Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 11, 1890, Page 6, Image 6

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    «
Die Auswanderer.
l.
Der „Blücher" näherte sich dem Ha
sen von New Dort, Auf dem Verdeck
wogten die Passagiere, größteutheilS
Auswanderer, geräuschvoll aus und nie
der und unterhielten sich lebhaft mil
einander. Nur zwei Personen bethei
terleil. ein schon ältlicher Mann und ein
junges Mädchen; traurig standen sie
abseits von den übrigen und blickten
tränmcnsch aus die schäumenden Meeres
wogen. Es waren polnnche Bauern;
der Alte hieß Lorenz Toporek, und das
junge Mädchen war seine Tochter Marie.
Vor icchS Monaten war dem Alten die
Kuh aus des Nachbars Weide gelauseu;
dieser pfändete das Thier und fordert«
für die Auslieferung drei Rubel, Lo
renz wollte nicht zahle», und die Sache
ka,i> vor das Gericht, Der Eigenthümei
der Weide verlangte nicht nur den zuge
fügte» Schaden ersetzt, sondern auch
Entschädigung für Futterkosten. Del
Proceß dauerte lange Zeit, und die Ko
sten wuchsen mit jedem Tage, Endlich
verlcr Taporek, und da er nicht zahlen
konnle, pfändete man Ihm fein Pferd ab,
und weil er sich diesem widersetzte,wurde
er wegen Widerstandes gegen dieltaats
geivalt ins Gefängniß geworfen. Aus
Verzweiflung ergab er sich dem Trünke.
In der Dorsschenke lernte er einen
Agenten kennen, der ihm Wunderdinge
über Amerika erzählte. Laurenz Topo
rek ging in die Falle. WaS sollte er in
Lipince? Wollte er zu Grunde gehen
oder mit dem Stab in der Hand von
HanS zu Haus waiideru uud sein Brod
au de» Thüren erbetteln? Er verkaufte
Hab und Gut und fuhr mit feiner Toch
ter »ach Amerika. Allein die Reise ver
lief nicht so gnt, wie er gehofft hatte.
In Hamburg raubte man ihm einen
Schisse brachte man ihn mit seiner Toch
ter im Zwischendeck unter.
Immer deutlicher sah man die Hau
ser, die Dächer, die Schornsteine und
die Kirchlhürme von New Pork. Im
Hasen vor der Sladt breitete sich ein
Wald von Masten aus mit Tausende»
von bunte» Fähnchen, mit welchen der
MeereSwiiid spielte, wie mit de» Bl»
meu aus der Wiese, DaS Schiff näherte
sich immer mehr dem Lande, und die
schöne stadt lag in aller Pracht vor
ihnen.
Nun, Golt sei Dank!" ries der Alte.
„We.in sie mir nur die Felder iu der
Nähe der Stadt uud jene Wiese da ge
weit zur Stadt nud zum Markt, Wenn
Jahrmarkt ist, wirst Dn die Knh nnd
dac> Schwein nach der Stadt treiben
Rcgiernttgskominissär einen schönen
Gruß von unserer Regierung bestellen,
recht klug mit ihm reden und ihn bitten,
mir wenigstens zwei Hufeu Wald und
etwas Streu zu schenken. Wenn ich ein
Gut haben soll, so will ich auch eiu or
dentliches Gnt besitzen. Den Knecht
schicke ich Morgens in die Stadt, damit
er das Holz verkauft, Gott fei Dank,
ich sehe doch, daß mich der Agent nicht
betrogen hat!"
Bon der Quarantäne kam jetzt ein
kleines Schiff herangefegelt. Vier bis
Auswandere» fchiffes. Diesem solgte
ein zweites Schiff aus der Stadt, in
welchem sich die Agenten der Hotels und
der Gasthöfe, Führer, Geldwechsler und
Bahiiageulen besaudeu. Alles schrie
laut durch einander, und ans dem Ver-
Stoßen sondergleichen,
Lorenz und Marie wurden im Ge
dränge mit fortgerissen und ehe sie eS
geräumigen Zollgebäude, Der Zollbe
amte revi'oirte ihr Gepäck, rief »II r!<-I,t
und zeigte ihnen den Ausgang.
„Väterchen, was werden wir jetzt be
ginnen," fragte Marie.
„Wir müssen warten, Kind. Der
Agcnd sagte ja, es würde bald ein Re
gicriingscommissär nach uns fragen."
während das Geräusch und der Lärm
der niibekailiilen Großstadt sie umtosten.
Die Straße war lang nnd breit, und
nieder, gerade wie daheim ans dem
Jahrmarkte. Equipagen, Omnibusse
und Gepäckwagen rasselten vorüber.
