Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, March 19, 1891, Page 6, Image 6

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Et» «tst« »rot.
Der junge Herzog von Hardimonl
war in Aix in Savoyen, wo er sein«
siegreiche Stute Perichole die Bädci
brauchen ließ, weil sie beim letzten
Derbyrennen sich erkältet hatte und
lurzathinlg geworden war. Er hatt«
eben gefrühstückt und warf noch einen
flüchtigen Blick in die Zeitung. To
las er die Unglücksnachricht von Wörth.
Er trank feinen Chartreufe aus, legt«
die Serviette hin, ließ feinen Diener di«
Koffer packen, führ zwei Stunden daraus
mit dem Schnellzug »ach Paris, eilt«
in's Rekrutirungsbureau und ließ sich
für ein Linienregiment einschreiben.
Und wenn man auch vom neunzehnten
bis zum sünsundzwanzigsten Jahre das
entnervende Leben eines xsrit <zrsvo
wie man damals sagte geführt hat,
wenn man sich auch noch so sehr in den
Rennställen und m den BondoirS der
Opcretlenfängerinnen «mhergetrieben
hat, es können doch Verhältnisse eintre
ten. wo man sich darauf besinnt, daß
Enguerrerand de Hardimont an einem
Tage mit Ludwig dem Heiligen in
Tunis an der Pest gestorben, daß Jean
de Hardimont unter Du Guesclin An
führer -der Freischaaren gewesen, und
daß Fran<zois Henri de Hardimont bei
Fontenay an der Seite von la Maison
ist.
So sehr auch fein edleres Empfinden
zurückgedrängt war durch seine unsin
nige 4olle Liebschaft mit Lucy Violette,
der Primadonna vom Theater „Nndites-
Parifiennes", fo stieg doch dem jungen
Herzog das Blut in's Gesicht, als er
erfuhr, daß Franzosen auf französischem
Woden eine Schlacht verloren hatten,
»nd es war ihm, als hätte er einen
Schlag in'S Gesicht bekommen.
So war es gekommen, daß Henri de
Hardimont, Füsilier im dritten Batail
lon des zweiten Regimentes und Mit
glied des Jockeyclubs, in den ersten
Tagen des Novembers 137 t) mit seinem
Regiment?, das zum Corps Vinoy ge
hörte, nach Paris zurückgekehrt war und
mit feiner Compagnie an der Schanz«
von HauteS-BruyercS auf Vorposten
stand, diner in der Eile befestigten Stel
lung, die durch die Geschütze des Forts
von Bicctre gedeckt war.
Es fah schauerlich dort aus: eine zer
fahrene Straße mit schlammigen Gelei
fen und von durstigen Bäumchen einge
faßt, führte aus die zerstampften Felder
des Stadtgebietes hinaus, und am
Rande dieser Straße lag ein verlassenes
Wirthshaus, ein Gartenrestaurant, wo
die Saldaten eine Feldwache errichtet
Hatten. Einige Tage vorher war da
ein Treffen gewesen; die Geschosse hat
ten mehrere jungc Bäumchen an der
Straße umgebrochen, und alle zeigten
ous ihrer Rinde weiße Schußnarben.
Der Anblick des HauseS selbst war
furchtbar; in das Dach hatte eine Gra
nate eingeschlagen, nnd die danlelrothe»
Mauern sahe» aus wie mit Blut bestri
chen. Die zerschossenen Lauben unter
ihrem Metz von schwarzem Zweiggeslccht,
die Schaukel, deren nasse Stricke in dem
feuchten Winde quietschten, und die von
den Kuaeln beschädigten Aufschriften
neben d?r Thür: Gesellschaftszimmer —
Absynth Mermuth Wein zu 60
Centimes der Liter die ein todtes
Kaninchen umrahmten, das über zwei
gekreuzte, mit einem Band umschlungene
Billardstäbc gemalt war, das Alles er
innerte mit grausamen Hohne an die
einstigen Sonntagssreuden des Volkes.
Und über all dem hing ein unheimlicher
Winterhimmel, an dem sich schwere
dleigraue Wolken hinschoben, ein tief
herabhängcuder, uiiheilkündender, feind
seliger Himmel.
An der Thür des Wirthshauses
lehnte-der junge Herzog, unbeweglich,
das Gewehr übergehängt, das Käppi in
die Stirn gedrückt, die steisen Hände in
den Taschen seiner rothen Hosen, nnd
zitterte vor Frost unter seinem Schass
fell. Er überließ sich seinen trüben
Gedanken, dieser Soldat, den erst die
Niederlage seines Voltes zum Soldaten
gemacht, uud sein Auge hing mit kum
mervoUem Blicke an der Hügelkette, die
sich im Nebel verlor und von welcher
alle Augenblicke unter dumpsein Tonner
die weiße Ziauchwolke einer Krupp'schen
Kanone ausstieg. Plötzlich fühlte er,
daß cr Hunger yatte. Er ließ sich aus
ein Knie nieder und zog ans feinem
Provianlfack, der neben ihm an der
Mauer lehnte, ein großes Stück Kom
mißbrod, «nd da cr fein Messer verloren
halte, so bis; er hinein und fing langsam
an zu essen.
Aber nach wenigen Bissen schon hatte
er genug; das Brod war hart und
fchmeckte bitter. Und srifches gab es
erst den nächsten Tag, das heißt, auch
nur, wenn es dem VerpslegungSanite
werk war manchmal doch recht ranh und
hart; und gerade jetzt mußten ihm die
Mahlzciteu einsallen, die er einstens
lMienischeS Frühstück nannte nnd die
er dann cinznnehmcn pflegte, wenn er
am Abend zuvor zu gut gespeist hatte.
