Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 19, 1901, Page 2, Image 2

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    2 Der letzte Tag.
Er fuhr in Civil.
Zurückgelegt in seine hielt
er die Augen halb geschlossen. Ob
gleich er inüd« ivar, sehr müde, obgleich
ein dumpfer Druck ihm Stirn und Au
gen beschwerte, lächelte er. Er lehnte
das Haupt gegen die Polster.
„Maria!" sagte er weich.
zärtlich. Und noch einmal: „Maria!"
Wenn nur der Schmerz in der
Stirn nicht gewesen wäre. Gleich
heute früh, als er aus tiefem Schlaf
emporgeschreckt, war ihm der Kopf wie
ein Stück Eisen wieder zurückgefallen.
Vor seinem Bett stand Josef, der
Bursche, und hielt seinen Arm fest.
„Nu ist's sächsle Mal, daß ich Ihnen
ruf', H«rr Leitnant."
Von dem halb verlegenen, halb auf
geregten Gesicht d«s Getr«u«n wan
derten seine Blicke erstaunt durch das
Zimmer über die Thür und durch das
Fenster, vor dem man gestern Abend
die Vorhänge hinabzulassen versäumt
hatte.
In breitem Strom floß das Mor
genlicht über sein B«tt.
„Donnerwetter, Josch was
war denn los? Wi« bin ich d«nn ei
gentlich nach Haus und in's Bett ge
kommen?"
Der Bursche grinst«.
Die Herrn Leitnants haben d«n
Herrn Leitnant jeholsen. Wissen das
der Herr Leitnant nich mehr?"
Heinz schiitt«lt« den Kopf. Das un
behaglich« Gefühl verstärkte sich. An
gestrengt sann er über die Erlebnisse
des gestrigen Abends nach. Er sah
sich wohl im Casino von lustigen Kame
raden umgeben, hörte auch d«n Fr«und,
den kleinen Lieutenant von Stetten,
wie er so feurig den Toast auf die
Braut des h«ute vom Junggesellen
stand« Abschied nehmenden Kameraixn
ausbracht«, und sah auch noch die er
hitzten Köpfe der anderen, die lächelnd,
nickend vor seinem stets von neuem ge
füllten Sectglase auftauchten.
Das Weiter« aber wahr
haftig ja alles Weiteren konnte
sich Heinz beim besten Willen nicht
mehr entsinnen.
Josch stand unbeweglich.
„Den Herrn Leitnant sein Zug fahrt
um neine." meldet« er mit zusammenge
klappten Absätzen.
Mit ein«m Sprung war Heinz aus
den Federn. Beinahe wäre er d«m
Burschen um d«n Hals gefallen.
Er mag's zu toll g«tri«b«n haben am
vorangegangenen Abend. Der ver
fluchte Sect brannte wie Höllenfeuer.
Was aber ging ihn das Gestern gegen
solches Heute an? Sein eigener Pol
terabend —'— und übermorgen seine
eigene Hochzeit!
Zwei Mädchenaugen lachten ihn an.
Ties, dunkelblau, wie der Waldsee vor
dem heimathlichen Dorfe.
„Heinz," sagte eine iveich«, junge
Stimm«, „lieber, lieber Heinz!"
Im Coup 6 selbst duldete es ihn nicht
in seiner Eck«. Immer wieder sprang
er von dem Sitz« «mpor. So glücklich,
ach so glücklich war «r! Nein, er konnte
nicht so stumm hier sitzen bleib«n.
Diese übergroß« Seligkeit, die in ihm
war!
Vor dem Fenster die Rauchwolken
formten sich zu weißen, wehenden
Schleierenden. Ja, er konnte
auch ganz deutlich das blonde Mäd
chenhaupt darunter sehen, mit den
Myrtenzweigen auf der Stirn. Nur
blaß war das Gesichtchen, todtenblaß.
Und doch ein Lächeln um die halb ge
öffneten Lippen, ein Lächeln,
das dem Manne das Blut in die Schl
äfen trieb. Die Wolken theilten sich,
der holde Spuk entschwand.
Ein Pfiff der Lokomotive, und
schr«i«nd stob«n die Kräh«n am Wie
senrand auseinander.
Als der Zug auf der Station B.
hielt, waren s«in« Schritte schwer und
stockend, mit denen er den Bahnsteig
b«trat. Er wagte kaum die Blicke
emporzuheben, also hatte ihn die Erre
gung gepackt.
Da ein Mädchenlachen. Hell,
kindlich. Das war Trude, die jüngst«
Schwägerin.
Und dann, er wußte es selber nicht,
wie schnell er plötzlich diesem Lachen
gefolgt war, stand Maria vor ihm. Die
eine Hand hielt krampfhaft der Schwe
ster Finger, die andere streckte sich ihm
entgegen.
Sie weinte.
Wortlos hielt er di« Braut am H«r
zen.
Und nun strich er über ihre Augen.
Leis«, vorsichtig.
„Aber Lieb, aber Mia,
nun ist ja alles gut," sagte er weich.
„Nun gehe ich ja niemals mehr fort
von Dir!"
Sie schämte sich. Hastig trat sie z'ur
Seite und ging mit gesenkten Blicken
zum Wagen.
Heinz wagte sie nicht einmal anzu
sehen.
Trude hatte sich in seinen Arm ge
hängt und schwatzt« lustig darauf los.
Von den bereits eingetroffenen Gästen
erzählte sie, von den Hochzeitsgeschen
ken und den Torten, di« daS Pfarrhaus
b«herbergten. Nicht einen Augenblick
stand ihr Mund still.
