Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 01, 1890, Page 2, Image 2

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    1
Freiheit wie in Irland.
Eine drastische Illustration zu diesem
geflügelten Wort biete» folgende Vor
fälle, welche sich in lc» letzten Tagen ab
gespielt haben. Die Pächter des Herrn
Smith-Barry in Tipperary habe» sich
jüngst geweigert, länger ihrem Landlord
Pachtzinsen zu ciilrichte». Dieser
Schritt war sür die Pächter selbst äußerst
peinlich. Viele büßte» ihr ganzes Ei
gcnihnm ein; der Schaden, den einige
Ladcnbesitzer in der Stadt Tipperary er
litten, wird auf 80,tili» Mark geschätzt.
Zwei Männer, Kelly und O'Dwier,
wäre» angeklagt, die Pächter des Varry
Smith „gezwungen" zu haben, ihre
Zinsen nicht zn entrichte». Man hatte
sie in- Gespräch mit mehrere» Pächtern
erblickt. Sie hatten deren Häuser be
sucht. W/iS i» diesen geheimnißvollen
Zusammenkünften vorfiel, darüber ver
keine Zeugen verhöre», weil die vorgela
dene» Pächter nicht erschiene» ; er konnte
nichts Belastendes vorbringen, a»sge
»omme» eine Rede, welche der Naliona
list O'Brie» im Herbst gehalten, und
worin cr die Pächter aufgefordert hatte,
keinen Pachtzins zu bezahle». Für diese
vo» eine». Dritte» gehaltene» Rede sind
Kelly und O'Dwier zu vier Monaten
Zwaiiqsaibeit verurthcill worden. Na
türlich wurde Berufung gegen dieses sinn
lose Urlhell eingelegt.
Noch toller ist ein Urtheil, das i»
Derry und zwar vor dem Assisengericht >
gefällt worden ist. Derry ist ei»« loya
iistische Stadt und der Fall war dorthin
verlegt worden, weil sich daselbst «ine .
gefügige Jury finden ließ. Denn nur i
cine solche konnte über das sonderbare
„Verbrechen" richtig urtheilen, dessen
drei Einwohner der Ortschaft Carrick
mocroß sich schuldig gemacht halten. Die
ses Verbrechen bestand darin, dag sie eine
gewisse Zweigbahn der Northern Rail
ivay nicht benützic». Einer der Eise»
bahn-Bcamten halte sich irgend eine
Handlung zu Schulde» komme» lasse»,
welche der Orlschast mißsiel, und die
Einwohner enlschlosse» sich, lieber zu
F»ße zu gehen und ihre Waare» im Kar
re» zu sichre,,, als diese Eisenbahn zu be
»ützen. Die meiste» Leute hätten diesen
Entschluß der Einwohner von Carrickma
croß cine kollossale Dunlinheit genannt,
Der Staatsanwalt sah darin eine ver
brecherische Verschwörung, aber da man
»ich, wobl die ganze Dorsichast ins Ge-
sängniß stecken konnte, und cs unmöglich
war, gegen einen Einwohner wegen
„Verschwörung" vorzugehen, lud man
vier oo,; die erste Jury konnte sich zu
reinem Wahlspruch einige»; die zwei-!
te war gefügiger und von den vier Ange
Nagte» erhielte» drei sechs Monate, weil !
sie Nalioiialisten waren; der vierte, ei»
Nicht Nationalist, ging mit drei Mona
te» aus.
Londoner Taschendiebe.
I» de» höchst interessanten Erinnerun
gen aus seine», Leben, welche eiii bckann- >
irr Londoner Rechtsanwalt, Herr Mon
tagn Williams kürzlich herausgegeben
hat, finden sich tressende Schilderungen
mancher Vcrbrecherlypen. Herr Willi- .
