2 Zlmgangsformen in alter Jeit. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts, im Zeitalter der Perrücken, trat auch in Deutschland unter dem Einfluß der neuen von Frankreich herüberge kommenen gesellschaftlichen Bilvunz das weibliche Geschlecht in ganz ande rer Weise hervor, als es im 14., 15. und !16. Jahrhundert der Fall gewe sen war. Bis jetzt abgeschlossen und aus das Haus beschränkt, war es nun mehr der Mittelpunkt der Gesellschaft geworden. „Was gehen nun für Ga lanterien vor!" eiferte damals Tho «nasius. „Wie zertrampelt man sich vor dem Fenster, ob man die Ehre haben könne, die Jungfrau oder an deren Statt die Magd oder die Katze zu grüßen." In feinen „Hof- und bürgerlichen Reden" gab in jener Zeit «in ungenannter A, P. v. A. Muster beispiele für die gesellschaftliche Unter haltung. „Als ciner eine Jungfer zum Tantze aufforderte: Derselben wohlbekandie Bescheidenheit und rühmlich« Demuth haben mich bewo gen, Sie zu einem öffentlichen Tantz von ihren angenehmen Gespräch-Hal tungen aufzufordern und bin gewiß versichert, Sie werd« an meinem Ver langen kein Mißfallen tragen, sondern der gefaßten Kühnheit mich freundlich entschuldiget halten. Bitte dahero Sie wolle mir diesen Tantz nicht ver sagen. sondern durch Verwilligung desselben mir Anlaß geben, ihr bey «aller zufälligen Gelegenheit mit gebüh render Aufwartung zu begegnen." „Antwort einer Jungfer, als sie umb «inen Tantz war angesprochen wor den: Es ist eine löbliche und wohl ziemende Sache, die er verlanget und deßwegen unvonnöthen. daß er einiger Verwegenheit halber sich entschuldigt, und mit höflichen Anmuthungen lange von mir dasjenige erbittet, wel ches ihm zu verweigern, die Beysorge einer Bäurischen Grobheit schlechter Dinges verbeut. Und wie ich einer jedweden Ehrliebenden Person aufzu warten mich willfährig erzeiget, also werde gegen meinen liebwerthenFreund «S hierinn nicht ermangeln lassen. Ge horsame demselben gantz gerne und bedancke mich vor angethane Ehre, nur das bitte ich, weil ich eine schlechte Täntzerin, daß er, wo seinem Verlan gen Lein sattsameS Genüge geschehe, er vorlieb nehmen und mir freundlich verzeihen wolle." Uebrigens waren «uch damals solche Albernheiten nicht mach dem Geschmack Aller, und Weise z. B. empfiehlt für die Aufforderung zum Tanz eine ganz kurze höfliche Anrede. Ein anderes gewöhnliches Gespräch kommt in Menantes „Manier höflich und wohl zu Reden" vor. Es lautet: „A. Nun, das Ist mir lieb, daß ich «inmal das Glück habe, sie wieder zu sehen. V. Gehorsamer Diener, das Glück ist auf meiner Seiten. A. Wo feind sie d«nn so lange gewesen, daß man das Glück nicht hat gehabt, sie zu sehen? B. Unterthäniger Die ner, das Glück würde auf meinerSeite gewesen sein, ich bin ein wenig verreist gewesen. A. Haben sie Ihre Reise glücklich zurückgelegt, so soll eZ mir von Herzen lieb sein. V. Gehorsa mer Diener; so ziemlich, ich bin glück lich. sie bei gutem Wohlergehen anzu treffen. A. Ihr Diener, mir ist von Herzen lieb, daß ich sie wobl sehe; und mich in meinem Hause besuchen. B. Gehorsamer Diener, ich danke, die Ehre wird die meine sein. A. Nun, wenn wollen sie mir einmal die Ehre geben? V. Schuldiger Diener, die Ehre wird mein sein: ich will sie nicht il>cammniß es mit seiner Hoffnung nun vorbei fei, daß er schon so gut wie verurtheilt war, darüber gab sich der Angeklagte jetzt keiner Illusion mehr hin. Hinte er auf der Bank der Geschworenen ge sessen, er hätte auch keinen anderen Wahlspruch.fällen