Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, October 29, 1903, Page 2, Image 2

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    2 Die Tischrede.
Tirrrrrrr! schnarrte der Wecker.
Theophil fuhr in die Höhe und rieb sich
dort sein, oder war's nicht um fünf?
Wo hatte er denn bloß die Einladung
hingelegt? Aber es war doch schon
richtig, fünf, natürlich! Mit einem
leisen Seufzer erhob er sich vom Sofa,
schleuderte das Kissen, welches er sich
zur Unterlage für den Kopf aus dem
Bett geholt, wieder auf das Bett zurück
und dehnte und reckte sich nach allen
So ein Unsinn auch, heute, wo er
doch auf der Hochzeit sprechen sollte, ei
nen so starken Frühschoppen zu ma
chen! Na, es war einmal geschehen
und nicht mehr zu ändern, er hatte im
merhin noch zwei Stunden, das war
Zeit genug. Langsam begann er Toi
lette zu machen.
Zheophil Neumann, der Held dieser
Erzählung, war, was man so im Le
ben einen charmanten Menschen nennt.
Liebenswürdig, aufmerksam, ein rei
zender Gesellschafter und vorzüglicher
Tischredner. Er war im Stande, eine
Gesellschaft ganz allein zu unterhalten
und der ödeste Kreis erheiterte^ich,
Wunder, wenn bei diesen Talenten
seine Freunde und Bekannten nach
Tausenden zählten und seine Bezie
hungen zur Gesellschaft sich in einer
endlosen Kette von Einladungen doku
mentirten; Einladungen zum Früh
stück, Mittagessen, Kaffee, Fünsuhr
thee, Abend- und Nachtessen. Die mei
sten Leute, die ihn einluden, kannte
Theophil nur dem Namen nach und
auch das bloß, wenn sie Müller oder
Schulze hießen.
Auch heute wußte Theophil, daß er
zu keinem anderen Zwecke eingeladen
war, als die Leute zu amüsiren, er
hatte nämlich leine Ahnung, zu wessen
Hochzeit er geladen sei, er erinnerte sich
weder des Bräutigams, noch der
Braut, obwohl er wußte, daß er ir
gendwo und irgendwie mit ihnen zu
sammengekommen war, er erinnerte
sich nur des Onkels des Bräutigams,
der ihn mit Thränen in den Augen ge
schief hing.
Während des Anziehens las er die
Notizen durch; sie lauteten: „Braut ist
führte dem Nachfol
ger ihres Mannes die Wirthschaft, hat
zweiKinder, redet etwas viel und kann,
da sie das Asthma hat, schlecht laufen."
Hier konnte Theophil, der sich
seufzte Theophil.
ist!" sagte die Wirthin. „Wenn's
Eduard holen, aber Sie wissen ja, weit
fährt er nicht gern."
habe keine wo die
Theophil begann zu suchen, aber wie
viel Mühe er sich auch geben mochte,
die Einladung fand sich nicht. Aerger
lich gab er weitere Nachforschungen
auf und legte sich auf's Denken. Die
Hochzeit war in einem Hotel, das
wußte er und zum Donnerwetter!
er hatte doch auch den Namen schon oft
gehört wenn er sich recht erinnerte,
hing derselbe mit der Iberischen Halb
insel zusammen. Wie war er doch —?
Hotel Madrid? nein, es kam, wie
er glaubte, etwas von einem König
drin vor. Hotel zum König Philipp?
nein! Köntg von Kastilien?
—. auch nicht, er kam nicht d«rauf.
Die Wirthin meldete, dag die
Droschke da sei.
Hochzeiten abgehalten werden?"
Der Rcsselenker stierte mit blödem
Lächeln vor sich hin.
dem König von Spanien zusammen?"
„Jsabella!" antwortete rasch der
Droschkenkutscher, der erst vor wenig
Wochen einen Corportageroman «Vom
Königsthron zur Tugendrose" gelesen
hatte.
Ein „Riesenrindvieh" noch rechtzei
tig herunterschluckend, begnügte sich
«inen halb aus Verachtung, halb aus
Zorn bestehenden Blick zuzuschleudern
und ging in den nächsten Ciaarren
„Bitte um das Adreßbuch?"
„Bitte!"
Er sucht«. A. —B.B. B. D. E. F.
H. Aha!
„Hotel Braganza! Aber schnell, eS
ist die höchste Zeit!" rief er dem Kut
scher, in die Droschke springend, zu.
Langsam setzte sich d-r Wagen in Be
wegung.
Es war wirklich die höchste Zeit.
