Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, September 11, 1890, Page 3, Image 3

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    valesca.
(S. Fortsetzung.
Ein mehrwöchentlicher Ausentlalt in
frischer Gebirgslnst. äußerte Doctor
Reinland. wird die völlige Herstellung
bewirken. Er muß und soll der Schluß
unserer Kur sein.
Valesca widersprach nicht, aber sie
senkte den Kopf.
ES wird auch wohl ohue solchen kost
spieligen Auseuthalt alles wieder in
Ordnung kommen, meinte die Mutter.
Wir werden recht fleißig im Thiergarten
morgens nnd abends spazieren gehen. Die
Lust ist hier genau so wohlthuend, wie
in dem Gebirgswalde.
Reiiiwcild lächelte.
Ich habe diese Nacht eine» seltsamen
Tram» gehabt, erwähnte er nach einer
Weile des Schweigens, und rückte seinen
Stuhl von Balesca fort nnd näher zu der
Mutter. Dcukcn Sie, Frau Geheimrä
thin, mir träumte von einer Losnummer
in der Marienburger Lotterie. Ich habe
die Zahle» deutlich gesehen nnd dieselben
mir noch in dcr Nacht »otirt. Das selt
samste war, diese Nummer stand mitten
aus ciuem Granitfelsen, der in einem
dichten Tanncnwalde zwischen den riesi
gen Baumstämmcn sich erhob. Ein alter
Mann mit langem, spitzem, weißem
Bart, iu einen wallendcn Talar geklei
det, zeigte mit einem goldenen Stabe ans
diesen Granitblock, richtete die großen
feurigen Eulcuaugen auf mich und sprach:
Hier ist Heil und Glück. Das alles war
so lebhast, die Stimme so deutlich, daß
ich lange Zeit de» Eindruck behielt und
mich stundenlang vergeblich bemühte,
wieder einzuschlafen. Was meinen Sv
dazu?
Träume sind Schäume!
Nicht immer, entgegnete Richard
nachdenklich, indem er prüsend seine Au
gen zu Balesca wauderu ließ und vor
dem von ihm geäußerte», seiner eigene»
Ueberzeugung znwidcrlauscnden Wider
spruche erröthetc. Jndcsscü sei dem.
wic ihm wolle, Fräulein Berg muß mir
eiue Bitte erfüllen.
Gern!
Ich bitte nm eine» Thaler.
O, wie seltsam!
Für ineine ärztlichen Bemühungen
das Honorar, sagte Doctor Rciulaud
schcrzcnd. Ich bin zudringlich, iiiei»
licbcs Frättlciu, schwöre aber, daß ich
niemals ein anderes weder beanspruchen
»och annehmen werde. Der Thaler wird
die Bekanntschast eines zweiten ans mei
ner Tasche machen und für beide besorge
ich die LoSnnnimer dcr Maricnbnrger
Lottcric. ES wird sich zeigen, ob wir
Bcidc Glück haben wir spiele» auf
gemeiuschastliche Rechnung.
Valesca schloß ihren Schreibtisch auf
und reichte das geforderte Geld dem
Arzte. O, wen» wir Glück hätten!
sagte sie, die Hände saltend.
Wir gewinnen soviel, behauptete der
Arzt treuherzig und bestimmt, daß Sic
zu geeigneter Zeit Berlin verlassen und
mit dcr Mutter im Gebirge, an einem
Ort, den ich noch näher bezeichne»
werde, sich erfrischen können. Und nun,
liaben Sie Dank —und reichen Sie mir
»och einmal ihr Händchen, damit ich
Er hielt ihre weiße, schmale Hand in
beobachtete.
Vortrefflich, sagte er, die Uhr weg
steckcnd und die Haud Valescas noch
festhaltend, dcr Mcistcr Puls benimmt
sich sehr verständig, ich muß ihm dankbar
sein. Er zog ihre Hand an seine Lip
pen und küßte sie.
Valesca sprang ans und entzog ihm
die Hand hastig. Es War das erste
Mal, daß Doctor Reinland sich vergaß
und ihren Unwillen rege machte.
Er mochte dies selbst sühlcn. Er
nahm Hut uud Stock und entfernte sich
eiliger, als cZ fönst seine Gewohnheit
war.
Zehntes Capitel.
Noch vor dem Verfalltag des bei
Wolf von Bern aufgenommenen Dar
lchns ersuchte der betreßte Diener die
ses Freundes den Herrn Doctor Rein
land, doch schleunigst zu seinem Herrn
zu kommen. Reinland, dcm diese Be
stellung bei der Rückkunft von einem
Geschäftsgänge ausgerichtet wurde, war
überrascht, weil er glaubte, daß Wolf
Anlaß habe, das ihm gewährte Darlehn
schon früher als versprochen zurückzu
ziehen. Erfand indeß, als er die in
altdciitschci» Geschmack eingerichtete
Stadtwohnllilg des Freundes betrat,
daß dicscr seine ärztliche Kunst in An
spruch zu nehmen hatte.
Verwünscht! rief ihn« Wolf, ohne sich
vou dem Divan zu erheben, entgegen;
ich kann nicht an'treten, dich zu empfan
gen. Sctz dich nimm eine» Stuhl.
Seit zwci Nächten keinen Schlaf. Ein
Steckic>l nud Brennen im rechten Fuß
ich denke, ich habe ihn bcim Absprin
gen vom Pferde verstaucht. Ich muß
übcrniorgcu bci dcm Prinzen Nanmar
choS zn Tische sein. Die ganze hohe
Diplomatie ist dort versammelt, Prin
zen, Fürstlichkeiten, Minister. Du
mußt mich bis dahin herstellen, wenig
stens insoweit, daß ich bequeme.Fußbe
kleidung trage» kann.
Laß sehen!
