Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 09, 1891, Page 2, Image 2

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    ?
»rda«r«« tiner Häßlichen,
Schön oder häßlich, dies ist für dak
Leben des weiblichen Wesens die ent
scheidende Losung, welche ihr Schicksal
gestaltet! Wer frägt beim Manne viel
danach, ob er schön oder häßlich! Wohl
genießen auch schönere mänullche Men
schenkinder im Leben und namentlich bei
ihren weiblichen Mitschwestern ein ost
„unerhörtes Glück", aber selbst ein
häßlicher Maun ist stets viel besser
d'ran, als ein unschönes Mädchen. Wir
werden nicnials einen Mann finden,
der so häßlich oder abstoßend wäre, daß
e» ihm nicht gelingen würde, eine Frau
zu bekommen, wenn er nur versteht,
seine Werbung richtig anzubringen.
Während wir genau wissen, daß die Herrn
der Welt viel weniger philantropisch an
gelegt sind und so die häßlichsten Mädchen
verurtheilt werden, sich als überflüssi
ges Beiwerk durch's Leben schieben und
stoßen zu lassen, bis sie als einsame und
verbitterte alte Mädchen, oder als be
scheidene, aber verwennbare Frauen ein
zwar wenig glänzendes, aber segensrei
ches Leben beschließen.
Eine berühmte französische Schrift
stellerin hat die Behauptung aufgestellt:
„Der Beruf der Frau sei die Schön
heit", also müßten die häßlichen, so
grausam eS klingen mag, ihren Berus
gänzlich verfehlt haben. Fast will eS
uns scheinen, als ob dem wirklich so
wäre! Denn schon mit den ersten
Träumen der Kindheit verfliegt der
holde Wahn, mit welchem die Mutter
uns umgab, daß Güte und Schönheit
Eines wären. Wir merken gar bald
den Trugschluß; denn in Wirklichkeit
sollte es doch heißen: „Weil Du nicht
schön bist, deshalb mußt Du besonders
gut sein.
Auch in der Schule fühlt das Kind
gar bald heraus, welch' seine und doch
merklichen Unterschiede zwischen schön
und häßlich gemacht werden; wenn ich
auch die meisten vernünftigen Lehrer
von jeder beabsichtigten Parteilichkeit
freisprechen will, so dürsten die auf
merksamen Beobachter untei ihnen sicher
lich zugeben, daß eben so Wenige dem
siegreichen Zauber der Schönheit wider
stehen rönnen, als sie die Schwierigkeit
anerkennen müssen, unter denen die
Häßlichen sich Freundschaft und Theil
nahme bei ihren Genossinnen erringen
können. Der Schönen fliegt Liebe und
Freundschaft als selbstverständige Hul
digung im Slurme zu, die Häßlich«
muß sich jede Gunstbezeugung erst ver
dienen. In gewissenhafter, erster Ar
beit während des langen Schuljahres
zeigt sich ihr Können, bei der ösfent
lichen Schulfeier sitzt sie bescheiden in
der letzten Bank, und die Schönen,
Talentvolle» gewinnen die Herzen der
Anwesenden mit hochtönenden Versen,
vortheilhaüen Schaustellungen und gra
ziösen Gesten.
In der Tanzstunde werden selbst von
den jüngsten Herrchen die schönen Mäd
chen bevorzugt und die häßliche, un
scheinbare Kleine muß mit gedrücktem
Gemüthe zusehen, wie die Tanzlehrerin
einen widerstrebenden Bengel herbei
schleppt, um dem unglücklichen Mauer
blünichen aus die Beine zu helfen.
Beim Einkauf von Kleidern und Hüten,
beim Photographiren, beim Hausthea
ter, h er und do t und überaß, hört und
fühlt, empfindet uud sieht sie, daß in
ih<er äußeren Erscheinung ihr etwas
anhaftet, worüber die Andern und si«
selbst nur mit einem unterdrückten
Seufzer hinwegkommen können, sie ist
der sichtbar gewordene Mißton, vor
welch m man schleunigst die Ohren
schließt und die Augen so rasch als
möglich a> wendet.
Wird sie doch in Gesellschaft einge
sührt und die Mutter gibt sich alle er
denkliche Mühe, durch möglichst vor
theilhaste Toilette und sorgfältige Haar
tracht gut zu machen, was Stiefmutter
Natur verdorben, so wird sie doch tau
sendmal überstrahlt von den gottbegna
deten Schönen. Sie fühlt genau her
aus, daß die wenigen Herren, welche sie
zum Tan;e auffordern, diesni , l,i!et
von dieier ober jener thun,
daher kann sie auch den unbefangenen
Unterhallungslon kann, treffen, immer
mehr zieht sie sich in sich selbst zurück!
Wie sehr sie auch früher das Tanten
ersehnt hat. jetzt ersucht sie selbst den
Walzer zu unterbrechen, ihre Füße kön
nen sie kaum mehr tragen, das Be
wußtsein, daß man nicht um ihrer selbst
willen, sondern sie nur aus Mitleid auf
forderi, ersulli sie mit namenlosem Weh;
sich in den verborgensten Winkel ver
bergen. Tausend Getanken und Fra
ge» durchschwirren ihren beißen Kopf,
lend leicht beichivingt dahinjchiveve»?
Ist es mir die bloße L.'ust ani Vergnü
gen, oder das stetige Glücksgcfühl des
Gefallens? Sollte keinem Mädchen ein
reines Genießen der Freude mögt ch
fein, wen» die Beiritdignng der Enel
keit nicht gleichzeitig miispielen kann?
Nnd was sie ielvst so unsäglich trau,ig
macht, ist es wirklich nichts Anderes a!S
verletzte Eitelkeit? Tieie Scham be
mächtigt sich ihrer, wie konnte sie solch
niedrige» Gesühlen des Neides unter
liegen !
