« »uitur<«sp»ust«r. ' Der Kulturhistoriker schlägt bei sei nen Studien oft die Hände überm Kopf zusammen über den langsamen Gang der geistigen Fortentwickelung der Menschheit, über die seltsamen Win dungen, die der Strom der Cultur macht, seine Krümmungen und Umwege. Aber nicht nur, daß es Tausende von Jahren dauert, bis »ine falsche Anschauung und Auffassung von einer richtigeren ver drängt wird ich erinnere nur z. B. an da» ptolomäifche System sondern selbst nachdem die neue schon längst in Maß und Geltung ist, bleiben noch zahl lose thaisächliche Bräuche, Sitten, Ge wohnhieten, Borurtheile aus der Zeit der Herrschaft der alten Anschauung in voller Kraft. Die Menschheit ist zu träg, zu inkonsequent, sie zu beseitigen, „was grau von Alter ist, das heißt ihr göttlich", wie der Dichter sagt. Man ist erstaunt, wenn von Zeit zu Zeit einmal die Wissenschaft nachweist, wie tief in längst vergangenen Kultur anschauuiigen alltägliche Bräuche wur zeln, die wir als durch sich selbst gerecht fertigt oder aus unseren modernen Be dürfnissen entsprungen erachtet haben. In der Gegenwart haben, namentlich zwei hervorragendeGelehrte unsere ganze Cultur in ihrem vollen Umfange unter sucht, und, von ganz verschiedenen Standpunkten aus, die geschichtliche Be gründung zahlloser Sitten, Borurtheile, Rechtszustände nachgewiesen: Julius Lippert und Friedrich Nietzsche. Sie haben gezeigt, wie im Lanse der Zeiten allmählich das einst Thatsächliche, Reale, wörtlich zu Verstehend« zum Siimbol vergeistigt wurde, oder zum Schatten verblaßt^ Bis auf die volksthümlichsten Sprach anSdrücke erstreckt sich diese Wandlung. Wer denkt bei dem Worte „besitzen" heute noch daran, daß es einmal eine Zeit gab, in der sich thatsächlich daS Privateigenthum rechtlich nur auf das erstreckte, was Einer beim Sitzen unter seinen Leib nahm ? Wer erinnert sich bei der Wendung „auf den Hund kommen" daran, daß der Hund dasjenige Thier war, das der Mensch zuerst ans Haus thier zähmte, indeß Pferd und Vieh erst viel später folgten, daß nach ihrer Zäh mung der Hund als Besitzstück verachtet wurde lind im Werth sank, so daß der wirthschaftlich Zurückgehend« meist Pferde- und Viehzucht wieder ausgeben und wieder auf den Hund kommen mußte? Die Geister der Abgeschiedenen, welche erst längere Zeit nach dem Tode »ur Ruhe kamen, spielten in den Vor stellungen der Borwelt eine ungeheure Molle. Man glaubte, sie verlangten ihre Nahrung so gut wie die Lebenden fort, und wenn sie ihnen verweigert würde, wenn sie hungern müßten, räch ten sie sich an den Lebenden, indem sie ihren Schlaf, ihre Ruhe störten und Hagel und Ungewitter machten. Eine große Zahl noch heut' üblicher Bräuche führt im letzten Grnnde auf dies« An schauung zurück. Wenn die Hinterblie benen Trauerkleider anlegten, wenn die Wittwe sich in den schwarzen Schleier hüllte, so geschah eS ursprünglich nur, um sich unkt'intlich zu machen, um sich vor dem Geiste des Geschiedenen zu schützen: das Trauerjahr währte an sangs viel länger, bis zum vermeinten Eintritt der Verwesung, mit der man endlich auch den Geist todt glaubte. springt nicht der Pietät, die überhaupt erst sehr, sehr entstanden, sondern der Furcht, den Geist zu reizen. Man gab dem Todten seinen Schmnck, seine Lieblingsgegenstände mit in's Grab, damit er sie sich nicht als Gespenst selbst liole u»e die Erben plage. Atm, läutet beim Tode eines Menschen die Glocken nicht, um ihn zu ehren, sondern um durch de» Lärm den Geist zu vertreiben; jeder Tkeilnehmer wars d?r Leiche Erde nach und half mit den Grabhügel thür »len, um den Geist, der vielleicht noch bei der Leiche weilte, unten einzuschlie ßen, daß er nicht an die Oberwelt zu rüclkehre. Erbstücke, besonders Erb schlüssel. brachten Glück, wurden beson dere geehrt, weil man damit den Geist des Todten in den Bann seiner per sönlichen Dienste zu bekommen glaubte, und aus derselben Anschauung ent springt der Aberglaube, der Strick eines Gehängten bringe Glück. Der Wetter hahu aus den Dächern und Thürmen jollie zum Schutz gegen den Uebersall von Geistern dienen; denn der Hahn genoß seiner nächtlichen Wachsamkeit wegen besondere Verehrung als Hilf« gegen die Geister. Um den Geistern ihre Nahrung zu kommen zu lassen, die sie forderten, wurden zuerst die Opfer eingeführt, die freiwilligen Festtage, die Spenden, von denen die Seelenmessen der letzt« mo Verne Nest sind. Ursprünglich entzog man sich sogar selbst Blut, denn das verdampfende oder in die Erde einsik ternde Blut hielt man für die Lieb lingSspeise der Geister. Die mosaischen Speisegesetze, die man oft aus hygieni schen Gründen gegeben wähnt, sind auf diese Anschauung