Doctor Reinland zog dcn gestickten
Pantoffel von dem Fnße des FrenndeS
und betastete die durch Röthe und Glanz
erkennbare Geschwulst.
A»! Verdammt, dort—wcg mit dcr
Haud! rief Wolf, als Richard Reinland
die Spitze des Fußes leicht berührte.
Der Doctor lächelte. Keiu Bruch,
keine Verftanchung. Das kommt auch
nicht vom Abspringen. Man braucht
kein Reiter zn sein, um eine» Podagra-
Ansall zu erleiden.
Mensch —ich bei meinem soliden Le>
ben! Die anSgesuchtestcu Weine, die
besten Leckerbissen nichts Gemeines
kommt über meine Zunge. Edles Wild,
reiner Sect wie können sie das Po-
dagra erzeuge», bei einem Manne, der
nicht viel älter ist als Du? Hast Du
jemals daran gelitten?
Nein, fürwahr! Vielleicht ans entge
gengesetzten Gründen. Doch bis über
morgen ?
Ja. Man hat vor. mich als Gou
verneur nach einer Station im Bismarck-
Archipel z» entsende». DaS wird sich
übermorgen bei dem Prinzen Nanmar
choS entscheiden die erste vornehme
Da ist es besser, D» bleibst dem Di
ner sern, und ich werde mich hüte». Dir
zum Anziehen Deiner Stiesel behilflich
zu sein.
Himmel und Hölle, rief Wolf, sich
mit dem Oberkörper steilrecht auf
setzend, ich hatte schon vor Dir den Pro
zessor Grab eonsultirt uud dcr sprach,
aus acht Woche» Stillliegen müßt' ich
gesatzt sein, es sei eine Sehnenzerrung.
Du meinst, es sei nur Podagra, uud Du
weigerst Dich —ja, weigerst Dich, mir zu
Helsen?
Ich bin kein Geograph aber nach
dcm Archipel in der Südsee —du? Du
kennst wohl dic Gcsährlichkcit des Kli
mas, die Uugastlichkeit des Koralleu
bodeus, die Elcndizkcit des Menschen
schlags, der dort wohnt, nicht? Wer
in deiner Lage ist, darf, wenn die Pflicht
es nicht gebietet, nach solchem Reiz nicht
streben. Wols, verwöhnter Frennd, du
würdest aus Samoa, Serratongo, in
Finschhasen oder sonstwo dein Grab
finden nnd nie lebendig nach Europa
zurückkehren.
Wolfgang machte große Augen und
starrte de» Freund wegen seiner Aus
richtigkeit an. Sticht lebendig zurück
das wäre ei» Spaß! Indeß, ich setze
dich vor dcr Abreise zu meinem Erben
ein.
Ich scherze nicht nnd lehne deine Erb
schaft gern ab, wenn ich dich dem Leben
zn erhalten weiß. Deine Körperconsti
tntion ist den Ansordernngen jener Zone
nicht gewachsen.
Wols wurde nachdenklich. Nun gut,
sagte er nach emer Weile, ob ich leben
will odcr uicht. ist meine eigene Ange
legenheit. Kannst du mich bis üver
niorgcn so weit wieder herstellen, daß
ich der Einladung solgcn kann?
Ich kau» es, erwiderte Reinland nach
kurzem Besinnen, abcr ich will nicht.
Willst nicht? Dn bist ein Tyrann wie
alle dcinc Eollegcn. Willst nicht, auch
wenn ich verspreche, dic mir zugedachte
Mission auSzuschlagcu?
Auch dann weil die Einreibung,
die ich anwenden müßte, anderweite
üble Folgen nach sich ziehen könnte.
Indeß acht Wochen, wie Prosessor Dr.
Grab prognosticirte, will ich dich nicht
festhalten. In einer Woche höchstens
kannst Dn anSsahre», anSreiten, ausge
hen. Die Schmerzen aber solle» vo»
Stlliid an aushörcn, dn sollst nachts
über schlasen das versprcch' ich.
Wolf war, wie von Schmerze» ge
plagte Kranke zu sei» Pflegen, sehr uu
liebeuswürdig über diese Eröffnung,
was indes Reinland nnbeinerkt ließ.
Sein Frennd mnßte sich bequemen, von
dcr prinzlichen Einladung keine» Ge
brauch zu machen. Statt seiner wurde
Baron Sindbad in's Ausland geschickt.
Indes schon acht Tage später trafen
Reinland und Wolsgang von Bern, der
letztere vollständig wieder hergestellt und
in heiterster Stimmung, unter dcn Lin
den zusammen. Es war cin köstlicher
Tag nnd die sonst staubige Baiimallce
prangte nach der verwichenen Regen
nacht im frischesten Blätterschmuck.
Sieh da glückliches Ungefähr
znnl zweiten Male hente! rief Wolf dcm
Doctor schon von Weitem entgegen. Ich
wollte dich soeben in deinck Hausapo
theke aussuche» und Dir meinen Dank
wegen der an mir vollzogenen Wunder
cur abstatten.
Richard machte eine abwehrende Be
wegung. Der Dank ist auf meiner
Seite. Deine Empfehlung beginnt
Wunder zu wirke». Ich erfreue mich
dcr lebhafteste» geschäftliche» Thätig
keit.
Ei, du Heidenkind, und bast doch Zeit
genug, um junge Damen spazieren zu
sahreu. Wer ivar die Schöne, mit wel
cher dn heute Morgen nach dem Anhalt
schen Bahnhos stolzirtest?
Eine Patientin, entgegnete Reinlaiid
kurz abgebrochen.
Aach eine Wiederhergestellte? Ri
chard, ich warne dich. Ein verschleier
tes Bild von Sais. Aber doch, hinter
dem Schleier steckt etwas. Die schlanke,
biegsame Gestalt wenigstens, die ich nnr
sehe» konnte, läßt dies annehmen. Die
ältere Dame, dic neben ihr im Fond
saß kam mir cinigcrmaßcn bekannt vor.
