Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 29, 1893, Page 6, Image 6

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    6 W « i ft « a » t.
Kein Windhauch draußen regungslos
die Lusi,
O wuoderbarer, herber Wmterdust!
E! schneit, es schneit! Ein Gt
wimmel
Schwebt Flock' und Flöckchen von dem
grauen Himmel
Und legt sich sacht auf Weg und Steg
und Halde, i
Verschneit die Tannen draußen in dem
Walde,
Ruht leuchtend weiß auf jedem Thurm
und Dach
Und scheint so helle in mein still Ge
mach,
Daß ich die Feder gerne ruhen lasse
Und meine Blicke sende auf die Gasse.
So einsam dort; '! ist Alles in d«n
Stuben,
Nicht mal den Schlitten zieh'» des
Nachbars Buben;
Warum die» nur, da es sie sonst so
freut?
Ei, weiht du nicht? ES ist ja Weih-
Und horch! Da schweben tiefe Glockcn
klänge
Wahl über! Dörfchen in daS Land
hinein,
Und in der Brust wird es mir plötzlich
eng«
Und in die Augen tritt ein feuchter
Schein.
O heilige Nacht, du süße fromme
Nacht,
Welch selig Glück hast du der Welt
gebracht;
In jedes H.ius weht dein geheiligt
Schauern!
Trauern, !
Es muß ihm doch die holde Kunde
werden:
Verzage nicht, der Friede kam zur Er
den!
So strahlend hell, so festlich «igen;
Von frischen Kinderstimmen tönt ein
t . !
Das alte Lied die frohe Mär
„Vom Himmelhoch da lomi.i Ich
Wohin du siehst, der hell: klare Schein,
!
räum
In jedem Haus der grüne Tannen
baum;
Und jedes Herz wird heute lind und
weich
Und jeder Arme dünkt sich wonnereich,
Und jede Hand, sie schenkt und reicht
und giebt.
Was sieht dort draußen an der Thür
betrübt
sterlein?
herein!
Hast keine Mutter mehr? Hast keine»
Baum?
Daß heil'ger Abends ist, du weißt es
flohen.
Und Kinder dürfen heute gar nicht
weinen;
Es ist ja Euer Fest, daS Fest der
Kleinen.
Da nimm nur hin, viel ist es freilich
nicht,
Und freue Dich daran. Du blonder
Wicht.
O Kinderhand, wie bald bist Du ge
füllt!
O Kinder!!,ine, wie s» bald gestillt!
Was jetzt au 6 blauen Aeuglein blinkt,
Ist süße Lust, die tief zum Herzen
dringt.
Nun geh', mein Zünd und siehst Du
noch so eine»
Vergess'nei, kleinen Bube» weinen
Es könnte auch ein lieb:! Mädchen
sein,
Das zur Bescheerung Nieniano ließ
herew
Sag' ihnen rasch, "ich wohnte an der
Ecke
Und hätte ein« große Zuckerwecke
Und auch «in Bäumchen und ein war
mes Kleid
O Herzensfreude, sel'gc Weihnachts
zeit!
W. Htimburz.
Sii»nttit:«rath Sball.'«d«rg.
.Sich' mal, Altcr, da ist wieder
eine Annonce, die mich in meinem
Vorsatze. Dir einen Pelz zu Weih
nachten zu schenken, bestärkt. Höre
nur: Auflösung de! großen Pelz
waarengeschäftS von Friedrich,
Landsberg«rstraße 43. Wegen To
desfalls de! Geschäftsinhabers wer
den sämmtliche Bestände von elegan
ten Herrenreisepelzen, Gehpelzen,
Muffen «tc. unter dem Selbstkosten
preise verlaust. Was glaubst Du
wohl, ob sich mir noch einmal eine
so günstige Gelegenheit zu einem Ein
kaufe bizten dürfte?" Große Rauch
wolken aus der Gegend her, wo der
Herr Sanitätsrath Wallenberg saß,
waren zunächst das Einzige, WaS sich
der kleinen Frau, die über ihre Brille
fort nach dem Platze gesehen, wo
der Gatte saß, bemerkbar machte,
dann strich seine Hand das Zeitungs
blatt glatt, in dein auch er las, und
seine Stimme klang ein wenig geär
gert, als er in ablehnendem Tone be
merkte: „Du weißt doch, Linchen, daß
ich nicht gern verweichliche." „Du
bist aber kein Jüngling mehr, lieber
Adolph," ereiferte sich seine Frau,
„und wenn Du über Land zu fahren
hast, thut Dir jetzt zur Winterszeit,
bei Sturm und Wetter doch wahr
haftig eine wärmere Hülle noth, wie
Dein Paletot, an dem daS wollene
Futter außerdem schon alles Haar
verloren hat und garnicht mehr warm
hält. Nein, nein, laß mich nur ma
chen, ich bin froh, tinmal tin prakti
sche! Beschenk für Dich zu wissen,
und den Pelz behalte ich im Auge,
den lasse ich mir nun einmal nicht
sortdemonstriren!"
