Uevanche! (16. Fortsetzung und Schluß.) Zeuners Tod vernichtete alle Pläne Wahls. Fortan sollte die deutsche Deren Fabrikation wurde eingestellt, «in großer Theil der Arbeiter mußte «ntlassen werden. Nur langsam und nach manchen vergeblichen Versuchen tat« neues Terrain zu erobern, und es war hart, zu sehen, wie der alte Herr sich abmühe» mußte wie ein Anfänger in diesem scharfen Kampf um die Ehre und die Behäbigkeit des Daseins. Eine Zeitlang schwebte die Firma über dem Bankerott. Doch jetzt begann der Rauch aus den Essen der Fabrik wieder vol ler und zuversichtlicher zu quellen, und das schwindsüchtigte Keuchen der Ma schinen ward wieder durch einen ge sunderen und kräftigeren Athem ersetzt. Damit zog auch neue Lebenshoff nung durch die bange Stille dcr Mül heimer Villa. Auch Gertrud, die hier° nebst Frau Zeun«r ein Asyl gesucht und gefunden, begann endlich wieder aus zuleben. Die grauenhaften Schicksals schläge hatten ihre Jugendblüthe ge knickt, und ein langes Siechthum, dein die Aerzte zumeist kopfschüttelnd ge genübertraten, nagte an ihrer Lebens kraft. Alle im Haufe, und wer mit ihr in Berührung kam. wetteiferten in dem Bestreben, sie mit liebevoller Sor ge und Duldung zu umgeben. Allen voran Frau Zsuner. Ihre starke und gesunde Natur hatte sich aufzurichten gewußt aus dem »»sagbaren jähen Leid hatte sie doch kein- Zeit, sich von dem eigenen Schmerze unterjo chen zu lassen. Sie ging völlig in Ger truds Pflege auf. und man gewährte ihr neidlos diesen Trost. Den beiden Frauen widmete Mar gret ihre rührende Treue. Gehörte sie nicht zu ihnen? Es war fast köstlich zu sehen, wie sie sich zu verdoppeln schien in ihrem Eiser, damit keine der beiden, denen sie durch das ungeheure Schick sal für das Leben verbunden war, in dem Maß ihres aufopfernden Dienstes beeinträchtigt würde. Nun, da Gertruds Wangen wieder zu blühen und die kindlich blauen Au gen Frau Zeunets sich wieder Heller zu beloben anfingen, durste sie einen Theil ihrer Unermüdlichkeit auch wieder der eigenen Häuslichkeit zuwenden. Ja, sie gewann sogar Zeit, ihrem Manne, dem früheren Jülicher Füsilier, der in der Fabrik beschäftigt war und sich dort zu einem Vertrauensposten aufge schwungen hatte, mit einem zweiten Knäblein zu beschenken. Von Paris und den Franzosen, von der Revanche keine Silbe. Alle im Wahl'schen Hause wachten ängstlich da rüber, daß diese Worte nicht bis in die Nähe der beiden Frauen vordrängen, als wenn man selbst jetzt noch von dem leeren Hall ein Unheil befürchtete. Auch gelegentlich« Besucher befleißigten sich dieser Vorsicht. So Sir Rowland. Er war gründlich von seiner Friedens manie geheilt, r«iste nicht mehr und verwendete den Rest seines Vermö gens, den die Friedenspropaganda nicht verschlungen, zu wohlthätigen Zwecken. Doch mußte er sich für die grübelnde Unruhe seines Geistes Ab lenkung verschaffen, und er begann sich auf die systematische Abfassung poli tisch-sozialer Broschüren zu werfen, die auf dem Büchermarkt mit Achselzucken Nur eine gewisse Broschüre weckte einiges Aufsehen, und ihr Auszug machte sogar die Runde durch deutsche betilelt: „Der Wagen" und enthielt eine phantastische Beschreibung des be rühmten indischen Dschagannaut-Fe stes, auf den von politischen