Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 19, 1891, Page 6, Image 6

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    v
Wt»»« Thter«.
/ „Wenn der einmal lvS käme!" oder
möchte ich auch nicht allein im
Walde begegnen!" Das find so gewöhn
lich die erste» Gedanken, die angesichts
»er Raubthierkäfige den Besucher des
Zoologischen Gartens bewegen, wenn
«r nicht gerade Thierfreund oder Künst
ler ist. Wie oft habe ich im Raubthier-
HauS diese Gedanken mit mehr oder
weniger grausamer Phantasie weiter
»iiSspiuneu hören und dabei als stiller
Beobachler meine heimliche Freude ge
habt an dem behaglichen Gruseln, das
Zich bc! solch sinniger Naturbetrachtuug
»uf den Mienen der betreffenden Thier-
Ikeuner zu malen Pflegt! Diesem prickeln
den Mischgefühl, das hervorgeht aus
»er Vorstellung möglicher Todesgefahr
»nd der Ueberzeugung wirklicher Sicher
heit, kann sich nicht leicht Jemand ent
ziehen und dies halte ich für den Haupt
grund, warum das Publikum zur Raub-
Ithiersütterung stets so massenhaft zu
sammenströmt,' daß das Raubthier-
Mus zu dieser Zeit an großen Sonnta
gen ein ergiebiges Arbeitsfeld für Ta
schendiebe ist.
Die sunkelnden Augen der hungerigen
,Bestien und ihre gierigen Sprünge zu
sjehen, nnr einige Schritte von sich,
soc>tkl>sns aber hinter den massiven
iEisengittern, zwischen den furchtbaren
Hähnen die Knochen krachen zu hören
«nd sicher zu fühlen, daß eS nicht du
«igene» sind, das ist und bleibt eben für
lVielc eine sehr beliebte Sonntagsnach
lmittags Aufregung. Wurzeln doch in
«äs Allen noch mehr oder weniger fest
kie Anschauungen von den „wilden
iThieren", wie sie die Menagerie» mit
jihre» haarsträubenden Erklärern und
Idie älteren Naturgeschichte» uns von
IKindsbeinen an eingepflanzt haben!
In der allerneuestcn Zeit schienen
zwar selbst die Menagerie» der wissen
lschislliche» Aufklärung huldigen zu
wolle»: wenigstens habe ich es diesen
Herbst auf der Reise beim Besuch einer
Menagerie in meiner süddeutschen Hei
math mit Staunen angehört, wie die
Hyäne, jene hervorragende Säule der
Menagerie, vollständig ihres greulichen
viiinbuS als Leichenräuberin entkleidet,
«nd ihre angebliche Neigung zur Lei
chenschändung auf die „bekannte Sitte
der Eingeborenen ihrer Heimath,
Afrika und Bengalen", zurückgeführt
wurde, „ihre Todte» entweder gar »icht
»der nur ganz oberflächlich im Sande
ßn begrabe» und so die Gebeine ihrer
Angehörigen gewissermaßen selbst den
Thieren der Wildniß zum Fraße dar
Mutten."
Gleich darauf erllaug aber allerdings
beim Tiger wieder ganz das alte Lied
«oiii blutdürstigsten aller Raubthiere:
„Während der Löwe nur aus Hunger
»lis Raub ausgeht, thut es der Tiger
dahingegen nur aus Mordlust." Als
ob der arme Kerl nicht auch seinen ganz
gesunden Appetit hätte! In besserem
Stil, aber nicht viel anderem Ton und
Sinn sind die Raubthierschilderun
lieii der älteren Naturgeschichte» gehal
ten Da sigurirt bei der Beschreibung
des Tigers überall der furchtbare Men
tchenfresser, der Meuschenfleisch jedem
«»deren Wildpret vorzieht und so ganze
Gegenden entvölkert; da prangen schau
dereregende Zahlen von Menschenleben,
d.e i» diesen» oder jenem Tropenland
alljährlich „wilden Thieren" znm Opser
Men!
„Ob sie niir wirklich was thäten?"
dachte ich gar manchmal in einem frühe
re» WidknngskreiS, wo mir die einfache
re» Verhältnisse einen sehr intimen Ver
kehr mit weinen einzelnen Pfleglingen
erlaubte», wenn ich des Morgens bei
meinem Eintritt ins RaubthierbanS
stets aus das Freudigste von allen In
sasse» begrüßt wurde, und insbesondere
der große Königstiger jenes eigenthüm
«ichc Nasenschiiauben hören ließ, welcher
zum Unterschied vom Kehlsauchcn ein
untrügliches Zeichen freundlichster Ge
sinnung und Stimmung ist. Und wenn
ich dann de» „greuliche» Katzen" einer
«lach der anderen g»t zugeredet, dieser
de» Bttckel gestrichen und jener den
Bauch geklopft hatte, mit Borsicht aller
dings. aber ohne jedes Herzklopfen, da
war ich wirklich nicht ganz ohne Zuver
sicht, daß ich nicht aus nianchem Käfig
mil heiler Haut wieder herausgekommen
wäre.
Wie war es denn im Alterthum?
Dieser Vergleich drängte sich mir in
solchen Momenten oft sehr lebhast aus,
obwohl ich sonst seit glücklich überstau
dener Gymnasialzeit im Allgemeinen
wenig geneigt bin, „klassische Eriune
ruugeii" auszilsrischen. Die Alten
ginge» allen« Anscheine nach mit den
großen Raubthieren um, wie wir jetzt
mit großen Hunden. Der altegyptische
König RhamseS, der Große, wird in
der Schlacht abgebildet, als Kampsge-
Rosseil einen zahme» Löwen zur Seite.