„Denk mal, Heinz! Maria rührt
das gar nicht! Maria geht umher wie
«ine Nonne. Da müßt' ich an ihrer
Stelle sein ... hujeh! Von Wellnckos
kam ein Taselservice. Echt Meißener,
mit unrein Monogramm in Gold. Da
mals hat Maria dafür ««schwärmt, als
si«'S irgendwo sah. Heut sagt st« kein
Hort. Verdreht was?"
Heinz saß n«b«n seimr Braut.
Sie fuhren durch den Wald, über
dessen Bäumen die Mittagssonne
stand.
Vorsichtig suchte er ihre Hand. Ihre
Finger zuckten, als die seinen darum
lagen. > . . -
DaS war immer so, wenn sich das
Brautpaar lange nicht gesehen hatte.
Immer eine süße, bange Scheu zwi
schen ihm und ihr, ein heimlicher
Rausch, der ihnen beiden daS langer
sehnte Zusammensein zu «twasTraum
hastem. Ueberirdischem stempelte.
Und dann auch, Trudchen saß
dabei. Die runden, neugierigen Back
fischaugen wichen lein« Minute von
denen des Schwagers und der Schwe
ster. Schrecklich interessant, so ein
Brautpaar!
„D«nk mal, Heinz, Maria wollte
dich heut« durchaus allein vom Bahn
hof abholen. Papa saß im Studi«r
zimmrr, ich glaube, gerade über
eurer Hochzeitspredigt. Da hat si« ihn
gebeten, als der Wagen angespannt
war im Hofe. So gequält hat sie!
Findest du das nicht ruppig, Heinz?
Ich bin doch jedes Mal mitgefahren.
„Das schickt sich so," sagt Tant« Lin
chen."
Trudch«n kicherte.
Maria saß ganz bewegungslos, und
hielt des Geliebten Hand.
Und als di« ersten roth«n Dachzie
geln des Dorfes vor ihnen auftauchten,
als der Kirchthurm und das Pfarr
haus durch die Bäum« schimmerte,
schmiegt« sich Maria noch dichter an dcn
Geliebten.
„Du ach du, daß ich dich wieder
habe," sagte sie leise aufathmend.
„Nun fürchte ich gar nichts mehr, gar
nichts, das uns trennen könnt«."
« -5 »
Geg«n Abend hatte sich d«r Himmel
bezogen. Die Luft war warm und
iveich geworden.
Heinz hielt es nicht länger aus in
den heißen, mensch:ngef>".llten Räumen.
Mit den Blicken suchte «r Maria, di«
damit beschäftigt war, der Tante und
den zu Besuch weilenden Cousinen
b«m Decken der Abendtafel zu helfen.
Sie nickte ihm zu, trat ihm entge
gen.
„Du bist so stumm, so blaß, Schatz!
Warum lachst du nicht?"
Er hielt ihr«n ArM s«st.
„Komm," sagte er nur, „ich Halt's
nicht aus im Zimmer! Den ganzen
Nachmittag noch kein« fünf Minuten
mit dir allein. Ja ... willst du kom
men?"
Sie warf einen halb ängstlichen,
halb fragenden Blick auf die Tante,
auf den Vater und die Gäst«, die um
ihn waren, und stand schon neben
Heinz in der Thür.
Durch den kleinen Hof. in den Gar
ten und weiter schritten sie. Wortlos,
langsam, Hand in Hand.
Am Gartenthor schauerte sie leicht
zusammen.
„Siehst du den Mond, Schatz? Es
wird Regen geben, morgen ... über
morgen ... in meinen Brautkranz
wird's hineinregnen."
„Bist du abergläubisch. Lieb?"
Sie schüttelte den Kops.
„Nein Heinz ... ach nein! Tante
sagt, das bedeutet Thränen. Aber es
giebt doch auch Freudenthränen, nicht
wahr, Liebling?"
Er blieb stehen. Gegen den Zaun
gelehnt, hielt er si« fest.
Die Lippen, die er küßte, waren
heiß, zitterten unter seiner Berührung.
Er li«tz si« nicht los, und so standen sie
lange, lange.
Bis sie den Kopf hob, lauschend, ver.
träumt.
„Hörst du hörst du nichts?"
Er sah sie nur an.
Wi« schön sie war! Die blonden
Flechten wie eine Krone über ihrem
Haupte.
„Aber Heinz, hör' doch nur!" wie
derholte sie noch einmal.
Sie hatte ihn über di« dunkl«Straße
gezogen, bis zu dem Platz, auf dem
das Kirchlein stand.
bunten Fenster waren erleuch
tet. Mädchenstimmen und Orgelton
drang daraus.
„Hör doch, ach hör doch nur,"
flüsterte sie athemlos.
„Die Mädchen proben mit dem Kü
ster. Die Mädchen singen für uns.
Schatz! Für dich und mich an unserer
Hochzeit morgen!"
Er verstummte.
Wie ein paar Kinder, die in seliger
Ungeduld vor dem noch verschlossenen
Weihnachtszimmer stehen, steckten si«
die Köpf« zusammen.
Und nun nun fühlte Heinz,
wie ein Beben den schlanken Mädchen
leib an seiner Seite durchlief.
Mit beitxn Händen zog er die Braut
zu sich heran.
In der Kirch« war «s ein«n Augen
blick still. Dann setzte di« Org«l von
neuem ein. Leise, feierlich begann das
Singen.
„Wo du hingehst, da will ich auch
hingehen, und wo du bleibst, da bleibe
ich auch. Dein Volk ist mein Volk.
Dein Gott ist m«in Gott."
H«inz führt« di« Geliebte von der
Kirchenthür hinweg. Im Gart«n,
unter dem alten großen Birnbaum,
unter dessen Zweigen er einst vor drei
Jahren zum ersten Mal di« Braut im
Arm« gehalten, blieb er.
