Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 16, 1890, Page 6, Image 6

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    v
Ta»te Tavtne.
Tante Sabine saß in der Garten
laube und stickte, trotz ihrer SO Jahr,
ohne Brille die feinsten Seidcnmnster.
Die schmalen weißen Finger zogen die
Nadel so sicher und flink durch den dich
tenEanevaS und gönnten iich keine Rast,
als müßten sie iür's Geld arbeitend
Weiße Löckchen quollen aus der Bän
derhanbe und umrahmten das seelens
gute freundliche Gesicht, dessen rehbraune
Augen so mild und sanft glänzte».
Ter alten Dame gegenüber, jenseits
des grünen Gartentisches aus der ele
gant geschweiften Bank, faß ihre Nichte
Magda, eine I7jähnge Blondine mit
einem Gewirr Feldblumen im Schooße
,ind wand einen Strauß. Jetzt hob sie
das halbfertige Bouguet und hielt es
über den Tisch hin.
„Wird es nicht hübsch, Tante Sa
bine?"
Die Angeredete sah auf.
„Recht hübfch, mein Kind, aber die
gelben Blnmen las; fehlen, sie passen
nicht »eben das grelle Roth —"
„Ob Leonhardt sich sreuen wird,
Tante?"
„Wie sollte er nicht —"
„Oh, eS wird prächtig, die ganze
Ferien bleibt er diesmal hier, da wollen
wir spazieren, botanisiren und weißt Tu
Tante, auch wieder sechten —"
Aber Magda, damit sollte es vorbei
sein. Tn t ist daS kleine Mädchen nicht
mehr, das er vor zwci Jahren mit sei
nen Rapiren spielen ließ —"
„Spielen, Tante Sabine ? Oh. ich
geschlagen, wie ein Student. Leonhardt
hat es mir selbst bezeugt, daß ich jedem
Fechlboden Ehre inachen würde und
wenn ich auch furchtbar erschrocken war,
als ich ihn in'S Kinn traf, so geschah eS
ihm doch recht, was war er fo eitel und
feiner Ueberlegenheit sicher, daß er sich
blos ans seine Parade verlassen wolle—"
Tante Sabine ließ die Hände rnhen
lind sagte etwas bestimmter im Tone:
„Im Ernst, liebe Magda, dergleichen
muß ein Ende haben. Leonhardt ist
L 3 Jahre, Du bist 17, er ist Dei» Vet
ter, sogar nur ein recht entsernter Vet
ter, und was schon vor zwei Jahre»
meinen Beifall nicht hatte, daß Dn mit
ihm bis in de» späten Abend durch
Wald nnd Feld streiftest, jetzt darf'S
keinesfalls mehr fein. Leonhardt steht
vor dem Staatsexamen, er ist ein Mann
geworden nnd möchte eS selbst sehr so»
de-bar finden, wenn sein erwachsenes
Cousinchen noch immer nicht wüßte, daß
eS ans den Kinderschuhen heraus ist.
Dein Vater hat ihn sich eingeladen,nicht
Dir."
DaS Gesicht des jungen Mädchens
verzog sich zu einem eigenwillige»
Schmolle».
„Das ist pedantisch, Tante Sabine,
Du bist immer pedantisch. Er kommt
ja doch meinetwegen. Papa ist ein be
rühmter Arzt und Leonhard! wird's
vielleicht auch dereinst, aber ich bin nun
einmal so arrogant, anzunehmen, daß
er sich jetzt mehr für mich, als sür
die anfsehenerregenden Magenoperatio
nen dcS Papa oder die Heilung eompli'
rirter Knochenbrüche intercssiren wird."
„Um so mehr habe ich Acht zu geben."
„Der Strauß ist fertig jetzt bring'
ich ihn auf fein Zimmer, in einer
Stunde kann der Wagen hier fein.
Wollen wir ihm an den Dorfkrng ent
gegengehen—?"
„Papa ist ja selbst zum Bahnhof ge
fahren. Auch habe ich noch nach dem
Essen zu sehen."
„So soll ich allein gehen?"
„Nein, Magda, Tn sollst mir Hel
sen."
Magda stützte den Kopf in beide
Hände und sah verdrießlich vor sich nie
der.
„TaS wird ja aber schrecklich. Jetzt
freue ich mich garnicht mehr. Als ob's
eine Sunde wäre, sich ans einen 2 Ijäh
rigen Better zu freuen, der hübsch, lie
benswürdig nnd galant ist. Wenn Tu
alle Männer so aus meiner Nähe scheu
chen willst, kann ich mich ja daraus gefaßt
machen, auch eine alte Jungfer zu wer
den."
Tnrch das blasse Gesicht der alten
Dame flog ei» Zug des Unwillens.
„Tn bist wirklich noch ein Kind,
Magda nnd manchmal ein recht unarti
ges. Bring' jetzt die Blumen in's
Gastzimmer und dann komm' in die
Küche."
Sie rollte die Stickerei ein nnd ging
in da? Haus, dem sie feit vielen Jahren,
feit Magdas Mutter starb, vorstand.
