Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 02, 1890, Page 2, Image 2

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Die schöue Engenie.
In Kopenhagen bildet seit einigen
Tagen eine Seandalgeschichte, deren
Heldin eine EircnSreiteri» ist, daS all
gemein» Tagesgespräch. Jhrcn Aus
gang uiiilmt diese iutcressante Affaire
eigentlich von Petersburg aus. Im
vergangenen Winter produeirte sich all
abendlich im CircuS Ciniselli in Peters
burg eine Kunstreiterin von der hohen
Schule. Fräulein Engenie Weiß, eine
Deutsche, deren Schönheit die Herzen der
russischen clni-oo gefangen
nahm. Zn den Bewunderern der schö
nen Reiterin zählten auch zwei hochge
sürstete Persönlichkeiten, die wiederholt
nach der Vorstellung i» Gesellschaft der
Künstlerin in dem berühmte» „Tarta
rifchen Restaurant" auf dem NewSky-
Prospeet nebe» dem Admiralsplatze zu
sehe» wäre». Die flotte» Jugendstreiche
der schöne» Engenie hinderten jedoch
nicht einen deutscheu Baron aus den
baltischen Provinzen, sich in die so ganz
besonders bevorzugte Dame zu verlie
be».
Der Baron nahm sich ein Herz, ge
stand der Künstlerin seine Liebe, wurde
erhört, und einige Tage später war die
CircuSreiterin dem Baron als dessen
eheliche Gattin angetrant. Die Fami
lie des Barons war jedoch mit dieser
Ehe nicht einverstanden und entzog ihm
jede Unterstützung. Auch wurde ihm
bedeutet, daß er keine Anwartschast
mehr auf die große Erbschaft habe, die
ihm bisher winkte.
Der Baron wollte jedoch von seiner
Gattin nicht lassen. Nach wie vor pro
dncirte sich die Reiterin allabendlich im
Circus, »>»d da sie. dank ihrer Schön
heit und Kunst, viel Geld verdiente,
führte das sreiherrliche Paar das
schönste Leben.
Mit Schluß der Wiul»rsaison nahm
die schöne Engcnie ein neues Engage-
Gatte begleitete sie. Wie in PeterS
borg, eroberte die Künstlerin auch am
Sund alle Männcrherzen. Ein Garde-
Lieutenant verliebte sich in die Dame
uud machte ihr fleißig den Hof.
Die schöne Baronin ans dem CireuZ
und eines TageS überraschte der
Baron seine Gatti» in deren Garderobe
in einem zärtliche» tstv-->-t«;tv mit
dem Garde Lieiitenant. Die Folge
war ein Duell, ans welchem der Baron
als Verwundeter hervorging. Nun
kommt das interessante Nachspiel.
Außerdem habe» die Kameraden des
Lieutenants ein Ehrengericht bestellt,
weiches zu entscheiden hat, ob der
müsse. Die schöne Engeiue jedoch setzt
ungestört allabendlich ihre Productionen
im EireuS fort und erntet noch stürnii
junge Leute, welche bald daraus die
Künstlerin mit Pfeifen und Zischen
empfingen, wurde» vou de» übrigen
Zuschauern a» die Luft gesetzt.
MiqifciS Finanzpläne.
Der preußische Finanzminister hat
«oeben a» alle deutsche» Erfinder nach
stehendes Rundschreiben gerichtet:
Geehrte Herren-! Ich beabsichtige,
die vollständige Balance zwischen Ein
nahmen und Ausgabe» herbeizusühre»
und bedarf hierzu Ihrer thatkräftigen
Mitwirkung.
Sie wissen, welche Summe» die Ein
führung des neueu Repelirgewehrs ver
schlunge» hat. Reue, verbesserte Repe
tirgewehre liegen sozusagen in der Luft
u»d werde» weitere Opfer erheische».
Hieraus entstehen sinaneielle Schwierig
leiten, welche sich nur durch ein einziges
Mittel beseitigen lassen.
Hie müssen so schnell wie möglich ein
i/iepe!ir - Portemonnaie erfinde», mit
welchem die ganze Armee der Steuer
jahler bewassiiet werden kann. Ich
denke mir in der Eoustruction ein Geld
uiagazi», welches eine bisher ungeahnte
Geschwindigkeit der Abgabe ermöglicht.
Wenn sich daS erreiche» läßt, so wird
dem Eommando „Schnellfeuer" natür
sprechen.
Auf die Verwirklichung dieser Idee
dnrch Sie, meine Herren Erfinder, rech
iet bis zur Eröffnung der Parlamente
Der neue Steuer Manu des deut
schen RcichsschissS.
Der Raub der Sabinerinnen.
Wasfeuklirren, Racherufe
Schallten durch die Nacht
Aus dem Lager der Sabiner,
Die in großer Macht
Gegen Rom zn Felde zogen
Und in grimmer WutH
Ihre Schwerter röthen wollten
Mit der Römer Blut.
Keiner schlief-, sie alle harrten
Auf den nächsten Tag,
Um die Stadt dann anzugreifen,
Die im Schlummer lag.
An den Räubern ihrer Franen
Und der Töchter Schaar
Sich zu rächen, der Sabiner
Höchstes Sehne» war.
In die wilden Racherufe
Stimmten alle ein,
Abseits saß, allein.
„Wie, was ist Dir," ruft ihm plötzlich
Ein Gelährte z»,
„Du allein vermagst zu sitzen
Hier in stiller Ruh?
