Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, July 06, 1916, Image 3

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Mm ZtIMM der Zinse«
<s. Fortsetzung).
Zweiter Teil.
1. Kapitel.
Vor einer Villa am Mittelweg zu
Hamburg hielt um die Mittagszeit ein
geräumiger Landauer, in dessen lak
kierten Teilen sich das Licht der Son
ne und'das Grün der Bäume spie-
Ichnittenen Mähnen kleine Rosen ein-
Jahre die Pferde so festlich zu
t fischen Deutschen Derbys, das nicht
Land gezogen. Man schrieb den 28.
Juni 1914. Das ganze weite Ge
biet der Stadt erschien wie in eine
Alster. eine riesenhaft« Gartenstadt
. keine Spur zu finden war.
D«r Konsul blieb stehen und blickte
auf ein Bildnis, das auf seinem
das Portrait Estellas.
verlieben soll?"
einer alten angesehenen Familie, die
den Adelstitel führen könnte, wenn
ihr daran gelegen wäre, und er selbst
ist «in Mann von unantastbarem
Charakter. Man mußte doch damit
rechnen, daß Estella einmal nach ei
genem Ermessen ihre Wahl treffen
würde, ich wenigstens "
~Ja, ja, ich weiß", unterbrach der
Konsul, „ihr beide habt immer zu
sammengehalten wie Pech und Schwe
fel".
,Nc>. also ganz offen gesagt, ich
kann wirklich nicht begreifen, und
Estella auch nicht, was dein Sträuben
eigentlich zu bedeuten hat, nachdem
Estella wieder und wieder beteuert
Hat, daß sie den Mann ernstlich liebt
ch b,
für das gehabt, was mein Leben
ausfüllt, für das Geschäft, das mit
seinen Armen den ganzen Erdball
mich deiner Neigung gefügt, und du
bist Arzt geworden. Da setzte ich
meine Hoffnung auf Estella und habe
machen".
„Schicksal, Vater. Du bist noch so
nannte Lebensglück junger Mädchen
hast du doch wohl «ine etwas zu
»Karl Kramer".
„Hast du etwas an ihm auszu-
b ch 'ch d' whl
eine Grenze. Sie liegt da, wo das
Wohl und Wehe meiner Schwester be
ginnt".
denn? Hat Estella sich jemals für
unglückselige Reist nach Tsingtau an
trat, mit Karl verlobt haben".
„Kann sein", sagte der Arzt. „Ein
Glück, daß sie es nicht getan hat, denn
mir scheint doch, als ob sie erst jetzt
dem Richtigen begegnet sei. Glaube
nur nicht, daß ich die Lag« .nicht
llbtrsehe. Ich weiß, daß Karl tod
unglücklich sein wird, wenn die
Freundschaft zu Ende geht. Er ist
seit Jahren in Estella verliebt".
Willen beharrt?"
klaren Menschen, wie es Estella ist.
Der Arzt lächelte. „Wie gut du
ter! Aber Estella ist wahrhaftig kein
leichtfertiges Mädchen und Ladenburg
bunte Uniform mitgehabt"^
Des Konsuls Gesicht ward röter.
„Ich bin nicht zum Scherzen aufge
legt. Herbert. Brechen wir ab. Ich
gebe es auf, dich als Vermittler anzu-
Wille bleibt fest. Ich geb« diese Ver
„Wie", brauste der Konsul auf,
„was soll das?"
gekommen um dir zwanglos vorge
stellt werden zu können. Das ver
pflichtet doch zu nichts. Wie viele
mehr Her weniger, ist doch gleich".
Der Konsul schüttelte den Kopf.
„Nein, Herbert, das ist eine Komödie,
ste i> e hoch
Frau Konsul Marlens und Estella
„Du hast nichts erreicht", sagte si«
Nun hilft nichts alt Geduld".
verleiten, meinte er".
Di« Mutter nahm die Hiobsbot
schaft weniger ruhig auf. Sie schloß
Estella in ihre Arme und streichelte
ihre Wangen. »Nehme es dir nicht
>u Herzen", schmeichelte sie. „Alles
du ihn immerhin vorstellen, wenn sich
eine Gelegenheit bietet".
Estella küßte die Mutter. „Nein,
von allen gesehen und von allen geach
„Kind", sagte die Mutter, „du hast
in Wahrheit den Charakter deines
Baters geerbt. Es wird ein harter
Kampf zwischen euch werden, und
als alles auf der Welt".
Draußen pochte der Konsul an die
Tür. Herbert flüsterte seiner Schwe
ster noch zu: „Laß keine Berstim
mung merken", dann traten alle drei
leichter eleganter Sommerkleidung.