aiiiS, dessen die
ner Gestalt, da srühzeitiges Trinke» sein
Wachsthum beciiilrkchlige», das Haar
trägt er nothwcndigerweise kurz
Die »leiste» vo» ihn?» kenne» de» Unter
schied zwischen Recht und Unrecht nicht;
von srühester Jugend auf zum Stehlen
angeleilet, haben sie schon mit zwölf oder
dreizehn Jahre» einige Hafistrafen be
standen und lebe» fort»» in uiiunterbro
chenem Kriege mit der Gesellschaft. Ich
Halle einmal eine» vo» dieser edle» Sipp
schaft z» vertheidigen, dessen Fall inir fo
hossttilngslos erschien, daß ich ihm em
psahl, sich schuldig zu bekennen »nd <»,
einem geschickle» Appell a» die Milde
Neuer Orden. I» Koburg
geht niau mit dem Gedanke» um, einen
eigenen „Orden sür Verdienste um die
Schauspielkunst" zu gründen. Derselbe
soll vier Klassen haben, nämlich: I,
Klasse mit Brillaiilcn, nebst der Befug
niß, die Brillante» i» engagemenlslosen
Zeilen zu verwerthen. 11. Klasse mil
Pauke» und Trompete», für Schanfpie
ler, welche an einem Abend mehr als
dreimal gerufen sind. 111. Klasse mit
Lorbeeren, für Schanspieler, welche cs
über sich brachle», selbst kein Drama z»
versässe». IV. Klasse mil Aepseln und
Eiern, verliehen znm Troste durchgefalle-
Jah,Hunde,ls treibt gar seltsame Blü
?hen. In Aklom in England hat eine
unter dem Präsidium des Grasen Aarl
borough bestehende Gesellschaft, der auch
die Herzogin von Wellington angehört,
ei» Hoipital sür Kranke und alters
schwache—Pferde ernchiel. Dos Hospi
tal besitzt bereits zahlreiche Pferde-I»
fassen, denen cS dort ganz gut gefall,»
soll.
Wie man « ltcst.
I.
Tor etwas mehr als siebenhundert i
Jahren wohnte am Marktplatze zu Pisa >
ein Seideniveber, Gherardo Ciria mit >
Namen. Wenn es je ein Sonntagskind >
gegeben hat, so ivar er eines. Vou j
wohlhabenden Eltern entsprossen, hatte
«r nach dem Tode des Vaters als einzi
ger Sohn das gesammle Vermöge» ge
erbt, und, da auch die Geschicklichkeit,
der GeschüsiSsinn und die Rechtlichkeit
feines Vaters aus ihn übergegangen, das
väterliche Erbthcil rasch und bedeutend
Jahre» sah cr nach «inrr i
nur die Tochter eines invaliden Haupt-,
maniies, der für langjährige, der Repu
blik Pisa zu Wasser und zu Land gelei
stete Dienste mit einem karge» G»ade»-
solde bedacht wolde», halte das unge
wöhnlich schöne Mädchen schon einen
Schwärm von Freiern. Gherardo war
spät unter Dieselben getreten, doch siegt«
er umso ralchrr. Denn die Natur hatte
schier alle Reize, die sie dem männliche»
Geschlechte aufgehoben, a, ihm ver
schwendet. Schlanken Wuchses, den ed
len Hermeskops mit krausem Haar steis
hoch getragen, das dunkle Auge voll
Feuer und LebenSmulh, dabei ungewöhn
lich kleine Hände und Füße, ein Organ,
wohlklingend wie Flötenlaut, welcher
Pisaner Jüngliug hätte da nicht in die
Schranken treten können? Einer »in
de» Anderen fielen die Bewerber ab nnd
nach Jahresfrist waren die Beiden «in
Paar.
Und welch glückliches Paar! Durch
zwei Jahrzehni« galt dies« Ehe als Mu
ster in Pisa, und Elteru riefen ihren
Kindern beim Hochzeitsfeste zu: lebet
glücklich wie Gherardo und Emilia.
Nicht weniger als neun Kinder, fünf
Knabe» und vier Mädchen, erblühte» i»
ihrem Hause und gediehen prächtig. Der
Handel Cirios, der sich bis dahin anf
Toscana und Umbrien beschränkt hatte,
nahm nach seiner Verheiralhuug eine»
noch höheren Ausschwnng und dehnte sich
bald nordwärts bis über die Alpe» a»S;
ja Cirio begann Schiffe zu miethe» und
feine Waaren nach dem Orient zu ver
senden.
Was bei diesem Sonntagskinde das
Merkwürdigste war, er besaß trotz seines
! unerhörte» Glückes i» ganz Pisa keinen
Feind oder' Neider: so einnehmend war
sein Wesen, so gewinnend sein Ton.
