weile Weltmeer getragen wor den, oder Libt e» irgendwo zwischen Ruta und Deutschland einen Briefkasten mit einem Leck? Die Rutaer sind ge wiß nicht schuld an diesem Massenver lust von Briefen, denn sast täglich kann man sehen, wie sie auf der Landstraße bemüht sind, ihrem oben geschilderten Postverkehr auf die Beine zu helfen. All' die Berge bi» weit zum Süden hinunter und bi» weit nach Norden hinaus, über Genua hinweg, die ganze Riviera entlang, sind bepflanzt mit Oliven. Ueberall sind die Höhenzüge terassensörmig ausgebaut, und aus sen, von grünen Steinmauern gestützten Terassen wächst der Oelbaum, in locke rem, mehr' oder weniger gedüngtem Erdreich. Seine kleinen, eichelähnlichen Früchte werden gesammelt, gewaschen und dann in Mühlen gepreßt. Aber das Oel, das sie geben, ist sehr ver schieden an Güte und eS ist ein gewalti ger Unterschied zwischen dem edlen Oel der ~'l'lt<;sisse.!t", das aus dem Teller des Feinschmeckers wie ein goldgelbes Bächlein die Sardine umfluthet und dem gemeinen Oel der „volomksr»", das die rußige Hand des Arbeiters aus der blechernen Ranne auf das Räder werk der Maschine träufelt. O, von der bis zur „(^vlombar»" ist's gerade so weit wie von Dumas t,I» bis zu Zola! Unten am User entlang schlängeln sich um tausend Hindernisse herum die Banngeleise, und die Züge pusten und dampfen hinauf und hinunter. Es ist nicht sehr empfehlenswerth, von ihnen Gebrauch zu machen, denn sie arbeiten sich durch ungezählte Tunnels hindurch, und solch eine tunnelgesegnete Bahn fahrt am aussichtsreichen ligurischeu Strand ist wie ein Zeitschriften-Roman, bei dem es immer an der schönsten und spannendsten Stelle heißt: „Fortsetzung folgt im nächsten Heft." Und ei dauert manchmal so lange, bis daS nächste Heft erscheint! Nein, da ist eS schöner oben auf der Landstraße, die wie ein weißes Bqnd über die Hügel sich hinzieht und das Dutzend Häuser von Ruta in zwei halbe Dutzend theilt. Ueber ihr steigen höher und höher die olivenbepflanzten Berge hinaus, unter ihr klettern die Oliven terassen hinunter bis tief in das blaue Wogenmeer. Und in der Ferne sieht man den dunklen Landstreisen der Rivieru di Ponenle und Genuas Leuchlthurm und NerviS weiße Häuser und Villen und dann daS kleine Recco, daS sich furcht sam in der Bucht verkriecht, und Ca» moglie, diese» entzückende Cainogli«, dessen hohe, oft zu acht Stockwerken auf steigende Häuser so eng aneinandegeklebt sind aus den zackigen Felsen, aus denen das Städtchen in s Meer hineingebaut ist, wie eine alte Seeränberveste. Dann, weiter nach Süden über Ruta hinaus, hemmt das gewaltige Vorge birge de? Montesino den Blick, und man muß rings um den Bergkoloß herum schreiten, wenn man die Südküste sehen will, Santa Margherita und das statt liche, in seinem Golf wie eine Schnecke in'» Gehäuse zurückgekrochene Ragallo, Chiavari und Sestri Levante. Porto fino aber, in dessen hoch in'» Meer ge bautem Kastell unser armer FrühlingS kaiser, damal» noch Kronprinz Friedrich, vor nun vier Jahren lange Wochen ge weilt hat, Portofino sieht man von der Landstraße nicht, eS liegt ganz versteckt, eine Welt sür sich, am Fuße de» weit in'S Meer tretenden Vorgebirges. Die Leute in all' diesen kleinen Städ ten leben vom Olivenbau und von der Schifffahrt. Und daher kommt'S, daß man in allen Straßeu und auf allen Plätzen so viel vergnügte Nichtsthuer antrifft. Denn der Olivenbau macht ihnen, wenn die Terrassen eingerichtet und gedüngt sind, nur in der Erntezeit noch zu schaffen und die Seefahrer, die nach Nord- und Südamerika gesegelt sind, Pflegen sich nach ihrer Rückkehr reichlich ein halbes Jahr lang Ruhe zu gönnen. Und so sieht man sie dann auf dem freien Platze vor dem Municipio unter den Kastanienbäumen, wo in der Mitte gewöhnlich da» steinerne Denk mal irgend eines Freiheitshelden sich stolz erhebt; da sitzen und stehen sie herum, die Hände in den Hosentaschen, sie rauchen, und debattiren über die Po litik von Chile und Marherita. Sie tragen schr gerne gelbe Strandschuhe und spucken bereits auf amerikanische Art. Aber wie Müßiggang aller Laster Anfang ist, so sind auch diese braven Liguren in ihrem Hang zum Nichts thun aus recht dumme