Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 01, 1891, Page 6, Image 6

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    vier findet sich in fast allen Theilen
Afrika«, den schlechtesten Stoff brauen
entschieden die Hottentotten. Da sie
kein Getreide bauen, müssen sie wilde
Naturerzeugnisse benutzen, und verwen
den deshalb gewöhnlich wilden Honig;
jenseits des Orangeflusses dagegen
sammelt man auch die Beeren der
Grewia, aus denen man einen berau
schenden Trunk herstellt. Im mohame
daniscben Sudan bereitet man aus ge
gohrencm Sorghumteig auf kaltem
Wege die vielgerühmte Merissu, auf
warmem Wege und mit größerer Mühe
den Bilbib der Tokarir, beide Getränke
würden aber unsere Kenner als nichts
anderes ansehen, denn sür gesäuerten
Kleister. Als ein Kleister aus Weizen
mehl würde unseren Zungen selbst noch
die Busa der Egypter erscheinen. Ein
besserer Tripsen ist schon das Bier der
Dinka aus Moorhirse, denen Casati das
Zeugniß eines außerordentlich reinlichen
Voltes ausstellt, auch wenn sie ihre
. Töpfe und Krüge auswaschen mit
' Kuhhorn.
Gar eifrige Verehrer des Gambrinus
gibt daS lebenslustige Völkchen der
Wasoga in Usoga ab, auf die Peteri
auf seiner letzten Reise stieß. Bei ihnen
wird der Biertopf nicht leer. Trommel
und Flöte ertönen Tag und Nacht. Das
abgegrenzte Ländchen, das man in sei
nen inneren Theilen mit Thüringen
vergleichen könnte, treibt in erster
Linie Bananenkultur in größerem Um
fang. Die Banane wird gebraten, ge
backen, gekocht, roh gegessen und vor
Allein getrunken. Und zwar haben die
trinkfesten Leutchen verschiedene Arten,
ihre Getränke zu bereiten. Das limo
nadenartige Uluenge wird ohne Gäh
rung aus dem ausgedrückten Saft der
reifen Frucht hergestellt. Daneben braut
man einen mit Mtama durchsetzten,
stark berauschenden herben Trank, den
man schlechtweg Pombe nennt, und fer
ner ein mittlere« Getränk, Mrissa ge
nannt, in dem der Mtamazusatz sehlt.
Wer gern Vergleiche anstellt, könnte
hier unseren Hausmuff, das Lagerbier
und daS echte Bayerische wieder zu fin
den glHHben. Die Wasoga trinken oder
saugen ihre Biere von morgens früh
bis abends spät. Schon um Mittag
waren Peters Freunde in der Regel in
einem Zustand erhöhter Heiterkeit. Im
Allgemeinen hegt man bei uns von den
Kaffern keine allzu gute Meinung, des
sen ungeachtet sind sie aber ganz ach-,
tenswerthe Bierbrauer.
' Es. ist hier das Kafferkorn, daß das
Material sür das sorgenlösende Nah
abgeben muß. Der Kaffer trinkl
Utyalwabräu. Die Bereitung geschieht
in ähnlicher Weise wie bei uns, indem
man daS Korn durch Anleimen und
nachherigeS Dörren in Malz verwan
delt, das zerquetscht und in großen irde
nen Gefäßen mehrfach auskocht und an
einem kühlen Orte zur Gährung hinge
fetzt wird. Wenn diese hinreichend ge
wirkt hat, wird das Getränk durch einen
von Gräsern geflochtenen Beutel in
Form unserer Kaffeefilter geseiht und
das Bier ist fertig. ES stellt dann eine
4rübe Flüssigkeit dar von der Farbe
dünner Milch-Chocolade und von säuer
lichem, nicht unangenehmen Geschmack
Berliner Weiße? Der Alkohol
gehalt ist wechselnd, je nach der Menge
deS verwendeten MalzeS, gewöhnlich
Ober nur gering. Die starken Gebräue,
wie sie die Häuptlinge für ihren höchst
eigenen Gebrauch bereiten lassen, wir
ken sehr berauschend.
Da dem Kaffer nach Erledigung sei
ner täglichen Geschäfte noch eine lange
Reihe von Mußestunden übrig bleibt,
so ist er, entsprechend seinen geselligen
Neigungen, bestrebt, sie in Gemeinschaft
mit guten Freunden in möglich behagli
cher Weise zu verbringen. Die Bowle,
gefüllt mit Bier, ist dann ein beliebter
Vereinigungspunkt, um den die Ma
nuen herumhocken, zeitweise ihren Durst
mit Calabrassen aus der gemeinsamen
Bierquelle stillen, rauchen oder schnu
pfen. sich Neuigkeiten abfragen, schwaz
zen und lärmen; ganz so wie bei uns
am Stammtisch.
Wir haben unsere Weinernte, wo am
Rhein und in Grüneberg die ausge
lassenste Lust und Fröhlichkeit herrscht;
in Afrika kennt man bei den Wapokomo
zwar keine Kelterzeit, wohl aber eine
Bräuzeit. Im September ist das Ge
treide vollständig herangereift, und dann
ist die ganze Wapokomowelt in einer
sehr fidelen Stimmung. Welche Un
massen von Bier genossen werden, geht
daraus hervor, daß sich vor jeder Hütte
drei Scheuern mit Getreide befinden, von
denen der Inhalt der einen zur Berei
tung von Speise, der der beiden anderen
zur Herstellung von Pon.bebier verwen
det wird. Es wird un» daher nicht
mehr wunderlich erscheinen, wenn es
PeterS auf seiner Reise ziemlich schwer
wurde, in den Dörfern einen nüchternen
Menschen anzutreffen, mit dem er ver
handeln konnte.
Hören wir nun von einer Begegnung,
die der genannte Forscher mit einem
der Sultane hatte. „Von Massa"
schreibt Peters, „marschirten wir am
13. Septembernach Burg, ebensallS am
linken Tanauser gelegen. Hier trasen
wir bereits um 11 Uhr Morgens ein.