Daß Löwen und Leoparden bei Königs
audienzeii Tributpflichtiger und bei
Triumphzügc» einfach an Stricken mit
alten Bild- und Geschichtswerke». Die
hirnverbrannte» römischen »aiser
lspannle» bei ihre» Bacchusorgien sogar
Tiger/>or ihrr Prnnkwagcn! Nu» dars
mau dabei, wie bei Betrachtung so vie
ler Verhältnisse des Alterthums, aller
ldiugS nicht vergessen, daß es damals
auf ciueu Sklaven nicht ankam, wenn
»in solches Thier auch eine» oder meh>
»ere seiner Führer zerfleischte, so waren
»uf einen Wink des Herrn gewiß sosort
moai ei» aal so viel andere zur Stelle,
«s zu bändigen. DaS Menschenleben
>an sich halte damals eben noch nicht
jjene hohe prinzipielle Bedeutung, die
'von dem faktischen und praktischen
Werthe ganz unabhängig ist. Trotz
dem kaun ich persönlich mich des be-
Ichämendcil Gefühls nicht entschlagc»,
»ls ob die Menschen heutzutage »icht
mehr so viel Cvuraze hätte», als in den
«ltcn Zeiten. Die Courage ich
wähle absichtlich das Fremdwort, »nd
-meine daniit jenen Ueberschuß an un
mittelbarem. sozusagen körperlichem
Muth, der bei zeder Gelegenhelt yer
vortritt, auch wenn es gar nicht nöthig
ist diese Courage hat ja mit den
Fortschritten der jtultur ohne Zweifel
abgenommen, seit wir nicht mehr mit
dem Körper ums Dasein kämpfen. DaS
hat ja auch Weiler gar nicht» zu sagen,
wenn der Muth und die moralische
Kraft, wo sie ernsthaft noth thun, zu-
oder wenigstens nicht abgenommen ha
be», was man ja wohl ebenfalls behaup
ten darf.
Nun sollte man den Sinn sür die
frische, fröhliche Bethätigung jenes kör
perlichen Muthes, körperlicher Kraft und
Gewandtheit nicht Rohheit schelten. Ich
habe im Gespräch schon manche Lanze
sür daS Artistenthum gebrochen, für die
sogenannten brodlofen Künste, die aller
dings gegenwärtig nichts weniger als
brodlos sind, man frage nur die Unter
nehmer, die die MonatSgagen zahlen
müssen! Wer hier einmal hinter die
Eoulisseu gesehen hat und ich habe
von Jugend auf aus angeborenem In
teresse auf graden und krummen Wegen
danach gestrebt —. der wird staunen
über die außerordentliche Summe von
Muth, Courage und Ausdauer, Selbst
beherrschung und Geistesgegenwart,
kurzum, ich kann nicht anders sagen,
als: moralischer Kraft, die in diesem
Gewerbe ausgewendek wird, und wer die
Gymnastiker, Thierbändiger und Kunst
reiter wirklich kennt, wird ihnen sicher
eine gewisse Theilnahme und Achtung
nicht versagen. Sind sie es doch, die
gewissermaßen die Ueberlieferung dessen
lebendig erhalten, was der Mensch kör
perlich leisten kann und waS in recken
hafter Vorzeit thatsächlich auch Jeder
geleistet hat.
Dieses Gefühl hatte ich instinktiv als
wilder Junge schon, wenn es mich in
jeder freien Stunde unwiderstehlich nach
Cirkus und Menagerie hiinog und in
diesem Sinne begrüßte ich auch die
ersten Nachrichten mit Freuden, die mir
vor zwei Jahren von den neuen Hagen
beck'scheu Löweudressuren in offener
Reitbahn zu Ohren kamen. Ich sah
diese sensationellen Leistungen modern
ster Thierbändigerkunst später selbst.
Zuerst bei Wilhelm Hagcnbeck den zwei
jährigen Senegallöwen zu Pserde, der
als "Xoii s>lu?> ult,r»" mit seinem Brük
kensprnng während der Weltausstellung
den Pariser Hippodrom allabendlich bis
zum letzten Play füllte, und dann bei
Carl Hagenbeck, unserem weltbekannten
großen Thierhändler und Völkerschau
steiler, die vier „in Freiheit dressirten"
anderthalbjährigen Löwen, die ja durch
Leutemann's Stift auch in der Leipzi
ger Jllustrirten Zeitung verewigt sind,
Sie waren damals noch nicht ganz
„fertig", aber es ging bei der „Arbeit"
so ruhig nnd selbstverständlich zu, daß
ich, ganz bei der Sache, bald selbst
thätig mit eingriff und bald hier und da
mit dem Spazierstock in' den richtigen
Platz und in der richtigen Stellung
half, und dabei hatte ich keinen Augen
blick das Gefühl, es mit gefährlichen
„wilden Thieren" zu thun zu haben.
Als ich mir freilich nachher zu Hause
wieder Brehms Thierleben zur Hand
nahm, da hätte mir fast nachher noch
bange werden könne» über meine»
„Löweii"muth, denn auch uufer genialer
Brehm stößt noch in der zweiten Auf
lage seines klassischen Werkes bei den
Schilderungen mehr oder weniger kräf
tig mit in das Horn der Graulich und
Fürchtenmacher. Um so größer war
meine freudige Ueberraschung und Ge
nugthuung, als ich neulich die ileueste
dritte Auflage, die erste seit Brehms
Tod herausgegebene, zur Beurtheilung
erhielt und mich überzeugte, daß darin
durch den Bearbeiter, den vielgereisten
Jencnser Forscher Pechuel Lösche, jetzt
eine durchaus nüchterne und unbefan
gene Betrachtung der „wilden Thiere"
Platz gegriffen hat.
Dies zeigt sich gleich bei der Lebens
beschreibung des Gorillas, jenes gro
ßen. menschenähnlichen Affe:!, der dank
den phantastischen Berichten solcher Mis-
und Afrikarcisen: cll, dic ihn nie
mals selbst gesehen habe», in uü-cier
Naturgeschichle zu einem „wilden ?hierc"
schlimmster Sorte, zu eincm wahren
Teufel in Assengestalt geworden war.