Laute einer sremdcn Sprache schwirrten
an ihr Ohr. Jeden Augenblick schlüpf
ten schwarze Menschen mit dicken Köpfen
und lraujcn Haaren au ihnen vorbei,
bei deren Anblick Lorenz und Marie sich
andächtig bekreuzten. Meyrere Stunden
waren vergangen nnd sie standen noch
immer ans der Straße und warteten
polnische Bauer mit den langen grauen
Haaren und der pelzbesetzten eckigen
Mütze und das Mädchen im dunkel
blaue» Kleide und mit den Korallen um
den Hals ans amerikanischem Boden, in
gingen vorüber, ohne sie auch nur anzn
sel>eu. Wiederum verfloß eine Stunde;
de» Himmel bedeckte sich ,mit Wolken,
eiu starker Regen mit Schnee vermischt,
fiel berab, und vom Meere her wehte
ein eisig kalter Wind, Und sie standen
imä warteten ans den RcichSconimissär,
arme» Baueruherzen erbebten bei dem
bloßen Gedanken,
ES dunkelte bereits, das Treiben am
Hafen ließ nach, anf den Straßen wur
den die Laternen angezündet, nnd die
Stadt schwamm gleichsam in einem
Meere von Licht. Singend zogen die
Hafenarbeiter in großen Gruppen iu die
Stadt. Der Hafeuplatz lag allmählich
öde da: das Zollgebäude wurde ge
schlossen. Die Armen standen und war
teten auf den RcgicrnngSkonimissär. Es
wurde Nacht, und im Hafen war eS
todtenftill, Aber sie warteten.
Wenn fie auch nicht warten wollten,
wohin sollten sie denn gehen? ES fror
sie immer mehr, und auch der Hunger
machte sich fühlbar. Wenn sie wenig
stens ein Obdach finden könnten fie
waren ja bis auf die Haut durchnäßt!
Ach, der RegiernngSkommiffar kam nicht,
und er konnte auch nicht kommen, da es
derartige Kommissare überhaupt nichi
giebt! Jener Agent war ein elender
Schurke.
Lorenz konnte sich nicht mehr aus den
Füßen halten. Ein schweres Geschick
halte Gott ihm auferlegt, aber er trug
es mit Geduld, wie es eben nur ein
gläubiger Bauer vermag. Die Stimme
des Mädchens, welches vor Kälte zit
terte. weckte ihn aus feiner Betäubung,
„Väterchen!" flehte Marie leise.
„Sei still, mein Kind, für uns giebt
es kein Erbarmen, keine Rettung!"
„Väterchen, laß uns nach Hause zu
rückkehren !"
„Geh, stürze Dich ins Meer, mein
Kind!"
„Mein Gott, mein Gott!" jammerte
Marie.
Lorenz empfand Mitleid mit seinem
armen Kinde.
„Unglückliche Waise", rief er mit
bebender Stimme, „möge sich Gott we
nigstens Deiner erbarmen!"
Sie hörte die Worte ihres Vaters
nicht mehr; sie lehnte den Kopf an die
Mauer des Zollhauses und schloß die
Augen.
Ein schwerer, fieberhafter Schlaf be
fiel sie; es träumte ihr, sie sei in der
Heimath, und ihr Geliebter finge ihr
ein Liebchen vor.
dem letzteren lagen, halb mit Schnee
bedeckt, zwei arme Menschenkinder mit
bleichen Gesichter» in einem todesähuli
cheu schlafe. Allein ihre Stunde hatte
ilten Bekannten wieder, Lorenz Topa
rek und feine Tochter Marie. Sie
faßen in der Stube eines elenden Hau
ses. welches kaum diesen Namen ver
diente; die Wände waren mit Schwamm
bedeckt, das Fenster hatte keine Schei
ben, ein durchlöcherter eiserner Ose»,
ein Stuhl mit drei Bei»?» und ein Bün
del Stroh bildeten die ganze Einrich
tung, Der Alte knieete vor dem Ösen
uud wühlte in der Asche herum, ob
emsiges Forsche», allein Alles ist vcr
gebens, Marie sitzt zitternd vor Kälte
ans dem feuchten Strohlager und schaut
gedankenlos in die Ferne, Sie fühlt
sich so krank und so elend, ihre einst so
blühenden Wangen sind tief eingefallen,
D>e Armen nährten sich ja ausschließlich
von Kartoffeln, doch seit zwei Tagen
waren auch diese ausgegangen, und sie
hatte» kein Geld, um ueue zu kaufen.
Jetzt wußten sie nicht, was sie begin
nen, wovon sie leben sollten.
„Marie, ich halte es nicht mehr aus,"
sprach der Alte, „und Du hältst eS auch
nicht länger aus. Ich werde ans Meer
wir im Oseii eiu. Vielleicht finde ich
auch etwas Eßwaareu."
Verschiedene Brettche» schwammen aus
dem Meere, die Wellen warfen sie an's
Land, und der Bauer konnte binnen
kurzer Zeit geniig aufsammeln, El
fand auch einige Speisereste und ver
zehrte sie gierig; daß auch feine Tochter
Hunger halte, daran dachte er nicht,
Ein großer Wagen voll Kartoffeln war
in ein ausgefahrenes Loch geratheu und
blieb darin stecken, Lorenz war dem
Fuhrmann beim Herausziehen behilflich,
wobei viele Kartoffeln in den Koth
fiele». Mit zitternden Häudeu Hot
unser Bauer die Kartoffeln anf, verbarg
sie am Bufeu und schöpfte neue Hoff
nung.
„Nun, Gott sei dank, daß er uns«
Elend ansieht!" seufzte er. „Holz ist
va. das Mädchen kann Feuer anmachen,
und Kartoffeln habe ich fo viel, daß sie
aus zweimal reichen. Gott ist barmher
zig. In der Zlube wird es bald wohn
licher sei»,» Das Mädchen hat andert
halb Tage nichts gegessen, es wird sich
freue». Ja, Gott ist gnädig."
Seitdem Lorenz fortgegangen war,
rührte Marie sich nicht von der Stelle;
still duldend saß sie auf dem Strohlager,
Da öffnete Jemand die Stubenthür.
