Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 09, 1890, Page 2, Image 2

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Fclsensresscnde Vaeillcn.
Sehr merkwürdige Beobachtungen
kber die Zersetzung und Auflösung der
FelSmasse» und die Bildung dcr Acker
erde hat A. Müntz gemacht und da
rüber in dcr Pariser Akademie dcr
Wissenschaften berichtet. Glaubte man
bisher, daß als ausschließliche Ursache,
welche de» Zerfall des Felsgerüstes dcr
Erde herbeiführt, die Atmosphärilien
durch ihre chemische» und mechanische»
Wirkungen aus das Gestein zu betrach
teil seien, so hat A. Müntz jetzt gesun
den, daß daneben auch MikcoOrganis
men in hohem Grade au der Zertrüm
merung des Gesteins betheiligt sind
Diese Mikro-Organismen entwickeln sich
nach dcn Untersuchuilgc» von Wino
gradsky in rein mineralische» Lösungen,
indem sie de» Kohlenstoff, dessen sie
benöthigen, der Kohlensäure und dem
kohlensauren Ammoniak dcr Lnst ent
nehmen. Als Nitratbildner im Boden
hat diese Mikrobe den Name» Nitro
monas erhallen, nnd es ist nicht un
wahrscheinlich, daß mehrere Arten der
selben vorhanden sind. Müntz fand
dieselben zahlreich auf Felsen, beson
ders auf solchen, welche im Zerfälle be
griffe» sind, und sie dringen in Folge
ihrer Kleinheit in die feinsten (capilla-
Spalte» der Felsen ein. Auch
zeigte sich, daß verwitterte Gesteine stets
mit organischer Substanz bedeckt waren,
welche von diesen Mikroben stammte.
Ihre eigentlichc Thätigkeit entwickeln sie
im Sommer; während dcs Winters
ruhen sie in einer Art Winterschlaf, aus
dem sie mkt steigender Temperatur zu
neuer, selsverzehrender Thätigkeit er
wachen.
Und diese Thätigkeit beschränkt sich
keineswegs auf die Oberfläche der Ge
steine, sondern selbst in erheblichen Tie
fen ist die Mikrobe thätig. Häufig ftn
den sich in Schiefern, Graniten uud Kal
ken zersetzte oder gewissermaßen ver
moderte Theile; in solchen aber hat
Müntz ausnahmslos Nitromonaden an
getroffen. Am merkwürdigsten in die
ser Beziehung sind die Entdeckungen,
welche cr am Faulhorn machte. Dieser
berühmte, 3K!»V m hohe Gipfel, von dem
man bekanntlich eine herrliche Aussicht
aus die Spitzen des Berner Oberlandes
genießt, ist in Folge dcr Thätigkeit der
oben erwähnten Mikro - Organismen
wirklich cin saulcS Horn, uud was man
bis jetzt lediglich als atmosphärische
Verwitterung seines dunkel» Thonschic
scrgestcins bctrachtctc, ist nichts als eine
Folge dcr LebenSthätigkeit von Bacil
len! Das ist allerdings ein Ergebniß,
welches mau als völlig unerwartet be
zeichnen muß. Im Angesicht dieser
großartigen Gebirgszerstörung durch die
kleinsten wabriiehmbareii Lebewesen
tann man nicht zweifeln, daß diese in
außerordentlichem Grade an der Model
lirung dcr Erdobcrslächc gearbeitet und
zur Bildung dcr Ackerkrnmc bcigctrage»
habe» und unuiiterbroche» beitrage», da
ihre Thätigkeit sich an den Gesteins
trümmern fortsetzt, bis diese zu Staub
zerfallen sind. Steht so der Geologe
verwundert vor den Ergebnisse» der
Arbeit vo» bis vor kurzem völlig unbe
kannte« mikroskopischen Lebewesen, so ist
dcr Physiolog«' mit Recht noch mehr er
staunt über das Vermögen dcr Nito
mikrobcn, ihre Substanz völlig aus
Kohlensäure und Ammoniak auszu
bauen, unabhängig vom Licht, ohne
andere Kraftquelle als diejenige Wär
me, welche aus der Oxydation des Am
moniak entsteht. Es ist dies der erste
nachgewiesene Fall, daß eine vollständige
Synthese organischer Substanz durch
belebte unabhängig vom Sonnenlichte
stattfindet, womit einer der Griindlchrcn
der Physiologie als nur von beschränkter
Giltigkeit ericbeint.
—Wc » » oe, eine m K', rgi >
iciigastinahl eine besonders vornehme
Persönlichkeit zugegen ist, so pflegt diese
den klebrigen durch folgende sonderbare
Ceremonie cinc große Ehre zu erweisen:
Alle übrig gebliebene» Fleischüberreste
(das Fleisch wird in miiiidrechl geschnit
tene« Würfeln vorgesetzt) legt man vor
den hohen Gast nieder, dieser wäscht
feine Hände, -wählt dann von de» Re
sten eine Portion fetter und magerer
Stücke aus, legt so viele, wie nur irgend
Platz finden auf die innere Fläche feiner
rechte» Hand, ruft de» ihm zuilächst aus
de» Bvd-n hockende« Li irgisen zu sich,
der aus Händen und Füßen kriechend
elirsnrchtdnrchdrungeii uaht uud vor dem
Gewaltige» angelangt, hochklopsenden
Herzens mit lvci, ausgcspcrrte», Munde
der Auszeichnung harrt, die ihm wider
fahre» soll. Diese läßt der Erhabene
ihm alsbald z» Theil werde», indem er
die Fleischstücke von seiner als Präsen
tirteller dienende» Handfläche dem An
der», wenn nöthig, mit Gewalt in den
Mund stopft, worauf der Geehrte, müh
sam ka»c»d »nd mitunter dein Ersticken
nahe, aber beseligten Gemüthes, aus
allen Bieren sich zurückzieht.
'Von dem Heimgegange
nen Baiicrnseld wisse» Wiener
Blätter viele Eiiizelzüge zu berichte».