In diesem Augenblicke ist eine große,
entscheidende Wendung sür's ganze
Leben mit ihr vorgegangen. Sie ist
an der mißgünstigen, einseitigen Bitter
keit, welche unictUbare Borzech n der
alten Juugseruich.ist bilden, vorübcr
geschwebt und sie hat ein edles, echt
weibliches Fühlen bewahrt, das ihr
nun treu bleib! >ür alle Zukunfl, Mit
greiibarer «Uirhelt drängt sich ihr die
Ueberzeugung auf, daß dies Leben des
äußeren Saicinc» unmöglich das ihre
werden dar», denn sie, die Glaniloie.
kann sich darin keine Geltung verschaf
fen, al,o muß sie versuchen, sich ein
anderes isell.ei zu erringen.
Ohne ihr eigene» Verschulden ist fi«
häßlich auf die Welt gekommen, so hat
die Natur durch ihre äußere Vernach
lässigung ihr den Hinweis auf felbster
wählte innere Entfaltung gegeben. Sie
will sich ein Reich gründen, in welchem
auch sie leuchten kann, durch die Eigen
schaften des Geistes und des HerzenS;
also fort mit all' den häßlichen Gefüh
len von Neid und Mißgunst! Wie ein
warmer Strom von Freude durchzieht
es ihre Seele, sie hat sich selbst be
zwungen, ihr besseres Ich wiedergefun
den.
Von uu» an bemächtigt sich ihrer im
Berkehr mit allen jungen Herren, eine
gewisse, selbstbewußte Ruhe und sicher«
Bescheidenheit, sie weiß nur zu gut, daß
sie all' denen nie gefallen mag und kann
und wird. Sie findet es ganz selbst
verständlich, wenn ihre strahlenden
Altersgenossinnen mehr Einladungen
in's Theater, zu Spazierfahrten erhal
ten, ihnen auch mehr Süßigkeiten, Blu
men und Aufmerksamkeiten aller Art
blühen, wenn eine nach der andcven hei
ralhet und sie zu bewunderten, reichen,
schönen Frauen werden.
An der unscheinbaren Häßlichen ge
hen alle Freier vorüber, wer wollte in
der wenig lockenden Hülle etwas finden,
was der Mühe werth wäre, dauernd zu
besitzen? Immer mehr Zeit hat sie,
ihren Geist zu bilden, ihren Charakter
durch stetes Entsagen zu festigen und
zu stählen.
Da kommt auch plötzlich der Mann,
welcher sie vielleicht schon lange im
Stillen beobachtet, der die rauhe Schale
weniger abstoßend findet, weil er den
guten edlen Kern ahnt. Selbst die
Häßliche ist gar nicht mehr so abstoßend,
seitdem das innere Glück strahlend aus
ihren Augen leuchtet. Mit rührender
Liebe ist sie dem Manne zugethan, als
wollte sie ihm stets dasür danken, daß
er ihre Seele erkannt und erwählt und
die Vla«ss daxübes vergessen hat. Sie
wird die teste, tüchtigste Frau; t»k
Freuden der Gesellschaft locken sie auch
jetzt nicht allzusehr, denn zu Hause, da
gefällt sie ihrem Manne wohl, aber
draußen wird und muß er da nicht im<
mer Bergleiche ziehen? Ach, wenn sie
nur schön wäre, um dem Manne an
ihrer Seite die tausend kleinen Ver
stimmungen verletzter Eitelkeit, welche
sie alle nur zu genau kennt, zu ersparen.
Wenn je kühles, unfreundliches
Wort sie schmerzlich berührt, sie be
kämpfte sich und antwortet still und ge
lassen, denn ihr fehlt auch das nimmer
wankende rücksichtslose Selbstbewußt
fein, welches allen schönen Frauen in so
hohem Maße eigen, diL von Jugend
auf verwöhnt, gar nicht im Stande
sind, eine Rüge anders als höchst un
gnädig zurückzuweisen. Sie find ja
schön, daS genügt vollkommen, sie haben
es nicht nöthig, sich irgend etwas bieten
zu lassen, denn sie sind sich ihres Ein
slußes auf die Männer stets bewußt.
Ich glaube auch nicht zu weit zu
gehen, wenn ich die Behauptung auf
stelle als Trost sür die weniger Schö
nen, daß die tüchtigsten, fleißigsten,
liebenswürdigsten, geistvollsten, an
spruchlosesten, ausopserndstcn Mädchen
und Frauen unter den Häßlichsten zu
finden sind. Sie können nicht schön,
also müssen sie gut sein, um im Leben
ihren Platz ganz und voll auszufüllen.
Ihr Mütter aber, die ihr nicht so glück
lich seid, schöne Töchter zu besitzen,
zeichnet die unschönen durch verdoppelte
Liebe und Zärtlichkeit aus, denn es
haircn ihrer gar unzählige Bitternisse
und Enttäuschungen.
Im der Landesausstellung in Prag.
Deutscher (in einer Restauration des
AnsstellungsPalastSs). Kelln«, ein
Glas B»er!
Czoctie: Herr, die Ausstellung ist
eine böhmische, sprechen Sie bShmischl
Deutscher: Aber Sie sprechen ja
selbst deutsch.
Czeche : Herr, sagen Sie nicht deutsch,
daß ich selbst deutsch spreche!
Deutscher: Aber Sie sagen ja selbst
deutsch, daß ich nicht deutsch sagen soll,
daß sie selbst deutsch sprechen.
Czeche: Herr, sagen Sie nicht deutsch,
daß ich ja selbst deutsch sage, daß Sie
nicht deutsch sagen sollen, daß ich ja
selbst deutsch spreche!
Teutscher: Herr, die Ausstellung ist
eine böhmische, sprechen Sie böhmisch!
Czeche: Sagen Sie nicht deutsch, daß
die Ausstellung eine böhmische ist!