Leiden schaften zerwühlten französischen Bo de» übertragen. Auf dem ungeheuer lichen fünfundzwanzig Meier hohen Wagen, der auf sein«n f«chzeh» Rädern und fort strömen die vom Wahne des Götzenkultus erregten Pilger herbei, um an dem Wagen des Allgewaltigen ziehen zu helfen und ihm die Vereh rung und ihre Opfergaben darzubrin gen. Uebermächtig lodert die Begeiste rung, lavaartig wälzt sich die sanati sche Wuth. Und so ziehen und zerren sie im Schweiße ihres Angesichts gilt es doch, unter der Wucht des Un gethüms die Macht und die Blüthe Deutschlands zu vernichten. Aber der Weg dahin ist weit und die Sonne brennt und der Sand wird immer un ergründlicher. Dschagannaut zürnt und verlangt nach seinen Opfern er ist unersättlich! Sie sind ja bereit, ihm alles vor die Räder zu Wersen Glück und Wohlstand und Friede und Zu kunft ihre Wissenschaft, ihre Kunst, ihre Industrie Ehre und Ruhm und die Urgebote der Sitte und Menschlichkeit.... „Dschagannaut! Evoe Dschagan Ist der Götze immer noch nicht satt? Ist es nicht genug, daß sich die Schaa ken der Hunderttausende selbst in die blutdurchströmten Geleise seiner Rä der stürz«ii und mit dem Jauchzge schrei des Wahnsinns sich das entsetz liche Krache» der zermalmten Leiber mischt? Ende. MMe Kilchl. Erstes Kapitel. meinen Geist. Das Schönste und Be ste, das ich je gekannt, das Elternhaus, hatte mich aufgenommen. Die Mutler, die Geschwister, sie verzogen mich um die Wette, der Bater, der ernste und pflichttreu« Kaufherr, wich nicht von meiner Seite, ließ meine Hand nicht aus der seinigen, obgleich die Stunde des Komptoirs längst geschlagen Halle. Ich aber erbebte vor Wonne und Ent zücken, ich konnte es gar nicht fassen, all dieses Glück! Da ward ich zur rauhen Wirklichkeit geweckt durch ein leises Rütteln an der Schul ter. Ich öffnete die Augen und bei dem Schein einer schlechten Kerze sah ich den langen Hansen über mich gebeugt, der mit seiner schnarrenden Stimme mir zurief: „Dat is Höge Tied. De Klock is fief vörbi." Wohl wußte ich damit, daß die Eile so sehr groß noch nicht war. Der lange Hansen war der nervöseste Kerl ver ganzen Korporalschaft, und im Punkte des rechtzeitigen Kommens waren sie fen aber gehörte zu den wenigen, die so verständig gewesen waren, ihre Uhr mit ins Feld zu nehmen, und er mach te einen wohlthätigen Gebrauch da von. Er war mein und meiner Leule lebendiger Wecker, wenn wir einmal das Glück hatten, in schauriger Win ternacht nicht auf Feldwache zu ziehen. Er trug stets Streichhölzer in der Ta sche, und wenn die Korporalschaft schlief, in einer Scheune, einem Stall, auf dem backsteinbelegten Boden der Küche eines Bauernhauses, wie bei spielsweise heute, so brannte er min destens stündlich eins davon an, um nach der Uhr zu sehen und die Zeit nicht zu vergessen. Da lagen sie wie die Heringe neben einander, die armen Kerle, auf den harten, mit spärlichem Stroh bedeck ten Steinen, den Tornister unter dem Kopfe, mit de» Füßen so nahe wie möglich an das noch glimmen»« Herdsener herangeschoben, daß man sich wunvern mußte, wenn das Stroh während der Nacht in Brand gerathen war. Hunger und Erschöpfung infolge übermenschlicher Strapazen hatten sie in einen bleiernen Schlaf versenkt; da bei waren mehrere von