Da sctzle er sich an ein Fenster im Erd
geschoß des nnd bestellte
j-ch d» lieber Gott, nur cine Kleinig
!e>t ein Kotelett, ein paar Rühreier
mit Spargelköpse», und der Kellner,
welcher wußle, wie er eS gern hatte,
ftellte ihm cine seine Flasche alten Leo
ville in einem Körbchen aus de» Tisch
»ind korkte sie vorsichtig ans. Verdammt!
DaS waren doch gute Zeiten, und an
dies Brot des Elends würde er sich in
alle Ewigkeit nicht gewöhnen! Und in
ousbrechcndcm Unmuth wars der jnng«
Man» den Rest seines Brotes in den
tloth.
In demselben Augenblick trat ein
Liniensoldat aus dkm Wirthshause; er
tückte sich, hob das Stück Brot aus nnd
ging ein paar Schritte weiter, wischte
eS an seinem Aerinel ab uud sing gierig
«n zu essen. Henri de Hardimont
fchänite sich schon seimr
»ind sah mitleidig dem armen Tensel
zu. der einen so guten Appetit bewies.
CS war ein langer, schlottriger Bursche
mit fieberglänzenden Auge» und einem
Krankenhausbart und von solcher Ma
gerkeit, daß dir Schulterblätter unter
seinem abgetragenen Waffenrock weit
hervorragten.
„Du hast wohl großen Hunger, Ka
merad?" sagte der Herzog und ging aus
de» Soldaten zu.
„Wie du siehst," antwortete er mit
vollem Munde.
„Dann verzeih! Wenn ich gewußt
hätte, daß ich dir damit einen Gefallen
thun könnte, so hätte ich eö nicht wegge
worsen."
„Ach, das thut ja nichts," erwiderte
der Soldat, „ich esse Alles."
„Wenn auch," erwiderte der Herzog,
was ich gethan habe, war nicht recht,
und mir thut's jetzt leid. Aber ich will
nicht, daß du eine schleckte Meinung
von mir behältst hier habe ich in
meiner Flasche noch etwas alten Eognac
... .wir wollen den Tropfen zusammen
austrinken."
Der Mann war fertig mit Essen und
trank noch einen Schluck mit dem
Herzog und so war die Bekanntschaft
gemacht.
„Wie heißt denn du?" fragte der
Soldat.
„Hardimont." antwortete der Her
zog und ließ Titel und Adel weg." Und
du?"
„Jean Victor Ich bin noch nicht
lange bei der Kompagnie Ich
komme aus dem Lazareth Ich war
bei Ehatillon verwundet worden
Ach, im Lazareth hatten wirs gut! Der
Krankenwärter brachte uns immer gute
Pferdefleischbrühe Aber ich hatte
ja nur eine leichte Schramme Der
Major hat meine Entlassung angeord
net, und nun geht, leider Gottes, das
Hungern wieder von vorn an. Denn,
Kamerad, d» magst mir's glauben oder
nicht, so wahr wie ich da vor dir stehe,
ich habe mein ganzes Leben lang ge
hungert."
Das Wort hatte einen entsetzlichen
Klang sür das Ohr dieses verwöhnten
Lebemannes, der sich eben noch nach der
Küche des zuiückgesehnt
hatte und der Herzog von Hardimonl
sah seine» Gesährten mit einem an Ent
setzen streifenden Erstaunen an. Das
Gesicht des Soldaten verzog sich zu
einem schmerzlichen Lächeln, das seine
Wolsszähne sehen ließ, die nie genug zu
beißen kriegten, und die so weiß in dem
erdfahlen Gesichte leuchtete». Und als
wußte er, daß man eine Erklärung von
ihm erwartete, redete der Soldat wei
ter:
„Wissen Sie was?" sagte er und
Hörle plötzlich auf, seiiien Kameraden
zu dutzen; wahrscheinlich ahnte er in
»hin einen Reichen, einen Glücklichen.
„Kommen Sie, wir wollen ein Bischen
auf der Straße auf und ab gehen, daß
die Füße warm werden, und ich will
Ihnen etwas erzählen, was Sie gewiß
noch nie gehört haben. Ich heiße Jean
Victor, ganz einfach Jean Victor, weil
ich ein Findling bin, und meine einzige
ireundliche Erinnerung ist die an meine
erste Kindheit, an die Zeit im Findel-
Hanse. Unsere kleine» Betten in dem
Schlassaal waren so schön weiß nnd
sauber; wir spielten im Garten unter
hohen Bäumen, und da war eine barm
herzige Schwester, noch ganz jung und
bleich wie eine Wachskerze sie war
brustleidend nnd ich war ihr Liebling
und ging viel lieber mit ihr im Garten
spazieren, als daß ich mit den anderen
Kindern spielte, weil sie ihren Arm um
mich schlang und ihre schmale, warme
Hand mir aus die Stirne legte
Slber von meinem zwölften Jahre an,
nach der ersten Communion, gab es für
mich nichts als Elend. Man hatte mich
zn einem Stuhlflechter in Saint Jacques
in die Lehre gegeben.
WaS ich da lernte, ist doch eigentlich
kein Handwerk und damit kann man sein
Brot unmöglich verdienen. Deswegen
sand auch der Meister gewöhnlich keine
anderen Lehrlinge als die armen Jun
gen aus tec Blindenanstalt. Und hier
fing sür mich das Hungerleiden an.
Der Meister und die Meisterin zwei
alte Limousiner, die späte? ermordet
worden sind waren schreckliche Geiz
hälse, nnd das Brot, von dem es zu
jeder Mahlzeit nur ein kleines Stück
chen gab, wurde gleich wieder wegge
schlossen. Und beim Abendbrot, da
hätten sie die Meisterin in ihrer schwar
zen Haube sehen sollen, wenn sie die
Suppe vertheilte und bei jedem Löffel,
den sie ans der Suppenschüssel nahm,
einen Seuszer ausstieß. Die beide»
andere» Lehrlinge, die aus der Blin
denanstalt, waren nicht so schlimm
daran, wie ich. Die Meisterin gab
ihnen auch nicht mehr als mir, aber sie
sahen doch wenigstens den vorwurss
böse Weib den Mein
damals einen riesigen Appetit hatte.