* » *
Einige Tage waren vergangen.
Früh wie gewöhnlich lagen ans dem
Kafseetisch die Postsachen und als Magda
nachsah, ob auch für sie ein Brief dabei
wäre, fand sie einen solchen sür Tante
Sabine. Sie wollte ihn dieser bringen,
als sie in der Thür auf Better Leon-
Hardt stieß.
Der Better hielt sei» Cousinchen ohne
viel Umstände fest nnd gab ihm einen
herzhaften Guten morgen Kuß. Erfand
merlwürdigerweife nicht den geringsten
Widerstand nnd handelte in MagdaS
freildigstein Einverständnis;, indem er
einem eben störenden Dienstmädchen die
Besorgung des Briefes übertrug. Frei
lich, als dann nach sehr geranmer Zeit
erst des Papas wuchtiger Schritt auf
der Treppe vernehmbar wurde, mußte
man sich stören lassen. Nesse nnd Toch
ter begrüßten den Eintretenden, der
sehr ernst aussah.
„Wir werden heute ohne Tante Sa
bine frühstücken," sagte er.
„Weshalb, Papa ?"
„Sie will allein sein, später mehr."
„Ist sie krank —?"
„Nein, sie hat eine Nachricht erhalten,
die sie mit Schmerz »nd Betrübniß er
füllt : sie will allein sei»/'
„Auch ich darf nicht zu ihr, sie nicht
trösten?" fragte Magda verwundert.
„Dich hat sie sich ausdrücklich verbe
ten, Magda; ich wollte Dich ihr senden.
Tu sollst sie im Hauswesen vertreten."
Das Frühstück verlief iedr einsilbia.
Magda ging in die Küche, während
Onkel und Neffe sich bis zur Sprech
stunde des Ersteren noch eine Cigarre
nahmen.
Unruhig und hastig gab Magda ihre
Austrage an das Hausmädchen, zwe;
Mal stieg sie die Trevve h'.naui bis zu
Tante Sabinens Zimmer, minie: aber
jam. fast kränkend.
Aber sie ging znm dritter. Mal Hinaul
und lauschte an der Thür.
Dr'.unen blieb's todtenstill.
Magda befiel eine unerklärliche Angst.
Konnte der Tante nicht etwas zugesto
ßen sein. Und sie war dann hilsloS.
ganz allein!
DaS junge Mädchen pochte, schüchtern
und leise.
Wieder blieb's still. Jetzt wagte sie
stärker zu pochen. - Da ttang Tante
„Wer ist da?"
„Ich, Magda, Tante —"
„WaS willst Du —"
„Liebste Tente, darf ich nicht zv
Dir
„WaS willst Du —"
„Ich habe solche Angst um Dich, laß'
mich zu Dir. bitte, bitte."
Eine kleine Weile, dann rückte der
so freundlich und gütig wie immer blick
ten die Auzen, aber sie waren roth um
rnndet. DaS Erste, was Magda sonst
sah, war ein ausgezogenes Fach des alt
„Du hast Angst um mich, gutes
Kind", sagte die alte Dame mit dersel
ben verschleierten Stimme. „Mir ist
besser und eS thut mir jetzt vielleicht
wohl, daß Tu kommst."
„Und Tn wolltest mich, gerade mich
Ueber das blasse Gesicht ging ein
Hauch des ErröthenS.
„Gerade Dich nicht, daS hat Dir
Tein Papa gesagt? Thöricht, aber ich
konnte nicht anders im ersten Empfin
den."
Berlin?"
denjenigen vor dem Seeretär nnd setzte
sich zu Magda's Lhne Umschweife
begann sie.
„Dieser Brief brachte eine Todesnach
richt. In Berlin ist ein Mann gestor
ben, ein edler, braver Mann, den ich
»in ihn. DaS ist eine schrecklich einfache
Geschichte, Magda, wenn Du Dir blos
vorstellen willst, daß Deine alte Tant!
auch einmal jung war. Sie zählte LZ
Jahr, da starben ihre Eltern und ließe?
sie allein mit zwei Brüder» von zehn
und acht Jahren. DaS Baargeld ver
zehrte das Begräbniß, die Noth stani
vor der Thür.
Damals hatte sie seit J:hr und Taa
jenen Mann kennen gelernt, der nun
mehr die Augen sür inMiec schloß, und
er bot ihr Hilfe an, mehr noch. Liebe.
