Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, February 13, 1890, Page 3, Image 3

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    Psrilgisl.
(7. Fortsetzung.)
Je tiefer die Abendschatten hcr-infan
ken, ein desto weheres Brennen fühlt«
Angelika im Herze»: Wie ost schon war
sie an jenem von außen ganz schmucken
Gebäude aus rothen Ziegelvcrblendsteinen
vorübcrgeschritte», welches doch in seinem
Weltstadt zn letzter kurzer Rast barg.
Im Leichenschailhause weilte eben auch die
Leiche Werner's sie wußte es ja, daß
kein Anderer als ihr früherer Gatte jener
fiill- Schläser war— in der Abendaus
gabe hatte sie es gelesen. Nnr einige
karge Notizen hatte ihr brennender, nach
näherer Information dürstender Blick
vorgefunden. Der Reporter meldete,
daß der Verhaftete hartnäckig leugne und
an feine Schuld doch wohl nicht ohne jed
weden Zweifel zu glauben fei, da einige
der schwer wiegendsten Verdachtsmomente
inzwischen eine natürliche uud völlig un
verfängliche Erklärung gesunde» hätte».
Angelika athmete aus. Sie wußte
selbst nicht, warum ihr wieder etwas
leichter um das Herz werden wollte ...
wenn Senckeu schwieg, dann war sie ge
rettet, denn jetzt, wo Werner todt und
sein unbändiger Rachedrang für immer
zum Schweigen vernrtheilt worden war,
hatte sie von diesem nichts mehr zu be
fürchten. Abcr im nächsten Augeublicke
schon schämte sie sich dieser egoistischen
»nd herzlosen Anwandlung!.. Wahr lich,
das hatte Werners treulicbeudes Herz
nicht um sie verdient, daß sie in seinem
Tod« nichts Anderes sah, als einen erlö
senden Ausweg aus einer sie persönlich
bedrückenden Verlegenheit!....
Wenn die Schilderung seines Bruders
der Wahrheit entsprach uud er »ainenlos
empört über ihren angeblichen Treubruch
gewesen war war er ausschließlich
nicht in seinem vollen Rechte gewesen ?
verstorbene Mutter sie allesamnit unter
schlagen hatte! Er konnte nicht wis
sen, daß sie in gutem Glauben an seinen
Tod, i»ir de» Birten der Mutter gehor
chend, jetzigen die Hand
gewandelt und fast ohne zu wissen, war i
sie allmählich zu einer der glücklichsten
und auf weiten j
und heißeste Liebe gehört, unversöhnt nnd
mit bitterem Groll im Herze» gegen sie
gegangen war, nm klagend vor Gottes l
lichten Wclithro» zu trete»!....
Seltsame Unbeständigkeit des Weibes!
... -Jetzt zog es sie mit einem Male mit
ties-innerlicher Sehnsucht, der sie kaum
zu gebieten vermochte, zu demselben stil- !
len Schläfer hin, vor dessen Begegnung
sie, als er noch unter den Lebenden weilte,
Angelika war allein zu Hanse an die
sem Abend. Ihr Gatte war in seinen
Club gegangen. Er hasste in diesem,
Eckender Prinzenstraße und bestieg dort
kurz entschlossen einen Omnibus der
Li,»ie Görlitzer Bahnhof —Neues Thor.
An der Eomniunicatio» des Neuen Tho
res ist die Morgue gelegen, zu welcher
sie ihre Schritte zu lenken entschlossen
u>ar.
Abcr als sie nachher über den men
schenleeren Luisenplatz schritt und die
Comliiunication betrat, welche nnr gar
spärlich von wenigen trüb brennenden
Laternen erhellt wurde, da sank ihr Muth
wieder und als nun gar jenes unheim
liche, kastenähulichc Gefährt herangei ollt
kam und die unschlüssig Vorwärtsschrei
tende überholte, in welchem die Todten
zur Morgue gebracht werden, da ging
rin banger Schaker durch ihre Glieder.
Aber dennoch ging sie bis an den Ein
gang des Hoses, in dessen Mitte daS Lei
chenschauhans sich erhebt. Sie hörte den
schweren Wagen über das holperige Pfla
ster dröhnen und blieb stehen.