Selbst Francesco Tirano, der ebensalls
Seidenweber und seinerzeit Bewerber »m
l EmiliaS Hand gewesen und im Geschäfte
wie bei der Brautwerbulig vo» Gerarto
geschlagen worden, hatte seine Niederlage
längst verschmerzt ui.d war i» gute, sast
herzlich« Bezi«hu»ge» zu de» CirioS ge
andereS Mädchen, die reiche Lucia Carpi,
zum Altar gesührt. Doch seine Frau
starb bei der Geburt des erste» Kindes,
und der Niedergang seines Geschäftes be
aiidercs Geschäft erwähle» können, auch
einen neuen HauShait zu gründen, wäre
ihm nicht schwer geworden, da manches
l schöne Kind nach dem stattlichen Wittwer
ausblickte. Aber um diese Zeil brach
einer der viele» Kriege zwischen Pisa und
Geschichte der beiden Weber eine merk
würdige Wendung.
11.
deren Patricier ins Hau« gebeten. Da
sah er den» eines Abends es mochte
ein Monat vor Ausbruch des Krieges
von 1282 sei» die ällelte Tochter
Gherardos, Giulia. Die sechzehnjäh
rige Ebenbild ihre^
»ach Hause gekommen, um das Geb »rts
fest ihrer Matter mitzufeiern. Ganz
Pisa war voll des Staunens und Rüh-
Vorwände gab es genug;
die große Jugend des Mädchens, die
drohende Kriegsgefahr und manches
Andere. Da erwuchs Carlo in Giulias
ältestem Bruder, Matleo Cirio, ein
Bundesgenosse. Diefer, damals ein
neunzehnjähriger Jüngling, hegte eine
heftige Vorliebe sür das Kriegshandwerk
und brannte vor Begierde, de» nahenden
Feldzug mitzumachen. Carlo bot ihm
eine LieuteiiantssteUe auf seinem Schiffe
an, die Eltern gaben, wenn auch wider
strebend, ihre Znstimmung. Die neuen
Lorbeeren, die Carlo zu ernte» hoffte,
und des Bruders Unterstützung sollten—
so dachte Carlo—ihm die Brau» erobern
Helsen.
111.
Aber der Krieg, der letzte und größt,
im 20jährige» Kampfe, den Pisa mit
de», stolze» Genua führte, sollte den
Pisanern keine Lorbeeren bringe», er
endete vielmehr mit ihrer vollständigen
Niederlage (l 284). Wie oft i» solchen
Fällen, kehrte sich die Wuth des Voltes
gegen seine Führer. Carlo besonders,
der als Vice-Admiral den ganzen Krieg
mitgemacht, wurde das Ziel des Volks
hasses, mau beschuldigte ihn, sich vor der
entscheidenden Schlacht bei Molaro von
seinem Posten eiitscrnt zu habe», und
erhob aus diesem einen Umstände gegen
ihn die Anklage ans Hochverrath.
Matleo, der im Processe vernommen
wurde, konnte nicht anders, als bestä
tigen, daß Carlo an, Vorabend der
Schlacht das Schiff verlassen und sich
auf einem Boote in der Richtung nach
Corsica begeben hatte; doch gab er fer
ner an, der Vice-Admiral sei eine Stunde
vor Morgenanbruch wieder erschienen
und habe seine Abtheilung mit der ge
wohnten Umsicht, ja in den kritischen
Stuliden uut Todesverachtung befehligt.
Allein seine» Klägern genügte die Bestä
tigung der Abwesenheit vom Posten, sür
die freilich Carlo beim Verhör keine»
Grund angebe» wollte oder konnte. Er
wurde znm Tode verurtheilt. Zwar eut
zng er sich der Vollstreckung des Urtheils
durch rechtzeitige Flucht, aber er wurde
Seine unglücklichen Ellern starben
kurz darauf, und auch Francesco glaubte
de» Schimpf, der seinem Hause angelhan
worden, nicht überleben z» könne».