Ich ließ den Sultan an der anderen
Seite bedeuten, herüberzukommen,
waS auch sofort geschah, und zwar war
der alte Herr, so früh die Morgenstunde
war, bereit» sehr im Damps. Er und
seine ganz« Umgebung waren thatsäch
lich schon um 11 Uhr Morgen» vollstän
dig betrunken. Sie lachten unaufhör
lich und machten die albernsten Bemer
kungen. Ich schickte den Sultan in
Folge dessen wieder zurück und bedeu
tete ihm. er möge mir Jemand schicken,
der nicht betrunken sei. Da erschien
nach einer Stunde sein Bruder, der den
hohen Herrn mit frühem Pombegenuß
entschuldigte und beklagte, daß er ihm
regelmäßig zu sehr zuspreche. Leider
>gnhte ich auch diesen Broker
aufmerksam mache« »!kß eS ihm
«icht besser gehe ak em Bruder,
worauf er naiv erwiderte, er sei noch
der wenigst Betrunkene deS ganzen
Dorfes."
Bier wird bei allen Begrüßungen in
hohen Töpsen gereicht, und dem Wirth
in ausgedehntester Weise Bescheid zu
thun ist die heilige Pflicht des GasteS,
und Bier fließt bei allen Versammlun
gen und Berathschlagungen in Strö
men. Wer denkt dabei nicht an die
allen Deutschen, die auf Bärenhäuten
lagen, an beiden Ufern des Rheins
saßen und immer noch Eins tranken?
Oder wem kämen dabei nicht unsere
Turner-, Schützen-, Krieger- und Sän
gerfeste in den Sinn?
Ganz ebenso wie bei den Wahokomo
und uns gilt eS auch bei den Manbettu
nach Casatis Berichten sür eine ganz
besondere Ehre, einen ausgepichten Ma
gen zu besitzen. Deshalb i>'t es eine der
gesuchtesten, ja fast unentbehrlichsten
Eigenschaften, di« einen Krieger, be
sonder« wenn er ein Fürst »st, auszeich
nen, daß er ein starker Trinker ist. Die
Ana, ein aus Korn, bereitetes Bier,
mundet ihrem Gaumen am besten, sie
ist das allgemeinste Getränk. Nicht
Alle verstehen es, das Gebräu in vol
lendeter Weise herzustellen, da es eine
Menge Korn und große Sorgfalt bei
der Arbeit erfordert.
Mit gutem Grunde erfreute sich des
halb auch bei Casatis Anwesenheit die
Königin Nenzima des Rufes einer ein
sichtsvollen Brauerin. Der mehrmals
gereinigte und gewaschene Telabun, die
Kornsurcht wird mehrere Tage lang in
dem mit Wasser gefüllten Braubotiien,
dem Boquoquo, gewässert. Alsdann
nimmt man ihn heraus und breitet ihn
aus einer Schicht von Bananenblättern
aus. - Kaum daß er gekeimt hat, läßt
man ihn an der Sonne trocknen; dann
wird er gerieben. Aus dem Mehl kocht
man eine Art Brei, und dieser wird mit
einer genügenden Masse Wasser ver
dünnt. Wenn die Gährung in Fort
schritt begriffen ist, wird die Flüssigkeit
auf das Feuer gestellt und erfährt ein
langsames, leichtes Abkochen. Als
dann wird das Ganze geseiht und in
Gefäße abgezogen, nachdem man noch
weiteres Mehl von keimenden Telabun
beigegeben hat. Wenn später die Flüs
sigkeit noch einmal geseiht wird, erhält
man ein schäumendes Bier von ganz
angenehmen Geschmack, das rein und
Von schöner rothgelber Farbe ist.
Die Krone aller Biere aber ist da»
Gebräu der Niam-Niain, die zu ihm die
Getreideart Elensine verwenden. „DaS
aus Elensine hergestellte Getränk," sagt
Georg Schweinfurth, „verdient in der
That und beansprucht vermöge seiner
Bereitungsart, ein Bier genannt zu
werden. Es ist völlig klar, von roth
brauner Farbe, wird aus regelrecht ge
malztem Korn gebraut und hat auch
ohne anderweitige Zuthat eine ange
nehme Bitterkeit aufzuweisen, die ihm
die dunkle Schale des Korns ertheilt."
Trotzdem die Niam-Niam Kannibalen
sind und ihnen ein saftig:s, knusperiges
Stück Menschenlende die größte Deli
katesse ist, steht Georg Schweinfurth
nicht an. emphatisch ihren Stoff zu
bezeichnen als: das beste Bier in
Afrika.
Thalges«tcht«n.
Wie eine Idylle liegt im anmuthigen
Thüringerland der kleine Luftkurort
Thal; von Ruhla aus, gleich berühmt
durch seine Landgrasenschmiede, Meer
schaum-Manufactur und sein hügel
reicheS Pflaster, gelangt man nach kur
zer Wagentour von der Gegend der
Wartburg in das liebliche Thal. ES
ist gewissermaßen historischer Boden,
auf dem man sich hier bewegt, denn die
ses Fleckchen Erbe, welches mit seinen
koketten Reizen zu wohliger Sommer
ruhe einladet, ist eingeschlossen von jenen
sagenumwobenen Bergen, die in der
Tannhäusergeschichte eine Rolle spielen.
Im Westen die renooirle Wartburg und
der Jnselsberg, südlich der Meisenstein
und die Schauenburg, östlich die Hör
selberge. Mit vollem Verständniß für
die Sagen, die sich an die Letzteren
knüpfen, hat ei» freundlicher Wirth die
von ihm in Thal geschaffenen beiden
Hotels Tannhäuser und Elisabeth ge
nannt. Drei kleine Geschichten, die sich
unlängst in Thal abgespielt, und deren
Helden zwei Berliner und zwei Ber
linerinnen sind, sprechen dasür, daß
schon mancher minneeisriger Pilger hier
seine VenuS gesunden hat. Bei der
Table d'hote im Tannhäuser werden die
Vorgänge eifrig besprochen. Eine rei
zende blonde Amerikanerin, die alljähr
lich mit ihrem Galten nach Thal kommt,
ein in der Gegend des Halle'ichen Tho
res sehr bekannter Berliner Rentier
und dessen joviale, rundliche Frau,
eine plauderlustige höhere Tochter mit
einem auffallend schönen Grelchenzops
und ivch eine Anzahl mehr oder min
der klatschsüchliger Gäste haben reich
lichen Unterhaltungsstoff.