Ltarie meinte, es wäre der Bater, und
blickte gar nicht auf,
" liorv!" rief eine fremde
stimme.
Es war der Besitzer der Baracke, in
welcher sie wohnten, ein alter Mulatte
DaS Wort „Dollar" verstand sie,
schüttelte mit dem Kopfe, und ihn
flehentlich ansehend, gab fie ihm durch
Zeichen zn verstehen, daß fie kein Geld
ihrhabeu möchte.
„Gott wird eS dem gnädigen Herrn
vergelten." fügte fie in polnischer
spräche Hinz», da sie nicht wußte, was
sie sagen, was sie thun sollte.
Der Mulatte verstand zwar nicht,
daß er ein „gnädiger Herr" fei. aber so
viel merkte er wohl, daß er den Dollar
nicht bekommen würde. Mit der einen
Hand nahm er die Bündel mit den
nrenigi» Habseligkeiten, mit der andern
faßte er das Mädchen am Arme, stieß
dasselbe die Treppe hinab und zUm
Haufe hinaus und warf ihr die Sachen
vor die Füße.
Das bleiche Mädchen wartete vor
dem Hause die Rückkehr ihres Vaters
ab, AIS dieser kam, erzählte sie ihm
Alles und ging mil ihm die Straße
hinab. Zwei solch elende Gestalt»«,
wie der Greis und das Mädchen, wür
den überall die Aufmerksamkeit der
Vorübergehenden erregt haben, doch in
diesen! Stadtviertel ist man an den An
blick des Elends allzu sehr gewöhnt,
Sie gingen »ach dem Hafen, Düster
schaute der Bauer vor sich hin. ein
furchtbarer Entschluß malte sich aus
semem Antlitz, Zu seiner Tochter
sprach er kein Wort; als jedoch die
Nacht hereinbrach, und im Hasen kein
Mensch mehr zu sehen war, sagte er
mit einer eigenthümlichen heisere»
Stimme zu seiner Tochter:
„Ui»glückliches Kind, ich werde Dich
ins Wasser stürzen," fuhr er fort, „und
dann springe ich Dir nach. Es gibt für
uns keine Rettung, kein Erbarmen mehr
Margen wirst Du keinen Hunger mehr
leiden. Morgen wird Dir wohler sei»,
als heute "
„Ich will nicht, Väterchen, ich will
nicht," schrie Marie. „Fürchtest Du
denn Gott nicht? Herziges, goldenes
Väterchen, habe Erlxlrinen mit mir!
Was habe ich Dir denn gethan ? Ich
habe ja niemals über mein schweres
Schicksal geklagt, ich habe geduldig mil
Dir Hunger und Kälte gelitten, Väter
che»."
Er athmete schnell und preßte krampf
hast die Hände zusammen, während sie
ininier verzweislnngsvoller uud rühren
der um ihr Leben bat.
„Erbarmen, Gnade, Gnade!" flehte
sie. „Ich bin ja Dein Kind, ich bin
arm und krank, ich habe ja nicht lange
mehr zu leben, aber ich habe Angst vor
dem Wasser, ich habe Angst vor dem
T0de...." ,
Jammernd und wehklagend klam
werte sie sich an ihn an und drückte
flehend ihren Mund auf die Hände,
welche sie in den Abgrund stürzen woll
ten, Rllei» dies Alles schien ihn nur
noch mehr zu erbittern, seine Nnhe ging
in Wahnsinn über, er fing an zu tobe».
Für einige Augenblicke wurde es still,
man hörte nur ei» Hill- und Herzerrcu
und das Knarren der Bretter,
„Erbarmen, Vater, Erbarmen!"
schrie Marie voll der höchsten Verzweif
lung,
Mit Anwendung seiner ganzen Krast
schleppte Lorenz seine unglückliche Toch
ter bis an'S Meer und gab ihr einen
Schlag anf den Mund, damit mau ihr
Schreieu nicht hören sollte. Marie
fühlte, daß ihre Kräfte von Sekunde zu
Sekunde schwächer wurden, sie hatte kei
nen Boden mehr unter den Füßen, und
in wahnsinniger Todesangst hielt sie
sich an dem Gemäuer fest. Der Bauer
bückte sich, er versuchte ihre Häude los
zumachen. Ihr schwanden die Sinne,
eine Ohnmacht um sing sie, nnd als sie
daraus erwachte, lag sie ruhig anf der
Schiffbrücke: ihr Bater kniete neben ihr
und schluchzte herzzerreißend.
„Marie, verzeih mir, mein Kind!"
flehte er .mit gebrochener Stimme.
Marie fnchte im Finster» seine Hand,
drückte einen Kuß darauf uud flüsterte
in weichem Tone:
„Väterchen, möge Dir der liebe Gott
so verzeihe», wie ich Dir vo»
verzeihe!"
