Das Hennendiandl. Lustig« Geschichte von R. Grciiiz. Die dummen Geschichten, die einem selber passiert sind, erzählt man re gelmäßig am unliebsten. Zur heilsa men Buße für unterschiedliche Sün den muß ich mein Abenteuer mit dem Hennendiandl aber doch einmal aus kramen. Es ist schon ziemlich lange her. Ich war damals in der höchsten Blütezeit der holdesten Jugendeselei. Es war in den Ferien nach meiner Gymna sialmatura. Ich genoß meine frisch erworbene Freiheit mit vollen Zügen in Gestalt einer Sommerfrische im Brandenberger Tal. Von Rattenberg im Unterinntal aus wanderte ich an einem Julitage mit dem Schneifel (Rucksack) am Rücken über das uralte romantische Bergeinsamkeit von Brandenberg. Durch rauschenden Buchenwald ent lang der Brandenberger Ache, deren spiegelklares Wasser einen ganz ei genartigen Perlmutterglanz hat. Böl- Die Welt ist eng begrenzt da droben. Um so leichter vergißt man auf die Welt draußen. Aschau hat ein einziges kleines Wirtshäusl. Ein richtiges Bauern wirtshäusl, in dem es wohl einen guten Tropfen Wein, aber in der Kost wenig Abwechslung gibt. Speck knödel, Schmarrn, Geselchtes, mit Kraut, Topsenbauzen (Mehlspeise aus Topfen) oder Erdäpfelnudel, das macht so ziemlich die ganze Speis karte aus. Höchstens einmal ein fri sches Schweinernes, wenn gerade ein Bauer schlachtet. An Werktagen war es recht ein sam in dem Wirtshäusl. Kaum daß sich hie und da ein Geist dahin ver irrte. An Sonn- und Feiertagen ging es aber sehr lebhaft zu. Da kamen die Bauern und Knechte und huldigten dem Vergnügen des Ke —gelscheibens. Es war eine präch tige Kegelbahn beim Wirt, aus der oft hitzige Schlachten ausgefochten wurden. Schon am ersten Sonntag meiner Sommerfrische in Aschau hatte ich den Kranzelfcheiber Lex kennen ge lernt, der alsbald mein besonderer Alexius und war Knecht beim Kirchebner, einem größern Bau ern in Aschau. Der Lex war der beste Kegler in der ganzen Gegend. Daher auch sein Name Kranzelfchei ber Lex. Er weihte mich in die höheren Ge heimnisse des Kegelscheibens ein. Wie man eine sogenannte „Prälaten wurst" scheibt, d. h. auf einen einzi gen Wurf die drei mittleren Kegel mitsamt dem König zu Fall bringt. Dann die schwierigere Technik der Kranzeln. Da gilt es, auf drei Würfe sämtliche Kegel mit Ausnahme des Königs in der Mitte zu fällen. Und endlich das Ideal jedes Keglers: das Naturkranzel. Das ist das oben er wähnte Kränze! auf einen einzigen Wurf. Die Naturkranzeln sind übri gens so selten, daß sie mit Jahr und Datum an den Balken der Kegelbahn angekreidet werden. In der freien Zeit die mir das Kegelscheiben und das Herumstrapan zen in der Gegend ließ, hatte ich mich schauderhaft verliebt. Der Gegen stand meiner Verehrung war ein jun lustigen Augen und einem herzigen G'sichtel. Das Bronele beim Gschmentnerbauern. Der Gschwentner war der reichste Bauer in Aschau. Sein Gehöft konn te wahrhaft stattlich genannt werden. Ein breit und massig hingebautes Bauernhaus mit großem Stall, Heu stadel und Tennnen und mit einem ausgedehnten grünen Anger. Die Gschwentnerbäuerin hatte eine geradezu leidenschaftliche Vorliebe für Geflügelzucht. Das größte Kontin gent stellten natürlich die Hennen. Es waren aber auch ziemlich viele Enten und Gänse auf dem Hose vorhanden. Sogar ein welscher Truthahn stolzier te in dem Anger umher. Für die Hennen hatte der Bauer «inen eigenen Stall errichtet. Ein kleiner Teil des Tennen war zum Hennenstall umgebaut worden, zu dem vom Erdboden