Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 02, 1890, Page 6, Image 6

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    k
Wagehälfe am Niagara.
Tollkühne Seiltänzer.
Schwindler nnd Projectenmacher
ES scheint, als ob die grandiosen
Fälle des Niagara ans tollkühne Narren
eine ebenso geheimnißvolle, unwidersteh
liche Anzichmigskrast ansüben, wie die
Äerzenflainine ans die Mücken. Auch
ein geheimer Drang, den Kampf mit
der furchtbaren Natnrkraft aufzuneh
men, ihr mit der Erfindnngskraft des
menschliche» Geistes eine» Triumph ab
zuringen, scheint bei Einzelnen als edle
res Motiv mit in's Spiel zu kommen.
Alljährlich ereignen sich mit gewisser
Regelmäßigkeit bei den Fällen eine An
zahl Unglücksfälle. Stets find eS wag
halsige ToUköpse, dic den Fällen zum
Opser salleu. Die Presse nimmt im
Allgemeinen nur lässig Notiz davon,
weil daS Interesse des großen Publi
kums daran zu erlahme» beginnt. Der
berühmte Seiltänzer Blondin hat wohl
den ersten Anstoß z» diese» Wagestücke»
gegeben, nnd die Erinnerung daran
wurde kürzlich durch den ähnlichen glück
lich gelungenen Versuch des Photogra
phen Samuel I. Dixon aus Toronto
aufgefrischt, welcher ain V. September
ans einem j Zoll dicken nndFuß
langen Drahtfeil unweit der Hänge
brücke über den tosenden Abgrund hin
wegschritt.
Dies ist wohl da? erste Mal seit Blon-
oder die andere Weise, mit mehr oder
minder glücklichem Ausgange, ihr Leben
gegen die ungeheure, zerschmetternde
liaben und mit welcher Aussicht?
In der Hoffnung auf dauerndeil Ge
winn wohl kaum, sondern nur zur Be
in den Zeitungen nebe» denjenigen be
rühmter Rennpferde oder großer Bil
lardspieler, Baseball Wernr u. f. w. aus
einige Tage prangen zu sehe». Denn
bei der erwähnten Gleichgültigkeit des
Publikums steckt kein Geld mehr in der
Geschichte. Damals, als Blondin
vor etwa dreißig Jahren den Reigen er
öffnete, war die Sache »och iic», uner
hört, und die jedem Amerikaner im Blut
steckende Wett- und Wagelust wurde ge
waltig aiisgcregt.
Es war im März 185l>, als der
kühne Franzose, »nr von seinem Ge
schäflssührcr Harry Cvie»rd begleitet,
an de» Fällen anlangte, zunächst mir,
mn daS Terrain zu reeognoSriren und
die nöthige» Vorbereitungen sür das
Wagstück z" treffe». Ais seine Absicht
liekamit wurde, erklärten ihn die Zeitmi
gen lant und öffeiiilich für verrückt. Die
Anwohner protrstirten entrüstet gegen
das hirnverbrannte Projeet. Er ließ
sich nicht beirren. Im Jmn langte sein
Drahtseil an. mid er ließ es nicht, wie
ansäiiglich beabsichtigt, vo» der Ziege»
insel »ach der ea»adijchcn Seite hinüber
spannen, sondern von White? sogen, al
ten: Spielplatz. Viele Zuschauer sahen
mit atheinloser Spannung zu, !vi? Blou
diu mit der Geschwindigkeit einer Katze
auf dem ausgespannten Seil hin und
her lies, und bald hier, bald da die Seile,
welche dem Tau mehr Stetigkeit uud
anzog. "
Inzwischen Ware» Zusclianer in Un
masse ans alle» Welttheile» z» dem »n
erhörten Schauspiel herbeigeströmt, daS
auf de« !Zl>. Juni angesetzt war. Auch
der Prinz von Wales sehlle nicht. Wet
ten ans das Gelinge» »»d Nichtgelingen
des Wagestücks in kaum glaublicher Höhe
wurden abgeschlossen. Ein verrückter
Engtändcr, der Blondin stets nachreiste,
»m selbst Zeuge zu sei», weil» der
Fraiizoje deu Hals breche» sollte, machte
sich besonders bcmerklich. Heute rnht
der Mylord längst in der kühlen Grust
neben seinen Ahnen, während der alte
Blondin noch jetzt so gesund ist, wie
ein Fisch im Wasser. Die Hotelbesitzer
der Nachbarschaft sollte» wirklich ans
Dankbarkeit dein, Blondin ein Denkmal
in Erz oder Marmor errichten. Ter
colossale Fremdeiizndraiig ist seitdem an
den Fällen nie wieder erreicht worden.
Für elende Dachkammern wurde» die
fabelhafteste» Preise gefordert und
dezahlt. Ein wahrer Goldregen strömte
aus die glücklichen Gastwirthe herab
Die Illustrationen schildern einige der
Kunststücke, welche Bloudin zum Besten
d "btf d
de»i Ml. Juni 185!) statt. Er schien
Nerve» von Stahl uud Sehnen von
Eisen zu besitzen. Die Balaiicirstauge
war sür ihn ein unbekannter Begriff.
