Spätes Glück. Bor dem traulich prasselnden Ka nnnseuer saß das junge Paar. Das junge? Nein, sie war schon weil über dreißig und er bereits, über vierzig. Sagen wir also lieber: das glückliche Maar. Aber merkwürdig jung sah sie aus, wie sie dort in der Sofaecke lehnte. Zum Theil war es wohl das Verdienst des Feuerscheines, der ihre Wangen mit warmer Gluth, ihre Haare mit Goldglanz überhauchte, doch mehr noch der verschönernde Re flex warmer Innerlichkeit: denn als sie sich herabneigte und den in ihrem Schoße ruhenden Männerkopf strei chelte, schwebte ein Lächeln um ihre Lippen, das jeden ihrer Züge wunder sam verklärte. „Ach, Axel, wie glücklich bin ich doch!" sagte sie leise, während sie die schlanken Finger durch sein dichtes, dunkles, hier und da leicht ergrautes Haar und dann langsam, schmeichelnd über seine Stirne gleiten ließ. „Du schläfst doch wohl nicht, Axel!" „Schlafen? Bewahre. Ich genieße nur. Dort auf dem Schreibtisch liegt «in Berg von Themenbüchern und um halb sieben muß ich in's Kolleg. Aber diese Dämmerstunde gehört uns bei den. Rede, mein Kleinchen, zwitschere, Bögelchen!" „Ich bin weder Kleinchen noch Bo kel, sondern ein gesetztes, verständiges Menschenkind, das jahrelang in einem Bankbureau gesessen und Renten be rechnet hat," entgegnele sie schelmisch. „Und zwitschern? In welcher Tonart „In derselben wie vorhin: Ich bin so glücklich, so glücklich!" Ein Grund ton warmer Zärtlichkeit durchbebte seine tiefe Stimme. .Zwitschere mir vor, wie froh Du gewesen bist, als Du merktest, daß ich geruhte, Dich meiner Gunst zu würdigen: wie Du an dem Tage, als Du meinen Freiersbries er halten, immer einen Rechenfehler nach ewig Neue!" „Damit Du dabei einschläfst! nein, danke!" Doch ohne ihre Antwort zu beach ten, fuhr er fort: „Zwitschere, wie Dir zumuthe ist, wenn Du träumst, daß Du mit all Deinen Ziffern im Kopf Kollegen sitzest, der „Lisett', ach wie nett" trällert und seinen Schnurrbart on meiner Seite!" „Nein, Axel, nicht ironisch werden!" „Wenn Du dann am Morgen aus ach wie nett", hast keine einzige Ziffer im Kopf, doch Dir gegenüber steht ein großes, bärtiges Individuum und sagt: „Adieu, Duchen, nun gehe ich!" Und dann küßt er Dich, so daß Du noch wacher wirst und merkst, daß Du nicht auf der Bank bist. Und wenn er fort ist, dankst Du Gott, daß Du an «inen so vortrefflichen Mann gerathen gleichst!" „Ihr?" Wie ein jäher Stich durch fuhr es ihre Brust. Sie schwieg. Doch ein tiefer Seuf gezwitscher. „Warum seufzest Du, Helga?" „Was denn?" «he Du die Meine geworden bist!" „Du weißt sehr wohl, daß das nicht der Fall ist. Ich gehöre nicht zu der tnlschließen, zuzugreifen, um nur ei nen Mann zu bekommen. Und der Rechte kam erst, als es zu spät war." „Zu spät? Wie meinst Du das?" „Ja, er kam erst, als er alt und orau geworden, und da ward mir nur der Reflex seines ersten Jugendfeuers, das er ihr geweiht, an die zu erinnern ich das Glück habe." Sie hatte in leisem, gedämpftem Ton gesprochen. Ihre stolze, seine Natur, die alles gegeben und daher auch viel begehrte, erbebte unter einem Gefühl der Bitterkeit, die sie nicht zu Ihn aber schien diese Wahrnehmung keineswegs unangenehm zu berühren. Er erhob sich aus seiner noivhalanten Stellung, setzte sich dicht neben sie und versicherte unter Küssen, daß seine Liebe kein Reflex, sondern das wärm ste, echteste Gefühl sei, das je seine Brust erfüllt habe. „Ja, ich kann mit gutem Gewissen hinzufügen, die einzige Liebe meines Lebens," sagte er: „denn jenes andere war eigentlich nur ein Traum, eine Phantasie. Du weißt nicht recht, was in mir wohnt, Helga. Mein