„Wie ich das Panttlfopha," scholl
tS aus den Tabakswolken zurück,
„Du arme Frau hast noch immer das
altmodisch gepolsterte Möbel in Dei
nem Zimmer und wenn ich die Ein
richtung bei Deinen Freundinnen in'!
Auge fasse, diese stylvollen Ausstat
tungen, Paneele überall, bestellt mit
Krügen, Nippes etc., seht ich ein, daß
es durchaus nothwendig —"
„Nichts siehst Du ein, nichts ist
Zweck und wenn ich auch einmal un
! kluger Weise geäußert, daß ich solch'
moderne! Sopha mit Aussatz
hostet."
> „Ganz meine Meinung in Bezug
! auf den Pelz," knurrte der Sanitäts
rath.
! „Bitte, da! kommt doch auf An
> sichten an," widersprach Linchen.
„Allerdings," gab der Herr des
! Hauses zu, unterbrach sich dann
aber plötzlich mir dem Ausrufe: „Ab
scheulich, da sieht wieder eine solche
! Annonce, wie sie mich schon so oft
in Harnisch gebracht, in der Zei
tung: ein Kind, das verschenkt wer-
Tuch, ein Kleid oder eine Schürze."
„Ein Junge?" fragte di« Frau
mit weit geöffneten Augen.
„Nein, ein Mädchen," gab der
Mann zurück, „ein kleines, vier Wo
chen altes Mädchen, welche Unnatur,
solch' zartes Wesen in die Welt hin
auszustoßen, ohne Gewähr, daß ihm
die Liebe zu Theil wird, deren es
doch gerade im ersten Lebensalter
dringend bedarf."
. „Wäre e! noch ein Knabe gewe
sen," sagte Linchen gedankenvoll,
„hätten wir uns danach umsehe», uns
seiner vielleicht annehmen können,
be» und zu verschönen."
„Wobei ich immer für ein Mäd
chen war," meinte der Herr Sani
tätsrath und ließ jetzt das Zeitungs
blatt in den Schoß sinken, als inte
ressirte ihn das Gespräch mehr, wie
.die Lectüre, „eine Tochter zu haben,
!war immer mein Wunsch, wie nett
>muß es sein, solche kleine Mädchen
!si!ße umhertrippeln zu hören und die
Händchen geschäftig in Küche und
Keller zu sehen."
„Unsinn. Alter," widerlegte die
Sanitätsräthin ihren Mann, „das
Regiment in der Wirthschaft ließ«
ich mir ja doch nicht nehmen, aber,
wie schön muß es sein, sich an dem
Streben. Lernen und Vorwärtskom
men eines Sohnes zu erfreuen, ihn
iromöglich einst daS Amt de! Vaters
nur für einen Jungen und wenn wir
uns ein Kind annehmen, dürfte e!
eben nur ein Knabe sein."
stand der Herr Sanitätsrath Wal
nach Holtendorf, Pastor Weller
Krankenlager geworfen."^
Dörthe. das alte Factotum des
Hauses, das die junge Frau Doctor
schon dereinst mit in die Ehe gebracht,
kam nach einiger Zeit, um das Kaf
feegeschirr hinauszuräNinin, und,
va sie gewohnt war, während dieses
Geschäfte! die Ta-eseinrichjungen
mit ihrer Gebieterin zu besprechen,
diese aber heute ganz in sich verloren
und stumm fand, griff sie schließlich
zu einem etwas lärmenden Mittel, sich
bemerkbar zu machen, und klopfte
ganz energisch mit einem der Thee
löffel gei>en eine Kaffeetasse.