Gedanken gera then. Denn neben ihrem Lieblings spiel, dem Koooi, ist nun ihre einzige Unterhaltung das Bogelschießen. Und das betreiben sie mit einer fabelhaften Leidenschaftlichkeit, mit einer Wuth, als gälte es Italiens schlimmsten Feind zu verderben. Sie stehen hinter jedem Baum, sie schießen Alles weg, was sie sehen. Singvögel und Spayen. Und sie haben eS verstanden, aus ihren Wäl dern und aus dem ganzen Lande die fröhlichsten Gesellschafter der Menschen hinauszutreiben. Sie schauen ja sehr malerisch aus, wenn sie mit ihren lan gen Flinten über die Hügel dahinschlei chen, aber beim Himmel, wenn sie schon wie Gemälde ausschauen, dann sollte man auch dafür forgen, daß sie gut ge hängt werden! In den Oliventerassen droben und drunten schütteln sich leise die mattgrü nen, fast grauen kleinen Blätter aus den verknorpelten Aeften, und dazwischen leuchtet mit herbstlichem Rothgelb das Laub der Edelkastanien hervor. Aber wie schwarze, unheimliche, spitzige Säu len springen über all' dem Laubgewirr die Cyprefsen heraus. Sie haben etwas UeberraschendeS, Unheimliches, wie sie plötzlich in oie Höhe schießen, gleich um gekehrten AuSrufungszeichen. Sie sind etwas so ganz Besonderes mit ihren enganeinander geschmiegten Zweigen, so etwas sest in sich Geschlossenes, dunkel Drohendes. Ja, sie sind die Bänme Böcklins, die Bäume der märchenhasten Todteninsel, auf der das große, ewige Schweigen wohnt. Und nun wird's auch an der Küste so ganz schweigsam und ruhig. Nur dann und wann hört man das Hü oh der Maulthiertreiber und sieht die drei oder vier Maulesel, hinter einander ge spannt, den zweirädrigen Wagen über die steile Straße ziehen. Da» stärkst« und größte der Thiere geht zuletzt, dicht vor dem Wagen, eS muß am schwersten ziehen und bekommt die! ganze Maaß der Schläge grausame, brutale Schläge. Und sieht sich dann so unver nünftig wehmüthig um und weiß nicht, daß eS in der ganzen Welt so zugeht und daß überall die größten Esel Prügel bekommen. Draußen vor dem Dorf stehen die Leute beim doooi. Greife und Kinder, AlleS spielt mit einander, die Alten mit ruhiger Würde, die Jungen mit Streit und Geschrei. Sie werfen eine kleine Kugel voraus sie ist das Ziel. Und dann gilt es mit den größeren Kugeln diese Kleine zu treffen. Ich habe Kerle gesehen, die es darin zu einer erstaunli chen Fertigkeit gebracht hatten, und die sich die Sache durch allerhand Nuancen beim Wersen noch künstlich erschwerten. Ja, wenn man so viel Zeit hat, sich'S auszuprobiren. Von dem Haus dort, gleich hinter der Schmiede, in der die rothe Glmh noch nicht erloschen ist, kommt Gesang. Es ist ein Haus, so bunt mit Säulen und unwirthlichen Fenstern bemalt,jwie alle anderen. Es lehnt sich eng an die grauen Olivenhügel und hat einen klei nen, mauerumschlossenen Garten mit Feigenbäumen und Orangen. Unter dem Dach von dünnen Arsten und Zwei gen neben der Hausthür, aus dem der Sommerwein sich ranken soll, sitzt ein Mädchen, nur aus der Entfernung hübsch, wie sie alle hier. Und sie ist es, die singt. Es ist PaladilheS alte Mandolinata, die ihren Autor in ganz Italien be rühmt gemacht bat und die sie hier träl lern, wie bei uns die „kleine Fischerin", die nun alt genug ist, um allein fahren zu dürfen. Und das Mägdlein unter'm Rebendach singt immer wieder ihr „8u »uäism", das verdeutscht etwa so lauten würde. „O kommt, die Nacht ist köstlich, Schon naht der Mondensche>n, Bald dort, bald hier durchstreifen wir Die Straßen ans und ein. So lang die Schatten weilen. Darf jubeln jedes Herz, Die Stadt entlang zieht sonder Zwang Mit Sang und Klang und Scherz!" Und dann kommt die schöne Geschichte von der herrlichen Geliebten, die am Fenster erscheint und dem Sänger di« Rose herabwirst. O, eS ist kein sehr geistvolle» Lied, aber e» ist sozusagen Schwung dar,n. Und als da» Alles ausgesungen ist und der glückliche Ge liebte die Rose ausgenommen hat, er sterben leise die Klänge. Man hört dann nur noch daS Hü-oh der Treiber und das Aufschlagen der Kugeln beim Loooi und daS gleichför mige Klappern der Klöppelhölzchen, das aus allen Häusern dringt; denn überall sitzen die alten und jungen Frauen und klöppeln ihre