Auf! Wie magst Tu lautlos trauern,
Da Dir Rache lviukt?
Und die Rache soll uns werden
Eh' die Sonne sinkt."
„Laß mich trauern, o Gefährte,
Lassc mich allein!
Du verstehst nicht meines Herzen-Z
Höre denn, weshalb ich senke
Sorgenvoll mein Hanpt:
Meine Frau ermiß den Jam
mer
Word t mit a e ra.'i.b t!
Das «lter.
ES giebt gar nichts Abscheulichere?
als alt werden, und doch giebt es kein
anderes Mittel, das Leben zu erhalten;
wem es kein Vergnügen macht, mit
weißem Haar und welken Wangen und
mit allen möglichen Gebrechen behaftet
weiter zu wandern, dem bleibt kein an
derer Rath als jung zu sterben. ES ist
wirklich vom Himmel nicht hübsch ein
gerichtet, daß wir Alle diesem Schicksal
verfallen; viel reizender wäre es dzch.
alt geboren zu werden und der Jugend
zuzueilen, was wäre dies für ein ver
lockender Weg, der zu einem köstlichen
Paradies« führte, und doch hasten wir
gerade in der Jugend so ungeduldig
vorwärts, als ob wir erst mit dem
Aelterwerdcn dies erträumte Paradies
und alle Herrlichkeiten erreichen könnten,
um schließlich die traurige Erfahrung
zu machen, daß meist das Glück nicht
vor, sondern hinter uns liegt und uu
fcre krankhafte Ungeduld nichts weiter
thut, als uus um den Genuß der Ge
genwart zu bringen. Schon Franklin
hat mit seiner amerikanisch-nüchternen
Verständigkeit behauptet:
Die Kinder und die Narren bilden
sich ein, daß 20 Frk. und 20 Jabre nie
mals zu Ende gehen können, und wie
rasch ist Beides ausgegeben. Viele hal
ten dann das Leben sür eine ärmliche
Sache, nachdem die Frische der Jugend
und die Neugier, was es Alles bringen
werde, vorüber und unbefriedigt geblie
ben sind, und aus diesen Enttäuschten
bildet sich meistens das Heer jener heil
losen Pessimisten, die das ganze Dasein
nicht heftig genug als eiue lästige und
häßliche Würde anSschreien können, und
doch, wie Wenige haben dann den Muth,
die Consequcnzcn zu ziehen uud diese
Bürde abzuwerfen.
Mit 20 Jahren glaubt man die Welt
mit 40 Jahren zur Erkenntniß zn kom
men, daß man mit all' feinem Stnrn,
und Drang ein Narr war, und die Welt
so ruhig weiter geht, als ob Niemand
da gewesen, der mit Auswand aller
Kraft seine Schulter angesetzt, um sie
aus den Angeln zu heben.
Jugend, ach, ist dem Alter so nah.dnrch'S
Leben verbunden,
Wie ein beweglicher Traum gestern und
heute verband.
Die Wahrheit dieses DichterworteS
»fahren wir zu unserer verblüffenden
Ueberraschung einmal Alle, aus dem
übermüthig lustigen Gestern wird ei»
sehr ernstes, ost mürrisches Heut. Schon
Dante ruft ans: „Leben ist Eilen zum
Tode"; aber damit ist ja noch lange
nicht gesagt, daß wir uus allzusehr be
eilen uud aus die freundliche Gewohn
heit des Daseins rasch verzichte» sollen,
und so bleibt ui:S wirklich usckitS Ande
res übrig, als daS verdrießliche Alte:
mit in den Kauf zu nehmen.
Müssen wir das wirklich? Da hat
ein Professor in Neapel eine eingig
große, wahrhaft wunderbare Entdeckung
gemacht: der Mann hat glücklich her
ausgefunden. daß all uuser Altern aus
einen abscheulichen Bacillus zurückzu
führen ist, dem wir allein diese häßliche
und bisher als unheilbar geltende
Krankheit nämlich daS „Altwerdeu"
zu danken haben.
die sich überall eingenistet haben, uns
das Dasein verekeln und verleiden, tra
gen sie jetzt sogar die alleinige Schuld,
schrnmpsen.
Wenn wir wenigstens dieses nichts
nutzigsten nnd gesährlichsten Schufte von
all dem kleinen Gelichter erwischen uud
entserne» könnte», was wäre eS dann
sür eine Lust zu lebeu! Was brauchten
wir uns dann länger darnm zu härmen,
teil nicht nur eiue» dauerhaften Früh
ling in »»lern, Herzen, sondern auch auf
unserm Hanvte nnd in all unseren Glie
alS ewige Jünglinge. ES ist ein Traum,
dessen Verkörperung aus'S Sehnlichste
zu wünschen. „Jugend ist Truukenheit
ohne Wein."
Gelingt es also wirklich unserem Pro
fessor in Neapel, diesen das Alter ver
schuldenden Bacillus nicht nur wissen
schaftlich festzustellen, sondern auch zu
vertreiben, so beginnt am Ende unseres
Jahrhunderts eine nene Zeit, »ud dein
Entdecker ist der lebhafteste Dank aller
nachkommenden Geschlechter gewiß. Was
sind alle Erfindungen und Forschungen,
deren wir uns bisher rühmen können,
gegen diese den wahrsten MenschheitS
ii-ähling heraufbeschwörende Entdeckung!
