Die ewige Mgll. Roman von Adolph Tchaffmeher. Erstes Kapitel. Der zweite Akt „Tosca" näherte sich seinem Ende im Metropolitan Opera Houfe. Sardous raffinierte Theatralik und des italienischen Mae stro Puccini aufwühlende Musik leg ten sich wie ein Bann auf das mäch tige Haus. In seinem Blute lag der grau same Scarpw auf den Boden hi>i gestreckt, das Kruzifix auf der Brust und ihm zu Häupten die brennenden Kerzen, die im leisen Lusthauch ge spensterhaft flackerten. Mit einem unbeschreiblichen Blick, in dem das letzte Aufwallen von Rachsucht und Haß mit den lähmenden Empfindun gen von Angst und Grauen sich wun derbar mischten, wandte Floria Tos ca, von Milka Termna mit erschüt ternder Intensität dargestellt, sich von ihrem Opfer ab und schritt hochauf gerichtet dem Ausgang des Gemache» zu. Mit hartem Ton, der seltsam, wie ein Stück Wirklichkeit berühr««, siel die massive Eichenholztür ins Schloß. . . Die letzten Klänge des großen, unsichtbaren Orchesters, das die langt wortlose Szene begleitet hatt«, verhaliten. Lautlos rauschte jetzt die Riesen gardine aus goldfarbigem Broka! hernieder und verschlang wie eine mächtige Woge das Bühnenbild. Durch das große Haus schien ein Aufatmen der Erlösung zu gehen. Im nächsten Augenblick schon flammte unter dem hohen Plafond der elektrische Stern mit seinen zahl losen Birnen auf, und in den Loger reihen und Rängen entzündet« sich die gleiche goldene Lichtflut. Wohin das Auge bei der gedämpften Be leuchtung wanderte, allüberall schwer goldene Verzierungen der Logen, der Plafond alles Gold. Das glei ßende Metall, das in diesem imposan ten Raum den Sinnen sich gewaltsam aufdrängt, wie eine Naturmacht das erste und letzte Wort. Das große Metropolitan Opera House hatte seinen Galaabend. Bis zur schwindelnd hohen Galerie nahezu lückenlos gefüllt, entfaltete es seinen ganzen verschwenderischen Prunk trotz seiner kaleidoskopischen Bunt farbigkeit ein Masseneffekt von be rückender Pracht und fesselnder, unge gann aus dem Parkett, von den Rängen und Logen herab der Ap plaus durch das Haus zu schallen, wie fast immcr hier ohne den brau senden Sturm eines bis in seine Tie fen aufgewühlten Enthusiasmus. Ein paar Rufe aus italienischen Kehlen gedämpfte Beifallklatschen weißer Glacss. Wie eine wohlerzogene Gesellschaft ihre Anerkennung kundgibt, die eben nie ganz vergißt, daß si« wohlerzogen, zu sein hat, und die alle wilden Ausbrüche als etwas unter ihrer Würde perhorresziert. Die Sänger erschienen Caruso Scotti, zwischen ihnen Milka Teriii na. Für eine zweite und dritte, stellung, so unendlich charakteri stisch für das Metropolitanist und für die große Menge der holden führung selbst: Das Zwischenattfcha,!- fpiel, das Treiben des großen Eitek keitsmarktes, das Sehen und Gese henwerden, das Besuchen und Plau sitzt New Yorks Aristokratie, die der Kolonialzcit, die es verstandcn haben, durch der Zeiten Wechsel Foc tunas Gunst sich zu wahren, die Fi nanziers von internationalem Ruf, die Eisenbahnmagnaten und die Krö susse mit den sabelhasten Schätzen, jene neuen Richen, die sich den D>g zum gesellschaftlichen Gipfel erst bah nen mußten, nachdem sie Golcondas ten. - 6 ff Denn dit Op«r ist der große Bo den, auf dem ganz New York sich trifft. Freilich immer schön abge packt, doch alles unter demselben Dach und die gleich« Lust einatmend. Al les was reich und hervor, schreitet. mer nur in der Gesellschaftsrubrik