Spitzen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang; und manchmal verdienen sie so 1 Lire am Tag. Aber daS sreilich ist selten, denn daS Absatzgebiet wird immer klei ner und die Concurrenz wird auch hier immer größer. Nun kommt schon leise das Abend weben über das blaue Meer, und in der Luft beginnt jener stille, kaum fühl bare Kampf zwischen den goldenen Sonnenstäubchen, die zurückgeblieben sind, ein Erbe des geuorbenen Tag« und den DämmerungSschatten, die erst ganz dünn und schwach und machtlos herniederschweben. Um diese Zeit ist die Natur am schön sten, da ist der Friede in ihr am reinsten und wunderbarsten, ein wehmüthiger, schweigsam klagender Friede, noch erfüllt von dem Dust der AbschiedSblumen aus dem Sarge der Königin. Da hebt je des Blatt an den Bäumen sich so dunkel von dem matten Abendhimmel ab und um jedes von den Blättern spielt diese unsichere, weiche Dä.nmerungslust; und sie umwebt mit ihrey, fast fichtbaren, melancholischen Zauber die wunderba ren, breiten Schirmdächer der Pinien und die verwachsenen und verkrüppelten Stämme der Oliven und die undurch dringlich schwarze Nacht der Cypressen, sie legt sich um die Stechpalmen und die wehende» Epheuranken und um das Rebendach an dem kleinen Hause dort und scheint Alles aufzulösen zu leuchten dem Duft, alles Scharfe, alles Eckige, alle Gegensätze und alle Feindschaft. Aber dann ziehen die drohenden, ver derbentragenden schwarzen Wolken am Himmel auf, wie die Heere der Hunnen, die ausziehen, die Welt z» zerstören, und das Meer beginnt zu rauschen und sich schwer gegen die Felsen zu Wersen. Die Nacht ist da. Wieder singt vor dem stillen Haus das Mädchen, das nur au» der Entfer nung hüofch erscheint, aber sie singt nicht mehr die Mandolinata mit ihrem in haltslosen, cmpfindungSarmen Kehr reim, sie singt—ja, wer wird'S glauben das gute, liebe HeimathSlied vom rothen RöSlein auf der Haide. Sie weiß nicht, was sie singt, sie kennt eigentlich nur die Melodie und von den mechanisch ausgenommenen Worten haf ten ihr nur einige noch im Gedächtniß, aber sie singt es doch, leise und mit ver hallender Stimme—„RöSlein, Röslein, Röslein roth. Röslein auf der Haide!" Ach, es ist sehr unvorsichtig, wenn man Lieder singt und dann nicht weiß, was sie bedeuten! Doch dann begann ein Anderer zu singen, sein rauschendes, nimmer enden des Lied der Regen. Und er sang und sang, viele Tage und viele Nächte und kam mit Hagel und Sturm und wars ganze Eisstücke gegen die Fenster und brauste durch die erschrockenen Lüste, wie ich ihn in diesem Herbstwan dern erst einmal habe brausen hören als ich über den bergumgürteten Gardasee fuhr und dann in Riva saß, in der „Goldenen Sonne", in demfelbeu Riva und in demselben Haus, wo einst Jens Peter JakobsenS Niels Lyhne die die schöne Sängerin Odero traf. Glück licher Niels. Ich Armer, der ich lange nach Lyhne kam und lange nach Frau Odero, ich traf in den einsamen Sälen nur noch Madame Ibsen und ihren Sohn. Ach, der Regen schlug prasselnd nieder aus das Dach, er schuf aus der Wasserfläche tausend kleine Grübchen, und der graue, lichtscheue Nebel lag vor den ragenden Bergwänden wie ein langweiliger Theatervorhang vor der Walküre Zauberland. ES regnete ein förmig und wandelloS, und wenn ich an der Kammerthür vorüberschlich, hinter der des nordischen Dichters Fa milie ihr vollfeindliches Dasein sührte, dann war mir'S. als hörte ich den Sohn leise, bittend flüstern: Mutter, gieb mir die Sonne! Ein Ungar von rein st em Blut war der Hauptmann I. ,n der Budapester Garnison, unter seinen Ka meraden beliebt, wie kaum ein Anderer, in der Gesellschaft einer der Begehrte sten. Er war Junggeselle, überaus liebenswürdig, ein andauernder Theil nehiner an den schwersten Dienststrapa zen, wie an den längsten Kneipabenden, hier und da leidenschaftlich aufflammend, aber meistens von beschaulicher Sanst muth. Andere Krieger der Garnison galten wohl als flotter, der Hauptmann I. aber wurde von den Damen Buda pests als der Galanteste bezeichnet. Einmal mußte er in einer Privatange legenheit verreisen und kehrte unerwar tet in der Nacht zurück, als die anderen Osficiere gerade ein FaschingSsest feier ten und nicht in ihrer Wohnung anzu treffen waren. Nur den Oberstlieute nant K. hatte ein höherer Wille zu Hause gehalten, und dieser wurde des NachtS aus dem Schlaf getrommelt. Da fein Bursche sich nicht rührt, öffnet er selbst. Vor ihm steht der Haupt mann I. Gestiefelt und gespornt tritt er zu ihm in'S Zimmer. „Kam'rad!" sagt er. „Hast kein Nachtlager für mich? Ich kann nicht in mein Quar tier." „So tapp Dich zum Kanape' oder mach Licht!" sagt der Ander«. „Hast wobl Schlüssel auf Reif' verlo ren ?"