Am Helena. (6. Fortsetzung). Ihm war so gut und warm zu Mute, wie seit langer Zeit nicht. Er stand und sann und sah hin aus, ohne eigentlich zu sehen, auf das ruhevolle Schiss, darauf die Sonne herabprallte und weiße, b»ante Licht flecken warf. Und sah das endlose, wellige Heraufquellen der die Bewe gung des Wassers widerspiegelnden Lichtlinie» am schwarzdlanlen Schiffsrumpf. Und von fern her drang durch die Luft die Musil der Arbeit mit ihren durcheinander wirrenden Tönen. Draußen aber ging Beate langsam auf dem im «Schatten liegenden Bür ' gersteig zurück. Was tann er für Augen machen, dachte sie. Sollte er «m Ende in mich oerliebt sein? Es sah so aus! Sie lächelte wohlgefäl lig. Aber sie nahm sich vor, Edlef nichts von diesen Gedanken zu sagen. Das hatte ja gar leinen Zweck. Sie sagte es ihm auch nie, wenn Malte Heldin einmal gar zu feurige Komplimente machte. .Ach, lassen Sie doch so etwas," pflegte sie bei solchen Borlommnisscn mit ihrem Lächeln Holdin zu antworten, worauf dieser ihr dann reuevoll die Hand lüßte. Es bringt höchstens Ungemütlich leiten, wenn man den Männern alles erzählt, dachte Beate. Und sie liebte die Ruhe, die Ungetrübtheit. Sie sah es auch als etwas ganz Selbstver ständliches an, -daß alle Männer in sie verliebt waren. An der Straßenecke, als sie vom Hafen hineinbog in die lurze Straße, wäre sie beinahe'mit Jrne Hjelmersen zusammengerannt. Er trug ewen auf gespannten grauen Sonneilschirm ge schultert, hatte seinen Strohhut im Genick wie ein kleiner Knabe und war tief in Gedanleii gewefeg. Nun schoß es ihm heiß in die Stirn, und er trat zur Seite. Beate erwiderte seinen Gruß nur ganz nebensächlich, denn gerade sah sie oben vom Marli her Edlef die Straße herablommen. Jrne Hjelmersen stand und sah ihr nach, das graue Rund des Schirmes als Hintergrund seines Kopfes unbe weglich haltend. Der Mann lam ihr entgegen. Er strahlte... In Jrne Hjelmersens Helles Auge kam ein glimmendes Licht... Wenn man ihm eine Kugel ins Gesicht ja gen könnte mitten hinein in seine hübsche Fratze, dachte er voll In- Am Hochzeitstage war Thassilo in einer Stimmung, die ihn selbst über raschte. Seit Monaten hatte er ge dacht, er werde nicht Zeuge dieses Tages sein können. Er würde es nicht ertragen er würde eher die auffäl ligsten Ausflüchte wählen und fliehen. Aber im prosaischen Gang des All tagslebens ist es schwer, etwas Auf fälliges zu tun. Die kleinen bürger lichen Pflichten, die ganz gleichgülti gen gesellschaftlichen Rücksichten haben die allerzwingendste Gewalt. Als er einmal Georg Altheer gegenüber der Möglichkeit gedachte, Mitte August eine Geschäftsreise unterneh men zu müssen, hatte der Brautvater gleich einen Aufwand von Entrüstung, von Lamento gemacht, daß Thassilos Erfindungsgabe ganz versagte. Er kam sogar darauf, sich einzubil. den, daß alle Welt den Grund sol chen Fernbleibens durchschauen wür de. Weil er niemals unbefangen an Beate dachte, war er auch nicht unbe fangen in den Dingen, die mit ihr in Berbindung standen. Und nun war eine seltsame Ruhe in ihm. Die Gewalt des Unabänder lichen wirkt immer. Er konnte seiner Mutter ein unbefangenes Gesicht zei gen, oder glaubte es zu zeigen. Denn sie, die eine Stunde vor der Trauung, schon im würdigen dunklen Seidenkleid, mit ihm beisammensaß, dachte: Mein Junge bekommt so einen Hagaren Zug im Gesicht. Und seine Augen liegen so tief. Er überarbeitet sich. Es war ihr sehr peinlich, noch mit Geschäften kommen zu müssen. Aber da sie morgen früh heimreisen sollte, war dies die letzte Gelegenheit. .Weißt du," sagte sie. „Edlefs