Der Mond ging a»f und strahlte in
makelloser Schöne am nächtlichen Hin!
melSdom. Marie schlief, und im Traume
schien eS ihr, als stiege» Taufende klei
»er Eugleiu hernieder und säugen mit
lieblicher Stimme ein Schlaslied. Und
es wurde der Armen fo wohl, so ruhig,
so wonnig zu Muthe. Der Tag brach
an. Lorenz kniete weinend nebeu seiner
Tochter, er meinte, sie wäre todt
bleich und regnngslos lag sie mit ge
schlossenen Augen da. Die Sonne stieg
am Himmel empor, und ihre goldenen
Strahlen fiele» aus das blasse Gesicht
MarieuS nnd schiene» sie z» küssen uud
zu liebkosen. Die bleichen Wangen
färbten sich rosig, das Mädchen lächelte
und öffnete die Augen. Ohne große
Anstrengung erhob sie sich nnd folgte
ihrem Vater. Kaum waren sie einige
Schritte gegangen, da bemerkten sie, daß
zwischen zwei Balken ein Packet lag;
dasselbe entliielt Brod und Fleisch,
Wahrscheinlich hatte sich dort irgend ein
Arbeiter sein Frühstück aufgehoben. Die
Aermften verrichteten ihr Gebet, aßen
uud gingen neu gestärkt weiter. Sie
kamen vor dem 'Zollgebäude vorüber
uud bogen i» die Waterstrect ei». Vor
einem Hause stand ein großer Herr mit
einem weißen Schnurrbart und hielt ei
nen Knaben an der Hand, Als er die
Polen-erblickte, malle sich großes Er
staunen aus seinem Gesicht; er blickte sie
genauer an und lächelte,
„Woher seid Ihr, L'ute?" fragteer
im reinsten Polnisch,
ES war ihnen, als hätte der Blitz sie
getroffen. Der Bauer wurde bleich wie
der Kalk an der Wand und wäre bei
nahe vor Schreck zu Boden gestürzt; er
tränte feinen Angen und Ohreu nicht
recht. Marie erholte sich zuerst von
ilireni Erstaunen, fiel dem Greife zu
Füße» uud erzählte ihm mit kurzen
Worten ihre ganze Leidensgeschichte.
Der Greis sührte sie in ein nahes
Gasthaus nud ließ ihnen zunächst Essen
nnd Trinke» geben. Unterdessen über
legte er.
„Wenn ich die Leute nach Hause zu
rückschicke," svrach er zu sich, „so macht
das große Kosten. Und was werden sie
dort antreffen? Was sie besaßen, haben
sie verkaust, und ihnen bliebe nichts
übrig, als betteln zu gehe». Wer weiß,
was aus dem Mädchen würde, wenn es
in Dienst gehen müßte!" Und laut
fügte er liinzu: „Da ihr nun einmal
hier seid, so müßt Ihr es versuchen. Es
idird daZ Beste sein. Euch nach «ikkn
Colonie zu schicken. DaS Mädchen ?tui»
dort bald Heirathen, zu Zweien können
sie etwas Vermögen sich spare», und
wollen sie zurückkehren, so nehmen sie
den Alten mit."
Höre. Alter! I» Borowina in Ar
kansas wird eine neue Colonie angelegt.
die Regierung gibt einem leden Ansied
ler IVO Morgen Acker und Land, WaS
Du zur Errichtung der Wirthschaft nö
thig hast uud das Reifegeld bekommst
Du von mir, ich bin in der Lage, es zu
thun. Ihr fahrt von hier mit der
Eisenbahn nach der Stadt Little Rock,
von dort geht es per Are weiter, Ihr
trefft in Little - Rock noch meliere
Gefährten, Uebrigens werde ich Dir
auch einige Empfehlniigsbriese mitgeben
Ich will Euch Helsen, weil ich Euer
Landsmann bin. Aber Deine Tochter
bedauere ich hundertmal mehr als Dich,
verstehst Du mich? Danket Gott, daß
gemein weich.
„Höre mich an, mein Kind!" sprach
er zu Marie. „Hier hast Du meine
Karte, bewahre sie sorgfältig auf, und
wenn jemals die Noth Dich heimsucht,
wen» Du einsam und ohne Schutz aus
der Welt zurückbleiben solltest, so suck>«
nur getrost mich aus! Du bist ein armes,
gutes Kind. Sollte ich sterben, so wird
sich mein Sohn Deiner annehmen. Aber
verlieret mir die Karte nicht! Und nun
folget mir!"
Unterwegs kaufte er Wäsche und Klei
der für sie und sührte sie endlich in sein
HauS, wo er sie aus das Freigebigste be
wirthete. Am dritten Tage befanden
sie sich bereits auf der Reife nach Little
Rock; Lorenz hatte hundert Dollars in
der Tasche und Marie hoffte und ver
traute, daß der nämliche Gott, welcher
sie aus dem Elend errettet, sie auch fer
nerhin beschützen werde, Sie kamen
über einen Fluß, der viel breiter war,
als die Weichsel; später erfuhren sie,
daß derselbe Mississippi hieß. Spät iu
der Nacht kamen sie endlich in Little
111.
In der Colonie stand es schlecht. Ehe
dieselbe fertig war, trat in der Nacht der
Fluß über feine Ufer und überschwemmte
die ganze Gegend, und das Waffer stieg
immer höher und höher. Die Kinder
weinten, die Frauen schrieen, die Thiere
brüllten uud die Verwirrung war gren
zenlos, Marie kniete »eben ihrem krau
keu Gatcr, rang die Hände und rief um
Hilfe. Da tra: Orlik, der sich eifrig um
das Mädcheu bewarb, eiu und fagte:
„Ich iverde Euch nicht verlassen, «so
wahr mir Gott helfe, nein, ich werde
Euch Beide aus diesem Elend erretten.