können, als: Schul dig. Dieses gräßliche Wort! Schul dig! Es schauerte ihn. Und doch! Wie konnte man ihn, einen Unschuldi gen. verurtheilen? Wie -oar das möglich? Aber glaubte denn Jemand an seine Unschuld? Kaum konnte er selbst noch daran glauben, nachdem er mehrere Stunden lang der vollen Wucht der Worte gelauscht, >ene unzerreißbare Kette von Umstandsbe weisen um ihn sog, womit seine an gebliche Schuld m erdrückender Weise dargethan worden war. Noch immer saß er so da brütend und in sich gekehrt mit dem dum pfen Bewußtsein, daß nun bald sein Schicksal entschieden sein werde. Wel ches Schicksal? Der Angeklagte war eine kräftige, etwas stämmige Figur, das Gesicht von Lust und Sonne gebräunt, die Hände an der Kehle, als ob er zu er sticken drohe. Mittlerweile war die Jury polternd und geräuschvoll unter Beobachtung der üblichen Formalitäten in das Be rathungszimmer abgeführt worden. Indem sie, Mann für Mann, an der Stelle vorbeifchritten, wo der Ange klagte in sich zusammengesunken ver harrte, warf ihm J«der einen durch dringenden Blick zu. Und dann trat jene lange Stille ein im Gerichtssaal, wie sie während der Berathung der Jury in schweren Fällen üblich ist. Denn es war wirklich ein schwerer Fall. Es handelte sich um Mord. Lautlos saß der Angeklagte noch im mer da. Welche Bilder mochten wohl in seiner Seele vorüberziehen? Das Publikum im Saale zischelte leise, und hie und da kehrten sich neugierige Blicke dem düsteren Manne zu. Er aber regte sich nicht. So verging eine halbe, dreiviertel Stunde. Da öffnete sich wieder die Thür des Juryzimmers, und heraus schritten die zwölf Männer, in deren Hand die Entscheidung über Leben und Tod, Freiheit oder Knechtschaft des Ange klagten ruhte. Einen scheuen, verstör ten Blick nur warf der Angeklagte auf sie, um dann schnell wieder in sich ge kehrt zu sitzen. „Keine Hoffnung!" murmelte er vor sich hin. Und in der That: Da klang schon die feste, «Herne Stimme des Ob manns: „Schuldig des Mordes im zweiten Grade!" Und gleich darauf hieß es: Aufstehen! Und mechanisch erhob er sich und trat vor den Richter, dessen strenges Antlitz ihm nun zuge kehrt war. Der Urtheilsspruch! „Auf Lebenszeit!" Verurtheilte schüttelte trübe das Haupt. Was hätte es auch genützt? Niemand glaubte ihm ja, Niemand. Und doch: Unschuldig, völlig un schuldig. Die Jury wurde mit anerkennenden Worten für ihr schnelles, gerechtes Ur theil entlassen. Der Saal l«erte sich. Der Richter wandle sich ab. Der Staatsanwalt, mit einem heiteren Lä cheln auf den Lippen, nahm die Glück wünsche seiner Freunde und Bewun derer entgegen. Und der Verurtheilte wurde nun auch gefesselt und abge führt. Willenlos folgte er. Er murmelte nur im Gehen, wie geistesabwesend: „Wie ist es möglich? Unschuldig, und nun doch verurtbeilt!" Einige Tag« später war er nach dem Zuchthaus abgeführt, hinter dessen dicken Mauern -sich nun der Rest des Lebens für den Verurtheilten freud los, einförmig, bei harter Arbeit und fchu°ld^ 11. Und doch war Jacob Kästner völlig unschuldig. Allerdinas waren die Er eignisse. die ihn vor Gericht und nun auf Lebenszeit in's Zuchthaus geführt hatten, so verwickelter und eigenthüm licher Natur, daß mehr als menschli cher Scharfsinn dazu gehört hätte, um die Wahrheit zu erkennen. van Jahren hatte sich im fetten Lande der Mississippi-Niede rung, gut ernährt, seine Familie her angezogen, und es zu mäßigem Wohl stand gebracht. Da schrieb ein frühe rer Nachbar von ihm. der nach dem von dem herrlichen, milden