Ich sah, d» machtest cisrig dic Cour!
Richard wurde unruhig. ES ist die
Tochter ciueS aiigcscheiien Beamten.
Ich habe sic in's Hjad geschickt und
nlnßtr ihr, da ich, wie erwähnt, mit der
Zeit pressirt bi», unterwegs im Wagen
vor dcr Abreise, die nöthigen Verhal
tungsmaßregeln geben.
Welches Bad besucht dic Dame?
forschte Wolf, der znni Necken bcfvndcrs
aufgelegt schien, oder a»ch an dem jnn
lich neugierig war, die geheimen Be
kanntschaften des Freundes anSzukuud
schafleu. Er bemerkte nicht, daß Rein
zog.
Kein Bad Altena» im Harz. Doch
waS fragst d» danach?
Dn bist sehr rosiger Laune heute.
Doctor Rciulaud, dessen Praxis seit
kurzer Zeit iu dcr That, wie er jagte,
Gut, sagte Wols, du hast bis 0 Uhr
Urlaub, deine TvdeZurtheile und Lei
chenpässe auszustellen. Puukt <! Uhr
erwarte ich dich bci mir. Eine kleine
»userlescne Gesellschaft. Betty d'lsraeli
speist mit uns. der entzückendste Alt, den
die Residenz kennt.
Reinland blieb einen Augenblick
stehe». Ein etwas boshaftes Lächeln
war ans seinem Gesichte zu lesen. Er
hatte die beste Gelegenheit, den ihn ver
letzenden Scherz des Freundes zu erwi
dern. Ha, deine schwache Seite, Wolf.
Man kennt deine Schwärmerei für die
Oper und besonders für die d'Jsraeli.
Alle Welt traut dir ernste Absichten zu.
Sie soll dich ganz in ihrem Netze haben.
Sie bedarf keiner Netze, erwidert«
Wolfgang, sie >st in der That ein«
wahre Priestern« der Kunst, Dn wirst
noch heute ebenso von Schwärmerei hin
gerissen sei» wie ich selbst.
Eine Nachtigal, und ebenso häßlich.
Sie färbt ihre Augenbrane» und
Wangen nicht, sie pudert ihr schönes
Haar nicht. Man vergißt, daß sie nicht
schön ist. wenn sie spricht. Singt sie,
so ist das Seele, Herz und Gemüth.
Sie scheut sich nicht, bei dir zu spei
seu?
Warum auch? Es ist nicht gefähr
lich. Wir haben nnS aufrichtige Freund
schaft gelobt, kensch nnd rein. Sic
meint, sie wäre zu alt für mich. Also
dn kommst bestimmt. Ich muß den
Spötter bekehren. Wolsgang sprach
diese Worte mit dem Ausdruck ehrlicher
Ansrichtigkeit. Er schüttelte dem
Freunde derb die Hand, hörte dessen
Antwort nicht und entfernte sich, eine
Opernmeladic pfeifend, in der Richtung
nach dem Opernhause zu.
Elftes Capitel.
Au der Mittagstafel zu Altenau war
nne zahlreiche Gcscllschist versammelt,
so daß der niedrige Speisesaal nnd die
daran gebaute luftige Berauda bis auf
den letzten Platz besetzt wäre». Die
Gäste, zum Theil in Privatwohnnngcn
eingcmicthct, zum Theil im Gasthofe
selbst wohnend, waren meist Nord
deutsche aus Hannover, Lübeck, Bremen.
Aber auch Touristen, von Andreasberg,
von Grund oder Lanterberg zugewan
dert, belebten den Raum. Diakonissin
nen ans Berlin und Halle, welche auf
vier bis sechs Wochen von den AnstaltS
obern hierher zur Erholung gesandt und
bei den Förstern unmittelbar am Walde
einquartiert waren, nahmen in ihrer
kleidsamen schwarzweißen Tracht an der
Tafel theil. Das Essen war schmack
haft, die Eßliist durch die frische Lnsl
und die Waldspaziergänge geschärft, die
Unterhaltung lebhast. Zwischen dem
ersten nnd zweiten Gange vertheilte der
stattliche, wohlgenährte Oberkellner Zei
tungen uud Briese, die der Postbote soe
ben abgegeben hatte.
O, es ist himmlisch schön hier, wandte
sich eine Lübecker ältere Dame zn ihrer
Nachbarin. Schon unser Geibel sagte
mir dies. Die Wege so eben, so begnem,
die vielen Ruhebänke so willkommen.
Etwas sehr ländlich, meinte die
Frau Geheiuiräthiu Berg, die mit ihrer
Tochter vor acht Tagen angekommen
und in dem Gasthausc einlogirt war
aber der Mittagstisch wie in dem besten
Restaurant unter den Linden.
Die vielen Kühe sind nicht angenehm,
sagte ein Herr ihnen gegenüber, der
Schmutz auf den uugepflasterten Wegen
ist lästig.
Aber die Luft die Lust hier! warf
die Dame aus Lübeck ein. Die Lungen
gehen auf Sammt. Bon den Dämpfen
der bcuackbartcu Silberhütte im Oker
thal dringt kein Atom in unser Berg
thal hinein; es ist, als wäre ein Riegel
vorgeschoben.
Wahr, sehr wahr! bestätigten Meh
rere.
Waren Sie schon auf dem Brocken?
fragte ein junger Forstcandidat in moos
grüner Uniform, welcher Fräulein Va
lesca Berg schräg gegenüber saß und
kein Auge vou ihr verwandte.
Nein, das Wetter war noch nicht klar
genng, erwiderte Balesca, die ungemein
srisch und fröhlich aussah, wir haben
bis jetzt »nr näher gelegene Punkte auf
gesucht. Man sagt, wir müßten die
Wolsswarte eher als den Brocken be
suche».