Deutscher: Sie sagen ja doch selbst
deut ch, daß die Ausstellung eine böh
mische ist!
Czeche: Herr, sagen Sie nicht deutsch,
daß ich selbst deutsch sage, daß die Aus
stellung eine böhmische istl
Deut icher: Ich kann eben nicht böh
misch tagen, daß Sie selbst deutsch sa
gen, daß die Ausstellung eine böhmische
ist!
Czeche: Warum nicht?
Teutscher: Weil ich nur wenige
Worte böhmisch sprechen kann. ,
> Czeche: Welche denn?
Deutscher (auf gut böhmisch): Sie
find ein dummer Junge! (Er erhebt
die Hand zur Ohrfeige.)
Czeche (lehrt machend): Da» ist Ihr
Güll Wenn Sie e» deutsch gesagt
hätten, so wüiden Sie hinauSgewiejen
worden sein!
Wut gewählt.
„WaS willst Du: Reichthum, Weisheit
oder Glück?"
Frug einen armen Man» emst eine
Fee.
.Nur Glück gab er zur Antwort ihr
zurück,
.Dann lad' ich Reichthum, Weisheit
mir zum Thee!"
Genaue Auskunft. Be
such: „ Teine Schwester meint«
also, gerade diesen Ball nicht versäumen
zu können! Wa» versetzte Dein«
Mutier daraus?" Kind: „Sechs
silberne Löffel und deu» Vater seinen
Ueberziehcr'"
RavoleonS erste Liebe.
Ueberaus malerisch erhebt sich auf
und an einem Felscnhügel des linken
Rhoneusers Valence, die Hauptstadt
deS Daume Departements, daS antike
Valentia. Etwa eine halbe Stunde
von der Stadt entfernt, lag vor hundert
Jahren cin hübsches Landhaus, von
Garten und Parkanlagen umgeben,
am Flusse, das einer sehr angesehenen
Dame, der verwittweten Frau Gre
gorie du Colombier, gehörte, die es
während der schönen Jahreszeit mit
ihrer anmuthigen Tochter Caroline be
wohnte.
Der Salou der Frau du Colombier
wurde von der gewähltesten Gesellschaft
besucht, und es galt für einen Vorzug,
in dem Hause eingeführt zu sein. Die
geselligen Abende im Winter, bei denen
man miisicirte, vorlas und hin und
wieder ein Tänzchen machte, waren be
rühmt, fast noch hübscher aber die Som
merabende aus dem vor der Stadt gele
genen Landhause, wo die junge Welt im
freien sich mit Gesellschaftsspielen un
terhielt, während die Anderen plauder
ten oder die Karten in die Hand nah
men.
In dcm Gartensalon, der durch die
herabgelassenen Jalousien dunkel und
kühl gehalten wurde, saß an einem
schönen Juninachmittage die Herrin des
Hauses in eifrigem Gespräch mit dem
vtaatsrathe de Grieux und seiner Ge
mahlin, die sich zum Besuche bei ihr ein
zesunden hatten. Man besprach die
politischen Verhältnisse und die neuesten,
l»is Paris cigetrofsenen Nachrichten, die
sür die Sache des Königthums so un
günstig wie möglich lautete», als Frau
de Grieux, die eine Verwandte der Frau
du Colombier war, endlich sagte:
„Ach, lassen wir jetzt diese häßliche
Politik und sagen Sie mir lieber, wo
denn heute Caroline steckt. Sie ist
wohl gar nicht daheim?"
„Doch," antwortete die Mutter, „sie
ist vorhin mit dem Lieutenant Buona
parte, der uns seine Au Wartung mach e,
etwas in den Park gegangen."
„So, so," gab die Staatsräthin zu
rück. „Gestatten Sie mir, liebe Freun
din, Sie daraus aufmerksam zu machen,
daß man sich in der Stadt erzählt, Sie
wollten diesem jungen Korsen gestatten,
sich um die Hand Ihrer Caroline zu
bewerben. Es ist das natürlich nur ein
leeres Gerede, allein ich halte es doch
sür meine Pflicht, Ihnen davon Kunde
zu geben. Vielleicht dürfte es sich em
pfehlen, den Verkehr Carolinens mit
diesem Herrn Unterlicutenant etwas
einzuschränken, Sie wissen ja —"
„Ich danke Ihnen sehr, verehrte
Freundin," fiel Frau du Colombier ein.
„Es ist das etwas, woran ich auch schon
gedacht habe, allein am besten wird sol
chen Schwätzereien durch eine baldige
Verlobung Earolinens ein Ende ge
macht werden."
„Haben Sie einen passenden und Ih
nen genehmen Bewerber gesunden?"
sorschte der Staatsrath gemessen.
„Herr Garanipet de Bressieux, der
Ihnen ja auch bekannt ist."
„War er nicht srüher Kapitän bei der
Garde?" fiel ihr Frau de Grieux iu's
Wort.
„Ganz recht ; dieser ehrenwerthe Herr,
der von gutem Adel und nebenbei auch
sehr wohlhabend ist, hat durch seinen
Oheim, den Marquis de Ferriol, mir
seine Absichten eröffnen lassen, und ich
zweifle nicht daran, daß er mein Kind
recht glücklich machen wird."
„Was wird aber Herr Buonaparte
dazu sagen?" warf Frau de Grieux
etwas zweifelhaft ein.
„Der junge Mann ist Unterlicutenant
ohne alle Aussichten, er hat kein Ver»
mögen und, seitdem Gras Marboeus ge
storben ist, der ein Gönner der Familie
gewesen zu sein schciirt, auch keinerlei
Protection. Er mag ja recht begabt
sein, wie der Abbe de Saint Ruf ver
sichert, der ihn bei mir eingeführt hat,
aber er ist entschieden keine Partie sür
eine junge Dame wie meine Caroline."
„Nein, selbstverständlich nicht," be
kräftigte der Staatsrath.