Seine ohnmächtige Wuth kehrte sich ge
gen den uiischnldigen Matteo und das
zanze Haus der Eirios. Wie sein blin
der Groll es sich »»Siegle, hätte Ghe
rardo, um nichl Carlo seine Tochter geben
zu müsse», de» Sohn zu belastender
Aussage gegen seinen Vorgesetzten ge
reizt. Er verkaufte seine liegende Habe
und verließ Pisa, nachem er geschworen,
Rache zu nehme» an den Verleumder»
seines Bruders ; doch Cirio, der das
Temperament seines ehemaligen Neben
buhlers zu kennen glaubte, legte der
Sache weiter keine Bedeutung bei. Hatte
er doch auch sür den Augenblick Sorge»
genug. Der Krieg, der Pisa so schwer-
Wunden geschlagen, halte -'auch seinen
eigenen Handel untergraben, ja fast ver
nichtet. Reichbeladene Schiffe waren
Bellte der Genuese» geworden, langjäh
rige Handelsbeziehungen mit Sicilien
und dem Oriente unterbrochen, lombar
dijche und Brabanter Weber hatten sich
in seine Kundschaft eingedrängt. Wohl
ging Cirio, aus seine» Stern vertrauend,
muthig daran.de» Schaden auSzubesseru;
er bezog neue Muster, machte weite Rei
fen durch die ganze Halbinsel und Sici
lien, war Tag und Nacht thätig. Aber
seltsam! seine alte Beliebtheit war wie
mit einein Schlage geschwunden, statt
i freundlicher Worte und herzUche» Ein
er »»verschuldete Mißtrauen
nicht erkläre»; erst spät erfuhr er, daß
Francesco ihm auf Schritt und Tritt
gefolgt und öfters vorausgeeilt war,
in Verbindung mit flämischen Kaufleute»
und mit Aufgebot seines ganzen bedeu
tenden Vermögens ihm entgegengearbeitet
Gegner nicht z» fassen, da er Pisa ver
lassen und uiistät in Italien herumzog.
VI.
Vier Jahre waren so sür Cirio in
fruchtlosem Bemühen, die alte Wohlha
benheit wieder zu erlangen, vergangen.
Seine Haare waren gebleicht im Kampfe
gegen das Schicksal und eine» rachsüchti
ge», mächtige» Feind, seine Haltung war
gebeugt, der heilere Blick umflort, da er
den Ruin seines Hasses immer näher
kommen sah; aber ungebeugt und »iige-
brachen war sei» Muth, sein Vertrauen
aus Gott und seine gute Sache. Und
! noch gab es eine Rettung. Wohl war
in Italien sein Handel uiitergrabcn,
> ! aber im Orient, in Syrien besonders be-
I saß er noch zahlreiche Verbindungen,
> reiche Geschäftsfreunde. Wenn cs ihm
! j nur gelang, die bedeutenden Ausstände
> von der Zeit vor de», letzte» Kriege ein
> ! zuheben, so gab dies allein schon ei» net
tes Sümmchen, das ihn in den Stand
fetzen konnte, seine Töchter auszusteuern
und seinen Handel neu zu begründen.
, Nur langsam reiste dieser Plan in dem
e schwergeprüfte» Manne, hart ward es
- ihm, die geliebte Frau und die theuren
, Kinder auf lange, unbestimmte Zeit zu
verlassen, und n»r nach lange», Widcr
! > strebe» willigte Emilie darein, den Gat-
ten über'S weite Meer ziehen zu lassen.
Doch endlich ward'S beschlossen, und von
de» Segenswünsche» der Seine» beglei
tet, schiffte sich Gherardo nach Beirut
«in.
Als hätte das Glück den wackeren
Man» sür die Jahre der Drangjal^ent
warien. Roch waren keine zwei Jahr,
verstrichen, u»d schon besaß er sechzig-
Zechinen in Gold, dit zum
Verhältnisse» verbringen, als länger in
der Angst um den Galten verharren.
Noch schwankte Ciril>, als ein epidemi
unter andern Opsern auch seine» Freund
Said hinwegrasfte. CirioS Schmerz um
de» bewährte» Freniid war ungeheuer,
diesem die Eristenz seiner Lieben, wai
durch die tückische Krankheit gesährdel.
Schnell rassle er Geld und Kostbarkeiten
zusammen und begab sich »ach Beirut,
wo ei» befreundeter Rheder ihm schon
früher ei» sicheres Schiff zur Heimreise
zugesagt hatte.
V.
Allein es war zu spät! Schon trug
er den Keim der unglückseligen Krankheit
in sich, und nur der WiderstandSsähig
keit seines starken Körpers hatte er es zu
danken, daß er noch lebend i» Beirut an
geii i» die Hände seiner Frau gelange»
zu lassen. Als er endlich in Karawan
eiei zu Beirut vom Wagen gehoben und
zu Bette gebracht wurde, war seine erste
Frage nicht l^r
geholt werden, bat der Kranke,
und der Wirth als Zeuge der Unterre-
zugegen Nach einer
einandcrzusetze». Ich bin lodtkrank;
die Kosser, die Ihr hier seht, enthalten
daS Vermögen, das ich hier crivorbe»
verbliebenen Frau ui:d Kinder ausmacht.
Es sind sechziztansend Goldstücke; Ihr
sollt sie nach Pisa bringen, daoon meiner
Nest sür Eure Muhe behalten."
li, Francescos eni räii g sich
dert«: „Wie thöricht Ihr da redet, Man» !
