Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 16, 1890, Page 3, Image 3

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    Valesca.
(10. Fortsetzung.
Ha, das hübsche elegante Dämchen in
der kostbaren Pelzjacke ulid dem Tiro
lerhut, mit dem du dich einschlössest,
ries Selma von Hüter lebendiger im
Ausdruck als sonst gewöhnlich, das
Dämchen mit den feinen Hackenstiesel
chc» und den rothen Handschuhe»
jetzt versteh' ich dich. Alsred, und bitte
dich öffentlich um Vergebung, wenn dein
Amt es erforderte
Schvu gut. liebes Kind, wir werden
uns immer besser verstehen lernen. Der
Zimiiiethandschuh, die Flora Hegele, be
sitzt eine Schwester mit Vornamen Jo
sephine. Diese Josephine. dem Aeußern
nach eine höchst respeetable Person, hatte
sich mit ihrem Liebhaber, einem höchst
verwcge»e» »»d gefährliche» Geselle»,
der seit einem Jahre a»s dem Zuchthaus
ausgebrochen ist, woselbst er eine zehn
jährige Strafe zu verbüßen hat, über
worfeil. Glauben Sie wohl, meine
Herrschaften, daß es Menschen gibt, die
sich durch nichts, sag' ich. von dem ge
fährlichsten Raubthier unterscheide»?
Run wohl, solch ein Mensch ist der ehe
malige Buchdrucker, den sie Drücker
oder Drucker nenne». Dieser Drücker
in Gemeinschaft mit andern hat den
Ihne» allen bekannt gewordenen Ein
bruch in die Villa des verstorbene» La
zarski ausgeführt. Auch Dagobert
Frey, der Erstochene, war bei dem
Diebstahle thätig uud der Anstifter
Frey, ein zweiter Don Juan, wußte sich
der Josephine Hagele ebensallS liebens
würdig zu machen.
Josephine Hagele sah dies nicht un
gern und war im Begriff, de» Dagobert
Frey in der Kellerwohnung ihrer Mut
ter auszusuchen, als unglücklicherweis
jener Drücker hinter ihnen herkam.
Dicht an der Seite seiner Geliebten stieß
er rücksichtslos seinen Nebenbuhler, sei
nen Genosse» bei dem nächtlichen Be
suche iu der Villa Lazarsli, von deni
beide in jener Nacht soeben erst her
käme», nieder. Er hatte auch aus ande
ren Ursachen einen Haß ans jenen Frey
geworfen. Frey benahm sich ihm gegen
über stolz und rücksichtslos; er ver
schmähte einen genauern Umgang mit
Drücker. Drücker fürchtete von ihm
Bcrrätherei nnd wußte, daß Frey eine
»icht »»bedeutende Summe Geldes bei
sich trug, die später spurlos verschwun
den ist. Dies Geld war ein Theil der
eben erst gemeinschastlich gewonnenen
Beute. Drücker hatte eS dem Todten
geraubt. Unmittelbar nach dem Morde
reiste Drücker init der Ostbahn ab. Was
er weiter gethan nnd wo er sich monate
lang ausgehalten, weiß niemand. Jetzt
aber ist er zurückgekehrt.
Er versuchte seine alten Verbindungen
in dem Kellerlocale der Wittwe Hagele
nnd mit deren Tochter Josephine wie
der auzuknüpsen. Die letztere aber,
seitdem er den Eassirer an ihrer Seite
erstochen, verabscheut ihn. Weg mit
deiner Hand! rief sie ihm voll Ekel zu,
als er sie durch Handschlag begrüßen
wollte. Die Folge dieser Unbedacht
samkeit war, daß Drücker ergrimmte
und die entsetzlichsten Drohungen gegen
Josephine ausstieß. Das Mädchen
fürchtete sich, sie wnßte, daß den Dro
lningen des Gefährlichen die That auf
Sem Fuße z» folge» pflegt. Sie klagte
ihre Angst der Schwester, und diese,
der Zimmeihandschuh, unternahm eS,
für die Sicherheit des bedrohten Lebens
der Josephine den Beistalid der Behörde
anzurufen. Dies der Grnnd, weshalb
Flora sich mit ihrer Anzeige meldete,
ihre Wissenschaft vön dem Tode des
Eommis mag ihr auch sonst wohl schwer
auf der Seele gelegen haben. Dem
Staatsanwalt habe» wir die Sache
leicht gemacht; er darf nur die Anllag«
erheben und darf die Gerichte nicht erst
mit weitere» Ermittelunge» behelligen.
Die ruhmredige Auseinandersetzung
des PolizciassessorS über die Gesäugen
nähme des Rentners Hünernest unter
drückte bei den nächsten Gängen jedes
andere abweichende Tischgespräch. Nu,
Wolsgang war nicht recht bei der Sache.
Seine Blicke ruhten unablässig aus sei
ner Tischnachbariii, Fräulein Betty
d'Jsraeli, nnd über seinem Gevlander
mit dieser Freimdin vernachlässigte er
sogar, was sonst nie von ihm geschehen,
die Sorgsamkeit »nd Ausmerksainkeit
aus die gehörige Ordnung nnd Bedie
nung seiner Gäste.
Erzählen Sie doch auch etwas näheres
von dem Zimmethandschuh. Herr Asses
sor, sagte der Rittmeister Latour. Frau
Selma von Hüter wünscht jedenfalls
noch eine genauere Beschreibung Ihres
Zusammenseins »nd alles dessen, was
.gesprochen und geschrieben wurde. Auch
wir nehmen begreiflicherweise an allen
fchöneii Verbrecherinnen besonder» An
theil. Und schön war doch der Zimmet
handschnh, nicht wahr, Herr Assessor?