Ei, da könnten Sie ja auch über den
Brnchbcrg gehen, meinte das Fräulein
aus Lübeck.
Ja, versetzte die Geheimräthin, das
soll ein beschwerlicher, aber sehr lohnen
der Weg sein.
O, Sie wissen nicht? Ich will Sil
nicht ängstlich macheu, aber gehe» Sie
nicht ohne Begleitung.
Hier, leben Sie, sagte ein Hoscondi
tor ans Braunschweig, der soeben ein
Paket Zeitungen empfangen uud neben
feinem Teller ausgebreitet hatte. Er
reichte der Frau Geheimräthi» eine hei
mathliche Zeitung und bezeichnete mit
dem Finger einen Artikel ans Zellerfeld.
Frau Gchcimrüthiil, die ohne Brille
nicht gnt lese» konnte, reichte das Blatt
ihrem Gegenüber, dem Forstcandidaten,
nnd dieser las wie folgt:
„Ter gefährliche Mensch, dessen wir
schon in der vorletzten Nummer erwähn
ten, uud der das ganze Revier unter
dem Bruchberge unsicher macht, ist, wie
sich nun hcransstellt, vor einigen Tagen
ans Göttingen entsprungen. Er hat
neuerdings drei Damen aus Osterade
oder Lanterberg, welche die Ehanfsee
bei dein Odcrleichc entlang wanderten,
angehalten, das Geld, welches sie bei
sich trngen, gefordert und ihnen sämmt
liche Schmucksachen, Ringe, Uhren,
Armspangen nnd Brüchen, abgenommen.
Fuhrleute mit K ohleuivagen waren ihr
nächster Schutz. Die Fuhrleute haben
den Ränder »och in der Ferne gesehen.
ten. Ilm z» verfolge» war nicht mög
lich, weil die Köhler ihre Gespanne nicht
verlassen konnten und der sreche Mensch
unsichtbar wurde. Mau weiß nicht,' ob
der Entsprungene irrsinnig ist. In das
Gefängniß zn Göttingen, woselbst er sich
tobsüchtig benahm, war er wegen Ein-
Bruchs in den Laden eines Juweliers
cingcliesert. Begreiflicherweise ist man
in der waldige» Gegend, welch' dcr
Mensch zu seinem Auseuthalt gewählt
hat, und die er bennrnhigt, sehr aufge
regt. Sein Name ist Psennig."
Die Tischgesellschaft hörte dcn Artikel
mit 'verjchieoencn Empfindungen an.
Der hat den wilden Mann gespielt,
äußerte eiu Berliner Referendar, dcr
wegen angcgriffener Nerven in Altenau
verweilte.
Eiue Zeitungsente, nichts weiter,
meinte dcr Forstcanvidat, das Blatt
znrückgcbend. Wie wäre es möglich,
daß ein wildes Thier in diesem gebilde
tc» Landstriche längere Zeit Hause»
könnte, ohne erlegt z» werde».
Da muß man stets bewaffnet aus
gehe», sagte ei» älterer Herr, ei» ehe
maliger hannoverschcr Osficier.
gäilgen bis auf weiteres meide», meinte
das Fräulein aus Lübeck.
Glauben Sie doch diese Geschichten
nicht, meine Herrschasten, mischte sich
der Oberkellner ein und zog die Ser
viette heroisch aus dcr Halsbinde, wo sie
eingeklemmt war, um das stattlich her
vortretende Bänchlein zu beschützen.
Nichts als Coucurrenzneid! Kein
Mensch aus Lauterbeia oder Osterode
ist bcstohlcn worden. Ma» gehl darauf
aus, die Wirthe, welche in Oderbrück,
im Weghause, in AndreaSberg Fremde
halten, durch solche Lügeu zu beschädi
ge». Andere gönnen ihnen dcn Ver
dienst nicht, den sie reichlich haben.
ES bleibt aber doch ängstlich, mcinte
die Frau Geheimrälhin. Warum sollte
eS nicht wahr sciu? Wir werdcu die
Tour nach der Wolsswarte morgen nicht
unternehmen, liebe Balesca.
der Forstcandidat. Die ganze Tischs
scllschast muß einig sein. Wir müssen
nicht nur gcmcinsum speisen, sonder»
auch gemeinsam unsere Spaziergänge
teil macht morgen die Partie »ach der
WolfSwartc mit? Er sah dabei hoff
nungsreich aus Valesca.
Ich! Wir! Wir alle! riefen zwanzig,
dreißig Stimmen durcheinander. Mau
lachte uud scherzte, man gab seine Untere
schrist ans einem herumgereichten Bogen
tete, morgen nm acht Uhr zusammen die
Wolfswarte zu erklimmen.
In diefem Augenblick öffnete sich die
Thür zu dem Speisesaal nud der Doc-
Er war soeben mit dem OnnlibiiS von
Oker angekommen. Seine Angen über
slohen spähend die Tischgesellschaft. Als
er Fran Berg und deren Tochter er
blickte, eilte er auf dieselben zu und beide
Damen, die mit frendiger Ueberraschung
seine Ankunft bemerkten, erhoben sich,
ihn zu bewillkommnen.
Dadurch gewa»» das Tischgespräch
eiue andere Wendung. Zunächst allge
meine Stille. Tann flüsterte die Dame
aus Lübeck: Unerwarteter Besuch. Ein
interessanter Mauu!
Sicherlich der Bräutigam der jungen
blonden Dame aus Berlin, bemerkte der
hamiover'schc Rittmeister mit halblauter
Stimme.
Oder ein Bruder de-Z Fräulein, trö
stete sich selber der Forstcandidat, der
auf ValcSca ein Ange geworfen hatte.
Ein Gedeck für mich, Kellner, und
eine halbe Flasche Wein! sagte der
Doctor.