Als Theophil in den reich dekorirten
Saal des Hotel Braganza trat, schien
man schon gewartet zu haben. Um
nen Platz an der Tafel. Er fand ihn
sofort. Es stand zwar „Herr Heu
mann" auf der Karte, aber Theophil
Teller gesenkt und arbeitete seine Rede
aus. Als die Suppe gegessen, klopfte
konnte es nicht bemerken, denn, wie ge
sagt, er sah fast nichts.
Siegesgewiß, da er gewöhnt war,
gelenke —, »in dem muß der Wunsch
entstehen, sich selbst zu binden. Und
konnte für beide das besser geschehen,
als dadurch, daß sie sich gegenseitig fes
selten? Ja, meine Herrschaften, wir
haben hier kein gewöhnliches Braut
paar vor uns, etwas was wohl unter
hunderttausend Menschenschicksalen
seine Wiederholung findet, spielt
linquenten hört, fanden beide ihr höch
stes Liebesglück. Dort fand sie ihn,
dort fand er sie, die Mutter von zwei
lieblichen Kindern, seine liebe Braut
Weiter sollte Theophil nicht kommen,
Worten:
„Aber bitte bitte!" stotterte Theo
phil, mehr als perplex. Aber der Red
ner ließ sich nicht unterbrechen, sondern
fuhr in höchster Wuth fort: „Wie kön-
Schwiegersohn Beamter im Kultus-
Sie!— Sie! —"
„Erlauben Sie!" rief Theophil, er
um uns zu beleidigen! hinaus mit
ihm!"
„Raus, hinaus!" riefen die Herren
der Gesellschaft, und ehe es sich Theo
phil versah, war er von zehn kräftigen
Fäusten gepackt und zur Thür hinaus
expedirt. Vergeblich suchte er sich ver
ständlich zu machen. Niemand hörte
auf seine Worte und erst als er die
Treppe hinunterflog, durfte er eS sich
selbst sagen, daß er das Hotel Bra
ganza mit dem Hotel zum König von
Portugal verwechselt hatte.
Der Manager.
Theatern des Nordwestens, und durch
die Macht seiner Geldmittel sorgte er
für die nöthige Lobhudelei in den Zei
tungen. Auf Grund seiner Reklamen
und guter Bezahlung erhielt Edding
denn auch endlich ein Engagement an
ein Theater in P. Er trat hier auf,
und zwar in einem Shakespeare'schen
Margens die Visitenkarte eines Besu
enthielt nur den Namen Dean und den
Titel Manager. Ein Schauspieler, der
in Amerika zu Ruhm und Geld kommen
will, braucht auf alle Fälle einen Ma
ler Edding.
Bei seinem Anblick erhob sich Dean,
streckte pathetisch die zur Stu-
Mr. Edding."
sollen. bringe Mittel,
erklingen, sondern durch ganz^lmeri-
Dabei ist die Sache billig, Mr.Edding,
spottbillig, denn wie gesagt, ich handle
in erster Linie aus Begeisterung zur
Kunst. Aber natürlich muß ich meine
Auslagen erstattet haben.
„Was würden Ihre Bemühungen
sich handelt."
„Gut, Mr. Edding, Sie sollen alles
würde, meinen Vorschlag zurückzuwei
sen. Deshalb geben Sie mir Ihre
Hand darauf, eines Ehren
s» schüttelte sie kräftig und fuhr fort:
daß wenn an unserem Theater eine
Ausführung angekündigt würde mit
den berühmtesten Schauspielern aller
Welt, und gleichzeitig eine öffentliche
Hinrichtung stattfände ich bin tief
beschämt, sage ich, behaupten zu müs
sen, daß dann selbst die erleuchtete Be
völkerung der erleuchteten Stadt P.
sich von der Hinrichtung mehr anziehen
ließe als von der Vorführung im erha
benen Tempel der Kunst. Es ist trau
rig, Mr. Edding, aber nicht zu ändern.
Ich habe gefunden, daß jeder große
Mann, der zu Ansehen und Populari
tät gelangen will, gewissermaßen durch
das Verbrechen hindurch seinen Weg
nehmen muß, daß er nur auf diesem
Umwege /ich die Gunst des Publikums
v-rschasfk."
„Meinen Sie etwa, daß man sich erst
hängen lassen muß, wenn man populär
Edding.
„Unzweifelhaft ist Niemand populä
rer in Amerika, als die Leute, die ge
henkt werden," antwortete Mr. Dean.
„Aber es ist durchaus nicht nöthig, daß
man zu diesem äußersten Mittel grei
sen muß, um populär zu werden. Wir
wenden ein.gelinderes Mittel an. Ich
habe eine Anzahl sicherer Leute arider
„Beruhigen Sie sich, Mr. Edding,
nicht Ihr kostbares Blut soll fließen,
besitzen, was dem genialen Künstler
Edding gehöre. Durch die Gewalt Ih
rer herrlichen Kunst sei er, der elende
de er Ihnen das kostbare Stück zurück.
echten Brillanten handeln, Mr. Ed-
Sie, sondern an die Polizei. Erst die
Polizei gibt Ihnen dann den Brief.