Jeder Mensch, der ihm im Urwalde be
gegnete, war unrettbar verloren; er
griff ihn unter allen Umständen an, er
ivürgte ihn mit seinen gewaltigen Ar
men und zerfleischte ihn mit seine»
furchtbaren Zähnen. Gewehrläufe biß
er platt wie Rohrsteugel! Die Krone
setzte all' diese» Schreckgeschichten daS
unverschämte Jägerlatein Du ChailluS
aus, jeueS asrikauischeu Münchhausen,
dem Reade später öffentlich nachwies,
daß er niemals wirklich einen Gorilla
erlegt hat. Wenn trotzdem Du Chaillu'S
Schilderungen auch iu der zweiten Auf
lage des Brehm'scheu ThierlcbenS sei-
Ablehnung aller Verantwortung sür die
Wahrheit, so kann ich mir das nur so
erklären, daß Brehm, der große Thier
maler mit Worten, wie ich ihn immer
war sür die ausgezeichnete Forin dieser
allerdings ganz prächtig, drastisch und
plastisch geschriebenen Jagdgeschichten,
die sich lesen, wie ein ausregeudeS Ro
maucapitel.
mögen »un ungehc»erliche
ich glauben, daß einen wesentlichen An
theil daran das leidige Trinkgeld hat,
das ja, einerlei in welcher Form es ver
ibreich! wird, aus der ganzen Welt die
selbe fatale Rolle spielt.
Dic Eingeborene» werden gefragt,
aufgefordert, SelbstgeseheueS und Er
lebtes mitzutheilen oder einen jagd-
und thierkundigen Stammesgenojscn
zur Stelle zu schasse». Das Trinkgeld
wirkt und „mail thut, WaS mau kauu".
Schließlich findet sich immer ein geris
sener Junge, der seinen Mann zu neh
men weiß Er antwortet viel mehr, als
ver Reisende fragt, erzählt Geschichten,
waS d»S Zeug hält uud je toller er lugt,
desto mehr glaubt er zu verdienen!
Da bleibt, um die Wahrheit zu erfah
ren, am Ende nichts übrig, als selbst
hinauszuwandern in d»e Wildniß, um
sich mit eigene», scharfen und unbefan
genen Augen umzusehen. DaS hat Hugo
von KoppenselS in den siebziger Jahren
aus mehreren Reisen in der westafrika
nischen Heimath deS Gorillas gethan.
Er war der erste und bis jetzt einzige
Europäer, der nachweislich Gorillas in
der Freiheit beobachtet und erlegt hat,
und er hat seine Jagdleidenschast und
Tropeilsehnsucht, die ihm diesen Ruhm
einbrachte, mit Gesunoheit und Leben
büßen müssen, wie so mancher vor ihm.
Bou einem Büffel zu Schanden gesto
ßen, ist er, soviel ich weiß, nach länge
ren» Sicchthum im Erfurter Kranken
haus gestorben.
Seine Erfahrungen über das Beneh
men de« Gorillas dein Menschen gegen
über, mit andere» Worten, über dessen
Gefährlichkeit oder Nichtgefährlichkeit,
bestätigen nur die durch unbefangene
Prüfung immer allgemeiner werdende
Ueberzeugung, daß, völlig ungereizt, so
leichr kein Thier den Menschen angreift
und daß man bei einer solchen Begeg
nung immer hoffen darf, unversehrt da
von zu kommen, wenn man mit einiger
Vorsicht und Klugheit nach dem Wahl
spruch handelt: „Thu' mir nichts, ich
thu' Dir auch nichts!"
Koppenfels behauptet, daß der Go
rilla dem Menschen geradezu geflissent
lich aus dem Wege geht, und erklärt es
so, daß auch von den Eingeborenen nur
die wenigsten jemals einen gesehen ha
bei«. Läßt er sich zur Zeit der Dürre
durch Hunger einmal verleiten, in eine
»bgelcgene Pflanzung einzubrechen, so
zenügt gewöhnlich etwas blindes Flin
lengelnalter, »m ihn sür immer wieder
ju verscheuche». Im ersten Augenblick,
inen» der Gorilla einen Menschen ge
wahr wird, ist gewiß sein Schreck oder
wenigstens seine unangenehme Ueber
raschung ebenso groß wie die des Men
schen. Diese erste Bestürzung ist aber
rasch überwunden, und daun folge»,
nach Koppenfels' Beschreibung zu ur
theilen, wie bei allen wehrhasten Thie
ren, die instinctiven Bemühungen, durch
Stimme, Haltung «nd Geberde dem
Feinde Furcht einzuflößen, der Gorilla
„richtet sich auf, stößt aus tiefer Brust
ein nicht wiederzugebendes, kurz abge
brochenes, bald rollendes, bald grunzen
des Gebrüll aus und bearbeitet mit sei
nen Ricsenfäusten die gigantische Brust,
wobei unter Zähnefletschen und einem
unendlich boshaften Ausdruck des Ge
sichts sich seine Haare auf Kops und
Nacken vibrirend sträuben."
Indeß auch in diesem Stadium hat
eS nach Koppenfels' Ueberzeugung der
Jäger noch ganz in der Hand, durch
vorsichtigen Rückzug dem peinlichen
Reneontre ein stilles Ende zu machen.
Wird der Gorilla allerdings immer wei
ter gereizt, in die Enge getrieben und
schließlich gar leicht verwundet, so be
sinnt er sich sreilich nicht länger, fällt
über den Gegner her und würgt ihn
unfehlbar im Nu ab, wenn nicht im
letzten Moment noch eine tödtliche Ku
gel sitzt. Aber unter solchen Umstän
den nimmt jedes starke Wildschwein ven
Schützen an, und wird jeder Stier zum
lebensgefährlichen Wütherich. Daß da
her auch ei» mannS- oder übermanns
großer, herkulisch gebauter Asse sich mit
eutsprechulder Kraft feiiler Haut wehrt,
ist doch am Ende nur selbstverständlich,
berechtigt aber nicht im Geringsten, aus
ein dem Menschen gefährliches, vo»
vornherein znm Angriff auf ihn neigen
des Naturell z» schließen. Mit andern
Worten, wie Burton mit derber, echt
englischer Nüchternheit sagt: „Der Go
rilla ist ein armer Teufel vo» Asse,
nicht ein höllisches Traumgebilde, halb
Mensch, halb Bestie." —
Der Winter am Nycin.