„Ja. denke Dir, Dörthe," sagte
die Frau Sanitätsräthin und jagte
durch diese, von einem unnachahmlich
geistesabwesenden Blicke begleiteten
Worte, denen sie gar nicht! weiter
hinzufügte, der treuen Dienerin «inen
solchen Schreck ein, daß diese dai
Brett mit dem Kaffeegeschirr wieder
auf den Tisch setzt« und, einen Schritt
aus die Herrin zutretend, fast entsetzt
fragte:
„Wo fehlt eS denn, Frau Sani
tätsräthin?"
„Nirgend». Dore, aber höre nur
einmal, da las mir der Herr eben
vor, daß eine Person in der Müller
gasse ihr Kind verschenken wollte,
und waS glaubst Du wohl, was mein
Man.i meinte? Annehmen sollten
wir «S uns, weil es gerade, wie er
es wünscht, ein kleines Mädchen ist."
„Na. um Gottes Willen, das fehlte
uns noch," polterte Dörthe, die sich
schon ein Stück herausnehmen durste,
„da würden wir ja eine schöne Be
scheerung herbekommen und das viele
Kindergeschrei uns zum Hause hin
ausjagen."
„Mädchen sollen so wie so immer
diel sein, als Knaben,"
nickte die Frau Sanitätsräthin, „ja.
lvcnn es noch ein Junge wäre —"
„Nee, auch keen Junge nich,"
knurrte Dörthe, „auf solchen Unsinn
sind wir nicht eingerichtet und das
paßt auch gar nicht hinein in solch'
stillen Haushalt, wie wir ihn nun all'
die Jahre her geführt."
Und Dore klapperte sehr energisch
zur Thür hinaus, während ihr« Her
rin fest entschlossen war. sich mal das
Kind anzusehen.
Gedacht, gethan Punkt vier Uhr
Nachmittags wanderten die Frau
Sanitätsräthin und Dörthe, die wie
ihr Schatten wortlos und mit ver
finstertem Antlitz neben der Herrin
herschritt, auf die schon dunkle
Straße hinau! und durch ein Gewirr
vcn Strcßen, Gassen und Gäßchen
hindurch bis zu d«: schmalen Müller
gasse, über die sich der nächtliche, blei
graue Himmel wie ein schmale!
Band hinzog. Vor dem in der Zei
tung bezeichneten Hause machten die
Frauen einen Augenblick Halt und
die kleine fsrau Sanitätsräthin blickte
fast ängstlich auf die verfallenen
Mauern, txn düsteren Eingang, die
Treppe, die mit ihren ausgetretenen
Stufen jedes Betreten abwehren zu
wollen schien.
Erst Dore'S spöttisches: „Na, soll'S
wirklich da hinaufgehen?" flößte der
zaghaften Frau wieder Muth ein und
nun stieg sie beherzt höher und höher,
bis dahin, wo die Treppe ein Ende
hatte und an schmucklosen Holzthü
ren, auf weißen, großen Zetteln mit
ungelenker Hand geschrieben, die Be
wohner der Räume dahinter zu lesen
waren. An einer dieser Thüren stand
der Name, den die Frau des Arztes
/» der Zeitung gelesen, und auf ihr
Klopfen daran ertönte ein leiseS:
„Herein!" und Schritte näherten sich
der Pforte, die behutsam geöffnet
würd«, worauf eine gedämpfte
Stimme halblaut sagte: „Sind Sie
eS, Frau Schmidt? Bringen Sie mir
ein wenig Milch? Jetzt schläft es ge
rade. und ich bin so froh darüber,
daß ich nun mal für ein Weilchen
an meiner Arbeit bleiben kann."
Einen Augenblick darauf standen
Begleiterin auf der Schwelle und vor
iinem kleinen, verwachsenen Wesen,
daS ängstlich zurückgewichen war, «l!
e! an Stelle der bekannten Frau die
fremden Besucherinnen »«wahrte und
schnell von einigen Stühlen die Wii
schegeqenstände forträumte, in die ei
augenscheinlich Namen eingestickt
hatte.
gen in dem kl«inen, ärmlichen Raum,
gegenüber der Leidensgestalt des
junge» Mädchens, das jetzt mit ruhig
fragenden Augen die vornehme Frau
linsah, die. wie es sich die Frau Sa
nitätsräthin vorwurfsvoll zugestand,
ja doch ohne jeden bestimmten Zweck,
halb um Dörthe zu strafen, halb aus
uneingestandener Neugier hergekom
men. Stockend und ein wenig roth
das verschenkt werden sollte, und nun
gina es wie ein Leuchten über die
Mge der Verwachsenen. Sie ergriff
die Lampe, machte den Frauen ein
Zeichen, ihr zu folgen, und führte
sie zu dem großen Bette, dessen Decke
sie ein wenig lüftete, um das darun
ter liegende kleine Mädchen zu zeigen,
vas, beide Fäustchen gegen die rosigen
Wangen gepreßt, fest und ruhiz
schlief.