Hochzeit ift doch ein großer Ab schnitt." «Für ihn gewiß," antwortete Thassilo. Er ging, auch seinerseits schon fest lich gekleidet, mit schweren Schritten langsam auf und ab. „Wie meinst du das, Mutterchen?" Sie sah sehr unglücklich, fast wie eine Schuldbeladene aus. durchaus nicht die Führung unserer Angelegenheiten nehmen läßt. Und mochte nicht weiter sprechen. , »Da schien es .drängte Thassilo. Frau Marie Stürmer fing an zu weinen. mir etwas verborgen wird. Du weißt, ich war immer leidend, ich bin, sagen ja auch alle, so unpraktisch. Irene hat mich immer bevormundet. Das war ja auch so bequem für mich. Was ich für dich, was ich für mich brauchte, sie gab immer das Geld, und wenn ich fragte: Kann ich das auch? so hieß es immer: Gewiß, nimm nur! Aber letzt scheint Irene oft sorgenvoll, verstimmt, unruhig. Es entfuhr ihr neulich ein Wort als seien wir, als sei ich nicht so gut gestellt, wie wir immer gedacht haben. Und so viele kleine Anzeichen fallen mir nun auf. Ich bin zu der Gewißheit ge kommen, daß ich niemals ein aus kömmliches lrene hat mich immer so mit ernährt ich glaube, Edelfs Eltern haben im mer von ihrem Eigenen geopfert, um dich ebenso zu erziehen wie ihn, um mich niemals die Not des Lebens füh len zu lassen. Und so zart denkt Irene sie ahnt nicht, daß ich der Wahr heit auf die Spur kam sie will es mir noch über ihren Tod hinaus verstecken. Sie sagte, daß nach ihrem Tode ihr Sohn das Vermögen ver walten solle ich und du, wir hät ten zu wenig Geldverstand, sagte sie und küßte mich." Der Mann stand geschlagen. Eine unerwartetere Eröffnung hätte man ihm nicht machen lönnen. Wie alle erwachsenen Kinder tun, hatte auch er eine Zeitlang über das Vermögen sein« Mutter nachgedacht und bei sich erwogen, ob ihre Mittel, zusammen mit deiz, Gelde von Edelfs Mutter, groß genug sein möchten, ihnen beiden bei ihren Unternehmun gen den Rückhalt zu geben. Aber ehe er noch seine Delikatesse überwunden gehabt hatte, war schon Edlefs Mut ter mit fertigen Plänen und gesicher ten Verbindungen hervorgetreten. So ward Thassilo der Frage, enthoben: .Mutter, wie viel Geld hast du?" Da ihm wie Edlef während ihrer Studien- und Militärzeit immer ein reichlicher Zuschuß worden an dem Wohlstand seiner Mutter"zu zweifeln. Daß er dann in Norwegen eine gut bezahlte Stellung fand, während Edlef in Holland als Volontär mehr ein Arrenleben führte, hatte er für eine Zufallsfügung angesehen. Nun erfuhr er, daß sie arm gewe sen waren er und seine Mutter! Wenn seine Mutter recht begriffen hatte denn sie war von einer er staunlichen Weltfremdheit. Einen Augenblick die Hoff nung in ihm auf. es möchte nicht wahr sein. Aber sie erlosch gleich. Gerade weil ihm dies eine so un erhörte Qual schien, dachte er bitter, würde es schon wahr sein. Also er hatte vom Brote seines Todfeindes gegessen! Er war ihm Dank schuldig ihm oder seinen Eltern das lam auf eins heraus den heißesten, größten Dank, den ein Mann dem anderen schulden lann: den für die Gründung seiner ganzen Eristenz! Alles, was er war, seine Ausbildung, sein Wissen, sein Können, der Platz, auf dem er stand, das Werk, welches er hier schuf Edlefs Opfer hatten das Fundament dazu geschaffen! Und er wußte vielleicht darum! Dies viel leicht war die Quelle, aus welcher der gönnerhafte Ton floß! Dies vielleicht die geheime Ursache, weshalb er sich der Welt gegenüber als der erste von ihnen beiden aufzuspielen unterstand. Die nötige Kleinheit dazu fehlte ihm nicht... o nein... Und in diesem Augenblick, wo die Furcht ihn übermannte. Dankbarkeit fühlen zu müssen, empfand