—„Nein!" erwidert I. „Burfche gibt Unterhaltung!" „WaS?" fchreit K. „In Deinem Zimmer. Vielleicht auch meiner dort!"—„Alle!" antwortet der Hauptmann. „Und hast Kerls nicht massakrirt?" ruft K. zornig, worauf I. gleichmüthig entgegnet: „Ging nichi! Was glaubst denn? Sind ja Damen dabei." »«»««»»< l «Zeit vielen, vielen Jahren verkehrt, Herr Pimpel als Stammgast in de, „Krone", sehr zu de» KronenwirtheS Zu friedenheit und lange auch zu seiner ei gene». Da» war ein böser Abend ge wesen im vorigen Winter, wo Her, Pimpel sich zum ersten Male einen Nar ren schalt, daß er sa lange diese Diebe». Höhle, wie er die „Krone" nannte, fre quentirte. Na, so sehr im Unrecht wa, er ja auch nicht gewesen. Durste es iv einer Kneipe von dem geringen Umfan ge, wie die „Krone", vorkommen, daß ungesehen ein nagelneuer Ueberziehe, vom Mantelstock verschwand und ein schäbiger Ulster dasür zurückgelassen wurde? Gewiß, man konnte eS Herrn Pimpel, dem diese» kleine Unglück passirt war, nicht verdenken, daß er an jenem Abent wetterte und fluchte und sich hoch unt heilig verschwor, die Langfingerbud, niemals mehr zu betreten. Er hätt« auch wohl sein Versprechen gehalten, wenn er nicht eben ein leidenschaftliche, Scatspieler gewesen wäre. Und daß er die gemüthlichen Skatabende iu de, „Krone" so plötzlich aufgeben sollte, dai ging nun doch über seine Natur. Kurz und gut, einige Tage blieb Herr Pim pel wohl schmollend fern, dann stellte er sich aber eines Abend» mit süßsaurer Miene wieder ein nnd der Sache wurde keine Erwähnung mehr gethan. De, Bestohlene legte sich auch bald einen neuen, pikfeinen Ueberzieher zu, und dann erinnerte er sich selbst nur noch seine» Malheurs, wenn er diesen Abend» an den Haken hing, was ihn aber veranlaßte, die Stelle sürderhin etwa» schärfer, wie früher im Auge zu behalten. Sechs Monate gingen darüber hin weg. wieder war der Herbst ins Land gezogen. Da sperrte Herr Pimpel eines Abends gar verwundert die Augen auf, als er bei seinem Eintritt in die „Krone" flüchtig den Mantelstock streifte! Hing da am Nagel nicht daS gestohlene Gut, sein alter, treuer Ueberzieher? Kein Zweifel, wenn auch in furchtbar herab gekommenem Zustande, er mußte man chen Sturm bestanden haben, aber er war'S. Wiedersehen macht Freude. Da- Gefühl hätte auch Herrn Pimpel bald veranlaßt, den alten Freund brüderlich zu umarmen, wenn ihm nicht noch zur rechten Zeit ein vernünftiger Gedanke gekommen wäre. Wo da» gestohlene Gut war, da konnte ja auch der Dieb nicht fern sein. Rache ist süß; und Herr Pimpel hatte sich weidlich geärgert damals. So setzte er sich gleichgiltig an den Stamm tisch, nachdem er seinen neuen Ueberzie her an dem gewohnten Platz gehangen. Der Spitzbube würde sich jetzt schon finden, Herr Pimpel hatte ja nur nö thig, den alten, treuen Kameraden im Auge zu behalten, und das besorgte er denn auch gewissenhaft, was ihm von den Skatfreunden manchen fchönen Rüf fel eintrug. Herr Pimpel aber lachte innerlich, wenn er an den schönen Mo ment dachte, wo er den Lumpen am Kragen fassen würde. Nur wurde seine Geduld a»s eine harte Probe gestellt. Wohl glauvre er drüben in der Ecke und auch in jener einige verdächtige Individuen zu bemerken, die er der Thatverdächtige der Kerl ging aber über ,ll hier nur nicht auf den Ueberzieher zu. Ob er vielleicht Lunte gerochen hatte, der Spitzbube? Es schlug zehn, elf; der „Kronen lvirth" machte feine Kasse in Ordnung, auch di- Skatsreunde gähnten, da schaute sich Herr Pimpel um. Teufel, da waren sie ja allein in der Wirth schaft und noch hing der alte, halbzer fetzte Ueberzieher da. Also doch ver zebenS, der Lump hatte den Braten gemerkt. Aergerlich zahlte Herr Pim pel; jetzt