Hier nur etwas vo» de». Alten, als er
noch jung uud lustig war. Als sideler
Student hat der Dichter einem gemüth
lichen Kreise von Genossen Schuberts
angehört, dem auch der Maler Schwind
zugesellt war. Es waren geniale Nacht
schwärmer. Banernfeld gehörte zu de»
regelmäßige« Gäste» der ländlichen
Lustgelage. Die gewöhnlichen Ausflüge
der frohe» Cumpane führten aber zum
Heurigen „gleich außerhalb des Tho
res". Das nächtliche Treiben der Ge
nossen schildert Bauernseld in dem Buch
von den Wiener»:
Und frisch nach Grinzing, Sievering
Mit andern munter» Gesellen.
Zickzack gar Mancher nach Hause ging,
Wir lachten im Mondschein, in, helle»,
Nicht immer ging es so herrlich zu,
'Nicht inimer waren wir Prasser,
So trug mir Schubert au das Du
Zuerst mit Zuckerwasser. .
Die Künstler waren damals arm!
Wir hatten auch Holz nicht immer,
Dock wäre» wir jung und liebten war»
-Im ungeheizten Zimmer.
Ter arme Lo-seng.
» ». »!»>«»«.
Lo seng ja, hieß cr eigentlich Lo
seng? Also Lo seng war von Unglück,
Mißgeschick und bösen Mächte» verfolgt,
so lange er denke» konnte. Sein«
Mutter Kwun-tain hatte ihm ziva,
gleich »ach feiucr Geburt die Sliru mil
dem wilnderwirkeiidci, Betelmußbrei sc
dick wie mir möglich cingericbcn, aber
dieses Mittcl, was doch sonst die kleinen
Chinesenkiilder gegen den Kummer und
das Unglück des Lebens seit, hals dies
mal merkwürdigerweise nichts; vielleicht
war der Brei verhext, Kwun tai» hal
das leider nie ergründet.
Kwun laiiis Man» starb, ehe Lo seng
das Licht der Welt im Reiche der Mitte
zum erste» Mal erblickte. Als cr ein
Jahr gcwordeu, erblindete urplötzlich
Kwun tain; das war natürlich eine
Strafe der Götter, und Jedermann
wandte sich vo» der heimathlichen Sün
den», was mochte sie verbrochen haben ?
Mitleidlos war das blinde junge Weib
Hnngcr und Elend preisgegeben! Wer
wollte sich auch der Rache der Gotthei
ten ailssetzc», vor Allem dcr des finstern
Juh Woug, indem er die also Gezeich
nete beschützte »nd beschirmte.
Kw»n tain verließ ihr Heimathsdorj
und tappte sich mit eii«:m Stock, den
Kleine» in. Sack auf dem Rücke», bis
»ach Canto». Dort, an einem de,
ersten Häuser, legte sie ihr kleines, un
schuldiges Knäblcin ans einen harte»
Stein und floh davon. Ob Kwuu-tain
verhungerte oder ob eine mitleidige
Gottheit ihr den Weg in ein naßes Grab
wies, wer kann es wissen? Als Lo seng
zum Bewiißtsein erwachte, daß cr ei»
Geschöpf, cin Wesen, ein Mensch, befand
cr sich in einen, großen, steinernen,
grauen, viereckigen Gebäude zusammen
mit Findlinge», Greise» und Krankcn
und sragte vergeblich nach Vater
»nd Mutter. Man ries ihn Lo-seng,
aber Kwun tain hatte ihn wohl anders
genannt.
Der kleine Lo-seng lernte früh das
menschliche Elend kennen, er brauchte
nur um sich zu blicken mit den hellen,
klaren, klugen Auge», brauchte nur in
jede der vielen kleine» Zellen der Anstalt
zn schaue«: hier Krankheit, dort ge
brechlicheS Alter, und über allem Armuth
»nd Schmutz, Kummer und Noth, uud
doch ginge» alle dzcft' Mensche» mit ge
kreuzte» Anne» tagtäglich hinanS aus
den steiilgrps!asterte»,el>!geschlossknenHoi
und beteten das große, plunipe, hölzern«
Götzenbild an uud dankte» ihm sür das
Glück des Lebens.
Ja, Bcjcheidenhe't lernte Lo scng in
dem große» Riesenviereck hinter den
kleinen vergitterte» Fenstern.
Einst, Lo se«g war genau fünf Jahn
alt, es war vielleicht gerade sein Ge
burtstag, kniete er mit den Findelkin
dern und Waisen vor dem Götzenbild
auf dem Hose. Vor ihnen in Reih und
Glied die Alten und Schwachen. Mit
großen Augen schaute Lo seng aus de»
heilige«, dicken Götzen, er vermag alles,
so sagt man, ob er ihm wohl auch einen
kleine» Kash zuwerfen könnte, damit er
nur einmal die langen, weißen, süße»
Stange» bei», Tokohändler schmecke»
kann? Inbrünstig sollet Lo-seng die
kleinen Hände und schaut vor sich
nieder. Da, was ist das? Ein kleiner
Ledcrbciitel fällt in seinen Schooß. Mit
glänzende» Augen »ud dankbare», Lä
cheln »ickt der Kleine dem steifen, ern
sten Götzenbild zu und steckt de» Beutel
i» die Rocktasche.
Lraing, sei» Nachbar, sieht verwun
dert a»s de» »«redliche» Lo seiig. Hat
er de«» nicht bemcrkt, daß der Alte vor
ihm das schmutzige Käppi vom Kopfe
gezogen »nd der darunter verborgene
Beutcl ihm deshalb in den Schooß ge
fallen ist?
AIS das Gebet zu Ende ist, stürzt
Oraiug z»m Herrn der Anstalt. Er
schreit nnd hentt und zeigt wüthend ans
deu davouspriiigeiiden Loscug: Daist
ein Dieb, ein Dieb, er hat dem Alten
de» Kash gestohlen!