zurückzuführen, beson ders das Verbot des Blulgießens und das gewisser Thiere, die den Geistern geweiht blieben. Ties zurück reicht die Veranlassung der weit verbreiteten Abneigung des Hasses und Hohns gegen die Schmie germntter. Es war einmal eine be rechtigte Institution, daß die Kinder nur der Mutter gehörten, nicht dem Bater. daß der Letztere an seine Kinder weder Rechl noch Pflicht hatte. Damals holte der Mann sich das Weib, das er begehrte, auf dem Weze des Raubes und in solcher Zeit war der Haß zwischen Schwiegermutter und Schwie gersohn sehr natürlich. Allein und Biel« werden erstaunt sein, das zu hö rt». aber die Wirklichkeit ist nun ein« mal ganz unidealisch die Konvenienz ehe, die Eh« nach G«ld, gehört einer späteren und höheren Kulturepochs an als die Liebesehe. Die Hrirath aus Orund eines Vertrag« entwickelte sich, die Raubehe war zur Kaufehe zu der selben Zeit, als zum Haupt der Fa milie mit allen Rechten und Pflichten, der Bater wurde; indessen die alte Form des Verhältnisses zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn blieb, und erhielt sich verblaßt bis aus den heutigen Tag. Bei einigen Völ kern ist es str--ngeS Gebot, daß vom Hochzeitstage ab jene Beiden kein Wort melir mit einander sprechen dürfen. Gar Mancher hat wohl schon oft un sere Damen bewundert, wie elegant und geschickt sie in Gesellschaft, auf Bällen, im Theater,mit einem so nüchternen Ge brauchszegenstand wie dem Taschentuch zu kokettiren, ja, sast zu reden wissen. Gibt es doch Schauspielerinnen, wie die Sarah Bernhardt, die nur mit dem Ta schentuch «n der Hand spielen können! Die Sache hat ihren einfachen Grund: daS Kokettiren mit dem Taschentuch ist nämlich das Ursprüngliche und sein we niger ästhetischer Gebrauch erst das Spätere. Es war ursprünglich ein Schmuckstück, und der Schmuck, die indi viduelle Auszeichnung der Person, war viel srüher in der Welt, als die Klei dung, ja, die Letztere hat sich erst aus jenem entwickelt. ES ist ein Irrthum der Bibel, die Menschen sich Kleider anfertigen zu lassen, weil sie sich schä men nein, umgekehrt, das Scham gefühl hat sich erst an der Hand der Kleidung entwickelt. Man wundere sich daher länger nicht über die Launen, Schrullen, Ausschreitungen der Mode: die Kleidung ist eben ursprünglich, we nigstens im Süden, nichts als Schmuck gewesen. Die Form des „Brüderschafttrinken»'' ist auch solch' Rest aus alter Kulturzeit. Damals schloß man nur „Blutbrüder schaft" anf Tod und Leben, wie noch heute bei den Wilden. Man inachte sich einen Schnitt in den Oberarm und trank gegenseitig das Blut des Anderen damit waren Beide nur noch eine Per son, denn vas Blut war nach alter An schauung der Träger der Seele. Statt des Blutes wählen wir heute ein kom mentmäßiges Getränk, aber noch immer stecken wir die Arme durcheinander, al» ob wir Jeder aus dem des anderen saugten. Wie kommt unter allen Pflanzen ge rade der Lorbeer dazu, als „Gemüsi des Ruhms", als Lohn für den Künst ler zu gelten? Ach, auf eine sehr pro saische Weise! Die alten Weissager und Sibyllen, die ihre Orakel ja in Versen abgaben und die ersten Dichter waren, pflegten, um sich in Rausch zu versetzen, in dem sie Auskünfte ertheilten, vorhe, vorzugsweise Lorbeerblätter zu kauen. Das Kauen kam später ab, und man umsteckte mit den Blättern da» Haupt. Warum führen so zahlreiche Stern, und Sterngruppen die Namen von Thieren? Darüber wird wohl schon Mancher vergeblich nachgedacht haben! Denn die landläufige Erklärung durch gezogene VerbindungS- und Umrißli nien widerspricht zu sehr dem gesunden Verstand. Auch die stärkste Phantasie, wird z. B. niemals in dem benannten hellen Sternbilde die Gestalt eines Hun des erblicken können! Nein, die Sache liegt einfach so, daß man in einer sehr frühen Zeit als Fetische Thiere verehrte, wie in Aegypten die Katzen, Krokodile, Sperber, In einer späteren Kultur epoche erhob sich der Geist höher und verehrte die Gestirne. Ein höher ent wickeltes Volk nöthigte dem anderen sei nen Glauben auf da aber der Ver wirrungen und Verwechslungen zu viele wurden, identificirte man allmählich die alten Götter mit dem neuen, die Thiere und Geister mit den Sternbildern, wie z. B. das Christenihum vor den Heiden Maria mit Minerva vereinigte. Auch im Kriegswesen begegnen uns ähnliche Fälle. Die Fahnen, denen das Heer folgte, waren ursprünglich nichts als die Fetischbilder, die Götzen des be treffenden Volkes oder Stammes. Sie brachten die Entscheidung, an ihnen hastete der Sieg, und unser Sprachge branch redet noch heute von „siegreichen Fahnen", als ob diesen das Verdienst zukäme. Die Wappen dagegen gehör ten schon einer