Vom eiserstarrten Rhein entwirft
eiu Mitarbeiter der ..Köln. Volksztg."
folgendes Büd: Wo die Strömung ganz
besonders ruhig ist. vor Allem zwischen
den weit hiueuirageiide» Steindüinmen,
hat sich schon seit Wochen an beiden
Ufern ein breiter Eisrand gebildet, der
die freie Strömung einengt. So ist es
von »öln hinauf bis Boppard und noch
darüber hinaus. Je höher man den
Rhein von Köln hinauf kommt, umfo
mchr nimmt die Große der Schollen ab,
bis sie bei Koblentz in vcrmindcrler Zahl
und nur noch in der Große ei»eS
Stmnmtijches herabkoiumeu. Der breite
östliche Arm bei Vallendar ist großen
theils zugefroren, nach Niederwerth ver
kehrt mau über das Eis. :luf dem,
Hafenarin .bei Ehrenbreitstein hat die
Jugend sich ei» mit Wimpeln geschmück
tes Schlitten Karussel eingerichtet; ein
Pfahl ins Eis gerammt, darüber ein in
der Mitte befestigter Querbaum, an
dessen einein Ende die treibende Men
schcnkraft, am anderen der wohlbesetzte
Schiffsschlitten. Die Lahn bei Nieder
lahnsteiu ist vollständig zur Landstraße
geworden; eine Freude »icht nur.für
t>k Jugend, sondern auch sür Alle, die
nicht einsehen wollen, weshalb für die
Benutzung der kleinen Lahnbrücke immer
noch Brückengeld gefordert wird. Die
Empfänger haben jetzt schöne Ferien.
Die Sonne bricht durch den kalten
Dunstschleier: in blendendem Weiß er
strahlen die Einwände des Stromes,
während daS offene Wasser tiesdnnkel
dazwischen einherschleicht. Immer nä
her kommt der Punkt, von wo ab das
liebliche lebensvolle Rheinthal einem
Todtenthale gleichen soll. Boppard,
Salzig, Kestert fliegen dem ungeduldi
gen Reisenden nur zu langsam vorbei,
kaum hat er ein Auge sür die malerisch
in den Schutzhäsen ancinandergedräng
ten Schisse: die großen langgestreckten
Eisbänke im Strome bereiten schon aus
das Kommende vor. Vorbei an St.
Goar da streckt die Lorelei sürwitzig
ihre Felsennase vor, mitten im Strom
tritt der FelSboden, mit Eis und Schnee
bedeckt, zu Tage, und plötzlich sieht daS
Auge nur eine Eiswüste; hier und da
noch kleine, offene Stellen, über denen
«m Morgendunst der Nebei
haft in Form von kleinen Sträuchern
tanzt, . während von der verhängten
Sonneuicheibe blutiger Schein darüber
sällt. Daun öffnet sich inmitten der
rauhen EiSgefilde ein schmaler Bach,
lebhaft fließend, an seinen beiden Enden
im Schollengewirr verloren.
Wilder thürmen sich die Massen, zak
kig aufragend, hier gewaltfam hoch die
Ufer hiiiaufgeschoben, dort scharf wie
eine Mauer abgeschnitten; ganze Hü
gelzüge, dazwischen Thäler, theils mit
Schnee gefüllt. Bei Oberwesel zeigt
sich der erste Pfad über den Rhein,
krumm zwischen den Schollcngebirgeu
hindurchsühreud. Läge nicht die Psalz
bei Caub mitten im Strome, vielleicht
stände dann das Eis heute nicht bis
Mainz. Vielleicht! Unterhalb der Pfalz
weit und breit eine Strecke offenen
Wassers, oberhalb dieses FelsenbaueS
in Pontonfarm EiSschichtungen so hoch,
wie man sie bisher noch nicht erblickt hat
und auch weiter hinauf nicht mehr zu
Gesicht bekommt. Von Caub nach
Langfcheid hinüber wie a»ch von Bacha
rach nach Lorchhausen mit Asche bestreute,
braun sich abzeichnende EiSpsade über
de» Strom.
Ob Nsc-clii -li-s, diesmal sichtbar ge
worden ist, jener im Rhein ruhende
Felsstein mit sagenhafter Inschrift,
dessen Erscheine» über dem Wasser ein
trockenes durstiges Jahr, dafür aber
auch einen Weinscgcn ankündigt, haben
wir nicht feststelle» können, denn es
sehlte uns an der nöthigen philologischen
Ausdauer und vor allem an Zeit; da
gegen haben wir festgestellt, daß, wen»
der alte Blücher heute noch zu thun
hätte, was ihm in der Neujahrsnacht
Ittlt oblag, er eine» vortrefflichen
Rheinübergaiig bei Caub bewerkstelligen
könnte. Weiter nach Lorch, Trecht
ingshausen, Aßmaiinshausen über
all dasselbe Eisthal, »nd nun um die
Witzbung des Niederwalds herum nach
Rüdesheim. Bingen's ist
heute gelöst freilich weiß Niemand,
wie lange die Lösung vorhält.
Wir schreiten über Niedermendiger
Platten und Kleinschlag, das heißt,
über Schollen und Eisstückchen. Asche
ist darüber gestreut, jedoch nur sparsam,
so daß es sich empsehlen dürste, an den
Brückenköpfen den Anschlag anzubrin
gen: Warnung sür Schoppenstecher.