Einschieben!" rief der Rittmeister
dein Kellner zu, der aus >ein Nebentische
servireu wollte. Wir rücken zusammen,
hier ist Platz genug.
Aeußerst verbunden! Gestatten Sie:
Dr. inscl. Richard Rciulaud aus Ber
lin. So sich der Tischgesellschaft be
kannt machend, führte Richard die beiden
Damen zu ihren Plätzen zurück und er
hielt seinen Stnhl, wie der Rittmeister,
der älteste und jährlich wiederkehrende
Beiden.
Was führt Sie hierher, Herr Doctor?
fragte die Geheimräthin.
Eine perfönliche Angelegenheit, theu
erste Frau. Ich muß den Erfolg der
vou mir angeordnete» Gcbirgseur beo
bachten. Meine Zeit ist gemessen.
Morgen werde ich wieder in Berlin sein.
Die sich häuscudeii Geschäfte gestatten
keine längere Abwesenheit, nnd doch
war ich es Ihnen nnd Fräulein BaleSca
schuldig. Er sah mit leuchtendem Blick
aus seine jugendliche Nachbarin zur Lin
ken. Valcsca bemerkte es, und ihre
niedergeschlagenen langen Augeuwim
perO zitterten unnierklich.
Dreien verabredet. Dan» tre inte man
sich nach aiisgehobener Mittagstafel.
Kind, dir steht ein großes Gluck be
vor, sagte Frau Ludovica zu ValcSca,
Eiue Thräne trat in BaleScas Ange.
Ich habe schon längst bemerkt, fuhr
die Mutter sort, was iu dem Herzen des
Doetors vorgeht. K ein anderer ist so
ausincrtsam. Er ist uns nachgereift.
In welcher Absicht, kann nicht zweisel
hast sein.
ValeSka schwing und öffnete den
Briei, welchen ihr der Kellner nach a»s
gchobener Tafel nachträglich überreicht
hatte. Er war von. der Haud des Lei h-
Bibliothekars. Valeskas Auge ver
klärte sich, als sie den Inhalt überflog.
O, wie gnt uui? lieb! sagte sie uud
drückte voller Freude den Brief an ihre
Brilst. Wie besorgt er um mich und
um dich ist! Er fühlt sich einsam und
verwaist. Er legt von seinen Erspar
nissen zwei Banknoten bei, die dritte
will er verwende», um eines schone»
TageS uns hier im Gebirge z» über
rasche» der treue Onkel Heinrich!
Mein Halbbruder ist rem vernarrt in
dich. Wir bekommen Bestich über Be
such hier. Heinrich ist doch kein Jüug
ling mehr. Wozu die Extravaganz?
Doch sein Geld kommt zu gelegener Zeit.
Du hast wirklich einen neuen Hut nö
thig, um dich mit Anstand sehen zu las-
sen. Wir wollen ehestens nach Goslar
znni Einkauf fahren, sobald der Doctor
Reinland wieder sort ist. Ein schöner,
ein liebenswürdiger Mann und kam»
sechSnndzwanzig Jahre alt. Was kann
ans dem »och werde»!
Nachmittags begleitete Reinland die
Fran Berg und Balesca ans dem ver
abredete» Waldspaziergange. Als sie
de» erste» Berghailg erstiege» hatte»,
lnd eine einfache Bank am Ufer des klei
nen, hochgelegenen O'kerteicheS z»r Rast
ein. Es war ein wundervoller Tag
der Himniel blau, vou leichtem Silber
gewölk durchschifft. In der glatte»
Seesläche spiegelte sich tiese Bläue, die
umstehende» Berge und die mächtige»
Tanne», dic vom Uscr aus ihre herab
hängenden Aestc in dem Wasser badeten.
Ncbcn der Bank im Gebüsche blüthen
rothe Steinnelken und violette hochstäm
mige Glockenblumen. Ein Falk zog
über den Spitzen der Waldung hoch oben
langsame Kreise. Feierliche Stille
herrschte ringsum, nur ans weiter Ferne
ganz leise hallte das Glockengeläute einer
in dem Forst zerstreuten Knhherde me
lodisch herüber. Das Gespräch zwischen
den beiden jungen Leuten war ver
stummt, sie versenkten sich träumend in
das Anschauen der entzückenden Wald
landschast. Selbst Fran Lndovica
schwicg eine Zeitlang, sie hatte ihre bc
sonderen Gedanken.
Wenn er jetzt käme, unterbrach sie uii
vermuthet dic Stille. Sie wußte selbst
nicht, ob sie den Leihbibliothekar oder
de» entsprungene» irrsinnige» Sträs
ling Pfennig mcinte.
gehen, bat sie ängstlich.
Unter meinem Schutze sind Sic sichcr,
beruhigte Reinland, so lange cin BlntS
Niemand verletzen.
O, ich danke Ihnen, Herr Doctor,
entgegnete Valesca, doch sind wir schon
so sehr in Ihrer Schuld und dürsen die
letztere nicht noch vergrößern.
Sie gelangten an de» „breiten Gra
ben" nnd erfreuten sich an dem rasenden
Sturz des Wassers. .vclchcS wie eine
silberne Riesenschlange, eingeengt in eine
ausgemauerte Riuue, deu stcilrechten
Berg herabschncllt, dann abcr, ailsaugs
schäumend uud toseud, weiterhiu ruhig
und kristallklar hinsließt. An dem dcn
Abhang dcS Waldcs der Länge »ach be
gleitenden „breiten Graben" drängt sich
Gebüsch nnd riesiges Farrcnkrant man
cher Art. Blühcndcs Epilobinm nnd
Heckcnröschen in vollster lugeiidsrische
bekränze» die Borde.
Frau Geheiuiräthiu blieb etwas zu
rück, um einen Strauß vou blauen
Heidebecren zu pflücke».