Lo-seng wird herbeigeholt, schon
stand er beim Tokohändler. Schlucht
zend vertheidigt er sich und erzählt von
dem gute», heilige» Götze», der ihm den
Kash zugeworfen.
Den Aorten des Knaben wird nicht
geglaubt. Man schleppt ihn znm
Schandpfahl aus den Hos, er steht grade
dem steifen, hölzernen Götzen gegenüber,
jeder Bewohner der Anstalt nimmt die
Peitsche, die am Schandpsahl hängt, »nd
ob alt oder jmig, ob schwach und krank,
schlügt crbarmmigsloS auf de» zittern
de», weinenden Linaben, der die thräiie»-
sicht der Gottheit richtet.
Oraing ivar ein starlknochiger, großer
Junge, mit einen, pvckeiivcrnarble» Ge
ficht; er haßte de» Lo seng, vor Allem
fein glattes, Helles, kluges Gesicht u»d
die freundliche» Mattieren. Jahre ver
ginge». In der Anstalt war der Dieb
stahl des kleinen Lo seng sast vergessen.
Musterhaft, brav, räumte er de» Alte»
schrei, es klang aus der Zelle des alte»,
kranken Suang. Erschreckt eilte der
Knabe herbei. Suaug vermißte sei»
holzgeschiiitteiies Ainnlct, nirgends war
eS zn finde«. Nach lange», Suchen
brachte Oraing behutsam das heilige
Bild und flüsterte dem Herrn der An
stalt zu:
Der Dieb da hat es gehabt, unter der
Pritsche des Lo-seng sand ich eS ver
steckt!
Lo seng betheuerte weinend und schrei
end seine Unschuld aber vergebens
wer sollte der Dieb sein? Das Amulct
lag ja unter seiner Pritsche!
Die Handschellen wnrde» hervorge
holt »nd dem arme», unschuldigen Kna
ben umgelegt, das gestohlene Anmlct
knüustc der alle, kranle Suaiia mit iit-
ternden Finger» NM dm Hals des Lo
seng lind gesolgt von allen Insassen der
Anstalt und dcm fast jubelnden Entrü
stunysgeschrei der Straßenjugend
peitschte man unter wilden Trommel
schlägen dcn bcschämte», wimmernden
Lo seng durch das Straßenviertel.
Or-riiig ging mit fröhlichem Lachen ne
be« feinem Opfer her, wie die Peitsch«
in das Antlitz des Knaben suhr und
braunrothe Streifen hinterließ, glatt
und weiß wird es «immer fei«, Lo feng!
Viel Unheil richtet der Neid in dcr
incnfchlichcn Brust an.
Mit sast sechzehn Jahren verließ
Lo-seng die Anstalt. Sein Gesicht war
criist, das Lächeln schien cr vcrlcrnt zu
habe», wie Trübsinn lag es un, die sei
ne», schmale» Lippen. Nie hatte der
Jüngling cin Unrccht begangen und
zahllos wurde es ihm zur Last gelegt.
Ter eigcnllichc Urheber aller Missetha
ten ward nie entdeckt,.man gab sich auch
nicht die Mühe, man hatteja den Prügel
jungen.
Nu« stand Lo seng aus eigenen Füßen.
Er war mit den Schristzeichen bekannt,
schnell »nd sicher warf er sie aus das
Pergament, darum wollte er öffentlicher
Schreiber werden und dem fchreibun
kundigcn Volke die Briefe versaßen und
abschreiben und dafür mit der Zeit ein
reichcr Man» sein. Schon hatte er sein
polirtes Tischchen an der Straßenecke
nnd Alt und Jung umlagerte ih». Un
ter den Junge» waren zwei listig aus
sehende Männer; mit Schmeichclrcde»
über Lo scngs Verstand und Fähigkei
ten vermochten sie den Jüngling zn über
reden, in einen Bund zu treten, derWissc»
schast und Büchern diente. So nahm
Lo-seng an. In Wirklichkeit bestand
der Bund ans jungen Taugenichtsen, di«
sich gegen das allzustrenge Vorgehen der
Regierung empörten und den schristge
lehrten Lo-seng als Deckmantel gebrau
che» wollte».
ES »iiithete de» unerfahrene« Jüng
ling wilnderfam an, als die Bundesge
nosse» ihn in ein unterirdisches Gelaß
führten. Bei dem rothen Schein des
Glühlichts saßen viele junge Männer
und rauchte» aus langen Pseisen das
süß berauschende Opiumgift, gesticulir
ten, stritten und revoltirten, bis einer
nach dem andern bewußtlos zu Boden
sank. Mit großen Blicken überschaut!
Lo-seng das wilde Treiben, die Pseise
lag unberührt neben ihm auf dem Bo
den, alles um ihn her schien in Todes
schlaf versunken. Leise öffnete sich di«
schwere Holzthür, erstaunt blickte Lo-seng
aus, eine ganze Reihe Gerichtspersonei!
trat in das unterirdische Gemach, und
Gesicht. Drei Tage später ward ihm
und seinen Bundesgenossen als Rebellen
das rcchlc Ohr abgcschnitte« zur
Warnung für alle Aufrührer im himm
lifcheu Reiche der Mitte.
In ohnmächtiger Wuth faßte sich Lo
seng an die Stirn, der Bctelnußbrei war
doch sicherlich verhext gewesen.
Nur mit einem Ohr und de», Herzen
voll Trauer uud Bitterkeit wandte Lo
seng Kaiitou den Rücken und ging ge»
Amoy.
Ohne Kash in der Tasche, hungrig
nnd durstig, langte der Jüngling nach
mehreren Wochen bei Sonnenuiitcrgaug
in Amoy an.
Voller Müdigkeit betrat er ciueS der
ersten Häuser: ein Spruch stand in gold
vcrzierten Lettern hoch oben an der
blnmigei. Wand; „Wendet euch ab von
Sünde nnd Unreinheit."