Er vollführte über den tosenden Zchaum
massen, deren Gebrüll selbst das rasende
Beisallklatschen der begeisterte» Menge
übertönte, die halsbrechcndsten Kaprio
le» ; so strauchelte er aiischeinend ein halb
Dutzend mal. ließ sich aus die Kniee nie
der, drehte sich um, ließ ein Seil zu dem
unten haltenden Dampser hernieder, zog
ein Fläschchen mit Wein herauf und leerte
mehrere Gläser galaut aus das Wohl
der Damen, von denen Viele bei dein
grausigen Anblick in Zuckungen und
Krämpfe verfielen. Er setzte aber sei
nen Leistungen die Krone auf, als er
feinen Colcord auf den Rücken
nahm nnd gemüthlich mit dieser leben
den Last auf dem schwanken Seil nach
der canadischen Seite hinüberspazierte.
Allerdings soll sich hierbei zwischen Bei
den eine hochdramatische Scene abgespielt
haben. Colcord entfiel nämlich der
Muth auf der Mitte der Bahn, und er
bat Blondin, doch um Himmelswillen
wieder umzukehren. Es handelte sich
um Tod und Leben. Doch Blondin
verlor seine bewundernswerthe Geiste «
gegenwart auch jetzt nicht. Umkehr
wäre sicherer Tod gewesen. Er erklärte
Colcord cinsach, er werde ihn unfehlbar
hinabschleiidern, wenn er noch ein ein
ziges Wort spräche. Colcord fügte sich
und Beide kamen wohlbehalten drü
ben an, wo sie ein rasender Beifalls
sturm der cnthnsiasmirten Menge em
pfing. Am nächsten Tage aber hatte
Blondin einen neuen „Manager"....
Damit hatte das Interesse des Pub
likums seinen Höh:punkt erreicht. Noch
dreimal wagte der kühne Mann
jedesmal mit neuen Überraschungen ge
paart. So schleppt? er einen kleinen
Bratvsen auf's Seil und buk sich oben
in schwindelnder Höhe mitten zwischen
den beiden Usern einen Eierkuchen. Er
wandelte mit gefesselten Händen und
Füßen, ja, mit Getreidesäcken über Kopf
und Beine gestülpt hinüber und zurück.
Nie verließ ihn seine beispiellose, fast
übermenschliche Kaltblütigkeit. Er hatte
wunderer übertrofsen. Nur Einer
reiste mißinnthig nnd nnzufrieden ab.
Jener verrückte Mylord nämlich, der
sich wieder in feiner Erwartung, daß
Blondin nnn endlich einmal den Hals
brechen werde, fchmählich getäuscht sah.
Er reiste dem Seiltänzer sofort nach,
und folgte ihm, wie sein Schatten
Blondin ist heute «6 Jahre alt, und
lebt, feine Kunstreisen abgerechnet, in
London.
Blondins Vorgänger und
Nachah m e r.
Wie man sich denken kann, ist über
Vorgänger Blondins nicht viel zu be
richte». Sai» Patch, der Hoch und
Weitspringer, soll nach einer weitver
breiteten Lesart über dic Fälle gesprun
gen sein. Das ist unwahr. Er ließ
nämlich auf dem Fußsteig untcr der Zie-
Geninsel eine Leiter fast senkrecht aus
stellen, welche mit Stricken an den Bäu
men am User befestigt wurde: !I7 Fuß
über dem Wasser aus der Spitze der Lei
ter war eine kleine Plattform ange
bracht, und von hier sprang Patch zwei
mal in Gegenwart einer großen Zil
schaucrmcnge hinab. Er fa»d später
seinen Tod bei Rochester, als er über
die Fälle des oberen Genesee hinabsprin
ge» wollte.
I« den alten Reisehandbüchern findet
man noch mehrere Erzählung?» über
ähnliche Kunststücke. Joel Robinson
schiffte glücklich über den Strudel, doch
bereits 1811 hatte ein englischer Soldat
ans einem Holzstamm sich nach dem
Strudel treibe» lasse», wo er mehrere
Stuilde» lang umhergewirbelt wurde.
Schließlich jedoch wars ihn der Strudel
wohlbehalten an's User. In neuerer
Zeit haben bekanntlich Potts, Hazlitt,
Sadie Allen nnd Graham in Fässern
dasselbe Kunststück ausgeführt.
Während der letzten Jahre hat es an
tollkühnen Wagehälsen keineswegs ge
mangelt, welche sich den Niagara z»m
Tnmmelplatzc auserkoren. „Professor"
Alfonfo King fetzte auf einem Art
Wasser-Veloriped, dessen Rad mit Schau
feln versehen war, über den Flnß, quer
unterhalb der Fähre. CHarles A. Perey,
verdiente sich die Sporen mit einer küh
nen That: er durchkreuzte nämlich die
Stromschnellen des „Whirlpool" und
erreichte glücklich am 27. August 1887
das jenseitige User. Dabei bediente er
sich eines von ihm selbst erfundenen nnd
coustrnirtcn Rettungsboots, sür welches
er aus diese Art Reelcime machen wollte.
Doch scheint er trotz des Gelingens mit
feiner Erfindung lein bcjondcreS Glück
gehabt zu habe».
Ei» Jahr daraus unternahm eS der
Tollkops Robert Flack aus Syracufe,
N. ?>., in einem gewöhnlichen offenen
»ahn durch den „Whirlpool" zu rudern.