ihnen fieber krank, ganz wohl war keiner. „Auf, auf!" hieß «s jetzt, „zum fröhlichen Jagen" auf Menschen, wie wir es waren, die uns persönlich nie etwas Böses gethan, die wie wir keinen sehn licheren Wunsch im Herzen trugen, als den. niit uns in Frieden zu leben. Schnell war es lebendig geworden in dem engen Raume. Das Feuer wurve neu entfacht, einige Feldkessel daran gestellt, um den Kaffee zu kochen, der mit den spärlichen Brodresten vom Tage zuvor unser Frühstück bilden sollte. Die Bewohner der elenden Hütte hatten uns auf die Frage nach Nah rungsmitteln ihr bekanntes "<^li festgestellt, daß' sie die Wahrheit sag reswende dort hindurchzog. Wie «inen Trupp Nachtgespenster führte ich meine Leute an den Aus gang des Weilers. Präzise um drei Viertel sechs Uhr stand die Kompagnie dort versammelt, im Stockfinster» zählte der Feldwebel seine Leute. Alle neunzig Mann waren richtig beisam chen zweihlmdertfünfzig übrig gelassen. Flüchtig schüttelte ich Freund Petersen die Hand, da erschien auch fchon ver nein erbeuteten Schimmel, und die Truppe setzte sich in Marsch. I» einer Viertelstunde stießen wir aus der grv sere Uniformen noch nichl getrocknet, war stärkr geworden, nicht lange dauerte es, so qatten wir keine» trocke ne» Faden mehr am Leibe. Doch nun mußte wohl der Wind nach Norden herumgehen, denn es mischten sich Schneeflocken zwischen die Wasserfä den. Bald nach Tagesanbruch ward es kälter und kälter, und wir marschir ten im lustigsten Schneetreiben, wäh rend die Felder sich mit einer dichlen weißen Decke, einem ungeheuren Lei chentuch«, überzog«». Nur die Straße blieb zunächst noch kothig. und aus meinen durchlöcherten Stiefeln sprig tem bei jeidem Schritte kleine Schlanun- Kanonendonner zur Rechten unserer Straße verkündete, daß man dort be reits an den Feind heran war. Jetzt knatterten auch dicht vor uns Gewehr schüsse. Es war gegen Mittag, wir hatten ununterbrochen marschirt. Wir den Schnee färbt«; dann pfiffen auch uns die blauen Bohnen über die Köpfe hinweg, während wir im Schneegestö ber nur undeutlich die Umrisse eines größeren Dorfes vor uns erkenne» konnten. - Wir machten Halt und nahmen Deckung, die an der Spitze marschir-n -ve Kompagnie schwärmte aus. Aber, viel war nicht zu machen. Da klärte es sich aus, das Schneien ließ sast plötz lich nach, der Schnee lag schon fuß- hoch. Es war strenger Frost eingetre ten, und die durchnäßten Kleider ge froren zu Panzern aus Eis. Unsere Artillerie machte sich den Umschwung des Wetters zu Nutze und begann von einer Anhöhe aus Gra naten in das Dorf zu werfen. Wie aufgestörte Ameisen sahen wir die »en flachen Hügel hinter Hecken und Gräben festzusetzen. Vom Gros der Division scholl immer heftigerer Ka nonendonner herüber. Wir gingen vor in den Ort hinein, zwischen den Häusern hindurch und drangen in Schutzenschwärmen gegen den Feind. Doch der prasselnde Hagel ein«s übermäßige» Ehassepotfeuers bracht« uns bald zum Stehen. Dazu schlugen uns vor Frost die Zähne zu sammen, der Magen krampst« sich, da wir seit Tagen nichts Ordentliches ge nossen hatten. Bald lagen wir aus dem Bauche im Schne« und hantirten mit den eingefrorenen Gewehrschlös sern, bis sie endlich losgingen. Gera dezu mörderisch wurde das Geknatter