der Zeitungen li«st, und die Society Belle. Hier sind sie keine Drucker schwärze, hier sind sie Fleisch und Blut, in der neuesten Schminke, den letzten Kreattvnen von Worth und Pci ret, mit kostbaren Juwelen bedeckt. Und sich woh! bewußt, daß sie zu den großen, eigentlichen Attraktionen der Oper zählen. Auch sie spielen ohne Gage mit. Und ganz oben im Olymp da sitzt vielleicht das kleine Ladenmädchen oder, wie sie vorzieht, sich am Hudson zu nennen, die „Berkaufsdame", die ihren Schatz endlich überredet hat, sie in die Oper zu führen. Mit be gehrenden, aber Iritischen Augen schaut sie aus das farbenprächtige Bild herab, auf die wunderbaren Toiletten und die glitzernden Edel steine, und mit kecker Zuversicht spricht sie es aus, wenn sie selbst solche Kleider hätt« und solch Ge schmeide, so würde sie genau ebenso elegant und vornehm sein. . . Und sie hat vielleicht gar nicht so unrecht, denn es sind ja doch immer nur die Aeußerlichkeiten, die die Menschen Ganz vorn in jenen Sitzreihen, die sich rund um das Parkett ziehen, sa ßen in ihre Fauteuils zurückgelehnt zwei Herren als interessierte Zu» schauer des Bildes, das sich vor ihren Blicken entfaltete. Besonders der Jünger«, ein- hochgewachsene, schlan. ke Erscheinung mit glattem, feinge schnittenem Gesicht, das von blon dem, an der Stirn leicht gewelltem Haar gekrönt wurde, schien das al les mit ganz besonderem Interesse in sich zu trinken, wie jemand, dem die ser Anblick nicht allzu oft zuteil wird. Während an den schmalen Lipp'n ein wohliges Lächeln hing, wander ten die stahlgrauen Augen mit ei ner gewissen Ruhelosigkeit von einer Loge zur anderen. Zwischen den Händen, die in weißen Glacös sta ken, hielt er den Seidenhut; offen bar hatte er sich erheben wollen, schien aber durch eine geheimnisvolle Macht auf seinen Sitz gebannt zu sein. Doch jetzt richtete sein Nachbar, der den Ecksitz ini'c hatte, sich auf. „Nun, mein lieber Shirley, was mein-n Sie: wollen wir eine Zigarette rau chen gehen?" Er war beträchtlich älter als der Angeredete, etwa Mitte der Vier zig, mit ausgesprochener Anlage zur Korpulenz, mit schimmernder Glatze und einem kräftigen, leicht mit Grau vermischten dunkeln Schnurrbart. „Wenn es Ihnen recht ist, Cwy- Eine Zigmette kann ich immer rau chen, aber die Gelegenheit, dieses Publikum ein wenig zu studieren, kommt mir nicht jeden Tag. Und überdies. . es kam etwas zögern der „ich suche jemand, eine Dame; sein." Claytons Brauen hoben sich nur um «ine Nuance; ohne weiteres schob er seinen Zylinder wieder unter den Sitz und nahm an Shirleys Seite Platz. „Recht haben Sie ja, und von die sen Sitzen Hut man einen vortr«ssli chen UeberbliZ." „Wissen Sie", fuhr Shirley mit leichtem Lachen fort, „was Sie tun könnten? Mich den Vierhundert in den Log«n ein wenig vorstellen, wenn auch nur per Distanz. Ich nehme an, daß Sie als regulärer Abonnent alle Welt hier kennen." „Was eine bedauerlich falsche An nahme ist. Das müssen Sie sich ge legentlich mal von meiner Frau er zählen lassen, die darin genauer ori cntiert ist." „Nun, kein Wunder", meinte Shir ley, „sie gehört ja eigentlich dazu, Wa sche Grimasse. „Hier, mein Lieber, sängt der Mensch beim Millionär an. Und was das Dazugehören an betrifft, da will ich Ihnen eine amü sante kleine Episod« erzählen. Un ter dem Sivztl der Verschwiegen heit. Wir, Minnie und ich, waren bor. . ." „Entzückender Aufenthalt." „Ja Eines Tages mieteten sein bemerkte, so ganz von oben hin? „Ich bin eine Hamilton." M«in« Frau schwieg vor Bestürzung ganz bedeutungslos, solange der gol den« Rahmen zum Bilde fehlt. Da» einzige Adel.