Das erste Geschichtchen entbehrt lei
der nicht der Tragik, da ein klein wenig
Ehebruch mitspielt. „Min, was in
diesem stillen Thal sich e>eignet,"
meinte schelmisch die blonde Amerika
nerin, als die Sache ruchbar wurde.
Ja, es ist kein Ort so klein und kein
Bau so weltabgeschieden, als daß nicht
Liebeslust und Liebesleid das Herz des
Menschen bewegen könnte. DaS sollte
zunächst die Gattin eines VillenbesitzerS
erfahren, als ein flotter Berliner Arzt
über die Berge in'S Thuringer Thal
gewandert kam. „Ich komme vom Ge
birge her," sang er srohgemuth, aber
nicht da. wo er sich nicht aufhielt, war
das Glück, sondern da, wo er sich auf
hielt ; er blickte in die Augen der schö
nen Frau, er sank ihr zu Füßen und
flüsterte: „Sei meine Venus, ich will
Dein Tannhäuser sein." Die Villa war
zum Hörselberg geworden, bis eines
Tages der Liebesrausch der beiden
Glücklichen durch die Dazwischenkunst
des Galten jäh vernichtet wurde. Der
mediciilische Tannhäuser floh, zunächst
au» der Billa, dann aus dem Thal und
-ct»t pra'ticirt er wieder in
Ars'«, während „fern
Z?la? id" d. h. fern voi» schönen Thal
Muße findet, an die verhängnißvoll«
Nähe de» Hörselberge» zu denken. Die
oben geschilderte Tischgesellschaft hatte
nicht lange Zeit, über diese» mit aller
hand pikanten Einzelheiten kolportirte
Borkommniß zu sprechen, denn bald
wurde da» stille Thal »vi»einem neuen
Ereigniß überrascht, in dessen Mittel
punkt eine junge Wittwe auS Berlin
stand.
Viele von denen, die sich sür junge
Wittwen im Allgemeinen und Viele, die
sich für diese oft begehrenSwerth.-n Men
schenkinder im Besonderen interessiren,
werden die schlanke, brünette Dame von
den Premieren und von den Rennplätzen
her kennen. Die liebenswürdige Wittwe
ist im Besitz einer beträchtlichen Rente
und versteht eS, dieselbe zu eigener
Freude und zur eigenen Lust zu ver
wenden. In ihr ach so liebeleeres
Herz zog im vergangenen Sommer
plötzlich die Liebe ein. Es war in
Thal, wo es geschah und wo sie ein
schöner, stattlicher Mann, eiu schneidi
ger Assessor auf Weg und Steg beglei
tete. Die schone Berlinerin entschloß
sich, dort, wo sie ibn zum ersten Male
gesehen, ein bleibendes Denkmal zu
setzen, und dasselbe sollte in Gestalt
einer prächtigen Villa erstehen, in
welche sie nächsten Sommer mit ihm al«
sein Weib einziehen wollte. Als in
diesem Jahre der Frühling ins Land
zog, wurde zu dem Bau der Grund
stein gelegt und als die Saison begann,
sahen die friedlichen Bewohner Thal's,
wie der Bau schon bis zu den Parterre
fenstern gediehen war. Eines Mor
gen« blieb es unheimlich still auf dem
Bauplatz! kein Maurer kam, kein Stein
lräger erschien, und Mittags schon flü
sterte man sich den Grund dieser seltsa
men Arbeitseinstellung bei der Table
d'hote im Tannhäuser zu.
Die blonde Amerikanerin kicherte und
das Mädchen mit dem Gretchenzops
kräuselte die Lippen. O, über diese
Männer! Was war geschehen? Aus
allerlei Andeutunzen erfuhr man es.
Die junge Wittwe hatte eine zierliche
Zofe bei sich. Da der junge Assessor
noch in keinem Gesetzbuch gelesen, daß
die Liebe zu einer hübschen Zofe verbo
ten fei, so glaubte er sich auch keiner Ge
setzesübertretung schuldig zu machen,
wenn er die Kleine küßte. Eines
Abends fühlte sich die Wittwe unpäß
lich, sie blieb zu HauS und der Herr
Assessor ging allein wenig spazieren.
Er blieb lange au»; Madame klingelte
nach der Zose, sie kam nicht. Ein furcht
barer Verdacht stieg in ihr aus; rasch
drückte sie ihren großen Strohhut auf
die dunklen Locken und eilte in den
Wald, an eine Stelle, wo ihr Ge
liebter so gerne weilte. Plötzlich drang
ein gellender Schrei durch die stillen
Lüste.
AuS dem Wald heraus eilte die junge
Wittwe immer vorwärts fort in ihre
Wohnung. Nach einer Stunde verließ
sie dieselbe reisefertig. Auf dem Tische
ihres ZimmerS lag ein Zettel folgenden
Inhalts: „Den Mann, welchen ich mit
meiner Zofe im zärtlichen tols » tstv
überrascht habe, kann ich nicht Heira
then." Am andern Tage waren die
junge Wittwe, der Assessor und die Zofe
aus Thal verschwunden. An den Bau
meister, der die Villa für ihn, den Un
getreuen aufführte, langte ein Brief aus
Berlin an, in welchem die betrogene
Bauherrin den Bau sistirre. So steht
die angefangene Villa am WaldeSrand
zur Warnung für alle Ungetreuen. Der
Bürgermeister von Thal aber will die
ses Denkmal verrathener Liebe nicht
stehen lassen und Hai an die Wittwe
eine Aufforderung gerichtet, weiter zu
bauen. Sollte sie das nicht wollen, so
werde er die Mauern niederreißen
lassen.