er mit ver doppelter Gewalt den zehrende., Haß. Die Mutter war erschrocken, als sie das farblose und entstellte Gesicht des Sohnes sah. Six hatte ja gedacht, daß es ihn sehr bewegen werde. Aber so nicht nicht so sehr! .Ach, mein Junge, ich hab' es Irene ja von jeher vergolten mit so viel Liebe als ich konnte... und du... ja, du auch an Edlef, denn wir unter vier Augen, wio dürfen es uns ja gestehen: schon auf der Schule hast du ihm vorwärts geholfen... und dies große Werl..und alles, was ihr noch gemeinsam unternehmen wer det... dein ist doch dabei alles, was Erfolg hat... dein die schöpferische Kraft..." Die Tränen rührten ihn, die anbe tende Liebe erschütterte ihn. .Mutter chen," sagte er, „beruhige dich doch!" «Ja, aber es wäre doch hart nicht, daß ich's ahnungslos von Irene angenommen habe, ich hätte ihr das gleiche getan aber, daß ich daß ich dir vielleicht mal zur Last fallen soll.. " Knabe, er umfaßte sie mtt zärtttchen Armen und schalt: „Mutter, kann es etwas Stolzeres geben für einen Sohn? Siehst du, es mach, mich se lig. Es gibt meiner Arbeit den hei ligsten Zweck!" „Das mag keine Mutter gern." be harrte sie weinend. .Weil alle Mütter Törinnen sind," sagte er und küßte sie; .Mütter den- len immer, ihre einzige Aufgabe ist: geben." „Das ist auch Wohl das Natürli che," schluchzte sie. „Du sollst glücklich sein, daß dein großer Junge glücklich ist, geben zu dürfen, zu können. Von heute an sen de ich dir, was ihr braucht, du und Tante Irene." .O Gott, nein," wehrte sie ab, .das würde Irene sehr aufregen. Das sähe ja so aus, als wäre sie für uns schon die Sterbende, über deren Ansichten und Willen und Taten man nur so hingeht! Sie darf gar nicht merken, daß ich ihre Andeutungen verstanden habe. Aber ich habe mir gedacht, du sprichst mal bald ein offenes Wort mit Edles, und du versprichst ihm, eines Tages, wenn du Geld genug er worben hast, ihm alles zu ersetzen .." „Ja, alles, alles!" rief Thassilo mit einem Ausdruck von solcher Ener gie daß die Mutter fast erschrak. Es klang ja beinah« drohend! Ertrug ihr Sohn es nicht, danlen zu müs sen? Sie streichelte ihm das Haar und sagte mit jenem Ton leiser, feiner Ermahnung, die Mütter ihren Mann- Söhnen gegenüber zu finden wissen: .Stolz versteht auch zu nehmen, weil er zu danlen wissen wird; nur Hoch mut erträgt es nicht." Der Mann stand auf. Die Mah nung quälte ihn. Seine Mutter war ahnungslos. Sie wußte nicht, daß ein Weib und eine Unehrlichkeit zwischen ihm und Edlef standen daß jener ihm hin terrücks die Geliebte genommen hatte. Sie wußte nicht, daß Edlef sich laut prangend und doch so ganz ungebühr lich in den Vordergrund drängte in das Licht, das ihm, ihm allein zukam... Er, mjt deinem Bedürfnis zu has sen, sollte lieben und danken?! Das Bedürfnis zu hassen ist auch das Recht dazu! Was wollte die Entdeckung dieser Wohltat? Ihm seinen Haß nehmen? Sein bestes Gut! Die Kraft, die ihn so beflügelt! Die seine Gedanken noch kühner, noch erfinderischer machte, sei ne Fähigkeiten schmiegsamer und er giebiger! Seinen Trost! Den Inhalt seiner Nächte! „Was grübelst du so, mein Jun ge?" fragte die Mutter ängstlich. Er fuhr auf. „Mutterchen," sagte er mit erzwungener Leichtigkeit, „nimm es nicht tragisch. Ich muß na türlich den Gedanken erst runter schlucken. Sich so plötzlich als Almo senempfänger zu entdecken, ist nicht leicht. Aber gottlob! bald, sehr bald werden wir alles zurückerstat ten können . Ich will Edles gleich nach seiner Hochzeit, wenn er von der Reise heimkehrt, um Offen heit, um Rechnungsablage bitten. Ihm wird es ja