aus ein schmales Stiegerl hinaufführte. Für die Hennen und das übrige Geflügel hatte sich die Bäuerin eine eigene Dirn angestellt, die in Aschau allgemein nur das Hennendiandl hieß. Natürlich hatt« meine Angebetete davon keine Ahnung. Ueber eiu paar schüchterne Versuche, mit ihr ein Gespräch anzuknüplen, war ich nicht Hennen. Bei diesem Thema blieb ich unrettbar kleben und suchte vergebens den nötigen Uebergang zu einer Er öffnung meiner Gefühle. In dieser verzwickten Lage kam mir der Kranzelfcheiber Lex zu Hil fe, den ich in mein Geheimnis ein weihte. Er hatte mir mit entschieden großer Aufmerksamkeit schweigend zu gehört, lachte unter meiner Erzählung mehrmals verschmitzt und tat schließ lich die schmeichelhafte Aeußerung: „Weißt was, du bist a dalketer Teufl! Oes Stadtlinger habt's halt alle an Leibschaden im Hirn! Dö G'schicht' mit 'm Hennendiandl hast ja ganz verdraht ang'sangt! Da muaßt zum Vronele sensterln geh'n, wenn d' wissen willst, wia d' dran bist!" Als ich ihm erklärte, daß ich so was doch nicht recht wagen würde, fuhr mich der Lex an: „Laß dich nit auslachen, du Trauminit! Wenn du dein Herz in der Hosen hast statt am richtigen Fleck, nacher wirst nia was ausrichten bei an saubern Diandl! Uebrigens, weil's du bist, will i 's erste Mal mit dir geh'n und dir 's Loaterl halten!" Ich war überglücklich, daß sich der Lex so echt freundschaftlich meiner annahm, und befand mich drei Tage lang in großer Aufregung und in spannender Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Denn so lang dauert« es noch, bis der Fensterlgang ! t'i'gitreten wurde. j Es müsse eine stockfinstre Nacht sein, hatte der Lex gesagt. Da jetzt Neumond eintrete, hätte ich gerade die günstigste Zeit erwischt. In zwischen hatte mir der Lex auch ge steckt, daß mich, soweit er sich aus kennne, das Vronele gar nicht so un gern sehe. Stockfinstre Nacht war's, als ich mit dem Lex den Weg zum Gfchwentnerhof hinauftappte. Schwe re Wolken zogen am Himmel. Ein« schwüle Sommernacht. Ich stolperte neben dem Lex dahin, der eine kleine Leiter trug. Endlich kamen wir an den Anger zaun des Gschwentner. Ein Gatterl knarrte. Es ging über weichen Rasen dahin. Das Gehöft war nur in ganz verschwommenen Umrissen gegen den dunklen Nachthimmel zu erkennen. Kein Lüfterl regte sich. Ein paarmal wäre ich bei einem Haar mit dem Anger gerannt. Jetzt schienen wir zur Stelle zu sein. Wenigstens machte der Lex Halt und lehnte die Leiter gegen die Mauer. Mein Herz klopfte hör bar. „Da is 's Kammerfensterl vom Vronele!" flüsterte der Lex. „Jatz pass' auf, damit 's nächste Mal 's Fensterln selber kannst!" Der Lex tat mit der Zunge «in paar Schnaggler, daß wie Oder is dös dei Fensterl nit? im nächsten Augenblick flink wie ein „Oacherl" (Eichhörnchen) die Leiter sprossen empor. Ich hörte, wie er mehrmals klopfte. hörte ich den Lex sagen: „Mir scheint, 's Vronele rührt sich schon!" etwas in den Angeln drehte. Gleich zeitig kletterte der Lex die Leiter wie der her'inter. „Sie hat 's Fensterl aufg'macht!" flüsterte er. „Schleun' (eile) dich, steig' ein!" Er schob mich gewaltsam zur Lei ter und schob noch hinter mir nach, nach oben klettern mußte. „Steig' ein!" hörte ich den Lex, der hinter mir auf der Leiter stand. Ich tastete um mich und griff eine Art Fensterbalken. Eine warme dun stige Luft schlug mir entgegen. „Steig' ein!" hörte ich noch den Lex sagen. Dann schob er mich durch die Oefftiung im Gebälk durch. Ich purzelte nach