Am Helena. (9. Fortsetzung^ iien Weibe alle Miseren des Lebens vergäße. „Lieber Hjelmersen, ich komme mit geige zu holen. Halbkreis saß sie auf Stühlen. Er übersah mit schnellem Blick alles. Lässig lehnte er gegen das untere Ende des Flügels. hatte. gleichsam aus den Saiten heraüs zupfend. Als sein forschender Blick über die Gesellschaft ging, traf er Thassilos eine Ueberrafchung wirkte auch das Zeitmaß zur Tonart. Fast alle Lie der gingen sehr schnell. Und ein Allegro in Moll wie drän das bewegliche Gesicht, über das jever Ausdruck: der des Spottes, der Lü sternheit, der Leidenschaft, hinspielte. Und sein belles Auge funkelte. Er Ein nervöser Schauer, wie sie noch nie dergleichen in ihrem Leben ge spürt, rann ihr durch den Körper. Aber es war eine seltsam angenehme Empfindung. Und sie vermochte den Blick nicht von dem Mann zu lassen. sich leicht. Alle sprachen burcheinander und auf ihn ein. Er sollte fortfahren. Was waren das gewesen? habe nicht genug Gemüt dazu. Thas silo schüttelte lächelnd den Kops diesen Einwand erfände Jrne frei. Gäste der Mittelpunkt der Bewon „Ja, er soll mehr singen, und auch' was Deutsches!" sprach Beate de stimmt. Sie begab sich an den Flii- Blick? Todfeindschaft schien darin indessen die Gesellschaft ihre Plätze und den kurz abgebrochenen Akkord grissen entwickelte. In einer Her rengesellschaft hatte Jrne einmal das denkbar! Aber dennoch erhob er sich, un willkürlich warnend. Was für ein böses Lächeln auf Jr nes Lippen stand. Aber da bemerkte er den Freund und nickte ihm wieder beruhigend zu. Art an: Wie des Mohnes rote Bliitc^ schalt den Sänger ungalant. Georg ein Cyniker sind Sie!" Utld für Ernst genommen, die aus deS Mannes Blick und Ton sprach. „Du hast dich unnötig geängstigt", was?" für ihre Gegenwart", antwortete Tassilo finster, „nicht die Worte aber deine Art —" Ueber die Gesellschaft war es wie eine Art Rausch gekommen. Es schien, als ob die Funken, die Jrne hineinge worfen, irgend welche geheime Fesseln versengt hätten. Alle waren lauter, lustiger, unge zwungener, als man es sonst in Mar stadt gewohnt war. Bei Tisch amü sierte sich alle Welt köstlich. Elsa Hagen fand sich davon überrascht, daß der schöne Herr Lebus mit seinen braunen Sammetaugen, der sonst sehr vorsichtig heiratsfähigen junge» Damen gegenüber blieb, ihr lebhaft huldigte, während ihr Nachbar zur Rechten, Herr Doktor Gramberg, ihr nicht minder den Hof machte. Amts richter Vogelfangs, die ihre fünfund dreißigjährige Schwester und Schwä gerin wie prädestiniert zur Gattin eines wohlgestellten Witwers fanden, sahen sie mit Vergnügen von Georg Altheer und Wackernagel lebhaft un terhalten. Edles mühte sich, etwas pflichtge mäß der Bürgermeisterin und ihrer samkeit hauptsächlich auf das Essen richteten. Der Amtsrichter, Prancken, Thassilo und Jrne bildeten eine Ecke zusammen. Für Jrne schien das schöne blonde Weib nicht mehr vorhanden. Er sprudelte von Einfällen und unterhielt die Herren köstlich. Thassilo aber sah immer das Weib-an. Ertrug Edlef das? Sie war doch sein! Und sie lächelte und sprach in so holdseli ger, beglückter Art zu allem, was Malte Holdin mit ihr sprach. War Edlef nicht eifersüchtig? War ihm sein Weib nicht zu schade für die Gesell schaft dieses faden Menschen? Als er die Schwelle betrat, sah er eine Gruppe Edlef, in der weit von sich ge sich zu drücken, und suchte ihren Mund zu küssen. Beate aber sträubte sich halb uns halb Edlef flüsterte etwas """ Zum erstenmal sah sein Auge, was seine von rasender Eifersucht gefol terte Phantasie so oft gesehen Es war, als ob aller Schmerz und als ob alle Leidenschaft in ihm auslöschte. Er wußte nur das eine er dachte nur das