Pennsylvanische Staats zeitung. (Harrisburg, Pa.) 1843-1887, December 06, 1866, Image 1

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    PmmvlbAimcht MliftL'ZntuW.
Jahrganq 1.,
Di
PennsylvanischrTtaatS-Zeituug
Herausgegeben von
loh. Georg Stipper.
erscheint jeden Donnerstag, und kestri KZ.Ott
per labr, zabibar innerbalb teslahrcS, und
KZ.Stt ack Verfluß des Jahrgang.
Eiiizclnc Errmplaren.s ErntS prr Stuck.
Keine Subscriptione werden für weniger
als sechs Monaten angenommen ; auch kann
Niemand das Blatt abbestellen, bis alle Rück
stände bezahlt sind.
Anzeigen werden zu den gewöhnlichen Pres-
Osficcn: in der „Patriot und Union"
Druckerei, Dritten Straße, HarriSbarg, und
in dcr „Inlrltigcnccr" Druckerei, am Eciitre
Poesie.
(Für die „Pennsplv. Staaiszeitung.")
Ach klane nicht.
Gedicht von Sergeant Hofer.
E rauscht d'S LebenSturm an mir vorüber,
Mit finsl'rem Ernst verfolgt das Schicksal mich ;
Und trüber wird mein Himmel, immer trüber,
Und nicht ein Stern der Hoffnung zeiget sich,
Kein lieber Mund will mir ein Trostwort sagen,
Und meines Lenzes frische Blüthe bricht;
Doch will ich stumm all' mein Leiden tragen :
Ich klage nicht.
Fort trieb es mich von heimathlicher Stätte,
Aus jenem Thal, wo meine Wiege stand,
O, daß ich nimmer e verlasse hätte,
Mein theures, heißgeliebtes Vaterland.
Wohl nie (i Lebe sehe ich Euch wieder.
Ihr blauen Berge, in der Sonne Licht:
Doch kämpf ich mulhvoll meine Leiden nieder,
Und klage nicht.
Tie einstens meinem erste Lallen lauschten,
In deren Obhut ich de Lauf begann:
Die Gruß und Händedruck oft mit mir tausch
ten.
Die trennt von mir der weite Ocea!
Du schwebst verklärt in höher Regionen
O Mutter, die mich einst gebar zum Licht,
Und nimmer kann ich Deine Lieb' Dir loh
nen.
Doch klag' ich nicht!
Und Jene, die auf meinem LebenSpsade
Mir Cupido, der Blinde, zugeführt,
An der ich endlich e gefunden hatte
Mein Ideal, mit Liebreiz reich geziert:
Die riß da Schicksal lo von meinem Herzen
An da sie einstens liebend sich geschmiegt;
Wehl fühl' icki'S unter namenlosen Schmerzen,
Doch klag' ich nicht.
So steh' ich einsam in der Welt, der Bunten,
Und traure um mein früh verlornes Glück,
Und sehne mich nach längslvergaug'nen Stun-
Nach Hcimathsgruß und LicbeSkuß zurück.
Will in Erinnerung mein Glück noch finden,
Bis einst mein mattes müdes Auge bricht;
Dann ruf ich nock>, wenn mir die Sinne schwin
de :
Ich klage nicht!
Feuilleton.
Der Dorfcaplan.
Erzählung aus Oberbaiern ach einer wahren
Begebenheit.
Von Herma Schmid.
(Fortsetzung.)
Der WcihnachtStag kam herrlich her
auf. Sommerblau und rein lag der
Himmel über dem weiten Stromthalc,
daö der Wilde Kaiser abschloß, glänzend
nnd blitzend in, Sonnenschein, als habe
er dem Feste zu Ehre seinen Eispanzcr
blankgcschcuert und den weißen Kaiscr
mantel um die Felsenschultern geschla
gen. Der Ostwind strich kalt über die
flimmernde Schncclandschaft hin, daß
der Hauch vor dem Munde fror, den
Landleuten, die von den entlegenen Hö
fe hcrangewandcrt kamen, sich Haar,
Bart und Hut bereiften und weit und
breit hin an allen Sträuchern und Zwei
gen Milliarden von Eisnadeln und
Schneekrystallen glitzerten und funkel
ten.
Im Dorfe selbst war die Stimmung
nicht so festlich, wie draußen in der freien
Natur; die Vorgänge der Nacht lager
ten darüber, wie oft auf den Schornstei
nen und Firsten der Rauch haftet und
sich niederschlägt, wenn eine ungünstige
Luftströmung ihm wehrt, fröhlich und
kerzengerade emporzuwirbeln. Die
Plauderhaftigkeit der Dienstboten im
Pfarrhose, die Bosheit des trinmphiren
den Lehrers hatten rasch und genügend
dafür gesorgt, daß die aus der Christ
mette Heimkehrenden auch die Kunde
des Vorgefallenen in Hütten und Häu
ser auseinander trugen, als Würze zu
Sauerkraut und frischgcschlachtetem
Schweinefleisch, das nach der langen Fa
stenzeit im Advent auch auf dem ärm
sten Heerde brodelte. Der Eindruck war
verschieden, nach den vielerlei Köpfe,
auf die er wirkte; der allgemeinste war
der der Verwunderung, wie so Etwas so
buchstäblich über Nacht habe kommen
können, und einer gewissen Schadenfreu
de ; denn es gab Manche, die von dem
Hochmuth des PfarrfräulcinS gekränkt
ihm eine Strafe und Demüthigung gar
wohl gönnten. Der Herr Caplan ward
bedauert, denn die Bauern hatten ihn
lieb und Baucrnherzen sind zäh; was
einmal Wurzel gefaßt in den treuen Ge
müthern, das halten sie fest und es
braucht manch harten Ruck, bis sie es
sich entreißen lassen.
War auch der Hauptgottesdienst schon
während der Nacht gefeiert worden, so
gab cS doch Männer und Bursche genug,
die sich Vormittags zur Kirchenzeit auf
dem Platze vor der Kirche zusammen
fanden, um zu plaudern und alle die Be
gebenheiten seit dem letzten Begegnen zu
verarbeiten. Darunterwaren der Wag
ner des Orts, ein stämmiger Mann mit
soldatischer Haltung, dcr Schneider, der
Bader nddcr Eifenkrämer;ein schmäch
tig aussehender Mensch mit ruppigen
Händen ließ den.Schuster nicht verken
nen, Andern verrieth das Päckchen, das
er unter dem Arme trug. Es war der
„Beter"-Macher, der seine Waare, aller
lei Rosenkränze, immer bei sich trug, um
augenblicklich zum Handel bereit zu sein.