vorn ins Dunkle. Noch ein kräftiger Schub des Lex, und ich war drinnen. Hinter mir hcrte ich es zuschlagen und einen Rie gel vorschieben. Das war das Werk weniger Ce ti nden. Ich tastete um mich und griff mit den Händen in lauter Stroh. Dann richtete ich mich auf und stieß mir den Kopf derart an den Ueberboden des Raumes, in > sank. Gl?ich darauf ging rings um mich herum ein Heidenspektakel los. Ein Springen und Flattern und aufge regtes Gackern, daß ich vorläufig ganz betäubt war. Ich kam jedoch rasch genug zu der Erkenntnis, daß ich mich nirgends anderswo befand, als im Hennenstall. Das in seiner Nachtruhe g«stört« und durch meinen plötzlichen Einbruch ganz entsetzte gen die feste Baltenwand. „Lex!" rief ich, „Lex! I bin im Hennenstall. Wir haben 's Fensterl verfehlt! Mach' auf. Lex!" Keine Antwort erfolgte. Ich glaub te jedoch ein unterdrücktes Lachen von draußen zu hören. „Aufmachen, Lex! Hast g'hört!" trommelte ich weiter. Keine Erhö- Biertelstunde. takel im Hennenstall nichts hörte da für fand ich esst später die Erklä rung. Der Tennen lag weit nach rück- Lex statt durch Vroneles Fensterl mir selber. Durch die Ritzen im Holzbau des Hennenstalles brachen die Strahlen wurde zurückgeschoben. Das Tiirl tat sich auf. Der helle Morgen schien herein. lockte die Hennen. . .„Bull. . .Bull. .. Bull. . . .Bulliii. . ." das Geflügel Zuletzt das lachende Gesicht Ich sprang in meiner Ecke empor, stieß mir den Schädel noch einmal damisch an, kroch durch das Tllrl an dem Vrvnele vorüber ins Freie, setzte wie gehetzt mit ein paar Sprüngen über das Hennenstiegel hinunter beim Gatterl und weit weg vom Gschwent nerhof. Das Hennendiandl aber hörte ich hinter mie drein lachen, daß es völlig erstickte. Hennendiandl, habe ich mich in mei nem ganzen Leben nie. Noch am gleichen Tag packte ich meinen „Schnerfer" und wanderte talaus wärts, um das Zelt meiner Sommer frische in einer anderen Gegen aufzu schlagen. Der Kranzenscheiber Lex aber könnte ich heute noch bei leben digem Leib braten. Gesehen habe ich den Lex nicht mehr. Von der Wirtin in Aschau er fuhr ich jedoch vor meinem Abschied durch vorsichtiges Herumfragen, daß der Lex schon seit mehr als einem Jahr der Schatz des Vornele war. Aller Voraussicht nach ist es in je ner Nacht, während ich im Hennenstall dunstete. selber bei«, Hennen diandl sensterln gegangen und hat sich recht ausgiebig über mich lustig ge macht. Vielleicht hat der Kranzelfcheiber Lex im Laufe der Begebenheiten das Hennendiandl geheiratet. Vielleicht auch nicht. In jedem Fall soll ihn der Teufel holen! Wie Dickens dichtete. Eine Enkelin von Charles Dickens erzählt im Pall Mall Magazine vo» der Art, in lvelcher der berühmte Erzähler seine Romane zu schreiben pflegte. Solange er mit einem Bu che beschäftigt war, befand er sich in einer äußerst gereizten Stimmung. Er vertrug es nicht, daß man vo» seinen Arbeiten sprach, und wies auch die nächsten Angehörigen zu rück, die ihn über seine Entwürse ausfragen wollten. Das Schicksal seiner neuen Geschöpfe betrachtete er gewissermaßen als sein persönliches Geheimnis, von dem er twn Schleier vollendet gebliebenen Geschichte oes Dichters, etwas erfahren hat. Die diskutieren heute eisrig Uurten. Bon Emil Marriot. Ein Brief aus Berlin! Von der lieben, guten Hertha. Agnes küßte das Schreiben, bevor sie es erbrach. Sie hatte bei den liebenswürdigen Berliner Verwandten so selige Tage verlebt! Das große Erlebnis des letzten Jahres, diese