Er riß sie leidenschaftlich an sein
Herz. Eine Angst war in ihm, «in« so
schrecklich« Angst.
„Ich habe dich lieb lieb, wie ich
niemals Vater und Mutter genedt
habe. Ich bin manchmal so ein gro
ber, hätzlicher Patron, Maria. Ja,
ja, wenn du auch d«n Kops
schüttelst, du kennst mich ja gar nicht
so, nein, du weitzt nicht, wie das
manchmal in mir hochkommt, unbe
wußt. unerklärlich, wi« «in böser, böser
G«ist. Und du, du bist so fromm, so
gut, so rein, Maria! Ich verdien« ja
gar nicht all' das riesengroß« Glück."
Hell jauchzt« er auf. Wie ein KinH
nahm er sie in seine Arme.
„Mein Weib mein süß«s,
süßes Weib!"
Es war das erste Mal, daß er diesen
Namen für sie fand.
Und all« beide fühlten, daß sie sich
eine der Stunden vorweggenommen
hatten, di« «ig«ntlich erst von dem
Läuten der Hochzeitsglocken für si« be
ginnen sollt«n.
Wunschlos, schw«ig«nd blickt«n sie
sich gegenseitig an und lächelten.
»
Lieutenant von Stetten knöpfte sich
den Mantelkragen hoch, zog den Säbel
fest und schritt l«is« di« Treppen von
der Wohnung des Freundes hinunter.
Sein Kopf war tief gesenkt, di« Lippen
fest geschlossen.
Vor d«r Thür, in der dunkl«n, naß
kalten Luft stockte sein Futz.
Hauptmann Suttgons stand vor
ihm. Gerad« wollt« er das Haus be
treten.
Stetten hielt ihn fest.
„Nein kommen Sie! Jetzt
dürfen Sie nicht!" sagte er heiser.
Der andere blieb stehen. Er achtete
nicht auf den Ton des jungen Ossi
ciers. Schwerathmend stützte er sich
auf seinen Säbelgriff.
..Ist ist er todt?"
Stetten nickte.
„Vor zwei Stunden. Lungenblu
ten trat ein. Reisewitz hat gut ge
schossen," setzte er zwischen den Zähnen
gemurmelt hinzu.
Der Hauptmann zögert« noch.
Einen Augenblick sah er zu den erleuch
teten Fenstern im ersten Stock empor,
dann reckte er die zusammengesunkene
Gestalt in die Höhe und legte die Hand
auf den Arm des Kameraden.
„Ich mutz ihn sehen, Stetten. Ich
habe ihn lieb gehabt. Ich Hab's nicht
g«wollt b«i Gott, ich Hab's nicht
gewollt, das unglückselige Duell!"
Der andere zuckte die Achseln.
„Heut können Si« auch m«inen Na
men melden," sagte er aufgeregt. „Der
arme Junge! Oben ist seine Braut
mit ihrem Vater. Darum hielt ich
Sie zurück, Herr Hauptmann. Man
will ihn nicht allein lassen, seit er ein
schlief!"
Er fchwi«g und wischte sich mit den
in der Faust zusammengeballten
Handschuhen den Schweiß von der
Stirn.
Es war spät am Abend, die Straßen
der kleinen Garnisonstadt still und
menschenleer.
Langsam war der Hauptmann an
Stettens Seite weitergeschritten. Er
war todtenblaß.
„Sie waren dabei, als wir im Casino
das Abschiedsfest feierten, Stetten. Sie
haben gesehen, wie er, wie Rigau
sich benommen?"
Der Gefragte nickte.
„Nicht mehr oder weniger berauscht
war er, wie alle andern"
wollte «r sag«n. Als er jedoch die
finsteren Blicke seines Vorgesetzten auf
sich ruhen fühlte, beherrschte er sich.
Der Hauptmann sprach l«is«, ruhig:
„Sie könn«n das nicht beurtheilen.
Sie waren nicht mehr dabei, als wir
ihn heimbringen mußten. Ja ich
will es glauben, daß er nichts mehr
von sich wußte. Der Sect floß in
Strömen die ganze Nacht. Aber ein
Mensch muß sich doch schließlich selber
kennen, wie Rigau es war. Ein tüch
tiger Ossicier erst «cht. Wir waren
vier gegen «in«n. Und doch, er wider
setzte sich. Das „Wie" hier zu erör
tern, erlassen Sie mir wohl. G«nug
am and«rn Tage erfolgte die Mel
dung."
Stetten stampft« mit dem Fuß auf,
daß das schmutzige Wasser an den hel
len Mänteln einporspritzte.
„Warum!? Sie hätten schwei
gen müssen!"
Es wurde todtenstill nach diesem
leidenschaftlichen Ausruf.
Auf der Stirn des Hauptmanns
bildete sich langsam eine dunkelroth«
Ader. Von den bartlosen Lippen des
jungen Osficiers wanderten seine
Blicke über die heißen, verstörten Au
g«n.
Dieser hier, der beste Freund
des erschossenen Kameraden war's ge
wesen.
Und darum bezwang sich Suttgow.
Langsam sprach er weiter.
„Das Ehrengericht entschied das
Duell, den Beleidigten mußte Satis
saction werden. Darum wurde Rigau
zurückgerufen."
„Aus dem Hochzeitshaus am
Morgen vor der Trauung, ich weiß,"
unterbrach Stetten mit gepreß
ter Stimme. „Nicht einmal Rücksicht
cuf das heiligste der Feste hat man ge
nommen. Eine Schmach ist's
eine Schmach für uns für alle,
di«"'
Hauptmann Suttgow bli«b st«hcn.