Aiich er war arm, aber in geordneter
Verhältnisse», nnd sein Herz war gold
echt, gnt u»d tren. Meinst Du nicht
daß ich vielleicht sehr, sehr glücklich ge
worden wäre, wenn ich es gedurft
hätte? Ich durfte es nicht; für uns
alle Drei zu forgeu, wollte ich ihm
nicht anfbürden, und in'S Waisenhaus
sollten die Kleinen nicht, so wi>.S ich
ihn ab und er hat mir herb gegrollt,
weil ich ihm den wahre» Anlaß zu
sage» mich schämte. ES that mir weh.
daß er so ungerecht und kurzsichtig war
Vielleicht habe ich im Stillen ge
hofft, daß er die Lage der Dinge
errathen, überschauen werde, und daß
er unn um so bestimmter sich erklären
würde... .Vielleicht auch war da zuviel
verlangt gleichviel, lieb habe ich ihn
behalten bis heute, auch da er längst
einer Anderen gehörte, glücklich war
nnd mich vergessen hatte. Ich konnte
ja nicht anders. Erst habe ich gestickt
und genäht sür mich und die Brüder,
dann halsen mir Freunde meines Va
ters ein Pensionat einznrichten, ich
hatte ja Wohnnng und Möbel dazu,
und unter bitterer Sorge ward'S doch
immer besser. In der zärtlichen Dank
barkeit Deines VaterS und Onkel sand
ich vielen, vielen Ersatz, sie sind Beide
tüchtige Männer geworden und ich,
meine liebe Magda, ich wurde —eine alle
Jungfer!"
Wie ein Messerschnitt ging dies Wort
durch Magdas Herz. Sie warf sich
mit erblühten Wange» vor Tante Sa
bine nieder und b-lrg den Kopf in deren
Schoos;. Tic alte Taute streichelte die
blonden Locken der Schluchzenden.
„Jetzt weißt Tn erst," sagte sie leise,
„daß Tu mir weh gethan hast, nicht
wahr? lind das; Tn es eben damals
nicht wissen konntest, hat Tich cnlschnl
digt bei mir. Aber das Herz ist ein
wunderlich Ting. Als Tein Bater,
der vor einer Stunde hier mit mir ge
trauert hat nm einen Mann, den er nie
mals kannte, ging, rebellirte in mir
etwas wider Tich, armes Kind, und ich
bat ihn, Tich nicht zu schicken. Tu bist
doch gekommen und das thut mir un
sagbar wohl."
Magda weinte noch, als Tante Sa
bine sie z» sich emporzog nnd küßte;
durch die Thränen hindurch sah sie, wie
die schlanken weißen Finger ein paar
gepreßte Blnme», ei» Bild und ein
dünnes Päckchen Briese wieder in den
Pappkasten legten und diesen in den
Seeretär einschlössen.
„Bist Tu mir wirklich nicht mehr böse,
Tante Sabine, wegen des häßlichen
schlechten Wortes?"
„Häßlich, schlecht? Tbörichte-Z Kind.
eS ist ein Wort wie andere auch und
wessen.wir uns nicht zu schämen bran>
chen, sollte uns ;eder iagen dürien. Tu
freilich denkst über dies böse Wort an
ders."
Mitten durch den Kummer hindurch
verschönte das m:!de. sansii Lächeln die
Züge der Alten.
„Ich hab« ;a Augen! Pava und ich
wissen, ilne heimlich und ichla» Ihr,
!en sieh:, müßte es undankbar sein, wenn
es sich nicht selbst glücklich sühlte. und so
bist Du, gerade Tu. die beste Trösterin
gewesen. Mir ist nur »och leise weh
um's Herz, aber nicht mehr bitter, nicht
mehr verzagt."
Tante Sabine stand aus. Mild, sried
lich und saust glänzten wieder die guten
Augen, aui ihres Glückes Grab blühten
die Blumen fremden Glückes.
yirosk.r'S erste Luge.
Endlich war Piroska angekommen.
Wer das wohl ist ?
Nun denn, es ist das felmfüchtigst er
ond Mißmlith ersparen sollte, den daS
heutige hauptstädtische Ticustgesindc ih
ren Herrschaften so vortresslich zu berei
ten versteht.
diese gewichtige Empfehlung erwarb ihr
schon zum Voraus die Sympathien ihrer
ersten Dienstherrschaft, sonst wäre sie
bei ihrer Anknnst schwerlich mit so un
äußere Erscheinung war von gewinnen
dem Liebreiz. Wie sie dastand, die tief
blauen, kindlichen Ange» sprechend ans
von einem baumwolle
nen Kopftüchelchen umrahmt, so wohl
thuend anmnthctc, die wohlgcpflcgten,
üppigen, in zwei Zöpfe geflochtenen,
Hände, die ihre ganze Habseligkeit, ein
mäßig großes, vielfarbiges, stark ver
schnürtes Bündel, wie krampshast fest
hielten, kurz, das ganze niedliche Per
sonellen schien so einnehmend, daß es
in den ersten Stunden des rosigen Ehe
glückes schwelgenden Neuvermählter
dem besangen und bedrückt nm sich
blickenden Mädchen mehr Wohlwollen
und Herzlichkeit entgegenbrachten, als es
daS alltägliche Verhältniß von Dienst
leistuug und Entschädigung kennt.
Da eS schon ziemlich spät am Aben!
war, hatte Piroska nichts mehr zu thun,
daS eigens sür sie eingerichtete Zlmmel
neben der Küche zu beziehen. Dn
Morgenkaffee sollte also ihre erst».
Dienstleistung werden und dieser gelang
Ehemann konnte in feiner Begeisterung
kaum genug Worte des LobeS finde»,
ja, er ging in seinem Eifer sogar bis zu
dem Anssprnch: eS sei das von Piroskc
hergestellte Frühstücksgetränk überhaupt
das beste, das er während seiner Ehe
unglückte.