Märchen, in dein Jeder die Rolle des
nicht?: die schöne Helena bleibt nach
Jahrzehnten noch liebeuS- und begeh
renSwerth. und der edle Dulder Odys
ieu> kehrt nach allen kämpfen nnd Irr
Ahl ten so jugendkrästig zurück, daß ei
jpauuen tonnte.
Da-Z war da? bacillenlose golden«
wir des altmachendcn Bacillus glücklich
havhast geworden und nun sorg- und
furchtlos in die Zukunft blicken können,
denn nur die Jugend ist wahres Glück,
sie allein senkt Sonnenglanz und blauen
Himmel in das Herz und weckt darin
tausend wundeibare Blüthenträume.
Das spätere Leben ist nur noch ein
matter Abglanz von all der stürmischen,
herrlichen Jugendzeit, und das Tragi
sche von all dem bleibt, daß wir in die
sen einzig goldenen, süß berauschende»
Tagen nnS niemals vollbewußt werden,
welch ein wunderbarcS Glück iu unserem
Herze» ruht, welch einen köstlichen
Zanberstab wir in den Händen halte».
So lange wir diesem schlimmsten
aller Bacillen nicht zu Leibe rücken und
ihn nicht unschädlich machen können, so
lange hat daS Leben keinen rechten
Werth, müssen wir nns mit der tiefsin
nigen Betrachtung über die Vergäng
lichkeit alles Irdischen herumschlagen
und uns mit der Vorstellung zu tröste»
suchen, daß wir schließlich Alle dem all
gemeinen Menschenschicksal verfallen und
—verfallen.
Das Alter drückt uns allmSlig in einen
einsamen Winkel, wo wir zuletzt mir aus
unsere eigene Gesellschaft «igewiesen
sind, und wohl Dem, der dann keine bes
sere fordert und braucht. Die körper
liche Schwäche, die sich mit den kommen
den Jahren geltend macht, die Leiden
schaften, die sich beruhigen, die großen
Wünsche und Illusionen, die endlich ver
blassen, machen uns zuletzt das Scheiden
aus dem Leben leicht.
Wir schließen die ermatteten Augen
in der Hoffnung, sie wieder aufzuschla
gen in einem höheren Lichte, und wür
den wir dies wohl können, wenn uns
eine ewige Jugeud beschiede» wäre?
Eine neue Jugend ist aber Jedem sicher
sie liegt im glücklichen Ringeu und
Streben, und glücklich derjenige, der
sich diese Jugend bis in's höchste Alter
zu bewahren weiß! Ach, schon die Er
iiinernngc» aus der Jugendzeit verbrei
ten eine» desto frischere» Hauch über die
Seele, je älter wir werde»; es ist uicht
das wirkliche Glück, das wir damals
getroffen haben, aber es ist nicht mehr.
Das ganze Leben soll ein Jugendgedanke
sein, ausgeführt durch das reifere Alter.
Schelte» wir deshalb nicht die Jugend,
selbst wenn sie sich noch so wild und un
bändig gcberden mag; halten wir Alle
die Jugeud wenigstens in nuseren Her
zen fest, wen» sie uns auch längst in
Wirklichkeit entfloheii.
Die verwilderte Operette.
der Operette, i»S Jenseits hinüberge- >
gangen, sind es sast ausschließlich Wie
ner Compositeure. welche ähnliche Er- j
folge wie jener, auf dem Gebiete der
Operette zu erreichen wußte». Ihre
Touschöpfungeu sind im Siegesflug
nach allen Wclttheilen gedrungen. Aber
in den Lorbeer knüpft sich auch manch'
uuangenehme Erfahrung. Wie ange
sehene italienische Blätter tadelnd schrei
ben, greisen nämlich in neuerer Zeit zahl
reiche italienische Direktoren zu den
allerverwerslichsten Mitteln, um die
Operette ihrem Publikum „mundgerech
ter" zu machen. So schrieb dieser Tage
M. F. d'Areais im Feuilleton der
„Opinione" Folgendes:
„In Neapel nnd in den südliche«
Provinzen überhailpt sind die Operetten
darstellungen aus einen Grad der Scham
losigkeit herabgesunken, von dem man
sich weder in Rom, noch in den übrigen
Theilen Italiens eine Vorstellung ma
chen kann. Die Operette selbst, sei sie
nun von Suppe, von Leeocq odee von
Anderen, bietet nur mehr den Vorwand
sür die unglaublichsten Abscheulichkeiten.
Die Kunst hat damit nichts mehr zu
schaffen nnd in diesen trivialen Paro
dien erkennt man weder die deutschen
noch die französische» Original' wieder.
Es ist ein schwerer Fehler der maß
gebenden Behörden, Darstellungen sol
cher Art, die an keinem Orte geduldet
werde» würde», auf der Bühne passireo
zu lassen.
In Neapel gibt es eine nicht unbe
deutende Anzahl kleiner Theater, du
auf einer Stufe mit abscheulichen Spe
kulations-EtablissementS stehen Zeit
wäre eS, daß man sie alle ohne Pardon
und im kurzen Wege schlösse. Man
sage mir nicht, daß ich eine Form von
»t unst bekämvfe, die frei sein müsse. Ich
kämpsc keineswegs gegen die Operette
selbst, obzwar ich im Allgemeinen keine
Sympathie sür sie hege. Ich finde ge
wiß nichts Anstößiges daran, „Donna
st Is tiuit," von Leeocq auszuführen, so
wie sie ihre Autoren geschrieben und so
wie m.m sie in Wien oder in Paris auf
führt. Aber weder Suppe noch Lecocq
würden ihre Werke wieder erkennen,
wenn sie auf gewissen italienischen Thea
tern und namentlich auf denen der süd
lichen Provinzen hören und namentlich
sehen würden! Sie wären die Ersten,
welche laut Protest erheben würden
gegen die Verstümmelung und Schän
dignng des Anstandes und der guten
Sitte herabgewürdigt hat."