„Sie sind h«ute jeder v«rniinftig«n
Ueberlegung unfähig," sagt« er lang
sam. „Ich versteh« das nach allemVor
gesallenen. Glauben Sie denn aber,
daß selbst jene, die mit mir im Ehren
rath gesessen, nicht auch einem höheren
Zwange, einer unantastbaren Bestim
muna unterworfen sind? Recht. Ver
nunft und Religion mögen tausendmal
dag«g«n sprechen wir wir
haben nichts zu thun als zu gehorchen.
Merken Sie sich das, mein lieber Stet
ten!"
Der junge Officir stand noch, als
der andere längst im Dunkel der Nacht
verschwunden war.
War das eben wirklich der unnah
bare, gefürchtete Hauptmann Suttgow
gewesen, der zu ihm gesprochen hatte?
Er zuckte zusammen.
Durch die Stille drang das Sigual
zur Nachtruhe von der Kaserne Her
uber. Zitternd, mit lang nachhallen
dem Echo wehte es dahin.
Stetten lauschte regungslos. Als
wieder alles still geworden, wußte er
nicht, ob es Regentropfen waren, die
ihm über das Antlitz liefen. Sie wa
ren so groß, so schwer, so brennend
h«itz.
„Gute Nacht Kamerad!" hotte
das Signal da oben gerufen.
„Schlaf in Frieden," fetzte er hinzu,
ehe er mit tief gesenktem Haupt« seinem
Heim zuschritt. ,
» ,Z_.
Ob er wohl in Frieden schlief?
Er lächelt ja wirklich, er lächelt.
Maria sah «s ganz deutlich, als sie
vor der schlichten Bettstelle des Gelieb
ten stand.
Der Vater war im Nebenzimmer
und sprach mit dem schluchzenden
Burschen.
Si« hörte ganz genau, wie seine
Stimme d«n alt«n, müden Tonfall
hatt«, mit dem er jedes seiner Worte
begleitet«. Nur noch leiser, stockender
sprach er als gewöhnlich.
Sie hatte ihn so flehentlich gebeten,
si« allein mit dem Entschlafenen zu
lassen. Endlich hatte er ihren Wunsch
erfüllt. Nun stand sie stand und
sah in das stille Gesicht.
„Heinz Heinz, sieh mich doch
mal an! Bitte, bitt« ein einzi
ges Mal nur."
Er rührte sich nicht.
Sie weinte nicht. Ihre Lippen wa
ren eiskalt. Gerade so wie die des Ge
liebten, den man am Vortage ihrer
Hochzeit zum Tode gerufen.
Wie aus tiefem Traum erwachend,
sah sich Maria um.
So einfach, so schmucklos sein Zim
mer, in dem er jahrelang ihrer gedacht,
ihr die lieben Briefe geschrieben
die süßen, süßen Worte.
Näher trat sie an das Bett.
„Heinz," sagte sie noch einmal. „Lie
ber, lieber Heinz, hör mich doch!"
Er hörte nicht.
Auf die blasse Hand des Todten fi«l
ein Lichtschein der goldene Reif
blitzt« auf.
Maria wandt« sich hastig um und
horchte nach d«r Thür.
Der Vater sprach noch immer mit
dem Burschen.
Vorsichtig schob sie den Ring von der
linken Hand auf die recht« und that
dass«lb« mit ihrem «igen«» Ringe.
Und dann schluchzte sie auf. Sie
umklammert« den Kopf des Todten
und bedeckte ihn mit heißen Küssen.
Wie man schöner wird.
Ton M. Kossak.
Wie unbekannt selbst di« nahelie
gendsten Tricks einer verschönernden
Toilette den meisten Damen sind, das
merkt man am besten, wenn man sich
längere Zeit in einem Putzgeschäft aus»
hält und zusieht, wie ein« Anzahl Ve
sucherinnen sich Hüte kauft. Fast alle
achten einzig und allein darauf, ob ih
nen der Hut zu Gesicht steht. Wenn
man ihnen sagen wollt«, daß dieser
Umstand erst in zweiter Linie berück
sichtigt werden sollte, so möchten sie in
höchstes Erstaunen gerathen. Und doch
leidet es keinen Ziveisel, daß die Ge
stalt und die Kopfform, wie ferner das
Verhältniß, in dem diese beiden sich zu
einander befinden» viel wichtiger für
die Wahl d«r Kopfbedeckung sind als
Züge. Zur Erläuterung des Gesagten
möge folgendes dienen: Ein großer
Kopf läßt die Figur stets kürzer erschei
nen als ein kleiner? trägt nun «ine
Frau, deren Längenmaß zu knapp ge
rathen ist, einen umfangreichen Hut,
so wird, wenn er auch noch so gut zu
ihrem Gesicht paßt, der Gesammtein
druck ihrer Persönlichkeit dessenunge
achtet ein direct unschöner sein. Wollte
man daraus den Schluß ziehen, daß
alle langen Frauen breite und gleich
zeilig hohe Hüte und alle kurzen ganz
flache und fchmalkrempige tragen sol
len, so wäre es dennoch verkehrt. Es
muß auch die Breite und Stärke der
Gestalt und des Gesichts in Betracht
gezogen werden. Ein winziges, wenig
garnirtes Eapotehütchen würde z. B.