Denken Sie nur die kostbare Reklame,
„James Edding, der berühmte
Künstler, in Lebensgefahr.
vern.
Er zeigt übermenschlichen Muth.
Er verwundet eine Anzahl der ge-
Er schlägt sie in die Flucht.
Diese Artikel kommen zur Verscn-
Jhnen ebenfalls kostenlos geliefert. Ich
um etwas Bedenkzeit, ich möchte erst
meine Frau um Rath fragen. Ich pfle
gt mit ihr alle meine Angelegenheiten
Es wurde also ein vollständigerVer
trag mit Mr. Dean aufgefetzt, in dessen
erstem Paragraphen man sich gegensei-
tausend Dollars festgesetzt.
Zweitausendfünfhundert Dollars be
trauen zu ihm gefaßt.
Am Abend hatte Edding zu spielen,
und er spielte noch schlechter als sonst,
mit dem Einbruch und nicht mit dem
Stück. Das Publikum blieb sehr gleich
gültig, aber daraus machte er sich heute
nichts, er wußte, am nächsten Tage
würde er doch der Held von P. sein.
Er kam ganz aufgeregt nach Hause, aß
mit seiner Frau Abendbrot und begab
lon. Die Thür nach dem Salon war
verschlossen, undEdding sehr vergnügt,
als er nebenan das erste Krachen von
sich kein Mensch mehr befand.
Zwei Minuten später klopfte die Po
lizei an die Hausthür. Der patroulli
der Teppich gestohlen worden waren,
bewies, daß die Einbrecher Zeit gehabt
hatten, und daß sie ihr Handwerk
In den ersten Morgenstunden fan
den sich bereits die Berichterstatter der
verschiedenen Zeitungen ein, und Ed
in der Nähe des Fensters sei eine Bült
um Einbrüche bei Schauspielern han
delte, hatte er so seine Bedenken.
Schließlich wendete er sich an ein
Mitglied des Reviers und sagte: „Eine
tadellose Arbeit, von Fachleuten ersten
Ranges ausgeführt. Die Kerle sind in
einer unverschämt gründlichen Weise zu
Werke gegangen."
manche Unannehmlichkeiten ertragen.
Aber auch der Erfolg zeigte sich so
fort. Bevor Edding am Abend auf
trat, bat der Regisseur das Publikum
um Verzeihung, wenn Mr. Edding
aber er hab« doch nicht daran gedacht,
für den Abend abzusagen, sondern er
wolle seine Rolle durchführen. Das
wirkte. Schon beim Auftreten wurde
der Held des Tages mit donnerndem
Edding wohl zu etwas lebhafterem
Spiel als sonst. 'Das Publikum war
in bester Laune und bereit, dem inter
essanten Mimen auf jeden Fall zuzu
jauchzen. Beifall folgte auf Beifall,
und als Edding am Abend das Thea
ter verließ, war er noch der Gegenstand
gen Schauspieler gewartet hatten und
ihn durchaus küssen wollten, was aber
Frau Margaret nicht litt.
Als Edding endlich mit seiner Frau
seine Wohnung erreicht hatte und bei
Tische saß, ließ er eine Flasche Cham
pagner kommen. Er trank seiner Frau
sind fünftausend Dollars so gut ange
legt worden als in diesem Falle. Wenn
Dean sein Wort Weiler hält und die
Reklame in gleicher Weise fortwirkt,
kann ich sofort nach New Jork gehen.
Ich bin ein gemachter Mann."
! Am anderen Tage erschien Dean in
der Wohnung Eddings, ab'r sein G'
und Kummer. Er lächelte sogar matt,
als Edding sowohl wie seine Frau ihm
ihre Anerkennung aussprachen für das
bisher Geleistete.
„Ich hoffe " sagte Edding, „Sie
erfüllen."
„Selbstverständlich!" erklärte Dean.
„Selbstverständlich, mein hochverehrter
Freund. Ich bringe sogar schon den
ersten Entwurf zu dem Artikel über
das Wiederauffinden der Brillanten
Ihrer Frau Gemahlin. Aber es ist ein
Haken dabei."
Gesicht erklärte: „Ihr Undank
auf ankommen, das kleine Opfer für
Ihren Ruhm zu bringen."
„Die Unverschämtheit, die Sie mit
stecken, und daß Sie von Anfang an die
Absicht gehabt haben, mich zu betru
gen."