Soweit der angesehene italienische
Kritiker, dessen vernichtendes Urtheil
strikte der Wahrheit entspricht, wie
Maestro Suppe jüngst mit eigenen
Ohren und Augen sich zu überzeugen in
der Lage war. Suppe machte nämlich
eine Reise »ach Italien, aus welcher er
auch Florenz berührte. Man gab „Die
Glocken von Corneville" und zn seinem
Unglück befand sich auch der Meister
unter den Zuhörern. Lange hielt er's
aber im Theater nicht aus, denn was
er da namentlich gelegentlich des
bekannten Mädchenchors im ersten Akte
schon an „Ausstattung" zu sehen be
kam, das war ihm, der wohl in seiner
langen Theaterpraxis schon so Manches
erlebt, denn doch zu viel und mit einem
kräftigen Wort auf den Lippe» verließ
er die „Kunststätte", in der ein treff
liches Tonwerk den Rahmen zu einer
geradezu indezenten Schaustellung bie
ten mußte....
Fünfzig Tons.
» «leoocil«
Seien wir nachsichtig mit Jenen,
welche der Noth oder der Versuchung
uutcrliegen, deuu welcher Gerechte könnte
von sich behaupten, daß er niemals ge
fehlt, daß er sich kein einziges Mal,
wenn auch nur in ganz winzigem Maß
stabe. an dem großen, weltregierenden
Prinzipe vou Mein und Dein versün
digt hätte! Und wie dies einem sonst
sehr anständigen Menschen passiren kann,
das will ich hier erzählen:
Mciu monatliches Einkommen wurde
erst de» darauffolgenden Tag sällig. Ich
durchsorschte also alle Fächer meiner
Börse und legte eine» der Silbersüchse
zu dem anderen, welche mir in ihr-r Ge
sammtheit über die vierundzmauzig
Stunden hinweghelfen sollten, die mich
noch von dem Augenblicke des ersehnten
Jneasso trennten. Nach genauer Fest
stellung der unterschiedlichen Valuten
sagte ich mir, daß ich gerettet war. Ge
rettet aus dem eiusachen Grunde, weil
eine liebenswürdige Einladung mich ge
rade jenen Abend der Mühe überheben
sollte, mein Souper selbst zu bezahlen
und mir noch außerdem fünf volle
Francs sür mein Dejeuner übrig blie
ben. Sehr sonderbarer Weise verspürte
ich an jenem Morgen einen wahren
Wolfsappetit und beschloß zn Brebant
zn gehen, mit dem unerschütterliche»
Vorsätze, meine süns Francs bis zu dem
letzten Centime aufzubrauchen. Ich
wollte eben nieine Wohnung verlassen,
als an die Thüre gepocht wurde. Das
Verhängnis! trat in Gestalt eines meiner
College» der sich in dem beseligen
den Irrthume gewiegt hatte, der Mo
nat, in dem wir lebte», zählte nur
dreißig Taae; den einunddreißigsten
hatte der Bedauernswerthe eben ganz
vergessen und ersuchte mich deshalb....
Also wir theilten uns brüderlich in
meinem VcrmögcnSreste und mir für
luciue Person, bliebe» das Rechen
exempel ist wahrlich nicht schwer
fünfzig SouS. Ich entsagte Brebant
sammt seinen berühmten Omellctten und
schlug schweruiüthig Vrn Weg uach einem
äußerst bescheidenen Restaurant ein.
Schon halte ich dessen Schwelle erreicht,
als ich mich ganz unerwartet von zwei
starken Armen umschlungen sühite und
eine fröhliche, mir wohlbekannte Stimme
sn mein Ohr schlug:
„Ah, das nenue ich ein glückliches Zu
sammentreffe»
Der es sprach, war ein liebenswürdi
xier Däue. we'.cheu ich während meines
Aufenthalts in «opeuhageu kennen gc
lernt hatte uud der mich damals mit der
herzlichste» Freigebigkeit bewirthete,
mir eine so auserlesene Gastsreuud
schast angedeihcu ließ, daß ich mir ins
geheim gelobt hatte, seine zahllosen
Äusmerksainkeiten einstens in gleicher
Münze heimzuzahlen. Und diesersreu
dige Augenblick war nnn gekommen!
Ja, aber SchicksalStücke, ich besaß nur
, süuszig SouS! Freilich hätte ich eine
)riugeudc Audienz im Ministerium oder
sonst etwas vorschützen können, aber un
glücklicher Weise hatte mich überrascht.
>vie meine Hand bereits die Klinke der
! SieftaurativnSthür ersaßt hatte.
„Sie gehe» da hinein?" fragte mein
Säuischer Freund in dem gleichgiltigsten
Tone der Welt, während mich eine
Höllenangst packle und ich mit heuchleri-
tchcm Lächeln entgegnete:
ch Ihne» versichern kann."