möglich sein, seiner Mutter die Geschäfte abzunehmen." .Aber..." begann Marie Stür mer zagend. Der Ton ihres Sohnes gefiel ihr nicht. Sie hatte kein Wort des En thusiasmus, keines der Rührung von ihm vernommen. Und es war doch etwas Großes, was Irene und ihr Mann an ihnen getan. .Was noch?" „Das Zurückbezahlen in diesem Fall, ach, in leinem Fall, heißt ja, den Dank abtragen. Nicht, mein lieber Junge? Das fühlst du... wir sind Edlef immer, immer Dank schuldig." Was sollte er der lieben, alten Frau mit dem Kinderherzen noch sa gen? Sich ihr verständlich machen, hieß, sie mit leiden machen. Und sei nen Haß, den verstände sie doch nicht. Sie hatte Tränen und Entschuldigun gen, sie war von weicher, wehrloser Art. Von jener, die auch dem Feinde noch wohlzutun vermag! Draußen auf dem Markt ward es Plötzlich sehr laut; das Rollen von Wagcn ging über die Kopfsteine des Pflasters, und die Fenster klirrten leise. Nach Frauenweise, mitten aus ihren tiefen Erregungen heraus, sagte die Mutter eilig und wichtig, indem sie ans Fenster lief: .O die Hoch zeitswagen wir kommen noch zu spät!" Und sie vergaß alle Tränen und alle Sorgen über dem Umstand, baß ihre Glacehandschuhe, hart und wenig dehnbar, nicht schnell genug über ihre Finger wollten. .Ich kann es gar nicht begreifen Irene und ich kaufen doch schon seit sechs Jahren bei Rühner dies ist nicht meine Sorte. Thassilo, mein Junge, warum' hast du kein weißseidenes Taschentuch im Westen ausschnitt o, angeheure Rech nung zu präsentieren hatte, war ja keine Bezahlung groß genug! Er ver suchte klar über den Haß nachzuden ken. Er stritt mit seinem Verstand« Haß sollte etwas Unsittliches sein? Etwas Unfruchtbares? Und er machte ihn doch stolz und frei. Er war als Tröster zu ihm ge kommen. Er hatte neue Kräfte in ihm ausgelöst. Allgegenwärtig war sein Haß in ihm, wie man sonst der Liebe nach rühmt. Jede Arbeit war damit durch tränkt und gelang in beflügeltem Wurf, denn die gierige, die trium phierende Borstellung trieb: ich wer de ihm dadurch seine Kleinheit deut licher machen. Jede Feierstunde war damit ausgefüllt, und fatalistisch hatte sich in ihm der Aberglaube ausgebil det, daß dem.stetigen Haß eine fern wirlende Zerstörermacht innewohne. Zum Dichter hatte ihn der Haß ge macht, denn feine Phantasie malte rastlos.kühne Szenen aus, in denen er sich am Untergang des Gehaßten sättigte. Und dieser Mann, den er so in reichstem, unerhörtem Leben haßte, dieser sollte sein und seiner Mutter Wohltäter sein? Nein, schrie alles in ihm, nein, es ist nicht wahr, es soll 'nicht wahr sein! Und ihm war, als könnte er durch die Energie seines Willens eine Wahrheit aus der Welt schaffen. Immer wieder, förmlich jubelnd, stieg das starke und wilde Feind schaftsgefühl in ihm auf. . Er begriff, was das Wort sagte: sich jauchzend auf einen Feind stür zen. Immer hatte er sich in strenger Selbstzucht gehalten, auch Furcht vor seinem schwerblütigen, heißen Tempe rament. Diesem Gefühl stand er machtlos gegenüber. Es nahm ihn ganz in Besitz. So, qualvoll mit sich ringend, sah er die Stunde an sich vorüberziehen, ohne sich ihres Inhalts genau bewußt zu werden. Er fuhr nachher im Wagen mit seiner Mutter, Hedi von Güstrow und Georg Altheer dicht hinter dem Wa gen der eben Vermählten, im froh dahinjagenden Zug der festlichen Ge fährte, nach Glanau hinaus. Und er gewann da? Aeußerste über sich: er reichte ihr und ihm glückwün schend seine kalte Hand. Bei der Tafel hatte Thassilo Hed wig von Güstrow als Dame neben sich und an der anderen Seite E'sa Hagen, das Bürgermeisterstöchterlein, die