der Ehassepots, zischend furchten ihr« Geschosse den Schnee. „Tack!" ging es neben mir ein so eigenthümlich scharfer Ton, daß ich ihn nie vergesse; lautlos, mit durchbohrter Stirne war mein Nachbar zurückgesunken. Jetzt sprangen wir auf und stürmten vor wärts, um uns sogleich von neuem hinzuwerfen. Aber ehe das möglich war ein zweiter unheimlicher Ton neben mir ein deutliches „Buss!" uwd mit rasendem, gellendem Auf schrei drehte der lange Hansen sich um sich selbst und stürzt« zusammen, die Spitzkugel war ihm durch den Unter leib gefahren. Wieder ging es vor wärts durch eine kleine Mulde, dann lagen wir von neuem platt am Boden. Das beiderseitige Feuern hielt an, wir hatten uns förmlich ineinander festge bissen, endlich ward uns Luft gemacht durch einen Seitenangriff von der Di vision her, der Feind räumte das Feld, im Abziehen noch lebhaft von den Ge schützen unsres Detachements mit Gra naten beworfen, die sausend über unsre Köpfe dahinsuhren. Die Sonne ging zur Rüste, blutig und fahl. Ihre letzten Strahlen glitzer ten über die Schneedecke, von der sich als dunkle, zerstreute Klumpen die Körper der Gefallenen abhoben. Nur aus der Ferne tönten noch vereinzelt« Schüsse, ein Gehöft zur Rechten brannte lichterloh. Wir waren aus die Straße zurückgekehrt, hatten die Ge wehre zusammengesetzt und trampelten mit dm Füßan, um die Plutzirkuilwtion etwas anzuregen; glücklich, wer noch einen Tropfen Cognak in der Flasche fand! Ich empfand ein unendliches Ruhebedürfniß, Hunger verspürte ich nicht mehr. Dennoch erquickte ein Stück Schokolade mich sehr, das Karl Petersen mir zusteckte. Unser Bataillonskommandeur hielt wie eine Statue auf seinem Gaul. Da kam langsam der Dwisionsgeneral mit feinem Adjutanten herangeriiten und sprach eifrig in den Major hinein; ich sehe es noch, wie er mit der Hand einen Bogen beschrieb und dann nach Südosten wies, und gleich darauf setzte sich das Bataillon wieder in Marsch. Wir bogen von der am Waldrande ent lang führenden Hauptstraße in einen Nebenweg ab, der so schmal war, daß wir zu zweien nebeneinander lausen mußten. Der Weg schien nicht enden zu wol len. Die Dunkelheit brach herein und wir trippelten immer weiter. Der Himmel war klar, doch mondlos, die Sterne funkelten unheimlich, wie sie es bei grimmiger Kälte zu thun pflegen. In der Ferne zeugte der verglimmende Schein mehrerer Feueröbrllnst« von der Schreckensarveit des Tages. Jetzt ging es durch eine tiefe Schlucht, in welcher der Schnee sich angeyäuft hatte, immer im Gefchwinv'fchritt. Als wir wi«d«r auf ebenes Feld kamen, hoben sich vor uns in dunklen Umrissen die fchlverfälligen Gebäude eines Dorfes vom Nachthimmel ab. Vorne ward „Halt!" kommandirt; wir bemerkten, daß der Major mit dem Hauptmann der ersten Kompagnie gegen das Dorf ritt. Gottlob, da kamen wir doch un ter Dach und Fach! In wenig Minuten kehrten die Of fizier« zurück. Ganz leise hieß es: „In Halbzüge ausmarschiren! Die Fahne an die Queue! Marsch!" Der Befehl ward von Glied zu Glied wei ter gesagt und hätte auf dem Exer zierplatze nicht exakter befolgt werden können, als hier im Dunkeln vor dem Feind. Mit verhaltenem Athem stapf !on wir vorwärts. Da rief der Major mit Donnerstimme: „Leute, das Dorf vor uns ist