Der liberale beobachter und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeine anzeiger. ([Reading, Pa.) 1839-1864, July 08, 1851, Image 1

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    Oer Liberale Beobachter,
Und Berks, Montgomery und Schuylkill Caunties allgemeiner Anzeiger.
Meadin g, Mnn. Gedruckt und herausgegeben von Zl rno l d Puwell e, in der Sttd 6ten Straße, zwischen der Franklin- und Chesnut. Straße.
Jahrg. 12, ganze Nnm. «I«.
Cin Brief aus Londvn.
Folgenden Brief eines jungen ~Grün
en" aus dem Uankee Lande, der zur gros
sen Ausstellung nach London gereist war,
Übersetzen wir, unsern Lesern zur Belu
stigung, aus Gleason's „Pictorial" :
London, 31. Mai, 1851.
Mein lieber Onkel Toby !
Wie in aller Welt soll ich'S nur an
fangen, Euch AlleS zu sagen, was ich ge
sehen, seit ich hier bin? Ich bin so voll
davon, daß ich die Hälfte nicht sagen
kann. Ich war erbärmlich seekrank auf
der Reise und konnte für keinen Dollar
werth essen, so lange ich an Bord des ver
wünschten Dampfboots war. Huh? es
macht mich krank und übelig wenn ich dar
an denke! Der Geruch der Maschine
rie, das Oel, und dann das Schütteln u.
Rütteln! El Onkel, habt ihr euch je zu
lange geschaukelt, und seid schwindlich ge
worden und habt gefühlt, als hättet ihr
all' eure Freunde velloren? well, gerade
so hab' ich die ganze Zeit gefühlt.
London ist ein erschrecklich großer Platz.
Boston, Neu-Uork und Philadelphia
sammengenommen, sind nichts dagegen,
obschon ein Kerl den Platz besser sehen
konnte, wenn etwas weniger Häuser da
wären. Ihr wißt, ich bin meistens nur
hierher gekommen, um die große Fair zu
sehen, aber das Gedränge war so groß,
daß ich bis jetzt noch nicht inwendig war.
Es ist ein mächtig großes Gebäude und
bedeckt etwa so viel Grund, als der Hogs
viller Berg, daS MeetinghauS die Ger
berei, Vaters Farm, der Kirchhof und
der Mühlteich mit einander. Ich bin
mehrmals schon auswendig um dasselbe
herumgegangen, aber ich warte, bis das
Gedränge vorüber ist damit ich auch was
sehen könne, wenn ich mal hinein komme.
Gegenwärtig braucht man s gar nicht
zu probieren !—denn, Herrgott, wie viele
Menschen gibt's doch in der Welt!
Aber, Onkel, ich hab' euch noch was
ganz appartig Schreckliches zu sagen, waö
noch dazu etwas Verdächtig klingt. Am
andern Tag stand ich im Hyde Park und
staunte die Wunderdinge an, als auf ein
mal ein Frauenzimmer mich am Arme
zupfte und sagte: „Sir, wollten Sie
wohl so gütig sein, diesen Bündel da für
mich zu halten, bis ich meinen Mann ge
funden ; er hat einen unrechten Weg ein
geschlagen und ich vermuthe, daß ich ihm
eine Strecke voraus gekommen bin/'
Nun, ihr wißt, Onkel, wenn ich's mit
Weibsleuteu zu thun habe, bin ich gerade
so weich wie Schmierseife, und sie war
wirklich ein wundernettes Ding. D rum
sagt' ich : „Ues, Mäm !" und nahm den
Bündel. Er war schwer und ich wun
derte mich nicht länger, daß sie ihn Je
manden zu halten gab, wenn sie laufen
wollte. Well, ich wartete und wartete,
aber sie kam nimmer und am Ende fing
der Bündel gar an, sich zu regen. Sap
perlot ! dacht' ich, das Ding ist lebendig!