vom Freiherrn geführt wurde. Man hatte ihn als „jungen Mann" behandelt, der herlömmlicherweise ein junges Mädchen zu Tisch zu führen 'Hot. Die festliche Mahlzeit wurde im Saal abgehalten. Oben herum zogen sich Eichenlaub guirlanden und deckten die gemalten Vasen mit den sie verbindenden Ro sensestons zu. Auf die große rote Glasscheibe der Lichterkrone fiel der Sonnenschein und spielte auch im Fransenbehang von Vrismen. Die warfen nun bunte, zitternde Lichtslel ken ringsum aus die Wände und auf die Gesichter einiger Tischgenossen. Wackernagels Nase trug einen vi brierenden Sattel von bläulichem und orangefarbenem Glanz. Auf dem von gelblichem Atlas sehr prall über spannter., vollen Busen der Baronin Seligmann stand ein Regenbogen streifen. Und mitten auf dem herbgrünen Myrtenkranz Beatens, gerade über ihrer heiteren Stirn, schimmerte ein lichter Schein. Jeder sprach davon. Es war ein hübscher Zufall. Aber als es mit der ersten Feier lichkeit und Rührung ein wenig vor bei war, macht- Herr von Prancken sich den Spaß, sich hoch aufzurecken und mit dem Fächer seiner Dame ge gen die Prismen zu stoßen. Da fuhren die bunten Reflexe wie aufgescheuchte Schmetterlinge hin und her, und ein große: blanker gelber Farbenfleck legte sich für einen Augenblick ganz.über Edlefs lachen des Gesicht. Wie gespenstisch, wie häßlich aussah Thassilo starrte ihn an es war wie eine Erscheinung es sah aus wie ein grinsendes Toten gesicht ... Neben ihm saß Hedwig, geduldig und schonungtvoll. Er sprach kast gar nicht. Sie fühlte, daß er nicht in der Stimmung sei, zu reden. Sie machte k.>?n Versuch, sich seine Aufmerk samkeit zu erzwingen. Seit jener Be gegnung am Tage der Grundsteinle gung waren sie auf eine scheue, ferne Art Freunde geworden. Zuweilen erinnerte Thassilo sich an den Blick unverhüllter Innigkeit, der ihn aus den klugen, sanften Mäd chenaugen getroffen. Dann ergriff ihn ein Gefühl aus Scham und Dankbarkeit, seltsam ge mischt. Und wenn er Hedi begegnete, war er besorgt, sie nicht fühlen zu lassen, daß er diesen Blick erfaßt; doch auch besorgt, ihr nicht mehr An teilnahme zu zeigen, als sein von einer anderen erfülltes Herz hergeben konnte. Und zugleich wollte er auch immer zeigen, wie hoch er sie stellte. Dies alles gab ihm ihr gegenüber eine große Zartheit. . Er hatte auch heute ein Gefühl der Erleichterung empfunden, als er sah. daß sie seine Tifchgenossin sein soll- te. Er wußte: sie mach!« leine An > sprüche. Elsa Hagen hingegen, die Bürger nteisterstochter,.in einem allzu blau- sehr Heiß, aufgeregt und ihn zu einer Unterhaltung zu zwin gen. Zwar schwamm sie in vergnüg ten und stolzen Gefühlen, daß Malte von Holdin ihr Tischherr war, allein dieser ließ sich unter gar keinen Um ständen als „Partie" in Betracht zie hen. Der zweite Stürmer hingegen.. Verloben und Heiraten steckt bekannt lich an! So sah Thassilo sich sehr oft in seinem Hinbrüten durch ihre Anre den gestört. Alle herkömmlichen Reden waren schon gehalten worden. Der Pastor hatte das Brautpaar, der Bürgermei ster den Vater der Braut und die ferne Mutter des Bräutigams leben lassen. Dann hatte Georg Altheer das Wohl von Frau Marie Stürmer aus gebracht und das Verhältnis der' bei den Mütter mit den beiden Söhnen wahrhaft rührend geschildert. » Während dieser Rede saß Thassilo wie ein Bild aus Erz. Seine Mutter, oben an der Tafel neben Edlef, weinte echte, unendliche Rührungstränen und drückte unter dem Tisch immerfort Edlefs Hand. Thassilo aber dachte: Muß ich nicht meinen Haß besiegen? Bin ich nicht sonst wie eine Bestie, die bloß