Wartet nur einen Augenblick!"
Er ging hinaus, höhlte mit einem
Handbeile binnen wenigen Minuten
einen gefällten Baum ans, trug den Al
ten in das improvisirte Schiff, warf die
Flinte über die Schulter, bestieg mit
Marie den Kahn, stieß ab nnd begann
zu rndern. Sobald sie das eigentliche
Strombett erreichte», eilte das Schiff
blitzschnell dahin. Lorenz fühlte fein
Ende nahen.
„Marie, meine Tochter," sagte er mit
matter Stimme, „ich werde den morgi
gen Tag nicht erleben. O Mädchen,
hätte ich doch Lipinee niemals verlassen
und Dich niemals in dieses tranrige
Land gebracht! Allein Gott ist barm
herzig, ich habe ja so viel gelitte», und
ich vertraue, daß der Allgütige mir
meine Sünden »ergeben wird. Wenn
Ihr könnt, so begrabt mich, und dann
mag Dich Orlik zn dem alten Herrn
nach New Kork führen! Er ist ei» gu
ter Herr, er wird Mitleid mit Dir ha
ben und Dir Reisegeld geben, und Du
kehrst nach Lipince zurück. Mir ist die
Rückkehr versagt o Gott, mein lie
ber, giiter Gott, gestatte wenigstens mei
ner Seele gleich einem Bogel dorthin zu
mal aus der Ferne zu sehen!"
Marie schluchzte laut, auch Orlik
konnte fich der Thränen nicht enthalten.
Abends klärte sich der Himmel anf. Der
Alte hatte ausgelitten. Die Nacht
brach au. Dein Orlik fielen vor Er
müdung fast die Ruder aus der Hand.
Aus einmal raffte er sich anf uud rief in
höchster Aufregung:
„Da kommt das Schiff aus CareS
ville! Die UankeeS fchickeu uns Hilfe.
Wenn sie uns nur nicht verfehlen!
Marie, ich werde Dich reiten "
Mit größter Anstrengung ruderte er
vorwärts, plötzlich zerbrach das Rnder,
und der Kahn blieb iu einem Gebüsch
stecken. Jetzt fingen Beide an lant »in
Hilse zu schreien, aber das Tosen und
Stimme. Orlik griff nach seiner Büchse
und legt: an, aber der Schuß ging nicht
los, das Pulver war feucht geworden,
Verzwcisluiigsvoll warf er sich auf die
Erve, er wußte keinen Rath, endlich er
hob er sich und fragte mit sanfter
.Ztiuime:
„Marie, ei» anderes Mädchen hätte
ich schon längst in den Wald eutsührt,
mochte eS wolle» oder nicht, doch dich
wagte ich nicht fortzuschleppen, weil ich
dich liebe. Einsam stand ich in der
nud ich fürchtete mich vor dir Aber
w.-nn du mich nicht liebe» kannst, dann
will ich lieber sterben, »online ich um,
Marie, Marie, lebe wohl, mein L'.'b,
iu.'in Leben!"
Ehe sie wußle, oder auch nur ahnte,
was er eigentlich beabsichtigte, war er
ins Wasser gesprungen uud schwamm
dem Rettungsschiffe entgegen, um Hiife
für seine Gelieble zn hole». Mit über
menschlicher Anstrengung arbeitete «r-H«h
vorwärts, er rief um Hilfe mau
hörte ihn da erfaßte ihn der Strudel
nnd riß ihn in die Tiefe. Unterdessen
saß Marie allein »eben der Leiche ihres
Vaters und blickte wie geistesabwesend
dem fernen Lichte entgegen. Dasselbe
kam immer nkher. Marie begann ver
zweiflnngSvoll zu schreien.
Nach einer Weile hoben kräftige
Hände Marie auf und brachten fie in'S
Schiff. Nach zwei Monaten aus dem
Hospital in Little Rock entlassen, rühr
die Aermste nach New Aork; mitleidige
Menfchen hatten ihr das Reisegeld ge
geben. DaS bleiche Mädchen mil den
großen blauen Augen glich mehr eine»
Skelett, als einem Menschen. Mit zit
ternder Hand zog Marie die Glocke in
der Waterstrect Ein unbekannter,
fremder Mann öffnete ihr.
„Ist Mister HotopolSki zu Haufe?"
„Weil meine» Sie?"
„Den alten Herrn." DaS Mädchen
zeigte die Karle.
„Er ist gestorben,"
„Gestorben? Und fein Sohn, Herr
William?"
„Ist verreist."
Die Thür schloß sich, Sie setzte sich
auf die Schwelle und weinte bitterlich.
Wiederum war sie in New Aork, allein,
ohne Hilse. ohne Schutz. WaS sollte sie
beginnen? Sie ging zum Hafen und
flehte die Capitäne an, man sollte sie
mitnehmen, allein man wies sie ab. Von
namenlosem Heimweh ergriffen, versuchte
sie, sich auf ein deutsches Schiff zu
schleichen, doch gab man genau Acht und
jagte sie mil harte» Worte» fort. Die
Unglückliche setzte sich aus einen Stein
und brach in ein schallendes Gelächter
aus sie war wahnsinnig geworden.