Nach weiterem fünf Minnte», während
deren Jung-Bingen nah und fern um
uns her sich tummelt, sind wir bei den
Hessen in Bingen. Droben, am jensei
tigen Ufer, hält die Germania die Kai
serkrone hoch in die Luft: „Kommt
nur heran, daran könnt ihr nicht rüh
ren, und wenii euch auch der Winter
«ine Brücke zu mir baut."
Dt« Ehe vcS Herzog» v»n Leuchten
»erg.
Man schreibt der „Frkf. Ztg." am
Petersburg: Der kürzlich in Paris ver
storbene Herzog Nikolaus von Leuchten
i»erg hat hauptsächlich seiner Gemahlin
vegen seinem Baterlande Valet gesagt
,nd sich in Gens niedergelassen, da die
russischen Gesetze seine Ehe nicht gestat
ieten, Herzog Nikolaus heirathete
nämlich eine Frau Akinsjew, geb. Anen
!ow, bei Lebzeiten ihres Mannes, der
!in Neffe des Fürsten Gortfchakow war
ind in diplomatischen Diensten stand.
Lieser Neffe war ein mauvais
»er seiner Gattin viel Verdruß und Kum
ner »lachte, so daß sie ihn schließlich ver
ließ. Fürst Gortschakow, der sich schon
längst von seinen« Thunichtgut von
liessen losgesagt hatte, lud Frau Akin
sjew zu sich ei» und die junge Dam«
machte in den Salons des russischen
Kanzlers die Honneurs. Der junge
Herzog von Lenchlenberg, der zuweil-n
den Kanzler, mit dem er persönlich be
freundet war, besuchte, war durch die
reizende Erscheinung von dessen Nichte
gefesselt und bald ein steter, immer gern
zcfehcncr Gast.
Es entspann sich zwischen den beiden
jungen Leute» ein zartes Verhältniß.
Der Herzog entbrannte in leidenschaft
licher Liebe zu der jungen Frau und
Nadefchda (so hieß die junge Dame)
theilte diese Gefühle des Prinzen. Da
alle Versuche, den Gatten zu einer förm
lichen Scheidung zu bewegen, vergeblich
waren, so entschloß sich der Herzog kurz.
Er entsührte seine Geliebte und ließ sich
in Genf trauen. Im Angesicht dieses
vollzogenen Factums blieb dem verlasse
nen Gatten nichts weiter übrig, als in
eine Scheidung post kesuirn zu willigen.
Selbstredend, daß dieser Entschluß nicht
ohne äußeren Druck gefaßt und ausge
führt wurde. An hoher Stelle hatte
man es längere Zeit dem Fürsten Gort
.schakow sehr verübelt, daß er dieser
heimliche» Ehe Vorschub geleistet habe.
Der Reichskanzler konnte aber seine
Unschuld durch unumstößliche Beweise
?rhär!en, darthun, daß er von dem sich
vor seinen Augen abspielenden Liebcs
drama nichts gewußt und daß, wem, er
die geringste Ahnung davon gehabt
hätte, er sicherlich ein solch' gewaltsames
Durchhaue» des gordischen Knotens
nicht zugelassen hätte. Fürst Gortscha
kow soll nämlich selbst seiue Nichte lei
denschaftlich geliebt und trotz des großen
Altersunterschieds sich mit dem Gedan
len getragen haben, dieselbe zu eheliche».
Wie dem auch sei, die Ehe des Herzogs
wurde vom kaiserlichen Hofe als eine
Mesalliance nicht aiierkaniit. trotzdem
iedoch der junge» Gattin der Titel einer
Gräfin Beauharnais verliehen, ei» in
der Leuchtenbergische» Familie erblicher
Titel, den Josephine Beauharnais, die
-rste Frau Napoleons I. und Urgroß
mutter des jetzt verstorbenen Herzogs,
zetragen. Kaiser Nikolaus lieble seine
Tochter, die Großfürstin Marie vou
Leuchteiiberg. und deren Kinder schwär
merisch. Auch Alexander 11. trug sei
ner Tante und seiner Cousine die zärt
lichste Liebe uud Anhänglichkeit ent
gegen. Daher auch der rasche Schritt
o«S Herzogs Nikolaus ohne weitere Fal
zen blieb, und obzwar er »ach seiner
Heirath fast beständig im Auslande
in Genf) lebte, so wür
zen doch seine Beziehungen zum kaiser
luden Ävke nickt abgebrochen.
Volapüt.
Es ist noch nicht lange her, seitdem
der Ersinder der Universalsprache das
Zeitliche gesegnet, und schon beginnt an
dem Volapük, das wohlgestaltet und
gepanzert dem Haupte seines Erzeu
gers entsprang, der Zahn der Zeit zuse
hends zu nagen. Nach einem Jahrzehnt
wird sein Andenken ebenso verschwom
men sein wie die Mündung der Flüsse
in Angra Pequena.
Vor einigen Jahren reiste ich nach
Calisornien. Der Zug schoß pseil
grade über die große amerikanische
Wüste in Nevada und hielt bei
einer „Stadt" an. die, auf der flachen
Sandebene hockend, den traurigen
Eindruck, den die Wüste hervorbrachte,
nur erhöhte. Aergerlich fragte ich
einen sonnverbrannten Eingeborenen,
der aus dem Perron herumschlenderte,
wovon denn eigentlich die Einwohner
der Stadt lebten und warum sie diese
von Gott verlassene Gegend nicht selber
verließen. Bissig antwortete mir der
Nevadische Patriot: „Mein Herr, neh
men Sie Ihre Brille ab, so werden Sie
besser sehen! Die nächste Silbermine ist
nur sünszig Meile» vou hier entsernt;
achtzig Meilen von hier haben wir
grüne Wiesen und Felder. Die? ist
ein gesegnetes Land, unS fehlt nur Waf
fer." Er hatte recht, der Wüste sehlt
Auch dem Volapük fehlt das Wasser
des Lebens, und eS werden sich schwer
lich gelehrte lia—lin-lali-rci dazu herge
ben, das nöthige Wasser in ausgehöhl
ten Straußeneiern herbeizuschaffen. Sc
muß das Bolapük vergehen. Us>>uiss-
Die Zivilisatorischen Bestrebungen der
europäischen Mächte werden bald den
ganze» Erdball in das Netz ihrer kauf
männischen Thätigkeit gezogen haben.