zu einem sehr wollwangigen Gesicht in
ciuem so schreienden Mißverhältniß ste
lln, daß das vorerwähnte Gesetz nahe
zu aufgehoben werden möchte. Für
eine starke, kleine oder mittelgroße Fi
gur in Verbindung mit einem dicken
Gesicht ist das Vorteilhafteste «ine
große, scheibenförmig« Fa?on mit
möglichst kl«in«m Kopf, deren Garni
tur sich auf ein« hochaufstrebende, aber
sehr dünne Feder oder Schleif«, die in
oer Mitte des Hutes angebracht sein
muß, beschränkt. Der Hutrand wirkt
vermöge seiner geraden Scheibenform
nicht di« Figur verkleinernd, und «b«n
sonxnig thut das die zwar hohe, aber
ganz dünne Garnitur. Würd« d«r
Rand htruntergebogen und di« Garni
tur breit sein, so träte der entgegen
gesetzt« Effect «in. Eine große, über
schlank« Dam« mit schmalem Gesicht
hat demzufolge «b«nfalls «in«n breit
krempigen, ab«r stark g«bog«nen Hut
mit mäßig«m, hauptsächlich auf den
Rändern li«gend«m Ausputz zu wäh
len. Si« wird darin bedeutend kleiner
und stärker aussehen, als sie ist. Diese
Gesichtspunkte dürsten bezüglich der
Gestalt der Hüte, die für die ein« od«r
andere der Damen passen, die maß
gebendsten sein, denn der Totalein
druck der Erscheinung ist ungleich we
sentlicher als ein mehr oder minder
hübsches Gesicht di«scn Satz kann
eine Frau sich gar nicht s?st genug ein
prägen. W«r im G«ist« di« Daimn
seiner Bekanntschaft an sich vorüber
ziehen läßt, der wird bald gewahr wer
den, daß die als Schönheit geltenden
durchaus nicht immer hübsch« G«sicht«r
haben.
Da ich g«rad« bei den letzteren bin,
so will ich noch erwähnen, daß Frauen
mit breiten Wangen sich niemals das
Haar aus dem Gesicht streichen, aber
auch nicht in tiefen Scheiteln über die
Ohr«n kämmen dürfen. Im ersten?
Fall erscheint das Gesicht zu groß, im
letztern zu breit. Sie müssen vielmehr
durch tieshängende Stirnlocken auch
selbst Ivenn die Mode sie nicht vor
schreibt einen Theil des Gesichts ab
schneiden. Wer einen großen Kopf
besitzt, darf weiterhin auch keinen
Scheitel durch das Haar ziehen, da
einem unverbrüchlichen Gesetz nach ein
Körper größer erscheint, w«nn man ihn
in zw«i gkiche Hälften zerschneidet. Ist
der Scheitel aus irgend einem Grunde
vielleicht ein«r Haarkrankheit De»
gen geboten, so sollte er bei einer
großen Schädelform zum mindest«»
schief getrag«n w«rd«n. Sehr schma
len, langen Gesichtern erweisen sich
hingegen Wellenscheiteln, überhaupt
Bandeaux als sehr kleidsam. Für all
zu kleine sind die straff aus der Stirn
gekämmten Frisuren mit Zöpfen oder
Puffen, welche den ganzen Körper be
deckten, die besten.
Selbstredend lassen sich durch die
Machart des Kleides gleichfalls unzäh
lige körperliche Unschönheiten verber
gen. Viele, sonst gut gewachsene Figu
ren leiden dadurch, daß Ober- und
Unterkörper nicht im richtigen Ver
hältniß zu einander stehen. Kein Man
gel ist leichter auszugleichen als dieser.
Die betr«ffend«n Damen brauchen
nämlich nur vomßock abstechende Tail
le. oder Blousen zu tragen. Ist der
Oberkörper zu lang, so wählen sie den
Gürtel vom Stoff des Rocks, ist er zu
kurz, von dem der Taill«. Außerdem
können sie ihn im erster« Fall noch mit
einer der Brust zugekehrten Spitze und
ini letztern unten in eine Schnebbe «ndi
g«nd fertigen. Wer, was man so nennt,
überbaut ist, das heißt, allzu hohe und
gerade, zudem vielleicht auch noch
schmale Schultern hat, der muß die
Achselnähte bis auf den Arm herunter
leaen und den oberen Theil d«s Aer
mels bis zum Ellbogen mit Puffen
garniren. Zu schräge und breite Schul
tern erh«isch«n dagegen verkürzte Ach
seln und «ine ganz kleine Puffe aus
der Schulterhöh«. Es ist eine durchaus
verkehrte Ansicht, daß Achselpuffen un
ter allen Umständen di« Gestalt ver
breitern. sie tbun das nur. wenn sie zu
lief angevracyl werden. Uev«rmatzig
lange Arme verkürzt man durch einen
Besatz, der ringförmig den ganzen
Acrmel umgiebt, während umgekehrt
zu kurze ein« Streifengarnitur erfor
dern, die gradlinig l,on der Schulter
bis zur H.ind läuft. Daß das nämliche
Princip auch für die Figur Anwen
dung findet, derart, daß ein Stoff mit
breiten Längsstreifen sie verlängert und
Ouerstreifen oder «in hoch hinaufst«ii
ge»d«r Nundb«satz si« v«rkürzen, dürste
wohl allgemein bekannt sein. Für
sehr magere Damen sind auch Stoffe
mit großen Nullen günstig.
