Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 23, 1891, Page 2, Image 2

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    »
v,rh»«a«thv»ller Irrthum»^
Wir glauben kaum, ernsthafte»
Widerspruch zu begegnen, wenn wir be>
Häupten, daß eS in Chicago sehr viel
lhübsche Mädchen gibt. Ernster wird
allerdings die Sache, wenn wir die
Meinung deS bedeutenden Geschäfts
manneS Hvbart Wilson theilten, welche»
wit begeisterten Augenausschlag er
«klärte,, daß Fräulein Ashcroft dai
schönste Mädchen der Stadt sei. Na
türlich konnte Herr Wilson nur sür sich
selbst sprechen, und correcter gesagt, nu»
von denjenigen Mädchen sprechen, die
>ihm zu Gesicht gekommen. Nachde»
-wir so unsere Leserinueu berichigt, wol
llen wir fortfahren.
Also eines schönen TageS stand Her,
Wilson sehr früh auf. Er war in demAo
-rangen» ent feiner Toilette noch viel sorg
sältiger, als gewöhnlich, und warf im
«wer und immer wieder prüfende Blich
!in den Spiegel, der seine stattliche Fi
>gur wiederstrahlte. Endlich schien e>
Nachdem er den tadellose«
aufgesetzt und den goldbeknauf
sen Stock ergriffen, eilte er davon.
Wohin? Nun, das läßt sich wohl er
rathen. Geraden Weges nach Frl,
Ashcroft» Wohnung.
Er wzr glücklich genug. Frl. Ashcroft
zu Hause zu treffen. Wie geblendet
von ihrer herrliche» Erscheinung, schien
«r erst kaum Worte finden zu können,
kald aber saß «r in dem Fauteuil, den
He ihm angeboten. Jetzt entspann sich
folgende Unterredung, die von ihr mit
!den liebenswürdig gestötete» Worte«
«öffnet wurde:
„Womit kann ich Ihnen dienen, Herr
Wilson?"
„Ach, mein verehrtes Fräulein, Sie
iwissen gar nicht, wie sehr ich Sie schon
Ilange bewundert habe! Ihr herrliche»
Wuchs, Ihre schönen Auge», Ihr pracht
volles Rabenhaar—"
,?lber mein Herr, ich muß bitten— *
„Verzeihen Sie, wenn ich von meine»
glühenden Bewunderung mich sortrei
ßen ließ aber ich spreche nur die
Wahrheit. Ich bin entzückt. Verge
bens habe ich mich unter den junger
Dame» dieser Stadt umgesehen kein«
kann Ihnen das Wasser reichen. Ich
habe mich deshalb entschlossen, Ihne»
einen Antrag zu machen. Nehmen Sil
ihn an, so machen Sie mich zum glück
lichste» Mann in Chicago—"
„Aber erlauben Sie, Herr Wilson,
!das ist doch eine merkwürdig plötzliche
iManier, mit der Sie da herausplatzen,
Ich kenne Sie ja gar zu wenig —" da
bei überflog eine plötzliche Nöthe ihr,
jeinen Züae.
« „O, das wollte ich ja gerade noch
sagen. Ich kann Ihnen die besten Re
ferenzen bieten bin ein durchaus gut
situirter Mann Ihr Glück ist ge
macht, wenn Sie das Geschäft anrieh
wen —"
Jetzt erhob sich Mabel Ashcroft.i«
ihrer vollen imponirenden Größe:
.DaS geht doch zu weit," sprach sie.
mit zornigen Blicken den unglücklicher
Wilson musternd „erst Ihre unziein
kiche Vertraulichkeit, und jetzt bedienen
Sie sich »och dazu der unzartesten Aus
drücke, um mir einen Heirathsantraa
zu machen —"
„Aber, mein geehrte» Fräulein/
stotterte Wilson, .das sällt mir ja ga»
«nicht ein; ich wollte Sie als Kassireri,
jsür mein großes Geschäft engagiren,
weil Sie eine so schöne Figur —"
Doch weiter kam er nicht. Mit einen
«gebietenden: „Hinaus!" wies
Ashcrast nach der Thür, durch welch«
Idas traurige Opfer des lächerlichster
Iber Mißverständnisse spurlos vcr
schwand.
Poppeltes Pech. Erste,
Gommis: Ich Unglückspilz! So wai
kann auch uur mir passire»! Zweite»
EommiS: WaS ist denn geschehen?
Erster EommiS: Ach! Ich habe mi»
Hestern von zwei Aerzten zwei verschie
dene Zeugnisse ausstellen lassen, vor
meinem HauSarzt ein Krankheitsattest,
weil ich einige Tage vom Geschäft weg
bleiben wollte und vom SanitätSrati
-Grabschausel eine Gesundheitsbescheini
gung für die Lebensversicherung.
Zweiter CommiS: Nun, da bist Du j«
Ichvn heraus! Erster Commis: I,
wo denn? Beim Couvertiren hab' ick
die beiden Dinger verwechselt! Nun H-»!
die Versicherungsgesellschaft mein Krank
heitsaltest und mein Prinzipal das Ge
sundheitsattest!
Ein alter Bekannter.
Gerta, habe ich Dir schon den prächti
gen Verlobungsring gezeigt, den mii
Friedrich Hertel geschenkt hat? —Oh
den hab' »ch schon vorher gesehen.
Vorher gesehen? Wo denn? Ar
«einem Finger, al« ich vergangene«
Zahr mit »hm verlobt war.