Er wurde i» die Fluiden ans Nimmer
wiederfchcil hinabgerissen. Das Eigen
thümliche ist, daß die zermalmende Kraft
der Wasscrmassen so ungeheuer sein
muß, daß alles Lebendige, organisch
Gestaltete in mikroskopische Atome zer
schellt z» werde» scheint, denn nie kommt
anch nur die kleinste Faser der Verun
glückten wieder zum Vorschein. Wird
ein Balken oder Baumstamm in die
Fälle hinabgerissen, so kommt es wohl
ab und zu vor, daß ties unterhalb einige
dünne Splitter austauchen das ist
aber auch Alles.
Das Drahtseil, welches Dixon neulich
benutzte, war kein Neuling, denn Ste
phen Peere hatte es schon vorher über
den Nlagaraftuß gespannt und war
allerdings niemals direct über den
Fällen darauf aus und abgeschritten.
Auch er fand ein trauriges Ende; er
ertrank 1887 nahe der Häng> brücke.
Eine mehr lächerliche Farce war die
im Posauueiilon der Reklame augekün
digle Vorstellung des „Professors" I.
E. de Leon, der sich vermast, das vor.
Peere gespannte Seil zu überschreiten.
Er kam auch wirklich Jl) Fuß weit.
Doch dann wars er einen Blick a»f des
furchtbar grandiose Schauspiel, welches
sich zu seinen Füßen ausbreitete, und er
zitterte. Glücklich besann er sich ans
Falstafss schönen Wahlspruch, „daß
Vorsicht der bessere Theil der Tapser
keit sei," und sein Entschluß war ge
faßt. Schnell ließ er die Balaneir
stange fallen, und mit beiden Händen an
dem Drahtseil sich anklammernd, eilte
er mit affenähnlichcr Behendigkeit nach
dem sichern Ufer zurück, wo er in de»!
dichten Gebüsch verschwand. Seitdem
hat die Welt von dem „Professor" nichts
mehr gehört.
Die B rli ck en sPr i» g er, Prahl
hänse und Schwindler.
Natürlich konnte vor Erbauung der
berühmten Hängebrücke, die auch dem
genialen Teutschen Röbling ihre Exi
stenz verdankt, von derjenigen Klasse der
„Cranks", die man unter dem Namen
Brückenspringer zusammensaßt, keine
Rede sein. Doch aber dauerte es ziem
lich lange, ehe das verrückte Pcojeet in
einem närrischen Gehirn zur Reise ge
dieh. Larry Donova» war eS, der am
7. November 188«; von der kleineren
Hängebrücke für Fußgänger von einer
Höhe von Fuß hinab in den Fluß
sprang. Er wollte auch den Sprung
über die Gcuescesälle wagen; aber die
Behörden verboten es. Er ertrank
beim Sprunge von der Hungersord
Brücke in England. - Steve Brodie,
der Springer von der Brooklyner
Hängebrücke, hat sich östers bereit er
klärt, über de» Hufeijeiifall hinweg zu
hüpfen, sobald die Hotelbesitzer an den
Fällen sür ihn zusammenbringen
würden. DaS ist nicht geschehen, und
Steve ist auch nicht gesprungen, sondern
läßt sich sein Bier in seiner Kneipe an
der New Borker Bowery noch ganz gut
in aller Ruhe schmecken.
Im Prahlen dürsten es Steve Bro
die denn doch noch Viele gleichthu», ja,
ihn wahrscheinlich sogar überbieten. I»
der letzte» Zeit sind nicht wrnig höchst
anrüchige und verdächtig lautende Ge
schichten ansgetancht über alle möglichen
ans, an, über oder in den Fällen ver
übten Heldenthaten. Doch sind die ei
tirten Zeugen meist verdächtig, und auch
viel zu wenig zahlreich, um ins Gewicht
znsallen. Da will der Polizist Ken
dall a»S Boston durch den Strudel hin
und zurück geschwommen sein durch
nichts beglanvigt, also zweifellos höhe
rer Schwindel.
Was mag wohl a»s dem erfindungs
reichen jnngen Mann geworden fein,
der ein großartiges, unfehlbares Projeet
der staunende» Mitwelt z»r Überwin
dnttg des stärksten Strudels und der
ankündigte? Wollte er nicht, in einem
zehnsüßigen hohlen Gummiball von zehn
Zoll Wanddicke eingeschlossen und sicher
nicht eine reizende Beschreibung von dem
vortrefflichen und reich gepolsterten In
nern dieser Guinmikngel gegeben, Ivo
ihn auch nicht der geringste Stoß treffen
könne? Und sollte nicht die große Vor
stellung ganz bestimmt nnd unweigerlich
am I. Mai I8»l) stattsinden? Der
junge Mann ist nie erschienen, ebenso
wenig sein Gnmmiball. Doch hübsch
hörte sich die Idee an. Vielleicht noch
netter, als Professor Campbells Idee,
mit einer Flugmaschine die Fälle zu
überstiegen. Was ist übrigens aus
Campbell geworden? Auch der Kneip
Wirth Billy Richardson aus Syraeuse
hatte sich in die Gnmmiball Idee ganz
verliebt. Doch dabei: blieb's Billys
Liebe war rein platonisch. Cr hielt sich
in sehr gcinesseiier Entfernung von dem
GummibaU und folgciiweije auch vo»
de» Fälle».
Höchst verletzt muß sich ein junger
Man». Namens Arthur Stanley, durch
die brüske Antwort gefühlt haben, wel
che ihm der Aufseher Welch von der Nia
gara Reservatio» zutheil werde» ließ.