Täglich kam sie zum Hafen und wartete
auf ihren Geliebten. Die Leute gewöhn
ten sich an die Aermste und gaben ihr zu
weilen ein Almosen. Sie dankte demü
thig und lächelte >me ein Kind. Dies
dauerte zwei Monate, dann sah man sie
nicht mehr. Im Polizeibericht stand, am
äußersten Ende des Hafens habe mau
die Leiche eines Mädchens von unbe
kannter Herkunft aufgefunden.
»er »lten Aittauer
finden sich lebensvolle Spuren nur noch
in vereinzelte» Kreisen, wie Ragnit,
Heydekrug, Niederung, Labiau und
Memel. Hier wird' wie die „Dauz.
Ztg." mittheilt noch vielfach die For
derung erhoben, daß die Braut ihr
Hochzeitskleid selbst gesponnen und ge
webt habe. Die Kreise Heydekrug uud
Memel weifen noch Dörfer auf, wo die
Einladung zur Hochzeit durch besondere
Boten geschieht, die sich ihrer Aufgabe
je nach der Gegend hoch zu Roß oder zu
Fuß entledigen und an allerlei Bändern,
mit welche» der Anzug geschmückt ist,
als Abgesandte des Gastgebers zu erken
nen sind. Die Einladung zur Kind
taufe gehört im. Memeler Kreise vielfach
zu de» Obliegenheiten, welche der Vater
des neugeborene» Kindes in eigener
Person vorzunehmen hat. Am Fest
selbst und an den beiden folgenden Ta
gen, über welche der Schmaus gleich
falls fich ausdehnt, ladet man dann die
Gäste noch durch besondere Boten ein.
In manchen Gegenden des Kreises
Heydekrug hat der Gastgeber bei Begräb
nissen nur am ersten Tage für die Ge
nüsse im Essen nnd Trinken zu sorgen.
Die Bewirthuug des zweiten Tages
übernehme» die geladenen Frauen, in
dem fie ihre mitgebrachten Gaben au
Backwerk, Fleisch und Getränken auf
tischen. Am dritten nnd letzten Tage
kommen die eingeladenen Männer an
die Reihe, Jeder vou ihnen rückt mit
einem Geldbetrage hervor, wodurch ein
Sümmchen zusammenkoimut, das in
Schnaps angelegt wird. Daß dieser
sonderbare Brauch oft ein ungemüthli
ches Nachspiel zu der ernsten Feier lie
fern muß, liegt ans der Hand. Der
Schnaps spielt bei den Gelagen nament
lich im Heydekruger und Memeler Kreise
überhaupt eine große Rolle, und zwar
meistens in Gestalt einer Zusammenset
zung mit Honig nnd Pfeffer, mit wel
chen Zusätzen das SV- bis 50gradige
Getränk gekocht wird. In dieser Form
wird es auch als Medikament selbst in
den gefährlichsten Lagen des Lebens
eingenommen- Ganz übermenschliche
Anforderungen stellt der Tag der Kind
taufe gewöhnlich schon der nächste
Sonntag nach der Geburt. Es werden
der Mutter dann die Geschenke für den
Täufling überreicht,, nnd zwar in baarem
Gelde, jedoch in der Weife, daß die
Münze aus dem Boden eines Schnaps
glafes ruht. Die Empfängerin des
Geschenks muß der herrschenden Sitte
zufolge erst den Branntwein austrinken,
dann erst darf sie das freigewordene
Geld an sich nehmen. Je mehr Gäste
die Festversamniliing zählt, nm so grö
sind.
hold ist,
läßt eS den Schneider im Stiche,
kehrt bei dem Gastwirth nicht ein,
ist dem Krämer nicht gewogen,
lächelt dem Komiker nicht, nnd
macht dem Kalkulator einen Strich durch
die Rechnung
dem Gärtner blühe» keine Rosen,
der Fabrikant spinnt leine Seide,
dem Historiker wird die Geschichte zu
dem Jäger geht Alles fehl,
der Wanderer kommt nicht vorwärts,
der Lastträger lauu es nicht weit brin
gen,
der Schlosser steckt in der Klemme,
der Schriststeller fitzt in der Tinte,
der Schiffer aus dem Trocknen,
dem Lattdmauu will fein Weizen nicht
blühn,
und der Schuster hat Pech!
Ironisch. „Du hast wohl ein
hübsches Dienstmädchen?" „Wes
halb?" —„Nun, Dein Mann küßt Dich
so häufig und er ist doch so zer
streut !"
s.uß,!iarkt und Müschen«»«»»!.
7. D e r K » s> ma r k t zu
Di-le« so rein erhalten, wie in dem
ivin-nilischen Theile der westlichen Kar
paten, »irgevds ist sie so voller mythi
Mohen, den Rimiäiien der westlichen
Karpathen, und im malerische» Walten
thale, de»? Paradiese Siebenbürgens,
Dort sitzen «euch heute noch in den lan
gen Winterabenden die Mütterchen am
Spinnrad? niH> erzählen beim Knistern
des Heerdfeucrs vou dem Ruhm« und
der Macht der Ahne» und flechten m die
vererbten Traditionen die duftigsten
Märchen ein.
Aber so sonderbar es klingen mig,
die Sagen sind nicht Sagen, die Mär
chen nicht Märcher, die Tradition nicht
Tradition allein Alles lebt nnd webt
thatsächlich, Alles geschieht vor unsern
Augen, und »ur den Fremden, Unein
geweihten dünken jene Gebräuche eine
alte Sage; ein verklungoues Märchen,
eine bewahrte Tradition,
So ist es auch mit dem Knßmarkte in
Halmagen.
