An, Helena. (4. Fortsetzung). Der Landesherr sollte zehn Minu ten vor der Feier mit der Bahn an kommen, zum Festplatz fahren, die deren Dauer auf dreiviertel Gegenwart weihen und dann in den Räumen des Rathauses einen Imbiß , nehmen. Das Rathaus hatte vor eini gen hundert Jahren zuweilen Borfah ren des jetzigen Herrschers als Resi denz gedient und war damals das tionen diente es dem nützlichen, bür gerlichen Zweck. Aber ein paar Fest räume darin wurden doch sorgsam in stand gehalten, für den Fall, daß es den hohen Herrschaften einmal bei kommen sollte, ihre treuen Marstädter zu besuchen. Bei dem Imbiß würde es zugleich Gelegenheit geben, ein« Art Cercle zu halten. Hierfür war ein« Stunde berechnet. Dann fuhr der Landesherr schon wieder fort, denn Zum Diner mußte er wieder in seiner Hauptstadt sein, wo ein fürstlicher Vetter zu Besuch weilte. Diesen zwei Stunden fieberte die Etadt und Umgegend seit drei Wo chen entgegen. Nun war der große Augenblick da. Vor dem Bahnhof stand der Land auer des Freiherrn Malte von Hol din von Friederitenhof. Vier herrliche Grauschimmel in silberverziertem Ge schirr bildeten ein Gespann, das des hohen Gastes würdig war. Malte von Holdin hatte es der Stadt geliehen, obschon er oder vielmehr seine Guts verwaltung seit Jahr und Tag mit dem Magistrat von Mörstadt auf höchst gespanntem Fuß stand, wegen einer Grenzwiese, die Gegenstand end nicht ab. Und vielmehr noch: Malte von Holdin, der seit seiner Groß jährigkeit kaum auf Friederikenhof Ankunft des Sonderzuges. Auf dem Festplatz sollte Wackerna gel nebst drei anderen städtischen die Zufahrt kaum ohne Mühe frei. Innerhalb des Festplatzes, den zu nächst ein Kreis von befrackten Herren mit Notenblättern in den Händen förmlich ummauerte, standen neben der Geistlichkeit, Wackernagel und sei ne Genossen, auch Thassilo und Edlef. Im Pavillon drängten sich die jun dicht. Brüstung. Dort saßen die Gäste aus der "Umgegend und die Damen der städti- Frack, sehr elegant ig seiner interes santen dunklen Schönheit. Da saß auch Malte Freiherr von Holdin. Daß er es sei, dachten sich die Marstädter gleich. Er sah seinem Bater, den man gut gekannt hatte, recht ähnlich. Aber der hatte sich ganz ols Krautjunker gegeben. Der jung« Boron trug ein Monocle,, er sah etwas blaß und gelangweilt aus, unter sei ner Stumpfnase stand ein spärliches, dunkles, aufgebürstetes Bärtchen. Uebrigens war er ein überlanger - Mensch, der etwas vornüberhing, wenn er stand. Er trug keine Orden. Nur das Johanniterkreuz hing ihm «aus dem Halse'. Alle Damen fan den ihn „rasend vornehm." Da saß auch Thassilos Mutter. Sie war gekommen, um Zeugin dieses großen Tages zu sein, und um der immer jetzt bettlägerigen Schwägerin, Ed'.efs Muttcr, recht genau alles er zählen zu können. Sie war auch ge kommen, um Beate mit nach Berlin zu nehmen. Beate sollte doch ihre Schwiegermutter kennen lernen und vierzehn Tage vei den Damen in Charlottenburg verbringen. Oben aus Glanau zu wohnen wäh rend der drei Tage ihrer Anwesen heit, hatte sie auf ihres Sohnes Bit ten abgelehnt. Die beiden Mütter tonnten es gar nicht begreisen, weZ- halb Thassilo forderte. Es wäre so natürlich gewesen, bei den neuen Verwandten abzusteigen. Aber Frau Marie Stürmer fugte sich so gern ihrem Sohn. Und nun sie hier war, sah sie es ja auch ein: Thassilo hatte so viel zu tun, daß er gar keine Zeit fand, nach Glanau zu kommen. Hin gegen im „Großherzog", wo sie Zim mer an Zimmer mit ihrem Jungen war, ergab sich doch manche trauliche halbe Stunde. Sogar gestern, wo Georg Altheer ein kleines Diner gege ben hatte, mußte Thassilo im letzten Augenblick absagen. In ihrem Her zen war sie Edlef ein wenig böse, weil er sich gerade jetzt verlobt hatte, dq dieser Umstand ihm doch Zeit raubte und ihren Thassilo nur noch mehr überbürdete. Aber sie wagte nicht, es sich merken zu lassen, nicht