Dean erhob pathetisch dieHänve zum
dankbar, auch er, um dessentwillen ich
alle Mühen und Opfer nicht gescheut
habe, auf dessen edles Künstlerherz ich
geschworen hätte! Leben Sie wohl,
Mr. Edding," fuhr er dann, nach sei
nem Hut greifend, fort und wkschte sich
eine Thräne aus dem rechten Augen
winkel. „leben Sie wohl, Mr. Edding,
auch Sie, edle Gattin dieses berühin-
und Schuften. Fort, oder ich erwürge
entstandene Berühmtheit verlieren
wollte.
Und so geschah eS. Der Manager
verstand sein Geschäft.
nem Testament 2<X>,(XX) Mark ausge
setzt." Neffe: „O, liebst« Tante, wie
soll ich Dir dankin? Wie geht Dir's
denn eigentlich?"
Schlaf!" spreche °us dem
Das „boshafte" Äind»
Guillaume Mercier, der Arzt unl>
Forscher, der vortresfliche Mensch, der
Gelehrte mit seinem stolzen Wissen und
seinem Herzen verdanken
Kinder —, ha/ einen Ausspruch ge
than, der als geflügeltes Wort seinen
Weg durch die Welt machte; er sagte,
derseele! heilige Wahrheit liegt
zelne für sich als Mittelpunkt ihres
Ich spreche dieses Wort „undankbar"
nicht als subjektive Moral für Erzieher
und Erzogene, sondern als objektives
schwer zu bannen ist, die „80-Haftig
Ein „boshaftes" Kind ist die Qual
feine Umgebung empfindet, und darin
ist eben dieses Kind der Spiegel für
seine Umgebung, denn was beim Kinde
Bosheit ist, ist bei der Mutter, Erzie
übermäßiger Strenge und Eigenwil
ligkeit wiederzufinden. Das Kind,
unfähig, sich zu wehren oder seinen
Wünschen Ausdruck zu verleihen, wenn
es sich verletzt suhlt, ahmt es nach,
wenn ihm durch Schelten oder Züchti
gung begegnet wird, es schreit, stram
pelt mit den Beinchen, ballt die kleine
Flaust wehrt sich nach Kräften, um
mllthig, geduldig und nachsichtig die
Fehler des Kindes beurtheilt, rügt
und abwehrt! Güte und Nachsicht
sind die wichtigsten und besten Erzie
hungsmittel; jede, selbst die ungezo
genste Natur ist durch Ernst, Milde
und Güte zu regeln und zu bändigen;
die Strafe der Züchtigung beginnt erst
dann einen Werth zu haben, wenn das
darein nicht fügen will, ungehorsam
ist und sich widersetzt. Bei dem Kinde
im zartesten Alter kann davon keine
Rede sein. Die Kinderseele, dieser
klare Spiegel, in dem die Mutter ihr
eigenes Bild erblicken soll, diese Kin
derseele bedarf der Güte und Milde,
der Nachsicht und klugen Nachgiebig
keit, so wie vie junge Pflanze des Mor
genthaues und der gütigen wärmenden
Mütter, die den Standpunkt der
strengen Richterin entnehmen, werden
die schlechtesten Erziehungserfolge auf
weisen können. Es ist unverantwort
lich von jeder Mutter, derartige Me
thoden für ihre Kleinsten anzuwenden
oder auch nur zuzugeben, eine Pflicht
verletzung, die sich stets bitter rächt.
Des boshafte Kind ist ein Objekt der
sorgsamsten Wartung und Betreuung,
ihm sind Stunden und Monate zu
opfern, bis es selbst ruhig, bescheiden
und zärtlich wird, es ist die denkbar
höchste Güte und Nachsicht anzuwen
den, um den kleinsten Erfolg zu erzie
len, aber dieser Erfolg ist herrlich, er
ist ein Erfolg über die Kinderseele,
dessen sich der Sieger voll und ganz,
freuen wird ein Menschenalter lang.
Entschiedener Vorzug.
„Welcher von den Künsten geben Sie
den Vorzug, der Musik oder der Ma
lerei ?" „Der Malerei denn sie ist
geräuschlos."
DerZeitun gs-Tiger. In
einem Eaf6 wartet ein Herr schon langt
Zeit auf eine Zeitung, die sein Nachbar
liest. Ein« Stunde ist bereits vergan
gen und der eifrige Leser ist noch nicht
mit der ersten Seite zu Ende. Da ver
läßt den Herrn die Geduld und er ruft
seinem Nachbar zu: „Sagen Sie
welchen Buchstaben können Sie eigent
lich nicht lesen?"
—Wi s s schastl ch e r Vor
hat."