Buchstabirend lchnt Lo seng an dem
Eingang. Ein alter, weißzöpfiger
Ehinesc schaut aus der iniiern Kammer
thür ans de» Eindringling. Er tritt
näher, blickt gespannt nach der rechten
Seite vo» Lo sciigS Kops und zeigt ge
bieterisch zuerst nach dem Spruch hoch
oben an der Wand und dann nach der
AuSgangsthür.
Lo seng hebt flehend die Hände, aber
der alte Ehinesc schüttelt den Kops und
weist nach der Straße. Lo seng wen
det sich znm Fortgehen, aber seine Füße
tragen ihn nicht länger, kraftlos bricht
er unter dem Spruche des fromme»
Eonsuccilis zusammen. Der alte weiß
zöpfige Chinese gibt dem Fremdling
eine» Fußstoß uud schleuderte ihn auf
die Straße.
Nun liegt Lo seng bewußtlos dort
Tic Menschen stoßen den Eiiiohrige»,
die Hniidc beschnupperte» ihn und in
Gier fallen die Geier über ihn her.
Tiefer sinkt die Nacht. Endlich er
wacht Lo seng. Ihn sriert. Ter Frost
hat die Dächer »iit Reis überzogen, wo
ist er? Er hat geträumt. Die Sterne
hatten roth geleuchtet und die Pfingst
rosen waren ihm erblüht. Aber die
Sterne sind silbern am Himmel und die
, Pfiiigstroseiizcit ist dahin.
Laxgsam erhebt sich Lo-seng nnd gebt
querfeldein dem leise murmelnden Bach
zn. Tort lindert er den quälenden
Durst mit dem klaren Wasser und sucht
nach einer Maisstaude, aber die Stande»
sind leer, die Kolben liegen verdorrt am
Boden. Von ferne tönt ei» rascher
Schritt. Lo seng verbirgt sich hinter
dem liohen Gras.
Ein Mädchen, nach Art der Sklavin
nen gekleidet, naht sich mit dem thöner
nen Wasicrgefüß.
Leise tritt der Jüngling näher. Mich
liungert, Mädchen, bittet er sanst, gieb
mir Speise, ein Stück Zuckerrohr, eine
Kastanie!
Mit helle» Augen schaut das Mäd
chcn aus den Fremdling, sie sucht nicht,
ob er nur eiu Ohr hat, sie sieht, daß es
ei» junger, kranker Mann ist, der um
ein Almosen fleht, und langt schnell in
die Tasche ihres weiten Oberkleidcs.
Lächelnd holt sie ein Stück gedörrtes
Fleisch heraus und reicht eS dem Jüng
mg.
Gierig verschlingt es Lo-seng.
Hast du nicht mehr, frag!? er bittend,
seit Wochen habe ich nichts verzehrt, als
ein gesalzenes Fischchen und einige
Maulbeeren am Weg».
Ich werde dir Speise und Trank
holen, erwiderte freundlich das Mädchen,
aber wer bist du?
Ich bin Lo-seng, cin Fremdling aus
Kanton, und du?
Ich bin Sina-lei, die Sklavin des
Oberrichters.
So eile, Sina-lei, aber kehre wieder
zurück!
Die Sklavin nickt jind jagt leicht wie
ein Reh davon.
In wenigen Minuten ist das Mäd
chen zurück, in eine», Topse trägt sie
warme Jngwersuppe und cin Stück vom
körnig gekochten Reis.
Als Lo seng die Mahlzeit verzehrt
hat, fühlt cr sich von neuem Leben
durchströmt und mit heißem Blut sagt
er: Sina lei, ich danke dir, du hast mir
das Lebe» gerettet.
Die erste gute That! lacht das Mäd
chen und zeigt ihre schimmernden Zähne;
doch nun muß ich eilen, es wird spät,
dort hinter den Weiden steht das Haus,
sich nur, wie das Licht des Oberrichtcrs
wie ein Glühwürmchen hin und her
leuchtet, cr sucht mich, che cr z»r Nach!
zeit das Haus verschließt. Gchab dich
wohl, Fremdling!
Nein, bleibe hier, Sina lei, sagte
bittend Lo seng, drängt eS dich so schnell
von hier sort?
Kennst du nicht die Reden dcs alten
todten KaiscrS Aong Tsching, gehorche
deinem Ober»? Wer bist du, daß du
mich abhältst, meine Pflicht zu thun?
Du weißt es, ich biu Lo-seng aber
Sina-lei, ich l>ebe Dich, denn du warst
Armer Lo seng, antwortete mitleidig
die Sklavin, war denn noch niemand gut
gegen dich, jedes Jahr hat doch einen
Frühling?
Er blühte nie für mich, Sina-lei. die
flüsternden Winde, die ricfclndcn Bäche
erfüllte» nicht mein Ohr mit zaubervol
le» Töne», ich verstand ihre Sprach«
nicht, die Sterne leuchteten, aber ihr fil
bernes Licht leuchtete nicht bis in di«
Brust, heule ist das ganze Himmelsfir
mameill in mir S>na lei ich lieb«
dich! '
Sina-lei kichert. Lo seng, was für
eine Sprache sprichst du? Sie klingt
fremd nnd undeutlich meinem Ohr.
Aber leife naht sich Sina-lei dem
Jüngling.
Lo-seng, ruft sie entsetzt und prallt
zurück, bist du cin Rebell, cin Dieb, ei»
Mörder, du hast ja nur ein Ohr, »nd
ehe nur ihre Stimme verhallt, ist sie ge
flohen.
Nacht und Dunkelheit herrschen wie
der »in Lo-seng. Tief uud qualvoll
entringt sich cin Scuszer scincr Brust.
Dcr Mond, der aus dem Gewölke em
porgetaucht war, ist wieder verschwun
den. Kalt ist die Nacht. Lo-seng ist
allein, einsam und verlassen. Di«
Pfingstrosen blühen nicht für ihn. Glück
und ehrlich Leben armer Lo-seng.
d» findest es nimmer. Sohn dcr
Kwun - tain, dcr Betelnußbrei war
verhext.