den immer coniplicirter, und die Noth
wendigkeit einer cinheiilichen Sprach
lritl immer dringender hervor. Jnso
storbciien Dr. Schleyer anerkeunenS
werlh; leider aber bleiben sie eine Chi
märe. Eine Kunstsprache wird immer
ihr Ziel verfehle», eine Universalsprache
zu werden. Dieser Aussatz hat eS sich
zur Ausgabe gestellt, den Beweis dafür
zu erbringen. Eine spätere Abhand
lung soll dem Schicksale der Kulturspra
cheu im Allgemeine» gewidmet lein, um
zu untersuche», welche von ihnen als
Siegerin im Kampse uiu'S Dasein her
vorgehen wird und berusen ist. die Füh
rerinrolle im große» Weltverkehr zu
übernehmen.
Die erste Bedingung einer allgemei
nen Sprache ist, daß sie nur solche Laute
besitze, die alle Nationen leicht ausspre
che» können. Es ist bekannt, wie schwer
eS fällt, sich einen Laut a»z»eignc»; die
Schwierigkeit rührt daher, daß einige
Nacen die Muskeln der Brust zur Bil
dung von artikulirten Laute» ganz be
sonders in Anspruch nehmen, andere den
jl ehlkovs, wieder andere den Gaumen,
die Nase, die Lippen vorwiegend dazu
gebrauchen. So können die meiste»
Europäer nur mit Schwierigkeit Ara
bisch sprechen, weil das Arabische die
Kehlkopf- und Brustmuskeln übermäßig
kaum die weichen Laute (moäia) erler
nen.
Der Ersinder des Bolapük hat diesem
Bedürfniß Rechnung tragen wollen, als
er sein ABC zusammenstellte; doch wä
re» ihm die Lautsysteme der größeren
Sprachgriippen genauer bekannt gewe
sen, so hätte sich sein ABT auf etwa 5,
sage ->, Buchstabe» beschränken müßen.
Alle langen Vokale, Doppelvokale und
Umlaute fehle» im Russischen:
Das kurze im Ungarischen lautet
mehr wie ein deutsches o;
Das o sehlt dem Arabischen;
DaS o sehll den Verbersprachcn:
Das- » ist nicht im Malogajsischen
(Madagaskar) vorhanden;
l> sehit dem Chinesischen Mandari
»endialekt): O.uihna (Peru); den
Poliuesische» Sprache«;
<- sällt im Anfang n»d in der Mitte
des Wortes dein Engländer schwer;
findet sich nicht im Polynesische»:
>1 nicht in Quichua, Polyuesisch, Chi
nesisch;
t nicht in O.uichua, Polhnesisch, Fin
niich;
55 nicht in Quichua, Polyuesisch,Maya
(Uucalau) Chinesisch;
"l> nicht in Russisch, Nubisch;
I nicht in Polhnesisch, (ohne Hawai),
Japanesisch:
p nicht in Hot.'eutot, Namaqiia;
rnich! in Chinesisch, Hawaiisch, Maya,
tzafserüsprc.chs;
nicht in Finnisch;
/. nicht in Quichua, Nubisch.
Demnach stehe» etwa dir Buchstabe»
K. t. i zur Berfiiguug, ans denen
beim besten Willen keine Sprache z» bil
de» ist.
Wenn aber neue Lante hinzugefügt
werde» solle», so ist es eoenso leicht, bei
spiclswchc das ganze russische Alphabet
zu erlernen als mir ei» Theil davon; es
ist also die Ausschließung wie die Ein
verleibnng vo» Buchstaben im Volapük
gleich verwerflich.
Zunächst kommt das grammatikalische
System in Betracht. Hier erst sieht
man, wie wenig wisseiischastliche Bil
dliiig Dr. Schleuer besessen habe» muß,
und es nimmt nur Wunder, daß Pro
sessorcu sich dazu hergebe» können, dem
Bolapük das Wort z» reden. Da die
Eniwickelnng des Alphabels vorzüglich
die Schwierigkeiten illnstrirt, die sich bei
der Bildung einer tünstlich.'u Gramms
lik herausstellen, so wollen wir einen
Abstecher in'S Gebiet der Alphabete
machen.
Wie bekannt, besäße» die ältesten
Sprachen, wie das Chinesische, nicht ein
Alphabet, sonder» ei» Hierogliiphc»-
systein, nach dem jedes Wort durch ein
besonderes Zeichen dargestellt wird.
Wie schwerfällig das System auch sein
maa. so beruh! cS ursprünglich nicht aul
Zufälligkeit, sondern aus einer Noth
wendigkcit, denn da die alte» Sprachen
keine Zergliederung der Wörter und
keine Anhängsel kennen, um verschiedene
Verhältnisse auszudrücken, jedes Wort
nur in einer Form, und zwar einsilbig,
vorkomme» kann, die Verhältnisse ledig
lich durch Juxtaposition ausgedrückt
werden, so besitzen die Sprachen nur
eiue beschränkte Zahl von Wörtern, die
in verschiedenen Stellungen und bei ver
schiedener Accentuatio» ganz andere Be-
ausdrücken. So findet sich
im Chinesische» sür den Gesammtbcgriff
lieben, kann Hauptwort, Eigen
schaftswort. Beiwort sein, also lieben,
gut, Leebc, guter heißen. Dieses
System in ein ABC zu zwängen, wäre
wohl möglich, an Leichtigkeit des Erler
nens würde aber die Sprache nicht be
sonders viel gewinnen.