Selbstverständlich, bemerkte der Pro
fessor von Lerbach wie hätte er sonst
unsere liebenswürdige Frau Assessor so
bedentlich aiisrcge» könne».
Für ei» Furioso hat Fräulein Selma
Verena nie besondere Anlage gezeigt,
meinte der Professor Teillinger, aber
das Larghetto gelang ihr besoi-.dcrS, ein
Staccato hab' ich niemals vo» ihr ge
hört.
Der Assessor lachte. Meine Frau
Ireibt gar keine Musik mehr, ich bilde sie
jetzt zu meinem Seeretär heran, und da
bei wird sie wohl bald genug einsehen,
daß bei u»!ern Verhandlungen und
Feststellungen daS Herz, ich sage auch
das Gemüth und Gesülil aus dem Spiele
bleiben muß.
Diese paradoxe Behauptung rief all
gemeinen Widerspruch, aus Seite» der
Damen einen wahren Sturm der Ent
rüstung hervor.
Alfred, ich kenne dich nicht wieder,
tönte SelmaS Stimme dazwischen. Er
ist ein Heuchler, er verstellt sich, ich kenne
sein Herz besser.
Die Meinung der Mehrheit ist. rief
der Prosessor Lerbach, daß jede gute und
menschliche Handlung, selbst das über
den Niedrigsten und Schlimmsten gefällte
Urtheil, auS der Quelle geschöpft sein
muß, aus welcher im Ansauge das ganze
Gebilde des nienschliche» Körpers her
vorging, aus dem Herzen!
Wir kommen ans dem Gebiete des
Thatsächlichen aus philosophische Unter
scheidungen, wohin ich allerdings nicht zu
folgen vermag, vertheidigte sich der As
sessor von Hüter. Sie werden mir aber
recht geben, daß der Stimme des Her
zens allein gefolgt zu sein, in der Welt
schon das größte Unheil angerichtet hat.
Wir in unserer amtlichen Thätigkeit
müssen nnS gewöhnen, nicht nach dein
Gesühl, sondern nach dem strengen Buch
staben des Gesetzes zn verfahren.
OdysseuS ließ schob der Professor
ein, als die Sirenen lockten, sich an den
Mastbauin seines Schiffes festbinden.
Sind Sie diesem Beispiele gefolgt,
Herr vo» Hüter, sragte der Rittmeister
Latour, als der Ziuimethaudschuh bei
Ihnen eintrat?
Wenn ich anch nicht OdysseuS bin,
entgegnete der Gesragte, so weiß ich doch,
daß die K lugheit die größte Vorsicht bei
dem Verkehr mit Personen gebietet, ge
der Flora Hagele war dies ebenso der
Fall, liebe Selma. Dies war umso
mehr geboten, als ihre Aussage «ich!
blos den Drücker, dessen wir noch nicht
habhast sind, betraf, fvndcri« auch eine
andere sehr bedenkliche Persönlichkeit,
gegen welche die Flora Hagele nur
Schritt vor Schritt mit ihren Bezichti
gungen hervortrat, da dieselbe in nahen
Beziehungen z» ihr selbst stand. ES war
daher ersorderlich, den Nachweis des
Mangels jeder gewaltthätigenßefraguug
sogleich zur Hand zu haben. DaS große
Ergebniß dieser Befragung war denn
des bereits erwähnten Rentners Hüner
nest sowie eine Durchsuchung der Woh
nung desselben, welche diebcdeiitsanistc»
serte.
zu der neben ihm sitzenden Dame, der
Frau des Archttecturmalers Schirm.
Dieser Mcnsch, der Assessor, ist unaus
stehlich mit seine!! Criminalgeschichten.
den kein Vorrecht darauf, meine Gnä
digste von den« Schwirren der Sai
ten aufs äußerste angegriffen waren.
man sagt, das wäre sür Dame» nicht
recht schicklich.
Sie haben eS auch nicht mehr nöthig,
voller Activität, weniger Baron Berns
Gäste als Geschworene, die der Assessor
anredet.
Dame, ihren Fächer senkend, hinter des
sen Schnvc die zuletzt gedachte, leise
Zwiesprache stattgehabt hatte, au de»
zuhöre»?
Hünernest, sagte der Rittmeister är
gerlich, ein seltener Name, der wie die
wohl nur ersliudeii ist!
Aenßerst scharssinnig bemerkt, wa-Z
den Name» aabelangt, vemerkle der
Assessor. Hünernest, Philipp Himer
ncst, so wurde er sätschlich bezeichnet; er
selbst nauntc sich so, sein wahrer Name
aber ist Philipp Berg. Er stammt aus
eiuer recht achtbaren Familie, die noch
in der Residenz durch Aligchörige.welche
vo» seiner Existenz nichts wußten, ver
treten ist. Er ist ein Sohn des verstor
benen GeheimralhS Berg, eiiieS ge
schätzte» Beamten und verdienstvollen
Patrioten. Schon vor vielen Jahren
ist er seinen Ellern entlause». Ei»
völlig verwahrloster, sittlich versunkener
Mcusch, der Genosse jenes Frey, de,
diese» erstach.
In diesem Augenblicke ließ Wols
gang, der deni Gespräche nur wenig
Aufmerksamkeit geschenkt hatte, di«
Champagncrschalen von neuem füllen
Während er mit diesem Befehle sich an
die Dienerschaft wendete, entging ihm,
daß Doetor Richard Reinland bleich wie
eine Leiche wurde und von dem Stuhle
gesunken wäre, hätte er sich nicht inil
beiden Händen noch au deni Sitz fefthal-
eine Viertel Secunde. Reinland saßt«
sich schnell wieder und stürzte ei» Glas
voll des schweren Rheinweines herunter,
der zu dem Rehziemer aus die Tasel ge
setzt worden war.