Der Konsul, peinlich exakt in Geh
rock und dunklen Beinkleidern, eine
Blume im Knopfloch, trug einen Zy
linder. Der Arzt, etwas salopper,
gehüllt, den der flache Strohhut er
gänzte.
Unten stieg die Gesellschaft in den
2. Kapitel.
seste GestaU. Viele Hunderte von
nung, die sich den Nerven aller
Freunde des Spurts mitteilt. Das
erste Rennen ist schon , aufgezogen",
Ausfallendes, daß si« mit Hilfe ihres
Rennglafes den .veiten Platz absuchte,
denn diesen Sport trieben alle, um
gelmäßig die Rennen besucht, nahm
nicht viel Jnteress. an den ersten
Konkurrenzen, dem als Austakt gelau
fenen „Pokal vom Jahre 1908," dem
„Eilbecker Handikap" und dem schon
beliebteren „Gyldcnsteen - Erin
nerungsrennen", das von Herren ge
ritten wird. Nach diesem dritten
Kennen schwoll die Stimmung auf
Nähe des Rings bildete sich eine dichte
bäuden begannen ein wildes Tempo
anzuschlagen. Das Sportfieber stieg
aus seinen Höhepunkt.
Die Loge der Familie Martens
war jetzt leer. Der Konsul hatte sich
in die Loge eines ihm bekannten
Derby. HerbeN führte feine Mutter
strebte einem kleinen Hügel zu. der
jenseits des Geläuss zur rechten Hand
liegt, von den Tursbeflissenen scherz
weil sich auf diejein Punkie, der eine
freie Aussicht gewährt, die Kenner zu
versammeln Pflegen, soweit sie nicht
dem Unionklub ang»hören, der eine
des Geländes sein eigen nennt.
In der Nähe dieses Hügels pro
mentiere ein hochgewachsener, bild
schöner Offizier in glänzender, sil
berbestickter Uniform. Der amerika
nische Millionenarzt, der auf der
Reise von Hongkong nach Ceylon der
schönen, jungen Hamburgerin so em
sig den Hos machte, hätte seinen Ne
benbuhler, den er nur im weißen Tro
penanzug gesehen hatte, gewiß nicht
wiedererkannt. Der stattliche Pio
nieroffizier ging langsam und selbst
beherrscht auf Estella zu, schlug die
Hacken zusammen, grüßte «ehrerbietig
und küßte der jungen Dame die Hand.
Was er sprach, stimmte freilich nicht
mit seiner kühlen Haltung überein.
„Süßes Mädchen", sagte er zärtlich,
„ich sterbe schon vor Ähnsucht nach
dir".
Estella ging an seiner Seite. „Und
ich nach dir", erwiderte sie leise, „aber
sei vorsichtig, Liebster, ich stehle mir
dieses kurze Wiedersehen".
»Dein Vater?"
Wir haben nicht einmal die heutige
Begegnung durchgesetzt, auf die ich zu
erst so fest gerechnet hatte".
Ladenburg machte ein etwas betre
tenes Gesicht.
dich", sagte Estella schnell, „er wolle
baren Hoffnungen erwecken, sagte er.
Aber meine Hoffnung ist fester als je,
wir lassen einander einfach nicht".
„Ich möchte dich für dieses Wort
gleich in die Arme nehmen und küs
sen", flüsterte der Offizier.
„Vergiß dich nicht. Wir sind ja
hier von tausend Augen beobachtet.
Auch muß ich sofort hinüberhufchen,
wenn die Startglocke ertönt. Ich bin
s» froh, daß ich dich wenigstens gese
hen habe. Behalte nur Geduld, der
Bater wird und muß seinen Starr
sinn aufgeben".
»Den ich nicht begreife —"
»Wir auch nicht. Seine Gründe
find nicht stichhaltig, er muß uns noch
etwas verschweigen. Aber auf eines
auf sein gutes Herz".
„Dann will ich fröhlich wieder
heimreisen und keine Mißstimmung ii>
mich und hältst treu zu mir alles
ist gut. Verheißend liegt das Leben
noch vor uns, das Glück, das wir uns
erkämpfen. wird nun so süßer sein.
Sag', Estella ... der andere Mann,
dessen Namen ich nicht kennen soll,
ist er hier auf dem Rennplatz?"
„Nein, Liebster, er ist verreist.
Denke nicht an ihn, er spielt keine
„Ich weiß es, Geliebte. In
es auch ganz ruhig. Ich warte."