Hart am Büchlein liegt der Jüngling,
im tiefen Schlaf vergißt er das Elend
seiner Existenz. Lo-seng träumt, träumt
schon wieder. Ein Blitz fährt zündend
vom Himmel hernieder nnd tödtet ihn.
Als er erwacht, sinnt er, was bedeutet
der Blitz, wie sagt der alte Traumdeu
ter Tfchau-Kung?
Ein Freudenstrahl zuckt über Lo-sengs
weiche Züge, ein Blitz der tödtet. bedeu
tet Rang »nd Reichthum. Rang und
Reichthum ihm, den, Einährigen?! Das
wäre ein Wunder aber nengestärkt
von Hoffnung erhebt sich der Jüngling,
wer weiß, was die nächsten Tage brin
gen, hurtig schüttelt er die Glieder und
schreitet mit hoch erhobenem Kopfe durch
Amoy, weit hinein, immer weiter i» die
Welt.
Nach drei Tagen hat Lo seng daZ
Wasser erreicht und schaut verwundert
auf seine Bewohner. Grell bemalte
Boote stehen gleich Häusern im Wasser
und lange Fähren führen bis dicht
heran. Mit glänzenden Blicken ficht
er ans das fremdartige Treibe»; das
sind die Flußbewohner, sie werden ihn
bei sich ausnehmen, und hier wird der
Traum in Erfüllung gehen und Rang
und Reichthum feiner harren.
Behende steigt Lo seng ans die Fähre,
viele Menschen sind darauf, ei» Greis
sitzt »iit zitternde» Gliedern nahe der
niederen Holzbrüstung: als die Fähre
schwankt, sällt er um und rollt in das
Wasser: gleichgiltig blicken die Men
schen aus den Alten und bekreuzen sich.
Lo seng sprang dem Greis »ach und
rettete ihn in ein kleines Boot.
Wildes Geschrei tönte von der Fähre
zn ihm herüber: Fremdling, was tha
test du? Du versuchtest den Flnßgott,
du entreißt ihm sein Opfer, o wehe über
uns und unser» Fluß! Stoßt ihn und
den Alten wieder zurück i» das
Wasser.
Eilig nahen sich die Schiffer de», klei
ne» Boot und stoßen den Greis nnd den
Jüngling zurück in die hochgehenden
Wogen aber Lo-seng schwimmt mil
Endlich wird er müde. Er ist weit von
den erbarmungslosen Menschen. Ei»
einsames Schiff liegt unweit vor ihm,
bis dorthin tragen ihn noch seine Arme,
bald ist es erreicht und mit zitternden
Gliedern steigt er an Bord.
Das Schiff ist menschenleer. In de,
Kajüte ist eine Tafel gedeckt, blinkendes
Geschirr und kräftige Speise» stehe» da
raus. Am Riegel hängt ein langer,
warmer Kaftan. Schnell entledigt sick
Lo seng feiner nassen Kleider und
dann genießt er von Speise und Tram
und streckt sich behaglich.
Ist sei» Traum erfüllt? Ist das de.
Ansang und Reichthum? Freilich de.
Reichthu», ist nicht ehrlich verdient, abe,
was hat dem armen Lo seiig Ehrlichkeil
im Leben genützt? Er dars einmal u»
ehrlich sein, wenn es solche Freuden
bringt. Lo seng zündet sich eine lang«
Pfeife an und legt sich, vom Opium
rausch besangen, auf die gelbglüuzendt
Strohmatte.
Und wieder naht sich der Tranmgott
und macht ihm zum Kaiser vo» China
und schenkt ihm alle Reichthümer der
Welt und Lo-seng ist glücklich und lobt
im Traum den Tscha» Ku»z, den alte»
klugen Traumdeuter.
Lo-seng schläft noch immer, er lächelt
gnädig im Schlas, er schläft weiter, als
die Kajütcnthür geöffnet wird und
Männer mit crstauntcn, böse» Gesich
ter» ihn bctrachtc». Ei» Frcmdling
nnd ciner mit einem Ohr, flüstern sie
geschäftig, fort mit ihm, er verräth »ns,
nicht!
Aber Lo seng schläft weiter, er ist ja
glücklich, ist der Kaiser von China »nd
umgeben von aller Macht uud allem
Glanz der Welt.
Die Männer heben Lo seng a»s, c,
schlägt im Traum um sich. Aha, lachen
die Männer, ivcnn man es eilig hat,
scheut das Pferd, aber es beruhigt sich
bald
Ueber das dunkle Wasser tönt cin
schwerer Fall. Mit erregten Blicken
schauen die wilden Männer in die Wogen.
in Ersülluiig gegangen Lo seng ist
glücklich.
Qehir» uns ?l»r. -
„Zwei Röhre« befinden sich im rech
teil Ohr, durch welche die Lebenslust
eintritt, und zwei Röhren im linken
Ohr, durch welche die Lust austritt."
So lese» wir's in dem ältesten ohren
ärztliche» Dokument, aus einer altegyp
tischen, i», Berliner Museum besiudli
che» PapyruSrolle, von der man glaubt
daß sie aus den Zeiten jcncS Pharac
stamme, dessen Tochter die Rettung des
Moses zu danke» ist. Auf derselben
Rolle befinden sich serner »och einig«
vollständige Recepte gegen die „Schwer,
im Ohr" und gegen den „Aussatz ar
beiden Ohre»".
Welch gewaltiger Abstand zwischen
diesen ersten naiven otiatrische» Lcller
und der heutige» Höhe der Ohrenheil
kunde? Und doch würde man sehlge
hen mit der Annahme, daß die fort
fchreitendc Erkenntniß auf diesem Ge
biet stufenweife sich vollzogen habe
Vielmehr folgte der bis zum I(i. Jahr
hundert währenden finsteren Nacht un
mittelbar der helle Tag, eingeleitet durck
die anatomischen Untersuchungen eines
VesaliuS, Fallopia, Eustachi.