Wolsgang erhob sich, nnd an sein
Glas schlagend, sprach er mit lauter
Stimme. Viele Neuigkeiten grauser
Art sind hier erzählt worden, geeignet,
uiisern Wein zu trüben, geeignet, die
von Gerold gespendeten Austern zu
veranlassen, in ihre kaum ausgesperr
ten Schalen sich wieder zu verber
qen, die Hummer bis zu den
Scheren erblassen zu machen. Es ist
Pslicht des Symposiarchen, dem gitten
Geschmack auszuhelfen durch erfreuliche,
vielleicht nicht ganz »»erwartete, aber
von Ihnen darum doch gewiß mit
Freuden begrüßte Botschaft. Mancher
von Ihren hat gefürchtet, ich würde ein
Opfer der Hai- »nd Sägefische in der
Südsee bei dem Abganz nach einer
dort neu erworbenen deutschen Station
werden.
Es wird zu Ihrer Beruhigung ge
reiche», daß ich »icht nur auf nieliie po
litische Carriere, aus jede Anstellung im
Staatsdienst, sondern auch auf jedes
Vorrecht eines Junggesellen von heute
ab verzichtet habe. Ich habe die Ehre,
in Fränlein Betty d'Jsraeli Ihnen
meine heißgeliebte Braui, die künftige
Gefährtin meines Lebens, vorzustellen.
Mein einziger Berus wird fortan sein,
die Liebe der edlen und vornehmen
Künstlerin zu lohnen. Stoßen Sie an:
Das neue Brautpaar soll leben!
Dem anfänglichen Schweigen des
Staunens »nd der Ucberraschuug folgte
»ach diesem Toaste, den Wolsgang, daS
Glas in der einen Hand, die andere »in
de» Nacken der Geliebten gelegt, ge
sprachen hatte, ein nicht endenwollender
Jubel. Alles sprang von den Stühlen
und umringte das Brantpaar mit herz
lichen und laute» Glückwünschen.
Auch Toctor Reinland, langsam und
schwankend, nahie sich init dein gestillten
Glase.
Ha! rief mit Heller, daS Gewühl
durchdringender Stimme der Professor
von Lerbach, ein begeisterter Verehrer
der d'Jsraeli, der Barou Bern ist der
glücklichste der Sterblichen! Auf ihm
ruht fortan der ewige Glanz, der auS
dem göttlichen Wesen unserer heiiiiischeu
Kunst strahlt. Berühmt wie seine Gat
tin wird unser Frennd schon dnrch daS
Band der Ehe sein, selbst wenn die vie
len eigenen Verdienste, die er um
deutsche Musik, Malerei und Poesie hat,
ihm nicht schon den Kranz de» Raumes
aus die Stirn gedrückt hätten.
Der Doetor Reinland senkte seinen
Arm, dessen Hand den Champagnerkelch
krampshast hielt. Berühmt berüch
tigt! murmelte er vor sich hin.
Schmerzlich empfand er den Gegensatz
seines Schicksals zu dem des Freundes,
indem er, seinen Glückwunsch zu stam
meln, an die vor Entzücken strahlende
Betty d'Jsraeli herantrat. Ein Glanz
lag über dem zu ihrem Verlobten hin
gewandte» Antlitz, der diesem letzteren
einen nie geahnte» Ausdruck, ihren un
regelmäßigen Zügen de» Schimmer von
Hoheit und unaussprechlicher Seligkeit
verlieh. Aus dem Angesicht Wolfs
strahlte dieser Glanz zurück.
Sie werden daS Glück meines Freun
des Zeit seines Lebens sein, sagte er,
mit ihr anstoßend, bewegt. Ihr Name,
dem seinen zugesellt, ist reinste Harmo
nie.
Dann wandte er sich ab und verließ
unbemerkt >i»d still de» Kreis der immer
stürmischer sich gestaltende!! angeregtem
Gesellschaft.
ZwanzigsteS Capitel.
Wenn der Zufall, oder sagen wir
lieber die Vorsehung, der strafenden
Gerechtigkeit nicht so häufig iu di«
Hände arbeitete, so würde die Letzter«
oftmals »in ihre beste» Erfolge gebracht.
Die Mittheilungen, welche der Assessor
von Hüter am BerlobungStage Wols
gangs von Bern-Ergcstedl gemacht,
lieferten dafür Beweis genug. Del
Verrath des Zimmethandschuhs bracht«
eine Reihe der schwersten Verbrechen an
daS Tageslicht, sie hellte» das Tunkel.
welches bisher über die Ermordung
Dagobert Freys geruht, sie führten zu»
Entdeckung der Thäter des LazarSki'-
fchen Einbruchs und lieferten den
Rentier Hünernest der irdischen Ver
geltung auS.
Daß der Name Hühncrnest. nnter
welchem der sogenannte Rentner lang«
Zeit unerkannt in dem Vororte gelebt
hatte, ein angcnommener sei, wurde so
gleich vermuthet. Nachforschungen, di«
in Hamburg, wo Hühncrnest srüher sich
ausgehalten, angestellt wurden, und di«
Auskunst von London, welche das Aus
wärtige Amt erzielte, führten zn dn
Gewißheit, daß unter diesem Name»
der vor viele» Jahren entwichene Sohn
des Geheimraths Berg, jener Philip,
der in seinem sechzehnten Lebensjahr«
den Weg des Verbrechens betrat, sich
vermummt gehalten hatte. Philipp
Berg, in die Enge durch die schlagend
sten Beweise getrieben, mußte dies selbst
schließlich zugestehen.