Diese» Umstand benutzte Richard
Reiulaud. Sie wniidcr» sich, Fräiilei»
ValcSca, sprach cr leise, weshalb ich so
plötzlich iu diese Harzbergc hineinschneie.
Ich wußte T'c hicr. Täglich hab' ich
Jssrcr gedacht. Ich biu ciucr Gesährtiu
bedürftig, ohnc welche dcr Arzt n«r eiu
halbes Vertrauen genießt, einer Ac
fährtin, welchc mir den Zutritt zu dcr
schönern Hälfte der Mensche» erichließt,
eine» Fran, die mich hegt und pflegt
und die ich anf Händen tragcn werde.
Fallender Schnee, der in die grüne
Lauscha,, yin.nilweht. Es war etwas
in de» Worte» Richards, welches diese
Verstellung bei ValcSca a»ftauche» licy.
Sic bückte sich und pflückte ein von ihrem
Fnße verschonlcs Waldviclchen. Sie
war zn bcwcgt, nm antworten zu kön
nen.
In Jhncn, ValeSea, wandeln alle
mcinc Hoffnungen, meine Wünsche ver
körpert neben mir.
Valesca blieb stehe» »nd erhob die
Hand zu ciucr leise abwehrenden Bewe
gung. Sie kciiiic» mich zu wenig, ant
wortete sie bescheiden, Sie finden Vor
züge, die nicht vorhanden sind. Den
Ansprüchen, welche Sic mit Recht stellen,
werde ich kaum genügen. So bin ich
nm eine richtige Antwort verlegen. Gön
nen Sie mir, daß ich Athcm schöpsc.
Richard sab, daß das jnngc Mädchc»
zittcrtc. Jhrc Gesichtszüge trngcn
lich wieder jene Blätter der Krankheit,
die cr srühcr gekannt hatte. Ihr Gang
Arm, dcn sic ilun willenlos überließ, er
grcisend, ich be!c Sie an. Machen Sie
mich nicht »»glücklich. Weil» ich diese»
Abend schon Sic wicdcr verlasse, »m
nach Berlin znrückznkcqren, muß ich dic
Gewißheit habcn, daß mein Glück, meiuc
Zukunft gesichert ist.
ValcSca legte, ihren Arni ans dem
Gehen Sie Herr Rcinland, suchen Sie
die Mutter anf, aber verrathen Sic i!ir
nicht, wovon zwifchc» 11110 Beiden jetz'
Gräben innner entlang gehen, den Pa
villon, die „Rose" genannl. Gcbcn Sic
in der Gesellschaft dcr Mnttcr voran
»nd erwarten Sie mich dort. Ich muß
mich sammcln glauben Sie, ich muß
eS nnd bleibe deshalb nicht lange
hinter Ihnen zurück. Sie verdiene»
glücklich zu werde». Lasse» Sie mich
prüfen, ob ich dazn bcizutragcu im
Staiidc bi»!
O. ich ivciß Sic find es!
Erfüllen Sic mcinc'Bittc. In ciner
Stiilidc an dcr „Rose"!
Die Mntler kam herbei. Sic warf
einen unruhigen, fast schien eS cnitänscb
ten Blick ans Valcsea. Tann ging sie
mit dcm Doctor voraus, uud Vatcsca
wußte es sv emznrichtc.'i, daß sic bei der
nächste», iinlerdc» überliäiigciidc» Zwci
Als sie aus dicsem lä'udlichcii Sitze
dcm rauschende» Wasser gegc»übcr i»
dcr Waldeinsamkeit sich nicdcrgelasscn
hatte, hob cin ticser Senszer ihre Brnst.
Sie schuldete, das war ihr erster Gc
danke, dem Doctor Rciulaud so vielcn
Dank. Mit Bestimmtheit fast »ahm sic
a», daß Rcinland in dcr großmüthigsten
Weise sogar dic Mittel zu dem Anseilt
halt in dieser Sommerfrische vorgestrecki
hatte, dem vorgegebenen Lotteriegewinn
hatte sie nicht so recht getraut. Sic
sürchtete aber, den Spender dieser Mit
tel auf's empfindlichste zn kränken, wenn
sie feine» so sorgsam eiligelciteten und
in so zarter, rücksichtsvoller Weise aus
geführten Plan durchkreuzte. Sie be
trachtete die Gabe nur als eiue vor
läufige und war fest entschlösse», durch
den Fleiß ihrer Hände, vielleicht mit
Beihilfe Heinrich Gcinkenthals, in die
Lage zn komme», sie bald zurückzuge
währen, wenn auch in einer Gestalt, die
fern von jeder Verletzung seines Glan
bens an die gelungene Tänschnng wart
Lndovicas Ueberzeugung von der Rich
tigkcit des Lotteriegewinncs wäre ohne <
hin nicht zu erschüttern gewesen. Mit
begeisterter Freude hatte die Mutter
stets von dem Harzanfenthalte gcspro
che». Diese Freude durfte Valesca uicht
vernichte», ohne die von leidenschaft
lichen Aufwallungen nicht freie Fran
auf's Tiefste zu betrüben. Allein, ob
wohl die wohlwollende Fürsorge des
inendes. Valescas Verhalten dcm Doc
tor gcgcnübcr, früher offen und zwang
los, wurde zurückhaltender und beklom
mener, nicht entgegenkommender, wie
Richard Reinland vielleicht erwartet
ha t'.
Balesca mußte alle Vorzüge des
MauucS und die Stellung desselben
rühmend anerkennen; dennoch zögerte
sie, die Hand desselben freudig auf dcr
Stelle zu crgrcisen. Ein. ernster Zwei
fel, ob sie imstande fei, alle an ihren
Besitz geknüpfte Erwartungen zn erfül
len —war, und zwar nicht erst durch den
Nachdruck, welchen Reinland feinen
Wünschen hente verliehen hatte, in ihr
rege geworden. Es gibt für junge
empfindsame Seelen eine Zeit, wo die
Wahnvorstellung eines nahe bevorstehen
den Alshicds von dcr Erde sie unwider
stehlich vchcrrscht. DicUcbcrzcngung, bin
ucu kurzer Frist aus dem Lcbcu scheidcn
zn müsse», macht mit dem Tode ver
traut, söhnt mit demselben aus uud ge
winnt dadurch an Kraft und Stärke.