eine: Jeder darf Er ging in die Herbstnacht hinein. Er wanderte ungemessene Zeit am Ufer hin und her. Das Meer rührte sich kaum. Ein feindlicher Westwind zähmte es. So glich es einem schla fenden gefesselten Ungeheuer, das sich in der Finsternis versteckt hielt. Und immerfort dachte er: Nicht mehr le ben nein, nicht mehr leben darf er er und ich das ist zu viel auf der Welt. VI. Thassilo hatte Hedi seit.langer Zeit versprochen, daß sie einmal den Stand dM Arbeiten vom Wasser aus besich tigen dürfe, und daß' sie und Georg Küste der norddeutschen Tiefebene gibt Schönheit. Der Reiz des Herbstes liegt noch über der Natur. Die Bu chenwälder stehen noch im rostroten, zähen Laub, es fehlt auch nicht an grünen Tönen in Feld und Wald, und die frisch umgepflügten Koppeln mit ihren fetten braunen Schollen liegen in einer üppigen Saaterwar tung, neuer Fruchtbarkeit entgegen eine tiefblaue Farbe an, und das Meer spiegelt sie mit Saphirglanz zu rück. So ein Tag mußte es sein, und der Ost sollte blasen, damit diAu stigen Wogen ihnen vom weiten Meer »außen lebendig in die Bucht hinein entgegengeeilten kämen mit ihren wei- und sie wollte es sich abtrotzen, kühn zu sein, was ihr in Thassilos Ge genwart eine ganz leichte Aufgabe schien. Aber auf das träge Meer hinaus zufahren, das u»ter grauem Himmel fast unbewegt lag und sich bei der fte- nein, das war nichts! Georg Allheer auf der Jagd war, als endlich der Tag mit vorschrifts mäßigen Qualitäten erschien. Aber Hedi dachte, dies ließe, sich nicht än dern. Und da sie ganz gut bemerkt hatte, daß Onkel Georg eigentlich nur aus Höflichkeit ein l nteresse an dem Werk heucheiie, das ihm nur in den zu erwartenden Fol gen, nicht in seinem Werdegang wich tig war, so sagt.' sie dem Boten, den Thassilo früh morgens mit einem Briefchen nach Glanau hinaussandte, sie werde um elf Uhr unten am Hafen fein. Sie hatten eine kleine förmliche Bergnügungspartie aus der Fahrt machen wollen, denn für Georg Alt herr mußten einige leibliche Genüsse mit einer Unternehmung im Freien verknüpf! sein erst dadurch be kam sie für ihn, dessen Lebensarbeit sich auch 'im Freien abspielte, eben den Charakter eines Vergnügens. mery in einem Korbe, und in einer irdenen Schüssel, säuberlich mit wei ßer Serviette umwickelt, befanden sich Gänseleberbrötchen. Der Wirt gemacht. Einen so fröhlichen Gesichtsaus druck hatte Thassilo noch nie bei Hedi bemerkt. Er verjüngte sie förm lich. Man sah ihr nun viel besser ihre wirklichen Jahre an. Denn zu meist hielten die Leute sie für ein schon verblühendes Mädchen in der letzten Hälfte der Zwanzig. Daß sie von Sorgen und Kummer überhaupt „Sollen wir Ihnen zur Gesell schaft nicht noch schnell Fräulein Elsa Hagen holen lassen?" fragte Thassilo. , Aber nun fiel etz, auch Hedi ein, daß es nicht so ganz schicklich sein möchte, wenn sie allein mit den bei den Männern hinausführe. Wäre es ihr nur eine halbe Minute früher eingefallen, dann hätte sie ja ge sagt. Aber nun noch hastig doch um Elsa Hagen bitten das hieße ja eingestehen Und überhaupt, ins Gesicht. ch bordseits hart am Quai lag, stand Jrne und sah zu Thassilo hinauf. Sie dachten alle drei dasselbe: es wä re das Einfachste, das Natürlichste gewesen, Beate holen zu lassen, die sich wahrscheinlich zu Hause heute verein aus. Niemand wagte es. Es hätte geheißen, Stunden harm loser Fröhlichkeit in solche schwülster Spannung umwandeln. Ach was! dachte Hedi dann ent- si cht Us, - st folgte. Mit brüderlicher Fürsorge bestan den beide Männer darauf, daß sie sich ganz mit dem Plaid umwickele, und halfen ihr dabei. „Ich bin nur noch ein Paket", be hauptete sie, „ein ganz unförmliches Bündel." „Aber desto feiner