Er wurde seiuer Mutter, -r ,'uroe
seiner Schwester vorgestellt. Die letz
tere vermochte ihn, da sie bei seiner
Entfernung noch ein kleines Kind war,
nicht wieder zu erkennen, der Mutter
aber war eS nicht möglich, ihn abzu
leugnen. Eine Thränensluth entstürzte
den Auge» der Fra» Ludovica. Sie
warf sich auf ihre Kniee, umsaßie di«
scinigeil.
O Philipp, Philipp, rief sie, müssen
wir uus so wiedersehen!
Diese Wiedererkennnng wirkte aus
Valesca und die Mutter sehr verschie
den. Valesca cmpsand die Last einer
neue» Schmach; diese Last drückte ihr«
' Gemüthsstimmung immer tiefer und
befestigte sie in dem einmal gefaßte»
Entschlüsse llmsoinehr, als das Zer
würfnis; mit der Mutter durch de» Ge
gensatz der Empfindungen noch klaffen
der wurde.
O, wäre er längst gestorben, hätt«
das Meer doch den Unseligen im tief
sten Schoße begraben, ehe er zu uns zu
rückkehreu und das Andenken seines bra
ven Vaters schänden koünte! So äußerte
sie zu der Mutter auf dem Heimwege
aus dem Gesängnisse. Die Mutier warj
ihr einen zorneSsuukelnden, vernichte»
den Blick zu. Dein Herz ist von Stein,
rief sie. du hast es in jeder Lebens
läge bewiesen, als du den Doetor
Reinland und viele andere von dir stie
Best, die das Glück deiner Mutter zu
machen imstande waren. Mag Philipp
auch schlecht sein, wer weiß, welche Wege
ihn zum Abgrunde geleitet habe». Aber
sein Herz ist nicht wie deines ich sah
es au seinem Zittern, an der Thräne
seines Auges, als er meine Verzweis
lung bemerken mußte!
Ja, ein Stein war das Herz Vales
cas, aber ein Edelstein. Was nützl
übertriebene mütterliche, blind«
Zärtlichkeit, die so ost der Anlaß zum
Verderben verzogener Kinder bietet,
was nützt die Liebe in Fällen, wi
ernste, strenge Zucht geboten war? Und
vor dem Bösen, welches den ganzen
Menschen uurettbar vergiftet hat, muß
auch die liebevollste Theilnahme weichen,
will sie zum Mitschuldigen des von Gott
und Mi-nfchen verspottenden Frevlers sich
nicht mache». ES gibt Thaten, entgeg
nete ValeSea, welche die Bande des
BluteS lösen!
An demselben Tage, wo Frau Ludo
vica und ValeXa diese Worte wechsel
ten, erhielt der Assessor vo» Hüter einen
neuen Beleg für die Behauptung, daß
die Vorsehung sehr häufig das Richter
amt der Vergeltung übt. Der Drücker,
der fluchwürdige Genosse Philipps, war
feit dem Morde Freys spnrloS ver
schwlillden. Alle Nachforschungen nach
ihm, die i» der letzten Zeit mit erneutem
Eiser angestellt wurden, blieben frucht
los. Au dem erwähnten Tage aber
meldeten sich, von namenloser Angst ge
trieben, Flora und Josephine Hagele
abermals in de»« AmtSzimmcr. Ach,
Herr Assessor, flehte» sie beide abwech
selnd, retten Sie »ns, schützen Sie uns,
erlassen Sie einen Hastbesehl gegen
unS, sperren Sie uus in Moabit ein, in
die sicherste Zelle. Er ist wieder hier,
Drücker hat sich gezeigt. Josephine soll
nm vier Uhr an der Flora im Thier
garten sein. Er will sie sprechen.
Hier ist ein Zettel, von seiner Hand
geschrieben. Er schießt mich nieder,
jammerte Josephine, ich weiß eS, ich
kenne ihn, u»d ich möchte »och nicht ster
ben.
Hüter suchte die beiden Mädchen zu
beruhigen. Alleiii vergeblich. Sie ken
nen ihn nicht, wiederholten beide, aber
wir kennen ihn. ES ist mein Tod! klagte
Josephine.
Und doch sagte der Assessor end
lich Josephine muß seiner Aufforde
rung Folge leisten. Sie müsse», schön
stes Kind, zu der bestimmten Zeit im
Thiergarten bei der Flora sein. Es
soll Ihnen nichts g-schehen, ich versichere
Sie. Verlassen Sie sich aus mich. Sie
sollen dergestalt gesichert sein, daß Ihnen
nicht ein Härchen gekrümmt werden kann.
Er ist geknebelt, ehe er die Hand rührt.
Allein die beiden Mädchen waren
allen Vorstellungen unzugänglich. Ter
Assessor war in einer gelinden Ver
zweiflung. Ein Mittel, die Josephine
Hagele zu zwingen, ans dein Floraplatze
sich zu zeigen, gab eS nicht. Der Assessor
mußte eiuen andern Plan entwerfen.
Nun gut, fagte er endlich, wenn Sie z»
feige find, die fünshuudert Mark zn ver
dienen, die auf feine Ergreifung ausge
setzt sind, so muß ein anderer gehen.
Lassen Sie Hut, Schleier, Umhang »ni
Soitiicnschirm hier, Josephine. Ich
gebe Ihnen, da Sie sich fürchten, einen
Schutzmann mit, der Sie begleite» und
von Ihne» nicht weichen soll, bis wir
den Drücker gefangen haben. Sie solle»
sehen, Punkt vier Uhr Nachmittags ist ei
in unserer Gewalt.