späteren Zeit än, welche das Wesen der Allegorie zu fassen ver mochte. Besonders zahlreich sind jene vorzeit lichen Erinnerungen im Rechtsleben. Wie Mancher wird schon über die Worte in der Eidesformel verwundert gewesen sein: „so wahr mir Gott helse?" Wozu soll gerade bei einem Rechtsstreit Gott Helsen? Etwa den Proceß zu gewin nen?! Denn die Deutung „zur ewigen Seligkeit" ist erst sehr spät untergescho ben worden. Nein, diese Worte sind ein Rest aus der alten Zeit, in der jeder Rechtshandel durch das Gottesurtheil des Zweikampfs ausgesuchten wurde, in welchem der Eid nur die Einleitung, die Ankündigung darstellte. In diesem Zusammenhang ist der Sinn der Worte eine sehr ernste Bitt«. In gesitteteren Zeiten fiel der Zwei kamps, der Eid selbst wurde Rechtsmit tel und seine Reinheit bewachte nicht mehr-Gott, sondern das Strafgesetz buch. Uralter Anschauung entfließt die Einrichtung der ErbjchrftSsteuer. Ur sprünglich folgte dem Tode all sein Ei genthum ins Grab nach, in einzelnen Fällen sogar seine Frauen und Knechte dann, als der Umfang des Eigen thums dies verbot, fiel es der „todten Hand" zu, die es verwaltete und aus seinen Einkünften die sür die Ruhe der Geister nöthigen Opfer lieferte, das Uebrigbleibende aber sür die Lebenden verwendete, und sür sich selbst als Lohn ihrer priesterlichen Mühewaltung. Noch später sand man es praktischer, die Hin terlassenschast direkt an die Gemeinde fallen zu lassen. Allmählich entwickelte sich dann das persönliche Erb- und Testirungsrecht, und der rechtliche An spruch d«r Gemeinde bezw. des S.taates oder Oberhaupts an die ganze Hinter lassenschaft wurde abgelöst durch Ueber lreisung eines bestimmten ProcentsatzeS. So »st unsere Zeit i« Großen wie im Klkinrn durch unauflösliche Fäden mit der grauen Vorzeit eng verbunden. E» erscheint nothwendig, daran zu erin nern, in einer Zeit wie der unseren, in der an den ältesten Einrichtungen, an fast allen Zuständen heftig genagt und gerüttelt wird. Welch' äußerste Bor sicht, welch' strenge Untersuchung ist da nothwendig, aus daß mit dem Unbe rechtigten, Lebensunsähigen, Abgestor benen nicht auch daS Berechtigte, noch Wurzelnde ausgerissen, nicht mit den Gespenstern auch Stücke Leben vrrtrieben werden! Die Wissenschaft, die uns die Waffen gegen das Veraltete, gegen den Aberglauben geschmiedet hat, gibt uns durch die Entwicklungslehre gerade die Möglichkeit, auch daS Vernünftige vom Unvernünftigen zu unterscheiden. Sie. lehrt unS genau, wo wir im einzelnen Falle rücksichtslos Axt und Messer an zusetzen oder wo wir mit dem Dichter zu sprechen haben: „Ein tiefer Sinn wohnt in den alten Bräuchen, Man muß sie ehren." «merikautscher Humsr. Schulknabe: In unserer Welt geschichte heißt eS, daß zur Zeit der Re gierung des Kaisers Tiberius ein Mann mit dem Tode bestrast wurde, weil er e« verstand, unzerbrechliches Glas zu ma chen. Warum that Tiberius dieses? Vater: Wahrscheinlich war er ein Lampenglassabrikant. Nutzen der Asche. „Die Asche eignet sich vortrefflich sür die gasten zeit." „Wieso?" „Sie verhindert das Ausgleiten aus dem Weg der Versuchung." Wohl noch nie hat tin Mädchen die Einsamkeit so sehr geliebt, daß es ohne einen Spiegel glücklich leben konnte. Aus dem Wörterbuch eines Weltreisenden: Ein Subalterner ist ein Unglücklicher, welcher es unerträglich findet, daß er von seinen Vorgesetzten ebenso behandelt wird, wie er seine Un tergebenen behandelt. Ein Nothschrei. Haben Sie schon gehört, daß McKeeser seine» Prinzipalen mit H 50,000 durchgebrannt ist?" Smarter Kerl das! Weiß sein« Chance auszunützen! Er hat u. A. auch Ihren Regenschirm nach Canada mitgenommen. Die verfl Kanaille! „Habe ich die Ehre, Frau Meyer, Sie haben ja Ihre Tochter verheirathet, wie ich höre. Netter Mann, Ihr Schwiegersohn!" „Oh, ich bin die glücklichste der Müt ter. Er ist ein berühmter Arzt, von welchem die ganze Welt spricht, und sie ist eine Frau, von welcher Niemand was zu sagen weiß." Was ist ein „Lpittooo?" Ein nützliches Hausmöbel, welches dazu bestimmt zu sein scheint, daß man daneben spukt. Frauen - Conseqnenz. Er: „Liebstes Weibchen, ich habe heute Nacht genug in Poker gewonnen, um Dir ein neues Kleid zu kaufen." Sie (laut schluchzend): „Ach John, ich denke, Du solltest dies schreckliche Spiel ausgeben! Du weißt, wohin Dich das nachgerade bringen wird und.... ach der Gedanke macht mich wahn sinnig, daß ich daS Weib eines Ge wohnheitsspielerS sein könnte! Ach, John es ist zu arg! John was sür ein Kleid soll es sein?" Einfach wie das A. B. E. Angeklagter: „Sie glauben also, Sie können mich loskriegen?" Advokat: „Nichts leichter als das. Ich werde dem Gerichtshos beweisen, daß Sie ver rückt sind und man wird Sie inS Irren asyl schicken? Angeklagter: „Ja aber wie komm' ich dann aus dem Narrenhaus heraus?" Advokat:- „DaS ist doch einfach, lieber Freund.... ich werde dem Anstaltsdirektor beweisen, daß Sie nicht verrückt sind." Zweideutig. „Haben Sie mein letztes Werk gelesen, lieber College?"