«patent, das wir ken- die Million. Ihr öffnen sich alle Türen, und vor ihr sinken alle Schranken. Da» mag nicht eben eine noble Jagd sein, «ber jetzt zu Beginn de» zwanzigsten Jahrhunderts ist e» die allgemeine Losung der Äölker und de» Einzelnen. Ich glaube, wir Ame rikaner genießen den Borzug. der schenkt zu haben." Clayton hatte im leichten Plauder ten gesprochen; man wäre in Verle genheit gewesen, ob er nur witzelte, oder ob die Umgebung ihn zu seinem Exkurs veranlaßt hatte. Auf Shir ley aber hatten die Worte einen star ten Eindruck hervorgerufen, man sah es seinen festgcschloffenen Lippen, dem beinahe trotzigen Ausdruck seiner Mie- „Ja, ich glaubt, daß Sie recht ha ben", sagte er leise, eindringlich, „und ebenfalls unter dem Siegel der Verschwiegenheit: auch ich stecke in der Jagd, mit beiden Händ?n, mit allen Sinnen. Ich wollte, ich verstände die Kunst, das Geheimnis des Erfolges Si« lachen innerlich, und es klingt ja auch ungemein lä cherlich, aber es ist trotzdem wahr. Ich bin ein gemeiner Geldjäger. Ich könnte Ihnen auch sagen, aus wel chem Grunde; eines Tages werde ich sogar den Schleier lüsten, einstweilen aber dürfen Sie alles für bare Münze nehmen " Claytons scharfe, ruhige Augen la gen mit «wem Anflug gutmütigen Spottes auf dem Antlitz des Reden den, der ruhig standhielt. „Es steckt da also ein Geheimnis im Hintergründe", sagte er. „In Ihrem Alter gibt «s nur ein Ge- Plötzlich sah er, wie Shirleys Ge stalt sich um eine Nuance emporreckie, und wie auf feinen Mienen ein Aus druck äußerster Spannung sich mar kant abzeichnete. Er folgte der Rich tung von Shirleys Augen und ent deckte in einer der Mittellogen des zweiten Ranges «ine junge Dame von stung Platz zu nehmen. Shirleys G.'sicht war in eitel Son nenschein getaucht. „Da ist Ge bar zu, „seit einiger Zeit-' habe ich mit Ihnen darüber sprechen wollen. Sie, die eben Platz nimmt." Clayton hatte sein Odernglas vor die Augen geschoben und betrachtete die Neuer scheinung mit ruhiger Aufmerksam keit. Ein kleines, bewunderndes Lächein nickte dem andern dann gleichsam zu. „Geschmack habe ich Ihnen immer zu getraut jetzt einmal Farbe be lennen, lieber Freund. Wissen Sie, wenn ich ganz offen sein soll: eine der Beautss, vor denen man wohl tut, Reißaus zu nehmen Wer ist sie?" Shirley hielt seine Blicke gesenkt, und wie Nachdenken lag es auf seiner Stirn. „Cynthia Jameson," begann er dann, „die einzige Tochter meines Chefs, unseres Bankpräsidenten. Die Sache spielt schon geraume Zeit, seit letztem Sommer. Sie wissen, mein alter Studienfreund Tom Carring ton, der Wall-Street-Makler wir waren in Harvard zusammen, der hatte mich eingeladen, meine Ferien bei ihm auf der Yacht zu verbringen. Im New Yo»? Dacht Club wurde ich Cynthia vorgestellt —" Fluchtig wan derten seine Augen wieder zur Loge hinauf. „Es war Ballabend im Klubhaus, große Affäre. Ich könnte Ihnen kein Bild geben, welch eine Nacht das war. Herrlichster Mond schein alle Yachten waren über di« Toppen illuminiert, das Klub haus ein Meer von Licht Schönheit und Luxus und Lebens freude überall. Vielleicht, daß ich m jenem Abend besonders empfänglich war ich sehe das alle« noch jetzt vor mir. Ich tanzte mit Cynthia. Mein Lieber, was soll