Ein weitverbreiteter Fehler ist es,
daß starte Frauen sich fest schnüren, um
schlanker auszusehen. Sie erreichen
damit genau das Gegenteil. Es giebt
nichts Kleidsam«r«s für eine übervolle
Figur als das taillenlos herunterfal
lend« Empir«g«wand; nur darf es
nicht so faltenlos fein, wie die augen
blickliche Mode es vorschreibt. Wollen
die Damen aber durchaus «in anlie
gendes Kleid und vielleicht gar ein
englisches trag«n, so sollten si« die
Taille mit einer Garnitur ausstatten,
di« «in Stück bis über di« Gürtellinie
reicht, «twa mit vorn od«r b«iderseitig
von oben nach unten lausenden, minde
stens yardlangen Eascaden, mit Band
schleifen als Abschluß. Wenn der
Hüftenumfang zu groß ist, so näht
man an die Untertaille vorn wie an
beiden Seiten drei Finger breite Gum
migurte, die am Strumpf festgeknöpft
werden. Hüften und Leib treten dann
zurück. Man braucht nicht zu fürchten/
daß der Gesundheit dadurch Schaden
geschieht, das wäre nur der Fall, wenn
man gleichzeitig ein festes Corsett
trüge> dann würde allerdings ein be
denklicher Druck auf den Körper aus
geübt werden, während, wenn er unge
schnürt bleibt, ihn auch die Gurten un
möglich einzuengen vermögen. Sie ge
ben ihm, streng genommen, nur eine
andere Stellung, die aber immerhin zur
Folge hat, daß seine Ueberfülle an den
Partien, die der Stoff faltenlos um
spannt, nicht sichtbar wird. In welch'
hohem Maß die Hüften durch die ge
nannt« Manipulation schmal und
schlank werden, sollte Niemand für
möglich halten. Die Franzosen haben
sü: die in Wirklichkeit sehr starken, an
scheinend jedoch sch nalhüstigen Frauen
die Bezeichnung miliares"
erfunden.
Großen Füßen verleiht man ein zier
liches Aussehen durch hohe Absätze, die
mehr, als es üblich ist, nach der Mitt«
des Fußes zu angebracht sind. Er
blickt man sie unter dem Rocksaum, so
glaubt man eb«n, daß sie erst dort an
sangen, wo sich der Absatz befindet.
Was die Handschuhe anb«trifst, so soll
ten Damen mit großen und breiten
Händen nur Glaces oder seidene tra
gen, aber nie wildlederne od«r solch«
aus Zwirn.
Zuletzt noch einige Bemerkungen
über di« Farben der Kleid«r und Hüt«.
Oft hört man di« A«uß«rung: „Ich
trog« hauptsächlich di« und die Färb«,
denn die hat mir von jeher am besten
gestanden." D?r letzter« Umstand sollte
sür ält«re Dam«n «in Grund s«in, die
betreffend« Nllance nie mehr zu wäh
len, d«nn der Teint verändert sich mit
den Jahren, und es ist ganz undenk
bar, daß «in« Färb«, di« sich der zar
ten, blühend«n Haut d«r Jugend als
vorteilhaft erwies, auch mit der ent
weder allzu fahl oder zu roth geworde
nen reiferer Jahr« harmonir«n sollte.
Im Allg«m«inen lätzt sich als R«g«l
aufst«llen, daß di« Farb«n mit d«r Zeit
Zunehmend matter gewählt werden
müssen. Für mittelalterliche Damen
von kränklich grauem Teint ist Oliv
grün und dunkles Burgunderroth am
geeignetsten, für sehr rothwangige Ma
rineblau und Bronzebraun. Lila, daS
immer für später« Alt«rsstusen als
pasftnd «racht«t wird, ist dag«gen sehr
gefährlich, nur ganz frischt Gesich
ter mit noch weichen Zügen entstellt es
nicht. Mit W«iß braucht man dag«gen
lange nicht so vorsichtig zu sein, wie es
meist angenommen wird. Frauen, die
nicht ungewöhnlich stark sind und kein
Kupfer im Gesicht haben, können es un
besorgt bis hoch in die vierziger Jahre
hinein tragen, sie sehen darin entschie
den jünger aus. Nur darf es nie
Blauweiß fein ain besten ist Crsm«
oder irgend ein modernes Weiß mit
einem Schimmer von Roth od«r Grün
darin auch muß das Kleid einen
hohen, tiesdunklen Samm«tkrag«n ha
b«n. Perlgrau patzt für ganz jung«
od«r ganz alte Damen, mittelalterliche
macht es fahl. Zum mindesten wäre
es erforderlich, eine reich« sscils- und
Taill ngaiiiiiur von gesättigtem Ton
dazu zu nehmen. Schwarz kleidet alte
wie jung« Dani«n nur, wenn sie sich
srisch«r Farben erfreuen. Di« gefähr
lichste Farbe von allen ist jedoch h«ll->
blau, obgl«ich «s k«ine andere Farbe
gibt, von der gleich viele Damen sich
einbilden, daß sie sie kleid«i. Sie paßt
nur für junge, rosige Gesichter. Für
überzart« Blondin«n ist S«egrün sehr
zu empfehlen. JmAtlgemeinen spielt je
doch die Haarfarbe eine unwichtig«
Rolle bezüglich der Farbenwahl der
Kleider. Der Teint gibt fast allein den
Ausschlag.
Verkannt.
Humoreske von F. F. Masaidel.
Josef Meyer war Souffleur im
Stadttheater zu K. und in seinen
freien Stunden lyrischer Dichter. Da
ihm die Souffleurst«lle nicht viel und
di« Lyrik sehr wenig eintrug, beschloß
er, der undankbaren lyrischen Muse den
Rücken zu kehren und sich ihrer drama
tischen Schwester in die Arm« zu wer
fen. Mei)er caleulirte so: Weun ich ein
Stück schreib«, das«»schlägt, dann
lann ich mein bisheriges armselig«s
Metier aufgeben und bringe zugleich
meinen vielbespöttelten Namen zu Eh
ren. Wenn ich einmal als Dramatiker
so weltberühmt bin, wie der William
Shakespeare oder auch nur wie Go«the
und Schiller, dann wird der Name
Meyer nicht mehr allen Spöttern und
Witzbolden zur Zi«lsch«ibe dienen kön
nen.