Wenn ich thue, wie Ihr von mir ver
langt, so wird Euer Weib, nein, ganz
Pisa mich beschuldigen, mir einen Theil
E»r«S Vermögens angeeignet zu haben."
,Das sollen sie nicht!" rief der
Kranke; „gebt mir Papier, meinen letz
ten Willen niederzuschreiben." Und mit
zitternder, doch leserlicher Handschrift
ichrieb er folgendes Testament: „Ich,
Gherardo Cirio, Seidenweber von Pisa,
cesco Tirano, mein Vermögen, bestehend
aus sechzigtausend Zechinen, nach Pisa zu
bringen, davon meiner Frau so viel zu
geben, als er will ; den Rest möge er sür
feine Mühe behalten. Als Kennzeiche»
dieNe ihm noch mein Ehering." Ein
Zug hämischer Freude glitt über Fran
cesco's Gesicht; für so einfältig Halle er
Cirio doch nicht gehalten. Aber der
Sterbende merkte nichts mehr davon; er
sah nur »och das zustimmende Nicken
seines Todfeindes, sah den Wirth seinen
Namen als Zeugen aus's Papier setze»,
dan» uinnachlete sich sein Auge. Eine
Slunde später raste er im Fieberwahn
sinn, und nach zwei Tagen hatte der
Dulder ausgelilten.
VI.
Sechs Wochen später langte Francesco
in Pisa an. Der Anblick der verhaßten
Stadt erweckte in ihm alle Erinnerungen
an die erlittene Schmach und damit auch
de» Groll gegen die Cirios. Er fand
Emilia mit ihren Kindern beim Früh
mahl. Die Sorge um den Gemahl,
von dem nunmehr durch zwei Monate
keine Nachricht über'S Meer gelangt war,
beschattete ihr schönes Antlitz. Rauh in
Miene und Ton berichtete ihr Francesco
kurz vom Tode ihres Gatten und von
feiner eigenen Sendung. Thränen ent
stürzten den Augen der Witiwe, fchlnch
zend standen die Kinder umher. Doch
ungerührt durch ihren Jammer reichte ihr
Francesco das Testament und sprach:
„Ihr erseht aus dem letzten Willen
EnreS Mannes, daß er es mir überläßt,
Enrcn Antheil an den sechzigtailseiid Ze
chinen zu bestimmen; nnn denn, ich will
mich ebeiiso großmüthig zeige», als die
Cirio'S vor sechs Jahre» gegen mein
Haus gehandelt haben: hier sind sünf
hundert Goldstücke sür Euch, den Rest
beHalle ich für meine Mühe." Sprach's,
legte ein Geldsäckchen und den Ring auf
den Tisch und verließ das Zimmer.
Die Bestürzung Emilias war eine un
i geheure; sie allein, die Vertraute ihres
> Gatten, wußte von FranceScoS Rachsucht
und de», Unheil, das er über ihr Haus
««bracht; hätte es auch ihr Stolz zu««-
ihr Verstand sagte ihr, es wäre verge
bens und brächte ihr nur Hohn zum
Schaden. Da lag da« Testament ihres
Gatte», die geliebie» Züge waren nicht
ließ keine andere Deutung zu. „So viel
er will"; der Unhold! Was siel nur
ihrem Mannt ein, gerade ihn zum Bo
dos Unerklärliche zu grübeln; liier
galt es, zu handeln; sie eilte zun, Po
>>est6.
Doch dieser fo wenig, als die anderen
iialhsherren und die Freunde ihres H.iU
ses, mit denen sie Rath pflog, wußte»
ein Rechtsmittel, wie dem Bösewicht
das Geld abzujagen. Gebrochen »nd
muthlos kehrte sie am Abend zu ihren
Kindern zurück; sie brauchte nicht erst zu
fruchtloses Bemühen herunter. Ver
gebens suchte Matteo die Mutter zu trö
sten. Er hatte, nach Pisas Niederlage
entmulhigt, den, Kriegshandwerk ent
sagt und war in's Geschäft des Vaters
getreten; doch dessen Verfall aufzuhal
ten, war er nicht angelegt. Als sich
die Mutter nach Mitternacht in ihr Zim
mer zurückzog, folgte ihr Giulia.