„Caroline, die trotz ihrer 17 Jahre
in manchen Dingen noch ein rechtes
Kind ist, findet Vergnügen an seiner
Unterhaltung, das ist aber auch Alle»,
und sie wird leinen Augenblick anstehen,
sich der besseren Einsicht ihrer Mutter
und ihrer Verwandten zu fügen, wenn
es sich um ihre Zukunft, ihr LebenSglück
handelt."
„Ich bin ebenfalls davon überzeugt,
meine Theure," sagte die StaatSräthin,
.möchte aber doch rathen, die Angele
genheit bald zur Entscheidung zu brin
gen, man kann nie wissen —"
„Das wird auch geschehen. Ich habe
den Marquis gebeten, mich heute mit
Herrn de Bressieux zu besuchen, damit
wir unsere vorläufigen Festsetzungen
treffen, nach deren Erledigung ich Ca
roline die nöthigen Eröffnungen mache»
werde."
Inzwischen hatte die Tochter de»
HauseS, über deren Hand von Seite»
der Mutter in einer Weise verfügt
wurde, die bei der französischen Aristo
kratie jener Zeit die einzig hergebrachte
und übliche war, mit ihrem Begleiter,
einem jungen Ossicier in der Uniform
des Artillerieregiment» La Fire, die
Parkanlagen Verlaffen und war mit ihm
in den versteckter liegenden Obstgarten
gegangen. Sie war eine reizende Brü
nelte, zählte 1? Jahre und besaß jene
»atürliche Anmuth, die alle Herzen ge
winnt. Anf einer von Gebüsch umgebe
nen Bank unter einem Kirschbaume,
dessen schwarze Früchte verlockend zwi
schen den Biältern hervorschimmerten,
nahm Karoline Platz und sah lächelnd
dem Lieutenant zu, der eifrig Kirschen
pflückte, um sie dann seiner schönen Be
gleiterin in den Scho»ß zu schütten.
Er mußte sich dabei ost aus die Zeilen
stellen, denn er war von kleiner Figur;
seine edel nur etwas zu scharf geschnitte
nen Züge wuren sür gewöhnlich von
gelblich blaffer Farbe, zeigten sich aber
j«tzt etwas geröthet. E» kam vielleicht
von der Hitze des Tage», vielleicht auch
trieb die Nähe deS holden Mädchen«,
aus dessen Antlitz seine Blicke ost mit
leidenschaftlichem Verlangen hafteten,
das Blut heftiger durch seine Adern
und vernichtete die gelassene Ruhe,
welche der junge Lieutenant Napoleon
Buonaparte sonst zu bewahren bestrebt
war.
„Wenn Sie nicht mit davon essen,
rühre ich Ihre Kirschen nicht an," sagte
Karoline mit Entschiedenheit. Er nahm
die in der Sonne funkelnden Früchle.
die sie ihm hinhielt, und aß gleichfalls
davon.
„So," nickte sie befriedigt, „und nun
berichten Sie, was Sie gestern Abend
getrieben haben."
„Ich gab zunächst meinem jüngeren
Bruder LouiS, der bei mir wohnt, w'.e
Sie wissen, eine Mathematikstunde und
arbeitete dann an meiner Abhandlung
über das menschliche Glück, mit der ich
bei der Lyoner Akademie den Preis zu
erringen hoffe."
„Das will ich Ihnen von Herzen
wünschen! Sie haben da eine ebenso
interessante als schwierige philosophische
Erörterung zu führen," meinte das
junge Mädchen nachdenklich, „ja, was
ist das Glück? Jeder Mensch wird,
glaube ich, eine andere Antwort aus
diese Frage geben, und Sir werden sich
ein großes Verdienst erwerben, wenn
Sie eine allgemein giltige finden."
„DaS hat der große Rousseau bereits
gethan," ries der Unterlieutenant.
„Sie lieben seine Schriften, ich weiß
es. Ich dagcgen glaube nicht, daß das
goldene Zeitalter der Menschheit sich
wieder zurückführe» läßt, vo» dem er
schwärmt, und kann auch in der geist
losen Einförmigkeit des Naturzustandes,
den er zurückgeführt wissen möchte, nicht
das Glück der Menschheit erblicken.
Doch keine Philosophie mehr! Lesen
Sie mir lieber ein neues Kapitel aus
Ihrem korsischen Roman vor, wenn Sie
das Manuskript mitgebracht haben, wie
ich hosse."
„Ich bin noch nicht dazu gekommen,
weiter daran zu arbeiten, obwohl ich
ihn gern so bald als möglich vollendet
sähe."
„Sind Sie so ehrgeizig nach den Lor
beern des Autors ?"
„Ich leugne nicht, daß mich ein glü
hendes Verlangen verzehrt, mich in ir
gend einer Weise hervorzuthun. Da ich
nun dazu in meinem eigentlichen Berufe
einstweilen noch keine Gelegenheit habe,
so nehme ich statt des Degens die Fe
der zur Hand.. Aber ich schreibe zu
gleich auch, um Geld zu verdunen. Sic
wissen ja, daß ich seit dem Tode meines
Vaters von meiner bescheidenen Gage
oft noch die Meinen daheim unterstützen
muß."
„Freilich weiß ich es und schätze Sie
deswegen nur um so höher." entgegnete
das schöne Mädchen mit Wärme. „Ich
zweifle aber auch nicht daran, daß es
Ihnen gelingen wird, nicht nur die
Schwierig leiten Ihrer augenblicklichen
Lage zu besiegen, sondern sich auch bald
kühn zu einem Platze emporzuschwin
gen, für den Ihr Geist und Ihr Wissen
Sie befähigt und berechtigt!"