Konnte ich denn dafür? Drei Jahre
habe ich dort unter beständigem Heiß
Hunger aushalten müssen.
In einem Monat lernt man die ganze
Kunst; aber die Herren können ja nicht
alles wissen und ahnen gar nicht, wie
die Kinder ausgenutzt werden. Sie
wundcrten sich vorhin, daß ich das Brod
aus dem Schmutz aushob? DaS bin ich
so gewöhnt. Ich habe viel Rinden ans
dem Kehricht ausgelesen, und wenn sie
gar zn trocken waren, habe ich sie die
Nacht in einem Waschbecken ausgeweicht.
Manchmal hatte ich auch einen guten
Fund, daß ich nur Alles erzähle. Ich
hob die angebissenen Butterbrode auf,
die die Sckuljungeu aus ihrer Tasche
zogen nnd auf die Straße warfen, wenn
sie aus der Schule käme». Ich richtete
meine Gänge immer so ein,daß ich zu der
Zeit gerade dort war. Und dann, als
die Lehrzeit zu Ende war, fing ich das
Geschäft felber an, das, wie ich Ihnen
schon sagte, seinen Mann nicht nähren
kann. Aber ich habe auch andern Ver
dienst gesucht, denn ich arbeitete gern,
das könne» Sie glauben. Ich war
Handlanger, Lausbursche, Stubenl-vh
ner und was weiß ich Alles. Einmal
gab eS keine Arbeit, ein andermal
konnte man mich nicht mehr brauchen
und so konnte ich mich eben nie satt
essen Ach, und da hat eS mich
manchmal herumgerissen, wenn ich an
einem Bäckerladen vorbeiging!
Zu meinem Glück siel mir da immer
im rechten Augenblick die gute Schwester
aus dem ginvelhanse ein, die mir so
gesagt hatte, daß ich brav bleiben sollte;
und mir war es. als ob ich ihre klein«
warme Hand auf meiner Stirne fühlte.
Endlich mit achtzehn Jahren ging ich
zum Militär .... Nun.' wissen ja
ebenso gut wie ich, daß der Soldat auch
nicht zu viel zu essen kriegt Und
fetzt —es istsast zum Lachen—jetzt
haben wir die Belagerung und die
Hungersnoth! Sie sehen wohl, ich
habe nichl übertrieben, als ich Ihnen
vorhin sagte, daß ich immer Hunger ge
habt habe."
Der junge Herr war gutmüthig von
Natur, und als er diese entsetzlich«
Klage hörte aus dem Munde eines, de»
ein Mensch war wie er, eines Soldaten,
der den Wasscnrock zu seines Gleichen
machte, da war er tief bewegt. Es
war nur gut, daß der Abeudwind di«
Thräne trocknete, die sein Ange trübte,
denn als cchlcr Dandy hätte er sich
ihrer ja schämen müssen.
„leqn Victor, sagte cr, wen» wir
Beide diesen fürchterlichen Krieg über
leben, fo werden wir uns wiedersehe»,
und hoffcntlich kann ich etwas für Sie
thun." Zartfühlend hatte auch er nun
das Dn sollen lassen. „Aber da wir
augenblicklich hier ans Vorposten keinen
anderen Bäcker haben als den von der
Compagnie und da meine Brodration
sür meinen kleinen Hunger um das
Doppelte zu groß ist, so dächte ich, wir
theilten als gute Kameraden. Nicht
wcckr?"
ES war ein fester, warmer Hände
druck, de» die beiden Männer tauschten.
Dann gingen sie, da der Abend herein
brach und sie von dcn Nachtwachen und
den häufigen Alarmirungcn müde wa
ren, m die Gaststube deS Wirthshauses,
wo etwa cin Dutzend Soldaten aus dem
Stroh lagen, warfen sich nebe» einan
der nieder und waren bald fest einge
schlafen. Gegen Mitternacht wachte
Jean Victor auf, wahrscheinlich vor
Hnuger. Ter Wind hatte die Wolken
hinweggefegt uud ein Mondenstrahl, dir
durch das Loch im Dache in die Stube
drang, beleuchtete das schöne blonde
Haupt des jungen Herzogs, der wie ein
Endymion dalag und schlief. Noch
ganz gerührt von der Güte feines Ka
meraden, betrachtete ihn Jean Victor
mit treuherziger Bewunderung. Da
öffnete der Sergeant die Thür und rief
die fünf Mann ab, welche die Wachen
abzulösen hatten. Der Herzog gehörte
dazu, aber er wachte nicht auf, als sein
Name gerufen wurde.
„Hardimont! Aufstehen!" wieder
holte der Untcrofficicr.
„Wenn Sie erlauben, Herr Ser
geant", sagte Jean Victor und stand
auf, „so wcrde ich seine Wache bezie
hen er schläft so gut... .und cr
ist mein Kamerad."
„Meinetwegen."
Die süns Mann rückten ab und das
Schnarchen begann von Neuem. Eine
halbe Stunde später krachte» rasch hin
ter einander und ganz in der Nähe
Flintenschüsse durch die Nacht. Im Nu
war Alles auf den Beinen; die Solda
ten traten aus dem Haufe, gingen vor
sichtig, den Finger- am Drücker, vor
wärts und blickten auf die Landstraße
hinaus, die ganz hell im Mondenscheiii
vor ihnen lag.
„Wie viel Uhr ist es eigentlich?"
fragte der Herzog. „Ich habe doch die
Wache diese Nacht."
Man antwortete ihm:
„Jean Victor ist sür Sie gegangen".
In diesem Augenblick kani ein Soldat
die Straße dahergelaufen.