„Well, ich wartete noch eine gute Wei
le länger, am ganzen Leibe zitternd, und
allgemach fing der Bündel an, zu schrei
en ! und gütiger Himmel, sagt' ich : S'ist
ein Bäby! Ich getraute mir vor'm Dun
kelwerden nicht von der Stelle zu gehen,
.und dann wußte ich nicht, was anzufan
gen. Ich wohnte bei einer Wittfrau in
Threadneedlestraße, und als ich das Bäby
heimbrachte, sagte sie, ich könne nicht da
bleiben, ich sei ein listiger Betrüger und
sollte mich vor mir selber schämen ; —und
wahrhaftig, ich fühlte schlecht genug da
zu ! Sie wollte von Allem, was ich sag
te, kein Wort glauben und sagte, sie wür
de mich aus dem Hause werfen, wenn ich
mit dem Bäby hereinkäme.
Ihr könnt euch meine Lage vorstellen;
da stand ich, mit dem Bähy in meinen Ar
men ! EH kostete mich zehn Schillinge an
Milch und Lebkuchen, um es nur stille zu
erhalten. Was nun zu machen? sagt'
ich zu mir selbst, —Nehemiah, du bist von
einer Londonerin angeführt und brauchst
dich länger nicht mehr deines Yankee Wit
zeö zu rühmen, wenn du nicht gleich da-
ran gehst und dir das Bäby vom Hal
ft schaffst, so schnell, wie du's bekomme-n
hast. —So ging ich am nächsten Morgen,
nachdem ich die ganze Nacht mit Füttern
und Schaukeln zugebracht, nach dem Par
ke, und ein schmuck aussehendes Mädchen
erblickend, sagte ich zu ihr: „Miß, ich
muß auf eine Minute in das Gebäude u.
wenn Sie das Kind so lange für mich hal
ten, gebe ich Ihnen einen Schilling!"
gebt mir daS Geld zuerst, —sagte sie.
„Ues!" sagt' ich, ihr den Schilling
chend. Jetzt, —sagte sie,—will ich nur
der Mutter sagen, daß ich hier eine Mi
nute warten muß ; ich bin gleich wieder da !
und damit lief sie um'S Eck herum — und
ich habe sie seitdem nicht wieder gesehen!
Nehemiah, — sagte ich zu mir,—du bist
ein Narr, grün von oben bis unten ! Du
bist noch nicht fitt, von zu Hause fortzu
gehen ! —Denkt euch nur einen jungen le
digen Mann, wildfremd in der großen
Stadt London, mir einem vier Monate
alten Bäby! Schrecklicher Gedanke! !
Ich nahm das Bäby nach einem Logier
hause und bezahlte eine Frau zu seiner
Abwartung im Voraus, und so steht die
Sache jetzt. Was auf Erden ich damit
weiter thun soll, weiß ich nicht. Es macht
mich innerlich krank, nur daran zudenken.
Die Frau sagt, ich sei verbunden, es groß
zu ziehen; nun denkt nur Onkel, ich soll
mit eines andern Mannes Kind Zahnen,
Masern, Blauhusten, Ausschlag und wie
die Dinger alle heißen, durchmachen! Ihr
sollt bald wieder hören von euerem getreu
en Neffen, Nehemiah Flufkins.
Nachschrif t. —Ich bin des Bäby'S
losgeworden. Wie, werde ich in einem
andern Briefe sagen, weil die Post eben
abgeht. sßuff. Telegraph
Die Rettung von Ch Craven
Gouvcrnör und torb P.Uatin von Carolina.
Im Jahre 1715 waren die Uemassee-
Indianer in ihrer ganzen Herrlichkeit.
Sie waren schlau und tapfer, ihre Macht
war anerkannt, und selbst bei den Euro
päern, die damals längs der Küste so
stark geworden waren, daß sie sich selbst
vertheidigen konnten, galten sie mehr als
Verbündete als für HülfStruppen. Bis
zu dieser Zeit waren sie noch nie von der
schlimmsten aller Bedrückungen belästigt
worden, von dem Bewußtsein, daß sie ei
ner Macht unterthänig waren, auf welche
sie jetzt eifersüchtig zu werden begannen.