verspürte er kaum mehr Lust, »en Freunden seine Entdeckung zum Kesten zu geben. „Gehen Sie mit, Pimpel?" sragte her eine. Er erhielt nicht sogleich eine Ant wort. Pimpel suchte mit den Augen »en Mantelstock ab. „Haben Sie mei nen Ueberzieher fortgehängt, Kronen wirth?" fragte er dann, aber feine Stimme zitterte merklich dabei. Der Kronenwirth schüttelt« de < !kopf. „Wie sollte ich dazu kommen; übrigens würden Si« da» schon gemerkt haben, wo Sie ihn jetzt immer so Luge behalten!" Da g ng Herrn Pimpel ein schreck liches Licht auf. Der Spitzbube hatte ihn zum zweiten Male geprellt, und für den mitgenommenen neuen Ueber zi-ber den abgetragenen alten zurückge '«ssen! Sein ganzerAerger. A.. „Sie haben auf die Ergreifung Ihre» durchgebrannten KassirerS volle 2000 Mark ausgesetzt, ist denn die verun treute Summe so groß?" B.: „Nein, das nicht, aber ich möcht'S den elendigen Kerl büßen lassen, daß er nicht wenigstens eine von meinen fünf Töchtern mitgenommen hat!" Anzeige. Verein für Land- Wirthschaft. „DaS Geburtsfest unsere» verehrten Herrn Vorstandes wird näch sten Sonntag durch einen Vortrag über „Rinderpest und Klauenseuche" festlich begangen werden! Zahlreiche Bethei ligung erwünscht. Das Comite." Beste Bezugsquellen A.: „Unser Freund X. beklagt sich bit ter, daß er nimmer zu seinem Recht und zu seiner Gesundheit kommen kann!" G.: „Glaub'S schon, der bezieht halt sein Recht vom Advokaten und seine Ge sundheit vom Doctor!" Sonderbare Beruhi gung. Müller: „Der Huber hat mich ein <. chas geheißen; das kann ich mir doch nicht gefallen lassen!" Maier: „O, daS macht nichts —da ist eben jetzt ein Mensch weniger aus der Welt!" Lakonisch. Prinzipal: „Wech sel eingegangen?" Buchhalter: „Nein, wir!" »»« Stund« de« «estSndUtff«»» Frau Martha Wendland faß an ihrem großen, bequem eingerichteten Schreib tisch und schrieb. Bor ihr lagen Rech nungsbücher,Auszüge,Belege undßrirf«. deren Handschristen sämmtlich einen durchaus geschäftlichen Charakter trugen und in eng«n Beziehungen zu dem von ihr verwalteten Gute Kirchbach standen. Ab und zu hob die Schreibende den Blick zu der kleinen Stutzuhr auf dem dunkel braun geschnitzten eichenen SimS ihre» Arbeitstisches, nnd je weiter die Zeiger vorrückten, um so langsamer wurde dii vor anderthalb Stunden so eisrig begon nene Arbeit gefördert. Ja, als der Zei ger, nur um Sekunden noch von ihr ge trennt, die neunte Stunde wies, legt« Frau Martha die Feder zerstreut au« der Hand und ließ den Blick durch das mit behaglichem LuxuS eingerichtet« Zimmer gleiten. Dabei fiel ihr Auge auf den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand, den eine nur halb verschleierte Lampe hell genug erleuchtete, um Frau Martha eigene Züge wiederzustrahlen. Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Wi« man nur so heucheln kann! Noch gestern wollte der Onkel behaupten, ich sei in den letzten Monaten um zehn Jahre jünger geworden. Eine Frau oder gar ein Mädchen von Fünfundzwanzig würde sich für diese Schmeichelei bedanken." Und dabei steckte Frau Martha eine der fchweren schwarzen Flechten, die sich bei der eifrigen Arbeit gelöst hatte, um den fchöngeiormten, ovalen Kopf. Dann senkte sie den Blick nieder auf eines de» dickleibigen RechnungSbücker und ver suchte es auf's Neue mit der Arbeit. Aber sie hatte kaum wenige Zahlen addirt, als „e die Feder wiederum nie derlegte. Diesmal kam die Störung von draußen. Ein langsam schlürfender Tritt und ein fester selbstbewußter nä herten sich ihrer Thür, die dunkle Por tiere wurde zurückgeschlagen. „Der Herr Dr. Arndt,gnädige Frau", meldete der alte Diener. Der Ankündigung auf demZuße folgte der Gemeldete. „Störe ich nicht, liebe Freundin?" „Aber nicht im Geringsten. Sie hät ten nur gestört, wenn Sie nicht mehr gekommen wären Sie können wohl denken, mit welcher Spannung —" „Davon später. Jetzt eine Kardinal frage: Haben Sie Ihren schon ge trunken?" Frau Martha lächelte und schüttelte den Kopf. „Darf ich?" Arndt hatte den Zeigefinger bereits an den Knopf der elektrischen Klingel gelegt. Als sie nun zustimmend das dunkle Hanvt bewegte, drückte er den kleinen, weißen Elfenbeinknopf eifrig in die Wand. Dann