Wir haben die Jungfrau seil der erste»
Begegnung mit ihr aus dem Gesichte
verloren. Sie zählte jetzt vicrnndzwan
zig Jahre und war zu einer Schönheil
erblüht, die selbst aus Italiens frauen
fchönem Boden kau», ihres Gleichen
hatte. Aber die Wirren der letzten
Jahre, die wohlbekannten Verlegenheiten
ihres Vaters und vielleicht auch dej
Mädchens unnahbar stolzes Wesen hiel
ten alle Freier von ihr ferne. Dennoch
diese Stunde, um der Mutter von ihrer
Liebe zu erzähle». Am Ostersoniilag
des vorigen Jahres, als sie im Dome jn
fernen Vater betete, entstand Feuerlärm
im Gotteshaufe. Eine Altarkerze hatte
das Spitzeiituch einer Frau in Flammen
dies genügte, um in dem überfüllten
Dome ein lebensgefährliches Gedränge
hervorzurufen. Giulia saß sich einge
ktilt in einem Haufen stoßender und
schreiender Frauen, die alle gleichzeitig
dem Ausgange zudrangen; vergebens
sucht sie »ach seitwärts oder rückwärts zu
entrinnen.
Da, als sie eben gegen eine Kirchen
bank gepreßt wurde und ihr von dem ent
setzlichen Druck die Sinne schwände»,
fühlte sie sich plötzlich von einen, kräfti
gen Arm um den Leib gesagt, über die
kreischenden Weiber ei»por und i» di«
Bank gehoben. Der Moment entschied,
wie so oft, über das Lebe» zweier Men
schen. Der Netter Giulia's war ein
Rechtsanwalt, Alefsandro del Sarto,
dessen Familie vor Kurzem von Lucca
nach Pisa übergesiedelt war; er stand
wohl schon in mittleren Mannesjahre»,
aber die schlanke Gestalt zeigte »och
Jugendfrische.das blitzende schwarze Auge
verrieth Lebensmuth und ungewöhnlichen
Scharon». Die Beiden sahen sich ösler
seitdem; bald auf dem Wege zur Kirche,
bald auf de», laugen Wege z»m Hafen,
(ich erinnere ineine Leser, dag noch vor
300 Jahren der Arno unmittelbar bei
Pisa »lündete) wohin Ginlia jede Woche
ging, um von angekommenen Schisse»
z» hören, kreuzte sie Alessandro, dessen
BerusSgeschäste ihm damals noch Zeit zu
Spaziergängen ließen. Doch kein Wort
von Liebe ward zwischen ihnen gewechselt,
obwohl ihre A»ge» längst das Geheim
niß ihrer Herze» verrathe», denn eiiimal
such, in'S Haus Eingang zu finden, be
vor der sehnlichst erwartete Vater zurück
käme.
Dies Alles und Vieles mehr erzählt,
Giulia der Mutter, die. im Lehnstuhli
sitzend, ausmerksam zuhörte; „nun,
siehst du, Mütterchen, fuhr sie fort, „es
muß eine Fügung Gottes sei», dag de,
Mann, der mich erwählt, ein Advocal
ist. Er wird die Sache theilnahinsvoll
in die Hand nehmen und zu einem glück
lichen Ende sühreu." Emilie küßte ihre
Tochter; in dem Kusse lag die doppelte
Einwilligung.
VII.
Aus den 2. Jänner 1291 war vor dem
hohen Nathe »nter dem Vorsitze des da
maligen Herr» von Pisa, Guido Grasen
Monteseltro, die Verhandlung der Klage
der Wittwe Emilia Cirio gegen Fran
cesco Tirano auf Herausgabe der Hin
terlassenschast ihres Mannes angesetzt.
Die gelehrten Kreise der Stadt halten
ben Fall durch vier Monate zu besprechen
Muße gehabt und waren soweit einig,
dag kein Rechtsverdreher der Welt, am
wenigsten solch ei» eingewanderter
llouio >'nvus, der Sache eine für die
Wittwe günstige Wendung geben könnte.
Sie hätte vernünftiger gehandelt, hieß
es allgemein, sich an Tirano's Großmuth
zuwende»; der steinreiche Mann hätte
sich so eher zur Herausgabe, wen» nicht
des ganzen, so doch der Hälfte des Ver
mögens bewege» lassen. Francesco's
Anwalt war überdies der geriebenste
unter den Pisaner Avvokaten. Um so
gespannter war man auf die Sachführung
Del Sarto'S.