erschien das kluge- Köpfchen, auf dem eine Pelzmützc saß. die sie ein wenig keck kleidete. Nach wenigen Minuten hatten sie alle drei vergessen, daß ihnen diese Fahrt nicht schicklich erschienen war. Wirklich kamen die Wellen in rau- Fröhl'ichkeil, die aus seinen Augen leuchtete. Thassilo dachte oft, daß die Zweiseelentheorie wie extra für munden und der Fürsorge zuneigt, hoffte er, auf die dämonischen Untie fen im Wesen des anderen mildernd, bessernd einzuwirken. Jrne sütterre Hedi mit Brötchen. ?Efsen, essen," mahnte er, „es schützt zwar nicht gegen Seekrankheit, aber es xiacht sie eventuell weniger mühsam " Aber Hedi dachte nicht daran, see krank zu werden. , Sie wollte alles wissen und erklärt haben. Draußen beim Leuchtturm bau hatte sie viel zu fragen. Jrne und Thassilo mußten ihr die Bela stungsprobe und die Kräfteverteilung bei derselben beschreiben und ihr klar machen, weshalb dieselbe mit Eisen schienen und in einer Gewichtshöhe, welche die tatsächlich durch den Ober bau erfolgende Belastung um die Hälfte übersteige, stattfinde. Auch die Instrumente, mit denen die Mes sung erfolgen sollte, suchten sie ihr zu erklären. In wenig Tagen wäre es so weit. Schon waren die Arbeiter beschäftigt, die Schienen auf das Fundament zu schaffen, wo sie rings in einer Anordnung aufgeschichtet wurden, die Hedi an ihre kindlichen Spiele mit Dominosteinen oder Bau klötzen erinnerte. , „Bei großen Dingen," sagte Thas silo, „wird jede« Laie durch Einfach heit überrascht. Es scheint, daß seine Achtung vor dem Werk steigt, im Maße, wie die Ausführung ihm un begreiflich ist." Vom Leuchtturm fuhren sie zurück und hinauf, bis dorthin, wo eine natürliche Böschung seinen Ufern feste Linien gab und wo die Arbeiten aufhörten. Es wurde wärmer, und Hedi locker te ihren Plaid. In ungetrübter Stimmung floh ih nen die Zeit. Fast mit Rührung sah Thassilo auf dem farblosen Gesicht Hedis die frische Nöte, welche die herbe Luft und der Wind darauf malten. Sie sprach am meisten mit-Jrne. Aber unwillkürlich richteten sich ihre Blicke immer auf Thassilo. Es war, als wollte su ihn nicht mühen, als wollte sie seine Vorliebe für Schweigsamkeit schonen, aber uls wäre es ihr unmög lich, etwas zu sagen oder zu denken, was nicht eigentlich doch mit für ihn gesagt oder gedacht war. Und als sie auf den gelblichen Sandhügeln des Deichbaues herum kletterten, während ihr Schifflein ih rer wartete, als Thassilo die in leich ter Beweglichkeit vor ihm Herschrei tende sich alle Augenblicke mit strah lendem Gesicht nach ihm umwenden sah, ergriff ihn eine leidenschaftliche Trauer. Wie friedvoll würden sich ihm alle Fragen des Lebens lösen, wenn er die ses ihm so heiß ergebene Herz wie der zu lieben vermöchte! Wie wenn er in einer Ehe mit ihr Schutz und Rettung suchte, besonders vor dem einen fürchterlichen Gedanken, der ihm an jenem Abend gekommen war? Wenn er ihr alles gestände, alles auch jenen Gedanken, der sich lang sam, langsam, aber in grauenhafter Sicherheit zum Vorsatz, zum Plan ge staltete Die Tiefe der Legende, welche der reinen Jungfrau -Erlöserkraft zu schreiot, kam ihm in den Sinn. Die Vorstellung überwältigte ihn fast Sein schmerzendes, Haupt dieser Lieben, Reinen in den" Schoß legen dürfen mit fchuen Flüster worten ihr alle düsteren Geheimnisse ieines Hasses aufdecken und ihr sagen: Rette mich vor mir selber bewache mich gegen mich selbst Und sie? O, mit blutendem Her zen und lächelndem Mund würde sie trachten, ihn auszurichten vorlieb nehmen mit den Brosamen seiner Achtung und seines Vertrauens, wis send, daß seine Sinne verbrannten in verzehrender Sehnsucht nach der andere». Zum erstenmal kamen ihm die Ge danken an