ließ er sich wie schwer ermüdet in einem von Frau Marthas bequemen Sesseln sinken und sagte mit einem Stoßseufzer: „Offen gestanden, ich bin mehr todt wie lebendig vor Durst und Hunger!" „Hat man Ihnen die Sache so schwer gemacht, armer Freund?" Frau Martha sagte eS mit ausrichti gem Mitleid. Er aber sprang so un geberdig ans, als habe ein beleidigendes Wort ihn getroffen, doch ehe er noch die Livpen zu einer sicherlich nicht sanf ten Eriviserung öffnen tonnte, trat der alle Tiener wieder ein. „Decken Sie für den Herrn Doktor mit, Georg. Was trinken Sie: Thee, Bier. Wein?" „Thee, das heißt, wenn Sie ihn selbst machen." Es war nur für sie gesprochen, abe, auch sie wollie es nicht gehört haben und gab Bescheid, von allein auf den Tisch zu setzen. „Befehlen gnädige Frau im Eß saal?" Unwillkürlich schweifte Frau Martha» Blick zu ihrem Gaste hinüber. Sein« Augen hingen bittend, fchmeichelnd wi« ein Kind an ihren Lippen. „Nein, Sie mögen hier bei mir den Tisch zurechtstellen, Georg, den The« mache ich selbst." AIS der Alte gegangen, schritt Arndt lebhast auf Frau Martha zu und küßte ihr die Hand. „Sie sind ein Engel!" „Und Sie ein Kind, dem man alle» zu Willen thun muß, wohl oder übel. Meine einzige Entschuldigung ist die jeder schwachen Mutter, daß, da man seine Kinder nicht das ganze Leben um sich bat —" „Und so weiter, und so weiter unterbrach er sie gutlaunig. Aber sie wollte sich nicht unterbrechen lassen. „.. und da Ihre Tage, mein lieber Freund, wie die eines jeden erzogenen Kindes an diesem Theetisch auch nur gezählt sind, und seit heut oder war es gar schon gestern? ganz be sonders —" Er traut so heftig mit dem Fuß aus den Teppich, daß Frau Martha, die während der letzten Worte mit dem Einschließen ihrer Kirchbacher Geschäfts bücher beschäftigt gewesen war, sich er schrocken umwandte. „Was ist Ihnen hat Fräulein—" „Ich beschwöre Sie, mich erst in Frieden meinen Ihren Thee trinken zu lassen!" In demselben Augenblick trat Georg wieder ein und stellte geräuschlos den Tisch zurecht, während Arndt wie ein zorniger Löwe mit langen Schritten hin »nd der lief. „Und Ihre Schwester und Ihre Frau Tante?" „Sind bei Möllers zum Ball!—" „Lassen Sie wie gewöhnlich allein," war» er ingrimmig dazwischen. Martha wandte sich nach ihm uir und lachte: „Wozu wären wir denn sonst noch Berlin gekommen? Glauben Sie, ich häite die Absicht gehabt, Lilli selbst von Ballsaal zu Ballsaal, von Concert zu Concert, von Theater zu Theater zu schleppen? Mir schwindelt schon bei dem Gedanken. Ich bete die Tante iirmlich dajür "n. daß sie mir so be- reitwillig die» entsetzliche Amt abge nommen hat. Und Lilli ist selig. Sie stirbt ja in Kirchbach vor Langeweile, wenn sie eS auch nicht eingesteht —- „Und Sie, Sie langweilen sich na türlich nie —", warf Arndt im Ton sörmlich erbitterten Vorwurfs dazwi schen. „Unbegreiflich —" Frau Martha lachte. „Und Sie sich stet» —?" „Wenn ich nicht arbeite oder bei Ihnen bin", fügte er kaum hörbar hinzu. „AuS diesem Grunde werden Sie ja nun auch — ". sie warf einen schnellen Blick nach dem Theetisch herüber der Diener war geräuschlos verschwun den. Arndt's Blicke waren den ihren ge folgt. Nun gab er ihr rasch den Arm. „Bitte nach dem Thee." Während Frau Martha das würzige Getränk bereitete, und es ihm dann in seiner Lieblingsmischung in die Tafle goß, beobachtete er, itillschweigenv in seinen Stuhl zurückgelehnt, jede ihrer Bewegungen. Wie wohl seinem unsteten, leicht er regbaren Wesen ihre sanfte, abgeklärte Ruhe that. Diese« trauliche Gemach war ein Hasen des Friedens, den ihm in seiner Art nichts in der Welt jemals würde ersetzen können. Und ach. sie hatte Recht, seine Tage waren gezählt, denn er kvnnte sich'S nicht denken, daß er hier, wo er Martha so ost allein ge genüber gesessen hatte, mit einer Ande ren sitzen sollte. Die Andere war sast noch ein Kind; sie würde gar nicht be greifen, was ihn in jahrelanger Freund schaft mit dieser seltenen Frau verbun den. All' die seinen Fäden von Seele zu Seele, die innigstes Verständniß ge> spönnen und liebe Gewöhnung befestigt hatten, sie würden diesem jungen, kaum flügge gewordenen Dinge nichts als ein ewig Räthselhastes