Er klingelte und gab seine Befehle,
die darauf hinausliefen, daß ein Poli
zeibeamter, dessen Figur Aehnlichkeit
»lit der Gestalt JosephinenS hatte, in
Weiberkleidern, mit Hut, Schleier, Um
hang und Sonnenschirm JosephinenS
ailsgerüstet, den Verbrecher an dem be
zeichneten Orte erwarten und wohl
bewaffnet und von zahlreichen, ebenfalls
verkleideten versteckt aufgestellte» Schutz
leute» unterstützt, die Festnahme aus
sühren sollte.
Voller Erwartung wurde dieser Plan
in'S Werk gesetzt. Allein die ausge
sandten Beamten kehrten »ach Verlauf
der ihnen bewilligten Zeit mit der Mel
dung zurück, daß nichts verdächtiges sich
habe blicken lassen. Drücker war viel
leicht gewarnt oder die beiden Sckiwe-
Mystisication geworden.
Um Z Uhr Nachmittags schlenderte
ein nachlässig gekleideter, wüst aus
sehender Mensch auf dem Trottoir die
Linden entlang nach dem Brandenbur
ger Thore zu. Dem schwankende»
Gange nach hielten die Personen, welche
ihm begegneten, den Menschen für einen
betrunkene» Matrose». Damit stimmte
Er schlenkerte die langen Arme und spie
auf das Pflaster. Er wich keinem der
ihm Begegnenden aus und holte, in der
Mitte der Straße stehen bleibend, ein?
Eigarre nnd Streichhölzchen aus der
Westentasche hervor. Er zündete die
Eigarre an, nachdem er das Streichhölz
chen an seine» Beinkleider» angestriche»
hatte. Das noch brennende Hölzchen
warf er einer vornehmen Dame, die ihm
Der kräftige Griff eines Schutzman
nes, welcher den frechen Menschen be
obachtet hatte, schleuderte ihn herum.
Marsch, fort mit dir! herrschte der Be
amte dein am Kragen Ergriffenen zu.
In diesem Augenblick zog der Letztere
einen Revolver. Der Faustschlag
eines zweiten Schutzmannes schlug die
Waffe nieder. Aha! So meinst du es
—sagte der ersterwähnte Beamte. Das
ist kein gewöhnlicher Strolch. Halte»
»vir ihn fest.
Ei» kurzer Widerstand war bald
überwunden, und ohne großes Aufsehe»
wurde der fremde Mensch in einer her
beibeordertcn Droschke fortgeführt.
daß man es mit keinem gewöhnlichen
Landstreicher zu thun habe, bestätigte
sich. Aus dem Wege nach dem Flora
platze war Drücker—der lange Zeit ver
geblich gesuchte Verbrecher, a»S einem
nicht ebc» im Straßenverkehr aiißcrge
wohnlichen, geringen Anlasse der Obrig
keit in die Hände gefallen, und es er
klärte sich, weshalb er bei dem geplanten
Stelldichein an der Flora im Thiergar
ten nicht erscheinen konnte.
Mit Drückers Festnahme war der
letzte Anstoß beseitigt, welcher der Er
hebung de? AnNage gegen seine Genos
sen, unter denen Philipp Hühnernest
besonders sich auSzeuhnete, noch entge
gengestanden hatte.
! Der Proceß gegen Hühnernest reizte
die Neugier des auf Verbrechen lüster
nen Publikums uinsomehr, als verlau
henen Beamteusamilie stammle »nd der
Bruder der bekannten blonden Vally
fei.
An dem Tage, an welchem ValeSea
?erg die Voriadung zu einer Zeilge»-
ilbfchied vo» der Mutter die gemein
schaftliche Wohnung.
ValeSea hatte ihre kleinen Schmuck
sachen, Brache und Ringe, sämmtlich
heute abgelegt. In dem Beikästchen
oer Commode befanden sich einige Tha
!os hinnahm. Tann ging sie. Die
Mutter sragte nicht einmal, wohin?
Einundzwanzig st esKapitel.
ES wird spät; wohin nur ValeSea
gegangen sein mag? sragte Frau L»do
konniicn.
Während ihre Mutter auf diese
Weise ihre Besorgnis; um das längere
Ausbleiben der Tochter zu beschwichti
gen versuchte und soeben die Lampe an
gezündet hatte, wurden hastige Schritte
auf der Treppe hörbar. Dann erklang
die Schelle lauter als sonst.
Gleich darauf trat ei» unerwarteter
Besuch in das Zimmer der Geheim
räthin.
Willkommen uud herzlich gegrüßt,
liebe Ludoviea, rief i» freudiger Erre
gung eintretend der Doetor Heinrich
Gemkenthal. Er ulnarmte und küßte
die Geheimräthin.
Du, Heinrich? Welch ei» Wunder!
Wie lange hast Du Dich nicht blicke»
lassen. Aber es ist Dir in der Zwi
schenzeit, wo wir unS nicht sahen, gn!
ergangen. Du siehst so frisch, jugend
lich und unternehmend aus! Wir glaub
ten, Du hättest nnS vergessen.
Die frische Seeluft, die mich ange
weht, mag mir wohl gethan haben »nd
mir Farbe verleihen. Wie bin ich froh,
glücklich wieder angelangt z» sein.
Du warst verreist und lange Zeit,
Wochen- und monatelang?
Tu fragst das nimmt mich Wim
der. Ist denn mein Brief aus New
Uork nicht bei Esch angelangt?
Ein Brief —in der That, nein!
Und auS New Aork? Du hast nicht
ben.
Scherz? Ich verstehe dich nicht.
Sollte der Brief verlöre» gegangen
fein? Er enthielt eine kleine Summe
Geldes. Doch das nebenbei. Dil weißt
Einrichtung eines überseeischen Zweig
geschäfts. Mein erster Cominis hat
dort ein Verlags-Comptoir eröffnet,
verbunden mit einer dentschen Lesehalle.
aus meine Theilnahme uud meine Mittel.