— „Sicherlich!" „Nun, und wie hat es Ihnen gefallen?" „O, ich habe da« Buch mit besonderer Genugthuung aus der Hand gelegt." Künstliches Elfenbein ist in den letzten Jahren fast ausschließ lich aus Celluloid hergestellt worden, doch schloß die leichte Entzündlichkeit diese? Stoffe» in vielen Fällen die Ver wendung diese-; sonst so vortrefflichen Ersatzmittels sür das echte Elfenbein aus. Jetzt ist nun eine Elfenbeinmasse patentirt worden, welche dem natürli chen absolut gleichen soll und nicht die Entzündlichkeit des Celluloid besitzt. Man mischt gebrannten Kalk, Wasser, PhoSphorjäurelöjung, Marmor, Mag nesia, Thonerde, Albumin und Gelatine in einem bestimmten Verhältniß, knetet die Masse, bis sie einen gleichartigen Teig bildet und läßt diesen Teig einige Stunden stehen. Dann trocknet man ihn bei 15—22 Grad Celsius etwa 3V bis 40 Stunden lang und setzt ihn dann in Formen, welche auf etwa 132 Gr. Celsius erhitzt sind, einem Druck von VVt) Pfund auf einen Quadratcentimeter aus. Daraus muß die Masse 3 4 Wochen aus Lager austrocknen und kann dann genau wie natürliches Elfenbein geschnitten, gedreht und polirt werden. Bewährt sich diese Erfindung, so werden wir nächstens selir große Schncharbeiten zus einem Stück Elfenbein erhalten können, was sich bisher durch die be schränkte Größe d«S vorhandene» Roh Materials verbot. —lm Modewaarenladen. Fremder: Nun habe ich aus Englisch, Französisch und Spanisch etwas ver langt, und Niemand bringt mir das Gewünschte. Und doch liest inan draußen am Ladensenster: „Hier wer den fremde Sprachen gesprochen." Ziun ja, eben haben Sie auch ja die Nemden Sprachen gesprochen. Aber i Sie verstehen e» ja nicht?. Das hat ;a auch Keiner behauptet. Di« Tu«««» der »r»bh«it, s»n Welcher ehrlich denkende, ehrlich fühlende Mensch hätte nicht schon oft mals unsere Zeit, die sich Wunder was auf ihre Cultur und Politur einbildet, in Grund und Boden verwünscht. Diese allgemein geleckte und gelackte Welt, deren Firnis sich authentisch erwie sener Maßen bis auf den Teufel, den mit Tournüre, Frack, Cylinder (wohl auch mit Cylinder und Monocle), sowie mit falschen Waden ausgestatteten „Herrn Baron," dem Gigerl der Unterwelt er streckt, wer hätte diese Welt nicht schon dorthin gewünscht, Ivo sie hingehört ? Zum Teusel? Ja, zum Teusel, auf den Blocksberg mit allem Hexen- und Fratzenkram, allem Puppen- und Mummenschanz, mit allem Byzantinismus. Alexandris muS und jedem sonstigen JSmns. Zum Henker mit allem Feigen, Falschen und Faulen, zum Kuckuk mit der Lüge! So donnerwettert e» wohl in ent rüsteten Gemüthern, wenn sie kein« an dere Entladung wissen sür ihren Grimm gegen das Gräuliche, ihren Haß gegen das Häßliche. Schier dreinschlagen möchte so ein Ungeberdiger, mit seiner Faust möchte er die Well zertrümmern, dieweil sich diese verfluchte Welt trotz alledem dabei in's Fäustchen lacht. „Wahrheit, Wahrheit!" so schallt der Schmerzensschrei Abertausender, die eS nicht länger aushalten in der schwefe ligen Stickluft, in dem nicht mehr blauen, nein, dem gräulichen Dunst, mit dem Irrwahn, Feigheit und Tyran nei die Welt verpestet. Wahrheit! sl durchtönt eS die Lüste immer schriller, immer geller. Aber was ist es nun viel mit de, Wahrheit? Wahrheit ist bloßer objec tiver Thatbestand, eiacter Sachverhalt. Wahrheit ist Methode, ist Logik, aber nicht Gefühl, nicht Glaub«? Die Wahr heit können wir nur achten, zur Lieb« aber reizt die Schönheit, selbst wenn si« Lüge ist. Wenn alles Thun und Rede« „Wahrheit, die ganze Wahrheit, nicht» als die Wahrheit" wäre, so wie sie im Gerichtssaal verlangt wird, dann gäb« es keinen Kampf um die Wahrheit mehr, und mit dem Kampfe, mit dem Stiebe« und Sehnen, dem Fürchten und Hoffen verlöre das Leben seinen Werth, seine« Inhalt. Wie sagt schon Lessing: „Böte mi> Gott in der Rechten die Wahrheit unt in der Linken das Streben nach Wahr heit, ich fiele ihm in die Linke und sagten Gib mir das Streben nach Wahrheit, denn die ganze Wahrheit ist ja doch nu, für dich!" Und derselbe Lessing läßt an einer anderen Stelle in seinem Tell heiu, sagen: „Du bist ein Mensch, d« bist du auch weiter viel," worauf de, Wachtmeister antwortet: „Aber einer, der auch Galle hat." „Galle," wieder holt Tellheim und gibt zu, „ja, Galleist soch das Beste, was der Mensch hat." Nein, wir brauchen