Stanley bat nämlich um die Erlaubniß,
von der Reservation in einem Luft
ballon aussteigen zn dürfen, um dann
sanft über den Fällen hinweg mittels
eines Fallschirms auf's Trockene zn glei
ten. Welch schlug ihm seine Bitte rund
weg ab. Slanlry war untröstlich. Die
Reservation war zu seinem Experiment
unentbehrlich. Kein anderer Fleck rings
um war geeignet. Er nahm sich die Sa
che so zn Herzen, daß er ans Ballon und
Fallschirm gänzlich verzichtete.
Rnben Adams wollte in einem kleinen
Boot dicht an die Fälle heranrudern,
dann eine kleine Kanone abschießen, uni
durch den Rückschlag aus der gefährliche»
Nähe des Sturzes, getrieben zn werden,
in diesen? günstigen Moment einen Fall
schirm aufspauiicu und dann leicht wie
eine Feder in's ruhige Wasser schräg
über die Fälle wegzuschwebe». Cr hat
nie den Fallschirm anfgespaniit, anch nie
seine kleine Kanone mit dem kräftigen
Rückschlag an der Kaute des Falles ab
geschossen.
Verbürgtwird eine kühne That und
damit wollen wir dieser Auszähliiiig
menschlicher Thorheiten einen versöhnen
den Abschluß geben eines gewissen
John Alhey aus Chicago. Derselbe hatte
sich eine elastische Rolle aus sestemAlumi
nium Blech angeseriigt, welche er an i
der Hängebrücke über den Fällen be
festigte und sich dann 175, Fnß lies, ge i
nan bis zur Wasseroberfläche drunten, >
hinabließ. Hier verbliev er in hän i
gender Positur, lange genug, um seine
pyorvgi.apy'.c avneynien zu lauen. Wa
rans ließ er sich in ein unter ihm hal
tendes Boot gleiten nnd ruderte davon.
DaS Aluminimnband war in einer Art
Trommel ausgerollt und ist zum Ge
brauch als Feuerleiter bestimmt.
Hygienisches.
Wie behandelt man Brandwunden?
Eine eingehende Antwort auf diese
Frage finde» wir in der „Fundgrube".
Sind die Wunden leichter Art, so be
handelt man sie in der Weise, daß man
sie mit irgend einem Oele (Leinöl, Sa
lat- oder Olivenöl), Vaseline vder
Glycerin bestreicht, dann mit einer dicken
Lage Bohnemnehl oder Holzkohleupul
ver bestrent und mit einem leinenen
Lappen oder mit Watte zudeckt. Die
Schmerzen lassen bei dieser Behandlung
bald nach und die Blasenbildung hört
auf. Waren bereits borher Blasen ei t
standen, so steche man dieselben vorfich
tig aus, reiße aber die Hautsetzcn nicht
ab. Sollten sich die Schmerzen noch
einmal crnenern, so nehme man den
Verband ab und bestreue die Wunde
noch einmal mit Mehl, ohne jedoch das
bereits aus der Wunde liegende Boh
nemnehl zu entfernen. Eine sehr wirk
same Brandsalbe kann man sich ans 1(1«)
Gramm Leinöl, 10<i Gramm Kalkwas
ser nnd I bis ö Gramm Karbolsäure
herstellen. Auch das alte Hausmittel,
bestehend aus einer Mischung ungesal
zener Butter und Eigelb «sus einen
Eßlöffel Butter ein Eidotter > ist sehr zu
empsehlen. Dagegen nicht genug kann
man davor warnen, den verbrannten
Körperthcil in kaltes Wasser zn stecken
oder ihn gar mit Petroleum oder Tinte
zu bestreichen, wie es leider immer noch
so oft geschieht.
Die Heilung des Kenchhilstens will
Dr. Mohn auf Grund der zufälligen
Wahrnehmung erzielen, daß die Desin
fektion des Krankenzimmers, in welchem
sich die Keuchhustenkranken aushalten,
durch schweflige Säure die Anfälle mit
einer an das Wunderbare grenzende»
Geschwindigkeit beseitigt. Man bringt
die Kranken am Morgen in frifcher Wä
sche nnd frischen Kleidern in ein anderes
Zimmer, in welchem sie sich den Tag
über anshalte». In dem verlassenen
Krankenzimmer verbrennt man auf je
einem Kubikmeter Rauminhalt 2ö
Gramm Schwesel und läßt, nachdem
man das Bettzeug, Kleider usw. zweck
mäßig ausgehängt nnd ausgebreitet hat,
die schweflige Säure sünf Stunden ein
wirken.
Von großer Wichtigkeit sür Jeden,
der sich eine Hausapotheke hält, ist die
F'.-age, wie man am zweckmäßigsten
Sublimat - Verbandstoffe ausbewahrt.
Meyer bat darüber eingehende Versuche
angestellt. Bekanntlich setzt sich das
Sublimat in den damit getränkten Stös
sen regelmäßig bald in Quecksilbcrchlo
ral nm, und man hatte bisher »och
keine geeignete Packung gesunden, um
diese Verbandstoff? vor der Zersetzung
zu schützen. MeherS Unterfuchiiuge»
haben nun ergeben, daß man die Ver
bandsstofse am besten in Gefäßen aus
bewahrt, dir mit Glasstöpseln versehen
sind. Bei dieser Ljrt der Aufbewah
rung zeigte sich der geringste Verlust an
Sublimat, nämlich .!»,!» pCt. Diese
Art wird sich jedoch in der Praxis bei
großen Mengen von VerbaiidSstosfc»
kaum durchführen lassen, und so ist denn
noch die zweitbeste Aufbewahrmigs
lveise zu empfehlen, bei welcher der Ver
lust an Sublimat aber bereits 51,Ä
pCt. beträgt. Man hüllt die Ver
bandsstoffe in Pergcimentpapier nnd
daraus noch in gewöhnliches Papier und
legt dann die Ballen in Holzkisten, die
man vorher innen mit Papier ausgeklebt
hat.