Die volle Würdigung erfuhr das Ge
hörorgan indessen erst in unseren Tage»
seitdem man die innige» Wechselbezie
Hungen desselben zu dem wichtigsten Kor
Perorgan, dem Gehirn, erkannt bat
Denn nicht ist das Ohr mit der Ohr
muschel die uns von der Natur woh!
hauptsächlich aus ästhetischen Gründer
an den Kops geheftet ist und de»
äußerlich sichtbaren „Ohrloch" abge
schlössen, wie man Jahrhundertc lanc
geglaubt hat. Vielmehr habe» dii
Schallwelle» eine weite und mit Hin
dernisse» aller Art reichlich besetzte Bahr
zu durchlaufen, bevor sie das Ziel, zu,
Wahrnebmung zu komme», erreichen.
Der Schall gelangt durch de» äußere»
Gehörgaug zum Trommelfell, einem fei
nen, aber festen »nd derben Häutchen,
daß das äußere Ohr von dem sog. Mit
telohr abschließt. Dieses selbst ist ei»,
kleine Höhle, die die Gehörknöchelchen
Hammer, Amboß und Steigbügel, ent
hält und mit der Rachenhöhle durch ei
ne« Kanal, der sog. Eustacht'schen Ohr
trompete, die ihm seine Lust zuführt, io
Verbindung steht. Die Gehörknöchel
chen sind mit einander fest verbunden
und übertragen die Schallschmiiignngcv
des Trommelsclls auf das innere Oh,
das sog. Labyrinth. Dasselbe stellt cin
knöchernes Gehäuse dar. dessen einzeln«
Bestandtheile der Vorhof, die Schnecki
und die Bogengänge sind. Der Vorhoj
steht mit dem Mittelohr durch eine klein,
Oefsnung in Verbindung, in welche dii
Platte des Steigbügels grade hinein
paßt. Nach der einen Seite von dem
Borhof liegt dann die Schnecke, ein
schneckeiiartig ausgewundener Kanal, »ach
der ander» breilei, sich sächerartig dii
Bogengänge aus, drei halbkreisförmig«
Röhreu. die ebenso wie die Schnecke mit
einer lympharligci, Flüssigkeit angesülll
sind. In diesen Organe» verzweige»
sich die Gehörnerven, umspült von der
Gehörlymphe, welche die von der Steig,
bügelplatte erregten Schallwellen ans
diesen Nervcnbalinen dem Gehirn zur
Wahrnehmung übermitteln. Alle diese
Theile sind in einem pyramidenförmigen
Knochen, dem Felsenbein, eingeschlossen,
das beiderseits in der Schädelbasis quer
gelagert ist, und in dessen », der Mitte
sast zusammenstoßenden Spitzen je ein
Strang des vom Gehirn kommenden
Gehörnerven eintritt.
Diese anatomische Anordnung, die
vollständige Einlagerung der Gehör
theile in die Hiriimasse, läßt es verständ
lich erscheine», warum bei gewisse» Ohr
leide» das Gehirn so leicht in Mitlei
denschaft gezogen wird, eine bis in die
Neuzeit hinein gänzlich verkannte und
daher als Behandlnngsweise die e»t<
mutliigendsten Resultate abgebende
Thatsache. Schon das alltägliche Bor
komnlniß der übermäßige» Ansammlung
von Ohrenschmalz im äußersten Gehör
gang kann mitlinicr die beunruhigeiiden
Zeiche» einer Gehirnreizung hervorru
ft» und zu folgeschwere» Täuschungen
Veranlassung geben. Gewöhnlich äu
ßert sich diese Erscheinung nur in einem
anhaltende« Sausen, dem sich mehr oder
weniger erhebliche Schwerhörigkeit zu
gesellt. Wird aber der Ohrpsrops im
mer größer,so übt er äuf das Trommel
fell einen Druck aus, der sich in gewissem
Sinne bis zum Gehirn fortpflanzt und
dann außer heftigen Ohr- und Kopf
schmerzen Schwindel, ja selbst Erbrechen
und OhnniachtSansälle hervorruft, also
ei» der Gehirnentzündung ähnelndes
Bild. Mit einer ein solches Leide»
voraussetzende» Behandlung würde man
hier allerdings nichts ausrichten, ja
selbst das Uebel verschlimmern, ein
Mißgriff, der unerfahrenen Männer» j
öfters passirt ist; Entferne» des Uebel l
thäterS durch Ausspritzen beseitigt aber
das Leiden mit einem Schlage.
Von cntschcidenders Bedeutung ist
die acute Mittelohrentzündung, wie sic
namentlich bei Scharlach. Typhus nnd
Diphtheritis, bei letzterer durch Fort
pflanzung des unhcilbringcndcsProcesscs
längs der Ohrtrompete, auftritt und so
sehr häufig, na»,entlich bci Kindcr», die
Scene zum traurigen Abschluß bringt.
Sehr leicht breitet sich nämlich die Ent
zündung bis zu den Gehirnhäute» aus;
ei» Ergriffcnwerdc» dieser ist aber meist
gleichbedeutend mit Tod. Weniger
rapide, aber nicht minder gefahrvoll
verläuft jener langwierige Proceß, für
dessen wcchfckreiche Erscheinungsformen
der letzte Gruud in ciner chronischen
Mittclohrencntzüildung zu suchcu ist.
Eine dcr häufigstcu Folgcu dcrsclbc» ist
die Zerstörung dcs knöchcrncn Gehäu
ses, des Felsenbeines, namentlich bei
solchen niit skrophulöscr und schwind
süchtiger Anlage.