Wie gesagt, meine liebe Helene, zu
diesen altmodischen Frauen gehör' ich
nun 'mal nicht, und ebensowenig mein
Kind. Die Zeiten sind vorbei, in denen
ein junges Mädchen aus guter Familie
nichts weiter thun konnte, als ein bis
chcn sticken, ihren Teint pflegen und aus
einen Freier warten. Heutzutage steh!
einer Frau noch dazu einer begabter
Frau fast jedes Feld der männliche«
Thätigkeit osseu, und auch mein« Kitt»
soll sich ein solches wählen."
Und mit diesen entschlossenen Worte,
wandte meine Cousine Katharina in
ihrer Jugend hatte man sie auch Kitty
genannt, wie heute ihre Tochter, abe>
sie liebte es nicht mehr, sich so nenne»
zu hören sich wieder dem Schreib
tisch zu und beendete rasch einen Brie!
für den Frauenvercin, dessen Vorsteherin
sie war.
Ich antwortete nichts. Was sollte ich
auch sagen ? Sie widerlegen konnte ich
entschieden nicht, denn ich selbst hatte ja
ein Feld der männlichen Thätigkeit be
treten, seitdem ich Mitarbeiterin an eine»
Zeitschrift in Berlin geworden.
Freilich hatte es in dem kleinen
Städtchen L., aus dem auch ich stammte,
lauge gedauert, bis man sich an den
Gedanke» gewöhnt hatte, daß ich
Schriftstellerin war, und ich hatte eine
lange Zeit hindurch als die Emanzipir
teste unter den Emanzipirten gegolten,
a'S ein Mädchen, welches »othwendiger
weile kurzgeschorenes Haar tragen, ein«
Feder hinlerm Ohr und Tintenklexe an
den Fingern haben mußte.
Als man sich im Lause der Jahre
ich verbrachte ein paar Wochen in jedem
Sommer bei Cousine Katharina —davon
überzeugt hatte, daß meine Frisnr und
meine Toiletten stets hochmodern waren,
als man vergeblich hinter meinen Ohren
den Federhalter und an meinen Händen
die Tintenflecke gesucht hatte, beruhigte
man sich allmälig, wenngleich ich auch
immer noch sür die Bewohner des
LandstädtchenS ein Phänomen blieb.
In Cousine Katharina dagegen hatt«
meine Carriere einen glühenden Ehrgeiz
erweckt, und seittem vor etwa zwei
Jahren Kitty in der Schule einen so
guten Aussatz abgeliefert hatte, daß die
Lehrerin ihn in dem L r Winkel
blättchen abdrucken ließ, war es Katha
rinas fester Vorsatz, daß ihre Tochter
mir gleich wxrden solle.
Diesmal war zugleich mit mir auch
Tante Emilie zum Besuch gekommen,
die den vollständigsten Gegensatz zu
Schwester Katharina bildete.
Katharina war hager, ätherisch,
durchgeistigt. Emilie wog ihre hun
dertundachtzig Pfund, die sie mit einer
glückselig phlegmatischen Miene durchs
Leben trug.
Katharina war Spartanerin durch
und durch, in Grundsätzen und Neigun
gen. Emilie war Sybaritin. Ein
weiches Bett, ein warmer Schlafrock,
ein gutes Mittagsessen und keine An
strengungen, das war ihr Ideal vom
Lebe». S'i bewunderte ihre Schwester
Katharina sehr nur in einem Punkte
fühlte sie sich ihr „über", wie man zu
sagen Pflegt: Katharina hatte eine
Tochter Emilie hatte drei Söhne
und sie blickte mit olympischer Ge
ringschätzung auf alle Frauen herab,
die keine Söhne besaßen.
Dafür erlaubte sie sich aber ein gro
ßes Wort mitzureden, wenn von Er
ziehung junger Mädchen die Rede war.
„Gott, das arme Ding—wozu denn ?
Das haben doch nur unbemittelte Mäd
chen nöthig. Deine Kitty wird, denke
ich, nicht verhungern, wie?" Sie
wiegte dabei ihre hundertundackitzig
Pfund mit vergnügter Behaglichkeit in
einem Schaukelstuhl am offenen Kamin
feuer.
„Ich begreife überhaupt nicht"
fuhr sie fort, als sie keine Antwort er
hielt „wie Du das Kind hältst. Wa
rum hat das Mädel denn keine Cour
macher? Ich sehe doch bei Euch wahr
hastig nie etwas, was 'nein jungen
Manne nur ähnlich sieht. Warum denn
nicht? Hübsch genug istDeine Kitty doch,
bei Gott."
Ich sah von der Seite, wie Cousine
Katharinas Augenbrauen sich ein wenig
jedoch »och Alles still, dann sagte sie ein
bischen spitz:
„Liebe Emilie mein Kind hat
keine Zeit für derartige Dinge. Sie hat
genug zu thun mit ihrer Ausbildung
und ihren Studien. Auch führe ich sie
noch nicht in die Gesellschaft. Sie ist
noch zu jung dazu."
„Hliimmm!!" machte Emilie sehr ge>
dehnt. „Du und ich, wir waren meines
Wissens auch »och recht jung und auch
noch nicht in die Gesellschaft geführt, als
doch schon jede von uns ihr halb
Dutzend Courmacher auszuweisen hatte."