ihren Instinkten folgt? Es gibt doch noch so etwas wie eine sittliche Erkenntnis. Und es ist ja alles, alles, alles wahr, was der Mann da sagt und er sagt noch nicht einmal das Aeußerste. er weiß noch nicht einmal, daß meine Mutter und ich von ihrer Gnade leb ten... Augen aufzuschlagen, weil er fühlte, daß der Haß unbesiegbar und un verhüllt aus seinen Blicken hervorbre chen würde. Nach dieser Rede erwarteje jeder mann eine Antwort von Thassilo. Er mußte doch namens seiner Mutter danken. Er konnte Mörstadt oder das Land feiern, oder auf das Emporblühen der Gegend trinlen. Wackernagel wartete .brennend" darauf, denn sobald Thas silo als nächster männlicher Verwand ter des Bräutigams gesprochen haben würde, wollte er die Firma Stürmer ck Stürmer leben lassen. * Aber da erhob sich plötzlich der Ba ron Seligmann, mit einer unverkenn baren, allgemeinen, angenehmen Er wartung begrüßt. Auf allen Festen der Gegend liebte man seine Reden. Man war gewohnt, ihn auch sprechen zu hören, wo eine offizielle Veran lassung fehlte. Er war ein geistvoller, welterfahrener Mann. Wo Wackerna gel fanatisch war, war er lonziliant. Es war immer ein Vergnügen, ihn zu hören. Und heute hielt er den Toast, den eigentlich Wackernagel halten wollte. Er sprach von Stürmer >k Stür mer, ihrem Werl und den Hoffnun gen, die Stadt und Land daran knüpften. Er sprach von der Firma. Aber aus jedem Wort, aus jedem Blick, den er Edlef voll, gab, aus jeder Wen dung hörte und sah , man es: er meinte in erster Linie Edlef. Was er zu rühmen wußte, ging weit über das hinaus, was heute dem Helden des Tages gegenüber an lleinen Ueber treibungen zulässig war. Es konnte gar keinem Zweifel unterliegen, daß der Baron Seligmann und damit auch der ganze Kreis, dem Edlef seit einigen Monaten angehörte, der festen Ueberzeugung lebte, daß Edlef das geistige und praktische Haupt der Fir ma sei. Für Thassilo fielen verbind liche Wendungen ab; er wurde der .unermüdliche Arbeitsgenosse" ge nannt, „die zähe, ausführende, zuver lässige Kraft". Thassilo sah über das blasse Gesicht feiner Mutter ein Helles Rot hin flackern.'Er sah in ihren weit ausge rissenen Augen einen Blick starrer Verwunderung. um ihretwillen... Für ihn war es eine Groteske. Wenn dieser Mann, dessen nie ver letzende Geschmeidigkeit bekannt war. so dachte wie sehr hatte Edlef es dann verstanden, ihn um sein Recht zu bestehlen. Um das heilige Recht, nach seinem wirklichen Werte, nach seinen wahren Leistungen bemessen zu werden. Es war zum Lachen! Wirklich zum Lachen? Wer ist so groß und so frei, daß ihn die völlige Äertennung seiner Verdienste nicht verletzt? Thassilo sah über die Gesellschaft hinweg, zum Fenster hinaus. Draußen stand ein schwarzgrauer, rissiger Ulmenstamm. Hinter ihm die dunkelgrüne Gebüschwans des Gar tens. Und über ihr der blaue Som merhimmel. Thassilo dachte an den Tag. wo ihm di'e Aufgabe geworden... an all die großen glühenden Gefühle, die ihn damals bis zu herrischer Lust erho- Die Worte, die seinen Feind rühm ten und ihn bestahlen, drangen wie Stiche in sein Herz. Dank? dachte er voll Hohn. Dank? Soll ich der Sklave des Dankes wer den? Die Rede ging zu Ende. Alle Her ren standen auf und stießen mit Edles zuerst an. Wackernagel aber kam auf Thassilo zu, stieß mit ihm an, steckte sein« Nase-in vertraulicher Annäherung fast bis gegen Thassilos Wange vor und sagte: .Ihr Herr Vetter ist ein char manter Gesellschafter. Sein Wohl!" Er zeigte lächelnd seine bleckenden Zähne. .Und das Ihrige und in dem Ihren das Wohl der Firma!" fügte er hinzu. Thassilo verstand. Dann