besetzt. Nehmen wir es heute Abend, so ist's morgen nicht mehr nöthig. Fällt das Gewehr! Marsch n arsch hurrah!" Unter dem Anschlagen der Tam bours erhoben wir ein Gebrüll, als gespieen, und rannten in die Dorf straße. wo die Franzosen in hellen Hausen standen. Die Feinde hatten ihre Gewehre zusammengesetzt und wurden gerade zu Feldwachen abgeteilt. Wie ge lähmt vor Schreck standen si« da. ohne sich zu regen. Mr rannten ihre Ge- eine Reihe von Maurern sich Ziegel steine zuwirft, so wurden die Gefange nen auf das geschwindeste nach der Oueu« des Bataillons befördert, gleich sam von Mann zu Mann weiterge gsbvn. Es vollzog sich der ganz« Akt wi« «im Fastmichtsfcherz, wie «ine ein stuldirte Sache. Aber der furchtibarste Ernst lauerte dicht dahinter. Die von uns gestürmte ging geg«n uns vor und überschüttete uns mit Ehassepotkugeln, die bei dem unsicheren Mondlicht ihr Ziel meistens verfehlten. Doch es war keine Zeit übrigen uns mit heftigem Bajonett angriff dem Feinde entgegenwarfen, um jenen Luft zu inachen. Wiederum ihes Ringen. Hier bohrte sich der Stahl bis an's Heft in den Leib eines Feindes, dort sausten die Kolben her nieder, zerschmetterte Schädel erkrach ten. Bei dem allem unterhielt ein Theil der Franzosen ein wüthendes Gewchrfeuer, das war unser Glück, ward unsre Retdung. Denn die Feinde feu«rten aufeinander. Die, mit denen wir zu ringen hatten, glaubten sich im Rücken angegriffen und gaben uns frei. Wir benutzten den Augenblick, tixindten uns, und es gelang, unsre Kameraden einzuholen. Man verfolgte uns nicht, da man unsre Zahl offenbar überschätzte. Aber die Hälfte der Leute ließen die beiden Kompagnien auf dem Kampsplatze zurück. So -marschirten wir mit unsern Ge fangenen den langen Weg zurück, durch die Schlucht, am Waldrande vorbei bis an das Dorf, neben wel chem wir am Tage gefochten. Hier wurden die Gefann-nen auf einer schneebedeckten Koppel in ein Knäuel zusammengetrieben, und wir bildeten um sie, das Gewehr bei Fuß, einen lebendigen Zaun. In dumpfer Apathie harrten wir der kommenden Dinge. Ob man uns zu essen und zu trinken bringen würde? Ob man uns verges sen hatte, uns stehen und frieren las sen würde in der bitterkalten Januar nacht? Es hatte den Anschein danach. Der Mond stand jetzt hoch am Him mel und versilberte die kryslallschmi mernde Fläche. Es war den Leuten ge lungen, etwas Holz zu sind«» und ein Feuer anzuzünden, um das wir uns deii Gefangenen suchten sich einige dem Feuer zu nähern, doch wurden sie zu rückgejagt. Ich tauschte einig- resignir te Worte mit Karl Petersen, meinem liebsten Kameraden, meinem treuen Freunde von der Schulbank her, vernahm ich die Stimme des jun gen Menschen, den ich bei der ersten Attacke zum Gefangenen gemacht hal te. „Mein Herr," bat er, „wenn Sie es möglich machen können, so bitte ich Sie, diese Kart; an die darauf ge schriebene Adresse zu befördern. Möge der Himmel es Ihnen lohnen." Dabei reichte er mir eine Visitenkarte und wollte zu seinen Genossen zurücktreten. Der arme Kerl dauerte mich, er zitter te am ganzen Leibe vor Kälte. Ich reichte ihm den kleinen Nest Kognak in meiner Flasche, den er annahm und austrank. Niemals im Leben hat mich ein so dantbarer Blick getroffen, wie aus den Augen dieses Gefangenen. Ich hielt die Karte ans F«uer, es stand darauf lithographirt: "l'wri-« l.»