Seine blauen Augen leuchteten in
einem seltsamen Glänze auf, als er
diese Worte vernahm. „Möge es sich
erfüllen! Wenn ich in meinem Plutarch
lese, so überkommt mich oft ein Ahnen,
saß es mir gelingen werde, es seinen
Helden gleich zu thun, die sich plötzlich
über ihres Gleichen erhoben und ihnen
zeigten, daß sie aus edlerem Thone ge
formt seien. Ach, ich möchte ein Held
Werden wie Cäsar, Wilhelm von Ora
tiien oder Eromwell!"
„Wie verträgt sich mit solcher him
melstürmenden Ruhmbegier das Gefal
len an idyllischen Liebesgeschichten, wie
sie jener deutsche Roman enthält, von
dem Sie mir das letzte Mal erzählten?
DaS möchte ich erklärt haben."
„Ah, Sie meinen die Leiden des jun
gen Werther, von einem gewissen
Goethe? Ja, ich habe die Uebersetzung,
die ich mir gekauft habe, seitdem noch
mals gelesen und bin wirklich
rissen davon. Ich habe Ihne» das
Buch mitgebracht." Er zog den Band
aus der Tasche und schlug ihn auf.
„Hören Sie nur, wie der Dichter das
menschliche Herz kennt und seine Ge
fühle ebenso wie die erhabenen Schön
heiten der Natur zu schildern versteht."
Und er las vor:
„Es ist wunderbar: wie ich hierher
kam, und vom Hügel in das schöne
Thal schaute, wie es mich rings umher
anzog. Dort das Wäldchen! —Ach,
könntest Du Dich in seine Schatten
mischen! Dort die Spitze des Ber
ges!— Ach, könntest Du von da die
weite Gegend üoerschauen! - Die in
einander geketteten Hügel und ver
traulichen Thäler! —O, könnte ich mich
in ihnen verlieren! Ich eilte hin,
und kehrte zurück und hatte nicht ge
funden, was ich hoffte. O, es ist mit
der Ferne wie mit der Zukunft! Ein
großes dämmerndes Ganzes ruht vor
unserer Seele, unsere Empfindung ver
schwindet darin wie unser Auge, und
wir sehnen un», ach! unser ganzes
Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne
eines einzigen, großen, herrlichen Ge
fühl» ausfüllen zu lassen und, ach!
wenn wir hinzueilen, wenn das Dort
nun Hier wird, ist Alles vor wie nach,
«nd wir stehen in unserer Armuth, iu
unserer Eingeschränktheit nnd unsere
Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.
So sehnt sich der unruhigste Vaga
bund zuletzt wieder nach seinem Baier
lande, und findet in seiner Hütte, an
der Brust seiner Gattin, in dem Kreise
seiner Kinder, in den Geschäften zu
ihrer Erhaltung die Wonne, die er in
der weiten Welt vergeben» suchte."
„Sie fragen mich," knüpfte Buona
parte dann an ihre Aeußerung von vor
hin an, „wie mein Ehrgeiz sich mit
solchen Gefühlen vertrzgt? In jedem
Menschen ruht etwa» Räthselhastes, ein
innerer Zwiespalt, dessen Ursachen un«
ost nicht klar werden. Ich kenne sie.
Während mein Thatendurst mich von
hier sorttreibt nach Paris, wo allein
der Ort ist, «n dem aus einem armen
und unbedeutenden llnterlieutenant et
wa» werden kann, hält mich ein ande.
re», mächtiges Gefühl hier bei Ihnen,
Caroline, fest. Muß ich es Ihnen
nennen?"
Er blätterte weiter in dem Buche und
laS:
„Nein, ich betrüge mich nicht! Ich
lese in ihren schwarzen Augen wahre
Theilnahme an mir und meinem
Schicksal. Ja, ich fühle, und darin
darf ich meinem Herzen trauen, daß sie
o darf ich, kann ich den Himmel in
diesen Worten aussprechen? daß sie
mich liebt! ?"
Vor den brennenden Strahlen seiner
Augen senkte K aroline die ihrigen und
schaute mit glühenden Wangen vor sich
nieder. Nicht länger vermochte der
junge Ossicier sich zu beherrschen. Er
setzte sich neben sie und schlang den
rechten Arm um ihre Schulter.
„Du weißt es, holdes Mädchen, was
ich sür Dich empfinde nun sage
Räber kommende Schritte unterbra
chen seine» Herzenserguß. Blaß vor
Zorn und Erregung sprang er aus und
blickte finster dem Herrn entgegen, de»
jetzt um die Ecke des vom Spalierobst
eingefaßten Ganges bog und die junge
Dame sehr verbindlich, den Unterlieute
nant dagcgen nur leichthin begrüßte.
„Ach, Sie sind es, Herr de Bres
sieux!" ries Karoline ihm entgegen, de>
es mit echt weiblicher Gewandtheit ge
lang, sofort einen ganz unbefangene«
Ton anzuschlagen. „Wie haben S>«
uns hier gesunden?"
„Der Zug des Herzens führt niemals
irre," gab der ehemalige Gardecapitän
geziert zur Antwort, während Lieute
nant Buonaparte ironisch lächelte
„Uebrigens hat mich die gnädige Frau
ausaesandt, Sie zu suchen. StaatSrath
de G ieux nebst Frau Gemahlin und
mein Oheim, Marquis de Ferriol, dei
mit mir gekommen ist, sind bei ihr und
sehnen sich ebenfalls danach, die liebens
würdige Tochter des Hauses begrüßen
zu dürfen."
„Dann wollen wir die Herrschaften
ja nicht länger warten lassen," sagte
Karoline, indem sie ausstand und nnl
Herrn de Bressieux voranging, dabei
aber dem jungen Ossicier über die
Schulter einen Blick zusandte, der ihn
über diese Unterbrechung trösten sollte.
Buonaparte schob sein Buch wieder in
die Tasche und solgte; eine tiefe Falte
hatte sich in seine, wie au» Marmor ge
meißelte Stirn gegraben.