! Bei diesem unzweideutigen L orbe ath
! nete ich erleichtert auf uud er fügte
l zutmüthig hinzu:
j „Aber ich will Ihnen gerke Gesell
ichast leisten und wir plaudern ein
! venig, während Sie Ihr Efseu vxrzeh.
> ceu."
Nunmchr von dem größten Ver
lane» zu dem bereits gesätligtenFreuude
loeal. Er erzählte mir allerlei von sei
ner Heimath, bis die von mir bestellte
itoteiette gar gebraten »nd von den
pände» eincr drallen Kellnerin servirt
var. Ich begann eben meine Portio»
j» zerschneiden, als der Däne plötzlich
j.'iii bisheriges Thema sallen ließ nnd in
?e» schreckliche» Ruf ausbrach: „Ei, ei»
>aS sieht ja recht appetitlich aus!"
Bei diese» Worte» gab es mir einen
inßcrft schmerzhastc» Stich in die Herz
gegend. Ich brauchte gar nicht auszu
chamu, um zu errathen, welchen Ent
schluß das Antlitz memcS Freundes be
endete. Der tNang seiner Stimme ge
lügte mir, damit ich die traurige Ge
vißheil besaß, er werde sagen, was er
iun thatsächlich sagte:
„Ich könnte eigentlich auch noch ein
Stückchen Fleisch essen."
„Es ist etwas schwer nach Ihrem
:ompak!en Frühstücke," rieth ich ab.
„Bah, ick> habe eine Verdauung wie
iin Strauß."
„Uud etwas zähe," fügte ich hinzu.
„Ich kann Eisen zermalmen," versetzte
'r mit einem sröhlichenGelächter.daS zwei
jieiheu starler und vorzüglich gefügter
Zähue bloßlegte.
Mein Widerstand war besiegt und
vährend er die Kellnerin Heranries, um
zas Gewünschte anzufchasseu, machte ich
ii aller Eile folgende Ausstellung: Zwei
Toteleltes 24.... Der Wein 8
zuicht 32, nnd »! SouS Brot macht 38,
Keineswegs trostlos und mit einer Ge
i ?erde stolzer Zuversicht ergrissf ich das
! LiaS lucineS Freundes, iim ihm ron
ir hielt mich davon zurück, iudeiu er er
!lärte:
„Danke, nein! ich trinke niemals
Lein zum Frühstück."
Eine» Augenblick lang gab ich mich
zer triigerifchen Hoffnung hin, er würde
)aS klare Quellwasser deu ostmals ver
iälschlcn, geistigen Getränken vorziehe»,
aber er versicherte mir mit der uttschul
digsten Miene der Welt:
„Ich trinke um diese Zeit liebe,
Bier" und bestellte solches gleichzeitig,
während ich schweren Herzens meine
Rechnung von vornherein wieder auf
nahm. 33 und 7 SouS für das Biei
macht 45! Ich war also noch immer im
Stande,sür das,was wir genoffen hatten,
auszukommen, aber dessen ungeachtet,
wollte ein Gefühl unbcstimmbgrerZiirchl
in meinem Innern nicht aufhören. Ich
aß nilgemein langsam, langsamer als
irgend ein Wiederkäuer, weil ich die
Hoffnung nährte, ich würde > meine»
Freund doch eudlich »»gcdnldig machen
und er vor mir das Lokal verlassen,
umsomehr, als seine Cotelette so rasä
wie eine Husteupastille verschwunden
war.
Das Verhängniß wollte es jedoch an
ders. Ohne daß ich oder mein dänischer
Freund auch nur eiu Wort gesagt hatten,
Mm die Kellnerin nnd stellte in ihrer
einsältigen Aufmerlfamkeit, in ihrem
übertriebenen Diensteifer, ein dreieckiges
Stückchen Käse auf de» Tisch. Es war
?roni!»As cls Uris ! Ich sah die Kala
ftrophe kommen, wollte auch anfänglich
dieser neuen Versuchung widerstehen,
abe» erstens verführte mich mein geseg
neter Appetit, und zweitens flüsterte
mir das Gewissen zn: 45 und 3 Sous
Käse macht 48! Es langt ja gerade,
konnte ich mir neuerdings zur eigenen
Beruhigung sagen, und dann erzählte
mein Gast mit solcher Leidenschaftlichkeit
von seinen verschiedenen Reise Erleb
nissen, daß er sür alles Andere, was um
ihn vorging, kein Auge zu haben schien.
Ich benutzte diesen günstigen Umstand,
zog den Käsetcllcr ganz leise vor mich
hin und sah dabei meinem Freunde mit
gut geheucheltem Interesse schars in's
Gesicht, damit sein Blick nicht aus die
Platte vor mir fallen sollte.
Ach! Leider hatte ich die Rechnung
ohne den penetranten Dust gemacht,
welchen der Käse verbreitete. lin näch
sten Augenblicke schon bohrte sich der
Blick des Nordländers in das dreieckig«
Stückchen Lrig, und er rief heiter:
„Sich da, was essen Sie nun wie
der?"
„Ist e/ gut?"
„So, so —" entgegnete ich ängstlich
und verzog das Gesicht, als ob ich eine
bittere Medizin verschluckt hätte.
„Um so schlimmer, aber versuchen will
Schneller als der Blitz schob ich den
Käjeteller hin. nm mit ihm zu theilen,
ihm den Löwenantheil, ja Alles zu ge
besaß ein viel zu gutes Herz, um ei»
ähnliches Opfer anzunehmen.