Klima, von dem saftigen Obst und dem schönen Weizen, was man Alles dort ziehe, er zählend, und mit der Zufriedenheit Jacob's war's vorbei. Die Lust er griff ihn übermächtig, auch nach jenem gesegneten Lande zu ziehen, wo der Boden hundersältig trug. Und trotz aller Ermahnungen, trotz allen Zure dens seiner Frau und seines einzigen, schon erwachsenen Sohnes, schickte erj sich auch an, diese Absicht auszuführen. Vor Allem galt es, einen passenden Käufer für sein Besitzthum zu finden. Er fand ihn in dem alten Colone! Sharp, dem bekannten Advokaten d-S Nachbarstädtchens, der sich auf seine alten Tag« eine hübsch«, geordnete Farm kaufen und dort seine Mußezeit verbringen wollte. Nach den üblichen Besichtigungen und der Prüfung der verschiedenen, in der Stadt registrirten Urkunden über die Farm wurde der Handel abge schlossen und der Kaufbrief in aller Form Rechtens ausgestellt. Die Kaufsumme war schon zum Theil er legt, der Rest sollte binnen weniger Wochen erlegt werden, und mittlerweile verblieb Kästner mit seiner Familie noch auf der Farm, sich langsam zur fernen Reise nach dem neuen Heim rü stend. Einige Tage nur waren seit dem Abends kurz nach Eintritt der Dunkel heit der alte Col. Sharp in seinein Schlitten an auf der Farm. Er hatte, so behauptete er, einen Fehler in der Eigenthumsurkunde der Farm ent setnes Geldes und Ungiltigmachung' des Kaufes. Es fand eine heftige Scene statt zwischen den beiden Män nern, und im Laufe desselben warf der alte Herr dem Anderen vor, ihn iibervortheilt und wissentlich betrogen Rechtstitel des Eigenthums hätte de ren seine Heftigkeit leid, und er er klärte seiner Frau, die allein mit ihm im Hause zugegen war, daß er dem eher einen neuen Streit als die Bei legung des alten fürchtete, fuhr Käst ner auch gleich darauf dem alten Col. Sharp nach, indem er einen geladenen Revolver zu sich steckte mit der Bemer kung. daß so spät Abends in dem dich ten Wald, wo es häufig nicht geheuer sein sollte, etwas Vorsicht nöthig sei. Die Frau, Uebles ahnend, blieb zu rück, wo sie ihr Sohn kurze Zeit darauf fand. m. Im Walde fand Kästner bald die frische Spur des Schlittens, auf dem fein Gegner davongefahren war, und indem er sein Pferd tüchtig zur Eile antrieb, vernahm er auch schon einige Peitschenknallen. Um Col. Sharp nuten später sah er den Schlitten des Alten etwas seitwärts vom Wege ste hen, das Pferd noch rauchend und zugleich im Gebüsch dicht dabei «in leises Stöhnen und Röcheln. Er schritt darauf zu, und erblickte den al ten Col. Sharp blutend und bewußt los, mit einem Schuß im Hinterkopf«, im Schnee liegen. Schwerverwundeten und reinigte ihm die Wunde mit Schneewasser, zugleich ihm etwas Whisky aus seiner mitge brachten Feldflasche einflößend. Bel auf, und während Kästner noch auf solche Weise sich um den Mann be mühte, fuhr ein Schlitten von der Stadt her an der Stelle vorbei. In dem Schlitten saß der Sheriff und ein Deputy desselben, die eben von einer amtlichen Reise zurückkehrten. Als sie Jacob Kästner allein im Walde spät in der Nacht, mit einem bluten den, halbtodten Manne fanden, ver hafteten sie ihn und führten ihn nach der Stadt in's Gefängniß, zugleich den Schwerverwundeten mit sich führend. Einige Stunden später starb dieser, ohne das Bewußtsein wieder erlangt zu haben. So geschah es, daß Jacob Kästner des Morles angeklagt wurde, und da die Kugel, die man im Kopfe des al- ten Col. Sharp fand, genau zum Re volver des Angeschuldigten paßte, und da man die ganze Reihe