„Da kann man's einmal mit Händen
greifen", sagte dcr Betcrmacher fromm
thnenh, als das Gespräch wieder auf
Isidor kam. „Hochmuth kommt vor
dem Fall! Hab's erst gestern noch von
dem Schullchrcr gehört, daß der Herr
Eaplan immer obenaus gewollt hat.. .
da hat unser Herrgott die Hand von ihm
abgezogen und er ist in die Schlingen
des Teufels gefallen l"
„LaßdenTeufel inNuh, Betcrmacher",
entgegnete der Wagner barsch, „der muß
nit überall seine Hand d'rinn haben, es
giebt Leut' gcnug, die für ihn die Arbeit
thun!"
„Wie kannst' so reden, Wagner!" rief
der Schuster entsetzt. „In ein' so from
men Haus, wie der Pfarrhof ist !"
„Eben deswegen! Ist keine Kirche
so klein, die Capelle muß auch dabei sein
.. . und wenn dcr Teufel sonst gar kei
nen Platz findet, schlupft crineinen Wei
berrock. . ."
„Ja, da ist wahr'" rief der Beter
inachcr wieder und verdrehte die Augen.
„Die Franzi!" Ein so kreuzbraves
Mad'l! Wer hatt' das von der Franzi
gedacht !"
„Nun, die hab' ich gerad' nicht ge
meint !" lachte dcr Wagner. „Wir
werden ja sehen, was dahinter ist; in
ein paar Tagen wird man wohl Alles
wissen !"
„Wir.könnten' gleich erfahren", sag
te dcr Schuster. „Wie wär'S, Männer,
wenn wir zum Pfarrer gingen, so wie
eine Deputation von der Gcmeind', und
thäten ihm unser Bcdauerit sagen, daß
er einen solchen Verdruß hat haben müs
ftn. .."
„Zum Herrn Pfarrer?" rief der
Wagner. „Warum? Unsereiner hat
auch genug Verdruß im Hans, aber ich
hab' och nie gehört, daß dcr Pfarrer
'kommen wär'und hätt' Einem sein Be
dauern gesagt. . . was wir gemeine Leut'
zuwege dringen müssen, das wird er als
ein studirter Herr wohl auch vermö
gen. .."
Er ging und ließ Schuster und Beter
macher stehen; unbekümmert über ihren
unverholnen Aerger, winkte er dem Ba
der und Schneider mit den Augen zu,
und schritt mit Beiden davon. „Wie ist
es denn ?" sagte er flüsternd. „Es hat
ja geheißen, auf Weihnachten käm' er
wieder herüber.. . Ihr wißt schon, wen
ich mein'..."
„Versteh' alle Wort", sagte der Schnei
der wichtig und gehcimnißvoll, „gewiß
weiß ich's nit:.. es soll gar viel Schnee
haben, wo er heraus muß ... aber ich
denk' wohl, er kommt, und sobald ich's,
weiß, laß ich Alle Herrichten. . ."
Sie winkten sich zu trennten, vor
sichtig umherblickend, ob auch Niemand
die geheime Zwiesprache belauscht.
Auch auf dem MooSrainer-Hofe bil
dcte der Festtag einen trüben Gegensatz
zu der heitern Festlichkeit, die erst so kurz
dort begangen worden. Noch war
cS völlig Nacht gewesen, als die Thür
des Pfarrhauses sich geräuschlos austhat
und der Verstoßene auf der Schwelle
stand, die er mit ahnungsvollem Wider
streben betreten. Es war dunkel in ihm-
und um ihn her; aus den Fenstern der
Kirche kam der rothe Schein der ewigen
Lampe so schwach herüber, als wenn sie
mit dem Erlöschen kämpfte, aber gerade
vor ihm blitzte und funkelte der Morgen
stern in seltener Pracht, als wär' cS eine
geschwungene Fackel iu Engelöhand, um
wie von einem Leuchtthurme aus zu
mahnen, daß der Himmel über uns un
erschütterlich feststeht, auch wenn unter
uns die trügerische Erde wankt. Durch
Frostschauerund beginnendes Schneege
riesel schritt er dem Vaterhause zu, un
endliche Wehmuth und Trauer in der
Seele, daß er so dahin zurückkehren
mußte; doch es blieb kein anderer
Ausweg, um Aufsehen zu vermei
den. Einen Tag wollte er Herberge
nehmen in der Hcimath, um sie dann für
immer zu verlassen und unbekannt an
einem fremden Ort die Entwickelung sei
nes Geschickes abzuwarten. Das Haus
stand finster in der Finsterniß; kein
Lichtschein zeigte, daß Leben in ihm sei,
und es war doch schon die Stunde vor
über, die den Bauer in Scheune, Stall
und Haus zu den Arbeiten weckt, von
denen auch der höchste Feiertag ihn nicht
befreit. Dennoch standen Thür und
Thor weit auf, als würde Jemand er
wartet; aber Niemand kam dem Eintre
tenden entgegen. Lautlos tastete sich
Isidor über den unerhellteu Borplatz,
die Treppe hinan zu seiner früher be
wohnten Stube. Sie war nicht ver
schlossen, im Ofen brannte behagliches
Feuer und auf dem Tischchen war eine
Kerze, Stein und Schwamm bereit ge
stellt; cS war unverkennbar, man erwar
tete ihn im Hause, allein man scheute
sich, ihm zu begegnen.
Isidor hatte kein Verlangen nach
Licht; ihm war es wohl in de; matten
Dämmerung, welche das Schneelicht
durchdie Scheiben warf; die ganze Herb
heit des Erlebten kam über ihn und
machte ihn beinahe verzagen. Da kam
die Natur als liebende Vermittlerin ihm
zu Hülfe, die Stille, dle Wärme, die
sichere Einsamkeit wirkten schmerzstillend
auf ihn und der Schlaf senkte sich ans
seine heißen Augen und tobenden Schlä
fen, wie ein kühlender Verband.
Er hatte nicht lange geschlummert,als
ihn Lichtschein weckte, dcr alte MooSrai
ner stand in der Stube, die klugen Au
gen fest und fragend auf dcu Sohn ge
heftet.
„Vater!" rief dieser aufspringend und
wollte mit weit ausgebreiteten Armen
sich ihm an die Brust werfen —dieser
aber trat einen Schritt zurück und streck
te den Arm wie zur Abwehr gegen ihn
aus.