„Nein," sagte er verbindlich, „ich will
Sie nicht beranb?» heda, Kellnerin,
noch eine Portio» Käse!"
„Noch eine Portion Käse," wieder
holte ich mechanisch und blickte angster
füllt vor mich hin. Mein Blick ver
schleierte sich, und meine Ohren vernah
„4B und 3 macht 51!"
Ein einziger Sou sollte die Ursache
sein, daß man mich bei der Eassa wie
einen kleinen Jungen zur Rede stellen
würde, "die Kellnerin mir höhnisch in's
Gesicht lachen durste! Ein lumpiger
Sou die Schuld tragen, daß ich den»
Aaste meine momentane Klemme offen
baren mußte! Oh, das war doch zu
einfältig und ich begann neuerdings die
selbe Addition, welche ich fchon unzäh
lige Male im Kopfe gemacht hatte, ohne
den vcrhängnißvollcii Einser los zu wer
stirg!
Inzwischen waren zahlreiche Gäste
»ingetreten und sahen sich nach leeren
Plätze» »in. Die Kellnerin, welche un
seren Tis« von anderen Leuten bean
sprucht glaubte, wartete denn auch nicht,
bis ich die Rechnung verlangte. Ich
fühlte ordentlich, daß sie hinter mir
'ta»d und das gefürchtet? Zettelcheu
schrieb. Ich schloß die Augen, um das
schreckliche nicht zu sehen, was da mit
mathematischer Gewißheit kommen
mußte, den Einser, der mein Haben
überstieg!
Doch wer beschreibt mein freudiges
Trstauneu, als ich meinen Gast sagen
! hörte:
„Nun. das ist wahrlich genug für
oierundvicrzig Sous!"
„Bicruudvieczig!" und ich langte un
gestüm nach der Rechnung. Öh ja,
liebe Leser, es gibt gütige Mächte, die
sich des brave» Mensche» in dem Au
genblicke der größten Noth erbarmen!
Die Kellnerin hatte das Bier zu rechnen
vergessen!
Ich brauche wohl nicht zu versichern,
daß ich so schnell wie nur möglich zahlte
und forteilte. Als ich die sichere Straße
erreicht hatte, gelobte ich mir insgeheim,
der vergeßlichen Kellnerin, die mich
durch ihre» Irrthum aus einer peinli
Heu Lage befreit hatte, ein hübsches
Äefchenk in Forni eines kleinen Schmuk
kes zu machen. Das habe ich nun frei
lich nicht gethan, wohl aber ging ich den
nächste» Tag wieder hin und sagte mit
zer gleichgiltigsten Miene von der
Welt:
„Lisette, ich glaube, Sie haben sich
gestern um sieben Sons zu Ihrem
Nachtheile geirrt, hier sind sie."
Ein Philosoph. Schnnil:
.As Se mcr haben herbestellt, bin ich
nieder do!" - Arzt: „Nun, wie steht'S
mit dem Gehör?" Schmul: „Wie ich
hör? Schlecht!" —Arzt (schreit): „Sie
labe» sich gewiß des Braiiiitweinge
,Nu, seh'» Se mal, Herr Toctorlebc»,
ch hab' drei Wochen ka Branntwein ge
sunken und hab' gehört ganz gut, aber
?llles, was ich hab' gehört, war—nischt
so gut wie Branntwein!"
Boshaft. Schriftsteller: Du
glaubst nicht, welch' eine mnthige, kleine
ich habe! Freund: Da liest sie
vohl schon Deine eigenen Sachen!
Unterm Regenschirm.
Mit 22 Jahren hatte Fräulein Ber
tha Dupont ihre Eltern verloren uud
:war genöthigt, sür zwei kleine Brüder
von 3 nnd 10 Jahren, Jacques und
Paul, zu sorgen. Als Tochter eines
kleinen Beamten besaß sie keinerlei Ver
mögen. Die Armseligkeit der Verlas
senschast ließ nur zu deutlich voraus
sehen, daß sie mit den Kindern bald
drückendem Elend, einem Leben voll
harter Entbehrungen verfallen fein
würde.
Fräulein Bertha hatte eine gute Er
ziehung genossen, konnte mehrere Schul
preise vorzeigen und besaß ein besonderes
Talent sür's Klavierspiel. Sie faßte
Muth, Stunden zu suche»: in alley
Fächern wollte sie unterrichten, ihr
Wille war der beste von der Welt,
nur die Schüler fehlten.
Da sie gute Beziehungen hatte und
die Tugeud der Wohlthätigkeit bekannt
lich in Paris zu Hause ist, gelang eS
ihr, bereits nach 6 Wochen dreißig
Francs im Monat zu verdienen, was
ungefähr 30 Stunden der Aufopferung,
der Selbstverleugnung, der Geduld bei
den albernsten Dingen bedeutet, ol,n>:
die Schmerzen d.>S verwundeten Stolzes
zu zählen. Doch Sie werden finden,
daß sie nicht zu beklage» war; denn wie
Viele in gleicher Lage haben nicht ein
mal das! Und sind täglich 20 Sous
nicht überhaupt ausreichend, um ein
junges Mädchen und zwei Kinder zu
ernähren?