„Nun? WaS gibt es?" fragten
Alle, als er ganz außer Atheni stehen
blieb.
„Die Preußen greise» an. Schnell
zurück nach der Schanze!"
„Und die Anderen?"
„Sie kommen Nur der arme
Jean Vicior "
„Was ist mit ihm?" rief der Herzog.
„Eine Kugel ist ihm durch den Kopf
gegangen. Nicht einen Laut hat er von
sich gegeben."
lm vorigen Winter, eines
Nachts gegen zwei Uhr, lam der Herzog
von Hardiniont mit einem Freund, dem
Grafen de Saulnes, aus dem Club.
Er hatte ein paar hundert Louisd'or
verloren und fein Kopf schmerzte ihn.
„Wenn es Ihnen recht ist. Andre",
sagte er zu seinem Gesährten, „so gehen
wir zu Fuß nach Hause.... Ich muß'
ein bischen srische Lust schöpfen."
„Wie Sie wollen, lieber Freund, das
Pflaster ist freilich herzlich schlecht."
Sie schickten ihre Wagen nach Hause,
schlugen ihre Pelzkragen in die Höhe
und gingen nach der Madelainekirche zu.
Plötzlich stieß der Herzog mit dem Fuße
er eben getreten Halle; es war eine dicke
ganz beschmutzte Brodrinde. Da sah
Herr de SaulneS zu seinem größten Er
staunen, daß der Herzog von Hardimont
das Stück Brot aushob, es sorgfältig
mit seinem gestickten Taschentuch ab
wischte und es ays eine Bank legte, und
zwar in den Lichtkreis einer Laterne,
wo man es recht gut sehen konnte.
„WaS machen Sie denn?" sagte der
Gras und brach i» Helles Lachen aus.
„Sie sind wohl nicht recht gescheidt?"
»rineu Mcilicheu, der sür mich gestorben
ist," antwortete der Herzog, und seine
Stimme zitterte leise. „Lachen Sie
'ncht, mein Freund, Sie thun mir weh."
Verfängliche Frage.
Und interessirt sich denn anch Fräulein
Schulz für Sie? O gewiß ! Erst heule
fragte sie mich angelegentlichst, ob ich
»uch meine süns Sinne beisammen hätte.
Eine Tugend. Wie, Ihr
Sohn ist nun zum dritten Male im
Sxanien durchgefallen? Ja! Der
Schlingel mag viele Fehler haben, aber
Eines muß man ihm lassen, conse
quent ist er.
Die B»ste.
Es war ini Jahre 1888, als die bis
dahin notorisch reactionäre Gemeinde
von Varnay Char) zum
ersten Male einen republikanischen Ge
mcinderath wählte. Dieser politische
Umschiviing war das Werk eines Man
neS, des Grundbesitzers Fernay - DeS
claux, der zum Ministerium in Paris
Beziehungen hatte und die Wähler durch
oie Hoffnung ans eine strategische Eisen
bahn zu verlocken wußte. Diese nach
Paris suhlende Eisenbahn wäre in der
That sür das Städtchen, das Geflügel,
»itier und Gemme im Ueberfluß produ
dirte, von außerordentlichem Nutzen ge
w«"'cn.
Herr Fernay - Desclaux wurde zum
Maire erwählt. Als Adjunkten erhielt
er den Maurermeister Barrache nnd den
Gastwirth Gompaing. Ter Maire
stammle ans einer alten liberalen Fa
milie. Seine Adjunkten aber und der
Rest des Gcineinderathes. die alle erst
ganz frisch bekehrt waren, zogen noch
immer ein recht saures Gesicht, wenn
»iun sie Republikaner nannte.
Ein Zwischensall ließ dieses eigen
thümliche Verhältniß gleich in der ersten
Sitzung des neuerwählten GemeinZera
thez klar,-u Tage treten.
Der Kamin deS Berathungssaales
war uämlick mit einer Gipsbüste ge
schmückt, nnd die Büste —wird man es
glauben?—war noch die Napoleons 111.
Mein Gott, ja, des Kaisers. Sein
Abbild hatte an diesem Platze alle
Stürme überdauert, die Frankreich in
den letzten zwanzig Jahre durchzumachen
hatte. Es blieb unversehrt nach dem
Sturze des Potentaten, nach seinem
Tode und überlebte sogar den Nieder
gang seiner Partei; Barnay war eben
eine lleine Stadt, die weitab von den
officiellen Reiserouten der neuen Staals
würdeiiträger lag.
Der Maire erklärte, diesem unpassen
den Zustande müsse ein Ende gemacht
werden, und es gelang ihm ohne Mühe
den Beschluß durchzusetzen, daß die
Büste Napoleons UI. in die Rumpel
kammer des RathhauseS verwiesen
werde. Als er aber beantragte, aus
»losten der Gemeinde eine Büste der
Republik für den leeren Platz zu erwer
ben, stieß er auf einen ebenso unerwar
teten als hartnäckigen Widerstand, den
er erst durch die Erklärung, die frag
liche Büste auf feine eigenen Kosten
anschaffen ,zu wollen, zu beseitigen ver
mochte. Erst unter dieser Bedingung
war man mit seinem Autrage einvcr
standen und beschloß sogar eine Adresse
an den Unterpräsekten mit der Bitte,
die neue, sofort in Paris bestellte Büste
einweihen zr wollen.
Ter Unterpräsekt antwortete telegra
phisch: „Ich werde mich glücklich schät
zen, die schöne, endlich der Reaktion ent
rissene Gemeinde Varnay zu besuchen."
Fünf Tage später brachte die Post
eine längliche Kiste, die allerorten mit
„Vorsicht", „Zerbrechlich!" bedruckt
war.