„Bleib', wo Du bist", sagte er, „eist
muß ich wissen, wie wir Zwei miteinan
der stehn ! Ich hah's Dir's gesagt, Ist
dor, Du wirst niemals so groß wachsen,
daß ich aufhören tkät', alsVatcr mit Dir
zu reden ; ich hab' Dir die Thür offen ge
lassen, damit es vor den Nachbarn kei
nen Spectakel gießt, aber deswegen darfst
D u.denMoosraincrhof doch nit für einen
Taubenschlag anfthn, wo man aus- und
einstiegt, wie man nur will. . . Was
thust da, Isidor?" fuhr er mit strengem
Tone fort, „warum inst Du nit da, wo
Du hingehörst?"
„Sorgt nicht, Vater", erwiderte Isi
dor, nicht ohne Zurückhaltung, „daß ich
Euch lange zur Last fallen werde. Mit
dem Frühesten. .."
„Wär's dann anders?" unterbrach
ihn der Alte. „Wenn das wahr ist,
was die Leut' reden, ist für Dich im
Moosrainerhof kein Platz, nit einmal
über Nacht. .. O Bub, Bub!" fuhr er
in unwillkürlich gcmitdcrtem Tone wei
ter, weil er gewahrte, wie Isidor bei die
sen Worten noch mehr erblaßte und zu
sammenzuckend die Hand an'ö Herz preß
te, „warum thust Du mir solch ein Leid
wesen an? Tu weißt, wie hart cS
mich an'komincn ist, Dich studiren zu
lassen, ich hab' mich nur mit der Mei
nung getröst', daß cS zu Dein', Glück
und Heil sein wird, daß Du das, was
Du einmal angefangen hast, auch richtig
und fest hinausführst, wie sich's gehört
.. . aber daß ich das an Dir erleben
muß ... daß Du mir in's Haus zu
rückkommst in Schand und Spott, wie ein
davongejagter nichtsnutziger Knecht...
das, Isidor, das ist der Nagel zu mei
nem Sarg ... das drückt Deinem alten
Vater das Herz ab..."
Die Stimme bebte ihm, er drückte mit
dem Rücken der rauben Dand an die An
gen, als wolle er die Thränen zurück
drängen, aber die widerspenstigen Tro
pfen glitten doch über die braune Wange
herab.
„Vater", sagte Isidor feierlich, „bei
Allem, was he'lig ist, ich habe nicht
Unwürdiges begangen..."
„In Deinem Sinn vielleicht", entgeg
nete der alte, „wir Bauern deutschen
uns so was selber aus, und der Sinn ist
so viel werth, wie Dein studirter...
also sag', wie' 'gangen ist."
Isidor erzählte; anfangs befangen,
dann immer ruhiger und sicherer, denn
bei jedem Worte trat ihm das Vorgefal
lene bestimmter in seiner wahren Gestalt
entgegen, wie aus fallendem Nebel die
Umrisse einer unbekannten Gegend.
„Ist'S daö Alles?" fragte, als er ge
endet, nach kurzer Pause der Vater.
„Und wenn es so ist, was soll nun dar
aus werden?"
„Der Herr Pfarrer wird seinen Be
richt an da, Ordinariat erstatten..
„Was ist da ?"
„Der Bischof und seine Rathe, die
werden dann auch mich und meine Ver
theidigung hören, und ich hoffe zu
daö Ende wird sein, daß man mich auf
einen andern Posten, vielleicht weit weg
beruft, und gewarnt und gewitzigt soll
e mir dort gar bald gelingen, den gan
zen Vorfall vergessen zu machen..
„Vergessen zu machen ?" erwiderte der
Alte und wiegte sinnend das eisgraue
Haupt, „ich will das glauben, Isidor...
aber wirst Du'S auch selber vergessen?
... O Isidor, lieber Bub", fuhr er herz
lich fort, während dieser befangen die
Augen senkte er fand nicht Muth und
Ton zu dem Ja, auf das die Frage des
Vaters wartete. „Ich sorg', Du wirst
ein unglücklicher Mensch.. . Schau, vor
Deinem Vater brauchst kein Geheimniß
... ich hab' Angst, Dein Herz ist it
mehr bei Dein' Stand, es reut Dich
wohl gar... mir kommt'S vor, als wenn
ich Recht gehabt hätt', als wenn Dcii
Herz unterm Bauernkittel lustiger schia
gen thät', als unter dem heiligen Ge
wand da..
LancaSter, Pa. , Donnerstag, Dezember , 18.
Isidor drückte ihm wie unwillkürlich
die Hand. „Dcr Frieden wird denen,
die um ihn streiten", sagte er feierlich,
„ich will redlich um seine Palme rin
gen..
„Thu's, lieber Bub", sagte der Alte
herzlich, „nur nit auslassen, wa einmal
ang'sangen ist, dann wlrd noch Alles
gut. . Bleib' also bei mir, so lange Du
willst, Isidor, ich kann nit sagen, daß
Du so ein großes Unrecht gethan hast!
Du hast ja die Hand nit selber zum
Schlagen aufgehoben, hast das Blut nit
vergießen wollen, Du hast abgeweh-t,
hast ein Anderes vertheidigt. ... ich
glaub' immer, ich hätt's auch nit viel
anders gemacht, und kann nit gut stehn,
ob mir der Arm nit auch ausgerutscht
mär'. . . Also gieb Dich zur Ruh, halt'
mit Dir selber und unserm Herrgott
Rath und bleib' in Deiner Stube,
daß das Gered' ein End' hat... am
Abend komm' ich wieder und such' Dich
heim.. ."
Er wollte fort, aber Isidor hielt ihn.
„Und die Mutter?" fragte Isidor drin
gend.
„Die? Ja, bei der hast Du'S schon
auf eine Weil' verschütt'!; die will Dich
nit sehn, die Fräul'n ist ihr so in's Herz
gewachsen ; ich glaub', es wär' ihr lie
der, sie hätt' den Puff von Dir bekom
men, als die hochnäsige Person ... aber
kränk' Dich nit darum, ich werd' ihr Al
les erzählen, da wird der Zorn auch nit
lang dauern, Du weißt es ja, daß sie
nirgends zu spät kommen will. .
Er hatte schon die Thürklinke gefaßt,
Isidor rief ihm nochmals nach. „Va
ter," sagte er stockend, als dieser erwar
tend stille stand, „ich kann nicht mehr
für sie thun; was ich thäte, würde man
nur ausbeuten, mich neu zu verdächtigen
aber Ihr werdet sie nicht verlassen . ..
nicht wahr?"