Aber unglücklicherweise kam der Som
mer heran; die Zeit der Ferien war da;
und diese 20 Sous-Schüler, welche na
türlich reich waren, gingen aufs Land,
in die Wälder, auf die Berge, an die
See, und Fräulein Bertha behielt nur
»och wöchentlich eine Mnsikstundc, immer
zn demselben Preise von 20 SouS.
DaS Budget litt sehr darunter. Jacqnes
und Paul magerten zusehends ab. Die
Nacht durch weiute Fräulein Bertha.
Aber wie wir Moralisten zu sagen
pflegen - Die Vorsehung wacht, nnd
im Augenblick, wo die Gerechten verzwei
selu, erbarmt sich der Himmcl und rettet
sie.
Viermal wöchentlich hatte Fräulein
Bertha denselben Weg von ihrem Hairse,
Rue d'Assas, bis an das Hans ihres
Schülers, Boulevard Saint-Germain zu
gehen. Bei sonnigem Wetter war der
Weg kurz: aber au Regentagen schien er
endlos. Und doch geschah eS an einem
solchen Regentage, daß die Vorsehung
ihres Amtes waltete; denn diese Dame
geht bei jedem Wetter aus.
Von einem heftigen Gewitterregen
überrascht, kämpfte daS junge Mädchen
verzweifelt gegen Sturm und strömen
den Regen. Ein plötzlicher Windstoß
zerbrach ihren Schirm, uud jetzt stand
sie entwaffnet nnd unbeschützt im Platz
regen. Sie war sassungslos; ein Kleid
verderben, wenn ma:: deren ZV hat,
bringt im schlimmsten Falle eine kleine
Verstimmung hervor, aber besitzt man
uur Eines, so ist's eine Katastrophe.
In diesem wichtigen Augenblick nahte
ein Retter, der über die bestürzte Gou
vernante eine» große» Schirm von lila
Seide breitete, einen jener Zeltschirme,
welche die Schwedin Elisa Boehmer ein
Familiendach zu nennen pflegte.
schauderhaftes Wetter!"
Bertha fah den Regenschirm bewun
dernd an, dann erst seinen Besitzer, und
bewunderte diesen nicht weniger.
Der Retter war ein großer Mann
von 50 Jahren, mit frischen Farben
und klaren, blauen Augen, aus denen
warme Güte sprach. Die ganze Er
scheiuuug hatte etwas Angenehmes.
Der Fremde sah nicht gerade schlank
aus, gehörte aber auch keineswegs zu den
Fettwänste».
„Sie erlauben... .mei» Fräulein.
„Nicht doch ich danke Ihnen
.... Sie sind wirklich zu liebenswür
dig.
„Ganz uud gar nicht.... Ich bin
vou dieser Begegnung entzückt: sound
soviel Donnerstage sehe ich Sie schon
durch dieselbe Straße gehen Ich
wäre glücklich gewesen, Ihnen bereits
Weise, daß mau mit meiner Figur davon
abstehen muß, Ihnen zu folgen."
Und dieser komische Mcnsch deutete
freundlichst lächelnd auf feinen körper
lichen Umfang.
Fräulein Bertha erröthete. Diese
vertrauliche Ansprache schien ihr ver
dächtig aber —nein ein so ge
setzter Herr! Sie sand in der Verlegen
heit keine Antwort nnd beschränkte sich
deshalb ans ein Lächeln, was oft viel
sagender ist, als die Frauen im Allge
meinen glauben.
Der Mann mit dem Regenschirm
setzte seine Rede sort:
„Nehmen Sie, bitte, meinen Arm...
fürchte» Sie nichts, ich gehöre schon zur
alten Garde; meine grauen Haare sind
Ihnen gewiß nicht entgangen Ich
heiße Tacheron, bin sehr vermögend,
Sie sind schön, jung Das habe ich
gern.... man könnte einig werden,
wenn man nur wollte. He? Was
meinen Sie?"
Fräulein Bertha zieht bestürzt ihren
Arm zurück. Aber gerade in diesem
Moment schickt die Vorsehung, deren
Wege unersorschlich sind, einen wahren
Wolkenbrnch vom Himmel herab, so daß
das jungeMädchen nicht wagte, ans dem
Schutzkreis des lilaseidenen Schirms zu
treten.
Herr Tacheron nahm ohne Weiteres
wieder ihren Arm.
„So bitte machen Sie keinen Un
sinn ich bin 50 Jahre alt, Jungge
seile, ei» lustiger, fast übcri»ütk>iger Pa
tron Ich kaun e nachah
nie» und manche wunderbare »iunststückt
mit vier Billard Kugeln Findet ma«
das alle Tage? Und was sind Sie,
was treiben 5ie....? Mein Gott!
Ihre drei Bücher unter dem Arm ver
!«tl>en das... .Sie rennen 7?Krem Brod
nach .... Sie Aermste! Sie lassen sich
von der Soune verbrennen; im Regen
erkälten Sie sich... .Ich bin überzeugt,
man behandelt Sie wie einen Dienstbo
ten, man bezahlt Sie obendrein noch
schlecht... .Oh, ich kenne mich darin aus
.... Die blödsinnigen Eltern glauben
Ihnen womöglich eine Gnade zu erwei
sen, wenn sie Ihnen gestatten, ihr«
Fratzen zu unterrichten.. .Nein, das ist
kein Leben, nein...noch dazu, wenn
man solche Füßchen hat und Sie
haben welche die man auf den Hän
den tragen sollte!"
„Mein Herr!"
„Ach was, Herr! Nennen Sie mich
Ociave!"