neben der Wahr heit den Muth, den Kamps, den Trotz sür die Wahrheit, und solche Wahrheit mit Muth, Kampf und Trotz ist du Grobheit. Gleichwie ein Gewitter un> reines Gewürm und Gedünst vertreib! und niederschlägt, so vertreibt der Aus bruch der Grobheil kleinliche, bängliche, unreine, unfreie Gefühle, wie Furcht und Groll, Neid und Heuchelei. Wenn auch nicht J-der, der nie grob ist. zu heucheln braucht, derjenige, der immer grob ist, der heuchelt nimmer. Grobheit ist Derbheit, gesundheit strotzende, gesundheittrotzendc Kampfes lust, Rauflust. Warum soll ein Gei stesriese nicht mit Geisteszwergen Kegel spielen dürfen wie die alten Enakssöhne mit den Philistern? Ein paar Beulen und Schrammen muß jeder vertragen können. Wer viel geprügelt wurde, lernt Andere prügeln, aber freilich nur solche, die sich prügeln lassen. Und wer sich prügeln läßt, ohne selbst zu prügeln, der verdient seine Schläge, freilich zu Blut und Wunden darf's nicht kommen, das wär nicht Grobheit, das wär' Ge meinheit. Grobheit und Gemeinheit sind wie Hundert und Eins. Die Grobheit sagt dem Betroffenen ungenirt die Wahrheit ins Gesicht, die Gemeinheit thut es hin terrücks: die Grobheit spricht, d. h. schimpft und schlägt unüberlegt in der Hitze des Gefechts, in der Aufwallung. Gemeinheit beschimpft meuchlings, mit Borsatz. Die Gemeinheit freut sich des Kothes, von dem sie entstammt, und da hin sie den anderen zerrt, oder wo si« sich mit von ihr wohlverstandenen „schö nen Seelen" findet. Die Grobheit weist den Koth von sich und wirst nur einen hin, wo er hingehört. Auch Rohheit ist nicht Grobheit. Die Rohheit bewirst, erniedrigt absichtlich das Verdienstvolle, Würdige; die Grob heit bestrast dir Anmaßung; die Roh heit übersälll mit Borliebt die Schwä cheren: die Grobheit scheert sich um nichts und bleibt selbst am liebsten un geschoren. Rohheit und Gemeinheit sind gezüchtet, rasfinirt; Grobheit ist urwüchsig, naiv, bieder und biderb. Die Grobheit ist aber nicht blos eine Tugend, sondern auch eine Kunst. Grobheit ist Humor, Witz, Phantasie. Wie man vom echten Dichter sagt, daß er geboren wird, so kann man auch Der Grobheit kann man nicht recht gram sein; wenn sie einen trifft oder betrifft, lacht man mit ihr, lacht über sie. Weil der Witz gefällt, läßt man sich den Schlag gefallen, während die Stichelei verwundete. Grobheit ist ein Akt der Selbstbesreiung und in der Befreiung besteht das Wesen des Humors. Wer erinnert sich hierbei nicht jener Anekdote von Kaiser Alexander von Rußland, der einmal einen Akt wirklicher Wiener Grobheit kennen lernen wollte. Und als er zu diesem Zwecke „die Fratschle rin vom Lchanzl", die urwüchsige Wie ner Höckerin „frozzelte", (d. h. neckte), erhielt er von dem Weibe jene Einladung, die bekanntlich der junge Göthe in sei nem Götz von Berlichingen <V. Akt, sechstletzte Scene) literarisch hoffähig machte. Napoleon 1., Bismarck und Luthes waren nicht blos im Thun, im Regieren und Reformiern Grobiane der ausge sprochensten und sich auSsprechendstcn Art, sie waren es auch in Worten. WaS für ein grober und doch ganzer Kerl war der Vater Friedrichs des Großen! Grobheit ist echt deutsche Empfindang, echt deutscher Ausdruck. zJm Deut schen lügt man, wenn man höflich ist." So verspottet ein Student den Teusel auf dem Katheder. Das Wort „Schimpf" bezeichne! eigentlich Scherz oder Spott. „Schimpf spiel" heißt noch in „Peter Squenz" unser Lustspiel. Das volle, unser, „Grobheit" genau ausdrückende Wort geht den romanischen Völkern so ab. wie die Bezeichnung sür Gemüth. Da gegen besitzen wir kein deutsches Wo« sür Galanterie. Grobheit, Stachelbor stigkeitist die eigentliche Urnatnr des Deutschen, wie sie z. B. Schiller m „alten Miller", Hebbel im „Tischler meister Anton" gezeichnet. Der Grobian ist in der That ein, deutsche Erfindun g, wie das Schießpul ver und die Buchdruckerei. Sebastian Brant hat ihn sür sein „Narrenschiff" erfunden. Friedrich Dedekind schriet zur selben Zeit, da zwei andere deutsch, Nationalheilige Faust und Eulenspie gel ihre Entstehung feierten, zu End« des sechzehnten Jahrhunderts einer „Grobianus". Demselben folgte i« Kürze eine „Grobiana". Der Schul meister Caspar Scheit, welcher de, Lehrer Fijchharts, des größten mit gröbsten Humoristen Deutschlands, des Uedersetzers von Rabelais, war, Volks thümlichte den lateinischen Grobian, an dem sich nur die „Humanisten" ergötzei können, in einen Deutschen. — In jedem echten Dichter und ei« solcher ist nur der ursprünglich naive steckt ein Theil nur geweckt zu werd« brauchender göttlicher Grobheit. Welch, Sturzflnlhen von Schimpf und Glimpj theilen die Temen aus, wie drastisch is