Ich mußte seinem Wunsch entsprechend
selbst hinüberkommcn. Ich reiste, ohne
Verlin zu berühren, unmittelbar von
Stuttgart, wo ich ebenfalls Geschäfte
hatte, über Havre. Eine angestrengte,
ungewohnte Thätigkeit. Ich habe
einige Wochen dafür büßen müssen, die
ich krank, dem Tode nahe, in New Aork
verbrachte Gott hat geholfen. Nun
bin ich wieder gestählt und srene mich
der wiedergewonnenen Heimath und
meiner Lieben. Erst heute angekom
men, ist mein erster Weg z» euch.
Er sah sich in dem Gemache nm, wie
Miene das Gepräge der Traurigkeit an.
Ach, sagte er, ich vergaß. Ich dachte,
es wäre noch wie ehedem. Doch ich
sinde unsere liebe, süße ValeSea nicht
mehr hier. Sie ist gewiß inzwischen
dem Gatten gefolgt uud die glückliche
kleine Frau des Doetor Reinland.
Frau Ludovica seufzte und ver
stummte.
Du ängstigst mich. Ist Balesca nicht
glücklich?
Ach, lieber Heinrich, du hast doch ge
wiß erfahre», daß Doetor Reinland
sie stockte.
Nun, Neinland?
Aus der Partie ist nichts geworden.
Reinland hat gebrochen und die Ge
schenke zurückgeschickt.
Diese Nachricht, welche Ludovica um
ständlich und unter Thränen wieder
holte, machte auf Gemkenthal keines
wegs den niederschlagenden Eindruck,
welchen Ludovica erwartet hatte. Nu»
tröste dich, das ist kein Unglück, meinte
Gemkenthal, vielleicht sind dem lieben
Kinde viele Kümmernisse erspart. Sie
wird dich nicht haben verlassen wolle».
Sicherlich ist die Auflösung des Ver
hältnisses durch sie selbst gewünscht
worden.
Ei, dn böser Mensch! Wenn es nach
dem Kopse eines alten Junggesellen
ginge, so käme kein Mädchen unter die
Haube.
Doch Ivo ist Balesca? warum läßt
sie sich nicht sehen?
Sie ist seit heute früh von Hause
fort. Ach, lieber Heinrich, wir haben
recht viele Schicksale gehabt, seitdem du
dich von uns fern hieltest. Setze Dich
nur. ValeSea bleibt länger als ge
wöhnlich aus. Wüßte sie, daß du hier
wärest, wie würde sie sich beeilen.
Nimm einstweilen eine Tasse Thee an.
Wir haben nichts besseres zu bieten.
Doch halt! Vielleicht ein Glas Wein.
Es war für einen andern bestimmt, der
:S nicht annehmen durfte.
Gemkenthal war unruhig. Ich möchte
Misere ValeSea so gern wiedersehen,
sagte er. Sie bleibt auffallend lange
»US.
Ja! Sie ist auch in der letzten
Zeit recht mißmuthig gewesen. ES hat
vielerlei Unannehmlichkeiten gegeben.
Setze dich nur, ich kann nicht sehen, daß
du länger stehst. Ich will dir alles er
zählen. Denke Dir: Philipp, mein
armer Philipp ist wieder zum Vorschein
gekommen.
Zum Vorschein, sagst du. Wo ist er?
Nicht bei dir du weinst?
Ach, Heinrich, keine Freude wird uns
ungetrübt zutheil. Man bcschuldct den
Philipp schwerer Vergehungen. Ge
wiß. zum größten Theil mir Unrecht.
Er ist —er ist im Gefängniß.
Gemkenthal lehnte sich erschrocken in
dem Armsessel zurück, auf dem er Platz
genommen hatte, und hörte mit krampf
haft gefaltete» Händen die weitere Er
zählung der Geheimräthin über die Ge
fangennahme Philipps, über die An
klage seiner Genossen und dessen, was
Philipp selbst verschuldet haben sollte,
an.
Mein Gott! sagte er, ich habe von
Philipp Hünernest, von dem getödtete»
Frey und seinem Mörder so vielerlei in
den Zeitungen gelesen. Es ist entsetzlich,
und dieser Name Hüner»est ist ein angc
nommener, hinter dein dein Sohn Phi
lipp sich verbarg? O. wäre der Unselige
doch nie wieder zum Vorschein gekommen
und hätte in dem Weltmeer, das ihn ge
tragen, sein wohlverdientes kaltes Grab
gesunden!
Die Geheimräthin starrte ihn an. Du
und ValeSea, ries sie leidenschastlich, seid
einerlei Meinung. ValeSea hat mich
durch dieselben Worte gekränkt. Edle
Seelen sittden einander.
Es gelang der gütige» Zuspräche
GcmkenthalS, ihre» Zorn zu besänsti
gen. Wohl, ich begreife, schloß er, daß
das Herz einer Mutter, iurmerhin noch
eine kleine Entschuldigung findet.
Philipp, armer Philipp, schluchzte
Ludovica. DaS böse Wort Valescas
über dich ist wie ein zweischneidiges
Schwert zwischen Tochter und Mutter
gcsahre». ValeSea und ich haben seit
dem nicht mehr friedlich miteinander ge
lebt.
DaS darf nicht sein, darf nicht fei»,
zwischen Mutter und Tochter, äußerte
Gemckeuthal, den diese Aeußerung Lu
dovicas offenbar besorglich machte. Va
lesca, unser liebes Kind, hat sicherlich
Dich nicht kränken wollen. Und sie ist in
Unmuth von Dir geschieden? Es ist
spät. Wann ging sie fort?