„Ich behielte es ja so gern," sagt«
sie dabei, wie um sich zu entschuldi
gen, „und ich hab« es auch v«rsucht,
sie ganzen Wochen hindurch, seit sie
lodt ist. aber eS will nicht gehen, ich
kann mich von meinem Verdienst als
Stickerin zu Haus nicht beköstigen,
wenn ich durchkommen, und das Lü
chen da muß gute Milch haben, wenn
es nicht elendiglich umkommen soll.
Ach. mein Gott, wenn Sie wüßten,
wie sich die arme Frau gehärmt, ehe
das Würinchen noch geboren, wie sie
sich um sein Schicksal gesorgt, wie sie
immer gesagt: „Geben Sie acht, Ma
rie, ich überleb's nicht, ich bleibe da
bei, wer wird sich des Kindes dann
annehmen?" Es hätte Ihnen in der
Seele weh gethan, wie mir, die ich
bereden lassen und war nach Amerika
aufgebrochen, weil er sich goldene
Berge versprach und die Frau dann
nachkommen lassen wollte. Unter
wegs ging aber das Schiff mit Mann
und Maus unter und statt des Brie
fe» mit der Fahrkarte kam die To
desnachricht, und von da an war'S
mit der Hanne vorbei. Schwach war
sie ja immer gewesen, jetzt schien'S
aber, al» brenne das Licht nur noch
so lange, bi! da! Kind da war, und
so geschah'! auch. Acht Tagt nach
der Geburt der Kleinen starb sie, und
nun. nun kommt'! doch noch, wie ich
sie immer getröstet; der lieb« Gott
schickt Hilf«, und um da! arm« Lis
chen hätte sie nicht so bange sein
brauchen."
Wie «in Strom rauschten dies«
Worte der kleinen Stickerin Über die
! israu Sanitätsräthin hin, die laut
los, beinah« athemloS aus dem harten
Bretterstuhle saß.
Und plötzlich feuchteten sich die
Augen der kleinen Frau, glaubte sie
die Gestalt ihres Gatten vor sich zu
> sehen, seine Worte zu vernehmen:
Wie nett muß eS sein, solche kleinen
.Mädchenfüße umhertrippeln zu hö
ren, und aufspringend und wiederum
! zum Bette eilend, rief si: energisch
„Wir nehmen eS gleich mit,
Dort, da! wird da! Christgeschenk
für meinen Mann!"
Dörthe stand einen Augenblick wie
angenagelt; über ihr dunkles Antlitz
zuckte es. es sah au», als hätte sie
! nicht übel Lust, sich allen Ernstes ge
!gen das Gebot ihrer Herrin aufzu-
lehnen. Auf kin nochmaliges be
stimmte!: „Gleich nehmen wir es
mit!" wagte sie aber doch nichts ein
zuwenden und ging, die Droschke zu
holen, in der man das neu« kleine
Mitglied de! Wallenberg'schen Hau
i se! heimführen wollte.
! Der Herr Sanitätsrath kehrte ge
gen Abend so vergnügt von seiner
Ausfahrt zurück, daß er seiner Gat
. tin wiederholt die Wangen klopfte, ja
sie einmal, wi« in tollem Uebermuthe,
in der Stube umdrehte und ihr zu
raunte, daß er unterwegs auch in der
Kunsttischlerei von Berger ck Co. ge
wesen, dort Umschau nach d«n btivuß
ten Dingern zu halten, von denen
man noch am Vormittag gesprochen.