„Du meinst die Franzi?" sagte der
Alte, „.. . was ist es mit ihr?"
„Weiß ich es denn? Ich habe sie nicht
wieder gesehen, aber als ich während der
paar endlosen Nachtstunden am Fenster
hin und wieder schritt, sah ich Jemand
aus dem Hause schlüpft ; ich müßte
mich sehr geirrt haben, wenn es nicht
Franzi war ... das Höft Weib hat
sie ohne Zweifel noch in der Nacht fort
gejagt .. ."
„Wie werd' ich sie verlassen?" ent
gegncte der Alte und bot dem Sohne
mit eigenthümlichem Lächeln die Hand.
„Ich hab' sie ja immer schier so lieb ge
habt, wie ein eignes Kind ... ich werd'
ihr nachfragen ; im Dorf darf sie nit
bleiben, aber ich denk', ich werd' schon
ein Plätze! ausfinden, wo ihr nit zuweh
geschieht!"
Der Tag ging still vorüber, Haupt
sächlich wohl, weil dem Gerede und der
Erregung der Gemüther jede Nahrung
fehlte. Von den Personen, die bei dem
Vorsalle hauptsächlich genannt wurden,
ließ sich keine sehen, denn die Haus
hälterin des Pfarrer war angegri
fen und krank oder gab sich minde
stens den Anschein, es zu sein. Die
Nacht kam so ruhig, als ob der Tag gar
nichts Ungewöhnliches gebracht; früher
als sonst sogar ward es still im Dorf und
zeitiger erloschen die Lichter.
Nur wer noch eine späte Wanderung
gegen den Strom hin zu machen hatte,
der mochte gewahren, daß auf dem hin
ter dem Dorfe vorspringenden Hügel
noch einiges Leben wachte. Dort lagen
die Ruinen einer kleinen Bergfestung,
die zum Schuhe der Grenze gebaut, im
österreichischen Erbfolgekriege aber von
den Rothmäntlern ausgebrannt worden
und, dürftig wieder hergestellt, allmählich
zu verfallen begann. Jetzt sind davon
nur die kargen Reste eines Thurmes üb
rig, damals war ein Theil der Dächer
erhalten und cS gab noch einige Gelasse,
die man zur Noth bewohnen konnte.
In der ehemaligen Wachstube am ge
wölbten Thorgang hatte ein Holzarbei
ter mit seinem Weibe sich eingebaut.
Er hielt cine Wintelschenke und trieb
allerlei anderes heimliches Gewerb. Die
Schmuggler, die aus Tirol herüberka
men, fanden da willkommene Herberge,
um tagsüber still zu liegen, und wer sonst
einer Zuflucht bedurfte in der Gegend'
dem bot das winklige, den Einsturz dro
hende und darum nicht viel betretene
Gemäuer einen sicheren Versteck. Unter
den Ruinen der Capelle stand ein keller
artigeS Gewölbe noch unversehrt, daö
einmal eine Art unterirdische Kirche,
eine Krypta, gewesen sein mochte und zu
welchem, durch eine hohe Thurmwand
verborgen, einige schadhafte und wanken
de Steinstufen hinunterführten. Schwa
cher Lichtschein drang von dort herauf
und führte über Geröll und Trümmer
in die ziemlich ansehnliche Halle.
Eine Schaar Bauersleute aus dem
Dorfe und den Einzcl-Weilern der Ge
gend hatte sich hier zusammengefunden;
Männer nnd Weiber standen, kauerten
oder lehnten herum, je nachdem an den
Wänden entlang und auf den Trüm
nern sich dazu Gelegenheit bot. Der
Wagner, der Bader und der Schneider
ehlten nicht; hinter ihnen, in eine
ounkiere Ecke gedrückt, erhob sich des
MooSrainer kräftige Gestalt. Atter
Augen waren dem Chore zugewandt,
wo sich noch die Trümmer eines ehema
ligen Altars erkennen ließen ; jetzt stand
an dessen Stelle ein au rohen Baum
ästen rasch zusammengebundene Kreuz
und vor ihm ein Mann in einem dunk
len Mantel, der wie ein priefterarligc
Gewand gefaltet war.
In einer Ecke unter einem' Sprung
des Gewölbe, durch welchen der Nacht-
Himmel schwarz hereinsah, verglimmten
die Neste eine Holzftuer, das den Raum
nothdürstig erwärmt hatte und nun sei
ne rothen unruhigen Lichter über die
Versammlung warf und über den Mann
vor dem Kreuze, der mit ausgebreiteten
Armen laute mächtige Worte rief. Ob
wohl die Züge des Gesichts noch kein so
hohe Alter verriethen, war doch dcr
Schädel des Mannes völlig kabl; un
ter dichtcu buschigen Brauen flackerte ein
Paar unheimlich leuchtender, fast irrsin
niger Augen hervor. Seine Stimme
klang gedämpft und bobl, aber sie war
dennoch stark und es war Etwas in ihrem
Ton, was unwillkürlich das Ohr des
Hörers fesselte. Er sprach von den er
sten Tagen der Christenheit, als die
Gläubigen uoch in Höhlen und Grab
gewölben heimlich sich versammeln muß
ten, als die kleinen Gemeinden noch in
vollständiger brüderlicher Gemeinschaft
aller Verhältnisse lebten, und forderte
auf, zur alten Einfachheit dcr Sitten,
zur alten Einfalt der Gemüther zurück
zukehren.
„Wahrlich, so verkündet es mir der
Geist", schloß er seine Rede, ~dcr über
mich koinmt in den Stunden dcr Er
leuchtung . . ~ der Antichrist ist Herr
geworden über den Erdball, aber ich
werde kommen und ihn bändigen und
seinen Thron umstürzen! Diejenigen
sind der Antichrist, die sich anmaßen,
meine Priester zu sein. . . Ich, der Herr
von Anbeginn, will keine Priester, die
vor mir knieen und mir räuchern. Ein
Jever unter Euch soll mein Priester sein,
und über welchen ich das Wort ausgie
ße, dcr soll es den Brüdern verkünden!
Gleich sollt Ihr untereinander sein, wie
Ihr vor mir Stile gleich seid Alle
Brüder! Darum gehet hin und machet,
daß die Wege bereits sind, wenn der Herr
kommt, seinen Einzug zu halten, denn
sein Gericht wird furchtbar sein und
nicht mehr fern ist die Stunde der Re
chenschaft wohl dem, den sie gerüstet
findet. Amen!"