von Um standSbeweisen, die gegen ihn vorla gen die Kaufsache, den Versuch der Rückgängigmachung des Handels, die Aeußerungen des alten Advokaten über Kästner vor seiner Fahrt nach dessen Farm, der heftige Streit der Beiden, die scheinbare Verfolgung im Walde durch Kästner, und das Antreffen des selben bei dem Körper seines vermeint lichen Opfers geschickt zu einer ein zigen Kette zu vereinigen wußte, so geschah das, was im Anfange geschil dert wurde, die Verurtheilung des An geklagten. Hinzugefügt muß noch werden, daß bis dieser Zeitpunkt eintrat, Kästner im Gefängniß schon 18 Monate ver bracht hatte, sein kleines Vermögen während dieser langen Zeit nahezu ausgezehrt wurde, daß die Frau des beklaciensiverthen Mannes über all' dem Elend und Jammer den Verstand verlor und in ein Jrrenasyl gebracht werden mußte, und der Sohn, der sei nen Vater auch für schuldig hielt, Selbstmord beging. So kam es, daß Jacob Kästner, ein vereinsamter, unglücklicher Mann, an den Bettelstab gebracht durch den lan gen Prozeß und nun zu lebenslängli cher Kerkerhaft verurtheilt, keinen Freund auf der Welt mehr besaß an st reift/Jacke des Ziichtlings aesteckt IV. Sechs Jahre sind seitdem vergan gen für Jacob Kästner Jahre stum pfen, unaufhörlichen Schmerzes. In die Nacht seines Elends hatte lein freundlicher Stern geschienen, sondern einförmig und dumpf hatte sich ein andere, gereiht. Sein Haar war weih, seine St rn gefurcht. »nd sein Gang schleppend und müve vorzei tig ein Greis. Nur in der Stille sei ner Zelle, wenn er sich schlaflos auf dem harten Lager gewälzt, hätte er manchmal gefeufzt: Wie lang, o Gott, wie lang! Da wurde er eines Nachmittags mitten in der Arbeit man beschäf tigte ihn, den an Harle Arbeit gewöhn im Austrage des Gouverneurs Jacob Kästner feine Freiheit antündigte. Der Lebendigbegrabene starrte erst ganz verständnißlos den Mann an, der ihm diese Botschaft verkündete, dann aber stürzte er ohnmächtig zu Boden. Was war geschehen? Etwas was ziemlich häufig ge schieht. Der wahre Mörder hatte auf dem Sterbebette, als er leine Angst vor dem Galgen mehr zu haben brauchte, ein reuiges Geständniß seiner Schuld abgelegt. Im Zuchthause zu Wanpun war's gewesen, und bald darauf war der Mann verschieden. Sein Geständnis war indessen vollin gänzliche Unschuld des armen Kästner herausgestellt. Aber nun? Mit siechem, gebroche nen Leibe, mit einer Seele, der kein Hoffnungsstrahl, keine Liebe mehr winkte, sollte Kästner wieder hinaus treten in die weite, die grausame Welt, in die Welt, die ihm nicht geglaubt und ihn unschuldig verurtheilt, in der s-eine zwei Lieben ebenfalls zu Grunde gerichtet worden waren. War das ein Gewinn? Was sollte er jetzt thun mit der Freiheit? Flehentlich bat Jacob Kästner den Abgesandten des Gouverneurs, ihn in der Anstalt zu lassen, wo man ihn we nigstens kenne und ihn nicht über die Achsel ansehen werde, jetzt wo sich seine Unschuld herausgestellt. Und so geschah's. Jacob Kästner befindet sich noch immer im Zuchthaus nicht mehr als Züchtling, aber als freiwilliger Insasse. Und geduldig erwartet er die Stunde seines Todes. Aus den Erinnerungen eines Arztes. Ton H. Faltcnhagcn. Es war in einer kleinen Abendge sellschaft. Man sprach von amerika nischen Zuständen, «in Gegenstand der umsomehr fesselte, als einig« der an wesenden Männer selbst in der „n«uen Welt" gewesen waren. Da nahm der alte würdige Doctor 1... das Wort. Ich war noch ein junger Arzt so erzählte er —, ledig,uneingeschränkt in meinen