ich noch hinzufügen?" Sie eben nicht. Eine Woche noch blieb ich auf Carringtons Yacht und erhielt auch eine Einladung von Cyn thia aus ihr-n Landsitz. Mit Car ringtons Schwester kam sie auch zu uns an Bord, und lxi steifer Brise segelten wir den Sund hinauf. Uebtigens versteht sie eine Yacht zu sichren, kutschiert einen Viererzug, rei tet'wie eine Amazone. —. —" „Aber lauter entzückende Tugenden. fiel Shirley ein. „Eigentlich wollte ich sagen ein facher für Sie." Nicht ein Muskel hatte in Clay« verstehe Ihre sagte —Er hob die Schultern empor „Jetzt begreifen Si« vielleicht, warum ich ein Dollarjäger geworden laß keiner bemerlt hatte, wie da« Orchester sich langsam wieder gefüllt, und der Dirigent, von einer leisen Beisallswoge cmpsangen, an seinem Pult das Zeichen zum Beginn de! Schlußakte? gegeben hatte ter. Nacht auf der Bühne, Nacht im Zuschauerraum. Ueber die Köpfe all der Hundert: hinweg, die in der fahlen Beleuch tung seltsam geisterhaft erschienen, suchte Georg« Shirley einen Augen blick die Loge, in der Cynthia saß. Wie von grauem Nebel verhüllt er kannte er undeutlich die Umrisse ihr-r Gestalt; es war ihm, als sei sie in unerreichbare Ferne gerückt seinem Innern raunte ihm im sel ben Moment zu: ganz wie in der Wirklichkeit, nebelhaft, unerreichbar Auch aus Claytons scharf kriti schem Blick vorhin hatte er es her ausgelesen, aus seiner Bemerkung es herausgehört, das Wort Vermessen heit. Er wußte das alles; hundertmal, tausendmal hatte er es sich selbst ge sagt. Es war eben wie ein Fatum gewesen, die raffiniert« Tücke des Zufalls, irgendeine geheimnisvolle Macht, die ihn immer von neuem in gebracht halt«. So tief der Ein druck bei der ersten Begegnung auch gewesen war er würde den Zauber waren die Einladungen gekommen, bei gemeinschaftlichen Bekannten trat man sich. Der Charme ihre» Wesens, den in seinen Augen kein« Andere in gleicher Weise besaß, um hüllte ihn mehr und mehr, bis er, unfähig die Fesseln abzuschütteln, sich einfach dieser Macht hingab. aufzuwachsen, das Leben zu erobern, sich eine Stellung zu schaffen, die ihn auch äußerlich in ihre Sphäre hob. An der Bör'e hatt« er sich versucht, sen. Jetzt sann Shirley auf nichts an deres mehr, denn Cynthia war der Inhalt und das Ziel feines Lebens ihm anvertraut, der selbst ein Leidensgenosse war, aber seine Passion üb«rwunden hatte. „Sie ist so etwas wie ein Mysterium" hatte Carrincton erzählt, ohne zu ahnen, daß Shirley in ihren Fesseln lag. Dieser aber biß die Zähne zu sammen und schwieg und trieb wei ter auf dem ungewissen Strom da hin, mit geschlossenen Augen. ha!b wie der Fatalist, der das ferne Rau schen der Brandung hört und doch nicht zu entfliehen sucht, halb mit der Zuversicht unvirbrauchter Jugend, die noch keine bitteren Erfahrungen hin ter sich Hai und die ganze Welt offen vor sich liegen sieht. Die Oper war zu Ende, zum letz ten Male war die Gardine herab rauscht. Die Logeninhaber erhoben sich, um sich in die Mäntel zu hül len, der letzte Applaus brach sich l«y wie verloren, die Augen auf Cyn thia geheftet, die an der Logenbrü stung stand und Beifall klatschte. Ueber Claytons Mienen' flog ein verstehendes Lächeln, wie «r den Freund so geistesabwesend dastehen sah; leise berührte er sein« Schul ter. ' Sofort ergriff Shirley seinen Uebcrzieher. „Es war wunder voll " Als sie de» Haupteingang erreicht hatten, wo ein gewaltiger Men schenknäuel ?ich