Mein Herr, ich bin ein anständiges
Mädchen; ich arbeite, um mich und
meine Brüder, zwei Waisen, zu ernäh
ren."
Den edlen Tacheron übermannte die
Rührung, er zog sein rothes Taschentuch
und betupfte sich die Augen.
„DaS ist bewunderungswürdig, daS
ist groß!"
Nach einer kleinen Pause hatte er
seine Fassung wiedergewonnen und fuhr
fröhlich sort:
„Wie alt sind denn diese kleinen Brü
der ?"
„Sechs nnd acht Jahre!"
„So! Und wie heißen sie?"
„Jaques und Paul!"
„Reizende Namen....lch liebe die
Kinder abgöttisch... .ihre zwei Bettchen
stellen wir in das Zimmer neben uns
... .Welch' ein gemüthliches Leben....
Ich finde da gleich eine ganze Familie
auf einmal. Gehen wir die Kleine»
holen!"
„Aber... .mein Herr!"
„Da gibt eS kein Aber," erwiderte
Tacheron in entschiedenem Ton „eS
ist kein Aber, kein Doch, kein Wenn
Ich erinnere Sie an Ihre Pflicht, mein
Fräulein....! Propos! Ich weiß
»och nicht einmal wie Sie heißen?"
„Bertha!"
„Fräulein Bertha! Ich ermahne Sie
an Ihre Pflicht, daS ist mein Recht als
Mann! Sagen Sie, was verdienen
Sie dentis eigentlich mit Jhrcu Stun
de» ?"
„Wenig genug...."
„Douuerwetter! uud die Kinder, der
liebe Jacques uud der kleine Paul, lei
den Hunger, frieren iin Winter, ersticken
während des Sommers in diesem ver
dammt heißen Paris bleiben, wenn
Sie draußen hcrumlauscn, ganz allein
in dumpfen Kammer», in einem dunklen
Hause zurück ich sehe sie vor mir.
wie bleich sie sind Ach! Jammer
über Jammer! .... das schneidet mir
in'S Herz! Wir gehen im Sommer
aus's Land Die Jungen werden im
Grase Pnrzelbänme schlagen natür
lich ohne sich Schaden zu thun! Im
Winter heize ich mit Holz die
Wärme wird sie rothwangig machen....
und zu Weihnachten sehe ich ihre kleinen
Schuhe vor dem Kamin stehen. Ich
»verde sie mit den schönsten Sachen fül
len, ich allein! Oh, wir werden sür sie
sorgen, sie verzärteln und verziehen....
Gutes Futter, gekleidet wie kleine Prin
zen und wenn Sie die Wuth de»
Stiiiidengebens überfällt, gut, unter
richte» Sie Ihre Brüder.... DaS wird
das Natürliche fein.... Wie? Sie
wagen noch zn zögern, wo eS sich um da»
Glück der Ihren, um Ihr Glück han
delt? Oh, was werde ich Ihne»
nicht Alles bieten! .Wir Vier wer
den ein Götterleben führen: Bertha.
JacqueS, Paul und Oetave... .sie wer
den mich Onkclchen rufen. Ach! acht
welch' ein köstliches Beifainmensein!...
Und die seinen DinerS, die NrujahrS
geschenke, die Ueberraschungcn an jedem
Feiertag! Wirklich, ich bin über
glücklich. Ihnen begegnet zu sein. Ich
segne dieses Gewitter Aber im Ue
brige», eS regnet gar nicht mehr, ich
mache, wenn Sie erlauben, meinen
Schirm zn Und jetzt, bitte, antwor
ten Sie? Ein Ja? Wie gern möchte
ich's hören!"
„Ja!" sagte daS jnnge Mädchen, in
dem eS den Blick dankbar zum Himmel
richtete.
So, wie's versprachen wurde, so ge
schalt. Alle sind zusrieden; die
Glücklichste aber ist Bertha, welche daS
Bewußtseiu erfüllter Pflicht in sich trägt.
Und so wurde wieder einmal, den
Zweiflern zum Trotz, die Tugend be
lohnt !
SprüchwSrter - (sombinationen.
Morgenstunde ist aller Laster An»
fang.
Unverhofft pflückt man Rosen.
Dem Reiueu ist alles Gold im
Munde.
Eine Hand wäscht sich selbst der
Nächste.
Wer Andern eine Grube gräbt, lacht
am besten.
Vorsicht schützt vor Thorheit nicht.
Wer seine Schulden bezahlt, hat für
den Spolt nicht zu sorgen.
Borgeu macht selig.
Wer A gesagt hat, muß fühlen.
Baar Geld gehört zum Handwerk.
Wo Tauben sind, hat der Kaiser sein
Recht verloren.
Wer schweigt, gilt nichts in seinem
Vaterlande.
Wer hoch steigt, nennt den Andern
Langohr.
Jeder ist sich selbst der beste Koch.
Ans dem Balle. Tänzer:
Es ist sehr heiß. Tänzerin: Das ha
ben mir die andern Herrn auch schon ge
sagt. Tänzer: So? Alle Wetter! DaS
haben sie von mir.
Bedenkliche Betheue»
rung. Geck: Wie rasend ich Sie liebe,
reizende Marianne, das ist gar nicht zu
glaube»! Fräulein: Ich glaub's auch
gar nicht, Herr Baron.
Der Arm? kennt seine Ver»
wandten besser, als der Reiche. «