sein und bleiben, an dem sie vergeblich deuteln und klügeln, in das sie, ach, vielleicht mit täppischen Hände» hineingreisen und das seiue Ge webe unheilbar zerstören würde. Für Helma von Saldern war Mar tha Wendland, die seit zwölf Jahren verwittwet, eine alte Frau, die nicht mehr mitzählte, die etwa nur noch gut dazu war, in praktischen Dingen Rath zu ertheilen, besonders wenn man so unpraktisch erzogen war, als Fräulein Helma. Was aber sollte man mir der alten Frau ansangen? Arndt lächelte ein trübes Lächeln. Was war denn er, wenn die um zwei Jahre jüngere Martha eine alte Frau war? Aber sreilich, eine Frau von sülisunddreißig und ein Mann von sie benunddreißig, das ist ein Unterschied, der für die Frau ein etwa achtjähriges PluS ergibt. „Und weshalb? Weil eine alberne Gefellfchaftsusance die« ZZaradoxon ein sür alle Male als Regel hingestellt hat vor der eS keine Aus nahme gibt Eselei —" „Was murmeln Sie denn da sür Lie benswürdigkeiten in Ihren Bart ?"fragt nun Frau Mariha, sich ihrerseits au?- raffend, denn auch sie hatte, vielleicht ?hue daß sie selbst es gewußt, stillschwei gend mit einem nicht eben sorgenfreien Lächeln vor sich hin geblickt. „Ich denke, Sie siud durstig? Ihr sprachen mir nach dem Thee wer wird iine gute Freundin so auf die Folter spannen?" „Gute Freundin, beste Freundin!" Er hielt ihr über den Tisch hinüber die Hand hin, in die sie die ihre frei müthig und ohne Zögern legte. Aber »lS sie die Finger nach Secundenlänge zus den seinen wieder lösen wollte, ließ er sie nicht. „Ihre Hand ist heiß, Martha Sie !ind krank." „Ich krank?" Sie lachlt gezwungen, unharmonisch, wie er sie. die sein Ideal ungetrübten Nleichmuihs war, niemals hatte lachen hören. Und noch einmal: „Ich krank? Die Leute in Kirchbach würden Sie auslachen, wenn Sie das hörten!" Nein, nein, sie hatte recht, sie war nicht krank. Diese unermüdlich treue Arbeiterin in dem umfangreichen Wir kungskreise, den der Verstorbene ihr hinlerlassen batte, war ein Bild der Gesundheit, Kraft und Frische, ein Bild der Jugend im Vergleich zu der bleichsüchtigen, nervösen, sogenannten jungen Generation, und wenn er jetzt Martha Wendland noch einmal mit Helma von Saldern verglich wahr hastig, Martha konnte, rrotzdem sie hätte Helmas Mutter sein können, den Ver gleich nicht nur aushalten, sie konnte aber nein, nichts davon. Endlich setzte er den Thee an die Lippen und trübselig über den Rand °>er Tasse sort zu Martha hinüberblik lend, sragte er: „Wo werd' ich künftig solchen Thee trinken?" „In Ihrer eigenen Häuslichkeit Sie haben eS dann noch viel bequemer, Sie Faulpelz, Sie. Sie brauchen dann nicht einmal mehr wie jetzt über den Straßendamm, sondern nur von einem Zimmer in's andere zu gehen!" „Hm!" „Hm —? WaS soll da? heißen?" „Nichts oder Alle«. Wie Sie wollen." „Sie sind heut' unerträglich!" „Ich danke Ihnen für das Eompli ment. Sie werden ja nicht lange mehr unter meiner Unerträglichkeit zn leiden haben. Wann gehen Sie nach Kirch bach?" „In vier Wochen —" „Unumstößlich?" „Unumstößlich! Und wann Heira then Sie?" „Das ist wider die Abrede. Ich habe meinen Thee noch nicht ausgetrun ken!— Und in der nächsten Saison?" „Komme ich mit Lilli natürlich wie der nach Berlin zurück!" „Dann werden Sie mich schwerlich mehr hier finden der Minister machte mir gestern Andeutungen, daß eS sehr wahrscheinlich sei, daß ich aus ein Jahr nach Afrika defignirt würde —" „Nach Afrika ?" Arndt kam e» einen Augenblick vor, als ob Frau Martha sehr blaß gewor den wäre. Aber er mußte sich wobl getäuscht haben, denn sie fragte voll kommen ruhig: »Und Helma?" Er hob die Tasse, die noch zur Hälfte gefüllt war. „Nach dem Thee, liebe Freundin!" Sie sah ihn unwillig, beinahe zornig an. Fast bätte sie eine heftige Bewe gung gemacht. „Verzeihen Sie —" bat er und trank seine Tasse nun mit einem Zuge leer. Martha seufzte erleichtert auf und lehnte sich dann weit in ihren Stuhl zu rück, wie um behaglicher anhören zu tonnen. Ihr Gesicht war bei dieser Bewegung vollständig in den Schatten gerückt worden. Nur aus ihre beiden, nicht kleinen, aber edelgeformten Hände, die ihr im Schooße ruhten, siel das volle Lampenlicht. Wußte sie