-I>Inn'I." und daneben mit Bleistift herab. Da kam eine Ordonnanz des Generals und überbrachte den Befehl: Weil wir uns wacker gehalten, solllen wir die Gefangenen in der Kirche ein sperren, uns selbst aber im Dorfe Quartier suchen.^ von neunzig aus fünfundfünfzigMann gesunken. Mit Anbruch des nächsten Tages ging es von Neuem in den Kampf. Es war die letzte große Schlacht auf diesem Theile des Kriegsschauplatzes. Alles ins Große, Maßlose übertragen, was wir Tags zuvor in>Klein«n durch gemacht. Das- Gewehrseuer so heftig, daß man den einzelnen Knall nichl .'eren Granaten uns über den Köpfen hinwegheulte», wie Jagdhunde, die den Mond anbellen. Hie und da ein heiseres Hurrah beim Sturm auf eine feindliche Position. Tod, Blut, Jam mer. Verwüstung überall; man begriff nicht, wie es möglich sein sollte, mit heiler Haut aus diesem Hexenkessel wie- Schützenlinie zurückgetragener Ver wundeter rief: „Juchhe! Jk hew en Schuß int Been, ik kam na Hus!" Wohl war das d«r elem«ntare Aus druck einer verzweifelten Stimmung, aber keine Muthlosigkeit. Im Gegen theil, die furchtbare Spannung, die sich aller N«rven des Soldaten in der Schlacht bemächtigt, erzeugt einen un widerstehlichen Drang nach Vorwärts, dem Feinde entgegen, und eine Haupt »ufgabe des Führ-rs ist es, diesen Drang auszunutzen, ehe er der physi schen Erschöpfung und mit ihr der völ- Wir waren abermals Sieger ge blieben, damit wir der Feldzug zu un fern Gunsten entschieden. Der Sieg be deutet« zugleich eine, Wendung zum Besseren in der eigenen Lage: von nun an hatten die schier übermenschli chen Anstrengungen ihr Ende erreicht, und die Verpflegung der Truppen konnte wieder auf eine gesichert« Grundlage gebracht werden. Wir oer mochten unsere Feldflaschen wieder zu füllen und aßen täglich unser Stück Fleisch. So kam es, daß im Bataillon wieder alles zuversichtlicher in die Welt hinausblickte. Ein besonders günstiger Stern aber erstrahlte mir und Karl Petersen. Durch Regimentsbefehl wurden wir beide zu Vizefeldwebeln befördert und sollten fortan Offiziers dienste thun. Hei, da waren wir durch! Keine Flin te, kein schwerer Tornister mehr; das allein war schon unsagbarer Gewinn. Sogar ein Bursche zur Verfügung, der mich bediente was wollte ich mehr? Es ließ sich immerhin aushal ten für einen gebildeten Menschen, ei nen Krieg in Offiziersst-11-ung mitzu machen aber als Gsmeiner oder Unteroffizier mich schaudert noch heute, wenn ich daran denke! Dann kam der Befehl, daß die Di vision Kantonnements beziehen sollte, und unser Bataillon erhielt zur Gar nison das in der Nähe der Loire ge legene Städtchen Ehatelard. Ehaie lard ich mußte den Namen schon ir gend einmal gehört haben, doch ich vermochte mich nicht mehr darauf zu besinnen. Zweites Kapitel. Wegen unserer Fertigkeit im Fran zösischsprechen wurden Kamerad Pe tersen und ich vom Major zu Quar tiermachern bestimmt, es ward ein Bauermvagen requirirt, und lustig rasselten wir auf dem von fck?ellenvi hangenen Pferden gezogenen Fuhr werk an einem sonnigen Tage durch die freundliche Landschaft, demßatail lon seine Wohnstätte zu bereiten. Nach etwa fünfstündiger Fahrt zeig te der Kutscher