Dcr Prediger schwieg und sank wie er
schöpft an den Fuß des Kreuzes hin;
lautlos erhoben sich die Anwesenden,
kletterten durch den KellerhalS die Stu
fen empor und verschwanden schweigend
aus dem Gsmäucr in die Wintcrnacht-
Nur der Schneider vermochte nicht die
Erregung seines Gemüths in sich zu
verschließen. „Recht hat er, der Fratcr
Ander! ... und wenn wir Männer sind
und nicht Hasenfüß', so machcn wir uns
daran und gründen wieder cine allge
meine Brudergemrinde wie die ersten
Christen! Wir brauchen keinen Pfarrer,
dann brauchen wir auch keinen Zehnt
zu geben ! Ueber Jeden kann die Gna
de kommen. .
„Der Schneider ist ganz verzückt",
sagte der Wagner, „er glaubt, er steht
schon auf der Kanzel..."
„Das werd' ich auch !" erwiderte die
ser pathetisch. „Wer will dem Wind
wehren, der in das Feuer bläst? Auch
ich kann das Wort verkünden ! Ich bin
nicht umsonst in leinen jungen Jahren
in Paris gewesen ... ich habe Bürger
Mirabean gehört und den großen Dan
ton ... Brüder sind wir, werd' ich fa
gen, und Brüder müssen wir wieder
werden. .."
. Heftig vor sich hin redend und sich ge
berdend eilte er hinweg; der MooSrai
ner hielt den Wagner zurück. „Was
ist es denn eigentlich init dem Frater?
fragte er.
„Das weiß Niemand recht", erwider
te dieser, „es ist ein entsprungener Stu
dent, von Kitzbühel glaub' ich...er
hat Geistlicher werden wollen, aber sie
haben ihn nit auSgcweiht— warum,
weiß ich auch nicht recht; es heißt, er
hätt' ein Buch geschrieben, das ihnen
nit recht war. Da wollten sie ihn in
den Soldatenrock stecken, drüber ist er
tiefsinnig geworden und ist im Armen
haus eingesperrt und muß beim Vieh
hüten helfen. Sie haben ihn schon hart
geschlagen, wenn er gepredigt hat; in
Tirol d'rinnen getraut er sich auch nicht
... aber manchmal stiehlt er sich doch
heimlich fort bei der Nacht..."
Der alte Moosrainer erwiderte nichts;
ihn dauerte die treffliche Kraft, die, viel
leicht zum Besten bestimmt so kläglich zu
Grunde ging, weil sie bei Seite gedrängt,
gezwungen und in ihrem natürlichen
Lause aufgehalten worden; er gedachte
an Isidor und seine dunkle Zukunft, und
ein tiefes, namenlose Weh zuckte ihm
durch da starke Herz.
(Fortsetzung folgt.)
Die reiche Israeliten von Ncw-Orlean
beabsichtigen eine höhere Lehranstalt für Kin
der ihres Glauben zu gründen und auSz.
statten.
Verschiedenes.
Herrn Glabstone'ö Zusammen
kunft mit bem Papst.
Der„Eorriero Italiano" von Florenz berich
tet über die Zusammenkunft, dir Hr. Gladstvnc,
dcr frühere Schapkanzler Englands und das
tigcnllichc Haupt der licdcralcn Partei, mit dem
Papst gebabt soll, die aber nach den letzten, mit
dem Dampfer „Germania" uns zugekommen
Nachrichten, von Herrn Gladstone selbst in
Abrede gcstelll worden scin soll, Folgendes :
„Herr Gladstone fand den Papst ruhig wie ge
wohnlich. Nicht rhcr als nahe am Schlüsse
derllntcrhaltung kamen sie aufPolitik zu sprech
eil. Der Papst beklagte sich über die österreichi
sche Regierung wenn er auch zugab, baß dir
Ereignisse in Deutschland sie außer Stande ge
setzt habr, den heiligen Stuhl zu tcrstützrn,
Herr Gladstone wünschte ihm Glück zu der An
kuiift dcr französischen Fremdcnlrgion in Rom.
worauf dcr Papst erwiederte: „Irdische Heer
schaarc habe den Mangcl.daß sie oft daSZicl,
nach bem sie streben, verfehlen. Außerdem,
was liegt mir daran, was sich ereignen mag.
Glauben Sie mir, daß, wenn die Franzose fort
find, ich nichts bestoweniger geschützt sei werte,
denn i weiß, baß die Hecrschaaren, welche die
Kirche vrrtlieidigen, ihr nimmer fedlen," und
indem bcrPapst diese Worte sprach, hob er seine
Augen gen Himmel. Herr Gladstone lenkte
dir Unterhaltung af Italien und fragt- den
Papst, ob er vielleicht wisse, wie weil das von
de Blättern mitgetheilte Gerücht, daß seitens
dcr französische Regierung mir dem slorcnliiii
schcn Eabinet neue Unterhandlungen betreffs
dcr römischen Frage eingeleitet worden seien,
gründet sei. „Ich lese," antwortete dcr Papst,
„keine Zeitungen, und betreffs dieser Angele
genhcit weiß ich durchaus nichts. Alles, was
ich weiß, ist, baß wenn ich sterbe, ich
meinem Nachfolger die heilige und unverletzli
che Erbschaft des htiligrn Petrus hinterlassen
Nachdem die Unterhaltung betrrffö Italiens
bccnbct war, wandle sie sich auf Irland, und
dcr Papst empfahl dem englischen StaatSman
ne auf's angelcgcnllichste die Wohlfahrt seiner
vielgeliebte Heerde, des irländischen Volkes.
Dann fügte er lächelnd hinzu: „Wenn ich, wie
einige behaupten, genöthigt sein sollte, Rom zu
verlassen, so werde ich, obwohl Irland weit ab
von dem Mittelpunkt des Ehristenthums liegt,
es dennoch vielleicht nicht verschmähen dort mei
nc Wohnung aufzuschlagen. Malta, ein Platz,
der cine fast ganz und gar commercielle Bedeu
tung bat, würde jetzt, da dicNevoluiionärc ange
fange habe, meinen armen Elerus dcrSimo
nie zu beschuldigen, in meine Augen nicht
denßorzug verdienen." Schließlich bemerkte er,
er werte gehen, wohin die Vorsehung beschlossen
habe, daß er gehen solle—„die große Borsch
ung die niemals unterlasse, über die vergäng
lichen Mensche zu richten." Indem der Papst
diese Worte sprach, zeigte er sich sehr bewegt.