Gedacht, gethan. Meyer schrieb «ine
sünsaktige Tragödie, die er unter dem
Titel: „Die Mutter der Gracchen" beim
Stadttheater einreichte.
Als Joses Meyer nach mehreren Wo
chen wieder in der Kanzlei erschien, gab
ihm der Director das Manuscript zu
rück und sagt«: „Ihre Arbeit zeugt
von ernstem Streben und auch die Idee
des Stückes ist nicht üb«l; allein Sie
haben sich im Stoss vergriffen. Die
Handlung Ihres Stückes paßt nicht
für ein« Tragödie. Sie sollten eine
Eomödie daraus machen. Als Lust
spiel behandelt dürste das Ding sich
viel besser machen und auch dem Ge
schmack des heutigen Publikums mehr
entsprechen."
Meyer machte ein saures Gesicht,
doch wagte er dem berühmten Drama
turgen nicht zu widersprechen, dankte
diesem für seinen klugen Rath und
ging mit seinem Manuscript nach
Hause. Er macht« sich eiligst an die
Arbeit und formte s«ine Tragödie,
„Die Mutter der Gracchen" in ein
feines Lustspiel um, das er „Die Stief
mutter der Gracchen" betitelte.
Mittl«rweile hatte der Director des
Stadttheaters seine Entlassung ge
nommen und Meyer mußte nunmehr
seine Eomödie bei einem neuenDir«ctor
«inr«ichen. Dieser ließ sich erst nach
monatelangem Bitten und Drängen
dazu bewegen, das Stück zu lesen, dann
gab er es dem armen Meyer zurück und
sagte: „Mein bester Meyer! Ihre Eo
mödie ist theilweise sehr lustig, aber ich
glaube, daß wir damit schwerlich einen
vollen Bühnenerfolg erzielen würden.
Mein Rath wäre, den Stoff zu einer
Novelle zu verwenden. Wenn Sie sich
einig« Müh« geben, dürfte es ein Mei
sterstück der deutschen Novellistit wer
den."
Meyer zog betrübt von bannen.
Was wollte er thun? Der Director
mußte die Sache besser verstehen als er,
und er entschloß sich daher, die Eomö
die zu einer Novelle umzuarbeiten, die
er „Die Großmutter der Gracchen"
taust«.
Er übergab die Nov«ll« «in«m be
kannten Verleger, der sie durchblättert«
und dann mit d«n Werten zurückgab:
„Lieber Freund! Es ist unglaublich,
daß ein so alter Theaterspatz wie Sie
nicht merkte, daß in dieser Novelle de:
köstlichste Stoff für eine moderne
Poss« steckt."
Meyer war ganz p«rpl«x und rannte
mit seiner Novelle davon. Er machte
flugs «in« Posse daraus, die er unter
dem Titel: „Die Schwiegermütter d«r
Gracch«n" b«im Volkstheater einreichte.
Nach einem halben Jahre erhielt er
ein Poststück, indem sich sein Manu
script nebst einem Schreiben des Direc
tors befand, das solgend«rmaß«n lau
tet«:
„Geehrter Herr M«yer!
Ihr« Posse „Die Schwiegermütter
der Gracchen" erscheint leider zur Aus
führung im Volkstheater nicht geeignet.
Doch dürfte sich aus dem Stoffe eine
prächtige Humoreske für «in illustrirtes
Witzblatt machen lassen. Ich habe die
Ehre u. s. w.
Gimpelmeyer m. P.,
Director des Volkstheaters."
Das war für d«n unglücklich«?,
Meyer zu viel. Er ging in «ine Spiel
waarenhandlung, ipuft« «in Figur«n-
Th«ater und ließ die Posse durch sein«
Kind«r aufführen. Die zwei größeren
Kind«r spielten unter s«in«r Anleitung
die Eomödie, und die kleineren Kinder
bildeten das Publikum.
Die Kleinen ergötzten sich sehr an
dem Stück«, und „Die Schwieg«rmllt
t«r der Gracch«n" erlebten mehr als
fünfzig Aufführungen.
Somit hatte H«rr Mey«r doch nicht
umsonst g«arbeitet!
—'D «r seine Umgang.—
„Was der G«sängnißwärtcr Müll«r
für ftine Maniren hat!" „Die hat er
sich im Verkehr mit den eingesperrten
Bankdir«ctoren und Aufsichtsräthen
ang««ignet."
Es gibt keine Frau ohne Launen;
das ist eine Regel ohne Ausnahme.
Nachtfahrt.
Ton Paul Bussen.
Das Trompetchen des Zugführers
quäkt. Ein schriller Pfiff die lang
weilige Rückreise hat begonnen. Adieu,
Monte Carlo!
Draußen ist stockfinstere Nacht und
tieft Stille. Nur die Brandung,
rauscht dumpf, mit schwach >eu/lumden
Wellentämmen gegen die Felsen spü
lend.
Nun kann ich anderthalb Stunden
fahren. Meinen letzten L?'.usds: hat
das unerbittliche Rateau weggerafft.
Als ich kam, hatte ich viele dieser gel
ben Vögel.
Ich ärgere mich über mein Unglück
und mach« mir Vorwürfe. Das hab«
ich wieder nothwendig gehabt!