zwei Wintermo nate in Berlin. So viel Abwechs lung und Unterhaltung. So viele neue Menschen, denen sie begegnet war. Alles so anders als hier in Wien: so unendlich viel freier, grö ßer, eleganter, lebhafter. Hier, al lein mit der guten Tante Emma, einem allen Fräulein, das an der Doppelwaise Mutterstelle vertrat, schlief man ja sozusagen ein! Und durste nicht merken lassen, daß man's empfand. Nicht sagen, daß man Heimweh nach Berlin hatte, daß ei nein dort viel wohler zumute gewe sen war, als hier. Das hätte Tante Emma furchtbar übelgenommen. Aber darum war es doch da, das HHn weh, auch wenn man es noch so sorg sam verschwieg. Und es war nicht einmal das einzige, wovon die Tante nichts wissen durste.... Agnes öffnete das Schreiben ihrer Cousine Hertha, begann es zu lesen, riß plötzlich die Augen auf, so sie tonnte, und wurde totenblaß.... Was stand denn da, du mein Gott!? „Denke Dir, liebste Agnes: Pro fessor Bohling reist morgen zum Na tursorscherkongreß nach Wien ab und bleibt während des Kongresses da: also drei Tage. Eben war er bei uns und hat es uns gesagt. Ich habe ihm auf die Seele gebunden, Dich ja gewiß und sicher zu besuchen, und habe ihm Deine Adresse ausge schrieben. Er wird ohne Zweifel zu Dir kommen, und ich teile es Dir mit, damit Du an diesen Tagen zu Hause bleibst. Vielleicht willst Du ihn übrigens für einen bestimmten Tag einladen? Du kannst ihm ins Hotel schreiben, wenn Du magst." Agnes ließ den Brief in die Ta sche gleiten und begann erregt im Zimmer auf- und abzugehen. Ihr Herz schlug zum Zerspringen. „Morgen reist er ab." Der Brief war vorgestern abend geschrieben worden. „Er" war also wohl schon da, war schon in Wien. Der Kon greß nahm morgen seinen Anfang. Ihm ins Hotel schreiben? Ja, wenn sie Mut hätte. So viel Mut wie Hertha. Aber den hatte sie lei der nicht. Und vielleicht kam er auch ohne das. Aus freiem Antrieb. Er war ja so nett zu ihr gewesen in Berlin, hatte sie vor allen andern Damen ausgezeichnet. Alle hatten es bemerkt und beredet. Sie bildete es sich gewiß nicht bloß ein! Und beim Abschied war er bewegt gewe sen, hatte von Wiedersehen gespro- Vielleicht nahm er gar nur des halb am Kongreß teil, um nach Wien zu kommen und sie wiederzusehen. Wer weiß! Warum sollte er ihre Empfindung nicht erwidern? Der Tante mochte sie nichts von dem sagen, was für die nächsten Tage bevorstand. Sie hatte ihr wenig von ihm erzählt. Wozu auch? Und wenn er kam, würde Tante Emma ja alles sehen.... Wenn er kam!! So märchenhaft fuß klang's. Fast zu süß, um wahr sein zu können. Am nächsten Tag war sie sriiher als gewöhnlich aus dem Bett heraus. blaß und übernächtig aus. Tante Emma wunderte sich: so ordnungs liebend war Agnes niemals noch ge im Speisezimmer ab, rückte alles zu recht, lies fort und brachte Blumen nach Haus, mit denen sie alle vor handenen Vasen siillte. Und dann machte sie sich schon am Vormittag schön, als wenn man Gäste zu Tisch „Was hast du denn?" fragte die Tante halb mißbilligend. „Man zieht doch nicht sein bestes Kleid an, wenn man zu Haus bleibt und niemand kommen soll!" „Das macht doch nichts," entgeg nete Agnes ein bißchen gereizt. „Man kann ja wohl auch einmal für sich selbst erträglich aussehen wollen, nicht wahr?" Am Nachmittag schlug die Tante einen Ausgang vor. Einen Besuch,! statten wollte. Agnes sollte sie be gleiten. Das junge Mädchen sagte nein da zu. Sie habe Kopfweh und wolle sich lieber ein bißchen hinlegen. Und Während dieser