Nicht lange nach dem hier erzählten
Vorfall, kaum, daß die Gemüther der
Unbetheiligten sich beruhigt hatten,
herrschte im Tannhäuser eines Abends
wiederum große Aufregung. Zur Tisch
gesellschaft gehörten seit einiger Zeit ein
Konsectionär österreichischer Nationa
lilät, dessen röthlich blonder Spitzbart
ebenso bekannt ist als seine Jaquet
fagon „Grelhe" ; ferner eine junge Ba
ronesse, deren Name auf den Straßen
schildern Berlins zu finden ist. Daß
sich eine junge Baronesse sür einen Kon
fectionär interessirt, darin wird Nie
mand etwas Auffallende» erblicken.
Wenn sich aber dieses Interesse bi» in
den Spätabend ausdehnt, den man in
Bergesschluchten verbringt, so ist da»
etwas Anderes. So meinte auch die
Tischgesellschaft im Tannhäuser eines
Abend», als Baroneß Flora und der
Herr Konsectionär vergebens erwartet
wurden.
Man verabredete, einen „Scherz" zu
infceniren, ein Theil der Tischzesellschast
bewaffnete sich mit Blend- und Garten
laternen, der andere Theil umstellte daS
Hotel, um den Heimkehrenden, wie die
blonde Amerikanerin sagte, „eine Ueber
raschung" zu bereiten. Ein Herr ver
schloß das Zimmer des Konfektionärs
und nun begann der Scherz. Die mit
den Leuchten Bewaffneten gingen auf
die Suche nach den fehlenden Tischge
nossen. Währenddem saßen diese im
dichtesten WaldeSdunkel auf einer An
höhe; ihre Herzen hatten sich fchon
längst gesunden, schon längst hatte sich
der Konfektionär vorgenommen, seine
neueste Fagon „Flora" zu nennen,
schon längst hatte manch' zärtlicher Kuß
das Bündniß besiegelt. Aber geheim
sollte dies bleiben, die klatschsüchtige
Badegejellschaft sollte eS nicht erfahren.
Als die Baronesse sich au» /iner heißen
Umarmung loslöste, schrak sie heftig zu
sammen Da mochte «S sich den Berg
hinaus, als ob Irrlichter emporschweb
ten, dann wurden Stimmen laut und
bald war den Liebenden eS klar, daß sie
überrascht werden sollten. Schnell
tauschten sie einige Worte, der Herr
"Konfektionär verschwand im Dunkel des
Waldes, flüchtigen Fußes eilte er aus
unirirthlichen Wegen dem Hotel zu.
> Ein neuer Schrecken überkam ihn, als
«r dasselbe umstellt sah; schnell ent
schlossen betrat er eine» weiteren >1«,
5,5. an die zu
Dies glüc.'?? '.hm. teck er 'ettrrk
er eine Terasse, von dieser au» kroch ei
an den Fensterbrüstungen entlang bi»
zn dem offenen Fenster, da» in sein Zim
mer führte und legte sich rasch zu Bett.
Baronesse Flora war unterdessen eben
fall» aus Umwegen heimwärt» gegan
gen, sie langte mit den Suchenden ziem
lich zu gleicher Zeit am Hotel an und
zeigte sich über den gaazen Vorgang sehr
erstaunt. Jener Herr, der das Zim
mer des Konfektionär» verschlossen hatte,
war hinausgeeilt, um das Zimmer
wieder zu öffnen, doch, wer beschreibt
seinen Schreck, als er den Konfektionär
bereits schlafend im Bette fand. Wi«
jener in das Zimmer gelangt war, das
hat die Tischgesellschaft heute noch nicht
erfahren, oenn der Held dieses Ge
schichtchenS ist bereits wieder in Berlin
und trifft Vorbereitungen, die Baro
nesse, die dieser Tsge aus Thal kommt,
würdig zu empfangen. In acht Tagen
soll an die Tischgesellschaft nach Thal
ein Telegramm abgehen, in welchem sich
Konfektionär Zt. und Baronesse Flora
als Verlobte empfehlen.
Tie «Sule de« «üntgS Mes«.
Im Pariser Louvre ist seit Kurzem
die Säule des Königs Mesa von Moab
zu sehen, von dem in den letzten Jahren
oft die Rede war. Im Jahre 1369
erfuhr der Kanzler de? französischen
ConsulatS in Jerusalem, Clement Gan
neau, vom Vorhandensein dieses schwar
zen, mit 37 eingehauenen Zeilen verse
henen Steines zu Dhiban. Er schickte
einen Araber hin, der die ersten Zeilen
kopirte. Ihr Inhalt ließ den Gelehrten
die große Wichtigkeit des Dokumentes
erkennen. Er ließ daher von einem
anderen, gebildeteren Araber einen Ab
klatsch machen, den dieser jedoch nur mit
Mühe vollenden und nach Jerusalem
bringen konnte, weil der Argwohn der
Bevölkerung von Dhiban erwacht war.
Sie griffen den Sendboten Ganneau'S
thätlich an und zerfetzten den Abklatsch.
Das Angebot Ganneau'S, den Stein
>n zukaufen, hatte nur den Erfolg, daß
di: Einheimische» denselben in Stücke
schlugen. Alle Hoffnung, das Original
zu retten, schien verloren, als zu An
fang dieses Jahres kleine Bruchstücke
der Säule Mesa'S in Ganneau'S Hände
kamen. Andere Bruchstücke waren von
einer englischen Gesellschaft, Palestine-
Exploration Fund, und dem deutschen
Gelehrten Schlottmann erworben wor
den. Nun nahm Ganneau die Arbeit
wieder auf und da er die Priorität gel
tend machen konnte, so traten ihm die
beiden anderen Interessenten ihre Bruch
stücke ab. So kommt eS, daß wir nun
im Louvre die geflickte Säule ziemlich
vollständig vor uns haben. Neben ihr
sind die erste Abschrift und der zerfetzle
erste Abklatsch, die vor der Zertrüm
lnernng entstanden sind, ebenfalls aus
gestellt.