Zusällig sah sie de» Wächter, welcher
eben das Einsahrtsthor Himer dein Wa
gen schließen wollte. Kopfschüttelnd be-
der Einsame» eine Mutter, Schwefle,
oder Gattin, die gekommen war, um das
ihr gehörige Opser der Großstadt zu re>
cognosciren.
Ein leises Stöhne» ging über Angeli.
las Lippe». »Ich bin gekommen. . . um
um einen Herrn Brown zu
seh.-n, welcher ..."
„Ah so, ganz recht der Amerikaner
ist heute Stacht ciiigeliesert worden "
nicinte der Wächte». „Es ist abcr schon
zu spät müssen morgen früh wieder
kommen aber beeilen Sie sich, denn
um elf Uhr wird er begraben."
Wieder glitt ein weher Senfzer über
ihre Lippen. Sie drehte sich wortlos um
und wollte gehen.
„Warten Sie 'mal," rief der Wärter
ihr nach. „Haben Sie denn ein beson
deres Interesse an dem Amerikaner ? "
Angelika war stehe» geblieben uud
nickte mit dem Kopse. „Ich kannte ihn
einst" murinelte sie dann leise.
„Und kommen vermuthlich weit her.,
hin, es ist zwar nicht in der Ordnung...
aber kommen Sie nur, morgen früh kom
men die Herren Gerichtsärzte noch ein
mal, da kommen Sie vielleicht gar nicht
mehr 'ran zndem liegt er im Leichen
keller, weil er ja bekannt i5t...."
Wieder erfüllte angstvolles Zagen die
Seele Angelika's, als sie nnn dem freund
lichen Wächter folgte. Sie umfchritten
das Gebäude und traten durch einen
Ouereingang in dieses ein.
Links strahlte Lichtschimmer aus einer
Glassensterthür. „Da gibt es wil
der Arbeit", sagte der Wächter, mit
dem Kopfe nach der Thür nickend, „eine
Wasserleiche .... brachten sie gerade
eben "
Er ergriss eine Laterne und nickte Ange
lika ermuthigend z». „Kommen Sie
jetzt, Frauchen, u»d zittern Sie nur nicht
50.... es liegen eben nicht viel drunten
.. sonst kann ich Sie nicht gut hin
untcrsühren...." Dabei össuete er eine
eiscnbeschlagene Thür und leuchtete mit
der Laterne auf die sauberen, bequemen
Stusen, welche »ach unten sührten. „Es
ist überhaupt ein Unsinn, sich vor den
Todten zn sürchtcn", brummte er dann.
~Von denen, die's einmal überstanden
haben, will keiner mehr zurück ... die
fchlafen sanst und gut.... wollt' Gott,
daß ein jeder Lebendige so ohne Her
zensangst schlafen könnte!"
Sie hatten inzwischen, sorglich eine
Stuse um die andere herabsteigend, einen
srenndlichcn nnd hohen Naum erreicht,
an dessen beiden Längsseiten sich hohe
Glaswände erhoben. Angelika zuckte
zusammen »nd hielt sich dicht bei dem
freundlichcn Wärter. Das Lalernenlicht
wars solch' eigenthümliche Schatten uud
der Erschauernde» war eS, als ob sie da
und dort hinter den trennende» Glas
scheibe», eine starre, unbc>vegliche Ge
stalt erspäht habe.... einen von jenen
Lebensmüden, die mit stolzer Hoffiiung
einst Einzug gehalten hatten in das
lachende, gleißende und so gar versühre-
riiche Großstadtlebcn und die gerungen
hallen um »ach langein, vergeblichem
Kampfe dein Elend, dem hohläugig
! grinsenden Gespenst der Noth zu erliegen
und ihr Leben und all' den herzlosen
Glanz rings um sich verfluchend, den
letzten Schritt zu unternehmen, das
schauerliche letzte Recht zu suchen, welches
einem Verzweifelten noch offensteht!
An nun» der Glaskästen blieb der
! Wächter stehen. „Hier liegt er," sagte
er in gedämpftem Tone. „Er sieht
! gut aus Zittern Sie doch nicht,
Frauche»...."