Ein interessanter SlcchtSfall.
Ein Farmer in Carrol Counlp, Tenncssec,
der seil längerer Zeit die Bemerkung gemacht
hatte, daß ihm von Zeit zu Zeit aus seiner
Kor - Krippe Korn gestohlen wurde, kam auf
den Einfall, eine Fuchsfalle in der Strippe auf
aufzustellen und zu befestige, um auf diese
Weise dcsDicbeS habhaftzu werden. Und wirk
lich war derselbe am nächsten Morgen gesan
gen ; die Hand desselben saß in der Falle, und
da die Oeffnung an der Krippe wohl die Hand
aber nicht gleichzeitig auch die daran mit eise
nein Griff befestigte Falle durchließ, so wurde
der Dieb obne Mühe gefangen. Obgleich nun
auf diese Weise derselbe auf der That ertappt
worden war und man zu seinen Füßen zwei
leere Säcke fand, so wurde er dennoch von dem
Dorfrichter, vor dem die dcsfallsige Klage he
bracht war, freigesprochen, weil es nicht bcwic
sen sei, daß der Man wirklich Körn gestohlen
habe. Der Umstand, daß der Dieb mit der
der Hand in der Krippe und von der
Falle festgehalten gefunden wurde, hatte bei
dem Richter kein Gewicht, weil ach seiner An-
Vergnügen machte, das Recht habe, seine Hand
in eine Fuchsfalle zu stecken.
Prozeß um ein Kind.
Vor dem Supreme Courtßichter Barnard
zu Rcw - Aork wurde kürzlich der folgende Fall
verhandelt: Vor etwa fünf Jahren üdergab eine
Frau Barrett einen Säugling, Namen Ed
ward Barret, einer grau McCabc. Lctzere
erzog da Kind seither. Die Muncr'ging nach
dem Süden heirathete wieder und kam
jetzt zurück um da erwähnte Kind zu reklami
ren. Sie setzte ihre Ansprüche mit einerßered
stamkeit auseinander, welche auf mehr Mutter
liebe schließen ließ, als man ihr ach ihrem bis
herigen Verhalten zutrauen durfte. Tie grau
McCabe legte dagegen dar, daß sie dem Kinde
zärtlich zugethan sei und eine beträchtliche
Summe für dasselbe ausgegeben habe; sie
legte auch ein Zeugniß von einem auSgezeichnc
ten Arzt vor, wonach sich das Kind nur durch
ihre ausgezeichnete Pflege während einer
schweren Krankheit dem Tode entrissen
hatte. Während dieserVerhandlunden schmieg
te sich der Junge auf's Liebevollste an Frau
nichts wissen wollte. Die sprach mehr als
die längste Rede zu Gunsten der Pflegemutter,
und der Richter erklärte, er könne es unter den
Umständen nicht über' Herz bringen, da Kind
von den Leuten zu trenne an welchen es offen
bar mit ganzer .Seele hänge. Eine Gelvent
schädigung schlug ohnehin Frau McCabc aus
und sie erklärte, daß sie das Kind nicht verkaufen
wolle. Der Richter wie Frau Barrett an,
in einem Jahre wieder zu kommen, wodann er
sehen wolle, was er für sie thun könnte. Sic
entfernte sich bitter klagend ; der Junge war
war aber offenbar mit der Entscheidung sehr
zufrieden.
Und die ganze Familie Rothschild hat seit den
fünfzig Jahren ihre Bestehen noch nicht halb
so viel für die Armen, für Nothleidende, für da
Gemeinwohl überhaupt gethan, wie der einzige
Pcabodp!
* Gen. Major Mite, der unlängst zum
Obersten iu der regulären Armee ernannt wur
de, befindet sich in seiner Heimath zu Rorbnrp,
Mass., auf Urlaub. Bor fünf Jahren verließ
er die Stadt al Clerk, ohne je Kriegsdienste
gethan zu habe.
Am Samstag zerstörte ein Feuer in Loston
Eigenthum im Werthe von P 500,000.
Das verlorene Kind.
Die Ebicago Post, von letzter Woche erzählt
eine Thatsachc, welche inen Roman in
wenigen Sätzen enthält. Ein Frauenzimmer
das früber Bekanntschaft mit einem jetzt mihi
verlassen wurdc, rächtr sich aus folgende teufli
sche Weise. Brsaglrrßürgrr, der sich vor rini
gen.fahren crheiralhetr, hatte bereits ein zwei
jähriges Mädchen, welche im März d. I. von
jenem Frauenzimmer gestohlen und nach Mil
se Talinadgr erzählte, daß es ihr Kind sei, daß
ihr Mann kürzlich gestorben wäre, und daß sie
wünschir, das Kind bei irgend Jemand auf ei
nige Zeit unterzubringen.
Dcr Mayor fand eine Familie, welche da
Kind zu sich nahm und da Fraurnzimmrr ver
ließ Milwaukce und Niemand hat ftit der Zeit
wieder etwa von ihr gehört. Di betrübten
Eltern ließen da Kind überall suchen, und da
der Vater vermuthete, wer da Kind gestohlen
habe, so sandte rr Geheimpolizisten nach allen
Seiten au, aber nirgend konnte rinr Spur
von dem Kinde entdeckt werden.—Sech Mo
nate waren während der Zeit verflossen und die
Eltern hatten bereit die Hoffnung aufgegeben
irgend jemals wieder etwa von dem Kinde zu
vernehmen, als einer der „Detectiv" vorletzte
Woche in Milwaukre zufällig von dem Frauen
zimmer und ihrrm mvstrriösrn Brrschwinden
hörte. Er besuchte die Pflcgeltrrn des Kindr
und nach der ihm gegebenen Beschreibung er
kannte rr dasselbe sofort.
Die Eltern wurden benachrichtigt und kamen
in aller Eile, ihren Liebling abzuholen. Dir
Mutter war balb wahnsinnig vor Freude, al sie
ihr Kind wieder in ihre Arme schließen konnte.
Da Kind selbst hatte jedoch seine Eltern voll
ständig vrrgcsscn, und wollte durchaus nicht mit
ihnen gehen, und als sie r mit Gewalt mit
nahmen, firl es in Krämpfe. Zu Hause ver
weigerte c, da Essen zu sich zu nehmen, und
in wenigen Tagen starb e an Krämpfen!
Eine chinesische Wittwe.