drei Stunden war tete Agnes unablässig. So wie sie einen Wagen auf der Straße rollen hörte, stürzte sie ans Feuster. Doch kein einziger hielt am Tor ihres Hau ses. Alle kamen näher, näher, roll ten vorüber, und das Geklapper der Hufe, das Geräusch der Räder ver „Weiin nur niemand sonst kommt!" dachte Agnes mit Herzklop-, fen. Niemand kam. Das Abend- Blatt wurde gebracht. Dann ein gleichgültiger Brief. Dann irgend etwas fürs Haus. Das Dienstmäd chen kam nach dem Klingeln jedesmal in den Salon, wo Agnes, scheinbar mit einem Buch beschäftigt, erwar tungsvoll lauschend saß,- händigte ihr das Abendblatt, den belanglosen Brief ein und ging gleichmütig wie der hinaus .... und Agnes starrte die Zeitung, den Brief wie geistes abwesend an. Wie ihr das Herz pochte bei jedem Klingeln draujzen! Und dann das qualvolle Horchen und Warten: was ist's? Wer ist's? Bis das Mädchen eintrat und ihre Hoff nung zerstörte. Und der Zeiger der Wanduhr rückte unbarmherzig vor, die Zeit verging.... Um acht Uhr klingelte es wieder. Agnes schreckte empor, als wenn ihr ein Schlag aufs Herz versetzt worden wäre. Vielleicht jetzt. Er hat nicht früher abkommen können. Und will den Tag nicht verstreichen lassen, ohne sie zu begrüßen. Draußen wurde geöffnet und ge- Agnes setzte sich still wieder an den Tisch und tat, als wenn sie läse. Ach ja, die Tante. Die hatte sie ganz und gar vergessen gehabt.... Nun kam das Abendbrot wie eben alle Tage. Und Tante Emma er zählte, wie nett es bei Frau Fröben gewesen, und daß deren Tochter Elise sehr bedauert hätte, vaß Agnes nicht Tante hinzu. Agnes fuhr aus ihrer Teilnahm losigkeit aus. .Wer?" fragte sie ver wirrt. „Elise? Mein Gott! Wes halb denn?" Die Tante sah sie erstaunt an. „Weshalb? Weil sie dich sehen will, „Aber es paßt mir morgen nicht!" stieß Agnes heraus. »Ich habe schon etwas vor!" „Was denn?" sagte sie am Ende. „Aber Elise Sache ein Ende zu machen. Er mußte ja nicht gerade zur selben Stunde er scheinen. Vielleicht kam er schon am blieb entsetzlich lange und war sehr gesprächig. Agnes verhielt sich äu ßerst schweigsam, hörte zerstreut zu und lauschte beständig angestrengt je ihr drang. Abermals wurde wieder holt geklingelt. Wieder kam das Abendblatt. Dann eine all« Dame, die mit der Tante etwas zu bespre chen hatte. Dann eine Postkarte. Und wieder rückte der Zeiger der Uhr Acht Uhr. Elise brach endlich auf. Und als sie fort war, fetzte man sich zum Abendbrot an den Tisch wie ge stern, wie alle Tage. Um neun Uhr klingelte es noch ein mal. Agnes zuckte zusammen. Viel leicht doch noch eine BotMast von ihm. Zu einem Besuch war es zu spät geworden. Es war keine Botschaft von ihm. Ein Schusterjunge hatte ein Paar reparierte Stiesel für die Tante abge liefert. Also auch der zweite Tag verloren. Und er blieb nur drei Tage. Mor gen war der letzte Tag.... „Ich hätte ihn wohl doch einladen, ihn bitten sollen, mich zu besuchen. Das wär« höflicher gewesen. Aber ich bin immer so: zur unrechten Zeit zurückhaltend und ängstlich. Und damit versäume und verderbe ich mir alles." Doch noch war es nicht zu spät. Es hieß, ihm aus der Stelle schrei- mit der ersten Post. Eilig setzte sie sich hin und schrieb. Dann schickte sie das Mädchen mit dem Brief fort. Und dann kroch sie abgespannt und müde in ihr Bett. Ohne viel Hoffnung stand sie wie der auf. Es gewährte ihr ein« Art Erleichterung, als die Tante ihr sagte, daß sie heute nachmittag einer Sitzung beizuwohnen hätte. „Ich werde