Dabei zog er, nachdem er das Glas
fenster geöffnet, die auf Eisenrollen
ruhende Bahre hervor, ans welch r der
! Verblichene lag, dessen ganzer Körper
durch ein graues, sackähnliches Tuch ver
! hüllt wurde; nur der Kops war srei ge
blieben und, das Gesicht ein wenig nach
der Seite geneigt, lag der stille Schläfer
friedlich da. Ja, bei dein flackernden
! Schein der Laterne war es fast, als ob
ein friedliches Lächeln um seine sest aus
einander gepreßten Lippen schwebe.
Ein lc>!er unterdriickter Schrei entrang
sich den Lippen Angelikas und diese blieb
mit über der Brust zusammengesallelcn
Händen regungslos stehen und starrte
gel zu schasse» machte.
„Ja. er war's! auf den ersten
Blick hatte Angelika ih» erkannt!
Die Sonne halte sein Gesicht ver
brannt, der Ernst des Lebens mit har
tem, »»barmherzige» VchicksalSgrisfel in
feinem Gesicht geschrieben »nd die ehe
mals glatte» und rosigen Züge welk »nd
verrunzelt gemacht. Aber er war's!....
thüiulich fest geschlosse» war, als ob die
Lippen sich scheuie», auszusprechen, was
der Todte wüßte, halte sie i» seliger Lie
bcsveigejjenhelt ost geküßt und von
der Surn ringelte» sich noch dieselben
ten. Wie o>t hal'e sie ihm, wenn sie in
schelmische», Kojen bei einander gesessen
waren, die rebellischen Löckchen mit dem
Finger ausgewickelt.... Dann hatte er
iyre Hai d zu sangen gesncht uuv heiße
Rüste aus dieselbe gedruckt... .und dann
der ein sehneno und hofsend heim
gekehrter Mann zum ewigen
Schlummer laiig ansgestreckt lag
Ein leises Schluchzen ging über Frau
Angelika o Lippe». „Werner.. . .ver
gib" murmelte sie so leise, daß nicht
einmal der Wächter ihre Worte verstehen
konnte aber zu den Todte» braucht
man auch nicht laut zu reden, den» diese
hören gar schars.. > .und sehe» auch bis
mitten hinein in's Herz!....
„Werner ich hab' nicht anders kön
nen!" schluchzte die Unglückliche wieder.
„Ich habe Dich nie vergessen und wie ich
Dich geliebt so heiß und wahr Hab
ich auch nimmer wieder lieben könne»...
verrathen habe ich Dich auch nicht, Wer
ner.... das weißt Du jetzt so bitte
ich Dich flehe den Herrgott an, daß
er mich aus m-in-m Janrmcr erlöst
Du bist ain Ziel, Werner, und kein irdi
sches Empfinden lebt mehr in Deiner
Gatten willrn, dcr's nicht verdient hat,
daß er solch hartes Herzeleid erleben ioll,
daß der Herrgott mir meineJugendsündi
Und' An elik ch ite
deiis geliebt
Der Wächter »ahm keine Bclohnnng
sür sich au. Das sei Mcnschciipflicht,
sagte er, und zudem srcuc es ih», rveiin
K.
ler waren jcyon i» vollster Thätigkeit be
flisse», als gege» halb zehn Uhr der
Baron vo» Sencken mit hochmüthigein
Gesichtsailsdruck in den Bureauräum
lichkeiten erschien.
E> verlangte, ohne sich im Geringsten
um die i^e r cke der Ange
lich sehr erstaunt waren, ihn aus freiem
Fuße zu sehen, den Hauxlkassirer zu
sprechen.
Er erhielt zur Antwort, daß Herr
Vahl noch nicht anwesend sei und, wie
auch aus ciuem an der Eingangslhür an
gebrachten Anschlag zum llcbcrfluß deut
lich zu ersehen war, die Kasse selbst erst
um zehii Uhr Vormittags geöffnet werde.
Ossenbar mißbehagte dieser Bescheid
dem Baron ganz außerordentlich, denn
er schaute geärgert darein.
„Hui," sagte er in unschlüssigein Tone.