eS nicht, wie unruhig diese schlanken Finger zuck ten ? Hm Ton eine» trockenen Geschästi berichts fing Arndt zu sprechen an. „Ich ging also gestern gegen Abend zu Caldern und that nach Ihrem bot!" „Nach meinem Gebot?" „Oder nach Ihrem Rath, wenn Sie das lieber hören. Aber nein," rief er, lebhafter werdend „das war kein Rath mehr, das war entschieden ein Gebot, oder nennen Sie es etwa kein Gebot, was ich seit zwei Monaten und darüber täglich höre: „Lieber Freund, es ist die höchste Zeit, daß Sie Heira then, Sie werden sonst ein bequemer alter Junggeselle, zu welchem Berus Sie überdies bedenkliche Anlage haben Lilli ist erwachsen, folglich habe ich nicht mehr so viel Zeit wie früher, um Mutterstelle an Ihnen zu vertreten. Helma von Saldern ist in jeder Hinsicht eine sehr vortreffliche Partie, hübsch, jung, wohlhabend, gut erzogen, der Bater Ihr Borgesetzter, der viel von Ihnen hält kurz und gut, gehen Sie zu ihm und kalten Sie um Helma bei ihm an" haben Sie das gesagt oder i cht?" „Ja gewiß aber mein Gott, wie !ann man so heftig werden hat Sal dern Ihnen etwa —?" „Einen Korb gegeben! Ha, ba! hätte er'S nur gethan. Aber glücklicher weise war er.mehr noch als gewöhnlich zerstreut, ging, nachdem ich kaum ein paar Worte über seine Tochter hervor zestottert und er ohne Besinnen „ja natürlich" gesagt, sofort auf die Interes sen unserer Abiheilung über, so daß ich hoffen darf, er weiß gar nichts mehr »avon, welche Eselei ich begangen habe —" „O, und ich meinte e» so gut!" „Gut? Das ist geradezu empörend. Schlecht, sehr schlecht, über Alles schlecht haben Sie'S mit mir gemeint. Wenn S«e mich durchaus lo» sein wollten, so hätten Sie'S mir wenigsten! ehrlich sa gen können eS bätte mir weh gethan, natürlich sehr weh unglaublich tveh aber, doch immer besser, als ei nen vernünftigen Menschen, ich möchte beinahe sagen, hinter seinem Rücken, mit solch' einer niedlichen Spielpuppe ver heirathen zu wollen ich frage Sie um Nolteswillcn, Martha, was fängt man mit solch' einer Frau an?" Frau Martha antwortete nicht. Sie hatte ein Gefühl, daß, wenn sie jetzt spräche, sie entweder in einen Jubel ohne Gleichen oder in Thränen aus brechen würde, und beides durste nicht sein. „Sie antworten mir nicht einmal? Ich verstehe, Sie sind mir böse, Sie ha ben das Recht dazu, ich habe mich un verantwortlich heftig betragen. Ver zeihen Sie! Aber Martha, so verzeihen Sie mir doch! ES ist doch am End« kein Verbrechen, daß ich Sie —daß ich Helma nicht liebe!" „Trinken Sie noch eine Tasse Thee!" „Gott soll mich bewahren! Ich hatt« Ihnen nach dem Thee ein Geständniß zugesagt. Ich habe mein Wort gehal ten ich trinke keinen Tropfen mehr." „Nun denn auf morgen!" Er schüttelte traurig den Kopf. „Nein, liebe Freundin! Ich —ich oill mir« lieber abgewöhnen!" „Ist Ihnen der Weg über dieStraßel zu weit ?" „Martha, diesen Spott habe ich nie» verdient —" „Ich wollte nicht spotten," sagte s» und erröthete dabei so tief, wie Hein» von Saldern mit ihren achtzehn Jahr» nicht tieser und ehrlicher hätte erröthfn können. „Ich ich meinte nur daß, was bei Helma möglich gewesen wäre —" „Martha, Martha! Ich beschwör« Sie bedenken Sie, was Sie sprechen. Meinen Sie meinst Du, daß ich nicht mehr über die Straße zu gehen brauchte, um Deinen Thee zu trinken ? Daß eS auch bei Martin Wendland, wie Du'» bei Helma vorgeschlagen, von Zimmer zu Zimmer ginge?" Sie schüttelte mit einem holden Lächeln den schön n Kopf. „Bei Martha Wendland nein aber —" „Bei Martha Arndt! O Du, Du göttliches Geschöpf! O und ich Esel! Um das zu erfahren, mußte ich erst bei Saldern um seine Tochter anhalten!" Er hielt sie so eng umschlungen, als ob er die Langoesuchte, Jmmerbesesseii«, Endlichgesundene nie wieder lassen wollte. „Und nun geh', Du Liebster e» ist spät!" „Und wann darf ich morgen wieder kommen?" „Da Du nun doch einmal die Ge schmacklosigkei: begangen, durchaus eine alte Frau statt einer jungen haben zu wollen zur Stunde der Geständnisse nach dem Thee!" Ende einer DiScussion. .Lieber Freund, erlaube mir, Dir zu sagen, daß Du ein Esel bist." „Un terscheiden wir: Bin ich ein Esel, weil ich Dein Freund bin, oder Dein Freund, weil ich ein Esel bin?"