Die indischen Frauen lassen sich bekanntlich mit
ihren gestorbenen Männern rrbrrnncn und so
sehr auch die Engländer dagegen geeifert, sie ha
be dieser Sitte och nicht völlig steuern können.
Aber auch die chinesische Wittwen bringen
sich gern, wenn sie kinderlos sind, au der Wrlt,
und noch neuerdings ist ein solcher Selbstmord
vorgrkommc. Dir junge todrslustige Wittwe
baue sich ganz mit Gold geschmückt, und indem
sie in eine Sänfte stieg, die sie an den Ort der
Bestimmung bringen sollt, lud.sie die Menge
freundlich ein, ihr zu folgen, um ihrer Selbst,
cnilcibuiig beizuwohnen. Auf einem Felde
unfern von dem Hause der Wittwe, war ein
Gerüst errichtet, über welchem ein leiner Gal
grn sciiic Arme erwartungsvoll zum chinesischen
Himmel streckte. Der Platz war mit einer gro
ße Menge Neugieriger beiderlei Geschlecht
übersäet. Die Wittwe stieg am Fuße de Ge
rüste mit Hülfe ihrer Brrwandlen au der
Sänfte. Sic dankte der Menge für den zahl
reichen Besuch verbindlich, setzte sich mit einigen
ihrer Freundinnen an einem Tisch, welchem man
auf dem Gerüst gedeckt hatte, und nahm daftbst
da letzte Mal ei, welche ihr vortrefflich zu
schmecken schien. Hierauf reichte man ihr ein
Kind da ihr bisher gefehlt und dessen Mangel
sie in be Tod trieb! sie liebkoste und schmückte
es mit einem Halsband, dann nahm sie einen
Korb voll Blumen und warf sie unter die Men
ge, die letzte freundliche Gabe einer Scheiden
den. Sie sagte noch einmal die Gründe, wa
rum sie de Tod suchte, und drri Glockenschlägr
gaben endlich da Zeichen zum entscheidenden
Augenblick. Der Galgen bestand au zwei Bal
ke, auf die ein starke Bambusrohr gelegt wor
ten, in dcr Mitte dcssrlbr hing eine rothe
Schnur. Dir Wiitwe trat auf einen unter dir
Schnur gestellten gußscheinmrl, steckte ihren
Kopf in die feurige Schleife, machte ein Zeiche
de Abschied für die Menge, und sich ein Tuch
über das Gesicht werfend, schickte sie sich an in
eine andere Welt hinüberzuwandeln. Mann
rief ihr in diesem Augenblicke zu, daß die
Schlinge schlecht gemacht sei, sie beeilte sich den
gehler zu verbessern und nachdem sie denSchem
mel zurückgestoßen, suchte sir von Neuem dem
Leben zu cntstichen. Mit einer Kaltblütigkeit
erhob sie noch immer die Hände zum Gruß für.
die Menge, bis sie endlich langsam niedersanken
und der Tod sich über das arme Geschöpf lach
elnd niederbeugte. Dcr Körper blieb noch eine 5
halbe Stunde hängen, dann nahmen ihn Vi,
Eltern dcr Todten hinweg. Um die rothe
Schnur stritt man sich, wie um ein Reliquie.
Es war seit wenigen Wochen da dritte'
Schauspiel dieser Art; denn den Behörden ist
es och nicht möglich grwesrn, diesem Wittwen
todc Einhalt zu thun.
~Pferdekraft" und „Maus
kraft."
Was cine Pferdekraft in der Mechanik bedeu
tet, weiß jeder unserer Leser. Zum ersten Ma
lc aber wird der Leser hören, daß auch eine
„Mauskraft,, (nicht Mause-Kraft, wa einen
ganz andern Sinnergibt) eristirt.
Ein Techniker in Schottland hat ein Paar
Mäuse dressirt, und für dieselben eine Maschine
rfundcu, durch welche sie in den Stand gesetzt
werden, Baumwollengarn zu spinnen. Diese
Maschine ist so construirt, daß die Mau die
Sünden, welche sie früher an dem Eigenthum
der Mcuschcn begangen, dadurcy sühne kann,
daß sie täglich 105 bis 120 Ellen Gar spinnt
und aufwindet. Um die zu thun muß die
kleine Jußgängerin ungefähr zwei deutsche Mei
len rennen. Diese Strecke legt sie jede Tag.
ganz bequem zurück. Für einen Silbergroschen
Hafermehl reicht zur Beköstigung de beiden
kleinen Tretmühlensträflinze auf fünf Wochen.
In dieser Zeit liefert sie durchschnittlich 110 El.
man den Verdienst einer jeden auf 6 Silber
groschcn in fünf Wochen oder 2 Thaler jährlich
anschlagen kann. Rechnet man hiervon 10
Silbergroschen für Beköstigung beider Arbeit
terinncn ab, so bleibt von jeder ein reiner Ge
winn von l Thaler 25 Sildergroschen. Der
betreffende Techniker geht jetzt mit dem Plane
um, ein 100 Fuß lauge 15 Fuß breite und 50
F. hokesHau zu miethen, in welchem 10,000
MäüsespinninUhlen aufzustellen u. dabei noch
Raum für die nöthigen Aufseher und Wärter
sowie für etwa hundert Zuschauer zu behalten
gedenkt. Seiner Berechnung zufolge würden
dann nach Abzug der Kosten für Miethe, Ver
ver nöthigen Maschinen verwendeten Capitals,
Lohn des Aufsichtspersonal und Beköstigung
er Thiere diese letzteren durch ihre Arbeit einen
Drs. S.
sährlichnNVevlnn von ziemlich 30,000 Tha
lern abwrrfen, währen er von den Znschaslern,
welche diese interessante Splnnfabrik in Augen
schein nehmen, ebenfalls ein erkleckliches Sümm
chen zu ziehen gedenkt"
Die neuen in
Storddeutschland.
Einer Mittheilung au Deutschland entneh
men wir das Folgende: „Der Vertrag mit
Sachsen hat, wie da in solchen Fällen gewöhn
lich ist, keinem der beiden Theile Befriedigung
gewährt. Die Sachsen selbst sind erbittert dar
über, daß ihnen eine so große Kriegsentschädig
ung auferlegt worden ist ; sie ist in der That
größer, als dl irgend eines der anderen Staa
ten, mit denen Preußen Krieg geführt hat. Wäh
rrnd Oesterreich, da Haupt der Llgne, von der
Sachsen nur ei unbedeuten
des Mitglied war, nur zwanzig Millionen'auf
erlegt worden sind, wa mif ine Bevölkerung
von fünf und dreißig Millionen nicht viel mrhr
al ei rn halben Thaler per Kopf macht, ist
Sachsen, mit einer Bevölkerung von wenig
mrhr als zwri Millionen, ernrtheilt wordrn,
zehn Millionen Thaler zu zahlen, so daß, wenn
man fünf Personen auf eine Familie .rechnet,
jede Familie in dem Königreich durchschnittlich
zwei und zwanzig und einen halben Thaler zu
zahlen haben wird, was mehr ist, als da ganze
Bende Jahreseinkommen des Lande beträgt.