„Ich rechnete sicherlich darauf, in diesem
Bankhaus, daS doch die Prätentionen
hat, sür ein großes gelte» zu wollen,
Jemanden antresjeii zu könne», mit dem
ich zu verhandeln im Stande gewesen
wäle. Ich bi» der Baro» von Sencken
und habe von meinem New Forker Ban
kier Ehecks im Gejammtbetrage von üv,-
liihaber nnd zahlbar nach Sicht in die
sem Geschäfte hier."
Aber selbst diese Eröffnung verinochtc
die Angestellten zu keinem aiideren Be
scheid zu bewegen. Sie antworteten ihm
vielmehr wiederum, daß der Hauptkas
sirer noch nicht zugegen sei »ud Niemand
„Gut, so sühre» Sie mich zu Herrn
Spindler selbst!"
Einer der Herren, der zweite Kassirer,
der seinen Platz in der Nähe des Fen
sters hatte, meinte: „Der Ches ist nie
mals zu dieser Stunde zusprechen."
rümpfend, während eine düstere Ui,-
iiiuihssalte sich zwischen seinen Augen
brauen bildete. Dann schritt er ohne
Gruß, gerade ebenso, wie er in das Lo-
Weinge Minuten später trat Ernst
Vahl ein.
„Ah. das ist gut, daß Sie kommen,
Herr V.ihl!" Man hat schon »ach Ih
„Wer war den» da?"
„Niemand anders als der Herr Baron
von Sencken, der ja eigentlich noch im
Justizgebäudc sitzen svll >..." sagte sein
College spöttisch.
wiederkomme», wüßte übrigens nicht,
was derselbe bei uns zu schassen haben
könnte", sagte Ernst mit bitterem Lä
cheln, während er die Thüre des bis zur
reichende» Drahlgitters, das den
an den großen Kassenschrank und, de»
kunstvoll gesertigien Schlüssel zu diesem
aus der Tasche ziehend, öffnete er das
war fast einer Ohnmacht nahe
und mußte sich setzen, während ihn sein«
deutlicher auszudrücken.
„Bestohlcn?" frugen Alle durchein
holen.
„Man hat »rir alle Banknoten gestoh
len, die ich in der Casse halte!"
„Alle?"
zwei Päckchen von je 100,000
Eassirer.
„Rein, es ist Alles in Ordnung, abcr
das ändert keinen Buchstaben an der
Thatsache, daß ich gesteru Abend allein
in Banknoten L0<Z,l)00 Mark in der
Easse hatte und daß diese jetzt daraus ver
schwunden sind!"
dcireden uud -Nennen. Alles hatte den
Kops verloren. Nur ein aller Beamter
besaß noch so viel Geistesgegenwart, um
sage» z» kömien:
„Vertiere» Sie doch so rasch den Muth
nicht, Herr Vahl; vielleicht hat der Ehes
selbst über die in Frage stehende Summ«
Der unglückliche Eassirer schlug sich
mir der flache,' Hand vor die Stirn.
„Ja, ja, so wird eS sein. Sie hab?»
ganz Recht, es war gewiß Herr Spindler
selbst "
Doch dann wurde er plötzlich wieder
iiachdenkeild und schüttelte hosjiiungslos
den Kops.
„ES ist nnmöglich," murmelte er,
„denn seit den süns Jahren, in welchen
ich die Easse unter mir habe, hat Herr
Spindler dieselbe auch »och nicht ein ein
ziges Mal ohne mein Beisein geöffnet;
zwei oder drei Mal hat er in memcr Ab
wesenheit Geld gebraucht, aber lieber hat
er meine Rückkunft abgewartet oder mich
rufe» lassen."
„Das ist ganz einerlei," warf der alte
Beamte wieder ein. „Wir thun jeden
falls am beste», Herr» Spindler sofort
zu benachrichtigen."
Abcr icho» erschien dieser ans der un
tersten Stuse der Treppe. Ein jüngerer
Schreiber war bereits oben in dem Pri
vaicabinet des Bankiers gewesen nnd
hatte diesem das Vorkommnis; berichtet.