einmal ihrem Sohn gegenüber. Ich bin Irene ja so viel Dank schuldig! Das war ihr ständig wie derkehrender Gedanke, mit dem sie jede Kritik in ihrem Herzen nieder hielt, wenn sich einmal so etwas der gleichen rühren wollte. Da saß sie nun, mit ihrem blassen, von vielen Leidenszügen durchgeistig ten Gesicht, in ihrem schwarzen, mit dunklem Pelz ausgeschlagenen Man tel, auf dem grauen Haar einen Hut, der sie wie ein düsteres Diadem krön te. Sie sah nur ihren Sohn und beo bachtete immer nur ihn. Jetzt kam noch sehr eilig ein Heer durch die Menschengasse. Er war von mittelgroßer Gestalt, sehr wohlge baut, energisch in seinen Bewegungen. Sein Helles Hortes Gesicht, die merk würdigen Augen, die denen eines See adlers glichen, das glatte blonde Haar verrieten den N orweger. ' Es war Jrne Hjelmersen. Geschäf te hatten ihn noch in den letzten Tagen zu einer Reife in die Rheinprovinz gezwungen. Er war erst diesen Mor gen zurückgekehrt und hatte kaum Zeit gehabt, sich in den Frack zu wir ft». „Ich dachte schon, du kämest zu spät," sagte Thassilo, ihm die Hand drückend. zige Duzfreund Thassilos. Daß er jetzt auf eine Art fein Untergebener war, störte beide nicht im geringsten Sie schufen gemeinsam an einem nützlichen Werk. Die Form, die für dies gemeinsame Arbeiten durch die te Wackernagel ein ganz klares Ver ständnis für den Wert von Thassilo und eine genaue Erkenntnis von Edlef ihm Wackernagel sympathisch zu ma chen. Er drückte auch ihm die Hand. Zu- „Das ist ja Beate Altheer, Ihres „So, so," murmelte der Norweger. Er ließ den Blick nicht von Beate. Er meinte, so ein klassisches Frauen nun einmal wunderbarerweise das Gretchenkleid als Symbol deutscher Mädchensittsamkeit gilt. Weiß der Teufel, dachte Wackerna wie der Hjelmersen wieder baff ist! Komisch! In Augenblicke schlug es Der blendende, weißgraue Himmel gab auch dem von einem leisen Ost schuppig bewegten Wasser blanke, weißliche Lichter. Der unruhige Glans stach in die Augen, daß es fast schmerzhaft war. tereinander am jenseitigen Ufer ent lang, ein« graugelbe, mißfarbene Reihe seltsamer Fahrzeuge. Aber am Bug aller leuchtete in schwarzen Farben groß: „St. >K St." nebst einer Zahl. Das waren Schuten mit noch leerem, weitbauchigem Leib. Da ragten, in die Lusj greifenden Galgenhölzern nicht unähnlich, die hohen Gerüst« d«r Rammaschinen aus t?n Schiffs' Planken empor. Un da lag, klotzig und groß, das Ungetüm eines Dampfbag gers. An der schiefen Ebene seines hohen Aufbaues krochen, Riesenwan zen gleich, die kupfernen, ein wenig flachgedrückten Baggereimer, mitei nander durch Ketten verbunden, em por. Und draußen inmitten der Bucht, wo jetzt die mäßig bewegte See kaum das kleine Eiland mit vibrierenden Wassern flimmernd überspülte, anker ten einige schwere, große Kähne, bela den mit klobigen Hölzern und Stei nen. Und auch dort reckte eine Ram maschine, die sich von dem bleichen, grellen Himmel in dunkler Silhouette scharf abhob, ihren Riesenarm in die Luft. Da! kleine Rad, mit welchem dieser oben endete, war ganz klar zu erkennen. Thassilo stand und sah den Fluß hinauf, hinaus aufs Meer. Freudige und auch stolze Gedan ken bewegten ihn. ' Alles hier wartete auf die Taten seiner Kraft. Plötzlich schollen volle, runde Töne, wirr durcheinander fallend, in unauf haltsamem Gedränge einer den ande ren überhallend, hell und dunkel, scharf und zitternd, lang und kurz durch die Lüfte. Von den Türmen der Kirchen tobten sie herunter in unge ordneter Klangfülle. Ueber die Dächer der Stadt wogten sie und wälzten sich prunkend und machtvoll über die Festversammlung und verschwebten fern, fern draußen auf dem Meer. Eine mächtige Gemütsbewegung er griff den Mann. Der feierliche Gruß der Freude, der dem Landesherrn galt, war ihm wie eine eherne Priesterstimme. Sie sprach zu ihm, zu ihm allein. Sie sprach ihm davon, daß er geseg net sei vor