Mit der Fortentwicklung der Spra
che verlieren gewisse Wörter an ihrer
Intensität und kommen immer in Ver
bindung mit anderen Wörtern vor;
dies ist der Ansang eines BiegungS
systeniS und stellt sich in den Sprachen
ei», die als agglntinativ bekannt sind;
dazu gehört das japanesische. Die
Sprache gewinnt an Lauten und Wör
tern. und das Hieroglyphensystem macht
sich z» ungelenk, es wird zu einem
Silbensystcm verwandelt, da eine ge
wisse Anzahl von Silbe» sür alle For
mationen genügt nnd Mißdeutungen
kaum vorkommen können wegen der
verschiedenen Länge der Wörter.
Nur aus der dritten Stufe, wenn die
Anhäugfel der agglutinativen Spra
chen ganz und gar ihre Durchsichtigkeit
verloren haben und nur mit dem Worte
als Ganzes gedacht werden können,
wird eS zur Nothwendigkeit, ein Alpha
bet einzuführen, weil die silben
ichweren und ungefügigen Wörter be
hufs leichterer PhonefiS ihre Konsonan
ten verwischen, Vokale verändern und
Silben verkürzen. Ein Silbeusystem
von nicht weniger als INO Zeichen
könnte diesen neueren Bedürsuissen ent
sprechen, eS ist also ein Alphabet von
25—3 S Buchstabe» vorzuziehen. Das
hieroglyphensystem auf so entwickelte
Sprachen anzuwenden, wäre nicht nur
eine Monstrosität, sondern eine absolute
Unmöglichkeit.
Dieselbe Analogie ist auf eine Uni
versalsprache anzuwenden und Dr.
Schleyer glaubte einen guten Griff ge
than zu haben, als er eiue agglutinative
Sprache sich zum Muster nahm. Die
Flectionssprachc» der dritten Klasse, zu
denen fast alle Sprachen Europas zu
rechne» sind, können sich leichter in das
Schleyet'sche sügen: den Chinesen ist eS
zanz so sremd, wie irgend eine andere
Flectionssprachc. Aber auch unter den
Europäern können sich die Dänen und
Engländer nicht mehr in ein Biegungs
system, sei eS noch so leicht, schicken, da
ihre Sprachen über die dritte Stufe
hinaus sich cutwickeln nnd so dem mono
sylabischeu Chinesischen näher zu stehen
kommen. Jeder deutsche Lehrer weiß,
wie schwer eS sällt, die englischen Kin
der an den richtigen Gebrauch der Fülle
5» gewöhnen, und während dem deut
schen Quintaner Fehler in der lateini
schen Syntar als grobe Verstöße ange
rechnet werden, macht die amerikanische
Jugend nock in den höheren Klassen der
Universität Schnitzer iu der Anwendung
Eine Grammatik, die ans Biegung
beruht, kann nicht bei de» civilisirten
die verschiedene» Völker sich leicht in der
Schwierigkeit, die die Aussprache und
Grammatik verursachen, zurechtfinden
würden, so stellt sich ihnen noch immer
eine Schranke entgegen, die sie nicht pas
siren können. Dr. Schleyer hat eS näm
lich vergessen, seiner Sprache den Le
bensgeist einzuhauchen. Die Sprache
ist nicht unveränderlich, sonder» spiegelt
in ihrem Ban den lebendigen Menschen
Wie schön spricht q. B. das erhabene
Wesen der kriechen aus ihrer Sprache;
und unter ihren Dialekten, wie gut prßt
doch das Jonische für die asiatische Ber
tveichlichnng, das Dorische für den krie
gerischen Spartaner, das leidenich ist
liche Aeolische sür die poetische Schöpf
ung einer Sappho uud das elegante
Attische für den Atheuer!
Die verschiedenen Bölkerfamilien un
terscheiden sich unter einander durch die
größere oder kleinere GemüthSerregung,
die durch das Klima und die Lebens
weise bedingt ist. So gehören die Ne
gervölker zu den erregbarsten der Erde;
bei ihnen schlägt eine große Trauer
schnell in Ausgelassenheit um, und der
kleinste Schreck bringt bei ihnen oft die
größte Panik hervor. Ihre Sprache
gibt genan diese Beweglichkeit wieder:
ilire Sätze sind stark zerstückelt »nd hä»
gen nur lose zusammen, während die
Thätigkeit der Wörter so stark gedacht
wird, daß Theile des Subjects noch im
Prädikat »nd Object z» finden sind,
während das Object ans das Zeltwort
zurückwirkt; so heißt iu der Zulusprache
der Satz: Gott weiß alles
Gott weiß Dinge alle
Im Zeitworte u. vc. ?. »?,> ist » das
Einheitlichkeit. Ein Maulthicr heißt
»iscl>k»l-i. d h. Pferde - Lang - Ohr.
Im Arawakische» lautet der Satz:
Du solltest heute nicht gewaschen wer
Die europäischen Sprachen stehen
zwischen beiden Extremen, indem in den
keltischen Sprachen das erregbare Ele
ment vorherrscht, das Deutsche zu den
weniger erregbaren (pflegmatischen) zu
rechnen ist.
Dem Neger und Negriten ist da»
Schleyer'sche Kauderwälsch eine unüber
windliche Monstrosität, da er die ver
schiedenen Theile deS Satzes zu lange
im Kopfe herumtragen muß. Dem
Asiaten und Amerikaner ist das Bolapük
zu zerstückelt, und die Europäer könne»
aus dem Bolapük keinen andern Geist
entnehmen, als den, den sie ihm nach dem
Muster ihrer eigenen Sprachen oerleihen.
Demnach müßte der Deutsche deutsche»
>ind der Italiener italienisches Volapüt
schreiben.