Bon der Esplanade in Valenee gehl
die Grande Rue aus, in der noch heute
das Haus No. 4 steht, wo der Unter
lieutenant Buonaparte damals wohnte.
Es gehörte einer alten Dame, und
Buonaparte, dessen monatliche Gage
hundert Livres betrug, zahlte davon
dem Fräulein Von acht Livres Miethe
im Monat sür ein bescheidenes Zimmer,
das er innehatte, während sein jüngerer
Bruder Louis, der spätere König von
Holland, eine Mansarde innehabe
Der ältere Bruder hatte ihn von Korsila
mitgebracht, um seiner Mutter eine Last
abzunehmen, da es der wackeren Frau
schwer genug fiel, sür die noch zn Hause
weilende» Geschwister zu sorgen. Louis
sollte ebenfalls Artlllerieofsicier werden.
Napoleon ertheilte ihm Unterricht und
bezahlte sür ihn die Pension, was er
aber nur ermöglichen konnte, indem er
selber wie ein Einsiedler lebte und sich
die größten Einschränkungen aufer
legte.
Am Tage nach seinem Besuche aus
dem Landsitze der Frau du Colombier
wollte Napoleon sich gerade zum Mit
tagessen begeben, das er mit seinen Ka
meraden bei dem Speisewirth Geny
„Zu den drei Tauben", in der Rue Te
rollerie, einnahm, während Louis bei
der HauSwilthin verköstigt wurde, als
ein Bedienter der Mutter Karolincns
bei ihm eintrat und einen Brief über
brachte. Nachdem der Mann sich wie
der entfernt hatte, erbrach Napoleon
gespannt das Schreiben und überflog es
hastig. Seine Hand zitterte während
des Lesens, dann sank er aus einen
stuhl und bedeckte die Augen mit der
Linken, während die rechte Hand das
Papier zerknitterte. Es war ein höchst
verbindlich gehaltener Brief der Frau
du Colombier, in dem sie dein „jungen
Freunde" die bevorstehende Verbindung
ihrer Tochter mit Herrn de Bressieux
anzeigte. Hinzugefügt war die Bitte,
mit Rücksicht aus die Klatschbasen der
Stadt seine sonst so willkommene» Be
such- für die nächste Zeit wenigstens
einstellen zu wollen.
Lanze saß Napoleon regungslos da
der Schlag halte ihn zu lies und
unerwartet getroffen. In der Erinne
rung an diese Stunde schrieb er später
in einem „Dialoge über die Liebe":
„Auch ich war einst verliebt, und es ist
mir davon genug in Erinnerung ge
blieben, daß »ch die metaphysischen De
sinitioncn der Liebe nicht nöthig habe,
die doch nur die Dinge verwirren. Ich
leugne ihre berechtigte Existenz, und
mehr als dieS: ich halte sie für schäd
lich sür die Gesellschaft, wie für das
Gluck deS Einzelnen, kurz, ich glaube,
daß die Liebe mehr UebteS als Gutes
stiftet."
Am 31. März 1792 heirathete Fräu
lein du Colombier den Herrn de
Brcssieux. Damals besand sich Buo
napirte (so schrieb er selbst seinen Fa
miliennamen bis zum Jahre 179 V) be
reits in Paris, wo er sich der revolu
tionären Partei in die Arme warf.
„Wäre ich General gewescn," äußerte
er später einmal, „so hätte ich die Par
tei des HoseS ergrilsen; als llnter
lieutenant mußte ich die der Revolution
ergreisen". In der That gelang es
ihm, dadurch sein Glück zu machen. Da
iie Liebe nichts mehr über den zuküns
tigen Welieroberer vermochte, so solgie
er fortan nur noch den Weisungen sei
nes berechnenden Verstandes uno eine
wahrhaft dämonischen Ehrgeizes.
Als Kaiser erst sah Napoleon nach
einer Reihe von Jahren in Lyon sein,
Jugendgeliebte wieder. Er theil'- si«
dem persönlichen Dienst seiner >u ter
Laetitia zu und verlieh ihrem «,u.teu
eine angesehene Stellung im Finanz
weseiu Erst 184 S ist die Baronm d«
Bressieux gestorben.
Thatsächlich ist Caroline nicht nur
die erste Liebe Napoleons, sondern wohl
auch das einzige Weib gewesen, das dem
großen Korsen eine echte, tiese HerzenS
neigung eingeflößt hat, und noch auf
St. Helena erzählte er mit innerer Be
wegung von der Idylle ,n Balence und
seinem Beisammensein mit Fräulein du
Colombier unter den Kirschbäumen auf
dem Gute ihrer Mutter.
Tie Naturgeschichte der deutschen
Zur Naturgeschichte der deutschen
Bettler liesert Richard Eisendraht in
den „Münch, neuesten Nachrichten" an
hier dem sahrende» Volke der Land
streicher zu. Ihm gehören das Mut
tersöhnchen, der Knopsdalser und der
Spechäger an. D-»s Muttersöhnchen
ist ein Neuling aus der Landstraße und
in der Herberge. .Kein Wunder, daß
Uebcrnamc Linkmichel. Unlängst saß
er noch daheim hinter dem Ofen. In
die neue Schürze band die sorgende
Mutterhand einige neue Hemden. Die
Mutterpsenilize im Beutel zieht er, so
rasch er nur vorwärts kommen kann,
der breiten Heerstraße nach. Verläßt
er das Weichbild Dresdens, so fragt er
schon jeden Wanderburschen, den er aus
dem Marsche nach dem Süden trifft,
wie weit es noch bis Nürnberg oder
gar München sei. Dieser Eile wegen
nennt ihn der Spott „zünftiger Feger"
Schnelläufer. Er reis gern in Gesell
schaft anderer Muttersöhnchen, biswei
len in Schaaren, und nächtigt, wenn er
irgend kann, nur in den Herbergen zm
Heimalh. Anständig gekleidet, putzt
und striegelt er sich gern, eine Eigen
schaft. die ihm den Beinamen Aesschen
oder Aesstour einträgt. Ist der Beutel
leer, geht das „Kohlendampfschieben",
das Hungerleidei!, an und dann nun
dann wird ost auS dem Muttersöhnchen
ein Knopsdalser.