staute, schob Shirley seinen Arm ijkter den seines Beglei ter». »Lassen Sie uns einen Augen» Nick in das Seitensoyer treten, Clay ton." trepp/ vorbei, von der das elegant« Gewühl der Logeninhaber h-rabström te die Damen in ihre kostbaren Pelze der Dust feiner Parfüms umhüllte diese Welt des Luxus wi« «in: unsicht bare Wolke. „Dort ist sie!" Mit kritisch musternden Blicken, in nommenheit zu leben schien, betrach tete Clayton das Mädchen, da» eine «In wenig über Mittelgröße, von je ner lässig stclzen, unn.ichahinlichen Haltung, die di« Aristokratin kenn zeichnet. Vornehme Züge ohne kalte Regelmäßigkeit leine feine Stirn eine gerade, nur an der Spitze »m eine Nuance gestülpte Nase, um die vollen, jetzt leicht geöffneten Lippen ein Ausdruck von Hochmut, der auch in den ruhigen, tiefdunkeln Augcn wie ein unveräußerliches Besitztum schimmerte. Mit einer Fülle seidig glänzenden, schwarzen Haares, das sich wundervoll von dem schneeigen Hals abhob, der aus dem hellen noch geöffneten Opernmantel zart und doch kraftvoll herauswuchs. In mattgrü ner Seide, deren Schleppe keck ge rafft, die schmalen aristokratischen Füße sichtbar werden ließ und darun ter einen entzückenden Knöchel in sei denen Strümpfen. Bei «iner Wendung des Hauptes hatte Cynthia jetzt Shirley erkannt ein leises Heben der Brauen, ein flüchtiges, Lächeln, das Woche!" Shirley, mit glänzenden Augen, verbeugte sich tief, wie Cynthia stolz vorüberschritt. „Es wird mir das größte Ver gnügen bereiten —" Aber das war ja ganz selbstverständlich, wenn Cyn thia rief. Und schon hatten die Nach drängenden sich zwischen sie gescho ben. Shirley schien nur das Lächeln ge sehen zu haben, das Cynthias Lippen umschwebte. Als er sich aufrichtete, starrte er in das hochmütige, rot» Gesicht von Herrn Reginald Carru thers, der sich zu besinnen schien, ob er den Gruß de» anderen zu erwi dern habe. Der bekannte SportL mann, der sich, wie Frau Fama er- Gcsch. Exzessen fuhr es ihm durch den Kopf. Er schob seinen Arm in den Shir leys und zog diesen aus dem Getüm mel. Armer Junge, dachte er dabei gespielt. Zweites Kapitel. Schweigend hatten die b«iden unter den letzten Nachzüglern das Opern haus verlassen und den Broadway hielt Kopf auf die Brust ge senkt, und Clayton störte ihn nirit in seinen Betrachtungen. Ein un verbesserlicher Optimist und Phleg matiker, der allen Dingen stets die beste S«ite abzugwinnen suchte, war diese Herzensverirrung überwinden würde. Denn als solche erschien sie ihm im Grunde doch nur. Es scha ivurde. Man mußte durch die Schule hes Lebens gehen; das ge rade war es, was Shirley gefehlt hatte: einmal von der Leidenschaft Freilich Cunthia Jameson sch'en ganz das Wesen zu sein, ein'n Mann bis in ftine tiefsten Tiefen kraft und Empänglichkeit eine! Shir ley. Jetzt siel Clayton auch wieder ein, was seine Frau immer behaup tet hatte, daß Shirley viel tiefer ver anlagt sei, als oberflächliche Beobach „Aber selbstverständlich." gießt, warf seine Brandungen nach allen Richtungen hin. Ein hastendes, drängendes Menschengewühl, da» in ieinein wirren Getriebe sast den Ein druck eines Schlachtfeldes machte, be täubend und sinnverwirrend Zwischen den wandelnden Men schenmauern sausende Automobile, elektrische Straßenbahnwagen au» allen Richtungen; Equipagen und Droschken. *Und niemand schien Zeit zu haben. Nirgends ein behagliches Schlendern und Flanieren, nirgend» genießendes Jnsichtrinken des