Lord Craven, der Gouvernör und Pala
tin pon Carolina, hatte durch seine Siege
über die benachbarten Stämme und die
bewunderungswürdige Palitik, wodurch
seine Verwaltung sich auszeichnete, in
kurzer Zeit viel gethan, in den Gemüthern
der Uemassees dieses Gefühl des Arg
wohns hervorzurufen. Ihr Beistand war
den Carolinern entbehrlich geworden.
Geschenke nahmen ab, die Grenzbewohner
wurden kühner und eindringlicher und die
Gebieterweiterung, welche die Colonisten
täglich auf diese oder jene Weise zu Stan
de brachten, verdrängten ihre Jagdbezir
ke an das Wasser des Edistoh und Jsun
diga (unter diesem schönen Namen kennen
die Uemassees den Savannah-Fluß.) —
Endlich beschlossen die Uemassee Indianer
diesen Uebergriffen der Weißen ein Ziel
zu setzen und sandten Boten an die ver
schiedenen befreundeten Stämme, um die
selben zur Vernichtung der Bleichgesichter
einzuladen. Während diesen Vorberei
tungen machte der muthige Lord Craven
(gewöhnlich nur Capitän Harrison ge
nannt) oft Ausflüge in die Nähe der feind
lichen Stämme, um zu recognosciren, und
wurde einst dabei gefangen genommen
und nach deren Hauptstadt Pocota-ligo
gebracht.
Dort angelangt schleppte man ihn zum
Gefängniß—eine Art Blockhaus —eine
Hütte von Baumstämmen, wo man ihn
biß zum nächsten Morgen, der sein letzter
sein sollte, aufbewahren wollte.
Unter der Menge, welche dem Einzüge
des Gefangenen beiwohnte,. befand sich
auch Mativan, daß Weib deS Häuptlings
"Lvillig zu loben und ohne Furcht zu tadeln."
Dienstag den 8. Juli, I8S».
Sanntee. Dieselbe hatte erst vor Kur
zem ihren einzigen Sohn—Occones-toga
—verloren, der ein treuer Freund Harri'
sons war und mit dem sie sowie mit ih
rem erst kürzlich verstorbenen Vater den
Letzteren oft besucht hatte. Sie kannte
ihn trotz seiner Verkleidung—hätte ihr
Vater noch gelebt, auch er würde ihn er
kannt und gerettet haben ; sie hakte gehört
welches Schicksal nach der Rückkehr der
Krieger ihm bevorstand —sie blickte auf
die männliche Gestalt, die edlen Züge, die
freie furchtlose Haltung —sie dachte an
Occones toga —an des Engländers bleiche
Mutter—an ihre eigene Beraubung und
tausend andere Dinge, die sich natürlich
alle um denselben Gegenstand drehten;
und jemehr sie dachte, desto welcher wurde
ihr Herz, desto aufgeregter ihr Hirn, de
sto unaufhaltsamer ihr Geist.
Sie wendete sich hinweg, als man den
Gefangenen ins Gefängniß warf, mit
Angst im Herzen und einer wunderbaren
Unruhe in ihrem Kopfe. In dem na
hen Walde suchte sie Zuflucht und schweif
te hier gleichsam unbewußt unter den al
ten Bäumen herum. Doch sie konnte
sich keine Ruhe ergehen—eS verfolgte sie
der Gedanke, der sich vom Anfang an ihr
aufgedrungen. OcconeS-toga war es, der
ihr folgte und sie flehend ansah —und sie
dachte dann an die englische Mutter jen
seits der Seen. Er deutet in der Rich
tung nach Pocota-ligo und sie sah den ge
fangenen Harrison. Sie sah ihn im
Gefängniß, sie sah ihn auf dem Todten
hügel, von Flammen umringt, von hun
dert Pfeilen getroffen, sie sah das fallen
de Beil, das ihm den Gnadenstreich ver
setzte. Es waren dies furchtbare Bilder
und ihre Beschauung brachte Mativan's
Seele noch mehr in Aufregung. Sie
wurde stark und furchtlos mit der Ver
zweiflung, die sie brachte und durch den
Wald eilend, nahm sie ihren Weg wieder
ln das Herz von Pocota-ligo.