Ueber die Geschichte des Opiums,
dessen Schädlichkeit bei fortgesetztem Ge
brauch unser» Lesern genugsam bekannt
sein dürste, bringt eine Broschüre von
Dr. Edkiiis, welche von dem chinesischen
maritimen Zollamt herausgegeben wor
den ist, einige interessante Einzelheiten.
Die vielsach verbreitete Annahme, daß
das Opium erst vor nicht allzu langer
Zeit aus Indien nach China eingeführt
worden sei, bezeichnet der Verfasser der
Broschüre als irrig. Die Araber seien
eS gewesen, welche- dieses Genußmittel
bereits im achten Jahrhundert nach
China brachten, als Caiito» einen leb
haften Handel mit den Häsen am Ro
then Meere und am Persischen Golfe
unterhielt. Schon im zehnten Jahr
hundert werde di>s Opium in einem
medizinischen Buche erwähnt, und es
steht außer Zweifel, daß man im 13.
Jahrhundert bereits in China Opium
bereitete. Die Sitte des Opiumrau
chens stammt wohl gleichzeitig mit der
des Tabakrauchens ans dem in. Jahr
hundert. Doch man rauchte nicht rei
nes Opium, sondern'man mischte es mit
Tabak und anderen Jngredieuzen zu
sammen, je nach der Landessitte. Zuerst
kam eS aus Formosa nnd bei Am vi, in
Gebrauch. Die Mandschus versuchten
den Genuß des Opiums und des Ta
baks gesetzlich zu untersage». Doch
ohne Ersolg. Die Unsitte hatte bereits
z» weit um sich gegriffen, und selbst
die höchste» Würdenträger, gegen die
das Gesetz ohnmächtig war, übertraten
eS wo und Ivan» eS ihnen beliebte.
Nicht weniger schlimme Folgen, als im
fernen Osten die Opiumsucht, hat bei
uns die gleichfalls unheimlich grassircnde
Trmiksucht.
Ei» folgsamer Gatte.
Kellnerin: „Sagen S' mir nur. Herr
Süsser!: „Weißt, Schatzerl, decs
g'schieht blos meiner Alten z'lieb die
mir jede» Tag jagt, i' soll sei' ja «et
z' ties in'S Glas 'uei'schaun!"
Schwere Strafe. „Fräu
lein Helene, gestern sind Sie mir im
Traume erschienen und haben mir einen
süßer. Kuß gegeben!" „Sie Abscheuli
cher! .... Nun könne» Sie aber lange
warten, bis ich Ihnen wieder ün
Traume erscheine» werde!"
vergfener.
Neber dem ties cingefchluchteten Wald-
Ihale ienkten sich leise die ersten Abend
schatlen nieder. Ans den Bergspalten
und Klüften schienen sie herborznhu
sche», und während die Fichten aus den
Höhen noch im letzten Sonnenglanzc
warm erglühe», wob die hereinbrechende
Dämmerung über Bach, Wiesen und die
Hütten eines an der Berglehne sich brei
tenden Dorses immer dichtere Schleier.
Ein frischer, Heller Tag lag zurück, so
recht wie zum Feiern geschaffen. Und
Feiertag war's auch heute! Galt es
doch, die erste Jahreswende jener gewal
tigen Schlacht festlich zu begehen, welche
ein übermüthiges Kaiserreich zu Boden
geschmettert nnd seinen Herrscher ui
deutsche Hände überliefert hatte.
Sedantag!
Das Fener der Begeisternng. welches
damals ganz Deutschland ausflammen
ließ, war noch nicht erloschen. Der erste
Jahrestag hatte es wieder ans's Nene
angesackt: von der jungen Kaiserstadt
mer zn trocknen waren, wieviel Jammer
nn? Verzweiflung ;u stillen blieb: heute
schien alles verweht, vergessen vor der
gen war der Kriegervercin nebst den
Helden des letzten Krieges mit Musik
im feierlichen Zuge zur Kirche hinange
schritten, dort die Festpredigt mit anzu
hören. Nachmittags hatten Belusti
gungen im nahen Walde stattgesunden,
während für den Abend Bergfeuer ans
den Höhen angeordnet waren, denen
dann in der Dorfsckicnke ei» heiterer
Tanz folgen sollte. Aber während die
Natur draußen in Wald und Feld sich
zur Ruhe anschickte, entfaltete sich aus
der holperigen Dorsstraßc ein immer
geräuschvolleres Treiben. Kinder san
cin derber oder verliebter Scherz sie
traf. Dazwischen knallte eS von Böl
lerschüssen durch das aushorchende Thal,
und hin nnd wieder schoß eine Rakete
zischend in die dunkelnde Abeiidlust, von
Beifallsrufen, Johlen nnd patriotischen
Weisen der angeregten Dorfbevölkerung
anf den Steinstuse» oder den grünange
stiichenen Bänken und freute sich des
Festjubels.