Der Zerstöruilgsprozcß geht mil
ciner Eiterung einher, und der Eiter
bricht zugleich mit dcn abgestorbenen
Knochenstückchen nach außen dnrch, was
als ei» noch verhältnißmäßig günstiger
Ablauf angcfehei, werden muß; cr
kann aber auch seinen Weg in die Ge
Hirnmasse nehmen, und in diescm Fallc
entwickeln sich allmälig jene schwcren
Gchirnersck>einnngcn Schwindel. Er
brechen. Sinnestäuschungen, Störungen
der Jnlclligcnz, Krämpfc, Lähmungen
aller Art, Bewußtlosigkeit —, wo der
Tod als eine Erlösung angeschen wer
den muß. Nicht immer ist dcr Ausgang
ein so trüber uud unabwendbarer, na
mentlich wenn durch srühzeilig eingelei
tete sachgemäße Behandlung den. Fort
schreiten des Prozesses Einkalt gethan
wird. Da»» ereignet es sich wohl, daß
das Leiden i» Lähmungserscheinuiigeu
derjenigen Nerven zu Tage tritt, dcrcn
UrsprunqSstelle sich in der Hingebung
der krankhast ergriffenen Partien befin
det. Znilächst ist eS dcr Gesichtsnerv,
dcr in Mitleidenschast gezogen wird, in
dem cr mit dem Gehörnerv auf das
Engste verbunden ist und auch cinc
Strcckc Wcgs in dcm Gehörgang ver
läuft. Dcr erstere versorgt aber die
Muskcln dcs Gesichts, und er ist der
jenige, dcr den mimischen GesichtSanS
drnck zu Wege bringt. DaS MuSkel
spiel des Gesichtes wird daher mehr oder
weniger erschwert, sobald eS zn einer
Lähmung der dasselbe verursachenden
Nervenfasern gekommen ist: d. h. es
wird das Verziehen dcs Gesichts zum
Lache», zum Weine», das Spitzen des
Mundes zum Pseise», zum Puste» er
schwer! oder gänzlich unmöglich. Da
mit dem Gesichtsnerv serner auch dcr
schwommcn, ja allmälich gänzlich »nvcr
ständlich. I» gleicher Weise könne» auch
die Nerven dcr Auge», des Schlundes
>,. a. ergriffe» werde». Gelingt cS, den
zu Gruiidc liegenden krankhaften Pro
ceß zur Rückbildung zu bringe», fo kann
vollständige Wiedcrhcrstelliiiig der Ncr
venthätigkeit eintreten; in vielen Fällen
allerdings wird man nur vorüber
gehende Besserung zu erzielen i»,
Stande fein.
Zn interessanten Resultaten haben die
neucre» Untersuchungen über die Er
krankungen dcs innercn Ohres, dcs La
byrinths, gcsührt. In einer Reihe von
Fällen ergibt nämlich die Untersuchung
dcs Ohres »ichlS Krankhaftes, während
die sich bemerkbar machenden Erschei
nungen dennoch ans ein intensives Er
grifseusciii des Gehörorgans und mit
ihn, zugleich auch des Gehirns hinwci
sei,. Das Krankheitsbild entwickelt sich
ganz allmälig und kann bis zu cincr be
drohlichcn Höhe ansteigen. Die ersten
Zeichcn sind anhaltendes Ohrensausen
und eine immer mehr zlinchmelid:
Schwerhörigkeit. Bald gcscllcn sich
hinzu hcftigcr Schwindel. Erbrechen,
OhnmachtSaiifällc und unsicherer Gang,
wobei die Krankcn die auffallende Nei
gung zeigen, sich entweder nm ihre
Längsaxe henimzudrchen (Rollbcwe
guiig) oder sich in dcr Peripherie eines
Kreises hcrumziibewegen (Mancgebewe
gung). Lange Zeit war man diesen
vcrblüffcnden Thatsachen gegenüber
rathlos. bis der Zufall es herbeiführte,
daß man bei der Section cincs folchcn
Pattciilc« dic Bogcngängc erkrankt fand.
Zugleich ergaben Verfuche an Thieren,
namentlich Tauben, daß die Durchfchnei
duug dieser Gebilde ähnliche Erschei-
Man glaubte sich daher zu den, Schluß
berechtigt, daß diesem Menicrc'schen
Symptomkomplex, wie eS nach dem
ersten Beobachter genannt wird, alle
mal eine Erkrankung des Labyrinths,
specicll der Bogengänge, zu Grunde
liege. Für viele Fälle ist diese Annahm,
zutreffend, nicht aber für alle, und dies
nm so weniger, als, wie wir oben gese
hen haben, auch andere Ohrlciden < na
mentlich die so unschuldigen Ohrpsröpfe)
ähnliche Erscheinungen hervorzubringen
vermöge». Damit betreten wir indessen
ein noch nnersorschtes Gebiet, aus dessen
Dunkel man sich mit dem Ariadnefaden
einer „nervösen Reizung" hinanshilst.
Im Ucbrigc» aber sind die Erkrank»»
gen des Labyrinths von hervorragender
socialer Bedeutung, indem aller Wahr
scheiiilichkeit nach die »leisten Fälle an
geborener Taubheit auf dieselbe zurück
zuführen sind. Auch eine nicht geringe
Anzahl von Personen, die erst in einem
späteren Lebensalter taub werden und
damit zugleich auch das Sprachuermögen
einbüßen, habe» ihr körperliches Ge
brechen dieser Krankheit zu verdanken.
Diese Umstände mögen es rechtfertigen,
wenn wir bei dieieni, in Laieilkrclse»
bisher wenig gekannte» und beachteten
Leiden noch mit einigen Worten ver
weilen.
Die Erkrankung des Labyrinths mar
kirt sich, wie schon erwähnt, durch keine
äußerlich sichtbaren Veränderungen im
Ohr. Bei Kindern, die an einer aknten
Hirnhautentzündung erkrankt sind, be
obachtet man öfters, daß nach Schwin
den der ursprünglichen Krankheit aus
Seiten vollständige und unbcil-
bare Taubheit zurückgeblieben ist. Hier
handelt es sich dann um cin Uebcrgrei
sc» der Entzündung von dcr Hirnbau!