Nu» rückte auch das zweite Mittag
esse» heran nnd dies Mal gab es sogai
zwei Gäste. Der junge Rath besaj
allerdings einige Kenntnisse in dei
Junggesellenkochknnst, seine Gemahlil
gar keine nnd PiroSka, mit manchen
hauSmännischc» Kvchreeept vertraut,
hätte eS, als Landmädchen, kaum ver
möcht, den Ansprüche» der kleine» Her
rengesellschaft zu genügen. Nach lan
gem Sinnen kam der jungen Frau dei
wirklich erlösende Gedanke ans dei?
Hotel ein kaltes Diner zu bestellen, wo
mit der Herr Gemahl sich auch einver
standen erklärte.
Er selbst unternahm es auch, die Be
stellung zu besorgen und durch einen Zu
fall kam er sogar in die angenehme
Lage, das Tiner wenigstens mit einem
Gang zu krönen, der selbst seinen ziem
lich verwöhnte» Freunden imponircn
lio bilden aber der
Mensch denkt und PiroSka lenkt!
Als das riesige Krustenthier aus dem
Küchentische lag, emv'and Piroska ein
ganz unsagbares Gefühl von Bangigkeit
und Scheu; hatte sie doch noch nie im
Leben solch ein abscheuliches Thier ge
sehen. Trotzdem der Hnnimcr schon
todt war, schien es ihr doch, als ob er
seine häßlichen, bräunlich grünen Schee
ren, Füße und Fühler nach ihr aus
streckte und mit nicht wenig Beklemmung
dachte sie an den nahen Augenblick, wo
sie das entsetzliche Thier, aus Anord>
nnilg der Frau, in den großen, mit sie
dendem Wasser gefüllten Kessel werde
Wersen müssen und in welchem es dann
in acht Minuten zu lochen hätte. Einen
Bissen davon zu essen, hatte sie sich
schon längst verschworen und in der
That hätte sie Niemand daju vermock»
nnd würde man ihr ein GallenebiUet :n
den EireuS geschenkt haben.
Während sie noch mil der Herstellung
senerroth bei seinem Anblick, denn bis
her hatte sie ihm noch kaum ordentlich
ins Gesicht blicken können. Ihre Verle-
PiroSka. ich will nnr unsere Küche be
sehen sehr hübsch sehr nett
und da liegt ja noch unser Hum
mer
Piroska wurde allmälig gefaßter.
„Kannst Tu ihn auch lochen?" setzte
er lachend sort.
„Gewiß, gnäd'ger Herr die
Gnäd'ge hat's mir ja erklärt acht
Minuten!"
„Na schön, daß er aber nicht ver
brüht wird, denn ohne Hummer sind
wir heute bis aus die Knochen bla
mirt!" Mit diesen Worten wollte er
nach der Thüre, doch ehe er noch eine»
Schritt machte, besann er sich eines
nig Besseren, blieb, blickte abwechselnd
den Hummer au und das Mädchen, als
ob ihn ein auf Beide bezüglicher Ge
danke beschästigte.
„komme doch ein klein wenig näher."
PiroSka erröthete und that, wie ihr
befohlen.
hm?"
„Nichts, als daß er acht Minuten ko
chen niuß, gnäd'ger Herr!" gab sie be
sangen wieder.
„Gut, so blick' mir recht fest in'»
Ange!"
PiroSka that das fast willenlos.
„Schwöre, daß Du uicht lügen
wirst —"
PiroSka spielte vor Erregung alle
Farben, endlich brach sie stoßweise her
vor: „Ich sage immer die
Wahrheit.
„Das ist brav! Sage mir also, ob
Du stets tugendhasr gewesen —"
Wie mit zugeschnürter Kehle stöhnte
sie: „Immer, gnäd'ger Herr!"
Herr!"
PiroSko hatte zum ersten Mal gelo
gen, aber sie war rein wie srisch gesalle
ncr Schnee. Nie hatte Sünde oder
Eitelkeiten ihr kindliches Herz befleckt,
aber dem hübschen, schwarzäugigen
Pista, Marezi BaesiS Jüngstem, war sie
herzlich gut, war es doch auch schließlich
der Wuusch der Eltern und des Herrn
Psarrers, daß die Beiden einmal ein
Paar würden—das aber konnte sie doch
wäre ja vor Scham in die Erde gesun
ken.
sichtlich gutgelaunte Herr daS Wort.
„PiroSka, ich glaube Dir aus'S
Wort," und muthwillig lächelnd fügteer
dann hinzu: „Weil Du mich gar nicht
belügen kannst! Ich habe ein Mittel,
die Wahrheit zu erfahren!"
Piroska erblaßte, aber sie hätte lieber
gleich sterben mögen, als ihre Steigung
gestehen.
„Siehst Du, fuhr er dann fort, „die
ser Hummer wird Dich verrathen,
hast!"