„Ich hoffe, daß mein Kind weit Keffer«
Dinge im Leben finden wird Dinge,
die lohnender und werthvoller sür einen
vernünftigen Menschen sind."
.Vernünftiger Mensch! Ein Mädchen
Mensch? Wenn Deine Kitty heute schon
ein vernünftiger Mensch ist dann
dann thut sie mir herzlich leid. Warum
soll sie denn 'ne alte Jungser werden?"
Katharina klebte mit großer Sorg
falt ihren beendeten Brief zu und einen
Augenblick nach, drückte dann mit einem
ganz unnöthigen Aufwand von Ener
gie eine Marke aus das Couvert und
sagte:
.Liebe Schwester, ob Kitty jemals
Heirathen wird, weiß ich nicht, das liegt
nicht in meiner Hand; jedensalls aber
will ich ihr darin Helsen, ein nützliches
Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu
werden.
„Großer Gott! Soll Deine Tochter
Arzt, Apotheker oder Prediger werden?
Sag' mir doch, ohne Spaß was be
absichtigst Du denn nun zunächst mit dem
Kinde?"
Hierauf nahm Katharina wieder ihr«
entschlossene, würdevolle Miene an und
erwiderte, daß Kitty für den Winter
mit nach Berlin gehe» solle. .Sie soll
sich dort ein bischen umsehen und wird
dort leichter einen Bern? oder eine Be
schäftigung finden, die ihr zusagt, als
hier."
.Jetzt habe ick aber wirklich genug/
rief Tante Emilie aus, erhob sich von
ihrem geliebten Schaukelstuhl und ging
in höchster Erregung im Zimmer aus
und ab. .Einen Berus, eine Beschäfti
gung, ja, wozu denn ? Sie hat doch Geld
genug auch ohne das.-
Kopfschüttelnd ließ sie sich wieder in
dem Schaukelstuhle nieder, gerade als
die Thür sich öffnete und Kitty eintrat.
Mit ihren blonden Haaren, ihrem ro
sigen Gesichtchen und ihrem weißen
Kleide sah sie wirklich aus wie ein Kind,
so schlank und hübsch.
Katharina warf ihrer Schwester einen
warnenden Blick zu.
.Se» unbesorgt," antwortete Emilie
mit ihrer gewöhnlichen Offenherzigkeit.
.Komm' mal her, Kittychen. Na, Dv
glaubst doch nicht, daß die alte Tante
Emilie Dich beiße» wird, he?"
„Nein."
Kitty lachte und lieg sich von de»
Tante umarmen und auf den Schooß
ziehen.
„WaS gedenkst Du denn in Berlin
zu thun, mein Herz?? fragte Tante
Emilie.
.Ich weiß noch nicht", antwortete
Kitty und sah dabei wirklich aus, als
habe sie keine Ahnung davon; .aber
Mama ineint, wenn ich erst dort bin,
wird'S mir schon klarer werden."
„So? N» und Du freust Dich
gewiß schrecklich daraus wie?"
„Ja", sagte Kitty, aber es klang ei»
bischen kleinlaut, und der Schatten,
welcher dabei über ihr» kindlichen Züge
flog, strafte das Wort fast Lügen.
„Ach Kittychen," rief auf einmal
Tante Emilie. .Ich habe mein Strick
zeug im Garten auf der Bank liegen
lassen. Laus und hol mir's, ja?"
Kitty nickte und flog davon.
.Hmmm!" machte Emilie wieder
sehr gedehnt, als sich die Thür hinter
dem Kinde geschlossen hatte. „Na, daß
etwa weiterer Unfug geschehen wird,
glaube ich nicht. Das Kind verliert
voraussichtlich ein halbes Jahr der
harmlosen Jugend, aber im Uebrigen
wird die Sache wohl im Sande verlau
sen : Helenens Freunde werden der Klei
nen wohl nicht gefährlich werden, denn
soviel ich von denen höre, sind sie alle
mehr oder weniger nahe den Fünfzigern.
Also laß sie in Gottes Namen mitfah
ren. Es wird ihr wohl nichts scha
den."
Das war Tante Emiliens Aus
spruch.
Zwischen Katharina, und mir war
längst alles verabredet und wir waren
einig über die Sache.
Ich schrieb noch am nämlichen Tage
an meine Freundin Lisa, eine junge
Malerin, mit der ich zusammen eine
kleine Etage bewohnte, bat sie, ein Zim
mer Herrichten zu lassen sür unsern
Gast, und wenige Tage später reiste ich
mit> Kitty nach Berlin ab.
In den ersten Wochen ihres Berliner
Aufenthaltes hatte Kitty arges Heim
weh, und das Einzige, was sie hätte
trösten können, die Briefe ihrer Mutter,
behandelten ausschliehlich das eine
Thema: den Beruf zu finden! Des ar
men Kindes Ehrgeiz sollte durch die
mütterliche» Briefe unaufhörlich ange
feuert werden; wenn ich aber Kitty nach
der Lectüre eines solchen Brieses nicht
feurig und flammend, sondern im Ge
gentheil recht bedrückt und betrübt sah,
so wollte eS mir scheinen, als habe sie
nicht allein kein Talent, sondern auch
gar keinen Ehrgeiz.
Troydem nahm sie die Sache sehr
ernst und mühte sich redlich ab, einen
Beruf zu finden. Mit der Musik sah
es traurig aus. Weder Gehör, noch
Talent, noch Neigung waren vorhanden.