Der „Knopfdalfer" ist ein Pfennig
bettler, des im Liede bekannten Bruder
Straubingers Nachkomme auf dkl
Landstraße. Er ist der ärmste Zug
betller; in Lumpen gewickelt sührt ihn
sein Weg v.m Thür zu Thür. Ei
reist anfänglich gern zu Zweien und ist
nach des Tages Mühen gern fröhlich
und guter Dinge. Von dm weiblichen
Landstreichern gesellt sich die „Tivpel
schicks", eine landsahrende, gewöhnlich«
Bettlerin, zu dem Knopsdalfcr. Lau
geres Landstraßenleben macht den
Pfennigbettler gewöhnlich mürrisch
geizig, wunderlich, eigensinnig und un>
gesellig. Er reist allein und nur noch in
bekannten Gegenden, in denen er so oft
wiederkehrt, daß die „Hunde mit den
schwänzen wedeln", wenn er ein Ge
Höft betritt.
Jeder Kameradschaft ist ihm lästig
und jeder seinen Weg kreuzende Bettler
als Nebenbuhler ihm ein Dorn im
Auge. Nannte er ein halbes Men
schenleben lang nichts als den Stecken
sein, schleppt er jetzt einen derben Ber
liner nach, in dem er schildlose Kappen,
abgetragene Papierkragen, alte Fuß
lappen, werihiose Stiefelsohlen und
andere Lumpen aufbewahrt. Auch fehlt
ihm nie das „livpfche Gewerbe", darin
er die fetten Bissen, die er sich zu dalsen
weiß, versteckt. Er ist mit einem Worte
gesagt, zum Speckjäger geworden, der
seiner ungeselligen Eigenschaften wegen
von allen Landsträßlern verachtet wird,
in dem Hopfen uud Malz verloren ist.
In der Landstreichergattnnz begeg
nen wir ferner den „Fortschrittsdalfern".
Als solche entpuppten sich die „Blitz
kund.'n" und die „Schmalmacher".
Blitzknnden sind Kleiderkettler, die
Schmalniachzr hallen den Spaziergän
gern und in besuchten Wirthschaften
den Gästen bettelnd den Hut unter die
Nase. T>>s nennt man in der Ver
kehrssprache der deutschen Landstreicher
schmalmachen, daher der Name der Fech
ter. Sie lebe» wie die Herren, im
Sommer aus dem platten Lande, im
Winter in größeren Städten. Wil
kommen nun zu den „Kohldalsern", den
eigentlichen Schwindelbettlern, und be
trachten zunächst den „Tappenreiter",
der die gute Sitte unserer Handwerks
meister, durchreisende Gesellen ihres
Zeichens zu unterstütze», mißbraucht.
Ein Tappenreiter „ledert" oft sämint
liche „Krauter" (Meister), die an sei'
nem Wege wohnen. Jeder Tappenrei
ter versteht von dem Geschäft, auf wel
ches er reist, so viel, daß er mit Meiste»
und Gesellen darüber reden kann. Ein
gemeiner Schwiiidelbettler ist der „Hoch
täppler", der als Brandbettler ode,
andere ähnliche Nothlagen vorschützend,
die Geldsäckel vermöglicher Leute er
leichtert. Bei Überschwemmungen und
anderen Katastrophen schießen die daraus
reisenden Hochtäppler wie Pilze aus
der Erde. Andere simuliren auch Ge
brechlichkeit, gehen als Krüppel und
Taubstumme, um die Wohlthätigkeit
ihrer Mitmenschen io erhöhtem Maße
in Anspruch zu nehmen. Während von
der Sippschaft der Tappenreiter selbst
thätige Laiidstrcicherinnen ausgeschlossen
iind, finden sie hier ein ergiebiges Ar
beitzfeld. Die schlimmsten von Allen
sind die Zoddelbrüder und Drucklas
benncn. Das ist das Diebsgesindel iv
der Landstreicherwelt.
Aus dem Gerichtssaal
Richter (zum Zeugen): Nun, Herr
Schulze, Sie sagten, dieser Karl Schulze
ist ein entfernter Berwandter von Ih
nen, in welchem Berwandtfchaftsgradc
steht erden»? Zeuge: Er ist mein
Müder. Richter: Aber Sie sagten
inir doch soeben, er sei ein entfern
ter Verwandter. Zeuge: Augen
blicklich ja, denn er ist in China!
Letzter Versuch. Mein
Herr, ich bitte Sie, micki nicht mehr wei
ter zu belnlli en. Ich habe Ihnen
doch ge,a; mein herz nicht mehr
frei ist. r Fräulein Loni, darf
ich Sie no -aus ausmerksam machen,
daß das zwei Kammer»
Hot?
«in chinesische» «auchlokat.
Dem größten Opium - Rauchlokal«
Chinas widmet der „Ostas. Lloyd" ein«
eingehende Schilderung. Shanghai
rühmt sich dieser Sehenswürdiz'eit.
Sie liegt in der sogenannten französi
schen Ansiedelung, etwa einen Stein
wurs von den Mauern der Chinesen
stadt, in der keine Oviumtabagie beste
hen darf. Es fällt ost schwer, sich den
Weg durch die Menrchenniaisen zu bre
chen, welche um das Gebäude herum
lungern und die scheinbar allen denkba
ren Stände» engehcrcn. Die geeig
netste Zeit iür d-:e Besichtigung de»
Lokals ist der Abend, nachdem alle
Lampen angezündet find, doch muß man
einen gesunden Magen haben, um di»
Uebelke:t erzeugenden Dünste zu ertra
gen. Die Rauchwolken, das matt«
Licht ver zahlreichen farbigen Lampen,
die noch zahlreicheren aus Bänken aus
gestreckten Gestalten mit verzerrten Ge
sichtern, die sich über die kleinen Flam
men biegen, an welche» man die Pseifen
anzündet, reichen aus, um auf einen
Neuling den widerlichsten Eindruck aus
zuüben.