Mit Entsetzen blickte sie auf den
Hummer.
feierlichem Tone, „er besitzt die göttljche
Wunderkraft, bei, Mädchen bis in's
Herz zn blicken. So wie er zu koche»
Piroska stand da, wie leblos.
„Hast Dn gelogen, so wird er Dich,
wie alle Sünderinnen, bei Tische ver-
Noch ehe das bebende Mädchen zu sich
kommen konnte, hatte sich der junge
Herr entfernt. Die Angst des Mäd
chens gar nicht ahnend, er sich
allein. Der Gedanke, daß das abscheu
liche Thier die Kraft besitze, ihre un
schuldige Neigung zn Pista zu verrathen,
machte sie sehr unglücklich. Wenn wenig
stens die junge Frau danach gesrag!
den haben, aber einem Manne nie!
Der ersten Lüge wegen sühlte sie sich
deswegen auch weniger unglücklich, viel
mehr sürchtele sie, vou dem Hnmmer
verrathen zn werden. In ihrer Kind
heit nahm sie sich vor, Sonntags recht
andächtig zn bete»
Es schlug ein Uhr. Jetzt mußte dei
Hummer i» sein kochend Grab. Aengst
lich faßte fie ihn mit der Schürze an
und schwapp, do lag er auch im
dampfenden Kessel. Wie festgebannt
blieb sie stehen. Die erste lange, bange
Minute verstreicht daS arme geäng
stigte Mädchen athmet leichter auf. Jetzt
röthete die Freude ihre Wange», sie
siih'lc sich sündensrei, denn auch die
zweite und dritte Minute verstrich,
ohne daß des Thieres beleidigte Seele
sieh' da! Wird da nicht
den brausenden Kessel blickt, welch' ei»
Entsetzen saßt sie an! Ihre erste
Lüge hatte sich bitter gerächt! Die be
leidigte Seele des gegrämten Hummers
färbt die Schalen roth und röther und
wenig fehlte, da hätte sie eS aus Ver
zweiflung unterlassen, den überkochten
Hummer ans dem Kessel ,',u fischen
AIS er wieder aus dem Küchentisch«
lag. konnte Angesichts der Purpur
der ganzen Tischgesellschaft so tief be
schämt zn werden, wollte ihr schier das
Her; zerreißen.
Was thun? Kein Mittel! Kein
Ausweg! Dabez. hörte sie, wie sich
die Gäste schon zn Tifche fetzten. Jeden
Augenblick konnte die Klingel ertönen
und und erbfendlcke Thränen
perlten dem geängstigten Mädchen über
die Wangen aus den wild fliegenden
Busen.
Plötzlich klingelt es ist eS dii
Frau? Gott sei Tank noch nicht!
Beim Nachbar war es. Bald abe»
mußte ja de>S Unvermeidliche eintreffen!
Hui! Ta was steht denn da ?
Das ist ein Gedanke, den ihr der
liebe Gott geschickt jetzt ist sie geret
tet
Im Speisesaal hatte man sich schon
zu Tische gesetzt. Das junge Ehepaa,
und zwei Jugendfreunde des Hans
Herrn. Nach einer pikanten Vorspeise
klingelte es in der Küche. Tie junge
Frau gab damit das Zeichen, daß der
Hummer aufzutragen sei, der Pracht
hnminer, mit dem mau die beiden Gäste
schon seit geraumer Zeit in Spannung
hielt.
PiroSka trat in den Speisesaal. Hoch
über dem Kops trug sie eine sein eise
lirte Silberplatte, aus der daS Pracht
stück mit Blumen und Blättern verziert
lag.
Die beiden Leckermäuler waren ge
rade beim besten Appetit.
Sie stellte die Platte in die Mitte des
Tisches, nicht ohne ihrem Dienstherrn
einen Blick stolzen Selbstbewußtseins
zuzuwerfen; darauf trat sie befcheiden
und unanssällig in die Thürnische zu
rück.
Die Wirkung war ganz verblüffend.
Man blickte sich gegenseitig sprachlos
an, denn daS so viel gepriesene Stück er
glänzte in unappetitlichstem, mattem
Schwarz. Ehe die Neuvermählten zu
Worte kommen konnten, ließen die beiden
Gourmands den schlechten Witzen den
weitesten Spielraum.
Piroska hatte alledem ganz ruhig zu
gesehen. obschon ihr die nervöse Unruhe
in den Zügen ihrer Frau nicht entgehen
konnte; wirklich herrschte sie das Mäd
chen in ganz ungewohnter Weise an:
„WaS haben Sie denn mit dem Hummer
gethan, Sie —"
Ihr Gatte, den unglücklichen Aus
gang seines so prächtig ersonnen ge
glaubten Scherzes ahnend, stand rasch
ans nnd versiegelte mit einem herzhaften
Kuß die Lippen seiner erregten Gemah
lin, daraus ging er ans PiroSka zu, die
an allen Gliedern zitterte.
„ich allein bin der Schuldige! komm'
her, PiroSka, ohne Furcht, erzähle Alles
was hast Du mit dem Hummer ge
than ?"