Da, wo die Oberfläche des Steins
intakt geblieben ist, sind die Schriftzüge
sehr scharf und deutlich ausgeprägt, an
den meisten Stellen ist jedoch die oberste,
geglättete Steinschicht abgesprungen und
sind die Schriftzüge auf der rauhen un
teren Schicht nur noch in unklaren Spu
ren zu sehen. Di» Inschrift felbst be
stätigt zwar die aus dem zweiten Buche
der Könige dekannte Thatsache, daß
Moab nach dem Tode AhabS, de» Kö
nigS von Israel, sich gegen dessen
Sohn Joram auflehnte, erzählt aber
das Ende dieses Krieges ganz anders.
Nach der Bibel geriethen Joram und
die mit ihm verbündeten Könige von
Judah und Edom zwar zeitweise in
große Bedrängniß, behiellen aber
schließlich im Felke die Oberhand. Kö
nig Mesa zog sich in seine Stadt zurück
und opferte auf deren Mauern seinen
erstgeborenen Sohn, um die Gottheit zu
versöhnen. Dieser Vorgang erregte
ein solche» Grausen unter den Bela
gernden, daß sie die Belagerung aufho
ben und nach Hause zogen. Nach der
Stele, die Mesa aui Dankbarkeit dem
moabitischen Gotte Kamo» geweiht hat,
haben dagegen die Moabiter die iSrae
litischenZwingherren vollständig gefchla
gen und ihnen sogar einige Städte weg
genommen. „Und Israel wurde zu
Grunde gerichlet, zu Grunde gerichtet
für immer," heißt es auf dem moabiti
schen Stein. Darin hat nun freilich
der ruhmredige König von Moab Un
recht bekommen, denn Israel hat Moab
Jahrhunderte lang überdauert, aber
wir dürfen ihm fchon foweit Glanben
schenken, daß Israel gelegentlich anch
einige Hiebe eingesteckt hat, welche der
Chronist der Königsbücher nicht einge
stehen wollte.
Im Kursaal eine» französi
schen Badeortes —so erzählt der „Fi
garo" wird eine Sammlung für die
veranstaltet. Eine der sammelnden
Damen, eine reizende Pariserin, tritt
mit ihrem Teller an einen steifnackigen
englischen Lord heran. „Danke! Ich
habe schon gegeben!" tönt eS ihr trocken
wie nur eine Pariserin lächeln kann.
Da holt der Lord ein Goldstück heraus
und legt eS ihr auf den Teller mit d«n
Worten: „l'l«»»«! DaS ist vor Ihr
schönes Auge!" „Ich hab' zwei,
mein Herr!" entgegnet sie munter, und
der Lord spendet unter dem beifälligen
Lachen der Umstehenden ein zweites
Goldstück.
Guter Rath. Herr: „Gnä
dige, ich muß eS Ihnen aufrichtig ge
stehen: Ihr Han« ,st ein recht ungezo
zeuer Junge!"— Mutter: „Und doch ist
er mein ganzes G.ück!"—Herr: „Wel
che» beim Schöpfe zu fassen ich Ihnen
dringend rathen müchte!"
Rücksicht«»»!!. „Was
haben Sie heute?" „Schönen Rost
braten, Beafsttak, englischen Braten
" „Nein, geben S»e mir nur
etwas Einfaches und Billiges. Ich
möchte heute nicht viel schuldig blei
ben l"
Zwischen zwei Freunde»
>chten. heißt zwei Keini'e gewinn«».
zwei schlichte?,
! zw?» Freunde gewlaues.
Londoner ««««ngnffe«.
London ist wie die sprichwörtlich«
Medaille, die ihre Kehrseite hat. Von
Allem ist nur zweierlei vorhanden, sein
und ganz gemein. Diese Theilung er
streckt sich auf alle Dinge und alles
Leben, das die Weltstadt umschließt.
Tech ist das Feine nicht immer gut
und das Gemeine nicht immer schlecht.
Einer alten Behauptung nach existiren
ja die Engländer selbst blos in zwei
Klaffen, was so weit ganz richtig ist,
als eS reisende und zuhalisebleibende
Engländer gibt. Die r«is«nde» Briten
sind nun ausgeflogen. Wer sich in der
Saison diese vermögenden Kreise Lon
dons ansieht, gewin >t die Ueberzeugung,
daß die Engländer auf den deutschen
Theatern ganz vortrefflich kopirt wer
de« und daß eine solche Darstellung sel
ten, nicht einmal in der Posse, eine
Karrikatur ist, so gerne sie es auch sein
möchte.
Selbst in der „Puppenfee" liefern
Lord und Lady Plumpstershire mit
ihren hinterdrein marschirenden Orgel
vseisen kein übertriebenes Anschauung»-
vild von der Langweile und Langwei
ligkeit einer höheren Familie. D'rum
ist einem, wenn man mit seinen Eng
ländern spricht oder auf ihren Soireen
erscheint, ziemlich so zu Muthe, al»
wohnte man einer possirlichen Theater
vorstellung bei. Man lacht die beweg
lichen Marmorfiguren aus und bewun
dert sie dabei auch ein wenig. Ebenso
entgegengesetzte Gefühle ergreif.n unS,
wenn wir den Londoner Pöbel studiren.
Entsetzen ersaßt uns, und doch können
wir diesem so ungeheuer rohen Volke
unsere Sympathie nicht ganz versagen.
Ja, wir würden, zur Wahl gedrängt,
wo wir lachen und weinen wollen, mit
den oberen Zehnlausenden oder mit den
Millionen armer Teufel und Teufe
linnen, uns nach kurzer Ueberlegung
den Mittellosen und Elenden von Lon
don zuwenden, welche noch viel schlechter
sind, als ihr Ruf, aber auch viel besser.
Weil die Armen den Reiche», die
doch niemals die Seitengassen betreten,
nicht Gleiches mit Gleichem vergelten,
erscheinen uns auch die elegantesten
Plätze von London unsagbar wüst, be
sonders in der Dämmerung, wenn die
schreiend und geschmacklos geputzten,
brillantenstrahlenden Ladies zur Gesell
schaft fahren; sie haben parsümirte Ta
schentücher gegen den überall verbreite
ten Schnapsgeruch, doch keinen mitleidi
gen Blick sür daS Weltall von Gebrechen
und HilfSbedürftigkeit auf ihrem Wege.