;um Labyrinth. Namentlich häufig triti
oiese Taubheit auch bei Erwachsene»
Nif, als Folge der berüchtigten epidemi
schen Hirnhaut - Entzündung (Genick
starre». So ergab die Taubstummen
Statistik dcr Provinz Pommern unter
l»>.'!? Taubstummen Ä7B, welche das
Gebrechen durch Genickstarre erworben
hatten. Auch chronische Entzündungen
?eZ Labyrinths, sowohl selbstständig,
ivie am Anschluß an Mitielohreiteriin
zen, sind beobachtet und anatomisch
nachgewiesen worden. Ost äußert sich
zas Leiden nur in einer zunehmenden
Schwerhörigkeit. Tritt dasselbe nur
linseitig ans, so findet man öfter eiir
?ige»thümlichcs Zeiche»; das Falsch
höre» vo» Töne». Solche Personen
r>er»kl»»en einen Ton ans dem gesunden
i7hr richtig, aus dem kranken aber höher
sder tieser. Noch auffallender ist eine
znderc Erscheinung, daß nämlich beider
seits in Folgc bcsagtcr Krailkheil
Zchweryörigc bcsscr höre» bci Einwir
!uug cincs stärkeren Schalles. So kön
ien sich derartige Patienten anf dcr
Ziscnbahnsahrt, bei starkem Straßen-
Hrm ?e. ganz leidlich unterhalten.
Bekanntlich ist dcr von Willis mitgc
chciltc Fall, der auch dieses Verhalten
iberhaupt zuerst beschriebe» hat, daß
!in Mann mit seiner Frau die
zolhwendigen häuslichen Angelegenhei
!en nur unter Trommelwirbel verhan
?eln konnte (eine für Gardincnprcdig
!rn allerdings sehr umständliche Me
thode!).
Man sülirt die Ursache für diese Er
scheinung auf eine Herabsetzung der
' Tmpsiiidlichkeit auf die Gehörnerven
juriick, die durch derartige starke Geräu
' sche erst sozusagen aus ihrer Lethargie
> zeweckt werde« müsse«, um «u« auck«gc
! ringerc Geräusche wahrnehmen zu kön
' neu.
' Znm Schlüsse sei noch erwähnt, daß
ina» auckfwirkliche Geistesstörungen im
' Vesolge von Ohrenleiden beobachte:
k hat, selten solcher des Labyrinths: ge
° lvöhnlich sind dieselbe» gröberer Natur
e Man vermiithct, daß es sich dabei um
° Ueberleituiig des krankmachende» Stof
° fes durch die Nerven aus das Gehirn
° handelt: den anatomischen Nachweis
' :iner pathologiichen Veränderung ist
l man indessen nicht zu erbringen im
' Stande.
' In leichteren Fällen zeigen sich hypo
. chondrischc Stimmungen, Ideen der
' Traurigkeit, dcS Argwohns und des
Mißtrauens, oder a»S diefe» cutspriii
" zend solche des Vcrsolgtwcrdcns: bald
zcscllc» sich dazu Abnabme des Gcdäch:
nisses, später auch der Intelligenz.
Schwerere physische Störungen treten
, in Fori« mclai.cholischer Zustände auf.
ocrbuiidl-,1 mit Hallucinatioucn dcZ Ge-
hörs, wobei die Kranken Geräufchc man
nigfacher Arr, laut gesprochene Worte,
Schimpsrede» :c. hören. Der Zustand
kann zn sörmlichen Delirien anwachsen
»nd auch längere oder kürzere Zeit a»
' haltenden Verlust des Bewußtseins her
beisühren. Das Interessante bei diesen
Seeleiistöriinge» liegt darin, daß diese! -
den schwinde», sobald das Ohrleiden
! gebessert oder geheilt. Derartige Kranke
zehören daher nicht in die Jrrenanstall,
sondern in das Sprechzimmer des
> Ohrenarztes, vorausgesetzt, daß das
> Wesen ibres Leidens richtig crkannr
> worden ist. Nicht immer ist dies der
' Fall. Die neuere Strömling läßt aber
erhoffcn, daß man dem Ohr voll und
ganz die Beachtung zuwendet, die ihm
gebührt, nicht nur im Hinblick auf feine
sonstige Bedeutung, sondern vor Allein
in Folge seiner cinflußrcichc» Bezieh»»
s>e» z» dem wichtigsten Lebensorga»,
l dem Gehir».'
Gedanke nspänc. »
Manche Mensche» verwenden ihrgaN'
jes Lebe» nur dazu: um reich sterben
zu können.
Betrachte Jeden, der dir räth,
Ob er zum Rathcr tauge;
Wer dir mit Rath z« Handen gebt.
Hat oft nur sich im Auge.
"i--'e »» I
Gegner der Despotie, weil sie selber
nicht Despoten sein können.
Schwatzen lernt man früher, als zu
höre».
«
Wenn Einer bei dir über Abwesende
schimpft, sagt er dir: nur deine Amve
senheit hält mich ab, auch über dich los
zuziehe».
*
Zum Haß gehört immer eine Spur
vo» Achtung.
>,.j. -i» *, eine,-,'s w"e er'-
Rausch, als wem, man einmal ganz solid
hat sein wollen.
wll w - e'n 'st bedient
Die beste BcrtlieidigungSwafse de:
Frau ist die Thräue, die beste Angriffs
waffe cin Lächeln.
*
Aus wie Vieles verfällt man, wenn
man im Verfall ist.
Ost hat man cinc Antipathie gegen
Jemanden, lcdiglich wcil man ihm selbst
nicht sympathisch erschien.
* » '
Die Tugend kehrt als Siegerin oder
gar nicht mehr zurück.
Oft werde» wir getadelt, lediglich
weil man uns nicht loben wollte.
» »
Erzieh' dein erstes Kind gut und e»
erzieht dir die übrigen.
Ahnungsvoll. Referendar?
..... Fräulein spielen wohl auch Kla
vier?" Mutter (ihrer Tochter zu
flüsternd ): .Sag lieber nein!" /