Die unverhoffte Nachricht hatte den
Ches des HanseS dermaßen erschreckt, daß
er sich ganz versärbt hatte. „Was sagt
man »rir da ?" srug er gleich nach seinem
Eintritt die Beamten, die sich sninmtlich
respeetvoll vor ihm verbeugten. „Was
Leben in die Gestalt VahlS gebracht.
Wie clektrisirt snhr er in die Höhe und
stand sogleich vor seinem Ehes.
„Aus Ihren ausdrücklichen Wunsch
habe ich gestern Abend zivcimalhundert
tausend Mark in Banknoten aus der
NeichSbairk erhoben.... ich habe diesel
ben ordnungsmäßig hier in der Kasse
cingeschlosscn »nd jetzt sind dieselben
verschwunden, ohne daß die Kasse erbro
chen wäre."
„Ach was Sie sind wohl nicht bei
Sinnen oder träumen bei hellichtem
Tag!" unterbrach ihn der Bankier.
Diese wenigen rücksichtslosen Worte
vernichtete» selbstredend auch de» letzten
Hoffnungsschimmer in der Brust des
Kas sirers.
„Mein Gott, ich bin glücklicherweise
durch das Unglück noch nicht um meinen
Verstand gekommen aber ich kann
auch nur den einfachen Sachverhalt
wahrheitsgemäß berichten "
Spindler aber gab sich nicht so leicht
zilsriedcn. Vahl heftig am Arm ergrei
send, schrie er diesen schroffen Tones an:
„Reden Sie sprich?» Sie wer,
glauben Sic wohl, könnte außer Ihnen
"Außer uiis Beide» keimt Niemand
das Stichwort außer Ih
nen und mir hat einen Schlüssel zu dein
Schrank!"
Daß in diesen Worten eine gewisse
Beschuldigung VahlS lag, war offenbar
allen Anwesenden mir zu verständlich.
Auch Vahl selbst hatte diesen Vorwurf
deutlich verstanden, den» i» nachdrück
liche», Tone meinte er zu seinem Chef:
„In der That, Herr Spindler, nur ich
kann das Geld gestohlen haben "
„Unglücklicher!" fiel, ihn unterbre
chend, der Bankier mit wild ausblitzen
„LassenSie mich erst ausreden," sagte
Vahl wieder, d:n Bankier mit scstem,
durchdringenden, GesichtSäusdrnckc an
schauend. „Einer ist der Dieb ... ich
oder Sie!"
Der Bankier machte eine drohende Ge
berde gegen den Eassirer. Wer weiß,
wie weit er sich hätte hinreißen lassen,
wenn sich in diesem Augenblicke nicht in,
Vestibül ein hestiger Wortwechsel erhoben
hätte, so daß der Sliinmenklaiig bis zu
Trotz der Abwehr des Bankdieners,
der ihm energisch den Eintritt verweigern
wollte, war der Baron von Sencken
nenerdings in das Lokal eingetreten.
Dieser that, als sähe er gar nichts von
der allgemeinen Berwirrnng. Ohne
auch nur de» Hut abzunehmen, drängte
er sich durch die dichte Gruppe von Be
amte» »nd mit einem geringschätzigen
Achselzucken sagte er: „Es ist bereits zehn
Uhr vorüber!"
Als er dani, abcr des Bankiers persön>
liche Anwesenheit in dem Lokale bemerkte,
hielt er im Reden inne »nd ging schnur
stracks aus diesen zn. „Ah, endlich
welches Glück, daß ich Sie selbst treffe,
Herr Spindler ich wandtest» Mor
! aber noch nicht geöffnet der Eassirer
»och nicht anwesend und Sie selbst auch
»och nicht zu sprechen!"
Der Bankier sah ihn mit einem er
staunten Blick- an. Dann richtete er
sich stolz empor, während gleichzeitig ein
verächtliches Lächeln seine Lippen um
spielte. „Ich begreise nicht, was Sie
veranlassen kann, Herr Baron, mir
Jh.en Besuch zu schenken", sagte er mit
abweisender Kälte im Tone. „Sie
müsse» einsehe», daß »ach den Vorsällen
der letzten Tage alle »nd jede Beziehun
gen zivischenJhnei, und meinem Haufe. —^
»Pab. ersparn, Sie sich die vielen
Checks honorircn zu lassen... .das ist
mein gutes Recht! über andere Pri
vatgelcgeiiheiten plauder» wir vielleicht
... .ci» andcr Mal!"