Die leichenstarren, stolzen Mienen blei
ben dann auch im Theater und Concerte
unbewegt, während die zerlumpten
Männer und Weiber auf dem Pflaster
herzlich lachen können, sei eS auch nur
über den eigenen Witz und sei dieser
Witz nichts weiter, als ein Fußtritt an
lin Mitglied der erwerbenden Klasse,
einen Stiefelputzer zum Beispiel. Den
gemeinen Engländer zeichnet vor Allem
line edle Rauflust aus, die sich aus der
Blutgier entwickelt haben mag, mit
welcher unter den alten Königen im
lower mit Block und Beil gewirth
schastet wurde. Selbst die Vornehmen
lieben «S ja, sich zuw«il«n ein wenig
herum zubalgen, und «S ist ja noch un
vergessen, daß der Herzog von Cam
bridge gelegentlich einer Truppenrevue
auf den« Felde von Wimbledon mit
nnem Journalisten, den das Zuschauer
zkdrnnge gegen ihn stieß, sofort zu rin
zen begann und den Mann der Feder
lüchtig nmrgte, fo daß ein Realinju
rienproceß gegen den Prinzen darau»
mt stand.
Um einen Abendspaziergang in Lon
oon zu machen, darf man daher nicht
>u einseitig sein, weder zu sehr Philan
throp, weil Einem über das schauerliche
Kunterbunt von Krüppelhaftigkeit und
hungerleiden da» Herz brechen müßte,
loch ausgesprochener Moralist, da man
angesichts der staunenswerthen Em
psänglichkeit unserer momentan satt ge
wordenen armen Brüder und Schwe
stern für menschliche Triebe aus dem
Zeterschrelen nicht herauskäme. ES ge
hört dazu schlechtweg «in naiv«S Ge
«ülb. um dem großen Elend gegenüber
inuiulilend zu sein und in rascher Ab
wechslung von seiner nebenhergehenden
sehr beträchtlichen Komik heiter ge
stimmt zu werden; man muß ferner über
regelrecht erschrecken können, ohne des
halb die Konrage zu verlieren. Endlich
ist dazu ein guter, derber K notenstock zu
impsehlen. wie ein solcher in London
dv» jedem wohlerzogenen Jüngling ge
tragen wird, weil vorkommenden Fall»
line« Strich oder Exzedenten di«
Entschlossenheit zu werkthäNger Selbst
hilfe eine nicht zu unterschätzende Art
oon kameradschaftlicher Achtung ein
flößt, und die Betreffenden dann statt
der Börse oder des Raushandels nichts
»ndere» verlangen, als einen freund
schaftlichen Händedruck, den man an
ftandSlos gewähren soll, da ja „Pear'S
Zoap" und andere Reinigungsmittel
nassenhaft im Handel sind.
Ein bischen kann man sich auch ans
SchmeUhelei verlegen, denn nichts thut
nnem Londoner Straßenräuber fe
wohl, als wenn man ihn wenigstens der
Form nach als einen Gentleman behan
delt und beim Anrempeln mit geschwun
zenem Knüttel elwa folgendermaßen
»ltwortet: MV clssr sir, I t>s»
four aber ich habe Eile, und
venn Sie mich nicht vorbeigehen lassen,
nüßte ich mir die Freiheit nehmen,
Zhre Freundlichkeit mißzudeuteu und
Zhnen ein Auge auszuschlagen.» —Die
Engländer, auch die gesährlichen, sind
«roße Freunde von einem gediegenen
Meinungsaustausch Hilferus» führ»n
zewöhn'.ich die Polizei herbei, die aber
ist nicht schnell genug kommen kann,
»eil ja die Faust und das Messer des
Kerls viel näher sind. Manchmal hat
Sie Sache ursprünglich überhaupt nichts
»nderes sein sollen, als die übermüthige
Nbrskylaune eine« schäbigen Bürger»
»ach einer Unterredung mit einem gut
»ekleideten, dessen übermäßige Angst
dann Unheil stiftet.
Ein Theil wenigsten» von jenen Fäl
!tv, daß unerfahrene Spaziergänge»
nicht mehr nach Hause kommen, stammt
au» solchen mißverstandenen Annähe
rungsversuchen der mit Füßen getrete
nen Proletarier. Hingegen aber sah
ich zufällig gestern aus einem schützen
den Schatten in dem gebogenen Theile
von Portobello Road einen virtuos
zurückgeschlagenen wirklichen Rauban
fall mit an, wobei ein schlanker junger
Mann von kaum zwanzig Jahren einem
mächtig ausgewachsenen Vagabunden,
der zuerst einen abgeglittenen Stich gegen
seine Brust geführt, durch einen wohl
geführten Stockhieb eine ganze Kaskade
von Schädelblut über Gesicht und Nacken
leitete. Derselbe junge Engländer half
dann dem herbeigeeilten Constabler den
riesigen Raubvogel zur Wache führen,
wobei Beide am Kragen des Briganten
herzhaft in das Blut hineingriffen und
der Zug in de» belebteren Gassen nicht
wenig Aussehen erregte. Es sehlte
auch nicht an snmpathischen Zurufen
sür den Helden dieses Ereignisses, der
gewiß nichts sehnlicher wünschte, als
bald wieder ein solches Rencontre zu
haben. Terzleichen Abenteuer Passiren
Einem selten in Regent-Street und
Strand (wo es nur weibliche Wege
lagerer gibt, unter den Augen der Po
lizei) wohl aber schon in den allernäch
sten Nebengassen von Drnry Lane und
überhaupt im ganzen großen London,
wo sich nur die wenigen Hauptverkehrs
adern einer guten Beleuchtung erfreuen.
Wer aber keine Nebenstraßen betritt, der
hat London nie gesehen.