Nnr in einer Hütte, etwas seitwärts
des Dorfes, fah es dunkel mid glanzlos
aus. Es war ei» hübsches Anwese»,
stattlich nnd von einer gewissen Wohl
habenheit zeugend. Trotz der bereits
eingetretenen Dämmerung hantirte noch
ein Mann ans dem angrenzenden Hofe,
indem er gesammeltes Reisig i» Welle»
zusammeiifchnürte und dann übereinan
der schichtet.'. Hin und wieder hielt er
inne und blicke in schweren Gedanken
steif hinüber zn den Bergen, wo soeben
die scharfe Mondsichel ausstieg.
„Da ging er hin und dort ist er ge
blieben !" murmelten die Lippen. „Und
ich trage die Schuld auf mir," setzte ei
hinzu. Als jetzt von der Straße herau!
ernente Hurrahrnse und dann von hellen
Kinderstimmen eine vaterländische Weise
an sein Ohr schlug, da zuckte der alte
Mann zusammen und wandte sich Wiedel
hastig seiner Arbeit zu.
j Aber anch drinnen in der niederen
Stube haderte eine Seele mit dem Ge
schick. Die Stirn gegen das kleine
Schubsenster gepreßt, stand eine Frau
und lauschte den Tönen des herüber
dringenden Festjubels, während ihr die
Thränen langsam über die durchfurchte»
freundliche» Züge liefen.
„Da singen sie und toben", flüsterte
sie, „aber was da drinnen laut im
Schmerz ausjchreit, das können sie nicht
todt machen. Sie sagen, fürs Vater
land sterben ist schön und groß. Wer
jedoch das Opser bringen mußte, kann'S
nicht verwinden. Verstoßen vom Vater,
aus fremd> r Erde fallen, ist aber ein dop
pelter Schmerz. Herr Gott, da droben!
Du gabst ihn mir, Du nahmst ihn mir,
und mit ihm ging meines Lebens Se
ligkeit dahin!" Heiße Thränen entroll
ten ausS Neue den Augen der Klagen
den.
Da störten sie schwerfällige Schritte
vom Hose her aus. Sie fuhr sich mit
der Hand über das Gesicht, wandte sich
dann zum schwarzen Kachelofen, wo sie
nicderkauene und die gesunkene Gluth
durch srisch zugelegte Holzscheite empor
sachte. Der Alte war eingetreten. Er
schien in dem dämmernden Gemach zu
erst die Gestalt seines WeibeS zu suche».
Als er dasselbe vor den« Ose» hockend
erkannte, ließ er sich auf der Wandbank
daselbst nieder. Die Frau hatte sich
sacht erhoben nnd daneben ans einen
huschende Gestalten aus die Diele. Ein
tönig tickte die alte Wanduhr. Da
klang von Neuem stürmisches Tosen von
der Straße. Als die Frau dies ver
nahm, verlor sie die Fassung. Sie
schlug mit dem Kopfe gegeu den Ofen
znd schluchzte laut.
„Mutter!" stieß der Alte hervor,
„nicht noch daS! Ich trag's schwer ge
nug !"
„Ich klag Dich ja nicht an!" jam
merte sie.
„Mit Worten nicht aber !"
Er schlug sich mit den Fäusten vor die
Brust. „Sich hinein, wie's hier frißt
und brennt und immer wilder, hei
ßer, je mehr ich eS still hinuntcrwürgen
möchte." Er schntteltc die Arme.
»Geh ,ch hinaus Keiner sagt ein
Wort, aber vor Ihren Blicken lauf ich
Spießruthen!" Komm ich heim, schnürt
»lir Dein Schweigen die Kehle zu.
Es ist ein Leben, das ich verfluchen
möcht', trüg' ich nicht selbst die Schnld.
Daß eS auch mein Sohn war, danach
fragt Keiner! Daß mein HanS mein
Alter einsam geworden "
„Du selbst fticß'st ihn von Hans und
Hof!"
„Weil er die Hand gegen mich hob!
Soll ein Vater —"
„Er war gut und brav und wollte sein
Wort halten. Du aber hast ihn wie
einen Bube» behandelt. Und dann
dann erst laß eS! Die Todten ste
hen nicht wieder auf!"
Ter Alle war zusammengebrochen.
„Ich war hitzig— ?r auch!" murnielte er.
„Zwei Harle Steine malen nicht gut.
Blut vou meinem Blute! Was hiug er
sich an das Mädchen. Er wußte, daß
ich dagegen war. Sauer genug hab'
ich's mir werde» lasse», nicht aber, nm
dann ein solch' sahrig Bettelkind in
mein Anwesen zu bekommen."
„Dortchen ist besser als alle Mädel
im Dorfe. Sie Hat'S nicht überwunden
und hat abgeschlagen, al» ihr neulich
des reichen Messings Franz die Hand
anbot. Auch ihr ist das Leben vergällt
—auch ihr!" Tic alte Frau nickte weh
müthig und schwieg dann. Eine kurze
Pause entstand. DaS Feuer knisterte
übermüthig und in dem kleinen Baum
am Fenster regte sich im Traume leise
zirpend ein Vogel. Nun erhob sich die
Frau, zündete eine Leuchte an und hing
sie an den Thürpfosten. Dann faßen
sie Beide wieder nieder in dein matt
erhellten Raum.