der junge Göthe, Schiller; selbst Les sing und Herder verstanden sich auf di, Kunst dieser Tugend. Von welch un gezogener Grazie ist das junge Deutsch land anno Laube-Gutzkow! Unter den Philosophen thut et Schopenhauer allen anderen zuvor; zum Preise hierfür lieben und loben ihn die von ihm am gröbsten behandel ten „Frauenzimmer" am meisten. Eil Prachtkerl von göttlicher Grobheit wai der in seiner Wissenschaft so feinfühlig» Aesthetiler F. Th. Bischer und voi allein Johannes Scherr. Auch vor Gottfried Kellers Grobheit haben wii köstliche Perlen. Ueberhaupt verstehe« sich die Schweizer trefflich auf unser, Kunst. Ebenbürtig den Deutschen zur Seit, stehen die anverwandten Engländer, voi Allem Shakespeare, dann Chaucer i> seinen Butler i> seinem „HudibraS", Swift im „Gulli> ver" u. s. w. Welch' ein Unterschied zwischen de, ehrlichen aber derben Art dieser oben> genannten Dichter und den Caviar Histörchen eines Boccaccio, Poggi, Mac chiavelli oder gar der Königin von Na varra! Die Romanen scheinen Überhaupi wenig Sinn für Grobheit zu haben. Es sind lauter gewürzte raffinierte Sottisen und Betisen, die sie uns austischen. Mo liere hingegen ist öfters geradezu roh. dort eben, wo er nicht fein sein will. Ein Mittelding kenncn die Romanen nicht. Der einzige, der eine Ausnahm« macht, ist Rabelais, aber dies«r ist Gau lois, nicht Fransais. Den Orientalen scheint der Sinn sü, Grobheit gleich wie für Humor fast ganz abzugehen. Ihre Poesie, wie ihr Em pfinden ist eben zumeist unfrei, sich selbst erniedrigend, und so fehlt es an de, Kraft, am Stolze frei aufflammenden Zornes und Fluches. L«id«r stehen uns nicht alle Spalten des vorliegenden Blattes zur Ver fügung, so daß wir hirr keine vollstän dige Literaturgeschichte der Grobheit geben können, aber selbst wenn uns dieser Raum hierzu geschenkt wär«, er wäre zu klein. Unter der zahlreichen Zahl der Bücher, welche die Freude de, Leserwelt bilden, ist die bei weitem größere Mehrheit bisher ungeschrieben. Eine hervorragende Stelle unter diesen mangelnden Werken nähme unstreitig ein „Conversationslexikon für Rohr spatzen" ein. Jedenfalls wäre dasfelb« dickleibiger, als Kmgge'S „Umgang mit Menschen". Daß andere Sänger und Spreche, von den genannten Rohrspatzen noch vieles lernen können, ist unzweiselhast. Der Brustton der Ueberzeugung, di, Suade, der Athem besagter Helden d«S Forums ist in der That bewunderns w«rth. Auch dzß dieselben nie ein Blatt vor den Mund nehmen, sondern reden, wie ihnen der Schnabel gewach sen ist, dürste manchem menschlichen RedelS- und Rädelsführer als nachah mungSwürdigeS Beispiel entgegenge halten werden.— Sittliche Entrüstung. Mann: „Emilie, laß' das Abendbrod etwas srüher anrichten ich gehe heute Abend in s Theater!" Frau: „Du willst ohne mich geben?" Mann: „Das Drama, welches heute ausge führt wird, ist nicht für Damen ge schrieben!" —-Frau: „Wie? Nicht ge nug, daß solche unmoralische Stücke überhaupt ausgesührt werden, nun wollt Ihr Männer auch noch ohne uns Frauen dorthin gehen!?" Der große Gedanke. Student A. (in der Kneipe): Da bist! Du ja wieder. Bummel l Du wolltest doch studiren heute Abend? Bummel: Hatte ich auch ernstlich vor, allein in meiner Bude herrscht eine sibirische kälte, ich habe vergessen, mir heizen zu lassen. Student A.: Das war ein fa moser Gedanke von Dir! Wer die Empsindungen seiner Geliebten mit dem Verstände prüft, der vcrdient diese Empfindungen qicht. «tue Unher«»««». Für das „Wiener Künstler-Dekame rone" hat Fräulein Pospischil vom Wiener Burgtheater eine Skizze beige steuert: „Eine Unbekannte". Wir lassen sie hier nach einigen durch Rück ficht auf den Raum bedingten Kürzun gen in ihrem Hauptinhalt folgen: „Ich kann sie nicht vergessen!'' Eine echte Künstlers«!?, entzückt für alles Schöne und Wahre! Eine so vor treffliche Künstlerin und doch so klang los und brodlos aus der Welt geschie den! Ihr Grab auf einem ländlichen Kirch hofe, ganz vergessen und versunken, von keiner lieben Hand gepflegt und ge schmückt, trägt nur ihren Taufnamen: , „Theresia, Schauspielerin. Geboren 1808, gestorben 1873." Ihren Zunamen kannte Niemand. Aus dem Theaterzettel hieß sie nur „Frau Theresia", und für uns Alle war und blieb sie .Die liebe Frau Therese." Als ich zu der Wandertruppe kam und „Fran Therese" kennen lernte, war sie ein bald siebzigjähriges, siechendes Mütterchen, welches bei unserem Direk tor das Gnadenbrod aß. Er kannte sie in ihren früheren Jahren, und trotzdem sie schlecht böhmisch sprach, da sie sich von ihrer Jugend auf nur in Deutsch, land aushielt und ihres Alters wegen nur in kleinen Rollen beschäftigt sein konnte, zahlte er ihr