Herr Fernay TeSclaux ließ die Ge
meinderäthe zusammenrufen, und die
Kiste wurde in ihrer Gegenwart mit
einer gewissen Feierlichkeit eröffnet. Sie
enthielt eine beträchtliche Menge Heu
und Papier, darunter aber nichts wei
ter, als eine Anzahl unförmiger Gips
stücke. Die Büste war aus der Bahn
zerbrochen, und nur der Sockel mit den
lorbcerumwundenen Buchstaben li.
war ganz geblieben.
Auf den Gesichtern der Gemeinde
rätke malte sich, wie der Wahrheit ge
mäß constatirt werden muß, ein scha
densrohes Grinsen. Aber Herr geriiay-
DeSclanx ließ sich nicht beirren. Er
erklärte, sofort an die Eiscnbahndirec
lion, die zum Ersatz deS Schadens ver
pflichtet fei, eine Eingabe machen zu
wollen.
Und in der That, er hatte sich nichl
gelauscht: nach acht Tagen kam wie
derum eine Kiste an, die ebenfalls in
Gegenwart des Gemcindcrathes mit
allen erdenklichen Borsichtsmaßregel»
eröffnet wurde. Und als man das
Heu u»d Papier entfernt hatte, bra
chen die Gemeinderäthe in einen ein
stimmigen Rus der Bewunderung aus.
DaS war keines der gewöhnlichen,
nichtssagenden Abbilder der Republik,
sondern ein herrliches, jugendichöneS
Weib, die phrugische Mütze auf dem
Haupte, mit nervösen Nasenflügeln
und die Kehle wie geschwellt von einem
revolutionären Rufe.
Bar»ache, der Adjunkt und Maurer
meister, war besiegt. .Donnerwetter!-
sagte er, „das ist ein forscher
'Als nun aber der Maire die Büste
ins ihrem Henbette heben wollte, »in sie
ms den Kaminsims zu stellen, da ge
schah etwas UeberraschendeS, ganz Un
erwartetes - das herrliche Frauenbildniß
spaltete sich lanzsam in drei Theile.
Niemand halte vorher die feinen Risse,
die sich durch die Gypsmasse zogen, be
merkt.
Diese Hartnäckigkeit des Schicksals
hatte auch einen Stärkeren, als Fcrnay-
Des.lauc niedergeschlagen, unbeweglich
and schweigend blickte er aus die in drei
stücke gegangene Republik unZ fragte
sich, was nun zu thun fei. Wiederum
die Eifenbahndirection haftpflichtig ma
chen und so Gesahr lausen, zum dritten
Male einen Hausen Gipsstücke geliesert
zu erhalten? Nein! Da war es schon
besser, auf den schönen Plan ganz zu
verzichten, und den Unterpräsekten zu
bitten, daß er unter den obwaltenden
Umständen von der Einweiyungsseier
lichkeit Abstand nehme.
Ju diesem Augenblicke sagte Dar
mche, der die Büste schon eine Weile
ausmerksam betrachtet hatte:
„Das würde ich bald znrecht gemacht
haben, wenn man eS mir anvertrauen
wollte, dieses Frauenzimmer."
„Ihr wäret dazu im Stande?" rief
der Maire und wäre feinem Adjunkten
fast um den Hals gefallen.
„Allerdings," erwiderte dieser. „Es
fehlt ja kein Stück daran. Ich klebe
das Ganze um einen Stock und ver
ickmiere die Nisse mit GivS. aaiu ein-
fach. Und das hält dann viel besser,
sag' ich, als wie es noch neu war."
Man übergab die Büste dem Mau
rermeister Barrache und dieser nahm sie
mit nach Hause, um sie noch am selben
Tage wiederhergestellt auf die Maine
zu tragen. Die Risse waren in dcr
That nicht mehr zu sehen; die Büste
wurde in der Vorhalle der Mairie aus
gestellt. Die ganze Bevölkerung defi
lirte um sie herum, um sie zu betrach
ten, und die allgemeine Bewundernng
ttieilte sich zwischen dem Maire, dem
großherzigen Käuier und den Adjunk
ten, dem genialen Wiederhersteller.
Am anderen Tage zeigte sich jedoch
cine eigenthümliche Die
Republik begann sich von Ncuem zu
theilen und cine Anzahl von kleinen
Nissen sprang anf der Stirn, den Wan
gen nnd den, Halse der Büste aus. Er
schreckt eilte der Maire zu dem Meister
Barrache, doch dieser kratzte sich den
Kopf und meinte, „da ist vorderhand
nichts zu machen, das ist der Gyps, der
sich von innen beim Trocknen gedehnt
hat."
Mit Windeseile verbreitete sich das
Gerücht von dem neuen Unsalle, und wie
derum kamen die Genieindcmitgliedcr in
Schaarcn, um sich durch den Augenschein
davon zu überzeugen. Die Reaktionäre
triumphirtcn und der Herr Psarrer rieb
sich die Hände: „Seht, sie kracht schon,
ihre Republik das wird eine schone
Einweihung geben."
Aber wiederum war es Barrache, der
durch eine geniale Combination von Leim
und Gips den Schaven zu repariren
wußte Das Bilvniß sah nach dem An
strich zwar »in eine Schattirung dunkler
aus, war aber immer »och sehr prä
sentabel, so daß man gute» Muthes die
Einweihung aus den nächste» Sonntag
ansetzte. Und um diesem Feste den
Character einer wirklichen Enthüllimg
zu geben, schlang man um die Büste ein
Stück Leinewand....
Es war am Vorabend der Einwei
hung, als der Adjunkt Barrache mit be
sorgter Miene zu dem Maire sagte:
„Wir sollten doch einen Blick aus die
Republik werfen, vielleicht daß sich hier
und da noch ein kleiner Riß gezeigt
hat!"
Der Maire wurde von der Besorgniß
angesteckt. Beide begaben sich in das
Berathuiigsziinmer und lüfteten den
Schleier. Der Anblick, der sich ihnen
bot, war ein schrecklicher.