Unter Thränen bekannte sie, daß es
ihre erste Lüge war und damit der roth
gewordene Hummer sie uicht verrathe
habe sie zur Schuhwichse gegrif
fen!
PiroSka fand Gnade bei Allen, aber
dem Ehemann wurden von maßgebender
derartig-' Experimente in der Küche
liiswriquos", welche vornehmlich unver
öffentlichte Briese der Kaiserin Eugenie
mittheilen, haben jetzt den Zeitpunkt der
Verlobung von Mademoiselle de Mon
tijo mit Napoleon 111. erreicht. Ein
Brief der Madame Montijo an ihren
alten Freund, den französischen Gesand
ten in Berlin, worin sie ihm jenes Er
eigniß mittheilt, ist voll mütterlicher
Sorge: „Ich weiß nicht", schreib! sie,
„ob ich glücklich sein oder ob ich weine»
joll. Wie viele Mütter, die mich jetzt
beneiden, würden es nicht verstehen,
wenn sie die Thränen in meinen Augen
sähen. Eugenie soll Königin in Ihrem
Frankreich werden. Ich denke, daß i»
Ihrem Lande die Königinnen nnr we
nig Glück haben. Ich kann mir nicht
helfen. Der Gedanke an Marie An
koinette verfolgt mich und ich frage mich
selbst mit Angst, ob nicht mein Kind ihr
Schicksal theilen werde."
Bor ihrer Verlobung mußte das
junge Mädchen die Abneigung jener
Hosdamen fühlen, welche durch die offen
bare Bewunderung des Kaisers sür sie
hervorgerufen wurde. Der Heraus
geber der „Souvenirs" bürgt für die
Wahrheit der folgenden Geschichte: „Die
Damen an Napoleons Hofe waren die
ser Verbindung stark entgegen. Sie
behandelten Mademoiselle Montijo mit
auffallender Kälte nnd Geringschätzung.
Eines TageS, im Park von Eompiegne,
angesichts ihrer Freundinnen, beschwerte
sich das gereizte Mädchen dem Kaiser
gegenüber über jene Behandlung. Als
sie geendet hatte, schnitt er einen Zweig
von einem Busch, wand ihn in Form
eines Kranzes und setzte ihn auf Enge
nienS Haupt, indem er lant hinzusetzte,
daß es gehört werden mußte: „In Er
wartung eines andern." Von diesem
Augenblicke an behandelten die Damen
Mlle. Montijo als ihre künftige Kai
serin.
Wenig. Erster Archäologe:
Nun, Herr Professor, haben Sie auf
Ihnen, nicht einmal einen Pscrdckno
che», von dem man sich einen Augenblick
einreden konnte, er stamme von einem
Gast (ruft die Kellne
rin): „Resi. noch einen Krug Resi!
Potz Element, das Mädel hört nicht!
Nefi, sind Sie denn ganz vernarrt in das
Semmelgesicht da drüben? Sie lasseu
ja kein Aug' von ihm?" „Stimmt!
Sonst brennt der Lump mir wieder mit
der Zech' durch!"
Derühmte Esel.
Vom Meister Langohr hat Nagele in
der „Dtsch. Romanztg." ansprechende
Einzelheiten zusammengetragen. Neben
den vielen dummen und namenlosen
Eseln gibt es auch gescheite und be
rühmte. Ein solcher war jener, der
im März des Jahres I87t! ans der
Fregatte „Jster" in Gibraltar einge
schifft wurde,um seinen Herr» nach Malta
zu begleite». Bei der Galspitze gerieth
aber das mächtige Schiff aus eine
Sandbank, und um eS wieder flott z»
machen, mußte aller entbehrliche Ballast
über Bord Dazn wurde auch der
fette Esel gerechnet. Der besah sich die
Sandbank, und da sie ihm allzn dürr
und trocken ansfah, kehrte er ihr den
Rücken nnd ruderte, man weiß nicht,
uiitcr welchen Abenteuern, dem Fest
lande zu. Kurz und gut, einige Tage
später zog der Esel durch die Thore
Gibraltars ein und zum Stalle des
Meisters Weel, wo er vordem länger«
Zeit gehaust, nachdem er ohne Wegwei
ser einen Marsch von reichlich 50
Stunden über Berg nnd Strom, Stock
und Stein zurückgelegt hatte. Wie
daS arabische Pserd steht auch der ara
bische Esel nnter seinen Genossen oben
an und gilt als ein vornehmes Thier
Schlichte Langohren mit grancm Fell
und schwarzem Kreuz zeichnen ihn ans;
am vornehmsten aber erscheint der
Weiße, leichtfüßige Efel des Nedsched,
der neben den brannen oder schivarzcn,
kräftigen Esel» des Knrdistan sich wie
cm Aristokrat ausnimmt.