gewal iigen Weltstndtbildes immer nur vorwärts! Ein drängendes, schie bendes Tohuwabohu, das wie ein markantes Spiegelbild des Landes und d«r Zeit berührend, wo selbst Vergnügungen und Erholungsstun den mit Rekordgeschwindigkeit ver schlungen werden. Zwischen den beiden Freunden waren bis zu». Hotel nur wenige gleichgültige Worte gewechselt worden, nun hatten sie die prunkvolle Vorhalle erreicht, uns Clayton drängte sofort durch di« Menschensülle nach dem Herrenzim mer zur Linken hin, das mit seiner weichen braunen Holztäfelung, den Jagdtrophäen, seinem ganzen behag lichen Ton zum wohlig ruhigen Le bensgenuß einladet. Sein scharf ausspähendes Auge hatte auch so gleich einen freien Tisch entdeckt, den er alsbald mit Beschlag belegte. „Das hätten wir ja glänzend ge deichselt," rief er, indem er einen Blick durch den gefüllten Raum schickte. Nachdem er sich aus seinem Ueberzieher geschält und die erkalte ten, fleischigen Hände gegeneinander gerieben, zog er fein Zigarretenetui. das er Shirley hinhielt. „In Zwischenräumen ist es sogar ganz angenehm, sich aus ein paar Tage wieder in seine alte Jungge sellenzeit zurückzuversetzen." Sie sa ßen sich jetzt am Tisch gegenüber und bliesen die leichten Rauchwolken vor sich hin. „Doch immer nur aus kurze Zeit, denn ich sage Ihnen, lie ber Freund, wenn man eine Frau hat, die ein famoser Kerl und ein lieber Kamerad ist, so pfeift man aus die Millionen der Vierhundert und auf die Vierhundert dazu." Ein skeptisches Lächeln hing an Shirleys Lippen, aber sein Auge blieb nachdenklich, und er antwortet« nur durch ein halbes Nicken. Ja, dieser Clayton ward viel beneidet, und vielleicht hatte er auch in der großen Lebenslotterie den Tresser ge zogen. Er war Anwalt mit einer einträglichen Praxis gewesen, als er seine Frau kennen gelernt; durch die Heirat war er in den Besitz eines Vermögens von zweihunderttausend Dollars gelangt. Das war für bei der Bedürfnisse genug gewesen. Mit innerster Befriedigung erklärt« er selbst, daß er jeden Ehrgeiz begraben und nur noch den Wunsch besitze, die guten Dinge dieser schönen Erde mit Ruhe und Gründlichkeit auszukosten. „Ich bin aus dem verdammten Wett rennen heraus," war seine oft wie derholte Redensart. Tatsächlich hat te er im Laufe der Zeit Fett ange setzt, und nur von der einen Sorge ließ er sich noch bewegen: die Schätze, die das Glück ihm in den Schoß geworfen, intakt zu erhalten. Und doch, Shirley fühlte es al» tiefe, unumstößliche Gewißheit, daß er den Mann nicht beneidete, der freiwillig allem entsagte, was dem Leben Größe, Wert und Bedeutung verlieh. In der Stimmung dieser Stunde weniger als je. Nein, kämp fen, das Leben erobern, die Welt besiegen, in ihm gährte und brannte jede Fiber. „Mein lieber Clayton, wir sind nicht alle aus gleichem Holz ge schnitzt," erwiderte er, während der andere sich in da» Studium der Speisekarte zu vertiefen begann, »Ich glaube, Sie sind ein glücklicher Mensch, vielleicht sogar «in weiser. sollten Sie und IHK Gesellschaft „Aber jetzt Schluß," fiel Clayton lachend ein. «Doch, wenn ich wüßte, —" Shir leys Worte hatten jetzt eine tiefe Eindringlichkeit, „wenn ich wüßte, den Eisfeldern Alaska» ausbrechen/ Ein paar Augenblicke hoben sich in Shirleys AiMtz^ Uebiigen» lassen Sie mich einstwei len für uns beide bestellen, e» ist Ihnen doch recht?" Er winkte dem „Und den Sekt sogleich,- fchl»ß er. über? (Fortsetzung f»lgt.) Liir