dennoch eine Mo nalsgage von zwanzig Gulden; für das Sterben zu viel für das Leben zu wenig! Ich muß gestehen, daß diese erste und vielleicht auch letzte ausrichtige Freundin in meinem Theaterleben einen unver löschlichen Eindruck auf meine künstleri sche Ausbildung ausgeübt hat, sie mußte in der Jugend viel gelernt haben, denn sie kannte die ganze Weltliteratur, sprach vorzüglich englisch und französisch und bereiste die ganze alte und neue Welt. Und sie wußte so vieles aus ihrem sturmbewegtcn Leben zu erzählen! Wie es mir nur die Zeit erlaubte, lief ich zu meinem „Mütterchen", so nannte ich sie, um mit ihr ein wenig plaudern zu kön nen. Als die Gicht und der Marasmus sie auf das Krankenlager warfen, eilte ich jeden Tag nach der Probe zu ihr, um sie zu pflegen, ihr Arzneien zu holen und ihr das kärgliche Esten zu besorgen. Ihr Geist war gesund, jung, frisch, strahlend, der Körper aber einem lang sacken Siechthum versallen. Zwei Aerzte ans dem Städtchen, wo wir un seren Mnseiitempel aufgeschlagen hat ten, habe ich consultirt, und beide gaben mir dieselbe Antwort: „Helsen können wir nicht, aber viel leicht ein wenig erleichtern!" Und so saß ich jeden Tag am Bett, bei dem „Mütterchen" und tröstete sie. Sie wußte aber ganz genau, daß es de, Anfang vom Ende sei, und sagte mi, eines TageS traurig lächelnd: „Nur keine Hofsnungen, mein Kindt Die sind im menschlichen Leben das selbe, was in der Medicin das Mor phium: eS hilft nichts, es stillt nur du Schmerzen. Hoffnung ist das Mor phium für die Schiffbrüchigen im mensch lichen Ocean!" Eines TageS fand ich mein Mütter chen besonders aufgemuntert. Sie hatt« eine schmerzlose Nacht gehabt, und ih» Auge strahlte in jugendlichem Feuer. „Ihr seid heute wohl, Mütterchen, nicht wahr?" waren meine ersten Worte, als ich mich aus ihr Bett setzte. „In der That, ich fühle mich heute s« leicht, so frisch, daß ich im Stande wäre, die Maria Stuart zu spieleir," sie lächelnd. „Ach, Mütterchen, wie würde da» Publikum der alten, lieben Frau The rese klatschen! Aber aufrichtig gesagt, Mütterchen, als Sie vor Jahren Maria Stuart wirklich spielten, nannten Sie sich gewiß nicht Frau Therese. Wolle« Sie mir denn niemals Ihren wahren Namen, unter welchem Sie Ihre größ ten Triumphe gefeiert haben, verra then ?" Frau Theres« neigte da» Haupt; ih, Auge starrte eine Weile nachdenklich ii> die Luft, dann antwortete sie in ernstem, ruhigem Tone: „Nein!" Ich schwieg. Nach einigen Minuten tiefsten Stillschweigens begann sie zv sprechen. „Für die jetzige Welt bin ich ein, Null nenne mich also Therese Null! Uebrigens erinnere ich mich nicht meh, aller meiner Namen, deren ich mich in meinem Künstlerleben bedient habe. Ach weiß nur, daß ich in Amerika ein mal „Fräulein Andree", das ander« Mal „Fräulein Santen" oder auch „Fräulein Nose" hieß, und daß ich in Teutschland die Namen „Fischer", „Wagner", „Stetter" so oft wi« meine alten Hüte geändert habe." „Aber aus welchem Grunde, Müt terchen ?" Stach einer langen Pause, während welcher sie den heftigen Kampf, den ich deutlich aus ihren Zügen lesen konnte, kämpfte, erwiderte sie schmerzlich: „Weil ich häßlich war!" Ich wollte etwas einwenden, aber si« fiel mir in s Wort: „Ja, ja. häßlich! Jetzt merkt man c» nicht, nicht wahr? Mein Kind, im Alte, werden alle Leute schön! Das Alte, verschönert den Menschen! Ich wollte nicht, daß die Leute schon vorher, ehe si« mich spielen gesehen, sagen: „Fräulein Fisch«r? Ah, die soll recht gut spielen, aber soll abjchreckend häßlich fein!" Ich sollte nicht, daß sie «S sagten; denn ich war damals jung, und trotz meine» Häßlichkeit blieb ich das Weib, welches immer ein wenig selbstgefällig ist. Mein Kind, diese Schiväche in jungen Jahren ist begreiflich und verzeihlich, und darum hieß ich in der anderen Stadt—Fräulein Wagner." „Und hat eS Ihnen, liebe» Mütter chen, genützt? fragte ich schüchtern und leise. „Nicht im Mindesten, mein Kind!" antwortete sie mit wehmüthig-trauriger Stimme. Ich kam ich spielt« ich zefiel mein Talent nnd Temperas ment trugen mich siegreich über diese» Hinderniß hinweg, aber ich las dochi den zweiten Tag zwischen den Zeile« der Zeitungen und aus allen Gesichter« die für mich so unheimlich klingende« Worte: „Schade, daß sie so häßlich ist!»