Das ganze Antlitz der Republik, ihr
Hals und Nacken, ja selbst ihre phry
gische Mutze war mit grünlichen Pusteln
bedeckt, abwechselnd mit großen Flecken
von einer ganz abscheulichen Farbe.
Man hätte glauben können, eine Figur
aus einem Wachssigurencabiuet vor sich
z>> haben, an der die Wirkungen irgend
einer entsetzlichen Hantkrantheit demon
strirt werden sollten.
Der Maire und sein Adjunkt standen
wie angedonnert. Barrache war der
Erste, der etwas Fassnng gewann. Er
kratzle mit dem Nagel an der Büste nnd
sagte: „Daran ist nichts weiter schuld,
als der verfluchte Leim."
„Ja, aber, zum Teufel, mir sind die
Geleimten," erwiderte der Maire ärger
lich. „Wir können ein solches Monstrum
doch unmöglich enthüllen. Und das
ist allein Eure Schuld, Barrache, mit
Euren verdammten Reparaturen. Jetzt
halben shir nicht einmal die Zeit, eine
neue Büste zu bestellen."
Barrache senkte sein schuldbeladenes
Haupt und sah trübselig zu Boden.
Doch plötzlich leuchtete eS in seinen
Augen auf: „Wir haben doch noch die
Büste unseres Kaiser?."
„Ihr seid wohl von Sinnen, Bar
rache! Die können wir doch unmöglich
morgen durch einen Unterpräfecten der
Republik einweihen lassen!"
Barrache zwinkerte listig mit den
Augen: „Fällt mir ja auch gar nicht
ein. Aber seht her, den Schnurr- und
Knebelbart sort und aus den Kopf fo
eine Mütze wie die da, und die Republik
ist fertig."
Der Maire wollte Einwendungen
machen, doch der schlagfertige Adjunet
ließ ihn gar nicht zu Worte kommen:
„Was wollt Ihr?" Kann denn Je
mand sagen, das sei nicht die Republik?
Wer hat sie gesehen, wer will sagen, so
sieht sie aus und nicht anders?"
Der ewigen Widerwärtigkeiten müde
stimmte Ferray -> Desclaur dem neue»
versuche zu, verlangle jedoch von sei
nem Adjuiicte», daß er zu Niemand
darüber spräche
Barrache eilte nach Hanse, n-n GipS
zu holen, und machte sich dann an die
Arbeit. Die ganze Nacht über schaffte
er mit seine» groben Maurerhändcn an
ser Büste des Kaisers, iu«d als der
Morgen graute, ries er den Maire zu
sem vollendeten Werke. Mit ihrer ge
furchten Stirn, der plumpen Nase und
den hängenden Wangen war es zwar
:ine recht sonderbare Republik, die des
Meisters Barrache; aber die phrygische
Mütz? machte Alles wieder gut. Der
Viaire war ganz erstaunt, daß seinem
Adjunkten das Werk so gut gelungen sei
und ries aus:
„Das ist gar nicht übel, Barrache.
Offen gestanden, ich hätte eS Euch
eigentlich gar nicht zugetraut."
„Man thut eben, was man kann,"
/-ersetzte dieser bescheiden. Und mit
einem vergnügten Schmunzeln legte er
in PaquU in die Hände deS Maire:
Da, hebt eS gut ans; wer weiß, ob
vir eS nicht noch einmal brauchen...."
„WaS Ist es denn?"
„ES ist der Bart des Kaisers. Ich
habe ihn sorgfältig abgenommen, sehr
sorgfältig. Denn feht, mit allein Re
jpelt vor Ench. Ihr werdet mich ver
stehen—hm, wenn es der Republik 'mal
schlecht gehen sollte, dann nehme ich dem
Ding da die Mütze ab, klebe ihm
Schnurr- und Knebelbart an, nnd sieh
da, mein Kaiser steht wieder auf seinem
ilte» Platze, ohne daß eS der Gemeinde
»ich nur einen Sou kostet."
Humor ist für einen Pes.
fimisten das, was ein Spiegel für eine
däßlicke Frau ist.
Ter Solitair.
Einen Solitair zu besitzen war schon
längst der Wunsch Ferdinand Gnnckel
mann'S gewesen. Seine Tante besaß
einen solchen, zwar nicht von der Größ<
wie der in der portugiesischen Krone,
aber doch groß genug, um den Tauben
schlag deS Nefscnber.zens mit allerlei
buntem Gcdankenflügel zu bevölkern.
Gar ost dachte er: O daß crmein wäre!
Wie bekomm' ich ihn? Wenn ich
die Alte doch bewegen könnte! So
flogen die Gedanken aus und ein, und
wirklich lockten sie zuletzt eine Antwort
herbei, die das siegverküudende Oelblatt
im Schnabel trug.
Die alte Tante konnte den angeneh
men Manieren ihres liebenswürdigen
Reffen nicht länger widerstehen. Si«
schenkte ihm den Solitair, aber er sollt«
ihn erst nach ihrem Tode erhalten. Seil
dieser Zeit betete er weniger inbrünstig
sür das lange Leben der guten Dame,
und vielleicht ist dies der Grund des
Unglücks, welches ihm späterhin durch
jenes Vermächtniß widerfahren ist.
Die Tante starb, der Solitair würd/
sein. In einem uralten Ringe, der die
Besitzerin einst in die Ehestandssefseln
geschmiedet, steckte er wie in ein Gefäng
niß eingemauert. Ferdinand eilte, ihn
dieser Kerkernacht zu entziehen und, >
jour gesaßt, zur geschmackvollen Busen
nadel umgestalten zu tassen. Bald da
raus bezog er die Universität, wo die
Busennadel eine Scha»r von Busen
freunden herbeilockte, die ihn für einen
Rothschild ansahen und demgemäß aus
nutzen wollten. Er aber erklärte ihnen,
daß er ihnen unmöglich etwas pumpen
könne, da er selbst aus dem Trocknen
säße. Täglich mußte er irgend einem
durstige» Pmnpier die physiscke Unmög
lichkeit dieses ÄclS darthun. Niemand
glaubte daran. Alle hielten ihn sür
einen Geizl)als, und zogen sich zurück,
so daß er bald ganz allein dastand.