Die Scene hatte sich mittlerweile ver
ändert. Die Fackeln waren entweder aus
gebrannt oder lagen erlöschend am Boden.
Der Lärm war verstummt —das Volk da
von gegangen und Ruhe und Schlaf wa
ren wieder zu ihrer alten Herrschaft ge
langt. Sie ging allein durch die große
Straße der Stadt. Ein einzelner Hund
lief hinter ihr her und bellte zuweilen,
aber sie bruhigte ihn mit einem Schmei
chelwort, wovon sie fast selber nichts wuß
te. Es regten sich brennende Gefühle in
ihrer Brust —im Widerstreit mit ihrem
Verstand, im Widerstreit mit ihrer be
schränkten Pflicht gegen die Gesellschaft,
im Widerstreit mit ihrer eigene Sicherheit.
Doch was lag daran? Menschlichkeit ist
älter und heiliger in ihren Ansprüchen als
die Gesellschaft. Sie fühlte die eine und
vergaß den Gehorsam gegen die andere.
Mit vieler Mühe gelang eS ihr, einen
Freund ihres verstorbenen Vaters Na
mens Ehestatee, zur Mithülfe in der Aus
führung ihres Planes zu gewinnen.
Sie ging weiter und vor ihr lag das
Gefängniß des Engländers unter dem
Schutze einer patriarchalischen Eiche, dem
Wachsthum eines schweigsamen Jahrhun
derts, dicht an einem Abgrunde. Die
Thür war außerdem mit starken Stricken
verwahrt und von ein paar Kriegern be
wacht, von denen einer auf der Eiche saß,
während der andere unmittelbar davor
aus dem Rasen lag. Der Letztere schien
in festen Schlaf versunken, der andere
war wachend; aber auch dieser legte end
lich seinen Kopf in die aufgestützte Hand
während er mit der andern sein Beil er
griff und dann und wann damit in den
Stamm der Eiche hackte. Er war mehr
in Gedanken versunken als nachdenkend
und die launische Bewegung der Hand und
des Beiles verrieth den Mangel eines
Mittelpunkts in seinem Nachdenken. Dieß
war war günstig für Matiwan. Doch
gab es bis jetzt noch immer keine Mög
lichkeit, sich unbemerkt zu nähern, und
um einen Plan auszuführen, der ihr sel
ber noch nicht klar war, griff das edle,
furchtlose Weib zu einem jener scharfsin
nigen, schlauen Hülfsmittel, die der Wil
de so gut zu benutzen versteht und größ
tenteils der ihn umgebenden Natur ab
lauscht. Sie zog sich mit ihrem Beglei
ter etwas zurück, verbarg sich vorsichtig
in einem dichten Gebüsch und ging nun
bestimmter an die Ausführung ihres Pla
nes.
Indessen sah sich der noch wache Krie
ger nach seinem Gefährten um, der unter
ihm in tiefem Schlafe lag. Der Veteran
war dem Einfluß von Ermüdung erlegen
und der Wachende fühlte, wie allmälig
jener Einfluß auch ihn beschlich, obgleich
nicht in jenem Grade und nicht so schnell.
Doch als er sich umschaute und die rings
umher herrschende Ruhe gewahrte, als
sein Ohr nur mit Mühe die schläferige
Bewegung des Zephyrs in den Zweigen
über sich vernahm, als wäre auch dieser in
Schlaf gefallen, wurde er allmäliL immer
mehr schläferiger. Die Natur ist mit
Sympathien angefüllt und der unerkrank
te Sinn wird in jeder Stunde und in je
der Lage Verwandtes finden.