Eine tiefe, süße Schwärmerei bemächtigt
sich der jugendlichen Gemüther, in denen
dieser Wahn Wnrzel gesaßt hat. Sie
glaube» sich scho» halb dcr Erde ent
rückt, ihre DenkiliigSweise, ihre Hand
lungen nehmen, darnach eine bestimmte
Färbung an. Dem sehnsüchtigen Vcr
langen der Noviee verwandt, die den
Schleier genommen und die Fülle ihrer
Locke» dahiilgcgeben, um des Gelübdes
willen, im Kloster als Nonne dem
Scelenbräuligam zn leben uud dcr
Wcltlust abzusterben liegt auch in
dicscr Ueberzeugung ei» Verzicht
ans Glück, ans Lust und Freude,
aus Besitz und Reichthum. Heitere
Stimmungen werden verklärter, religiöse
Ideen lockender. Man glanbt an Ein
flüsterungen innerer Stimmen, die plötz
lich bestimmend wirken sollen, das Ge
biet der Ahnungen und übersinnlichen
Erscheinungen gewinnt einen schranken
losen Einst»«. Ost ist verkannte, Ver
geblich gesuchte oder verlorene Liebe der
Bcnnd uud die Vcranlassnug dieser
schwärmerische» GcistcSrichtiing. Zum
Glück ist dic letztere meist vorübcrgchcnd,
dic Täuschung wird erkannt, nnd die
wiederkehrende Gesundheit erhebt zn
neuer srischer LebenSanschauiillg.
Vale?ca war von diesem Glauben seit
dem letzten WeihnachSfeste iu Groß-
Becreii beherrscht. Um Meierte das
Bewußtsein ihres nahen Unterganges
jede Freude, die sich ihr darbot,
stärkte dasselbe hier wiederum ihren
Entschluß zur Arbeit, kräftigte ihren
Willen zu entsage» und sühne zu dem
Gelübde, dcn Rest des Lebens nur der
Mutter, dcr Unterstützung und Entla
stung dcrsclben von Sorgen zn widmen.
Mit diesem Gelöbnisse stand der An
trag Reinlands in einem nicht zn lösen
den Widerspruch. Eiu reifliches Ueber
dcukcu dcr Sachlage führte sie zu dcr
scltsamcu Annahme, daß sie sür sich al
lein eine Entscheidung zu treffen uicht
bcsähigt sei, sie wollte dic Meinung des
Oheims Gemkenthal einholen und be
schloß, von diesem bewährten Rathgeber
ihren Ausspruch gegen Reinland ab
hängig zu machen.
Während dicscr Entschluß bci ihr
reiste, hatte sie uicht bemerkt, daß im
Walde hinter ihr auf dem Moose sich
Flißtritlc näherte». Ein Mann bc
wegtc sich lcisc, katzenartig nnd sprung
weise de» Berghang hinan bis nahc an
die »»weit des Weges stehcndc Bank.
Dieser Mann war kein Badegast, kein
Spaziergänge!', kein Waldarbeiter, kein
Hüttcnniann; er war dem Aenßern nach
nicht zn dcr Bevölkerung des Landes
gehörig, aber dcr Gegend, der Wälder,
Thäler nnd Wege kundig. Scinc Er
scheinung erweckte kein Vertraue». Er
war körperlich gewandt, aber mager nnd
verwildert. Sein blonder Bart war
wirr, sein Haupthaar quoll uuter dcm
Schlapphut lang und ungekämmt her
vor. Seine Kleidung zeigte modernen
Schnitt, war aber beschmutzt und teil
weise zerrissen. Er richtete, indem er
sich der Bank von dcr Rückseite näherte,
sein irres nnd snnkelndes Ange immer
begehrlicher nnd entflammter auf das
junge Mädchen welches, nm Sicherheit
unbekümmert, von der Lebhaftigkeit der
blieb. '
(Loitsetznng folgt.)
Die höhere Tochter Emniy und der
Lateinschüler Fritz sind in heißer Gluth
sür einander entbrannt. „Fritz," fragt
sie ihn, „wirst Du mich aber auch ewig
liebe» ?"—„O," antwortet er vorwurfs
voll, „wüßtest D», wie ich heut' Deinet
wegen vom Vater geprügelt worden
bin!"
Macht der Gewohnheit.
Matrose (früher Eisenbahn-Schaffner,
dcr feine erste Seesahrt nach New Aork
macht, bei der Ankunft dortselbst):
„Amerika—Alles aussteigen!"
3
«ine Erinnerung «» P«t«r de«
Grob«».