Bewegungen und durstete nach Thaten auf wissenschaftlichem Gebiete. Der Hang zur Naturfor schung und ethnologischen Studien be stimmte meine Entschlüsse. So segelte ich eines schönen Tages von Hamburg aus über dm Ocean, um Amerika zu bereisen. Ich durchzog sieben Jahre hindurch den ganzen Erdtheil und war so ziemlich überall, an den großen Strömen, in den Prairien und Pam pas, auf den Riesenbergen der Anden. Pflanzen und Thiere beschäftigten, Sitten und Cultur -der Völker reizten mich, nicht minder ihre Geschichte. Daß ich dabei in manche außerordent liche Lagen gerieth, darf nicht wunder nehmen. Auch Gefahren bestand ich. Die ungebändigte Statur führt sie mehr mit sich, als die befestigte Ordnung des alten Europas. Dies gilt nicht allein vom Lande und Klima, sondern vielmebr noch von den Menschen da draußen; denn ihre Gesellschaft war damals man schrieb 1849 noch viel weniger consolidirt, als es heute der Fall ist. Wilde Leidenschaften, Trotz, Haß, Gewaltthätigkeit, rück sichtslos-sßegehren und roheste Selbst sucht bestimmten oft genug das Thun des Ebenbildes Gottes in jenen Län lons des abgeschliffenen Europas un gläubig gegenübersteht. Begreiflich. Gift, Revolver und Messer sind glück licherweise nicht heimisch in unserm stillern Dasein, das sich in parfürmir ter Luft und ästhetischen Thees behag lich abspielt. Begebenheit dieser einige Zeit in Eachueira in der Pro vinz Bahia zuzubringen. Nach drei, tägiger Dampfschifffahrt längs der Küste erreichte ich mein Reiseziel. Ca- chueira war damals eine Stadt von ungefähr sechstausend Einwohnern. Sie liegt unfern der Küste malerisch am Ufer des schiffbaren Flusses Pa raguassu, landwärts von einem Kranze grüner Hügel eingefaßt. Cocuspal men und Bananenwälder verleihen dem Bilde den tropischen Charakter. Es war im Monat Januar, der Zeit des südlichen Hochsommers, als ich in Cachueira eintraf. Umstände brachten es mit sich, daß ich neben meinen bola» , Nischen und zoologischen Studien auch ärztlich« Praxis trieb, -die stets an Um fang zunahm. Eingeborene und Fremd« nabmen meine Hilfe in An spruch. U-nd da ich von den Armen, besonders von den Farbigen, kein Ho norar forderte, ward ich sehr bald nicht allein ein sehr gesuchter, sondern auch ein beliebter Arzt, wie man das nennt. Nach einigen Monaten brach in der Stadt das gelbe Fieber aus, die Geißel der tropischen amerikanischen Küste. Ich -selbst erlitt einen Anfall, der indeß glücklicherweise leicht war und -vorüberging. Das gelbe Fieber ist ein« schreckliche Krankheit. In 24 Stunden, oft in noch viel kürzerer Zeit, ist man dahin. Fünfzig Procent der Kranken, manch mal noch mehr, sterben. Das Fieber beginnt mit einem Druck in der Ma gengegend. Kopfschmerz und Müdig keit stellen sich «in, Krämpfe -deS Zwerchfells, in Unterleib und Rücken folgen, Bluterbrechen tritt hinzu, bis der Tod der Qual ein Ende macht. Eines Abe-nds bereits sehr spät, saß ich in meiner Casa, einem leichtgebau dnn Briefe -bat mich ein College, ein italienischer Arzt Dr. F., für ihn so fort nach der Facenda der Donna Er melindra Custodia zu reiten, um einen Fall gelben Fiebers zu behandeln. Er sei dort Hausarzt, fühl« sich aber selbst unwohl und bäte um Vertretung. Na. tinctur, Tannin und «inigen andern Mitteln und trat vor das Haus. Drei Reiter warteten hier auf mich, ich be stieg ein bereit gehaltenes Pferd und so setzte sich die Cavalcade sofort in schneller Gangart in Bewegung. Von Zeit zu Zeit waren längs des Wegs Sklaven mit brennenden