Dabei zuckte ein hämisches Lächeln
über seine dünnen, blutlosen Lippen:
„Zur Sache!" setzte er hinzu. ~Jch
will an Ihrer Kasse 50,000 Dollars er
heben... .sind Sie zahlungssähig?"
Der Bankier horchte hoch aus. Vor
Erregung war ihm die Zornesader aus
der Stirn dick aiigcschwoUe», dennoch
sich eine» Augenblick gedulden müssen."
Der Baron lächelte cynisch. ~Wird
er lange dauern... .dieser Augenblick?"
frug er mit verletzendem Hohne.
~Nur um auf die Neichsbank zu
schicken, bidars ich Ausschub!" stam
melte der Bankier, kochend vor Wuth.
Damit wendete er sich zu Vahl: ~Stell
le» Sie sofort Vollmacht aus, um die
»och auf der Reichsbank liegenden Fonds
augenblicklich erheben zu können...."
Vahl rührt- sich nicht von der Stelle.
~Haben Sie nicht verstanden?"
Der Kassirer zögerte. Es siel ihm
ersichtlich schwer, zu reden. „Dorthin
tele er dann. ~Die Forderung des
Herrn Barons belänst sich aus über
ürw.vcw Mark »nd wir habe» »icht
mehr ganz IUV.VOU Mark aus der Bank."
Sencken schob mit vieldeutige», Lä
cheln die Achfrli, i» die Höhe. „Sehr
seltsamer Zufall das und äußerst bedenk
lich für de» Kredit eiues Bankhauses,"
meinte er da»» in näselnden, Tone »nd
~Seien Si- unbesorgt... .ick) bin
durchaus in der Lag-, die Ehecks meines
Newyorker Gcschäsissreundcs zu respek
tiren," cntgcgnele Spindle, ebenso spöt
tisch. „Vorher aber haben Sie wohl
die Gütc, mir die Ehecks zu zeigen, aus
Grund deren Sie sich zur Abhebung ei
ner solchen, immerhi» doch erhebliche»
Summe berechtigt glaube»!"
Mit spöttischer» Lächeln griff Sencken
nach seiner Brieftasche und entnahm die
werden Sie iir Ordnung finden,"
sagte er leichthin. Ein aufiirerksainer
Beobachter würde indessen wahrgenom
sällige, wenn auch nur eine Sekunde aü
danerttde Verfärbe» der Gesichtszüge des
Droschke und fahreu Sie mit dein
Herrn Baron zu Bleichröder.... über
geben Sie daselbst diese Papiere hier....
l Mar^
ich habe durchaus nicht die Absicht ge
habt, Sie zu beleidige».. . .wir sind ri»s
„Gcnug, mein Herr," unterbrach ihn
der Bankier schross. „Zwischen uns
kann keine Rede von Bekanntschaft oder
Freundschast sein, sondern wir haben uns
nur mit der Thatsache abzufinde», daß
Sie es... . eilig haben ... und zudem
Arbeit wieder ausnehmen."
Fast in demselben Augenblicke hatte
sich auch schou der Kassenratlm ganz ge
leert.
Noch unter dem Banne der über ihn
so plövlich hereingebrachten Ereignisse
durchschritt der Bankier einige Male das
Gemach. Von Zeit zu Zeil emschlüpf
ten seinen Lippen unverständliche Aus
ruse. Vahl war aus seinem Platze stehen
geblieben. Er lehnte bleich wie eine
Statue an seinein Pulte, seine glanzlose»
Augen starrten ins Leere; eS war sast,
kräfie beraubt habe.
Endlich, nach einer langen Weile,
blieb Spindler vor seinem Eassirer wie
der stehen und sagte: „Folge» Sie mir
Vahl gehorchte. Wortlos solgte er
seinem voranschreitenden Chef, das
Drahigitter desKasseirraunies vorher ab
schließend.
geringste Anzeichen deutele bei ih n mehr
aus die eben erst stattgehabten Vor
Lm>l, steifen Sie sich doch nicht aus eine
so lacherliche Fabel, die Ihnen doch Nie
mand glaubt! Gestehen Sie mir
Freund.... »s sind jetzt IS Jahre her,
daß Si« bei mir sind.... ich begann da:
mals den Grundstein z» lcgei, sür dai
stolze Gebäude meines Glückes Si,
habendes Stem^sür^St vergroße^
erster Beamter...."