Da in den slavischen Sprachen die
Flektion start entwickelt ist, so hängt
der Sinn deS Satzes nicht von der Ord
nung ab: die Endungen der Wörter be
stimme» deren Bedeutung und Verhält
nisse zu einander vollständig, und durch
die Rkihensolge werden Schattirungen
hervorgebracht, die der Westeuropäer
kaum verstehen, geschweige fühlen kann.
Dagegen ist das Englische stramm ge
wickelt, die Ordnung ist durchaus keine
willkürliche, und die Emphase wird durch
Wendungen und den Wörterreichthum
ersetzt.
Wenn also im Allgemeinen eine
Sprache der Schleyer'schen Art der gan
zen Welt unzugänglich ist, so bleibt sie
eine Chimäre, selbst wenn sie für den
Gebrauch der civilisirten europäischen
Nationen bestimmt ist ; denn der Pole
oder der Türke erlernt das wirkliche
Deutsch ebenso leicht, wenn nicht leichter,
wie das sabricirte Conglomerat de»
Bolapük.
Man macht gewöhnlich den Einwand,
daß die nationale Eisersucht die Euro
päer daran hindern, eine lebende Sprache
Europas sür den Universalgebrauch her
vorzuheben. Dieser Einwand trifft
ober nicht das Persische, das die Ein
sachheit selbst ist. Die Conjugation ist
so einsach wie im Volapük; eine Decli
nation gibt es nicht; das Verhältniß
deS Eigenschaftswortes oder des Haupt
wortes zum Hauptwort wird durch ein
angehängtes i ausgedrückt. Die Sprache
ist melodisch und ihre Wort-Combina
tionen bezaubernd schön. Sie hat de»
Vortheil, eine indo-germanische Sprache,
also eine den meisten europäischen Spra
chen verwandte zu sein und besitzt be
reits eine reiche Literatur. Zur Zeit
des Firdusi war das Perfische noch mcht
durch das Arabische getrübt, und wäre
eS also nur nöthig, zur damaligen
Pehlevi-sorm zurückzugreifen, um sie
>ur Uuiversalsprache zu verwenden.
Doch davon eiu ander Mal.
Erinnerung an Uhland.
Eine Erinnerung an Ludwig Uhland,
vie sie nach einer handschristlicher Aus
zeichnung eiue» Tübingers ein alte»
iurhessischeS ZeitungSblatt erzählt, Wirt»
zur Neubelebuug mitgetheilt. ES war
im Jahre 1857, als eine ganze Schaar
unger begeisterter Verehrer des großen
LolksdichtsrS die Universität Tübingen
>ezog. Ihm vor Allem galt ihrer Her
fen warmer Schlag, und Schwaben
lowohl wie Norddeutsche juchten ihn
ins und schätzte» sich glücklich, de» gro
ze» Ulilanv, vaS Ideal ihrer Jugend,
persönlich kennen zu lernen. Einer au»
Lreinen war der schwärmerischste unter
>en jugendlichen Schwärmern, und so
»st sie Abends oder vielmehr des Mor
lens aus der „Kneipe" kamen, stiftete
!r die Kommilitonen an, daß sie mit
chm vor UhlandS Haus zogen und dort
loch einen Gesang anstimmten. Meist
vählten sie dazn das herrliche Lied:
.Wenn heut' ein Geist herniederstiege.-
md sänge» dann gewissenhast alle sieben
»chtzeiligen Strophen.
So ging es' längere Zeit fast jede
)!acht fort. Da erhielten sie eines Ta
;sS sämmtlich eine Einladung zu einem
iinsachcn Abendbrot in das Haus des
Dichters. Glühend folgte Jeder dieser
seltenen Auszeichnung und stellte sich
rechtzeitig in Gala ein. Uhland be
wirthete sie ausS Liebenswürdigste und
>aS „frugale Abenhbrod" ließ nichts zu
wünsche» übrig. Ans das Essen solgte
eine förmliche Weinschlacht, und im
Eiithiis! sü?ieu die Studenten
ein Ll.d nach !' i nudeni. Endlich
K:su::te der (.x' lriner aus Bremen
VaS Lied vom an, der jetzt in der
T'vit zu ihm herniedergestiegcn war.
! h i»d hörte still vor sich hinläche n>
Sc» Gesang bis zu Ende an. Aber wie
staunten seine jugendlichen Verehrer,
iIS er hieraus ganz ernsthast versicherte,
dieses Lied gefalle ihm jetzt gar nicht
mehr, eS fei »in viele Strophe» zu lang;
wen» er eS noch einmal zu dichten hätte,
würde er eS viel kürzer machen. Dieser
Ausspruch des Meisters, der fast einem
Lerdammungsurtheil seines herrlichsten
Gedichtes gleichkam, wnrde zuerst-mit
stummem, starrem Erstaunen angehört
and dann folgte» die lebhaftesten Wider
sprüche von allen Seiten. Uhland ließ
ruhig de» Sturm an sich vorübergehen
and sagte zuletzt: „Aber, meine Herren,
dieses Lied kostet mich jede Nacht mei
ne» beste» Bormitternachtsschlaf; wär'
eS kürzer, könnt' ich eher wieder ein
schlafen." Damit lenkte er freundlich
die Unterhqjtuiig auf eine» anderen Ge
genstand und -- durfte von nun an un
gestört schlafen. Nur der Schwärmer
ans Bremen soll es noch zuweilen ganz
leise beim Nachhausegehe» vor sich hin-
Zchrecke» inid Entrüstung „Ja",
jährt die Kleine fort, „Mama sagt, Du
hast ciiien Spid, »nd wen» Papa aus
jagt sie a»ch maiichmal, daß er eine»
Zpitz hat."
Che hilide r n i ß. Tochter
(flehentlich billend): „Ach, Papachen,
)ab' doch Erbarmen und laß' mich mit
Eduard glücklich werden!" Bater
sNatnrsorjcher. wüthend emporsprin
;e»d): „Was!? An'S Heirathen denkst
,iel' die Eidechse hat! ?-