Der Alte senszte schwer. Es schier
ihm heute Bedürfniß, alles das, was
ihn bedrückte, von feiner Seele abzu
schütteln, wie oft er auch schon damit
die alten Wunden auf's Neue ausgerissen
hatte.
„Heute vor einem Jahre ha. ha
sie seiern ja heute diesen Festtag
anch ich! und alle Jahre wird'S sc
sei» da starb er. Eijner's Kar!
sah ihn fallen, aber er mußte weiter, und
fo hat er keinen Gruß mehr mitbringen
können." Er stand aus. „Fürs Vater
land ist er gestorben. Freiwillig folgt«
er der Fahne, weil ihm der eigene Baiei
über die Schwelle de» Weg gewiesen.
Wär's nicht dies, ich würd'S ertragen
lernen! Aber so aber so!" Schüsse
nnd Jubelgeschrei drang echowccke»d von
der Thalwaud herüber. „Hört auf!"
schrie der Alte. „Ihr zerreißt mir das
Herz!" Er taumelte zum Fettster.
„Da da Bergfener überall, den gro
ßen Tag zu feiern. Und hier drinnen
o Gott! O Gott!" Er waukle zu
rück und faßte die eine Hand der leif>
weinenden Frau. „Wenn ich gefehlt,'
hastete er unter Schluchzen heraus, „ick
büße jetzt jeden Tag auf's Nene doppell
die Schuld!" Er sank aus die Ofen
bank zurück und vergrub das zuckend«
Antlitz i» de» knochige» Hände». Sc
faßen sie lauge.
Ein wiederholtes leises Klopfe» hat
te» sie überhört. Jetzt ging facht die
Thür auf. Die Gestalt eines blasse»
bramizöpfigen Mädchens stand a»f de.
Schwelle mid blickte bewegt aus di«
traiiernde Gruppe der einsame» Alten
am Ose». Sinn schlug es den blane»
Doppelmantcl etwas zurück, ging ein
paar Schritte vor und rührte die alte
Fran still an der Schnlter.
„Mntter Weidner!" sagte es warm
mit leise bebender Stimme.
Bei dem Klange dieses Tones hoben
die Beiden erschrocken die Köpfe. De«
Alte starrte wie verloren ans das Mäd
chen, die Frau aber war anfgestandei!
und hing iiu» weinend am Hälfe des
kaum selbst der Thränen sich mehr weh
renden Mädchens.
„Dortchen!" sagte endlich die Frau
»nd streichelte zärtlich deren schmale
Wange». „Was sührt Dich hierher i»
das Hans der Verlassenen?"
„Weil ich meine, heute gehören wii
zusammen. ES trägt sich dann leichter,
und ich hoffe, heute wird man mich we
nigstens hier dulden wollen."
Sie ninschlang mit beide» Armen die
zitternde Frau und barg dann ihr Hanpl
au deren Schulter.
Der Alte war aufgestanden.
„Dore!" hustete er. „Wenn Dn ge
kommen bist, mich anzuklagen, iminerzn!
Aber ich sag' Dir schlimmer als
ich mich selbst kannst Du mich nicht ver-
Die Angeredete hatte ihr Haupt wie
der ausgerichtet
„Ich komme nicht um zu klagen. Wenn
ich einst ans Euch zürnte Gott hat
entschieden! Gott hat gerichtet! Wenn's
Euch leichter macht, Bater Weidner: ich
hab' Euch vergeben um unseres Todten
willen. Mög' auch Gott Euch gnädig
sein. Vergönnt mir ein Stündchen heut'
hier Rast. Mein Herz trieb mich her.
Mich hat bedünkt, als könnt' dies seiner
Mutter Freude machen"
„Ja, das thut'S auch, Dortchen, das
thut'S auch!" flüsterte die alte Frau und
zog das Mädchen an ihre Seite. „Sitz'
nieder, Dortchen! Wir wollen denken, er
käme wieder und »lleS war nur ein
schwerer Traum. So, Deine Hand!
Ach, ach!"
Der Alte wollte jetzt reden, aber die
Stimme schien ihm zu versagen. Ein
heißer Blick des Dankes war aus das
Mädchen gefallen, dann aber sank der
Mann erschöpft aus seinen Sitz zurück
„Ein Traum?!" murmelte er. „Die
Erde gibl die Todten nicht wieder!"
Das Feuer prasselte im Osen, die
Wanduhr tickte; aber ob es 'auch jetzt
Drei'waren, welche hier das Leid zu
sammengeführt, es blieb doch still im
Stübchen.
Die alte Fron hielt die Hand des
Mädchens sest, als wollte sie dieselbe
nicht mehr lassen. Durch die dunkle
Nacht lohten die Flammenzeichen von
Hätten die Trauernden jetzt einmal
ausgeschaut, sie würden erschrocken zu
rückgebcbt sein. Turch das Weiiiblättcr-
Gewirr an dem einen Fenster hatte sich
ei» bärtiges Männergesicht Bahn ge»
brachen und blickte nun voll tiefer Be
wegung hinein in daS Stübchen.
„Mutter! —Dore!" stammelten dic Lip
Pen und preßten sich heiß gegen die
Scheibe. Dic Brust dcs Mannes hol»
stürmisch: mit Mühe nur schien er eine»
Laut der Freude zurückzudämmcn. Im
nächsten Augenblick ward die Stnben
thür hastig ausgestoßen. Auf der
Schwelle stand ein Krieger. Eine tiefe
rothe Narbe lies ihm über dic Stirn.