Der Eindruck, den dieselben hervor
rufen, ist ein vorwiegend heiterer. Die
vielen geahnten mit dem Tode ringen
den Verlassenen liegen ja in unauffind
baren Winkeln und hinter den erblinde
ten Fenstern dieser trostlosen Ziegelbau-
Werke, und die noch bewegungssähigen
Krüppel schleppen sich zu den Haupt
straßen, wo gerade der colossale Verkehr
ihr ärgster Femd ist, weil ma» vor
lauter Balancrren zwischen Wogen
rädern, Pserdehufen und rücksichtslosen
Lastträgern dem armen Bettelvolke, daS
sich überdies stumm verhalten muß und
höchsten« „Musik" machen darf, kaum
Aufmerksamkeit schenken kann. In den
Seitengassen aber, vor den Hausschwel
len der Armuth, tummelt sich die
schmutzige Jugend in fast wahnsinniger
Lebenslust. ES ist, als wüßten diese
Kinder, daß sie sich in diesem glücklichen
Alter ihre ganze Diation Frohsinn und
AuSqelassenbeit herausnehmen müßten,
sie sind natürlich unbeaufsichtigt. Die
Eltern geben arbeiten oder stehlen.
Nuch Vater und Mutter sind nach des
TageS Mühen ungeheuer lustig, doch
müssen sie dazu erst getrunken haben.
Geräuschvoll, wie die Engländer niede
ren Standes überhaupt sind, zeichnen sie
sich auch durch die polternde Art ihres
Humor« aus. In einem „guten Hause"
wird über die knarrenden Stiefel eines
Besucher« noch Wochen hinaus als vou
einer unverzeihlichen Ruhestörung ge
sprochen. während das gemeine Volk
sich nur in einem Höllenlärm wohl be
findet. Es ist auffallend, daß von allen
Proselvtenmachern der freier, Reli
gionsübung die Heilsarmee am meisten
begünstigt wird! und warum? weil sie
nicht bei sanften Harmoniumklängen
Mondgesänge aufführen, sondern bei
ihren Umzügen die an der Spitze mar
schirenden'Flötenbläser von doppelt so
diel Trommel- und Paukenschlägen be
gleiten läßt. Firlitilili mit donnerndem
Bumbumbum dabei geht einem Eng
länder das Herz auf. DaS Wesen der
schlichten Englishmen wird am treffend
sten von ihren „KnockaboutS" benannten
k omödianten ausgedrückt. Da« Trot
toir vor jedem Bar ist eine Orpheum
dühne, auf welcher eS von unbewußten
TlownS wimmelt. Den längsten Ker
len sind noch die Hosen zu lang, dafür
Iber wieder den dicken und untersetzten
die „Kleider" zu kurz; Hemden sind
nicht in der Mode und wo man glaubt,
daß der Rock geflickt ist, dort schaut nur
die gelbe KSrperhaut hervor.
Sehr beliebt sind große Stimilocken,
wie sie di» polnischen Juden tragen,
vaS vielleicht daher kommt, daß dieie
Männer kein Geld erübrigen, um sich
»ie Haar» schneiden zu lassen, oder eine
Lcheere zar kaufen. Die relativ Elegan
testen v«> diesen Leuten würden in
Wien ernste Verkehrsstockungen verur
sachen wegen des Zusammenlaufes der
Menschen über solch' unerbörte Zer
nssenheit. Viele sind so diel wie nackt
ind ordentlich bronzirt von Schmutz,
x« hat aber aus ein Spitzgläschen Gin
zereicht, woraus sie heraustreten und in
>lückseliger Stimmung laut», Zwerchfell?
-rschütternde Wechfelredrn führen und
ich dazu fcherzhaft, aber derb prügeln,
llnter Brüdern find zwei Millionen
.KnockaboutS" in London, männliche
md weibliche; nur prügeln sich die
Weiber gewöhnlich >m Ernst. Die ehr
samste Ladenmams 11l and der nüchternste
xiaustnecht sind ni ch immer burlesk ge
wg »nid werden sicy auch zu Geschäfts
gängen nie anders, als mit trappzlnden
lanzsprüngen in Bewegung setze».
Da« exzentrischeLumpeuvolk vor den
lrinkhSusern aber gemahnt mit seinem
drtomischen Treiben an den CirkuS, so
daß man erst i» Weitergehen daran
»enkt, daß dleseormen Menschn eigent
lich tief zu bemitleiden sind. Würd»
»an aber vor sie hintreten und sagen:
.Meine Herre», so gründen Sie doch
einen Dienstmännerverband, eS existirt
»och keine sotche Unternehniuag in Lon
>on und sie könnte Ihnen guten und
inständige« Erwerb bieten", was wäre
die Folge? Die drolligen KnockaboutS
»nd beklaginSwerthco Hungerleider
oürden sich in Wütheriche verwandeln
«nd de» Rathgeber lynchen. Sie wol
len sich unter allen Umständen frei»
Bürger von Großbritannien nennen
«nd dulden keinerlei Genossenschaft«-
livree. Nur einzeln kommen sie, wenn
je wieder durstig sind, auf den Pfiff
»nd leisten schwerst« Arbeit sür einen
jZenny auf Sch»apS. ArmeS, nothlei
dendes, bornirtes Volk!
Jcne Seitengassen von London, wo
die Armuth wohnt, sind für mich wie
init Magneten gepflastert und man
kann eigentlich doch nicht sagen, daß eS
In denselben um Vieles unsicherer ist,
al» im Gewühl der Tityzeilen, welche»
mich immer an eineWienerVolkSsänger,
Erzählung gemahnt, von welcherein
Bruchtheil ungefähr folgendermaßen
lautete:
„DaS Drängen in der Kämmerstraßen
war sehr unbequem.
Es hat a Herr a Watschen kriagt und
waß gar nit, von wem!"
Abgesehen von der ewigen Raderung»-
gefahr und ver Todtschlagsmöglichkeit
durch im Sturm vorbeigetragenen,
scharskantigen Kisten und Balken, ar.