uns aus der Ferne un sern Bestimmungsort, der sich anmu th?g im Thale zwischen Rcbhügeln und waldumsäumten Höhen hinzog. Ehatelard Ehatelard sicher, der Name war mir bekannt; was war's doch damit? „Karl," sagte ich zu Petersen, der, wie so oft, traumversunken dasaß, „was ist's doch nur mit Ehatelard? Ich habe sicher davon sprechen hören— ist dort irgend ein Zusammenstoß vor gekommen?" „Schwerlich." entgenete mein Freund, „das Städtchen liegt ganz ab seits von der großen Route; wir sind die ersten Preußen, die es besetzen, bisher ist es nur von Kavalleriepa troirillen durchritten worden. Du hast den Namen wohl in irgend einem französische Vla.te gelesen oder Du bildest es Dir ein, davon gehört zu haben." Es ließ mir aber kerne Ruhe, ich grübelte nach. Plötzlich schlug ich mich mit der Hand vor die Stirne und rief: „Ich Hab's!" Dann zog ich mein No tizbuch hervor und entnahm ihm die ganz vergessene Kart« meines Gefan- Schlacht. Richtig, da stand es: ".V Zll-xl» mniüill^i'limitt. Ich lacht! laut aus und reichte dem Kameraden die Karte. „Erinnerst Du Dich nicht der Nacht des .. ten Ja nuar, wie mir der jung« Franzose die se Karte gab? Ich finde nun die schön ste Gelegenheit, sie an ihre Adresse zu befördern." „Jetzt entsinne ich mich auch," sagte Petersen zögernd, „aber. Bob, nimm mir's nicht übel, es war doch unrecht von Dir, daß Du die Karte nicht gleich besorgt hast jetzt ist mehr als eine Woche darüber verstrichen. Fräulein Schmitt ist dock gewiß die Braut —" „Na, höchstens doch die !><>»»<> lniiw, wie alle diese Franzosenjüng linge sie haben," unterbrach ich leicht fertig, „und was hatte ich groß für Verpflichtungen gegen diesen Mr. Le blond, mir noch Mühe zu machen mit dcr Beförderung seiner killet-« ckniix; vielleicht kann aber die Sache für uns einen netten Spaß abgeben. Ich laufe nun schon so lange auf diesem fränki schen Boden herum, und noch nicht ei ne Gelegenheit bot sich, ein bisset die Cour zu machen." „Mit Annahme der Karte hast Du Dich allerdings verpflichtet, für ihre ungesäumte Beförderung zu sorgen," entgegnete Karl mit der Miene des Sittenrichters, „und wenn es einFeind l war, der Dich um diesen kleinen Dienst j bat, so gilt das «dlix»- nur ' in höherem Grade. Auch ist es unrecht, wenn Du Dir die junge Dame gleich > als geeignetes Objekt für Deinen Zeit- vertreib vorstellst." i „Aber Karl." sagte ich ein wenig in ! dignirt, „Du bist ja wieder einmal der keinen Unsinn! Ich bin fest entschlossen, mich in Ehatelard so gut zu amüsiren, als es nur irgend möglich ist, der Ort liegt reizend, und wenn die jungen Damen halten, was ich mir von ihnen verspreche, so wünsche ich nur, daß wir recht lange dort bleiben, um ihnen das vi»' vietis auf unsere Weise klar zu machen." Petersen sagte nichts mehr, er sah gedankenvoll vor sich hin. Für mich aber gewann der Ort vor uns durch das merkwürdige Zusammentreffen ein erhöhtes Interesse. Fräulein Ma rie Schmitt beschäftigte meine Phanta sie. Sie mochte allerdings wohl die Braut jenes Mr Pierre Levlond sein, darin dürste Petersen recht haben. Al lein, warum sollte mich das hindern, rbr recht tüchtig den kos zu machen? Wozu waren wir denn Feinde und Sieger und galante junge Männer dazu? Hier fand sich