allein sein," dachte sie. „Das ist besser. Man trägt es leich- Halte sich betrogen, hatte «in bißchen Galanterie und Wohlgefallen nach ihren geheimen Wünschen gedeutet und sich mit törichten Hoffnungen getragen. Er hatte keine Liebe für sie. Und dennoch wer weiß! Es konnte ja noch Liebe werden. Nur ihn wiedersehen. Allein sein mit ihm, allerhand ihm sag«n. Gefallen wollte sie ihm. Es konnte ja noch anders, konnte noch viel, viel besser werden. Nur kommen, kommen sollte er zu ihr! Daß ihre Sehnsucht ihn nicht Herzog! Wenn man so heiß, so qualvoll heiß ersehnt und erwartet wurde! Daß man's nicht suhlte! Es war ihr unfaßbar.... Sie warf einen scheuen Blick nach der Wanduhr. Um Gottes willen, schon sechs Uhr. WFnn die Zeit nur still stünde. Es war ein Feiertag heute. Und so kam weder die Abendzeitung, noch wurde ein Brief gebracht. Die Klin gel schrillte kein einziges Mal. In der Küche saß die Magd und nähte. So still war's im Haus und auf de« Straße. Alles ausgeflogen, aufs Land oder sonst wohin. Jeder wollte sein Feiertagsvergniigen haben, wenn er konnte. Es war ein wunderschö ner Frühlingstag. Um sieben Uhr rollte ein Wagen über das Straßenpslaster, kam nä her, hielt am Tor. Agnes stürzte zum Fenster hin und beugte sich hin aus, so weit sie es tun konnte. Ein Herr und eine Dame waren ausgestiegen. Fremde Leute. Der Kutscher warf den Schlag zu und fuhr davon. Da brach das junge Mädchen in ein lautes, verzweifeltes Weinen aus. Gegen neun Uhr kam die Tante nach Haufe. „Wo stickst du denn?" fragte sie „Hier," antwortete eine müde, wie tonlose Stimme aus dexi völlig dunklen Salon, und etwas auf dem Sofa regte sich schwerfällig und müh selig. „Warum hockst du da im Fin stern? Und der Tisch ist auch noch nicht gedeckt. Die Minna denkt an nichts, und du kümmerst dich auch um nichts. Mach fix. Ich bin sehr hungrig." Als der Schein der Lampe im Speisezimmer aus das Gesicht des jungen Mädchens siel, fuhr ihre Tante erschrocken zurück. „UmS Himmels willen, Kind, wie siehst du denn aus? Hast du geweint? Oder bist du krank?" Sie schüttelte den Kops. »810 ß müde, Tante. Ich habe stundenlang gelesen. Und davon tun mir die Augen weh." Als sie einander wie jeden Abend vor dem Zubettgehen eine gute Nacht wünschten, sagte Agnes unvermittelt: „Wenn ich eine Höllenstrafe ersin nen müßte, wüßte ich, was ich wäh len würde: vergebliches Warten." „Wie lommst du bloß wieder dar auf?" entgegnete die Tante unzufrie denen Tons. . „Es fiel mir nur so ein," versetzte Agnes und sah von der Tante weg. „Wahrscheinlich, weil ich von Aehn iichem gelesen habe.... Gute Nacht. Tante." Der nächste Morgen brachte zwei Briefe: einen Stadtpostbrief und ein Schreiben aus Berlin. Der erste enthielt eine höfliche Entschuldigung: es sei ihm leider nicht möglich gewe sen, der liebenswürdigen Einladung Folge zu leisten, so gerj, er es auch gewollt hätte. Er habe bis zum letzten Augenblick gehofft, kommen zu können: zu seinem größten Bedauern umsonst. Der leidige Kongreß habe alle seine Zeit in genom men. Der Kongreß hatte täglich nur vier bis siink Stunden getagt. Das hatte herzliches Wort. Dann las sie den Brief aus Ber lin. „Ach, Liebste," schrieb ihr Her setzen. Schlag ihn Dir aus dem Kopf, das ist das einzige, was ich Dir noch raten kann ..." Langsam zerriß Agnes auch diesen Brief. Da war es freilich vergeblich gewesen, auf ihn zu warten. Da klärte sich so einfach, so selbstver ständlich .... und tat so entsetzlich weh....