.Halmagen ist ein nimünisrhes Städt
chen im Hatzeg (Siebenbürgen), das
zwölfhnndert Seelen zählt und als Sitz
d:s griechisch - k"»holiichcn Prototypen
recht gute Volsschnlen hat.
Am Tage des heiligen Theodor findet
dort ein Jahrmarkt statt, an dem die
Einwohner von sechzig bis achtzig Dör
fern theilnehmen, Znmeist aber wim
melt die Stadt von jungen neuvermähl
ten Frauen, die als Jungfrauen gehei
rathet haben,
Wiedorverheirathete Wittwon bleiben
in ihrem Derfe zurück.
Schon an: frühen Morgen des heili
gen Theodor nimmt Halmagcn eine hei
tere, festlich- Physiognomie an. In
ihrem schönsten Schmucke erscheinen die
jungen Frauen, selten von ihren Män
nern, meistentheils von ihren man
staune Schwiegermüttern begleitet,
oder sie kommen anch ohne diefe. dauu
aber zn je zwei oder drei mit blilin»»ge
schmückten Weintrügen in den Händen.
—Wer ihnen begegnet, wird von ihnen
geküßt, wen sie geküßt, dem reichen sie
den K rüg zum Nippen, wer ans dem
Kruge getrunken, der „beehrt" sie mit
einem kleinen Geschenke,
Vou dem dargebotenen Kruge nicht
trinken, ist eine Beleidigung, die sowohl
der jungen Frau, als auch ihrer Familie
zugefügt wird. Deshalb sind auch die
„Küssenden" dem Fremden gegenüber
zurückhaltend. Nur dann lassen sie die
sen ihres Kusses theilhaftig werden,
wenn fie überzeugt sind, daß er aus dem
dargebotenen Kruge trinken werde.
Das „Küssen" geschieht aus der Straße,
iu de» Weinstuben und anch in de» Häu
sern bekannter Personen. Böse Mäuler
wolle» behaupten, daß nur durch de»
moralische» Verfall der Wallenthaler der
„Kußmarkt" entstehen konnte. Andere
aber versichern, daß keine unmoralische
Handlung geschehe, Saß die Menge selbst
die polizeiliche Aufsicht übe, daß der An
stand, soviel eS bei einem Kußmarkte
möglich ist, in allen anderen Beziehiuigen
gewahrt werde.
Welchem Umstände diese Sitte ent
stammt, hat man bisher nicht erfahren
können.
Einige glauben, daß der Knßmarlt
aus der Zeit herrühre, als «och das
weiße Thal des Crijch von deu Motzen
bewohnt war. Die ihnen iu Halmageu
begegnenden Cdlonien der ander» Ort
schaften äußerte» ihre Freude dadurch,
daß sie jene umarinte» und küßten. Jene
aber beehrten die wieder Abziehenden
mit Geschenken,
Andere meinen, daß die Crischanen,
welche Schäser waren, zn Anfang des
Frühlings das flache Thal verließen,,
um die Schafe aus die Berge zu treiben.
Die sie begleitenden Frauen verabschie
deten sich von ihnen, indem sie sie küß
te». und für de» Kuß erhielten sie eine
kleine Ausmcrk'amkeit,
Eine andere Lesart geht dahin, daß
diese Sitte der Zeit entstamme» muffe,
als noch die Tiirken Einfälle in Sieben
bürgen bis »ach dem C lisch machten,
wo sie die jungen Frauen ranbten und
oefaiigen führte». Die der Gesängen
schist entflohenen Frauen küßten bei
ihrer glückliche» Rückkehr »ach Halnia
gen, Ivo gerade Jahrmarkt war,, alle
rer wnuderdaren Rettung beglück
wünschten. und so soll sich die Sitte des
„Küssens" am Jahrmarkt zu Halmageu
bis auf den heutigen Tag erhalten ha
bei«.
11, Der Mädche u iu a rkt auf
deiu Berge der Henne.
sich verliert.
Znr Zeit als noch die Berge Biha
riens reich an Goldminen waren, erzäh
iine Goldhenne heraus und auf den
Vipfel de- Berges, wo ihr Nest mit den
Noldcieru lag. Bon der wunderbaren
Schönheit der Henne angezogen, versuch
en eS die Widranen, sie einzufange».
Mein die Henne verschwand spurlos
und mit ihr alles Gold. Umsonst gru
ben die Motzen weiter, kein Goldäder-
He» war zu finde». Die verfolgte
Voldhenne war die Nymphe der Berge
mid hatte alles Gold in die Gegend ge
zaubert, wohin sie ihre Zuflucht genom
men.
Vom Gipfel der GainS gewahrt man
iu beiden Seiten einige Lichtungen, die
das obere Wiora vom Städtchen Bulze-
trenne» und die Grenze bilden Zwi
lche» Motzen und Crischanen. Zu Fü
ßen des Berges schlängelt sich ein Flüß
ticn. in dessen krystallllarkii Wkllcii der
Sonnenstrahl in Negenbogenfarbeii sich
spiegelt.