Eine wachsende Unruhe machte sich
bei Gemkenthal, als er so sragte, be
merllich. Er sprang auf und maß mit
hastigen Schritte» das Ammer. Ich
habe sie heranwachsen sehen, diese zarte,
bescheidene Menschenblüthe. Als Kind
trug und schaukelte sie m-un Arm. Nie
mals, »ei», niemals hab' ich eine Re
gung von Haß, von verhaltener Bitter
keit a» ihr bemerkt. Si« liebte die
Wabrheit, die Tugend, als sie sich lieb
licher als alle ihre Gespiele» entfaltete.
Mit treuer Sorge opfert'- sie ihren
nächtliche» Schlas der fleißige» Arbeit
sür den Unterhalt der Mutter. DaS
Leid, welches böse Mensch?» über sie
brachte», trug sie mit Sanftmuth und
ohn: Haß. '
Er hielt plötzlich nach diese» Worten
inne uud blieb vor der auch ihrerseits
nachdenklich gewordenen Lndovica ste
hen. Wann verließ sie Dich? sragte er
mit schariem Tone, in welchem Anlaß,
und ist sie jemals so lauge als heute ser»
von Dir gebliebe»?
Seit heute Vormittag. Sie ging
nicht in, Zorn. Sie nahm zärtlichen
Abschied vo» mir. Sie ließ mir den
Schlüssel zn ihren kleinen Ersparnissen
zurück, wen» ich von denselben in ihrer
Abwesenheit etwa Gebrauch mache»
müßte meinte sie.
Gemkenthal sah nach der Uhr. Die
nennte Stunde! Ries er. Und D» bist
unbesorgt? O, »»ich überfällt Angst,
wenn ich das, ivas Du gesagt, näher be
denke. Gewiß, eS ist ihr ein Unglück
widerfahre».
Sollte sie wie Philipp un-Z verlassen
haben?
Gemken'hal schüttcltcheftig den Kopf.
Nenne, ich bitte Dich, die beiden Uinder
nicht nebe» einander. Wo ist der Com
invdenfchlüsjcl?
Hier!
Gemkenthal nahm hastig den darge
reichten Schlüssel und öffnete daZ tloni
modcnfach. Ihre Ringe, ihre Brosche,
die sie täglich trug ich kenne sie! lies
er zurücksahreud und erbleichend.
Und da ein nicht versiegelter Bries
an mich. An meine Mutter!
Daneben eine Ladung des Crlminal
gerichtS als Zeugin! rief Ge»ikc»lhal
>!» d entriß niit zitternder Hand de» Um
schlag des Brieses der Geheimräthin.
Er überslog den Inhalt. Sein Athem
keuchte als er las: „Ich weiß, daß ich
Dich ostmals gekränkt habe, liebe Mut
ter, daß ich ost Deinen Willen entgegen
war. Ich bitte Dich in dieser Abschieds
stunde recht herzlich um Vergebung.
Gedenke meiner, wenn Tu diese Zeilen
liest, und ich nicht mehr an Deiner Seite
weile, in aller Liebe. Alle Menschen
wenden sich von der blonden Bally, der
Schwester Phillipp Hünernests, mit
Spott und Verachtung ab. Ich weiß,
daß ich durch meinen Rns den Toctor
Reinland ebenfalls unglücklich gemacht
habe - ich war bereit Deinetwegen
seinem Wunsche Folge zu geben; er
hat die Hand der berüchtigten blonden
Vally zurückgestoßen, die sie »ach ihm
ausstreckte. Ach, selbst Heinrich Gein
kentbal hat »ns verlassen, wie ich glaube
au» demselben Grunde.
(Fortsetzung folgt.)
Mißverständnis Ver
theidiger (bei seinem Elienten im Ge
fängniß >: Ja, ich würde Sie schon leicht
vom Diebstahl losbrnize», würden nicht
die Judicien noch an Sie zum Verrä
ther. Dieb: Hm, hätt' ich das ahnen
können, so hätte ich gleich die Jndicicn
initgcstohlen.
Verrannt. Hauptmann (zum
Feldwebel): Hören Sie, Feldwebel
Schwarz, schon wieder ist ein Manu
über den Zapfenstreich ausgeblieben;
hatten Sie es ihm vielleicht erlaubt?
Feldwebel: Nein! Ich werde doch nicht
so dumm sein, ich bin ja kein Compag
nie Ebef.
3
Tie Ketsterhanv.
Unlängst ereignete sich in der FamM»
des Geheimen Kommerzienraths L. ein
Vorfall so lese» wir im Berliner
„Kleine» Journal", welcher noch ein
mal die in den letzten Wochen abgehan
delte spiritualistische Gespenstersurchl
wachzurufen bestimmt war, und den wir
deshalb zu Nutz und Frommen uusere»
Leser hier mittlieilen. Fritz, der drei
zehnjährige Sohn des Geheimraths, ein
frühreifer, begabter Junge, der es nicht
unterließ, mit Aufmerksamkeit die lokalen
Spalten der Tageszeitiiugen zu studiren,
hatte naturgemäß jenen erschütternden
und unheimlichen Borgängen in den
Mädchenschulen sein höchstes Interesse
zugewendet. Er hatte, der Sohn eines
klar dtlikenden Vaters, in dessen Fa
milie jene Vorfälle als Unfug gebrand
markt wurden, sehr eingehend über di«
Entstehttngsgründe der an den Schul
tafeln sichtbaren Gcistcrschriste» nachge
dacht und seine Ansichten mit gleichge
stimmte» Kamerade» ausget.iilscht. Ob
wohl diese jugendliche, von dem hoff
nungsvollen Fritz geleitete Kritik, weit
entfernt davon, an überirdische Ursachen
zu glauben, sich durchaus aus realisti
schem Bode» bewegte, so lamcn dennoch
eines schönen Tages in dem Hause des
Kommerzienraths selbst Dinge zum Vor
schein, die sich nicht erklären ließen, unt
die so merkwürdig und gespensterhaft
aussahen, daß sie die Familie in nicht
geringe Ausrezung versetzten. Ueberall
nämlich, wo irgend ein dunkler Unter
grund sich darbot, zeigte» sich weiße,
offenbar mit einer kreideartigen Mass«
hergestellte Todtcnköpse.