Fügt man dazu die ngeheuern Lasten, die den
unglücklichen Bewohnern in der Form von Re
quisitionen auferlegt worden sind u. die Kosten
für den Unterhalt eine großen' preußischen
Heeres während fünf Monate, so kann man
sich leicht vorstellen, daß Viele anfangen, dtr
Meinung zu sein, daß der Schatte von Unab
hängigkeit, der dem Lande noch geblieden, zu
theuer erkaust worden ist, und daß es besser für ,
die Bevölkerung gewesen srinwürdc, sofort Preu
ßen einverleibt, als auf so nnbarmherzigeWeis
für nicht WrltrrS ausgeplündert z werden,
als für da Vorrecht, Preußen zweiter Klasse zu
werde, wie Bismarck r nennt.
Die Preußen sind ihrerseits nicht damit zu
frieden, daß Sachsen ein eigene Mililärspstem
haben und daß sein Heer ein besondere Corp
bilden wird, mit sächsischen Offizieren und einem
sächsischen Befehlshaber an der Spitze. Die
wird, behaupten sie, d e militärische Occupirung
de Königreiche durch Preußen illusorisch ma
chen, zumal da die Occupatio durch preußische
Truppen aufhören wird, sobald da sächsische
Heer vollständig reorganisirt ist. Da jedoch die
Befestigungen, die rund um Dresden herum
errichtet werden und die da Land beherrsche,
eine preußisch Garnison erhalten werden, so
scheint es kaum zu befürchten zu sein, daß die
einen integrirenden Theil depMilltäikräste de
norddeutschen Bunde unter lsiin Oberbefehl
de König von Preußen bilden und dieser kann
es nach irgend einem anderen Theil des Bun- >
deSgebiete erlegen, wenn er e nicht für zweck
mäßig hält, e so dicht an der österreichischen
Grenze zu lassen. '
Das Heer de norddeutschen Bunde, welche
in Wirklichkeit das Heer Preußen ist oder de
Kaisers von Deutschland, wenn der König vi-n
Preußen belieben sollte, diesen Titel anzuneh
men, befinde sich in raschem BildungSprozeß.
Zu deii.ursprünglichen acht Corp, au denen
da preußische Heer vor dem Krieg bestand, er
den drei neue Corp für hie drei großen Pro
vinzen, die orKurzem Preußen einverleibt wor
den sind, hinzugefügt; ein zwölfte Corp wird
durch da sächsische Eontingent gebildet
werden, so daß, die Garden miteingeschlossen,
die Besammtzahl der Eorp ans dreizehn erhöh ,
werden wird. Die Truppen her kleineren, den.
Bunde angehörigen gürstenthümer, wie Meck
lenburg, Braunschweig, Oldenburg, Anhalt,der
freien Städte und der thüringischen Herzogthii
mer sollen unter den preußischen Eorp ver
theilt werden. Alle zusammengenommen
wird dießermehrung der MUitärkräfte Preußen '
sirbenundzwanzig Infanterieregimenten, von
je 300VMann, wovon sechszehn odersiebzehn in
den neuen Provinzen ausgehoben und zehn oder
elf von den ohigen Kleinstaaten gestellt werde
sollen, sowie sechszehn Kavallerieregimentern
(po n jwlvoo Mann) gleichkommen. Die Ca
ollerieregiinenter und die Artillerie .erden
ausschließlich preußisch sein, da die Eontingente
der kleineren Kiirstentdiimer nur au Infanterie
bestehen werden. Ulbher war jede preußische
Corp da Gegenstück de anderen, da genau
dieselbe Zahl von Regimentern in allen drei
Waffengattungen vorhandtn war; allein die
wird sich jetztändern, da—aS tine bedeutungs
volle Neuerung ist-da achte Arineeroip,
welche in den Rheinprovinzen steht und die
Garnison für die Festungen Main, und Lur
.lburg steilt; künftig hinsichtlich der Infanterie
undßrtillerie doppelt so stark sein soll wie früher,
während die Stärke der östlichen Corp ver
hältnißmäßia verringert werden soll.
Im Süden werde die militärischen Positio
nen Preußen durch die Besetzung de König
stein und Dresden, dessen Umgegend in ein
verschanzte Lager umgewandelt werden soll)
sind im Norden durch die Befestigung' Sit'
Stade an der Elb verstärkt werden. Dasganze '
stehende Heer de norddeutsche Bunde.wird a
nu einhundert siebzehn Jnfant.rieregicknst,in, 4-
vierzehn Bataillonen Scharsschützen,
send Mann und zwei und siedztg Eavallciierc
gimentern bestehen? It der: Artillerie, dem .
Geniecorps u. s. w.iwird,ndipß,öie Grsammt
zahl von 540,000 Manm.Me die Landvehr
und Rrservrn deren Stärk, bereit auf 250,-
OVOMnn veranschlagt Wokden ist,ergeben,und
nach einem Jahr wird diese-Zahl noch durch
vierzig oder fünfzig Bataillone, die von den an
nertirtrn Pro inzen zu strllrn sind, crmehrt
werden, so daß das BnndeSheer im Ganzen sie
benhundert und fünfzig tausend Man und,
wenn an das zweite Aufgebot der Landwehr
noch dazu zähl,eine Million Streiter umfassen
wird. Mit solch vollständig organisirten
Streitkräften,chie von Generälen geführt wer
den, wir kein anderer europäischer Staat tüchti
gere besitzt, ist Preußen darauf vorbercitrt. sein
neuen Erwerbungen gegen jeden, der sie
ihm streitig machcn will, der offen gesprochen, ,
gegen Frankreich zu vertheidigen, denn die, ist
der einzige Staat der die Macht nnd vielleicht
auch dciiWillrn hat, sie ihm streitig zu machcü.
Während dr Kriege besaß dir Rc gierung
der Vre. Staaten 413 Lokomotiven und 6330
Eisenbahn Karren.