Plötzlich klang auS dem nahen Hain
das schwache Zirpen eines einsamen Heim
chens an sein Ohr. Er beantwortete es,
denn er verstand sich auf solche Nachahm
ungskunst und von einem zufälligen To
ne ging eS dann in ein fortdauerndes takt
mäßiges Zirpen über. Der Indianer gab
auch hierauf seine Antwort und lauschte
dann, als hätte eine Erwiederung erwar
tet. Aber das Zirpen erstarb in einem
leisen kaum hörbaren Tönchen. Ihm
folgte nach einer Weile der schwache Ton
eines Spottvogels, ein plötzlich abgebro
chener Laut, als hätte ihn der Sänger
bei einem plötzlichen Erwachen oder in ei
nem unruhigen Traume ausgestoßen. Es
war ein Ton sanft und süß wie der Hauch
einer Blume. Dann zirpte das Heim
chen wieder—eine abgebrochene launische
Weise, bald in der Nähe bald wieder fer
ner. Nun ein schwirrendes Summen,
als wäre plötzlich ein Bienenschwarm aus
der Höhlung eines nahen Baumes aufge
brochen —und dann das deutliche Picken
deS Spechts—eins—zwei—drei. Hier
auf war Alles wieder ruhig—und endlich
sing das Heimchen wieder an, gerade, als
ein träges Säuseln des Windes in den
Zweigen es wieder aus seiner Betäubung
zu wecken schien.
Allmälig hatten diese natürlichen Tö
ne den Wächter in Schlummer gesummt.
Eine kurze Weile waren seine Augen noch
halb geöffnet und sie stierten auf den Wald
oder auf die erlöschende Flamme der um
herliegenden Fackeln und dann auf seinen
schlafenden Gefährten. Die Bäume tanz
ten endlich auS seinem Gesichtskreis —die
Wolken legten sich dicht auf sein Gesicht
und bald saß er, fest schlafend, auf der
Eiche.
Sobald der Krieger in Schlaf gesunken
war, verstummte auch das Heimchen und
die Biene, der Spottvogel und der Specht,
und einige Augenblicke später erschienen
alle zusammen in der Person Matiwan's,
die vorsichtig mit Ehestatee aus dem Ge
büsche trat. Eben sie nur war es gewe
sen, welche des Kriegers Seele durch jene
dem Geist des Ortes so wunderbar ange
paßte Vereinigung allmälig in Schlaf ge
zaubert hatte. Mit dem Scharfsinn, der
bei den Indianern Instinkt ist, hatte sie
einen nach dem andern jener verschiedenen
Töne nachgeahmt, die mit feinem Gefühl
geordnet, die Sinne des Gefangenwärters
erst gewonnen, dann besänftigt, erschlafft
und endlich eingeschlummert hatten. Es
war das richtigste Urtheil, wovon sie in
der Anwendung ihrer verschiedenen Kün
ste geleitet wurde. Einer gänzlichen Be- >
wußtlosigkeit muß jederzeit eine allmälig
zunehmende Ruhe des Gemüths und Er
mattung des Körpers vorangehen, die
nicht ausbleibt, haben wir nur die Schutz
wächter der thierischen Natur erst einge
lullt, und der Indianer bedient sich'solcher
Kunst zu gleichem Zwecke sehr häufig auch
bei Krankheiten und geistiger Aufregung.
Laufende Nummer ÄS.
Die Kenntniß von der Macht sanfter und
süßer Töne über das irre, wie die Hebrä
er es nannten, vom Teufel besessene Ge
müth, war nicht bloß auf dieses Volk al
lein oder auf die melodischen Heilmittel sei
nes David beschränkt; der Indianer übt
sie mit noch größerem Einfluß, wenn er
mit einem einzigen Tone es vermag, daß
die Schlange sich aufwindet und harmlos
hinweg kriecht von der Brust ihres Opfers.