endlich einmal für ein paar deutsche Studenten Ge legenheit, sich von ihrer liebenswürdi gen Äite zu zeigen, und ich sollte mir solche Ideen aus dem Kopfe schlagen, weil Karl Petersen sich in der Laune befand, sie nicht für passend zu erach ten? Da sollte er mich doch besser ren nen! Auffallend war der deutsche Name im Herzen Frankreichs; doch wie viele französisch klingende Namen fanden sich nicht auch bei uns! Ob sie niedlich war? Es stand bei mir bom benfest, sobald ich nach der Ankunft in Ehatelard Zeit fand, mich durch den Augenschein darüber zu vergewissem, indem ich der „Klein«»" die Karte per sönlich überbrachte. Ich war wirtlich gespannt aus sie, auch neugierig, wie sie aus irgend einem Grunde eine un glückliche, wer konnte das wissen? Wa ren sie aber wirklich in allen Ehren verlobt, die beiden Leutchen, dann wollte ich ihnen meine Protektion ge währen und kam mir nicht wenig wür devoll vor in der Rolle des Beschützers; damit konnte ja auch Petersen zufrie den sein. Am Ende siel doch für mich eine Kleinigkeit dabei ab! Ben der Sergeant und die Mann schaften. Beim Einfahren in die Stadt spannten die Leute ihre Gewehre und hielten die Mündungen auf die Häu ser gerichtet. Doch der Ort zeigte das friedlichste Aussehen. Nur wenige neu gierige Köpfe zeigten sich an den Fen stern, und einc Schaar Kinder folgte uns bis auf den Marktplatz, vor die Maine. Den Hut in der Hand, mit ernsten Mienen, traten uns der Malre und sein Schreiber entgegen. Sie wa ren voller Besorgnis für das Schicksal des Ortes und schienen geradezu ver blüfft, als wir uns auf die Liebens würdigen hinausspielten, bedauerten, den Herren so viel Noth machen zu müssen, und schließlich die Hoffnung aussprachen, IVir würden während un serer Garnisonszeit gute Nachbarschas? halten und dermaleinst als Freunve von «inander scheiden. kleine Nest einen harten Bissen hinun terschlucken. Die Leute sollten mit Ver pflegung «inquartirt werden, und wir wußten, wie nöthig unsere braven Bursche es hatten, sich in dieser vom Kriege noch nicht ausgesogenen Ge gend einmal ordentlich herauizupsle gen. Nachdem der Stab und die Her ren Kompagnieoffiziere gebührend un tergebracht waren, ließen wir es daher unsere ganze Sorge sein, auch die Mannschaften gut zu logir«n. Die Bäter der Stadt hatten an Massen daten wurden gleichmäßig auf milien vertheilt und selbst Wittwen und Mademoiselle? bekamen ihren Mann, sofern ein gewisser Wohlstand wicht abgeleugnet werden konnte. Es war eine schwierige Arbeit, und der Maire mußte sich zahlreiche Schreib kräste beigesellen, um die Billets bis zum nächsten Abend, an dem das Bataillon erwartet wurde, mOrdnung zu haben. I.»» oen »rs!" die Eindring linge hatte» bereits ihr wehrloses Opfer ereilt, einige Beilhiebe, einige klagende, wimmernde, ächzende Töne und das grause Werk war gethan. Hohnlachend entfernten sich die Missethäter, während schluchzend und händeringend das be dauernswerte Opfer der Lynchjustiz «instanden, das Klavier, das des Hau ses Tochter täglich zur Verzweiflung aller Nachbarn zu maltraitieren pflegte. Eine räthselhafte Un- Karl, seit unsrer Verlobung bist Du mir geradezu ein Räthsel. Bräutigam: Du m.r auch, aber em ungerathenes. Auflösung bald folgen lassen; 3