Also auch nichts. Nach Verlauf von
zwei Monaten schon begann Cousine
Katharina mich mit Briefen zu bom
bardiren.
.Es dauert doch sehr lange," meinte
sie, „konnte Kitty sich denn »och immer
zu nichts entschließen?"
Nein, Kitty konnte sich noch immer
nicht entschließen; sie fing schon an, sich
um ilire Ersolglosigkcit zu grämen, und
ging .it blassen Wangen einher.
- Eines Abends besuchte uns e>n Be
kannter Lisas, Otto Hardenberg. Er
war Maler, schon sehr bedeutend auf
dem Wege, viel Geld und Ruhm zu
ernten. Er nährn ein warmes, freund
schaftliches Interesse an uns Beiden,
nnd es passirte nicht selten, daß er
Abends ganz plötzlich zu einem gemüth
lichen Plauderstündchen hereingeschneit
kam. Er war ein großer hünenhafter
Mensch mit lachenden Augen und einem
prächtige» harmlosen Kindergemüth.
Natürlich war an diesem Abend auch
unser kleiner Schützling zugegen und
hr-rchte mit angestrengtester Aufmerk
samkeit aus die gelehrte Unterhaltung
iber Perspective, Hinter- und Unter
grund, Motive, moderne und antike
Kunst ic., wovon ihr das Meiste wahr-
Otto hatte im Lause des Abends Ge
legenheit. eine Tasse Thee aus ihren
Händen in Empfang zu nehmen, und
schüttelte ihr beim Weggehen die Hand;
sonst aber, glaube ich, hatte er das
stille kleine Mäuschen, das mit ausge
rissene» Augen, sestgeschlossencm Munde
und gefalteten Hände» de» ganze» Abend
daaesessen, gar nicht bemerkt.
Um fo erstaunter war ich. als am
nächsten Tage mein kleines Consinchen
mich sragte, ob Herr Hardenberg wohl
Malstiinden gebe! Sie müsse sich doch
nun endlich sür einen Beruf entscheiden.
Am Ende würde sie Male» noch am
besten lernen können.
Sie sah dabei so traurig aus, daß ich,
um sie zu trösten, versprach, Hardenberg
sogleich zu fragen.
Am nächste» Vormittag ging ich z»
Hardenberg. Kitty nahm ich nicht mit.
Drohte ihr eine Enttäuschung von Sei
ten OttoS, so brachte ich ihr diese besser
»u Hause bei. Ich ging also allein.
Hardenberg öffnete auf mein Klin>
gel» selber in Hemdsärmeln die Thür.
Freundlich wie immer nöthigte er
mich in'S Atelier, stellte mir einen
Stuhl hin, bat um Entschuldigung we
gen seiner mangelhaften Toilette, fuhr
fchnell mit beiden Armen zugleich in
seinen Rock hinein, nahm einen dreibei
nigen Schemel und setzte sich aus diesem
mir gegenüber in Positur. Dann
kreuzte er die Arme über der Brust und
sagte:
„Wie geht'S Ihnen, Fräulein Helene,
und was macht Fräulein Elisa?"
Kein Wort von Kitty. Natürlich
hatte er das kleine Ding längst wieder
vergessen.
.Es wäre mir lieber," begann ich,
.wenn Sie sich nach dem Befinden unse
rer sämmtlichen Familienmitglieder er
kundigten. Dann hätt' ich doch
gleich die Gelegenheit, da» zu sagen,
was ich gern sagen möchte."
Er sah mich mit seinen hellen freund
lichen Augen ganz verwundert an.
„Ach so," rief er dann plötzlich,
„sämmtliche Familienmitglieder! Rich
tig, ich habe eins vergessen. Das kleine,
ach ja, ja, nun entsinne ich mich ihrer
erst wieder."
.Das freut mich, nun krieg' ich Muth
zu meiner Frage."
„Nur zu!"
„Würden Sie meiner kleine Verwand
tin Stunden geben, Malstunden?"
Er sprang von seinem Schemel auf.
.Ach nein, »ein, Fräulein Helene,
warum thun Sie mir das an? Ach, Si«
wissen doch, daß ich, nein ach, das
war nicht nett von Ihnen das heißt,
wissen Sie was, das ist eigentlich 'ne
Idee! Mein Freund, Regierungsrath
Schmollen, hat 'ne Tachter, ein hochbe
gabtes Mädel, malt schon ganz reizend,
die will auch gern bei mir Stunden ha>
ben, und ich möcht' sie auch gern unter
richten, aber ihre Mutter erlaubt eS
nur, wenn ich 'ne Klasse habe. Da
komnlt ja Ihre kleine Freundin, wie
heißt sie doch?"
.Kitty."
.Richtig, Kitty, wie gerufen. Zwei
machen schon 'ne Klasse, nicht wahr?
Dann unterricht' ich die beiden Mädel»
zusammen!"
„So trifft sich'S ja herrlich," sagte ich,
dankte unserm liebenswürdigen Freuud«
und ging wieder nach Hause.
.Ich glaube, Otto ist in Rosa Schmol
len verliebt," sagte ich zu Lisa, als ich
ihr das Ergebniß meines Besuches be
richtete. „Er war begeistert von der
Idee, sie unterrichten zu können. AN
Kitty dachte er überhaupt nur als ein
Mittel zum Zweck."
„So?" sagte Lisa trocken. „Schon
möglich."