Fackeln auf gestellt, die den Weg erhellten. Zwei- Mal wechselte ich unterwegs meinPserd ans bereitgehaltenen Relais. Ich er hielt durch alles das den Eindruck, daß es sich um einen sehr vornehmen Kranken handeln müsse. Endlich nach zweistündigem Ritte trafen wir auf der Facenda ein. Sie bildet« «in langge strecktes «»»stockiges Haus mit Hochpar terre, von geräumigen Verandas um geben. Zahlreiche Fackeln brannten auf -dem Vorplatze, die innern Räume waren hell erleuchtet. Eine Anzahl festlich gekleideter Herren und Damen -bewegte' sich im Empfangssaal« und wundert« mich nicht, denn ich glaubt« an ein Fest, das durch «inen Krankheitsfall ein« gewisse Störung erleide. Eine prächtig aber etwas überla den gekleidet« ältere Dame empfing mich überaus artig. Cavallero, sprach sie, Sie kennen Ihre Instruction. El len Sie! Auf einen Wink ihrer Han-d führte mich ein schwarzer Diener durch einen langen Corridor an ein Zimmer, das ich öffnet«. Im Zimm«r lag «in Mann von mittlern Jahren auf dem Lager ausgestreckt. Er wand sich und krümmte sich in schweren Schmerzen. Er hatte das gelbe Fieber. Ich gab die nöthigen Mittel und tröstete den Kranken, denn er jammerte und fühlte sich dem Tode nahe. Ich bin Dom Ju stino van -der Kaffeeplantage Santa Clara. Helfen Sie mir, ich lohne es Ihnen -mit Gold. So klagt« und flehte «r «in üb«r das ander« Mal und immer von neuem. Ich that, was ein Arzt thun kann. Besonders schwierig war es, den Kran-- ken in sitzender Lage im Bette zu er halten, denn das entsetzliche Glucksen aus dem Magen -herauf ein charak teristisches Sympwm beim gelben Fie ber ließ keine andere Stellung zu. Ich mußte den Patienten ununterbro chen in den Armen halten und stützen. Dabei ließ man uns ganz allein. Keine Seele erschien, um sich zu erkundigen oder nach dem Kranken oder meinen Bedürfnissen zu fragen. Draußen in den Sälen weilte die geputzt« Menge, um sich zu amüsiren, chi«r rang ein sterbender Mensch unter Schmerzen mit dem Tode. Der Gegensatz war grausig. Doch ich nahm es nicht so schwer, weil mir der Charakter der Leute bekannt war. Man ist in jenen heißen Ländern oft ebenso genußsüch tig und leichtlebig als furchtsam und Unterdessen schritt das Fieber bei Dom Justino rasch vor. Der Fall war schwer, -meine Kunst umsonst. Ich war Aegen zwölf Uhr angekommen, um ern Uchr in der Nacht verschied der Kranke. Ws ich das Zimmer verließ, stieß ich draußen dicht vor der Thüre auf einen dort stehenden Mann. Ein breitkrämpiger Hut war tief in die sprach er: Es ist so. Er ist todt. Mel- > Treppe. DaS alles kam mir etwas sonderbar vor; »och was ging es mich an? Ich durchschritt den Corridor und trat in den Salon, wo die Gesellschaft noch völlig beisammen war, in Gruppen saß, Kaffee trank und rauchte. Mein Erscheinen unterbrach jede Beschästi- Augen auf mich hin. Die prächtig gekleidete alte Dame, die mich frü her empfangen, kam hastig auf mich zu. Nun, Doctor? fragte sie fast athem los. Dom Justino ist soeben gestoben, erklärte ich feierlich. Die Wirkung meiner Worte war ganz anders, als ich nur immer er warten konnte. Das Gesicht der Don na vor mir verzerrte sich zu einer haß erfüllten Fratze, die Augen blitzten Gift. Pfeilschnell sprang sie auf mich zu und griff mit den gekrümmten zehn Fingern ihrer Hände nach mei nem Gesicht, dabei mit gellender Stimme Verwünschungen über mich ausstoßend. Sie haben mich betrogen u-nid belogen, Elender! Ich Arme! Fluch Ihnen! kreischte sie, wie außer sich. Dabei accompagnirte