Der edle rafseechte, weiße Esel bat
eine hohe Gestalt, starke nervige Beine,
einen großen, seilen Halskamm und eine
feine empfindliche Haut mit glatten, fei
nieisten haben zur Wertschätzung des
Esels die abyssinischen Christen gethan,
die nicht nnr den Bileam, sondern auch
seine kluge Eselin in die Zahl der Hei
ligen aufgenommen haben. Weniger
entzückt als die Araber und Abyssinici
ist aber Hermann Vambcrn, der be
rühmte Reisende, der hinsichtlich des
Esels als Reitthier solgendcS Urtheil
abgibt: „Die kurzen, scharfen Schritte
Reiters. Dabei gerath er vor jeder
Pfütze und ledem Wasser in Todes
angst. Da Peitsche nnd Stachel nur in
den erstell Tagen des Marsches auf das
Thier einen Einfluß auSzuübcu vermö-
Slntreiben Hände nnd Füße des Reiters
ft.'t ebenso, als hätte er den Weg zu
Fuß zurückgelegt. Und was soll ich erst
von dem ohrenzerreißenden J-A en sa
gen? Der europäische Esel ist, was Um
fang nndEolorit seiner Stimme betrifft,
ein Stümper gegenüber seinem asiati
von ?>ezd nnd Kirman folgen. Die be
scheidensten Esel aber, die ich kenne,
find jene dcS nebligen britischen
Reichs."
Vi,,- vierzeliniäftrige Wtftini
schcrin.
Es ist gewiß ein seltener Fall, daß
ein erst vierzehnjähriges Mädchen wegen
versuchten Mordes ans der Anklagebank
sitzt. Selma Brucksch ans Tankwitz,
zu den Lauterbachschen Eheleuten in
Tomitz als Kindermädchen in den Dienst
gegeben. ES gefiel ihr dort nicht, nnd
sie faßte den Entschluß, das sechs Mo
nate alte Kind, welches ihrer Obhntan
vertraut war, aus der Welt zn schassen,
nm ihres Dienstes ledig zu werden. Am
IV. Mai stopfte sie zunächst dem kleinen
Wesen mit Gewalt eine Handvoll
hin;» nnd bewahrte das Kind vor dem
ErslicknngStode. Acht Tage später war
Selma Brnckfch mit dem Kinde von
als die HanSsran zusah, fand sie zu
ihrem Entsetzen, daß das Kind mehrere
Strcichholzköpse mit Phosphor im Mun
de hatte. DaS Mädchen leugnete, die
selben dem Kinde in den Mnnd gesteckt
zu habe».
Am nächsten Tage, als sich Frau
Lauterbach auf einige Augenblicke in's
Nebenzimmer entfernt hatte, stellte
Selma Brucksch dem Kinde abermal
Phosphor-Streichhölzer in den Mund.
Als Fran Lauterbach zurückkam, fiel ihr
das plötzlich eingetretene Unwohlsein
des Kindes auf. Sie bemerkte, daß
sowohl die Zunge wie der Mund des
Kindes entzündet waren; zugleich schlug
ihr ein penetranter PhoSphorzernch aus
Mehrere in der Stube liegende, abge
leckt aussehende Streichhölzer belehrten
die Mutter bald, daß hier wiederum ein
schehene herbeizuholen. Als sie mit
diesen zurückkehrte, war die Selma
Brucksch verschwunden: sie hatte den
Weg durch'S Fenster genoinmen und
war zu ihren Eltern gelanse». Sofort
angewandte Gegenmittel wendeten
schlimme Folgen von dem Kinde ab.
Selma Brucksch wurde aber wegen ver
suchten Mordes angeklagt. Vor Gericht
bekannte sie sich des ihr znr Last geleg
ten Verbrechens schuldig, bestritt aber
die Absicht der Tödtung des Kindes.
Sie will nur versucht haben, dasselbe
krank zu macheu, weil sie hoffte, dann
als überflüssig entlassen zu werden.
Der Gerichtshof in Schweidnitz billigte
der Angeklagten mit Rücksicht aus ihre
Jugend sowie darauf, daß ein besonde
rer Nachtheil für das Kind nicht einge
treten ist, mildernde Umstände zn und
erkannte aui ein Jahr Geiänoniü.
Hoppelpoppel.
ES ist bekannt, wie gewaltig Napo
leon l. durch die Macht seiner Rede vor
Allem auf seine Soldaten zu wirken
wußte. Er sprach nie viel, aber in we
nigen Worten sagte er Alle:-, was er
wollte. Von der Natnr mit einem sehr
klangvollen Organ begabt, hatte er in
srüheren Jahren keine Ahnung davon,
eS richtig zn benutzen, bis der große
Tragiker Talina eines Tages, da Na
poleon, damals noch erster Konsul, ihn
fragte: „Nun, wie gefiel dir meine
gestrige Rede?" die Kühnheit hatte, zu
äußern: „Ich begreife nicht. Bürger-
Eonful, wie mau mit einem solchen Or
gan so schlecht detlamircn kann."
„Also habe ich schlecht deklamirt?*
versetzte Napoleon lächelnd. „Mag
sein, du mußt mich jetzt diese Kunst leh
ren."
Für die Folge hielt Napoleon in der
That keine Rede mclir.welchc nichtTalma
ihm vorher sorgsältig eiustudirt hatte.