Dank dem großen Interesse Harden
bergs für Rosa Schmollen bekam mein
kleiner Schützling täglich Gelegenheit,
in's Atelier zu gehen und eine Lektion
zu bekommen. Diese Lektion dauerte
stets drei volle Stunden, und Sonne,
Mond und Sterne erscheinen nicht pünkt
licher am Himmel, als Kitty in Hardeir
berg'S Atelier sich einstellte.
Cousine Katharina war entzückt, daß
Kitty sich nun endlich einem Berus zu
gewendet hatte; überKittyS Besähiguug
stiegen ihr auch keinen Augenblick Zwei
fel -auf, ihre Kitty!!
Das Kind selbst lebte jetzt förmlich
wieder auf. Wenn man sah, mit welch
fröhlicher Miene sie jeden Morgen ihre
Sachen zusammenpackte, um in Atelier
zu wandern, und mit welch glühenden
Wangen und strahlenden Augen sie jeden
Mittag von dort zurückkehrte, so wußte
man, auch ohne es von ihr zu hören, mit
welchem Enthusiasmus ihr Berus sie
ganz und gar ersüllte.
So vergingen zwei fast drei Mo
nate.
Eines Abends ich saß noch an der
Arbeit klopfte e» leise und sehr schüch
teru an meiner Thüre.
.Herein!"
Die Thür öffnete sich ein wenig, nnd
Kittys Köpfchen zeigte sich in der Oesf
nung.
.Komm doch herein, mein Kind!"
»Darf ich?"
„Aber ja; so komm doch!"
Ich wandte mich wieder zu meiner
Arbeit; ich hörte, wie die Thüre leise
zugeklinkt wurde, dann ein paar zö
gernde kleine Schritte, weiter nichts,
Alles war still. Ich wandte mich um;
da stand Kitty wenige Schritte hint-r
mir, nnt glühenden Wangen und ge
senkten Augen, die Hände in einander
gefaltet, fromm wie ein kleines Heili
genbild.
.Na, Kittychen, willst mir da- sage» ?
So sprich doch, Kind!"
Und sie sprach. Ich glaubte vor
Ueberraschung umzufallen.
Das „Kind" hatte mir nichts mehr
»nd nichts weniger mitzutheilen, als daß
eS sich an diesem Vormittage mit Otto
Hardenberg verlobt habe.
Meine Ueberraschung dauerte aber
«ur einen Moment. Dann sprang ich
iuf sie zu und umarmte und küßte sie.
Sin wahrer Mühlstein fiel mir vom
Herzen.
Als ich Kitty halb todt geküßt hatt«
?or Freude, schickte ich sie zu Bett, dann
ging ich zu Lisa und rüttelte sie unbarin
Herzig aus ihrem ersten Schlummer
impor. Daß sie unter diesen Umstän
den zuerst etwas unwirsch war und mei.
«er Meldung keinen großen Enthusias
mus entgegenbrachte, ist vielleicht be
greiflich.
„Warum sreust Du Dich denn so
schrecklich darüber?" fuhr sie mich an.
.Man sollte glauben, Du gehörst noch
zu jenen altmodischen Frauen, welche die
Ehe als die einzig gute Versorgung sür
ein Mädchen ansehen! Und was Du
Deiner Cousine schreiben wirst das
muß ich sagen, da steht mir der Ver
stand still. Um diesen Brief und die
Antwort darauf beneide ich Dich wahrlich
aicht."
Kitty» Mutter antwortete weniger
entrüstet, als Lisa geglaubt hatte. Frei
lich, all ihre ehrgeizige» Pläne der letz
ten Jahre waren nun dahin, aber im
Grunde ihres Herzen» zeigte sie sich
»UN al» das, was sie wirklich war: eiue
ganz altmodische veraltete Frau, die sich
über das Glück ihres Kindes herzinnig
freute. Doch schrieb sie an Kitty, um
doch wenigstens etwas Fortschrittliches
ausrecht zu erhalten, es sei ganz gut,
daß sie einen Maler Heirathe, da könnte
sie doch ihre Studien auch in der Ehe
fortsetzen.
Kitty aber erklärte mir mit jener
frauenhaften Bestimmtheit, die selbst
daS jüngste Mädchen anzunehmen weiß,
wenn es erst verlobt ist:
.Otto sagt, wenn ich nicht will, so
brauch' ich nicht mehr zu malen, und
ich hab' keine Lust, es fortzusetzen. Ich
glaube doch nicht, daß ich viel Talen!
habe, und Otto sagt, er will mich lie
ber zum Modell nehmen und mich
len. Und dann helf ich ihm ja auch
denn er sagt, ein sympathische» Modell
zu haben ist sür eine» Maler >chon Sie
halbe Arbeit."
Und da hatten wir behauptet, das
Eiud sei nicht begabt!
Unverbesserlich.
Ein geriebener und gefürchtet?,
Schnorrer will eine Geschäftsreise vor
Warschau nach Wien unternehmen;
sie solk aber nichts kosten. Er versteck
sich auf dem Bahnhof in Warschau unter
einer Bank im Coupe. Der Schafsne»
bemerkt ihn aber, zieht ihn hervor unt
weist ihn hinaus. Solomon schleich!
sich heimlich in ein anderes Coupe hin
ein, wird aber auf der nächsten Statiov
wieder erwischt, und nachdem er jetz!
eine tüchtige Tracht Prügel bekommen
lut, hinausgeworfen. Aus der zweiter,
Station wiederholt sich dieselbe Ge
schichte, nur daß Solomon »och ein!
größere Tracht Prügel aus den Buckel
bekommt. Doch das yilst Alles, nichts
auf der nächsten Station sitzt Solo
mon wieder in einem anderen Coupe!