> „Du hast wohl in Holzendorf Alle!
besser gefunden, wie Du gedacht?"
fragte Frau Lina beim Abendbrod
und schickte Dörth« hinau!, die Teller
und Schüsseln heute mit einer Um
ständlichkeit hereintrug, als hätte sie
nur ,u gern ihr belastetes Herz dem
H«rrn gegenüber ausgeschüttet.
j „Besser gefunden und nicht besser,"
sagte indeß in der Stube der Sani
i tätsrath zu seiner Frau, „ich fand
Gottlob in Holzendorf keine tödtlichen
Krankheiten, nur Erkältungsfieber,
> etwa! Masern bei den Kindern, von
denen ich mich überzeugte, daß sie
leicht ausgetreten, und einen Bein
bruch, der den Holzfäller Martens
betroffen, als er am Morgen seiner
Beschäftigung nachgegangen."
„Der Aermste," rief die kleine Frau
aus, „nun kann er ja wochenlang sei
nem Berufe nicht nachgehen und hat
jetzt zur Winterszeit gar keinen Ver
dienst."
! „Leider," bestätigte der Arzt, .und
j was noch schlimmer ist, ich mußte noch
dabei sein, al! die Familie in derMit
tigsstunde noch einen Zuwachs bekam,
denn ich hab« dem siebenten Kindchen
' zum Lichte der Welt verholsen." Frau
Lina schlug die Hände über dem
Kopfe zusammen. „Einem Mädchen,
Adolph?" fragte sie athemlos.
„Nein, einem Jungen," gab dieser
zurück, lauscht« dann aber ange
strengt und meinte kopfschüttelnd:
„Da! kommt davon, wenn man ein
Hause zugebracht, da war's n>ir doch
eben, al! hätte ich irgendwo in un
serm Quartiere da! Geschrei eines
kleinen Erdenbürger« gehört."
„Der Wind, d«r Wind," sagte die
Frau Sänitätsräthin schnell, „Du
glaubst nicht, wie schlicht die Fenster
in der Küche und Dörthens Stube
schließen, man hört von dorther oft
di» sonderbarsten Laute."
„Nun dann verklebt doch die Ritzen,
man hat ja doch jetzt die Wattröhren,"
rieth der Sanitätsrath, worauf feine
??rau mit den Worten schloß: „DaZ
, Alles soll auch nach Weihnachten ge
> schehen, es giebt nur jetzt allzuviel
zum Feste zu thun."
Und der Weihnachtsabend kam,
vorherging, daß Frau Lina aus dein
Friedrich'schen Geschäft «in«n prächti
gen Pelz und der Herr Sanitätsrath
aus der Berger'fchen Kunsttischlern
ein Paneelsopha zugejchickt erhielten.
Dore wurde von allen Ecken in Ge
heimnisse eingeweiht und dadurch nicht
nur in ihrer Würde gehoben, sondern
auch versöhnlicherer Stimmung, so
daß si« beinahe wieder aus so gutem
Huße mit ihrer Herrin stand, wie vor
her. eh« sie ein Lischen in ihrer Stube
Anbetracht de! Familienzuwachses ge
füllt. legte sie mitten unter den Christ
baum, dessen Kerzen sie schon ange-
Klein-Lischen zeigte sich sehr manier
lich, denn sie schlief so süß, daß tveder
die Bewegung, noch der Licht«rglanz
sie weckten, und In den weißen Kissen
sah sie mit dem runden Gesichtchrn,
auZ, daß Frau Lina sich niederbeugte
und einen Kuß auf das rosige Antlitz
hauchte, ehe sie «in leichte!, weißes
Tuch über den Platz ihr«! Gatten
deckte.
Und nun verschwend sie und der
Herr Sanitätirath kam heran und
schleppte mit einem leichten Keuch«»,
da» bi» hinau! in'! Wohnzimmer
drang, da! Sopha mit Dörthen!
Hilfe aus seiner Stube, die er in d«n
letzten Tagen fest verschlossen gehal
ten. in den Saal, wo aufgebaut wor
den.
I Gefallen war auch die Hülle von
dem schwarzen Pelze mit Inhalt;
stumm, starr, lautlos stand hi-r der
Herr de! Hauses, stumm, starr und
laullo! dort vor dem Sopha die Frau
de! Hause». Lag doch auf d«m Pa
neele kein Buch, stand doch dort kein
Nippe! und doch befand sich ein
Etwas darauf, ein Etwa! in weißen
Kissen, mit rothen Bändern gebun
den, «in bewegliches, lebendes Etwa!,
daS jetzt eben ein jämmerliches Ge
schrei anhub, ein Geschrei, da! von
Klein-Lischen aus dem Pelz her
sekundirt wurde. Bei dem ersten
Tone, der vom Sopha her erscholl,
war der H«rr Sanitätsrath an der
Seite seiner Frau. „Dein Sohn,"
sagte er nicht ohne Stolz, „es ist der
Jüngste vom Holzfäller aus Holzen
dorf. den mir die Armen gern überlie
ßen und ich habe ihn Dir als Weih
nachtsgeschenk mitgebracht.» aber die
kleine Frau ließ ihn kaum ausreden,
sie griff nach dem weinenden Lischen,
schaukelte eS auf ihren Armen und
hielt eS ihm entgegen: „Dein Mäd
chen, Adoljzh, Deine Tochter, da!