Es fehlte Ferdinand indessen nicht
an Zeitvertreib. Ihm gegenüber wohnte
eine Schauspielerin. Sie sehe» und sie
lieben war das Werk eines Augenblicks,
uud er suchte »ach Gelegenheit, ihr seine
Empfindungen zu offenbaren.
Er machte Bekanntschaft mit dem
Sänger Trillenberg. der sie oft besuchte
und ihn leicht einführen konnte. Einst
hatte cr eine Prinzenrolle zu spielen,
wozu er sich seinen Solitair erbat. Den
folgenden Morgen wollte er Ferdinand
abholen, um ihn feiner holden Collegin
vorzustellen. Da ließ sich denn freilich
nicht Nein sagen.
Ferdinand war drei Stunden lang
sein eigener aotour" gewesen
und stand nun wartend da. Blos die
Busennadel fehlte Allein eS ver
gingen abermals drei Stunden vergeb
lichen Harrens und c? kam blrS die
Nachricht, daß der Thealerprmz mit
feiner vorausbezahlten Gage, dem Soli
tair Ferdinands und den Diamanten
der Schauspielerin durchgegangen war.
Unglück, bringt die Menschen ein
ander nahe. Der gleiche Verlust führtc
Ferdinand bei der Künstlerin ein, und
als bald daraus die Blätter die Anzeige
enthielten, daß der Flüchtling in
München arretirt fei, machten sie sich
zusammen aus die Reise, um das ver
lorene Eigenthum wieder zu erlan
gt"-
Welche Lust gewährt das Reihen!
Hätten nur die Leute nicht gesagt: „Er
ist mit einer Comödiantin durchgegan
gen." Dies Gerücht kam seinen Vor
gesetzten zu Ohren, und diese Ohren
waren jedesmal taub, so ost er später
hin um Anstellung nachsuchen mochte.
Mit der Hoffnung, der Gemahl der
Schauspielerin werden zu können, war
es leider nichts, weil sie die Anwart
schast dieser Stelle bereits an einen
Glücklicheren versagt hatte.
In München angekommen, erhielten
die Beiden bald ihr geraubtes Gut von
der Polizei zurück, und am Abend vor
der Abreise ging Ferdinand, von der
Schauspielerin und seinem Solitair be
gleitet, in's Theater. Hier freute er
sich der allgemeinen Aufmerksamkeit, die
dieser Brillantschmuck aus sich zog, aber
es machte ihm Spaß, gegen seine Dame
die verliebte Miene eines Liebhabers
anzunehmen. Wären sie nur unbemerkt
geblieben!
Gleich nach dem Theater beschied
Ferdinand ein Billet auf den nächsten
Morgen um sechs Uhr in den englischen
Garten. Es war von dem Verlobten
seiner holden Reisegefährtin, welcher,
zusällig in München, die Galanterie
Ferdinands mit eifersüchtigen Augen
ansah und die Sache nur init Pistolen
austragen wollte.
Ferdinand aber liebte das Leben.
Er zog es vor, nicht todtgcschofsen zu
werden, und reiste nach Nürnberg ab.
Dort lauerte man einem gefährlichen
Jndustrieritter auf, der dem Steckbriefe
zufolge eine kostbare Busennadel trug.
Man erblickte diejenige Ferdinands,
nahm ihn fest, und er konnte die wohl
löbliche Polizei Nürnbergs erst nach
vierzehn Tagen überzeugen, daß er
nicht der gefährliche Jndustrieritter sei.
Von Nürnberg reiste er nach Dres
den nnd beschloß hier dcn Stein des
Anstoßes zu verkaufen, zu welchem Be
hufe er einen Juwelier aufsuchte.
Dieser betrachtete dcn Solitair und
fragte:
„Wie kamen Sie in den Besitz des
Solitairs?"
„Durch ein Vermächtniß meiner
Tante!"
„So, so!"
„Sie zweiseln doch nicht?"
„O bewahre! Aber hier wurde vor
Kurzem im Grünen Gewölbe ein ganz
ähnlicher Stein gestohlen, dessen Fest
haltung im vorkommenden Falle mir
polizeilich anbefohlen ist. Sie Werder
also gütigst verzeihen! —"
Ferdinand ließ verschiedene Don
nerwetter los, aber sie machten den
Himmel seiner Zukunft nicht heiterer.
Er mußte fich'S gefallen lassen, drei
Wochen lang das Zimmer zu hüten
und zum Zeilvertreib alle Tage ein
Verhör zu bestehen. Nach Ablauf von
drei Wochen gab man ihm die schmei«
ibelhafte Versicherung, daß er der Diel
nicht sei und er seiner Wege gehen
könne.
In Leipzig, dem berühmten Stapel
platz des deutschen Buchhandels, beeilte
er sich, von diesem verwünschten Soli
tair, diesem Talisman des Unglücks,
auf dem ein Fluch zu ruhen schien, sich
loszumachen. Er ging abermals damit
zu einein Juwelier.
„Woher haben Sie den Stein?" be
gann der Kunstverständige mit hühni
scher Miene.
Ferdinand überlief eine Gänsehaut.
Er schwieg, und sein Gesicht nabm einen
so bedenklichen Ausdruck der Verlegen
heit an, daß er einem Deliquenteu täu
schend ähnlich sehen mochte.