ein Theil der Gesellschaft der Wüthenden mit lautem Drohen gegen mich, während ein anderer Theil beschwichtigend« Ge bärden machte. Es war eine wildbe zur rechten Zeit «in Capuzinerpater herzu, riß das rasende Weib zurück und rief mir zu, schleunig zu ent fernen. Em Diener nahm mich bei der Hand und in wenigen Augenblicken war ich auS dem Hause gezogen und gerissen, ich weiß nicht wie. Eine dunkle Gestalt, ich glaube, es war der Mann auf dem Corridor vor der Thüre >d«s Todten, flüsterte mir zu: Hier ist Ihr Pferd. Cavallero. Eilen gen Schlag mit einem Stocke versetzt. Zwei Reiter begleiteten mich mit bren nenden Fackeln. Ich wußte nicht, wie mir geschehen war. Ich hatte alles über mich erge daß ich zur Besinnung kam. Erst jetzt, während des Rittes, athmete ich auf. Was bedeutete das alles? Wel chen Räthseln stand ich gegenüber? Waren die Menschen dort draußen ver rückt geworden? Oder was sonst? Grübelnd ritt ich dahin. Die Nacht Gefühl, einer großen Gefahr entron nen zu sein, und fast fröhlich sah ich meine Casa vor mir auftauchen. Gern Sonne .und Licht verscheuchen die Gespenster, frischer zieht -unter ihrem Einfluß der Lebensstrom durch die Adern. So war es mir. Niemals Ich freue mich, Sie wohl und munter zu sehen. Danke sehr für die Theilnahme, rig. Der Fremde aber fuhr fort: Hätten Sie anders gehandelt, als geschehen, lägen Sie heute neben dem armenDom Dolchstoß wartete Ihrer. Addio?"" zurückkehren. nur an einem Seitentische saßen zwei Herren, zugleich Schwäger, ein deut scher und ein brasilianischer Kauf mann. Beide waren tüchtig«, charak terfest« Männer und mir sehr zuge than. Der Brasilier kannte nebenbei Land und Leute und wußte alle Fa milienverhältnisse von Stadt und Um gegend. Mit Wärm« und Freude reichte er mir die Hand und sprach: Sie sind gestern Nacht einer großen Gefahr entgangen. Ich gratuüre herzlich Wissen Sie das auch schon? fragte ich staunend. Der Kaufmann lächelte überlegen, wie einer, der die Verwunderung feines Gegenübers naiv findet. Und nun erfuhr "ich folgendes: Donna Ermelindra Cuftsdia war Wittwe und Besitzerin einer großen Kaffeeplan-tage, die indeß bis zum letzten verschuldet war. Jeden Augen blick konnte der Ruin hereinbrechen. Daher galt es, dem vorzubeugen. Da» Mittel dazu bot ihre unschöne Tochter Elvira. Es gelang, einen ebenso reichen als etwas einfältigen Alles war bereit. Priester und Gäste fanden sich ein. Da erkrankte der be reits anwesende Bräutigam plötzlich am gelben Fieber. Man war außer sich, einigte sich aber dahin, daß die Trauung am Bette des Ertränkten ge schehen sollte, sobald der Hausarzt ei nen Zustand genügend klarn». Bewußt seins feststelle. Darauf kam es ivegen der rechtlichen Folgen der Trauung an. Der jungen Frau fiel mit vollzogener Trauung im Todesfalle ihres Galten das ganze große Vermögen des Dom Justino zu. Dann konnte die Ehe von feiten der Verwandten des letzlern rechtlich nicht angegriffen werden. Tee Hausarzt war Dr. F..., ein Italien«!. Eilig jagte «in V«rtrauter der Donna Custodia nach der Stadt, um der» Hausarzt zu holen und ihn in die Sache einzuweihen. Aber die Familie des Dom Justino war noch eiliger ge wesen. Mit Hilft bestochener Diener der Donna erfuhr sie jeden Schritt der Gegenpartei. Mehrere Verwandte deS Bräutigams waren als Gäste ebenfalls anwesend, und diese leiteten die Intri gue. Einige Minuten vor dem Ein» treffen des Vertrauten der Donna verließ schon der Abgesandte der an dern Partei -das Haus des DoctorS F... mit