Auf de» Sammetmöbeln, ausden Ta
peten, aus den Platten der Holztische,
an Wänden, kurz an allen mögliche»
und unmöglichen Orten waren du
entsetzlichen Zeichnungen sichtbar. Und
das Wunderbare bei der Sache war, dag
diese Zeichnungen »icht mit markirte»
Strichen auf der Fläche erschienen, wie
sie ein menschliches Wesen denn doch
ohne Zweifel angefertigt haben würde,
sonder» mit halb verwischte», schatten
artige» Konturen, deren Wesen aus et
was Seltenes und Unbegreifliches hin
deutete. Die Gemüther der Haushal
tung wurden allmählich in eine begreif
liche Erregung versetzt. Das „seiuer«
Stubenmädchen" bekam Weinkrämpfe
die Köchin versalzte alle Suppen, di,
F-au Geheimrath wurde nervös, de»
Gemahl schwor dem niieiitdeckten Urhe
ber dieser Allotria fürchterliche Räch«
und Fritz stellte in Gegenwart seine»
Eltern ii»d Dienstpersonals in jugend
lichem Eiser Untersuchungen an, ohne
dem Thäter auf die Sp»r zu kom
men. Jüngst nun kam i» Folge
eines erneuten GeisterangrifsS Licht i>,
die Finsterniß. Die Frau Geheimratl,
war gegen Abend im Begriff ins Theater
zu fahren.
Sie hatte bereits ihre Toilette been
det nnd begab sich in'S Familiclizimiiier.
um ihrem Fritz, der dort feine Schul
arbeiten anfertigte, Adieu zu sagen.
Die Dame legte ihren schwarzgegruude
teii Fächer aus den Tisch und trat dann,
sich die Handschuhe abstreifend, einen
Augenblick aus Fenster, u:» »ach dem
Wetter zu schauen. Als sie sich um.
wandte, wünschte sie ihrem Jungen Le
bewohl, nahm de» Fächer und ging zur
Thür tunaus. Dreiviertel Stunde!»
später wurde daS Haus des Geheimraths
durch eine Schreckensbotschast alarmirt.
Die gnädige Fra» war im Theater ohn
mächtig geworden nud kehrte in sehr
angegriffenem Zustande zurück. Alz
sie in der Loge ihren Fächer entfaltete,
hatte ihr von dem schwarze» Grund«
desselben ein weißer Todtenkops entge
gengegrinst. Der Geheimrath wa,
ailßcr sich. Dia» schickte nach deni
Hausarzt, dem in der PotSdamcrstraßi
wohnhasten SanitätSrath Dr. A. Die
ser verschrieb zunächst für die leidend,
Dame ei» beruhigendes Mittel uud ließ
sich dann den Fall vortragen. Schließ
lich bat der erfahrene Medieiner de»
Geheiineath um die Erlaubniß, die Sache
rücksichtslos untersuchen zu dürfen, wo
bei er mit einem scharfen Blick den an
wesenden Fritz streute. Herr L. er
theilte mit Freuden seine Genehmigung.
Aber zn seiuem größte» Erstaunen sah
er, wie der alte Arzt ans Moufieur Fritz
zuschritt, ihn ohne Weiteres an der lin
ken Hand packte und dieselbe so drehte,
daß die Jnneiisläche nach anßen kam.
Hier zeigte sich die einfache Lösung
des Räthsel-?. Ans der Handfläche Wa
re» »och deutlich von Kreidestrichen
Spure» sichtbar, welche die Form eines
TodtenkopseS trugen. Ter erfindungs
reiche Junge pflegte also den gespeuster
hasten Schädel mit dicken Strichen iu
seine Linke zu zeichnen und brauchte die
selbe dann nur aus beliebiger Fläche lose
aufzulegen, nm eine» oder mehrere jener
Abdrücke z» erhalten, deren schattenhaf
tes, verwischtes Aussehen sich nuu von
selbst erklärte. Nachdem Fritz unter
Thränen seine Geständnisse gemach»
hatte, da Leugne» zwecklos gewesen
wäre, ereilte ihn die Nemesis. De,
Papa, weit entfernt davon, den inil
derilde» Umstand anjncrkcnnen, daß sei»
Hoffnung-volles Söhnchen sich die Zeit
ströiuungcn so gut zu Nutze zu mache»
verstand, faßte die Sache vom rein er
ziehlichen Standpunkte anf uud ertheil!»
seinem Stammhalter mit dem Rohr
stöckchen eine empfindliche Leetion, zuerst
aus die sünhaste Geisterhand »nd dann
auf jenen Körpertheil, der durch die
Erlasse der wohllöblichen SÄuldeputa
tiou betreffs pädagogischer Strase zum
ausschließliche» Empfang von Schlägen
fanktionirt erscheint.
Boshafte Antwort. Dok
tor: Man muß, wenn mau krank wird»
nie den Kopf verlieren. Was würden
Sie also, wenn Sie eine Kraiillieit de
fi?le, inzwischen machen, ehe ich käme?
Herr: Mein Testament, Herr Doktor.
Wenn man die Gesichter der
Menschen bei einem Leichenzuge beobach
tet, so machen die »leiste» den Eindruck,
als wenn an sie niemals die Neil)«
käme.