Matiwan verrieth durch die Vorsicht,
womit sie aus ihrem Vel steck trat, daß sie
jetzt zu einem festern Entschlüsse gekom
men war. Sie näherte sich in dem trü
ben, flackernden Lichte der auf dem Boden
liegenden erlöschenden Fackeln, und war
nur noch einige Schritte von den Wäch
tern entfernt, als einer von ihnen eine un
ruhige Bewegung machte, und in derße
sorgniß, daß er erwacht sei, sank sie au
genblicklich, still und geräuschlos wie ein
Schatten in ihren Versteckort zurück.
Doch er schlief noch. Ehestatee kroch nun
an den Stamm der Eiche, an welchen er
sich so dicht schmiegte, daß er von demsel
ben kaum zu unterscheiden war, während
sich Matiwan wieder näherte.
In diesem Augenblick erlosch die letzte
brennende Fackel, so daß nun das Ster
nenlicht ihr einziger Führer war. Aber
dieses Licht war nicht hinreichend, da daö
Gefängniß unter den dichten Zweigen ei
nes Baumes lag, und Matiwan's Fort
schreiten wurde schwieriger. Einem star
ken Herzen jedoch bringen größere Schwie
rigkeiten auch größere Entschlossenheit.
Die Indianerin ging weiter und indem
sie vorsichtig ihre Füße setzte, um nicht die
Glieder des schlafenden Wächters zu be
rühren, erreichte sie endlich die Gefäng
nißthür. Ein Messer, das sie von ihrer
Seite nahm, zerschnitt die Stränge und
im nächsten Augenblick stand sie in der
Mitte des Gemaches vor dem Gefange
nen.
Er lag der Länge nach, aber ohne zu
schlafen, auf dem dumpfigen Boden seines
Kerkers und sah in seiner Seele verzweif
lungsvoll die tausend Schrecken, womit
wahrscheinlich in eben diesem Augenblicke
die Grausamkeit der Wilden sein Theuer
stes und das ganze Volk bedrohte, für
das er mit Freuden sein Leben geopfert
hätte. Er sah die Flammen der Verwü
stung, er hörte daß Geschrei der Verzweif
lung und vor seinen Augen strömte ra
cheschreiend das Blut seiner Landsleute.
Wie viele Adern, und darunter dit theu
ersten, mochten nicht entleert sein, um die
se Ströme anzuschwellen? Der Gedan
ke war entsetzlich, das Bild zu furchtbar
für die Beschauung seines Geistes, der
furchtlos und fest, aber auch sanft und lie
bevoll war. Der Gefangene bedeckte sei
ne Augen mit den Händen, als hätte er
seinem leiblichen Gesichte entrücken wol
len, was nur vor seinem geistigen stand.
Da erweckte ihn ein Windstoß und er
erblickte die dunkle Gestalt der für sein
verdüstertes und verworrenes Auge uner
kennbaren Indianerin. Aber ihre Stim
me berührte seine Sinne so schmeichelnd
und besänftigend, wie das Gemurmel des
Wassers im Schilfe. Selber halb träu
mend—denn was sie that, geschah mehr
aus innerem Drange als aus Vorbedacht
—bewies sie durch das einzige, 'so leis u.
doch so deutlich ausgesprochene Wort, wo
mit sie den Gefangenen aus seinem schwer--
müthigen Nachdenken weckte und zuerst
ihre Anwesenheit verkündigte, die charkteri
stische Richtung ihres eigenen mütterli
chen Gemüths.
„Occones-toga!«'
„Wer spricht?" war Harrisons Ant
wort, indem er emporsprang und eine ver
theidigende Stellung annahm, denn er
dachte jetzt in Bezug auf die Uemassees
an nichts anderes als Kampf. „Wer
spricht?"
„Ha!" und in diesem AuSrufe erken
nen wir, daß Matiwan zum Bewußtsein
erwachte und sich besann, es sei nicht Occo
nestoga, sondern der Sohn einer andern
Mutter, der vor ihr stand.