Da wird es dem C?uducteur :?.dlich zu
viel ; er schnauzt ihn an und sagt: .Ja,
wo wollen Sie denn eigentlich hin?"
woraus Salomou erwidert: „Nu, wen»,
e» mein Buckel aushält, bis Wien!"
Dreimal selig bist Tu d»ch:
Dreimal selig bist Du doch,
Seist Du noch so arm an Segen,
Darfst daS müde Haupt Du noch
Still au'S Herz der Mutter legen!
Wie von Gottes Hauch wird Deine
Starre Brust dort mild und weich;
Jener Friedensstatt ist keine,
Kerne sonst aus Erden gleich.
Auch im Tempelraum umfließt
Dich des Trostes lindes Wehen,
Und des Friedens Quell erschließt
Ueberall sich frommem Flehen.
Aber ob gebengt von Schmerzen
Ob gewiegt vom Meer der Lust
Stets am nächsten Gottes Herzen
Bist Du an der Mutter Brust!
Göttliche» Geheimniß ruht
Ueber dieser Segensquelle,
Die so sanft den schweren Muth
Spült hinweg wie Lethes Welle.
Selig fühlst Du'S im Gemüthe:
Was im Multerhcrzen schlägt,
Ist ein Pulsschlag jener Güte,
Die daS Weltall liebend trägt.
Ob die Liebe Dich verließ,
O i> die Freundschaft Dich vergesse»,
».b Dich alle Welt verstieß:
Eines bleibt, was Du besessen!
Die das Dasein Dir gegeben.
Liebt Dich, bis ihr Auge bricht;
Vor der Mutter theurem Leben
Endet ihre Liebe nicht.
Darum selig bist Du doch,
Seist Du uoch so arm an Segen,
Darfst das müde Haupt Du noch
Still an'S Herz der Mutter legen!
Wie von Gottes Hauch wird Deine
Starre Brust dort mild und weich;
Jener FriedenSstctt »st keine,
Keine joust auf Erden gleich!
Albert Kleinschmidt.
Auch eiae Beziehung.
Richter (zum Zeuge»): Stehe» Sie m
irgend welcher Beziehung zum Ange
Nagte»? Zeuge: Nein, das nicht,
aber er zu mir er hat mich nämlich
'mal vor drei Jahre» u» fünf Mark
angepumpt.
Met» t
„Na warte, Emmy! Warte, Schwie
gersohn'/' rief die kleine Frau lachend
und warf aus ihren blitzenden, schwar
zen Augen schalkhaste Blicke über die
blumengeschmückte HochzeitStasel aus das
jugendliche Paar. „Wartet nur! Beide
sollt Ihr mir dafür büße», daß Ihr
eine so geringe Meinung von meinem
Muthe hattet!" —„Du wagst es ja doch
nicht!" Hinselte der Neuvermählte.
„Das sollst Du sogleich sehen!" antwor
tete die Schwiegermama in festem Tone.
Und mit einem nervös hastige» Griff
ihrer kleinen Hand faßte sie das bis an
den Rand gefüllte Champagnerglas,
trank es in einem Zuge aus, setzte es
krästig wieder auf den Tisch, klopfte
daran mit eiwcm Messer und schnellte
im selben Augenblick von ihrem Stuhle
empor— Alles das in einer raschen Folgt
und mit einer fieberhaften Heftigkeit, die
zu der angenommenen Miene unsäglicher
Gleichgilir.zkeit und Ruhe in schroffstem
Widerspruch stand.
Geschwirr und Geschnatter der Hoch
zeitsgäste verstummte» im Nu. Sämmt
liche Köpfe drehten sich nach der kleinen
Frau hin, die mit einem Blick wie in s
Leere den Mund öffnete, noch nicht, »m
zu reden, sondern um vorher noch es
schien, als wenn eS nur mit einiger
Anstrengung geschähe ties Athem zu
schöpfen.
Die überraschten HochzeitSgäste, die
den Abend hindurch schon eine schwere
Menge von Trinksprüchen aller Art
aufiuerksam anhören und als weihevoll,
geistreich oder köstlich hatten bezeichnen
müssen, erholten sich inzwischen genü
gend von ihrer Verblüffung, um Freude
und erwartungsvolle Neugier heucheln
zu können. Ein paar besonders Be
herzte klatschten Bravo rufend, in die
Hände, die Uebrigen folgten sofort, wie
elektrisirt; bald rauschte ein stürmischer
Applaus durch den' Saal. Die so auf
munternd begrüßte Redneri» dankte
mit einer ein wenig linkischen Vernei
guug und begann mit umflorter Stimme,
die aber allmälig an Klarheit und
Sicherheit gewann, wie folgt:
Meine verehrten Herren und Damen!
So viele Herren der Schöpfung und
zwar ausschließlich nur solche - haben
diesen Abend schon das Wort ergriffen.
Und da behaupten die Männer immer,
daß das schwache Geschlecht redselig sei!
Nun denn.. . so darf denn auch einmal
eine Vertreter!» dieses angeblich ge
schwätzigen Geschlechts ich bin hier
über anderer Ansicht hier zu Worte
kommen. Vielleicht hätten übrigens
gerade an einer Hochzeitstafel die
Frauen sogar mehr Berechtigung zu
reden, als die Männer. Beruhigen Sie
sich aber, meine verehrten Herren!