Vater war Künstler, und mein Bruder hat ja noch in seinen alten Tagen ein Ge dichtbuch herausgegeben. Es war allerdings auch danach! Wir sind mithin romantisch veranlagt das liegt bei uns im Blut. Meine Ro mantik offenbarte sich weder in Oel- oder Wasserfarben, noch ergoß sie sich in Bersen. Sie malte und malte an einem einzigen Bilde tief drunten im Herzensgrunde und versah es mit der Devise: Sie oder keine!' „Ja, ob Du es nun glaubst, oder nicht aber dieses ideale, halb er träumte, halb geschaute Bild hat sich so manches Mal von entscheidender Bedeutung für mein Geschick erwiesen. Es hat mir u. A. eine reiche Partie sortgegaukelt, denn es stellte sich mit ten auf die Geldkiste und fragte: Kommt Fortuna mir gleich, mein Herr? Kommt Fortuna mir gleich? Es hat mich in Stunden der Versu chung behütet, mich mit großen, ern sten Augen angeschaut und gewarnt: Laß keinen Fleck das zarte Bild ent stellen, sonst erkennst Du sie vielleicht nicht wieder, falls ihr euch je begeg net! Hüte mich, Idealist, hüte mich!" Er verschränkte die Arme hinter sei nem Kopf und lehnte sich in's Sofa zurück. Groß und leuchtend ruhten Helga's Augen auf ihn. Eine neue Seite fei nes Wesens schien sich vor ihr zu ent rollen, reich an wechselnden Bildern und mit schwer zu deutendem Text. „Ich verstehe Dich nur halb," klang es von ihren Lippen. „Ach, wenn Du mir alles, alles sagen wolltest!" „Alles, alles ..." lächelte er. „Für Jemand, der nur das Aeußere, die grellen Konturen sieht und die feine Mystik des Seelenlebens nicht faßt, wäre es eitel Dunst und Thorheit. Vor einem solchen zu beichten, würde mir nicht einfallen. Da Dein Wesen jedoch aus demselben Stoff wie das meine geschaffen scheint, so kann ich ja wohl damit herausrücken." „Ja, ich werde Dich schon verstehen. Rück' nur damit heraus!" Mitglied eines neugebildeten patrioti schen Clubs, woselbst ich feurige Reden zn halten Pflegte. Es waren damals nicht so innerlich zerrissen wie jetzt. „Ach, Axel, verfall' jetzt nicht auf Politik. Du wolltest ja von ih r re „Geduld das war nur ein kleiner Abstecher. Also ich war sechsund zwanzig Jahre, mithin kein unbcfie- Vorsatz: Ja, ich werde mit Bedacht So lagen die Sachen, als unser Club seinen ersten Stiftungsball fei erte. Ich hatte das Mißgeschick ge habt, mir einige Wochen zuvor den Fuß zu verstauchen, und wiewohl ich ' konnte, ohne zu^ hinken, war ich ' keine Schönheit, doch von entzückender Frische. Hast Du halberschlossene, von i Morgenthau und Sonnenschein schim- mernde Nyponrosen gesehen? Einer i solchen glich sie mit ihren rosigenWan ! gen, ihren rothen Lippen und dem ein Knospenkränzechn ruhte. Um den Hals trug sie eine leichte, weiße Perl schnur, die sich beim Tanz leise be wegte." „Wie genau Du das alles gesehen hast," unterbrach sie ihn lachend. „Ihr- Männer habt ganz ebenso ein Auge für Kleinigkeiten wie wir. Solch ein Halsband aus großen weißen Perlen sen." „Ja, mir steht das alles noch so deutlich vor Augen," sagte er. „Der einer Rose: sie umgeben sie mit etwas Zartem, Individuellem. In der äu ßeren Erschtinung offenbart sich stets etwas vom Seelenleben. Dieses Mäd chen war sicherlich eine poetische, hm ganz anders war, als alle anderen. In erster Reihe die schlichten, zartfarbigen Knospen, die weißen Perlen, die sicher lich weder kostbar noch modern waren. Und dann das aus irgend einem luf tigen Stoffe gefertigte Kleid fahne then Bouquets. Auf dem ganzen Ball war keine so gekleidet wie sie. „Welch' unpassende Toilette!" hörte ich eine sie zu sehr von allen anderen ab." Mir aber erschien sie wie ein Bild