Während des kurzen Gespräches
hat.e der Rennplatz ein verändertes
derung und sah gespannt über den
Platz hin. „Hier geht etwas vo»,
was nicht zum Derby gehört", sagt»
er, „sollte ein Unglück passiert sein?"
Verdacht bestätigt gefunden hatte,
nahte sich stürmisch, begrüßte den Of
fizier und Estella flüchtig und fragte
j h .
blick sprachlos. „Ist das nur ein Ge-
„das ist Rußlands Arm. Wer weiß,
folge hat".
Ruf der Startglocke über den Platz
hin. Alles den Tribünen.
dir hören. Die Unglücksbotschaft hat
sich mir schwer aus die Seele gelegt.
Ein Wetter scheint sich in der Ferne
zusammenzuballen. Laß uns hoffen,
nach dem Offizier um und blickte
dann in das ernste Gesicht Estellas.
„Ich hab's geahnt, Kind", sagte sie.
waren wie weggewischt. Eine beklem
mende Stille hatte sich schwer auf die
weiten Plätze herabgefenlt. In dieser
seltsamen Stille, die der Meeresruhe
vor dem Sturme glich, wurde das
Derby gelaufen. Als die Pferde um
die sogenannt« Horner Ecke bogen,
wo das Schicksal des großen Zucht
rennens sich zu entscheiden beginnt,
riten erhobene „Ariel" sich vom
strebte, erscholl nicht das Jubelgeschrei
sachte, daß fremde Menschen sie sich
fühlt«, daß Oesterreichs Schicksali
he-ttnder Brand entzünden könne.
Noch während die übrigen drei
Rennen gelaufen wurden, begann sich
die Rückfahrt in die Stadt zu ent
wickeln. Die glitzernde Schlange des
Korsos bewegte sich wieder an der
schönen Alster entlang, in dercn Flu
ten sich friedlich das Abendgold des
Himmels spiegelte.
3. Kapitel.
Die älteren Hamburger Kaufleute
ähneln, in ihrem Wesen ein wenig den
Amerikanern, die den äußeren Prunk
bis zu einem Grade" verachten, der
ben unkundigen Beobachter fast
an ihrer Solidität Irrewerden läßt.
Hier wie dort trifft man unschein
bare. zurückhaltende Leute, deren Be
scheidenheit der Lebensführung und
deren Sparsamkeit die Millionen
nicht vermuten lassen, die fest und
sicher angelegt sind. diesen Kauf
herren gehörte auch Herr Alfred Bur
meister. in Firma Birrmeister L-
Krase, Tee en gros, in der ttatha
sind und in ihrer ursprünglichen" al
tertümlichen Gestalt die Jahrhunderte,
die seit ihrer Erbauung vergangen
schlossenen Mittelschacht, durch den
Vaters seines Chefs. Vier Jahre
Leute und viele Arbeiter und Arbei
terinnen beschäftigte die Firma. T>er
telegraphische und telephonische Ver
kehr spielte eine große Rolle. Kurz,
der unscheinbare, altertümliche Kon
tags an der Börse erschienen. Auch
Max hatte, den Ueberlieferungen deS
HaufeS entsprechend, in einem be
dem er bei der Artillerie im benach
barten Bahrenfeld gedient hatte, auf
mehrere Jahre nach Indien gegangen
rückgekehrt, um als Prokurist und
stiller Teilhaber in das väterliche Ge
schäft einzutreten.
Herr Max war eben im Begriff,
sich zur Börse zu begeben, als ein
.Stift" meldete, Herr Burmeister
würde am Telephon gewünscht. Der
Juniorchef begab sich auch sogleich
in die Fernsprechzelle, kehrte aber
sofort zurück und rief den alten
Herrn, der hinter den Büchern in
seinem Privatkontor saß. „Die
Mutter wünscht dich zu sprechen,"
sagte er.
Herr Vurmeister senior erhob sich
Zelle.
.Nun, Alte, brennt's?"
„Ach Gott, ich hätte dich so gerne
auf ein Stündchen hier," hörte er
die Stimme seiner Frau. „Kannst
du nicht mal aviommen, du pflegst
ja doch um diese Zeit zur Börse zu
gehen, und das kann ja auch Max
mal allein besorgen."
.Was ist denn passiert?" gab Herr
Aurmeister verdrießlich zurück. „Du
weißt, Lieschen, im Geschäft lasse ich
„Passiert ist nichts. Estella Mar
tens ist hier bei mir. Es ist richtig
mit dem Oberleutnant, und eS ist
wissen Vielleicht entschließest du
dich doch, Estella einen Wink zu
(Fortsetzung folgt.)
Heimatklange. „Was
schreibt Ihre Alte, Huber?"