Noch niemals halte Vahl seinen Ehes
in solch väterlicher, sanfter Weise zu sich
reden hören. Ungeheuchcltcs Erstaune»
Jch^."
„Nur Muth, Vahl!... . kehren Sit
(iZortseyniig solgt.)
Während der hohe»
Fleischp r e i s e. „Ich habe doch
Beefsteak mit Ei bestellt! Wo ist den»
das Beefsteak, KellnerV" „Unterm
Ei!"
In Geldsachen hört die Ge-
Den Frauen iniponirt der ge
ringste Ersoliz mehr, als das gewaltigst«
Streben.
3
Influenza auf d«r Bah««»
Ueber die Verwerthung der Jnflucnza
als dramatischen Stoss sür die alt«
Volksbühne theilt derDirector der Badc
ncr Rcalschule, Herr Emil Haueis Fol
gendes mit: ES war zu Ansang des
fünfzehnten Jahrhunderts, als in
Deutschland und Frankreich eine ka
tarrhalisch- Seuche grassirte, welche in,
Allgemeine» dieselbe» Erscheinungsfor
men zcigtc, wie sie gegenwärtig zu Tage
treten. Alt »nd Jnng, Hoch und
Niedrig, der Reiche wieder Arme wurden
von der Seuche ergriffen. Sie begann
mit starker Eingenoininenheit des Kopses,
und wurde deshalb liorion", das ist
Schlag vor den Kopf, in Deutschland
mit dem gleichbedeutenden Namen „Tan
n-wctzcl", mundartlich „Tanawaschcl",
bezeichnet svon dem alten Worte Tann
gleich Scbläse »nd Wetzel gleich Streich
oder Schlag). Speciell für das Jahr
1414 wird das Vorkommen der Krank
heit durch gleichzeitige Berichte in einer
Augsburgcr und Nürnberger Ehronik
und durch eines jener volksthümlicheii
dramatischen Spiele bezeugt, welche zur
Fastnachlszeil von jungen Handwerkern
und Gesellen in den deutschen Bürgers
häusern abgehalten wurden, wobei die
Stoffe gewöhnlich frisch vom Markl-
oder voii der Straße hergeholt wurden.
Wie i» den zur Zeit „des großen Ster
bens" so populären Todteirtanzcenen der
Gevatter Tod austritt, so erscheint in
unserem Spiel die Seuche selbst als
„Tanneweschel" in eines Siechen Gestalt
vor den Schranken eines hohen Gerichts
hofes und hinler ihm, in buntem Gefolge,
König, Ritter, fahrender Schüler, Kauf
mann, Bauer, «ine Klosterfrau und
Jungfrau, welche vor de», Landmarschall
und den vier Gerichtsbeisitzern laule
Klage erheben über die große Unbill,
welche ihnen vor» Tanneweschel wider
fahren.
Dem fahrenden Schüler hat er all«
Lust an seinen sröhlichen Berg- und
Thalfahrten benommen; der Ritter hat
den herbenVerlust seines schöne» Weibes,
die Jungfrau de» eines licbcn Vaters zu
beklagen; der Mareubcrger Kaufmai»,
muß auf feinen lohnenden Handel ver
zichten und auf der Bank liegen; di«
Nonne aus dem schwarzen Orden hat
Metten, Prim, Sert und No» ganz und
gar vergesse», seit man in der Kirche vor
Husten und Räuspern nicht mehr bleibe»
könne u. s. w. Nachdem die Kläger zu
rückgetreten, sordert der Laiidniarschall
den Tanneivetzel aus, seine Rechtserti
gung vorzubringen. Dieser bekennt sich
als nichtschiildig; alle Erkrankten hätten
sich ihre Leiden selbst zugezogen; der
Eine habe zu viel getrunken, der Ander
übermäßig gcgcsscn, ein Dritter zu sehr
der Minne gepflegt, einen. Vierten fehl
es am Herzen, ein Fünfter endlich fei
schon so alt gewesen, daß der Tod nicht
länger mehr hätte warten wollen. Hier
aus wird daS Urtheil gefällt. Es lau-,
tet einstimmig auf Tod durch das
Schwert. Es erscheint Meister Pausen
hart, der Henker, und nachdem Tanna
weschcl noch einem Mönche reuniülhig
seine Beichte abgelegt, wird ihm der
Kopf abgeschlagen.