Eines TageS, es war kurz vor dem
Ausbruche des verhäugnißvollcn Krie
ges mit Rußland, war Talma zum Kai
ser berufen worden, um mit ihm eine
Rede einzustudiren. Zwei Stnnden
lang mühte» sich Beide vergeblich
ab. „ES geht nicht!" ries endtich der
Künstler.
„Deine Schuld, du bist heute nickt
bei guter Laune!" entgegnete Napo
leon.
„Im Gegentheil, aber Majestät
find nicht bei Stimme. Sie sind hei
ser."
„Im Ernst? Das wäre verwunM,
ich muß morgen reden!"
Talma zuckte die Achseln, Napoleon
schellte heftig, ein Diener trat ei».
.Meinen Leibarzt!"
Der Arzt kam.
„Ich biu heifer, wie?"
„Ein Katarrh, Sire, hat nichts zu sa
gen, in einigen Tagen werden Eure
Majestät vollkommen hergestellt sein."
„In einigen Tagen? Sie sollen mich
augenblicklich kuriren!"
„Unmöglich, Sire!"
„Unmöglich? Sind Sie ein Arzt?"
„Ich schmeichle mir."
„Ohne Schmeichelei, wenn Sie mich
nicht ans der Stelle kuriren, so, so
adieu, -nein Herr!"
Entlassnng wagte Niemand etwas zu
entgegnen. Napoleon schritt erregt durch
das Gemach »nd blieb plötzlich mit
verschränklen Armen dicht vor Talma
stehen.
„Weißt dn kein Mittel, alter Freund?
Dn leidest doch auch zu Zeiten an Hei
serkeit, und ine hindert sie dich, zu spie
len : wer ist dein Arzt?"
„Monsieur Goldeubogeu, der Friseur
scher, den wir ans Weimar mitbrach
ten. vielleicht erinnern sich Eure Maje
stät."
„Nein, aber thut nichts, glaubst du,
daß er mir Helsen kann ?"
„Ich verbürge mich dafür, doch ist
das Mittet, das er anwendet, etwas
drastisch."
„Immerhin, wenn eS nur hilft, schaffe
mir deine» Friseur."
Nach einer Viertelstunde trat, außer
ordentlich besangen und mit eiuein wei
ßen Taschentuchs den Angstschweiß von
der Stirne trocknend, Monsieur Gotden
bogen vor den Kaiser.
„Ohne Umstände. Monsieur Golden
bogen! Talma hat Sie mir empfohlen;
Sie hören, daß ich von einer verwünsch
ten Heiserkeit befalle» bin. Ich will
schnell knrirt sein!"
„Eure Majestät Sire aller
gnädigster Kaiser —"
„Freilich, Sire Hoppelpoppel."
„Oppopp—pel, kurioser Name! Aber
her damit!"
Goldenbogen bat, sich in die kaiser
liche Küche begeben zu dürfen. Daselbst
angelangt, nahm er ein Trinkglas, füllte
eS mit de» Tottern von vier frischen
Eiern, warf zwei Loth seingestoßene»
weiße» Eandiszucker hinein, quirlte
Alles tüchtig durcheinander und goß un
ter sortwährendem Quirlen ein halbes
Seidel des stärksten JamaicarumS hin
zu. Nachdem er die Mischung gekostet
und wohl befunden hatte, brachte er sie
dem Kaiser und ersuchte ihn, sie auSzu
trinken. Napoleon warf einen durch
dringenden Blick auf den Trankbereiter.
der ganz unbefangen dastand, that einen
Zug, und das Glas rasch absetzend,
ries er: "
„Muß auch brennen, Sire," sagte
Goldenbogen, „muß auch brennen, sonst
Hilst es nicht!"
„Wenn eS nicht hilft, laß ich Sie auf
hängen!" erwiderte Napoleon und leerte
das GlaS.
Schon nach einer Stunde verspürte
der Kaiser bedeutende Linderung und
schlies in der Nacht vortrefflich. Am
andern Morgen war die Heiserkeit ver
schwunden und er ließ Goldenbogen zu
sich rufen.
„Machen Sie mir noch ein Glas von
Oppel—opp—pel, oder wie Ihr Teu
felstrank heißt, recht kräftig."
Freudig vollzog Goldenbogen den Be
fehl: Napoleon leerte das Glas und
felde eine Rede, die aus das Heer die
gewaltigste Wirkung ausübte. Monsieur
Goldenbogen wurde zum dritten Male
zum Kaiser berusen, der ihm hundert
NapoleonSd'or schenkte.
Als Talma den Kaiser wiedersah,
ries er: „Sire, Sie haben gesprochen wie
ein Gott!"
„Ich war etwas begeistert", erwiderte
Napoleon, „doch werde ich nicht so bald
wieder zu Eurem Opp—popp—pel grei
seit"
Noch heute wird dieses Mittel gegen
Heiserkeit in Frankreich viel gebraucht,
man nennt eS aber, da die Franzosen
die ursprüngliche, ihnen barbarisch schei
nende Benennung nicht aussprechen kön
nen. .den Napoleonstrank".