„Aha! Die Sache hat einen Ha
ken," sagte der Juwelier und klopfte
ihm lächelnd aus die Schulter. „Seine
Sie ruhig, lieber Freund! Wege»
dieses Steines wird Sie Niemand m
Anspruch nehmen. Er ist falsch!"
Ferdinand war sprachlos.
„Falsch?" rief er entrüstet. „Dn
Solitair meiner unvergeßlichen Tante
salsch? Herr, sind Sie des Teufels?"
„Nur nicht so hitzig, lieber Freund!"
erwiderte der Juwelier mit höhnischem
Angenblinzeln. „Ihre unvergeßliche
Tante" er betonte das Wort ganz
eigenthümlich—„hat es mit Ihnen recht
gut gemeint. Sie wußte offenbar ganz
genau, was die Polizei in solchen Fäl
len zu thun Pflegt."
Vermuthlich hatte der Dresdener
Juwelier, Ferdinand's endloser Tra
gödienoerivicklung sich erbarmend, den
Den» sx ins.et»iii» gespielt und den
ostindischen Diamanten in einen böhmi
schen verwandelt. Er liegt seitdem un
benutzt in einer Schubladenecke von Fer
dinand'S Schreibpult und sein Besitzer
hat weiter kein Unglück damit gehabt.
Chinesisches.
ES liegt im Charakter der chinesischen
Sprache, daß ihr nicht nur kraftvolle
Mittel der Betonung, sondern auch
ausgeprägte Zeichen und Geberden zur
Seite stehen, und so kommt es, daß bei
den Bezopften die Geberdensprache sich
durch besondere Lebhaftigkeit und gro
teske Formen äußert. Gern streckt man
in China die Zunge aus, um Furcht
oder Berwiuideriing kund zu geben.
Große Angst aber verräth man dadurch,
daß man mit dem Zeigesinger die Stirn
wischt, als wollte man den Angstschweiß
entfernen. Mitunter wird diese Gc
bcrde auch dazu angewendet, um großes
Schamgefühl zu bezeichnen, und in allen
Fällen legt es davon einen Beweis ab,
daß die in Rede stehende Angelegenheit
als ernst und gefährlich anzusehen ist.
Häusig sieht man die Söhne des himm
lische» Reich, s lachen, selbst wenn sie
von einem Todts- oder sonstigen Un
glückssalle sprechen.
Erschüttert aber eiwas sehr Spaß
haftes ihr Zwerchfell, fo klatschen sie
häufig mit den Händen, werfen den
K örper zurück, und mit Thränen in den
Auge» brechen sie m ein lanteS Geläch
ter aus. Ist ein Chinese ärgerlich, so
wirft er gewöhnlich feinen Körper nach
vorn. Zur selben Zeit gcstikulirt er
hestig, greift wild in die leere Lust und
springt aus, als wenn er auf etwas tre
te» wollte. Seine Augen scheinen auch
mitunter aus den Höhlen zu treten, und
er stottert bei jedem Satz. Man nlmmt
an, daß alle Mandarine roth im Ge
sicht werden und ihre Backen aufblasen,
wenn sie zornig sind: ir»u>»
Kucck!, illtl-it." Chinesinnen sind im
Acrger schlimmer als die Männer und
scheinen alle Herrschast üb.'r sich selber
und ihre Handlungen zu verlieren. Der
Chinese drückt seinen Gram aus verschie
dene Art aus.
Als allgemeine Regel darf gelten,
daß man das Weinen nicht als ein Zei
chen deS wahren Kummers anfchen
kann, da es buchstäblich „auf Bestellung"
geschieht, Tranernde Chinesen brechen
ganz plötzlich in lautes Geheul aus und
hören ebenso plötzlich aus; auch kann
man Weiber miethen, die zu bestinimlen
Zeiten heulen und wehklagen. Miß
sallen und Verdruß zeigt der Chinese—
wie wir— indem er seine Augenbrauen
zusammenzieht und die Stirn runzelt;
sein Entsetzen über eine niederträchtig«
Schandthat giebt er dadurch kund, 'daß
cr eine Grimasse macht, die ganz der
ähnlich ist, wenn man etwas recht Un.
angenehmes riecht oder schmeckt. Will
ver Chinese sich an etwas erinnern, 112»
kratzt er sich ost den K ops, häusiger je
doch reibt cr seine Hüste und verdreht
die Angen. Ist er in tieses und i»
Verwirrung bringendes Nachdenken ver
sunken, so wiegt er seinen Körper lang,
sam hin und her, und zieht sich Haar«
aus und kaut davon, oder schaukelt-ei»
Bein. Man kann nicht behaupte», daß
man Chinesen ost erröthen sähe. Bei
Frauen ist die holde Röthe der Scham
überhaupt schon aus dem Grunde nicht
wahrzunehmen, weil aus ihre Gesichter
meistens dicke Schminke aufgetragen ist.
ES ist äußerst selten, daß man das Ge
sicht eines Chinesen aus Begeisterung
erglühe» sieht. Nur die Hoffnung auf
Gewinnst oder die Aussicht auf perfön
liche Beförderung vermögen ihn zur
Thätigkeit zu erwecken und sein Gesicht
zu erhellen.
Immer gemüthlich. Ein
Berliner kehrt spät in der Nacht von
einer schweren Sitzung in da» eheliche
Schlafgemach zurück. „Jotte doch",
klagt die Frau, „schon zwee Uhr!
Schämst Du Dir denn gar nicht, da« e»
schon so spät is?" —Aber Liese, hab'
Dir doch »ich um nischt «ich. Wäre ick
zu Haus jeblieben, na, denn wär et doch
jetzt accurat so spät."
Etwas decenter. Gouver
nante: Fräulein Fanny, in Ihren, Auf
satz brauchen Sie das Wort Bufenfreun
bin. DaS ist mir doch gar zu sinnlich.
Will Ihnen kein decenterer Ausdruck
einfallen? Fanny: Vielleicht Evrfet
sreundin?