Dem Antlitz sah man noch die Spuren
kaum überstandencr Leiden an, aber aus
de» Augen sunkcltc es in herzbewegender
Seligkeit.
„Dars ich eintrete» ?" rief er.
Ei» dreifacher Aufschrei ließ den 'lei
nen Raum erzittern.
„Fritz ! Fritz!" Das Mädchen war
emporgeschnellt. Zwei zitternde Mut
tcrarme Hobe» sich dem Sohne entgegen
Aber der Mann aus der Schwelle rührte
sich nicht.
„Darf ich eintreten?" wiederholte er
noch einmal.
Da wankte der Alte ans der Osenecke
j hervor, dem Heimgekehrten entgegen.
„Bergieb mir vergiß !" Er kam nicht
weiter. Aus tiefer Seele rang sich
Schluchzen »nd Jubel durcheinander.
Dann hielt er den Sohn umfangen und
zog ihn herein in die Slube.,, O. Gott
DaS hab' ich »icht verdient! Mutter, dn
haben wir ihn wieder mid alles wird
wieder gut." Nun lag die alte Frau
auch an der Brust des Nengeschenkte».
Stumm und »och um einen Schein
blässer stand das Mädchen noch immer
am Ose». Da ergriff der Alte die
Hand der Einsame». „Junge", sagte
er, „um ihretwillen schieden wir uns,
jetzt komme ich selbst als Brautwerber.
Willst Du ihn nock», Dore?" Sie enthob
ihn jeder weiteren Rede, denn schon lag
sie in stummer Freude au der Brust des
Geliebten gebettet.
„So war's doch nur ein Traum.
Mutter", sagte der Alte und zog die
Frau an sich.
„Ja, ja, ein Tranm!" nickte sie.
„Ein schwerer, böser!" schloß der
Krieger. „Ein Jahr ist's heute, daß
man mich für todt auf dem Schlachtfelde
liegen ließ. Aber schließlich habe ich
doch dem Gevatter Klapperbein ein
Schnippchen geschlagen. Es war ein
harter Kamps um Lebe» und Tod. Vor
drei Tage» erst bi» ich als völlig ge
keilt entlassen worden. Da Hielt'S mich
nicht länger. Als ich die Bergfener über
unserem Thale brennen sah, war'S mir
ein Grnß, den die Heimath dem Wieder
kehrenden bot. Und min wollen wir
Sieges- und Friedensscst feiern!"
Von Berg zu Berg loheten die Flau, >
men durch die Septembernacht. Sie
züngelten strahlend znm gestirnte»
Himmel ans und tauchten Wald nnd
Thal in ein Meer von Licht und Frende.
Ein »'armer Strahl von wiedergekehr
tem Licht nnd Glück hatte sich auch über
die Herze» derer gebreitet, die jetzt aus
de» Fenster» eines stillen Hauses dank
ten..^...
<?« n Romankapitel.
Man könnte es ein effektvolles Schlnß
kapitel eines Romans nennen, was sich
vor wenigen Tagen in einer Sommer
frifche an der stcicrinarkischen Grenze
zutrug. Eiue wohlhabende Wiener
BürgerSfran hatte mit ihrer Familie
dort Sommcraiifenthalt genommen.
Der Gatte der Dame kam nur jeden
Sonntag zn seiner Familie, da er in
seiner Fabrik während der Woche thätig
sein mußte. In das Dörfchen war eine
Komödianten Truppe zu kurzem Aufeut
halte eingezogen, die ihre Vorstellungen
in der dürftigste» Weise, die Jedermanns
Mitleid erweckte und zu milden Gaben
aufforderte, gab. Ein altes Mütterchen
trug alltäglich die geklexte» Theaterzet
tel zu de» „hohen Herrschaften" a»S mid
Frau N., welche heute im Glücke lebt,
zählt, die Tochter einer Schauspielerin,
hatte jedoch ihre Mutler im Leben nie
mals gesehen: sie >var von einer Vcr
lcbt.
sckollcne Mutler, nnd sie dachte, ob nicht
vielleicht ei» grausames Geschick diese
Arme auch in eine solche traurige Le
bensiage versetzt habe. Die alle Zettel
austrägeri» humpelte Tag sür Tag ein
her »nd erhielt ihre kleinen Gaben
eines Vormittags blieb sie ans. Sie
daß dieselbe in einem hinterlassenen
Briese erwähnte, daß sie eine Tochter
Namens Ludovica habe, die sie einer
Verwandten gänzlich zur Erziehung
überlassen, und der sie sich nur darum
nicht genähert habe, weil sie als herab
gekommeiie Dorslomödiantin die ange
such nicht hatte compronilttiren wollen.
Die Fabrikantensrau begann zu schluch
zen und eilte an die Bahre ihrer —
Mutter; sie sah dieselbe zmn erste»
Male als Leiche. Die arme ZettelanS
trägerin bekam ein würdiges Leichenbe
mochte eine» Roma» erlebt haben, die
entsagende Mutter, und hatte sicher nicht
geahnt, daß sie aus der Hand ihrer eige-
Beinahe verschnappt.
Lieutenant zum Coinmerzienrath Mo
senthal, der kürzlich getauft ist: Aber
Herr Coinmerzienrath, Sie trifft man
doch überall. Sie wandern ja wahr
hastig umher, wie der ewige
Christ!