der blühenden Jugend in ihrem rosen „Weißt Du, Axel," bemerkte Helga, Weiter, Axel, weiter! Wie war's, als einen Kollegen nach ihrem Namen. „Möller," sagte er." „Genau wie ich," lachte sie. „Das zusehen." „Ja, sie trug wirklich diesen bana her und eine Verwandte von Professor Z. Ich wollte mich ihr vorstellen las sen, kam jedoch nicht dazu, da sie be heutigentags so klar und deutlich vor Augen, wie das Muster jenes Tev pichs. Alle Farben treten so tief und alles miteinander verbinden " „Ach. was geht uns jetzt der Teppich an! Bleib' lieber bei der Sache!" Er lachte. „Ja, siehst Du, ebenso Wort. „Lindensköld." „Ach!" Die Kand über die Au „NichtS, nichts!" sagte sie leise. „Ich was sie nicht hören wollte. Und ein mal, als sie den Kopf schüttelte, fiel eine Knospe aus ihrem Kranz. Er «ntgegnele etwas. Damit war alle? zwischen ihnen erledigt. Ich weiß nicht, ob es zur Tour gehörte, doch valier, mit dem sie lachte und scherzte, allein ihr Blick verrieth mir den sehn lichen Wunsch: Wenn es doch erst aus und alles vorüber wäre! Jener Blick es war. als suche er etwas in dem wogenden Menschenmeer oder vielleicht auch in weiter Ferne... Mitunter war's mir, als hätte dieser Blick unbewußt mich gesucht, damals und später, immer und überall... In unserem realistischen Jahrhun dert lächelt man über die Theorie vi?» eigens zur Verschmelzung miteinander geschaffen sind eins zu werden, wie Gott und die Poeten sagen. Wer nicht an die Unsterblichkeit der Seele glaubt und die Materie über alles stellt, ver lacht derartige Ansichten wohl oder zuckt mitleidig die Achseln. Doch ein feines Ohr merkt es woyl, ob das La chen mitunter wie Zähneklappern klingt und der Mitleidsvolle einen Seufzer des Neides unterdrückt. Hast Du Heine gelesen, Helga?" „Natürlich habe ich Heine gelesen: aber nun gerathe nur ja nicht auf die ses Kapitel! Wie war's denn weiter?" „Wie es weiter war? Nun, ich er erfuhr jedoch nicht mehr, als was ich bereits wußte. Und alles, was ich seither von ihr zu Gesicht bekommen, war ein flüchtiges Auftauchen an ei „Nach Vstad," sagte sie leise. zartblumige Maid nie vergessen, und hättest Du, kleines Zissernweiblein, ihr nicht so merkwürdig ähnlich gese- Falle gegangen. Allerdings bist Du etwas dunkler, hast durchaus nichts Backfischartiges und vielleicht auch niemals einen Rosenteint besessen. Das Gemeinsame an euch ist eigentlich etwas rein Seelisches. Das Ideal weiblicher Anmuth und echter Weib lichkeit, das ich in meinen Jugendtagen meteorgleich an meinem Horizont auf tauchen und verschwinden gesehen, habe ich, wenn ich den Zenith meines Lebens überschritten, in nächster Nähe gefunden. Doch um einen wahren Freund siir's Leben zu haben, wird man nie zu alt. Und kein ehrenhafter Mann, mag er nun grau oder grün fem, will eine Frau, die ihn nicht um seiner selbst willen liebt, sondern nur den Versorger in ihm sieht. Hättest Du Deine Angel nach mir ausgewor fen, nur um der Nothwendigkeit über hoben zu sein, auf ehrliche Art Dein Brot zu verdienen wahrlich, ich „Nein, das glaube ich wohl," fagie sie stolz. „Dazu warst Du viel zu gut." „Nein, ich merkte deutlich, daß Du mich lieblest," fuhr er in innigem Tone fort, „und ebenso merkte ich, daß Flammen auf dem Grunde Deines Herzens ruhten. Das Ideal hatte Dich sowohl wie mich gerettet. Keiner von uns hat sein zartestes Empfinden etwas zu geben: ein wahres, gesundes Gefühl, das unser Leben bis zum letz ten Athemzuge durchwärmen und ver- Thörichtes gesagt?" „Ach nein ich bin nur so froh, so froh und dankbar das „Warum" ist bald halb sieben." „Jawohl, ich muß