Veiten dort die PickpocketS und ander«
Lanzfinger am ungestörtesten, und ich
war Augenzeuge, wie einer Dame,
welche einem blinden Bettler etwas
schenken wollte, von einem elegant ge
kleideten Gauner gemüthlich die voll«
Börse aus der Hand genommen wurde,
worauf er stracks unter der Masse der
anderen Gentlemen mit langschössigen
Röcken und Cylinderhüten verschwand.
Welcher war'S nun?
In London ist man immer ein wenig
„in Gottes Hand', denn eS hat schon
auf den belebtesten Plätzen am hellen
Tage Morde und Mordversuche mit un»
entdeckt gebliebenen Thätern gegeben.
In den Seitenstraßen aber gehen
Einem wenigstens keine anderen Räder
über die Füße als die, welche die
schmutzstarrenden Rangen schlagen, wo
rauf sie nach Zizeunerart einen Penny
verlangen. Tie kleinen Mägdlein bie
ten „Blumen' an, von welchem Handel
man natürlich nur die Hälfte abschließt,
indem man den Penny gibt. Mit gro
ßem Triumphgeschrei stürmt diese ver
wahrloste Jugend dann zum nächsten
Puddingbäcker, gefolgt von dem zufrie
denen Blicke der vor den Hausthüren
kauernden an Haut und Kleid vergilb
ten Matrone. In zehn Jahren wird
der Junge vielleicht em Messer führen
und das Mädchen wahrscheinlich zu den
Verlorenen gehören. Wer kann da»
ändern l
WaS für ein Jauchzen, mit Dreh
orgelklang untermischt, tönt von jenem
Platze her, der sich mit grellem Fackel
lichte von der Dunkelheit der Umgebung
abhebt. Ein altes Schaukelgerüst ist
dort errichtet, in dessen fliegenden Kör
den sich zottige Jungfrauen, die tags
über in Fabriken gearbeitet haben, bis
zum Ueberdrehen aufschwingen, bis der
Proprietär, zum Zeichen, daß die Zeit
verstrichen, einen -Halten unterlegt, der
ihnen fast die Knochen aus den Schie
nen bringt. Unter kannibalischem
Freudengekreisch steigt ein frischer Tur
nus ein, während das Werkel einen
Gigue krächzt. Die anderen zuwar
tenden Vorstadtfräulein stampfen diesen
Nationaltanz> in dem kothigen Lehm
boden. auf welchem sie oft ausgleiten
und hinfallen; wobei ziem Gaudium
der Zuschauer bemerkt wird, daß sie
außer dem unvermeidlichen .Hut",
dem kein „Beinlstierer" «ehr Beach
tung schenken würde, und- außer dem
haben, wie auch, daß diese jungen
Damen sich nicht nur nicht daS Gesicht,
sondern auch die Beine nicht waschen.
Ohnmächtiges Beginnen, eine Ge
neralansicht von London M, zeichnen.
Da heißt es Stöße von Gkizzenbüchern
vorbereiten, zu Einzelbildern für em
Danaidenalimm.
J,os>ef Sillofr.
Schwetgeris»« Mahl«.
Einer Studie über schwelgerisch»
Mahle des Mittelalters und der Neu
zeit entnehmen wir die folgenden anzie
henden Einzelheiten: Im Jahre l3Bli
vermählte sich Herzog Lionel von Cla
rence mit der Prinzessin Jolante von
Mailand. Auf der. Hochzeitstafel er
schienen bisher nie gesihene Ueberra
schungen. So wurden z. B. unter de»
Gerichten vergoldete Spanferkel mit
feuerspeiendem Maule dargeboten.
Bei einem Gastmabl, das Erzbischof
Albrecht von Bremen 13!>S) vielen
Hamburg gab, kamen goldene Häuser,
Thürm« und B«rge- auif die Tafel; in
ihnen befanden sich, Pfauen, Schwäne,
Hühner und anderes Geflügel, unge
rupft gekocht und gebraten und doch äu
ßerst schmackhaft. Wahrlich ein Tri
umph der Kochkunst-t Noch Wunder
bareres wurde bei einem Schmaus i»
Lille (1463) geleistet. Statt der Sup
penschüssel erschien eine Kirche mit
Glockengeläute, 4 Kantoren und Chor
knaben, dann eine Riesenpastete mit 28
lebend«,, Personen nn Innern, welche
Dudelsack spielten. Daneben stand ein
schloß, in dessen Gräben Orangen
wasser lief. Sir Edward Ruffell, der
Admiral der englischen Mittelmeerflotte
Wilhelms 111., veranstaltete am 2S.
Oktober IKS4 (wo? »st nicht iwher be
kannt ) ein großartiges Punschfest. Di»
Bowle war ein gewaltiges Marmor?
decken. Zu de« Getränk hztte man Z:
gvoßt, Fässer Branntwein, 8 Fässer
Wasser, LS.OOO Limonen, SV Pinien.
Zitronensafts 13 Centner Zucker, S,
Pfund Muskatnüsse, 1 P«te Malaga
und 300 Biskuit» gebraucht. Auf dem
Punsch schwamm ein klein« Kahn mit
eine» schön geputzten Schiffsjungen
herum, welcher den Gäste» den MttAZ
Mann der Flotte — das »Göttergedränk"
'redenzte.
Neue Titulatur. Com.
«erzieorath (bei eine» Hoffestlichkeit z»
seiner Gattin): „Gott, wa» e' feiwe
Gesellschaft! Da geht Seine Excellenz,
der Herr Marschall mit Seiner Emi
nenz dem Herrn !"—Seine Gat
tin : »Und wer »st der dicke Herr, de«
soeben den Gräfe» anspricht?" —Com
merzienrath: »DaS ist das ist
Seine Corpule»z der Herr Geheim»
rath!"
Reclame. ..... Diese» hoch
interessante Buch sogleich anzuschaffen,
ist dringend geboten, da mit Sicherheit
vorauszusehen ist, daß eine zweite Auf
lage nicht gedruckt wirdl"
Berschnappt. »Sie wagen
e» wohl nicht, Ihrer Frau zu wider
sprechen?"—„l thät'« schon wagen»
wenn ich tich nicht dauern thät'l" '