Der Besuch Kaiser Wilhelm'S in de»
Stadl Narwa bringt unwillkürlich eine
denkwürdige Episode in den Kriegs
zügen Peter'S des Großen in Erinne
rung. Am 18. August 1700 hatte er,
nachdem er einen vortheilhaften Frieden
mit der Türkei geschlossen hatte, Schwe
den den Krieg erklärt. Der feurig«
Schwedenkönig Karl XII., der eben den
Streit mit Dänemark zu Ende geführt,
eilte mit seinem Heere nach Livland,
seinem russischen Gegner entgegen, der
mit etwa 40,V0N Mann die Stadt
Narwa belagerte, deren Besatzung aus
1200 Fußsoldaten und SW Reitern be
stand. Trotzdem Karl XII. in seiner
Armee nur 8000 Man» zählte, scheute
er nicht den Kamps nnd hatte schon mit
einer den Russen vollständig unerwarte
te» Schnelligkeit die Pässe bei Pyajoggi
und Sillamäggi, welche zu besetzen di«
russische Armee erst Vorbereitungen traf
in seine Gewalt bekommen. -
Dadurch wurde der Weg uach Narwa
frei, nnd Karl XII. ließ nicht lange aus
sich warten. Plötzlich sahen die Russen
am 30- November den Feind vor sich,
und das versetzte sie, namentlich als es
K arl XII. gelang, sich der feindliche»
Artillerie zn bemächtigen, in solchen
Schrecke», daß, wie General Hallert be
richtet, „Alles wie eine Heerde Vieh in
einander lief, ein Regiment ins andere,
daß man nicht 20 Mann in Ordnung
zusammen bringen konnte." Von den
russischen Regimentern hielten »nr zwei
Stand, das Prcobrashenskische nnd das
Ssemjanowsche, während die übrigen
Truppen in vollständiger Auslösung
begriffen waren, die noch dadurch »er
mehrt wurde, daß die fremde» Generäle
und Officiere sich zum Theil dein Feinde
übergaben, weil sie fürchteten, von den
russischen, ihnen wenig gewogenen Sol
daten niedergemetzelt zu werden, wäh
rcild die russischen Officiere wieder
theils uusähig waren, sie zn führen,
theilweise selbst allen Muth verloren
hatten. So konnte es kommen, daß
eine Armee von 40,000 Mann von 8000
Mann in wenigen Stundeu geschlagen
werden konnte! Peter der Große hatte
diesen Ausgang offenbar geahnt, denn
er war unmittelbar vor der Schlacht
bei Nacht und Nebel mit seinem Ober
seldherrn Golowin aufgebrochen und
hatte sein Heer verlassen, nachdem er,
wie der schon genannte Hallert berichtet,
„um drei Uhr Morgens ganz konst-r
-nirt, wie ein halb rasender Mensch zu
dein Herzoge de Croy gekommen war
und, ihm unter trostlosen Klagen einige
Gläser Branntwein zutrinkend, verlangt
habe, der Herzog solle den Oberbefehl
übernehmen."
In einer Anwandlung von Kleinmuth
hatte der Zar beschloffen, seine Trup
pen, die an Kriegsmaterial und Provi
ant stark Mangel litten, preiszugeben
und iu Nowgorat durch persönliches Er
scheinen und Betreiben eiligst neue
Mannschaften zu sammeln. Diese Flucht
vom Schlachtselde vor der Entscheidung
und die furchtbare Niederlage, die er,
darauf erlitt, brachte dem Zaren in Eu
ropa viel Spott und Hohn kin, so daß
z. B. Fürst Galizyn, der russische Ge>
sandte in Wien, von dort schrieb, Fürst
Kaunitz wolle gar nicht mehr mit ihm
reden, mau lachte in Wien über die
Moskowiter! Noch mehr aber lachte
und spottete man in Schweden, wo un
ter anderem eine Medaille geprägt wur»
de, ans deren Avers der Zar abgebildet
war, wie er sich an dem Feuer der Mör-'
ser wärmte, welche Bomben ii> das
leerte Narwa Winsen; die Umschrift
zeigte das Bibelwort: „Petrus'aber
stand bei ihnen nnd wärmte sich." Auf
dem Revers hingegen erblickte man einen
Haiden Russe» iu wilder Flucht, Allen
voran der Zar selbst, ohne Schwert und
Kopsbedecknlig uud mit ciuem Taschen
tuch vor deu Augen, von der Inschrift
umgeben: „UndPemiS ging hinaus und
weinte bitterlich."
Iu Rußland wurde natürlich der
Versuch gemacht, die furchtbare Nieder
lage möglichst, todtznschweigen, und da
mals schon tauchte der berühmte russi
sche „eiue Mann" auf, den die Russen
später bekanntlich in so vielen Schlachten
verloren („wie viel die Russen dabei
verloren, wird bis auf einen Mann ver
schwiegen," berichtet kurze Zeit nach der
Niederlage Pleyer). Trotzdem aber
fand Peter der Große den Muth, dem
russischen Gesandten Matwcjcw in den
Niederlanden iu der Instruction vorzu
schreiben, er hätte zu melde», daß die
Schwede» sich in verzweifelter Lage
während der Schlacht befunden, sogar
um D a fenstillstand gebeten und hierauf
die Russen verrütherisch überfallen hat
ten! Später gab übrigens der Zar dcr
Wahrheit die Ehre und betrachtete die
Niederlage als ein „Glück", da sie für
die Russell eine treffliche Lehre gewesen
war, welche ihnen die Nothwendigkeit
der Arbeit und dcr Schulung vor Augen
führte. Bier Jahre später glückte eS
Peter, Narwa im Sturm zu nehmen,
wobei er durch eiue Kriegslist die Er»
vberuug beschleunigte: er kleidete einige
Regimenter in schwedische Uniformen,
nm die Belagerten glaube» zu machen,
daß ihnen Hilfe nahe.
Dcr Corpsgeist. Stud.
Braun (mit zwei Damen vom Ballet
corps foiipirend): Alle Wetter, mein
illter hat keine blasse Ahnung davon,
was der Eorpsgeist kostet!
M ü li dlich. So, also fort ist
Dein Bua. Na, schreibt Ihr Euch
Wohl recht oft? O na i wart bis
er wiedcrkiinmt nachher machen wir
alles mündlich ab!
Ein schneidiger Dackl.
„Aber, Herr Förster, warum bellt mich
denn Ihr Hund so an?" „Ja seh'n
S', Herr Lehrer, er ist halt ein wach
samer Dackl! Und a' Schneid hat er!
Er bellt selbst den Herrn Pfarrer an
und i' glaub' sogar den Herrn Land>
rath, wenn er kommen thät'!"