Fürchten Sie nicht, daß dieser bedrohlich,
scheinende!! Einleitung ein Angriff ans
Ihre Rechte folgen werde. Nichts liegt
mir ferner. Ich liloc> die men
schensreundliche Absicht, eine Indiskre
tion zu begehen. Ich will Ihne» eine
kleine Gesch'chte erzählen, die ein schar
fes Licht aus den Charakter der darin
vorkommenden, Ihnen wohlbekannten
Personen werfen dürfte. Möglicher
weise wird diese Erzählung daher auf
klärend und warnend wirke», und sonach
sogar einigen Nutzen stiften.
Vor vielen Jahre» stand ich in sehr
regem Verkehr mit einer jungen D»me,
die sich durch eine ganz außerordentliche
Beharrlichkeit und Stärke des Willens
auszeichnete. ES war merkwürdig, wie
rasch sie ihre Entschlüsse saßte: noch
merkwürdiger aber, mit welcher Ent
schiedenheit sie stets darin ging, diesel
ben zur Ausführung zu bringen. Zu
mal aber, wenn etwas ihr Wohlgefal
len erregte. ES sehen und besitzen
wollen war gewöhnlich EinS. Ver
nnnstgründe ließ sie nur in den selten
sten Fällen gelten. Besonders ungern
dann, wen» sie von weiblicher Seite
kamen. Denu —es sei nicht rerhohlen
die junge Dame hatte eine stark aus
gesprochene Vorliebe sür das männlich«
Geschlecht. Gegen Frauen und Mäd
che,, jederzeit kühl und zurückhaltend,
schien sie förmlich auizuthauen, wen»
Herren sich ihr näherten. Dann kam
eS ihr auch gar nicht darauf an, bereit
willig zu gewähren, woz» sie sich sonst
nur mit Widerwillen zu verstehen pflegte,
nämlich Küsse zu empfange», oder zu
geben.
Aber da fällt mir ein, daß eS nicht
unangemessen wäre, Ihnen das Alter
der luugeii Dame mitzutheilen. Sie
hatte zu jener Zeit eben ihre» dritten
Geburtstag gefeiert.
Bald nach diefem rückte die Weih
nachtszeit heran. ES läßt sich begrei
fen, was für schwere Sorgen dies dem
armen Elternpaar brachte. Daß das
Töchterchen sich vom Christkind eine
große, sehr große Puppe wünschte, war
ihnen allerdings bekannt. Aber eS
galt, um die Zufriedenheit der kleinen
Gebieterin zu erlangen, auch genau fest
zustellen, was sür eine!
„Nein!" unterbrach sie den Papa, der
ihr geduldig allerlei Puppen beschrieb,
die er gesehen haben wollte. „Nein!
Eine andere Puppe will ich haben!
U»d groß, so groß wie Du, Papa!"—
.Aber was sür eine soll eS denn sein,
mein Goldchen?" —„Ein Soldat!"
Der Herr Papa war starr. Einen
Soldaten! Unglaublich! ES geschah
zum erste» Mal, daß er über einen
Ausspruch seines Lieblings nicht
entzückt war. Ja, ein wenig ärgerte er
sich sogar darüber. Was war das aber
auch sür ein Einfall! Ein Mädchen
und zum Spielzeug einen Soldaten!
Unglaublich!
Nach einer kurzen, leise geführten
Unterredung mit seiner Frau gelangte
der junge Vater zu einem Entschluß,
den damals Niemand sür möglich ge
halten hätte: zu dem festen Entschluß,
den Wunsch des Töchterchens auf keinen
Fall zu erfüllen. Nein, und wenn sie
sich aus de» Kops stellen sollte! Hätte
man das Mädchen damit nicht geradezu
systematisch an das gefährliche „zweier
lei Tuch" gewöhnt, es förmlich ange
leitet, Gefallen daran zu finden?
Schauderhaft!
Rasch wurde der Kleinen alles möz-
Nche Interessante erzählt und in die
Hände gegeben, um ihr de» fatalen Ein
fall aus dem Kopfe zu bringen. Der
gewissenhafte Vater verwendete schließ
lich zur wirksamerer: Förderung diese»
pädagogischen Zweckes sogar seiner»
neue» Cnlinder, den das erfindungs
reiche Mädchen überraschend schnell in
eine Art von Reisesack verwandelte..
WaS lag aber auch an dem Hute, wenn
damit der Friede des Weihnachtsseste»
gerettet würde. Leider erfüllte diese
Hoffnung sich nicht. Nur wenige An«
genhlicke sesselte der schöne, hellstrah
lende Baum die Aufmerksamkeit der
inspruchsvollen jungen Dame. Mit
zleichgiltiger Miene musterte sie die
zahlreichen prächtigen Geschenke, dann
sah sie sich mit wachsendem Grimm »ach
allen Seiten um und schrie endlich s»
laut, als sie konnte: .Mein Soldat?
Wo.ist mein Soldat?"
Das bestürzte Ehepaar bot Alles auf.
um die immer mehr in Wuth gerathende
Kleine zu besänftigen. Vergebens!
Sie weinte, sie schluchzte, sie strampelte
mit Händen und Füßen und wie»
schließlich jede» Annäherungsversuch mit
solcher wilden Hartnäckigkeit zurück, daß
nichts übrig blieb, als sie ungestört ihrem
finsteren Hiubrüten zu überlassen.