solche Möglichkeit sie kamen ißit schmeichelnden Tröster mienen. Aber'er fühlte zugleich, daß er dieser Versuchung nicht nach geben dürfe. Wie unritterlich wäre es gewesen wie unehrenhaft diesem liebevollen Herzen die stille Heldenkraft egoistisch auszusaugen! Sich ein Weib zugesellen nur zu dem Zweck, ihr Lasten aufzubürden! Er wandte sich um. Jrne Hjelmer sen ging hinter ihm. „Du mußt Fräulein Hedwig allein zurückfahren. Ich sehe da hinten Keh ler ich muß in durchaus sprechen!" sagte er fast schroffen Tones. Jrne nahm es als Befehl. Er bot gar nicht an, seinerseits zurückzublei ben unv eine Bestellung an dm zwei ten Ingenieur auszurichten. Aber aus Hedis Gesicht schwand auf einmal aller Sonnenschein. Da sie sich dessen nicht bewußt war, gab sie sich auch nicht die Mühe, künstlich ,u lächeln. Wie den Mann das marterte, als er es sah. Nachher, als sie mit Jrne allein in der Barkasse saß, die nun in gemäch licher Fahrt nach Marstadt dampfte, sagte traurig: „Was hatte cr auf einmal so Wichtiges?" sJch weiß es nicht. Wenn man je mand so genau kennt wie ich Thassilo, so respektiert man ohne Widerspruch jede Aeußerung seines Willens." ,L>, ich wollte mich nicht beklagen j ich wollte nicht sagen, daß ich glaube, eine Laune —" her quem haben, war er nie. Er ist heiß und schwer! Die sind böse dran. Das ist keine vorteilhafte Mischung. Nach bißchen umgänglicher war er doch, ehe diese verfluchte Leidenschaft ihn faß te." „Was das ist ein so öffentliches Geheimnis?" rief Hedi, und ihre „Nein nur Sie und ich wisse» es. Denn ich Hab's Ihnen angemerkt, schon lange. Sie hatten so einen be- und zu ihm sprachen. Die himmlische Barmherzigkeit des mütterlichen Wei bes. Weiber, die sofort mütterlich mir die Heiligen. Das Mittelglied zwischen Menschheit und Gott." Er sprach in feierlichem Ernst. Hedi nahm es ganz unpersönlich. Es war, Zusatzgedanken. Als spürte sie. daß solche Heiligen von Jrne Hjelmersen verehrt würden, wie auch der Ungläu iige die Schicklichkeit hat, am Gottes haus gesittet vorüberzugehen. Aber es war ihr nun wie ein Ge schenk, daß sie endlich, endlich alle ihre Sorgen einmal mit einem treue» und verschwiegenen Mann bespre chen konnte. „Ach," sagte sie voll Eifer,' „wenn ich doch begreifen könnte, was er an ihr liebt! Er kennt ihr wirkliches We sen gar nicht. Und das ist doch auch unmöglich, daß ein Mann wie Thas silo, solch ein Mann nicht wahr? so ernst und tief und edel daß der sich in die Schönheit, so nur in die Schönheit verliebt haben sollte?" Sie sah ihn in kindlicher Ungläu bigkeit an. Ueber sein Gesicht flog «in besonderer Ausdruck, um seine Lip strd sehr gebildet und zweifelsüchtig. Wir haben so viel wichtige Geschäfte, und ernste und geschmackvolle Männer nur eine Null ist er spürt es dumpf. Er ist aber korrekt. Das ist sein Rückgrat. Das darf er nicht bre iiges, halb was Nettes. Na. so seyen mir: .Helena in Ewigkeit!'" „Sie selbst sind seit einiger Zeit auch sehr oft bei Beate eingeladen. Ich sprach Hedi, „Sie sind am Ende auch verliebt!" „Ich?!" Jrne sah sie starr an. Nach einer Paufe von Sekunden sagte er dann hart: „Nein!" es war so eine gereizte Stimmung in ihr gewesen. Sie hatte irgend etwas Bitteres sagen müssen. Ihnen entgegen, .den Fluß hinab, kam schwer gegen den Wind ein tief beladenes kleines Frachtschiff. Aus dem Dach der kleinen Kajüte stand ein weißer Spitz und bellte der Bar kasse feindselig entgegen. „Sehen Sie, dies kleine Idyll," sagte Jrne, „ach, und sehen Sie die Schiffer, nicht schon ihretwegen ie mand niederschlug? In Wahrheit gibt es kein Idyll. Es gibt bloß Zustände. Die sind wie hübsche Buchdeckel! Drin nen liest man's anders." (Fortsetzung folgi).