« Und diese Worte haben schließlich mein« Kunst und mein ganzes Leb«,, vergift !et!" Fran Therese sprach die letzte« Worte in wehmüthigem Tone; i» ihren Augen erglänzten helle Thräne«, „Ach, die Schönheit ist nicht mein Mütterchen", antwortete ich, „die Kunst steht höher!" „Ja, die Kunst steht höher du hast Recht! Aber die dramatische Kunst, di« ein Produkt alles Schönen ist, muß auch durch die Schönheit d«S Körpers auf der Bühne wirken. Schönheit desGeiste» und Schönheit de» Körpers sind dir Haupt bedingungen der reproduktiven drama tischen Kunst. Wo eines fehlt, ist kein« Harmonie möglich. Klassische Rollen beanspruchen sür sich auch die klassisch« Schönheit des Gesichtes und der Ge stalt ! Ich besaß leider beides nicht und daS Talent allein konnte mich nicht retten! In diesem ewigen Kampfe ge gen diesen angeborenen Fehler erlahmt« schließlich meine Kraft, so daß ich mich in meinem fünsnndzwanzigsten Jahr« entschloß, Mutterrollen zn spielen." „Aber in diesen Rollen Mütterchen," sagte ich zu ihr, um sie zu trösten, „sind S>e unübertrefflich gewesen!" „Nicht schlecht," erwiderte fle mit dumpfer Stimme, „aber doch nur mit telmäßig. Mir aber genügte es nuhtZ in einem Falle mittelmäßig zu wenn ich in einem anderen Große» lei sten konnte. Das Alles verbitterte mil mein künstlerisches Leben in dem Maße; daß ich in keinem Engagement meh« aushalten konnte, von Stufe z» Stuf« sank, bis ich an'S Ende aller Diüge au gelangt bin und bei unserem Direktor das Gnadenbrot essen muß!" Sie schwieg. Ihr G«ist schien noch einmal ihr ganzes Leben, so voll au Enttäuschungen undEntbehrungen,durch> zuleben Inzwischen wurde eS finster in de« Stübchen. ES war Zeit in das Thea ter zu gehen. Ich näherte mich ihr, um mich von ihr zn verabschieden; mein« v>and berührte ihre Stirn sie war iu Schweißgebadet. Ich erschrak. Ihr« Wangen waren gelb und ihre Augen glänzten unheimlich. „Ist Euch nicht wohl, mein Mütter chen ?" fragte ich ängstlich. „Nein! Mich überkam nur eiu» Schwäche, eine Schwäche, die mir ab«, wohlthut. Der Mensch entrückt de« irdischen Scholle und fühlt sich fo leicht als ob er Flügel hätte, hinaus gegen den Himmel zu schweben. Ge'h nu« in's Theater, mein Kind, und spiel« die Lonise. Ich will unterdessen schla fen." Ich küßte sie; sie drückte mich in stil ler Umarmung an ihr Herz, sah mich lange an und entließ mich mit deu Borten: „Heute will ich gut und laug« schlafen!" Ich eil'e in das Theater. Obfchon ich damals »och keine Selbstkritik besaß, kann ich dreist behaupten, daß ich nie mals so innerlich, so wahr meine Roll« spielte als an diesem Abend. Wirkliche, heiße Thränen weinte ich, denn ich dacht« in esnem fort an das arme Mütterchen» welches ganz verlassen in ihrem armen Stübchen vielleicht langsam hinstarb. Sin beängstigendes Gefühl bemächtigte sich meiner, und ich konnte nicht daS Ende des Stückes abwarten. Auf einmal vernehme ich hmter den Coulissen (ich stand eben auf der Bühne und hatte gerade mein« große Seen« mit der Lady Milfort) ein eifrige» Gefpräch und «in Hin- und Herlaufen. Ganz mich vergessend, schleuderte ich iu größter Hast die letzten Worte meiner großen Rede der Milfort zu und stürzt» hinter die Coulissen mit dem verzweifel ten Ausruf: „Sie ist todt, nicht wahr? Meiu Mütterchen ist todt-?" Eine Grabesstille war die Antwort meiner College». Sie alle liebten „die alte Therese" wie ich, und ihr plötzlicher Tod macht« sie sprachlos. DaS Stück wurde müh> sam zu Ende gespielt, und nach de» Theater begaben wir uns Alle, mit un serem Director an der Spitze, in ih» Stübchen. Da lag sie hingestreckt, lautl»S» stumm, kalt, mir schien, al« schwebe ein« Gloriole um ihr sanftes Antlitz." Eine drollige Sceu« ans Pitts Leben hat einer seiner Sekre täre so l«s«n wir in englischen Blät tern der Nachwelt überliefert. Pitt war heftig vom Podagra geplagt und lag in ungeheizter Stube so hatte e« sein Arzt vorgeschrieben im Bett, als der Herzog von Newcastle zum Be such erschien. Der Herzog war seh« irostig und hüllte sich, da die Unterhal tung sich in die Länge zog, in seinen Mantel. Da ihm dies nicht viel half, legte er sich, wie das bei den breiten Betten der Engländer leicht möglich ist, zu Pitt in s Bett, um sich zu wärmen. Beide Minister lagen nun neben einan der in den Federn und zankten sich herz haft über das Auslaufen der Flotte, ohne sich durch das Eintreten deS besag ten SecretärS, der Depeschen über brachte, irgendwie stören zu lassen. In der Verlegenheit Ein Wittwer.hat sich bald nach dem Tode seiner Frau mit deren Schwestei verlobt. Ein Bekannter, der soeben von einer längeren Reise zurückgekehrt ist, fragt ihn theilnehmend, um wen e» denn trauere. „Für meine Schlvä gerin!" antwortet der verlegene Witt laer. Väterlicher Rath. „Mo ritzleben. wenn Du Dich verheirathest, nimm Dir eine so reiche Frau, daß,Du sie auch nehmen würdest, wenn sie die häßlichste wäre und so schön soll sie sein, daß Du sie auch nehmen Würdest wenn sie die ärmste'wäre!"
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