Mir gegenüber sitzt eine schwarzge
kleidet« Dame. Sie hebt sich wie «ine
Silhouette von dem drapfarbigen Ue
berzug deS Coupes ab. Sie ist nicht
m«hr jung, nicht sehr hübsch, aber un
streitbar vornehm. Die weißbehand
schuhten Hände umkrampfen ein grü
nes Saffiantäschchen. Sie scheint zu
schlafen.
Aber im schwachen rothgelben Licht
d«r Deckenlampe sehe ich auf ihren
Wangen die Thränen glitzern und die
angstvollen, schluckenden Bewegungen
der Kehle. Si« schläft also nicht.
Ich lehne mich zurück und schließ«
wi« sie vie Augen bis auf
schmalen Spalt.
D«r Zug bl«!bt endlich stehen in
Ez<s oder Beaulie», und sie schrickt auf
und blickt zum Fenster hinaus.
Wir fahren iveiter. Mit leeren gro«
Ben Augen starrt sie vor sich hin. Und
jetzt erinnere ich mich si« schon gese
hen zu haben. Und allmälig fällt mir
auch ein, wo: an einem der Trent-et
quarante Tische. Die scheint auch
nicht gewonnen zu haben.
Welche Angst in ihren Augen liegt!
Und von Zeit zu Zeit wischt sie mit
einem iveißen Taschentuch die Thränen
fort. Sie dauert mich von Herzen.
Schließlich öffn«t sie das kleine Täsch
chen und sucht krampfhaft in den we
nigen Fächern. Wohl nach Gold.
Aber es sind nur «in paar Francs und
wenige Zwei-Sousstücke darin.
Sie hält die Hand vor die
Augen und seufzt ihre Lip
pen zittern. Sie hat nicht nur verloren
die Aermste sie hat all«s verloren.
Das sehe ich leider nur zu deutlich.
Sie kann nicht einmal in ihr« Heimath
zurück. Ich glaube nicht, daß die Frau
sich an die Bank w«nden Ivird, um Rei
segeld zu erhalten.
Plötzlich fällt ihr ein, daß si« nicht
allein im Coup 6 ist, und ein erschrocke
ner Blick fällt auf mich. Da sie mein«
geschlossenen Augen sieht, betrachtet sie
mich mit der stumpfen Neugier der
Verzweiflung, die das Auge ja oft an
Wandleisten oderTapetenmuster bannt.
Ich sehe, wi« ihr immer und immer
wieder d«r Todg«danke durch d«n Kopf
geht. Wie «in Stich. Jedesmal ringt
sie die Hände im Gefühl der Ohnmacht.
Aber allmälig wird ihr Blick wärmer
und mit Schrecken lese ich ganz deutlich
ihr« Gedanken.
„Dieser H«rr ist jung und gut
müthig. Seine Hände sind w«iß und
gepflegt. S«ine Kleidung ist «legant
und theuer. Vielleicht ist er sehr reich.
Wie wenn ich meinen ganzen Muth
zusammennähme und ihn bäte, mir di«
paar Goldstück« zu leihen, damit ich
nach Hause fahren kann. Er würde
sich vielleicht ärgern aber sich doch
genieren, es merken zu lassen. Er
würd« mir das Geld gewiß geben,
wenn ich nur den Muth hätt«, zu spre
chen. Was würde ihm dran liegen?
Vielleicht nichts. Vielleicht würd«
er es sogar gerne thun. Er sieht nicht
unfreundlich aus. Und ich würd« es
ihm ja zurückgeben, irgendwie.
Wenn ich nur von hi«r fort wär«
hi«r bin ich verloren. Was soll ich
denn thun? Ich muß es wagen.
Aber er schläft. W«nn er nur auf
wacht. Ich will es wenigstens ver
suchen."
Es ginge über mein« Kraft, diese:
Unglüctjich«n „N«in" zu sagen. Und
so bin ich gezwungen, mich weiter schla
fend zu stellen. ' Obwohl ich nun die
Augen ganz geschlossen habe, quält mich
ihr suchender, v<rzw«if«lter Blick, der
unausg«setzt an m«inem G«sicht haftet.
Ich fühle den grausamen Kampf zwi
schen Hoffnung und Furcht. Si«
wünscht, daß ich aufwacht und fürchtet
doch nichts so sehr als diesen Moment,
wo sie beginnen soll zu sprechen.
Mein Gott und am Ende halt« ick
si« für «ine jener zahllosen, verblühtet
Abent«uerinn«n, di« hier jeden Ort un»
sicher machen! Davor hat sie die
Angst vor einem barschen „Laß mich
in Ruhe ich kenn« d«n Witz schon! '
... Vorsichtig, die Augen halb öffnend,
f«h« ich, wie si« mit an d«n Mund ge
preßtem Taschentuch resignirt in die
Nacht hinausstarrt. Jetzt d«nkt sie
an's Ende...!
Ein langgezogener Pfiff ein Ge
palt«? und G«dröhn«. Schon der
Tunnel vor Nizza! Vielleicht steigt sie
in Nizza aus.
Ja, sie steigt auS. Noch einen letzten
Blick aus das ruhige Gesicht des Schlä
fers. ein klein wenig Haß darin mög
licherweise. Si« geht in die Nacht
hinein.
Abg«wimm«lt. „Sage mal.
lieber Freund, ich sitze nämlich völlig
auf dem Trocknen; kannst Du mir
nickt vi«ll«icht —"
.Baden, lieber Freund, baden!"
Kühner Vergleich. ... .
Man behauptet, Du lebest mit Deiner
akademisch gebildeten Gattin nicht
ganz glücklich. Sag' mir doch, wie ist
Einem denn, wenn man so ein gelehr
tes Wesen geheirathet hat?" „Nun,
beiläufig so, als wenn man ein Con-
versationSlelikon geheirathet hätte!^