der TodeSdrohung für den Fall, daß dieser auf der Facenda er scheine. Der Doctor kannte den Ernst der Lage und wußte sich in sei ner Angst nicht anders zu helfen, als sich krank zu stellen und mich mit fei nerSiellvertretung zu beauftragen. Wie es zuging, -daß ich von dem einzig wichtigen Umstände bei der ganzen Sache, nämlich dem Heirathsvlane und der Trauung auf dem Kranken bette die geschehen tonnte, denn ser Kranke war lange völlig klar im Geiste und dispositionsfähig daß ich, wie gesagt, davon keine Kenntniß erhielt, ist mir unbegreiflich geblieben. Wahr scheinlich glaubte man, ich sei vollstän» dig belehrt, oder die überstürzt- Hast ließ «s vergessen. So erschien ich ah nungslos auf der Facenda der Donna Ermelindra Custodia, um vi: gefähr liche Roll« eines vom Tode umlauerten stellvertretenden Hausarztes zu spielen. Eine kleine Wendung und ich wäre verloren gewesen. Aber, mein Gott, ri«f ich was für Geschichten sind das? Woher wissen Sie das alles? Von meinem Bruder Rodrigo, de? es erlauschte, flüsterte d«r Kaufmann mehr als er sprach. Er ist Secretär bet einem erbbetheiligten Verwai itenDom Justmos. Wäre übrigens das gelbe Fieber nicht gekommen, so erwartete den Verstorbenen «in Dolchstoß vor de: Trauung. Von den eigenen Verwandten, Ca» valleros? fragt« ich. Von den eigenen Verwandten, nickie der Erzähler. Mir ward bei diesen Enthüllungen sehr ungemiithlich. Welche Leiden schaften entfesseln Geld und Habsucht! sprach ich erschüttert. Da muß man sich auch wohl noch vor der Rachsucht der Donna Custodia, deren Pläne mein Verhalten vereitelte, hüten? Ja, wenn sie hier wohnen geblieben wäre, bestätigte der Brasilianer. Sie übergab aber heute Nachmittag ihre Plantage den Gläubigern, um morgen früh mit dem Dampfschiff nach Rio de Janeiro, wo Verwandte wohnen, über» zusiedeln. Trotz dieser 'beruhigenden Erklärung war mir der fernere Aufenthalt in Cachueira verleidet worden. Um eine ernste Erfahrung reicher, verließ ich bald darauf dm Ort und schiffte mich nach Buenos Aires ein. Der gute Rath. Zu dem reichen Abdullah in Kon stantinopel kam sein guter Freund Omar und sprach: „O Abdullah, leihe mir hundert Piaster! Allah wird es Dir tausendfach vergelten!" > „Fern sei eS von mir", erwiderte der- Reiche, daß ich tausendfachen Zins ver langen sollte. Ich würde schon zu frieden sein, wenn ich das Geld einfach zurückerhielte." Die Pumpenden reden in der Türkei nicht anders, als wie im übrigen Eu ropa, und also sprach Omar: „Darauf kannft Du Dich verlassen. Ein Mann, ein Wort." „Leider bin ich heute nicht bei Kasse —" „Kleiner Spaßvogel! Ein Check von Dir ist sicher wie Gold. Deinen Ban» kier kenne ich." Abdullah zögerte. „Höre, Freund," rief Omar, „wenn Du mir die hundert Piaster leihst, gebe ich Dir einen guten Rath, der das zehnfache werth ist." Bei uns pflegt man für einen guten Rath keinen Cent zu geben, (außer bei Aerzten und Rechtsanwälten), aber in. der Türkei sind die Leute so auf guten Rath erpicht, daß sie Geld dafür aus geben. besonders, wenn der Rath wie der Geld einbringen soll. „Also. Freund Omar, hier ist ein Check auf hundert Piaster, gieb mir nun Deinen guten Rath." „Mein Rath heißt: .Leihe niemals einem Freunde Geld, sonst dauert die Freundschaft nicht lange." „O wie danke ich Dir! Ich werde sofort meinem Bankier telephonieren, daß er Dir den Check nicht auszahlt." Geübterßlick. Nachtwäch ter Student! Ist es der Meier oder der Müller?" Nachtwächter B.: „Dem Rausch nach ist's der Müller!"