Schon war man mit schwerem
Herzen im Begriffe, ohne den Lieb
ling zu Tisch zu geben, da knarrt die
Thür. Die schmollende Kleine hebt den
Kopf und stößt im selben Augenblicke
einen Freudenschrei a»s. Ein baum
langer, junger Mensch in Kadetten
uniform tritt, roth bis über die Ohren,
herein, oder besser gesagt, bleibt be
klommen, den Czako unbeholsen, als
wäre eS etwas ungemein Gebrechliches,
in den auffallend großen Häuden, an
der Schwelle stehen.
.Mein Soldat! Mein Soldat!" ju>
belt die Kleine, stürzt aus den verblüfft
die Augen aufreißenden Ankömmling
los und zerrt ihn in'S Zimmer. Der
Zufall, oder richtiger, ein in der letzten
Stunde bewilligter Urlaub hatte den
junge» Mann, einen entfernten Ver
wandten deS Hausherrn, hergeführt.
Die Tochter des HaufeS war natürlich
anderer Ansicht. Sie ließ eS sich nicht
nehmen, daß der große, schöne Soldat
eine Ueberraschung für sie, das verspätet
eingetroffene Geschenk des Christkindes
sei und danach handelte sie auch.
Nur mit Murren duldete sie, daß die
Anwesende» dem jungen Manne zum
Willkommen die Hand reichten. Sie
führte ihn persönlich zu Tisch und de
stand hartnäckig daraus, daß er aus
ihrem Schoße Platz nehme. Die an
wesenden Mädchen kicherten, der junge
Krieger blickte, verlegen ungesähr wie
ein aufgeschreckter Feldhase drein. Erst
als man die energische junge Dame aus
das stattliche Gewicht deS jungen Man
nes aufmerksam gemacht, und als si«
sich selbst davon überzeugt hatte, be
gnügte sie sich damit, daß er neben ihr
sitze.
War daS ein Jauchzen, als die Kleine
entdeckte, daß der schöne Soldat mit
Leichtigkeit Augen und Mund aufmachen
und schließen konnte! Und die prächti
gen glänzenden Knöpfe. Sogar Zähne
hatte er! Am Ende war er gar im
Stande, etwas zu essen! Rasch wnrde
ihm ein Bonbon in den Mund gescho
ben. Sieh da, er verschluckte es
-ine That, welche die Kleine in hellen
Jubel versetzte.
Sofort folgte ein zweitis, ein drittes
mit demselben Ersolge, der die Freude
der kleinen Dame zum höchsten Entzük
ken steigerte. Nun ging es so fort, ein
Bonbon nach dem andern, in immer
schnellerem Temvo, so daß der geduldige
junge Mensch mit dem Verschlucken
kaum mehr nachkommen konnte. War
nungen und Weisungen der Eltern lehnte
sie auf's schroffste ab. „Das ist mein
Soldai!" antwortete sie jedesmal zor
nig, mit funkelnden Auge» und zog, aus
den Stuhl steigend, den jungen Mann
am Ohr näher zu sich heran. „Er muß
thun, was ich will. ES ist mein Sol
dat!" ES war ein komisches Bild.
DaS winzig kleine Mädchen und der
große breitschulterige jung« Mann da
neben. Man mußte bei dem Anblick
seiner treuen, gutmüthigen Augen und
der stummen Ergebenheit, womit er all'
die Tyranneien der energischen Kleine»
hinnahm, unwillkürlich an einen Neu
fundländer denken, mit dem ein Kind
spielt.
Endlich schlug die BefreiungSstund»
für den armen Dulder. Die Kleine
verspürte mit einemmal eine große Mü
digkeit; die Augen fiele» ihr fast zu.
sie verlangte selber, zu Bette gebracht
zu werden. Schon an der Thür er
munterte sie sich plötzlich wieder und
schrie aus Leibeskräften: „Mein Soldat 5
Mein Soldat!"
Viele Jahre sind seit jenem Weih
nachtsabend verflossen. Aus der winzi
gen Kleinen ist inzwischen eine recht
große Dame geworden. Ihre Willens
kraft und Beharrlichkeit find aber bi»
heute aus derselben Höhe geblieben. So
viele Hindernisse eS auch zu überwinden
gab sie hat ihren Wille» durchgesetzt.
Was sie damals als Kind lallte, sie sagt
es beute als Neuvermählte —Sie haben
ja laugst errathen, meine Herren und
Damen, daß ich von meiner Tochter
Emmy spreche sie sagt eS heute mit
umso größerem Recht: .Mein Soldat!"
Und auch jene anderen Worte dürften
zur Wahrheit werden. Wie lauteten sie
doch? „Er muß thun, was ich will! Es
''st mein Soldat!"
F r'i e d. G u st. Triefch.
Der Verhängnis; volle
Titel. Junger Dichter (zu feinem
Hauswirth) : Gestatten Sie giltigst,
verehrter Herr Meyer, daß ich Ihnen
mein neuestes Werk überreiche : „Die
MnthevomDrachenstein." —Hauswirth:
Was geht mich der Drachenstein ui.d
seine Miethe an? Zahlen Sie mir lie
ber die Ihre!
Seelenverwandtschaft.
Fräulein: Ich habe die drei letzten
Nächte durchtanzt. Student: Ah.
drum sind Sie mir so sympathisch! Ich
habe sie durchkneipt!