Tausenden. Nicht war es sein Los, die dunkle, stetige dumpfige Arbeit des Lasttieres zu leisten. Seine Arbeit war nicht die kleine Arbeit der Menschen in den Niederungen des Daseins: die bloße, brutale Jagd Mich dem täglichen Brot. Er war einer von denen, die ihren Mitbürgern und Zeitgenossen wegbah nend voranschreiten dürfen. Wenn er für sich arbeitete, arbeite te er zugleich für Taufende. Er war einer von den Aristokraten der Arbeit. Sie adelte ihn mit ungeheuren Ver- Er atmete tief auf und hob das Haupt. Sein Blick begegnete dem Jrne Hjelmersen«. Sie nickten sich un merklich zu. Brausende Jubelrufe ertönten. Die Equipage mit den rier Grauschimmeln fuhr im scharfen Trabe heran. Hüte wurden geschwenkt, Tücher flatterten. Malte von Holdin erhob sich bald, um sein Gespann genauer zu sehen. Er fühlte sich erleichtert. Sein Wilhelm fuhr tadellos vor. Er hatte das Viergespann famos in der Faust. Die Marstädter sahen mit Stolz auf Wackernagel, der eine viel größere lich!" hatte Waikernagel seine Mit da. Idee. Thassilo fühlte, daß er erbleicht«. Er sah ins Leer«. Er konnte, er wollte sie nicht se > „Wer ist daS?' flüsterte er. »Beate Alth.er, Herr wisperte Lebus. »Was, dem Glanauer seine Frau?" bus. verständlich hallte ihr schönes Organ über den Platz. Lebus wurde heiß und rot. Was Gott, hatte sich denn kein Mensch die zeigte sich später, daß offenbar nur er ganz allein so gefühlt hatte, denn alle Welt beglückwünschte ihn zu dem hübschen Gedicht und der großartigen Sprecherin, die es deklamiert hatte. Als Beate geendet hatte, und als Trägerin aus oer Hand nahm und es dem Großher-oge überreichte, ge schah etwas Außerordentliches: der hohe Herr küßte die sich tief Vernei gende väterlich auf die Stirn. Das Publikum brach in Jubel aus. Papa Altheer auf der Tribüne bekam nasse Augen. Malte von Holdin dach te: Hätt' ich auch gemacht... Der Rest der Feierlichkeit vollzog sich programmgemäß. Die ganze Gesellschaft tat nach dem Fürsten die Haminerfchläge auf den Grundstein. An Thassilo und Edlef richtete die Königliche Hoheit einige leutselige Worte. Daß Edlef der Verlobte der schönen Sprecherin sei, wußte die Ho heit schon, man hatte es ihr zugeflü stert. So hatte sie für Edlef ein Lä cheln und ein Wort mehr als für Thassilo. Nur eine Nuance. Aber bei de Männer fühlkrn sie, der eine mit Triumph, der andere mit Bitterkeit. Zum Schluß hielt der älteste Pastor der Stadt eine kurze, in ein Gebet ausklingende Rede. Dann noch ein aufbrausender, kraftvoller Männerge sang und dann ein Wagenrollen und ein Menschenströmen, wie man es in Mörstadt noch nicht erlebt hatte. Am Rathaus war schon wieder Wackernagel mit seinem Stab von Stadtverordneten, um den Landes herrn an der Treppe zu empfangen. Die Hesträume bestanden aus einem Saal und drei Zimmern im üblichen Charakter nie bewohnter Fürstenziin mer. mit wenigen Prunksesseln, ver blaßten seidenen Tapeten, Ahnenbil dern, die zu wenig künstlerischen Wert Kommodm mit und etlichen Pfeilertischen von farbigem Marmor unter altersblinden Spie sich'nur mühsam im schicklichen Kreis um den Landesherrn von ihm zurück hielt. Wackernagel mutzte es erleben, daß nicht nur Seine Königlich« Hoheit Beate Altheer zu einem auffallend langen Gespräch heranzog, sondern daß auch alle Herren des Gefolges sich saales, gerade vor einem schmalen Wandspiegel, auf dessen schon unkla rem Grund gemalte Schmetterlinge manchen Hirsch geschossen und man chen Trunk getan..." „Nee so was! Sie sind's doch: Malte von Holdin? rief Altheer. „Was heißt besinnen! Erst hab' ich Welt angucken. Ich hab-' mich auch zwei Winter in Berlin bei Hof sehen lassen. Bei uns ist ja nichts mehr I»«, seit die Großherzogin tot ist. Na un^ Nachbarschaft!" „Aber selbstredend! Und wissen Sie .Gewiß!" Uno nachher, als die Gesellschaft recht in einem wahren Freudenrausch alles zu besprechen, was sich ereignet