Als der sormelle Theil der Verhand
lung vorüber war, begann der Anwalt,
wie folgt: Wie die Seinen vor der Arg
list schützen, der er selbst durch viele
unterlegen, wie den Feind entwasfnen
und zum Werkzeug seines Willens ma
chen? Das? er das Geld unterschlagen
würde, das sürchtete der Sterbende nicht;
denn die Rachsucht des Argen wäre
schlecht befriedigt worden, wenn die
Wittwe nie von dem Gelde erfahren
hätte. Aber es ihr zeigen und dann
vorenthalten dürfe», da« fürwahr war
füge Rache. Und steht hier nicht in
Cirio's eigener Handschrift, die wir alle
anerkennen: „Er gcbcder Wittwe davon,
so viel er will!" Ja, so viel er will,
steht hier. Und wie viel will dann
Francesco Tirana? Neunundfünfzigtau
sendsünshundert Goldstücke will er, und
die gehören daher der Witiwe. Den
Nest von fünfhundert behalte er für seine
Mühe."
Eine Minute lang blieben die Zuhörer
i alle sprachlos vor Staunen über die ver-
blüffende Wendung, dann brach lauter
Beifall los; zustimmende Rufe ertönten
von den Sitzen der Nalhsherren. „Na- !
türlich"—„,vi« kurzsichtig wir waren" —
„hier steht's ja, so viel er will" „o
weiser Cirio!" Es bedurfte einer gerau
men Weile, bcvor der gegnerische An
walt sich Gehör verschaffen konnte, doch
auch dann verhallten fein« Wort« wir
kungslos, und der Spruch des hohe»
Gerichtes entschied in, Sinne Del
Sarto's.
Als das Trauerjahr um war, feieiten
Alessandra uud die schöne Ginlia ihre
Vermählung. Das HauS der CirioS
aber erblühte auf's Neue, und noch zur
Zeit Napoleons gab es Seidenwcber die
ses Namens in Pisa. Und von Vater
auf Sohn und ferne Enkel vererbte sich
das Glück und die Schönheit des Ahn
herrn und die Geschichte vo» dem mcrt-
Carl Weiser.
Schlau.
Der Studiosus Faß war ein enragir
ter Skatspieler und zwar in dem Grade,
daß er selbst nach dem Schluß der Kneipe
noch mit etlichen seiner Bundesbrüder
das „Skatlokal", wie sie die Neumann'-
sch« Weiiiwirthschaft nannten, aussuch
ten. So sehe» wir ihn auch heute nach
dem ossiciellen Schluß d-r Kneipe eS
mochle gegen zwölf Uhr sein mit drei
Bundesbrüdern dem „Skatlokal" zu
steuern. Aber kaum hatte Faß die Thüre
zum Skatlokal geöffnet, als er mit einem
grimmigen Fluche stehen blieb. „Don
nerwetter", sagte er zu seinen BundeS
brüdern gewandt, kein einziger Tisch
frei, daS ganze Lokal besetzt von alten
Philistern, ich möchle nur wissen, was
diese „Knözel" noch hier wollen." Der
Wirth des Skatlokals entschuldigte sich
Philister eben noch privatim lebhaft über
die muthmaßlichen Resultate debattirten.
Faß gab sich zufrieden und rief dem
Wirth zu: „Bringen Sie uns einmal
etliche Flaschen in die Küche, vielleicht
! fällt mir etwas ein."
Sie hatten sich noch nicht besonder?
lange an den Flaschen in der Küche ge
! labt, als Faß verschmitzt lächelnd dem
! Local zuschritt und an der Thüre ange
! langt mit Stentorstimme rief: Meine
da mit eine», Auftrag an einen Herrn
Maier; da sich das einfältige Ding ge
nirte in das Local herein zu kommen,
habe ich es auf mich genommen, den
Auftrag auszuführen. Meine Herren,
die Frau Maier ladet ihren Gemahl hier
mit ein, in dcn nächsten zehn Minuten
zu Hanse zu erscheinen, widrigenfalls si«
höchstselbst ihren Gemahl Heini zu leuch
ten gedenke. Nach diesen Worten begab
sich Faß wieder zn seinen College,, in die
Küche, um durch ein Fensterlein deir
Erfolg feiner Worte abzuwarten. Der
selbe war ein durchschlagender; inner
halb süns Minilten waren mehr als zehn
Tische leer »nd Faß setzte sich mit seinen
Bundesbrüdern zu einem behaglichen
Scat nieder, indem er bemerkte: „Seht
Hälfte dieser Philister Maier heißt!"
!