Das Innere deS Hauses bietet einen
eigenthümlichen Anblick. In der Mitte
des Erdgeschosses, das so zu sagen einen
einzigen großen Saal bildet, hängt
eine der schönsten chinesischen Lampen,
welche die einheimische Industrie zu
sabriciren im Stande war; sie soll meh
rere Hundert Dollars gekostet haben.
Die Decke ist aus reich geschnitztem
Holze hergestellt, während die gemal
ten Wände mit einem eigenthümlich
markirten Marmor ausgelegt find.
Zahlreiche Thüren führen überall in
die kleinen Verschlage, welche sür Rau
cher bestimmt sind.
Dicht am Eingang zum Lokal steht
ein Ladentisch, aus dem sich eine groß«
Anzahl Sch.ichtelchen mit dem syrup
ähniichen Mohnsast befindet; etwa ein
Dutzend Gehilsen finden beständige Be
schäftigung, diese Schächtelchen an Die
ner auszutheilen, welche die Gäste be
dienen. Hinter diesem Ladentisch be
finden sich ferner die Pfeifen, auf di«
sorgfältigst Acht gegeben wird. Di«
Rauchzimmer sind in vier Klassen ein
getheilt. In dcm billigsten wird man
Kulis vorfinden, die etwa 110 Eash
für die gefüllte Pfeife zahlen; in dem
nächsten Zimmer Leute, die 120 Eash
sür die Pseise verausgaben; in der
zweiten Klasse trifft man wohlhaben
dere Kleinhändler an, die 130 Eash
erlegen, während in dem Zimmer ersten
Ranges dem theuersten j«d«
Pfeife, die man raucht, 150 Eash kostet.
Die Schächtelchen einhalten fast sämmt
lich dieselbe Menge Opium, etwa ein
Mcce Gewicht (Illv Unze); der Unter
schied in der Pfeife ist es hauptsächlich,
der den Preis bestimmt. Die besten
sind aus Elscnbein gemacht, das Rohr
ist oft mit Edelsteinen ausgelegt und
kunstvoll geschnitzt.
Die meisten Raucher liegen in Paaren
in einem Zimmer, die je nach der Klaffe
mehr oder weniger eingerichtet sind.
In den theuersten Räumlichkeiten ist di«
Bank, aus welche sich der Raucher aus
streckt, mit seinem Sammet bedeckt, mit
einem Kissen ans demselben Material;
das Rahmenwerk der Ruhebetten ist
mit Perlmutter oder Jade eingelegt;
die Wände sind mit chinesischen Kunst
schnihereien und dergleichen auSge
schmückt. Der Raucher streckt sich aus
eine Art von Tivan hin, stützt den Kops
aus eine» EubuS von Holz, der ost mit
Tuch überzogen ist, und der eine Höh
lung sür das Genick hat und als Kopf
kissen dient. Der Tropfe» Opium muß,
eh- er in den an der Lampe g'ühend
gemachten Pfeisenlopf gelangt, zu einem
Kügelchen geformt werden, und dieses
Kuge,drehen ist eilt« ZU!»st, zn deren
Erlernen eine längere Urbnng gehört.
Einerseits muß nämlich das Nüdelchen
soirocken wirden, daß es brennt, ande
rerseits aber ist es nöthig, daß der
Rauch noch genügend mit den Aikaloi
de» durchsetzt ist, welche ans das Hirn
des Rauchers einwirken sollen.
Kleine Notizen.
—Ein Czeche besuchte vo»
einigen Tagen die Kunstausstellung in
Berlin, aber da er, objchon nicht deutsch
sprechend, nicht mißhandelt wurde, war
er derart verblüfft, daß er kein Wort
böhmisch hervorzubringen vermochte.
Der Zar hat den Prinzen
Georz von Griechenland wegen der Ver
theidigung des russischen Thronfolgers
zum Admiral ernannt. Wie wir hören,
hat der genannte Prinz das Costüm deS
Admirals in »Pariser Leben" sür sich
bestellt.
Der Katholiken-, Deutschen
»nd Judenhasser, Oberproturator Po«
badonoszew, in St. Petersburg, ist zum
Ehrenmitglied der antisemitischen Frac
lion des Deutschen Reichstages ernannt
worden.
Nachdem d a S G e n fer Zoll
amt die Maikäfer als Delikatessen er
klärt hat, gedcnit es nunmehr Austern,
Gänscleber und Hummern unter die
Käser zu »übriciren.
Druckfehler ans der seil
September 1890 in Konstantinopel er
scheinenden deutsch geschriebenen „O»>
manischen Post": Heule Nacht entichlief
die allgemein belannle und beleibte (be
liebte) Frau K —Die junge Dam«
erregte wegen ihre» seltenen Schmutze»
(Schmuckes) ellgemeine Aufmerksam
keit. Bei einem zu Ehren Sr. Maje
stät veranstalteten Gartenfest verliehen
Tausende von Lumpen (Lampen) dem
Garte» ein feenhaftes Aussehen. Di»
Actiengefellschaft X. theilte mit, daß,
nachdem die Actionäre die erste Rate
eingezahlt haben, der Rest des Betrüge»
(Betrage») demnächst erhoben werden
wird. Der Männerchor-Gesangver«in
hat den Verstand (Borstand) verloren.
—Gleich nach Beginn der Sitzung wur
den sämmtliche Mitglieder beerdigt (be
eidigt). Die Mehrheit der Mitgliede,
war sür unbedingte Freßfreiheit
kreiheit^