sah er Wackernagel zu seiner ner Volksrednerstimme etwas von ! .genialem Sohn" .Seele des Un ternehmens" sagen und sah ein dank bares Aufleuchten auf dem verängste ten Gesicht seiner Mutter. Und neben ihm sagie eine leise Stimme: „Wackernagel hat mehr Ur teil als alle anderen." Er sah Hedi an. Beinahe schien es ihm, als ähnle ihr Ausdruck in diesem Augenblick dem seiner Mutter. Das rührte ihn. Aber es gab ihm auch sein stolzes, freies Gefühl zu rück. , Die guten Frauen! Als ob von diesen Richtern das letzte Wort üb« ihn Edlef gesprochen werde» .Ich kann keine Ungerechtigkeit lei den," sagte Hedi eifrig, als Antwort auf sein Lächeln. .Dann sagen Sie lieber gleich: Si« können das Leben nicht leiden! Den» es besteht aus Ungerechtigkeiten " Das wollte Hedi nicht zugeben. Und es kam heraus, daß sie große Vorstellungen von der Macht und der Kraft eines ganzen Mannes habe, und daß sie in dem Glauben lebte, er müsse ständig so eine Art St. Ge orgskamps mit dem Drachen der Un wahrheit führen. Er hatte das Gefühl, sie vorher un gebührlich vernachlässigt zu haben, und schien sich ihr nun ganz zu wid men. Sie war dafür dankbar. Sie erzählte ihm auch, daß sie mor gen das Glück haben werde, eine klein« Reisestrecke mit seiner Mutter zusam men zu fahren. Auch daß der Gedan ke sie beruhige, .wieder zu ihrem Papa zu kommen, der seit seinem Schlag anfall im vorigen Jahr sehr kränkele. Aber das Ansinnen, während Bea tens Brautstand hierher zu kommen» habe sie nicht ausschlagen können. Er stens sei sie ein wenig bleichsüchtig ge wesen. und der Arzt habe so wie s» eine Luftveränderung gewünscht, so dann habe sie von Onlel Altheer einen förmlichen Engagementsantrag bekommen gehabt, und das kleine biß chen Gehalt für die sechs Monate Hausdame spulen, sei immer ein net ter, kleiner Zuschuß, mit dem sie nun ihren Papa im Winter besser pflegen Thassilo hörte mit ganz ehrlicher Teilnahme zu. Er sah auch ganz deut lich, daß Hedi in ihrem simplen wei ßen Kleid sehr reizvoll anzuschauen war, und wie zart das feine Knaben köpfchen aus dem langen, schlanken Hals saß. Aber horchte sein Ohr im- Stimme vernähme —^ Und zugleich sah sein Auge immer fern oben am Tisch eine weißt, schleierumwallte Gestalt Alles in ihm trotzte auf. Er woll!« sie nicht empfinden, er wollte nicht... Eifriger neigte er sich zu Mäd chen. Er sagte, daß es ihn sehr freu«, wenn seine Muttcr morgen eine We gesstrecke mit Hedi reise, denn seine Mutter sei ein Nind, das Umsteigen an einer Station, wo es kein neues Billet zu nehmen gelte, würde ihr zu einer furchtbaren Schwierigkeit, Sie habe nie anders gelernt, als oas Le ben aus der Froschperspektive an schauen, und für solchen Blick.erschli dringlicher Urwald. Aus Hedis Augen leuchtete helle Seligkeit. Er sah es, und er dachte: Ich sag«, ' ich tue zu viel! Aber er wurde nur immer vertiefter und veriraulicher, denn wenn er das Haupt wandte, iah Abenddämmer, unten an grenze. Die ganze Gesellschaft war ihm gräßlich. Vor seiner Mutter und ihre» Fragen ängstigte er sich. Hier schien ihm Trost und Rettung, neben diesem '»erständigen, guiherzigen Kind Hedi sagte, daß sie lammen werde, sowie Beate und Edlef fortgefahren sein würden, denn sie müsse Beate noch umkleiden Helsen für die Reite. Nach dieser Mitteilung verstummte Das Mahl, das früh, schon um drei Uhr, begonnen hatte, ging gegen halb Sieben zu Ende. Man nahm den Kaffee hinter dem Hause unter den Ulmen. Zwischen die Hortensienkübel waren Tische hinge stellt. ganz regelmäßig, eS sah aus w:e 'n einem Wirtschaftsgarten. , (Fortsetzung folgt.)