Di e K r i e g e r a u s d e in i n
disch«n Stamm des Sikhs sind berühmt
ihrer außerordentlichen Geschick-
Haut dcS Haltenden im Mindeste» be
schädigt wird. Hierzu gehört groß«
vo» >Ztilcil des da
lich sei. Ei» Sikh erklärte sich bereit,
es ihm zu zeige», wen» der Lord den Ap
fel halte» wolle. Napier willigte sofort
ei», da er glaubte, der es
fläche eine kleine Unregelmäßigkeit und
bat ihn, de» Apsel in die ausgestreckte
linke Hand zu nehmen. Napier hat
nachmals erzählt, er habe damals zum
«rst«n Male in seinem Leben ein an
Furcht grenzendes Gefühl gehabt, als er
fah, daß der Sikh nicht daran dachte,
zurückzutreten. Trotzdem zitterte feine
Hand nicht; der Stahl blitzte durch die
Lust und die Frucht siel in zwei Hälsten
zur Erde. Die Hand wurde nicht geritzt,
obgleich die scharfe Klinge sie so berührte,
als wen» ein Haar darüber zerrissen wor
> len/
! —Po c s i un d PI o s l>. (Alls
reichend, «Und wenn dann
endlich Alles schwindet, so bleibt doch di«
Erinnerung!"—B. (ebenfalls t^fergrif
vielleichl auch einmal, dag ich Dir vor
zwei Jahren SV Mark geliehen habe."
Spleler-?»»«r«la«dr.
Der Aberglaube der Spieler ist be
kanntlich «in Feld, auf dem die sonder
barsten Blüthen gedeihen. Eine Wahn
vorstellung herrscht zumal unler den
Spielern aller Nationen, die sehr merk
würdig erscheint und vielleicht uoch als
AllSflliß altheidnischer Ueberlieferungen
anzusehen ist: Das Spielervölkchen er
hofft das meiste Glück davo», wen» es
mit der Hand oder auch nur mit dem
Kleide dcn Buckel eines Verwachsenen
berühren kann. Mag dieser Aberglaube
lange her, daß ihn der bekannte fraiizösi
fche Abgeordnete Naquet, der „Inti
mus" der
lust geschützt blieb, wenn auch auf etwas
, andere Art, als er es gehosft!
N e ch t „k ü n st l e r i fch e" »n d
bei Jenem vor zwei Jahren ihr Bild >i»d
die Rilder ihrer drei Töchter bestellt, aber
über den Preis kein Abkommen gelrossen
hatte. Als nun K. im Januar v. I.
die Bilder ablieferte und sür das der
Mutter IVO» M., sür das der drei Töch
ter sovM. verlangte, lehnte FlNit M.
ihr Porträt sich günstig für den Malcr
Frau M. in erster Instanz zur Zahlung
der bclrefskttden 1500 M. verurlheill.
Bild der Mutler nicht' einmal anf d.rS
Z!i
selben zu erscheinen, in welchem
sie dem Maler gesessen. Und sie ei schie
nen: die Mutler in großer prunkvoller
seine Eim'cliciduüg dahin, dag
dem Urtheil des Professors Hummel der
üorzug zu geben und Frau M. nicht
ocrpflichtct sei, ihr Bild anzunehm«».
sür das Bild der Töchter aber nur
Mar? zu zahle» habe.
—Angru« h in st e Ve r bi n
!eriie», Herr Lieutenant, welcher Art
Heirath würden Si« de» Voizug gebe»,
tiner Geld oder einer reinen Liedeshei
zaun muß ich schon Farbe bekennen,
,lso, einer Liebesheirath mit recht viel
Geld!
Gipfel der Faulheit.
Nureauchef: Mayer, ich muß leider
:onstatiren, daß Sie durch Ihre noto
tische Faulheit das ganze Comptoir an
zusteckt» drohe» ! Schreiber Mayer:
Ich saul! Ick habe doch gestern erst
zwei Stunden über Bureauzeit gearbei
tet!— Bureauchef: Papperlapapp! Da
waren Sie einfach zu faul, aufzuhören!
Ausgeglichen. Sie 'mal,
da geht Oskar «schul; in'S Wirthshaus,
und vor kaum vierzehn Tagen hat er erst
seine Frau begraben! I» sehr tiefer
Trauer! —Weghalb nicht? Ertrinkt
jedenfalls nur dunkles Bier!
Daher. Ach, ich hab' einen
Verdammte» Schnupfen! Ich möchte
wissen, wo ich den mir geholt habe.
Kein Wunde,! Sie gehen mit einem s<
! leichten Spazicrstockc aus.