Dies ist in K»rzem der Jnhalt^de«
stffchen wohl geeignet sei»
mochte, eine harmlose Zuschaiierschaft zu
«rgötzen und einer sicherlich recht schlim
men Sache auch eine heitere Seite abzu
gewinnen. Es ist in einer Münchener
Haiidschrisl des sü»fzeh»tenlahrhu»derts
erhalte», aus welchem es Adalbert v.
Keller in feiner reichen Sammlung deut
scher Fastnachlsspiele aus dem sünfzchi,.
ten Jahrhundert abgedruckt hat.
DaS Tl»«at«r hat sich nv«rlebt
diese neue „Wahrheit" verkündet soe
ben der i» Düsscldors erscheinende „Ar
tist", Central-Organ zur Vermittelung
de« Verkehrs zwischen Direktoren nnd
Künstlern des Circus.
reisenden Theatern und Schaustellungen.
Der „Artist" schreibt näinlich in etwas
sanguinischer Weise: „Gerade hundert
Jahre sind jetzt verflossen, daß sich der
vagirende Küstlerstaird, die Komödiaiile»
der Landstraße, etwas konsolidirle. daß
in Paris mil der großen Revolution auch
d«r erste stabile Circus entstand, der Vor
läuser unserer heutige» großen Etablisse
ments, die sich in einem Säkulum die
Welt eroberten. Und der sonst so sehr
verachtete Artist, der Ziegeuner, der Pa
ria. welche Position »ntcr den schaustel
lendcn Künstlern hat er sich in dem ver
hältnißmäßig kurzen Zeiträume zu errin
gen verstanden! Den stolze» Stand der
Minien, dessen Mitglieder hente zum
größten Tbeile bleich und hohlwangig
durch die Welt ziehen, oft genug auf die
Unterstützung des kraftstrotzenden Ar
tisten angewiesen. Wenn doch ein kurz
sichtiges Miickerthrim einst begleiten lern
te, welchen Nutzen unscre Arbeit der heu
tigen Generation gewährt, wen» die Kri
tiker doch auf einer höheren Warte, als
auf der Zinne der Partei ständen! Pub
likum, Du wiudest Dich neigen.
Kritiker, Ihr würdet Ench beugen,
denn wen» die große Kuust eristirr
bei uns ist sie zn Hause, bei uns im Mu
seum der Grazie, der Stärke, der Tri
umphe, der Kühnheit und Plastik! Fort
mit dem heutigen Theater, mit seinem
Beiwerk geschwätziger Gliederpuppe»,
sein-» Landfchast-ir und Pappdeckel, weg
mit der Bretterbühne, der Rampe, den
falsche» Prinzessinnen, dein Harlekin
mantel und dem Souffleurkasten, .ge
nug der Dithyrambe» über Eure „große
Kunst!" In unseren Manifestationen
der Kraft, Gewandtheit und Formen
fchönheit, die das Volk so unwiderstehlich
anzieht, findet ihr den nnwillkrirliche»
Protest gegen die körperliche Degenera
tion, die uns von den Völkern des Alter
thums, von den alten Germanen, Gal
liern und Römern so weit entier»! in
unseren Productionc» manifcstirt sich
das unbewußte Streben nach physischer
Wiederherstellung einer entnervte» Rasse.
tewp» a l'acrob-rt.i—
oihre Junger, einst verhöhnt, gleich den
PariaS behandelt, haben sich durch phy
sische Kraft die beneidenswcrlhe Stellung
von Künstlern errungen, von Künitlern
der Manöge, die bald genug die Bühne
entthrone» wird." Stolz lieb' ich de«
Artisten!
Wie weise muß man sein,
am immer gut zu sei» I