Am ersten Sonntag nach dem heiligen
Peter geht eS auf dem Berge der Henne
lebhaft und lustig zu. Es ist der Tag
des phantastischen MädcheumarkieS. In
aller Frühe schon strömen von den be
nachbarten Hügeln die Motzen und Mo
tzinnen, Crischane» und Crischaninneu
herbei. Festlich geschmückt, unter Spiel
nud Sang kommen sie. Zwei Delegirte,
der eine seitens der Motzen, der andere
seitens der Crischanen, ziehen eine De
»larkatunslinie in die weite Wiese, wo
zunächst der Markt abgehalten werden
soll. Dm östlichen Theil besetzen die
Motzen, d«n westlichen tie Crischanen.
Bis gegen Sie zehnte Morgenstunde ist
Alles mit dem Ein- und Verkauf von
verschiedenen Gegenstände» befchäftigt,
»rinn wird bsim Spiele der „Lautan"
/Fiedler), die um kleine Werntonnen
stehen, auf dem- grünen Ras«» gespeist.
Nachdem Essen wird die Demarkations
linie überschritten« >md der Tanz beginnt
im ganze» Städtchen zwischen Motzen
und Crischanen, die in Gruppen von je
achtsder zehn Pärchen die National
tknze «nlfführen.
Während des Tanzes werden allerlei
scherze mid Späße getrieben, und Mot
zen und Crischanen machen die durch
sichtigsten Anspielungen und zärtlichsten
Antrüge. Oder sie werfe« sich gegvnfei
lig boshafte Bemerkungen zu, die fnft
immer harmlos sind, aber auch zuweilen
einen ernsten Charakter annehmen. S»
improvisirt der Crischane aus Rechnung,
des Motze»-:
Halte Motz» meine Traista, (Proviant»
ja»)
Daß ich tanz'mit Deiner Molein;
Doch mach Dir den Sack nicht eigen;:
Eh' ich fertig mit dem Reigen.
Und der Motze erwiedert in noch bos
hafterer Weise:
He Crischane, arme Wanze!
Gieb mir Deine Maid zum Tanze!
Tanze ich sie durch nicht gut,
Fahr' in Dich die Drachenbrut?
Bis zum Abend geht eS so fort.
lachend aus den Weg. Der von Na
tur aus heftige und jähzornige Crischane
zerbricht aus Aerger darüber, daß er
seine Töpfe nicht an den Mann gebracht,
sergelaunte heitere Motze, der die ge
kauften Töpfe schnell nach Hause beför
dern möchte, wirft fie den Berg hinunter
inS Thal.
Was nun den Mädchenmarkt als solt
chen aus dem Berge der Henne betrifft,
so wollen manche Kulturhistoriker be
haupte», daß er nur im Gehirn srcmder
Verleumder existire. Der wahre That
bestand sei der: Vor vielen Jahren sol-
Feier mitten unter den Heerde» veran
staltet haben, an der die am Fuße des
Berges wohnenden Widranen, Speise
und Trank mitbringend, theilzunehmen
pflegten.
nen, die von der Feier den Widrane»
ihren materielle» Nutzen ziehen wollte»,
stellten sich mit Verkaussgegc»ständi:n
ein, und so erhielt mit der Zeit die
lokale Uutcrhaltuiigsfeicr der Widranen
es die Gepflogenheit der Widranen am
Tage des heiligen Peter, dem Feudal
herr» Holaky für das Abweiden ihrer
»n jenem Tage in Festlichkeiten, nnd die
Crischanen, die davon hörten, daß jene
Speise und Trank hatte» und bei guter
klia steii' mitbrachten, die sie gern los
schlagen wollten. So entstand der Jahr
markt aus dem Barge der Henne.
Daß bei solchen Anlässen manches
xarte Band geknüpft, ja manche Ehe ge
schlossen ward, mag ja sein, will aber
nicht sagen, daß die Motzen deshalb ihre
Töchter aus die Gaina brachten nnd noch
bringe». Daß die Crischanen die Toch
ter der Motzen gern an sich zielien, ist
Ihne» nicht zu verargen, da dieie au
weshalb die Ehe» mcistentheilS unter
Crischanen und Motziuneu, f-lten unter-
Motzen geschehen.
Eine andere, einen historischen Cha
rakter tragende Deutung des Mädchen
cheilt haben soll. Sie lautet: AIS'-
vurdcii sie plötzlich von Mongolen
iberfallvn Sie wehrten sicv aber so
tapfer, daß sie den Feind in die Flucht
lriebeu. Zum Andenken an diesen Sieg
feiern die Motzen den Tag des heilig»»
Peter in ganz besonderer Weise,
In diesem Sinne äußert sich auch der
deutsche Ethnograph Reißenbergcr,
Die in Ungar» einfallende» Mo«go
lc», sagt er, wurden von de» RunÄnen.
die am Fuße der westlichen 6kbirge
BcharienS wohnen, in die Berge Metrie
Andenken an den davongetragenen sieg
»ber die Mongolen ergehen sich die Ru
mänen iu Festlichkeiten am Berge der
Henne, wo am Tage des heiligen Peter
viele Ehen geschloffen werde».
Die kennt's. Junge Frau,
(aus der Hochzeitsreise): Sagen Sie
'mal, Frau Wirthin, wie lange dauern
beim hier auf dem Lande die Flitter
wochen? — Bäuerin: Na, so um die
Zeit, wanns die ersten Prügel giebt,
dann sind's herum!
Merkwürdiger M a B
stab. Sage mal, die Familie F. ist
sehr reich? —Colossal! Du glaubst gar
nicht, was diese Leute für Gold- und
Silbcriachen—auf's Leihamt tragnU .