stellen. " „Gnädiges Fräulein haben grvß- Bortrag! Das hätte Rosa Poppe selbst nicht schöner können!" hen?" Edlef trat herzu. Beate stellte sich mit dem anderen anzufreunden. Holdin war der feudalste Mann zehn Meilen in der Runde; Edl«f nahm sich vor, sein Intimus zu werd«n. Daß dieser Tag stine Braut so auf den Schild gehoben, ihre Schön- Triumph. Daß all dies Beate den Kopf ver drehen könnte, fürchtete er nicht. Sie sen ihn zurückhalten müssen, weil er fort wollte. Nun standen sie in einer Fenster nische und sahen in das festliche Ge wühl. » Wie häßlich ei! eigentlich war! „Das war eine Komödie heut, wie man sie selten sieht," sprach Jrne Hjelmersen leise. „Hast du's be merkt: Beate Altheer war die erst? Taktes, wie sie in den Bordergrund gezogen ward." Thassilo schwieg. „Warum hast du mir nichts da von erzählt, daß Edlefs Braut so pomphaft schön ist?" fragte Jrne Hjelmersen, „Was tonnte es dich interessieren!" Der Norweger verfolgte mit sei nem talten, scharfen Blick immer von Holdin begleitet, hinterher Edlef, durch die Menge sich einen Weg bahnte. Jrne Hjelmersen stand unbeweg lich, den Blick zu Boden geheftet, die kam. .Na nu, Hjelmersen! So in be deutende Gedanken versunken? Ich will Sie meiner Braut vorstellen, kommen Sie ....!" Ein jähes Gefühl des Unbehagens kam über ihn, als der Norweger ihn jovial zu verkehren. Mit ganz ver ändertem Ton, etwas sehr hochfah rend, stellte Edlef dann vor: «Jrne „Hat die Firma drei Teilhaber?" fragte Malte von Holdin. „O nein," bemerkte Edlef. „Ich bin von Herrn Thassilo Stür mer verpflichtet worden, den Bau des Leuchtturmes zu leiten," sagte Hjelmersen rasch. Hieraus schloß Beate, daß Hjel mersen nur die Stellung einer Art besseren Maurerpoliers habe, und begriff nicht, weshalb Edlef ihr „solche" Leute vorstellte. Sie be- Fragen tat, die von dem gutmütigen Wunsch eingegeben waren, Interesse zu zeigen. Beate drückte mahnend Edlefs Arm. Es langweilte sie ungemein, daß Holdin seine Aufmerksamkeit von scheidener Entfernung zu bewundern. Thassilo ging aus den festliche» Räumen geradeswegs in das Hotel seine Mutter ihn dort erwartete. Er hoffte inbrünstig, daß sie nicht beobachtet hatte, was schon auf dem In seiner Seele mischt« sich seltsam Bitterkeit mit stolzem Mut. Er Heißgeliebten! Wie viel Eitelkeit gehörte dazu, eS ruhig zu ertragen, daß so viel Mäa darin zu finden, sie derartig in die Oeffentlichkeit hinausgestellt zu se hen! Meiner Braut, dachte Thassilo. hätte ich das nicht gestattet. Wieder ergriff ihn der Wahn, daß Edlef ihre Seele verderbe, sie robu sonst nur der Mut und das GIW Er verbeugte sich mit einem so deutlich fragenden Blick, daß da» Mädchen errötete. „Aber lieber Junge kennst d» Fräulein von Güstrow nicht?" sagte Frau Stürmer und streichelte wie zur Entschuldigung oder wie zum Trost den Arm der neben ihr Ste henden. Sie selbst saß im Lehnstuhl am Fenster, vor sich ein Tischchen, auf dem ihre Kaffeetasse stand. gen, unvermeidlichen Besuch auf Glanau Fräulein Hedwig von Güst row kennen gelernt. Aber er hatt» es ganz vergessen. Ihre Person war so ganz spurlos an ihm vorüberge ihr hätte vorbeilaufen können, ohne sie zu grüßen. Daß dies wirklich schon zweimal geschehen war, ahnte er nicht. Sie fiel auch dem ober flächlichen Blick nicht im mindeste» auf. Ihr Gesicht, mit feinen, klugen Zil hatten «inen tiefen Ausdruck. Da» fast schwarze Haar trug sie kurz ver schnitten, und es war ein wenig schlanke Gestalt, die auch der Füll« gen. Nun wunderte sie sich. Di« Mutter wollte erzählt haben: waS der Großherzog gesagt, was ihr Sohn, was Edles geantwortet, wa» der hohe Herr mit Beate gesprochen. Mutter hätte mit ihm den Verbleib Frage zu ergründen. Schließlich verbreitete die Mutter sich über Beatens Aussehen. Sie hatte es wundervoll gesunde». (Fortsetzung folgt.)
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