fort. Lebewohl, mein Liebling. Wie feucht Deine Wangen sind! Warum in aller Weit diese Thränen? Lebewohl, meine zartblumige Maid!" „Halte mich nicht zum besten, Axel. Das ist längst, längst vorbei." Dann stand sie lange und starrte lächelten. „Was wird er sagen?" flüsterte sie. „Was wird er sagen?" Sie entzündete eine kleine Lampe, eilte damit in die Vorrathskammer und öffnete einen Koffer, aus dessen Tiefen sie allerhand Flicken und Spitzen an's Tageslicht beförderte, wie viele Frauen sie gerne aufbewah schade sind. Und sie fand, was sie suchte die zerknitterte Stoffbreite eines alten Ballkleides, ein zartge blüintes, luftiges Gewebe, ein wenig Ballabends, als sie einen Korb ausge theilt. den ihre Angehörigen viel lieber in einen glatten Reif verwandelt gese hn hätten. Aber wie wunderbar! Ge rade damals war es ihr ganz so gewe sen, als hätten ein Paar ernste, flam» Tritl begießet, als hätte Jemand sie wußte nicht wer voll Bangen „Möchte sie doch bedenken, was sie thut, und ihr edleres Selbst nicht an einen Strohmann verschleu dern!" Und jenes Gefühl hatte sie duich's Leben begleitet. Wie oft, Ziffern gesessen, hatte sie sich gesagt: Ich habe Arbeit und Seelenfrieden: — das dürfte mir genug sein. Ich hab« das befriedigende Bewußtsein, daß ich mir selber treu geblieben und das Edelste nicht in den Staub gezogen ward es ihr allgemach klar, daß er es wußte, daß sie und die zartblumige Maid identisch waren. „Er wollte wohl nur die rechte Gelegenheit ab warten, um mich damit zu überra schen," dachte sie. „Er hat es die ganze Zeit über gewußt! Daher auch das Jubel erfüllte ihr Herz, Jubel trennliche Begleiter, und Lächeln und Dach. Und so wandelte der Jubel sich früher?" Bon dem Verlangen erfüllt, hinauf in unendliche Weiten zu schauen, schritt sie zum Fenster und blickte zu dem dunklen Winterhimmel mit seiner flimmernden Sternenwelt empor. Wie wunderbar hatte der Lenker der Wel ten auch ihr Geschick gelenkt! „Nun weiß ich, warum das Glück so spät gekommen ist," flüsterte sie leise. „Sonst hätten wir übereinan der vielleicht Gott vergessen." Ter Redaltcur. Frau Assessor Berg saß in freudiger Erwartung des Besuches eines Berli seine Visite in Aussicht gestellt hatte. nur aus Briefen! Da erschien ihr Dienstmädchen. Der Postbote hatte eben einen Brief gebracht. Frau schrift!) „Lina!" Frau Assessor rief das neue Mäd das, auch wenn sie sagen, „sie kämen in einer Angelegenheit." Ich habe kei nerlei Angelegenheiten und kann jetzt, da Herr Assessor so leidend ist, auch nichts brauchen. Man hat so schon allerhand unnütze Ausgaben, und ich habe keine Zeit zum Reden und mich Beredenlassen. Also den Weinhändler, den erkennst Du schon daran, daß er sagen wird: „Ich bin auf der Durch reise und habe eine Angelegenheit, die nur ganz kurze Zeit braucht, ich will die Herrschaften gar nicht lange auf halten!" Und dann wird er auch wo möglich mit Dir schön thun, „schönes Kind." oder „netter Käfer" sagen! Schon an der Freundlichkeit erkennt man den Weinreisenden. Ist aber der Herr aus Berlin, der sicher seine Karte darf ich durch Nichts gestört werden. Kommt der Reisende, so sagst Du ihm wenn er gar nicht sortzubringen sein sollte —, der Arzt wäre anwesend Herrn auS Berlin laß ich gleich re!n, und den anderen graule ich raus!" Ganz vertieft in ihre Studien über hört Frau Assessor die Glocke, und erst als Lina die Thür öffnete, ihr mit flüsterte: „Sehr was Gelehrtes, so Nicht ein Wort sagt' er, un' sah mir Karte. Endlich der ersehnte Besuch des Redakteurs! Sie betrat den Sa lon. Eine wahre Hünengestalt stand „?» inuitiv t<>! v!,l