Kind, daS verschenkt werden sollt«,
habe ich Dich nicht hübsch überrascht?"
„Und doch werden wir e! wieder
fortgeben müssen," sagte der Herr
schnell, „ich habe mich nun doch in
Deinem Interesse für den Zungen
entschieden u>,d den armen Leute»
thut'S wirklich Noth, daß man sie v»»
einem ihrer Kinder befreie, si« Hobe»
ja so schon Mitesser genug."
eiferte Frau Lina und drückte di«
Kleine fest gegen ihre Brust, „wenn
Du wüßtest, welch« traurige Be
wandtniß «S mit den Eltern deS ar
„Aber, «S ist ein Mädchen, Frau" —
„Al! ob die Mädchen schlechter wä-
—
„Und welcher Triumph," fügte der
Sanität!rath mit feinem Lächeln bei,
.wenn man sich an dem Lernen, Vor
wärtskommen und Streben eine!
„Also, Lischen?"
„Behalten wir sie alle Beide!" er
klärten Frau und Mann wie au!
iinem Munde und riefen dadurch ein
solches Entsetzen bei Dörthe h«rvor,
vaß diese, die eben, in einer Aufwal
lung von Mitleid, nach d«m schreien
den Jungen greifen wollte, di« Arme
schlaff niedersin'en ließ und nicht!
sagte, wie: „Eine schön« Btschtt
rung!"
Gewöhnen mußte sich ab«r die Do
rotheaNa» da! Unvermeidliche, d«nn
keiner der Gatten gab sein Weih
nachtsgeschenk herau! und unmittel
bar nach d«m Fest« stand in einer der
gelefensten Tag«!ieitung«n eine An
nonce solg«nd«n Inhalt!: „Für zwei
kleine Kinder wird ein« ältere, zu
verlässig« Kinderfrau, die das Auf
päppeln mit der Flasche versteht, ge
sucht von SanitätSrath Wallen
b«rg.
Eine „Haupt"-Sacht.
Wirklich das Rechte getroffen.
Arbeit« :-W ei hnachten.
Saure Woch«n froh« Feste.
Die gebildet« Köchin.
Hausfrau: „August«, h«ut« haben wir
guste: wir könnten vielleicht an
alle Speisen Karlsbader Salz ma
chen!"
Kindermund. „So, Maxl,
jetzt bet' schön vor dem Schlafen:
lieber Gott, mach' mich fromm, daß
ich in den Himmel komm'!"—„ Aber
Mama, ich bin ja kaum erst herun
t-n!" > .
VluflkaUsche v«»««,n,«tst«.
rischste von allen Künsten ist?
Ich meine nicht blo! in dem Sinne
der bekannten Umgangsspionage:
Sage mir, was Du musizirst, und ich
sage Dir, was Du bist- sondern ich
meine vielmehr in der höheren Art der
Erkenntnißmöglichkeit: vermittelst der
Musik in die Seele der Musiker hin-
Da setzt sich z. B. ein Tondichter
vertheuert durch die Ausflüsse seiner
Inspirationen das Notenpapier in der
schauerlichsten Weise, treibt die Preise
sabrizirt in der kurzen Spanne seiner
musikalischen Besessenheit Opern, Si
nfonien, Streich- und Schlag- und
Streichquartette, ein-, zwei-, vier- und
mehrarmige Klaviersätze, Lieder ohne
Worte, Tänze ohne Hand und Fuß
um dann am Ende dieser holdseligen
oder holzunseligen Leistungen ver
gnüglich auszurufen: So, nun habe
ich der Welt wieder einmal etwas
Rechtschaffenes vorgedudelt und der
undankbaren auf's Neue gezeigt, was
für ein splendider, genialer Kerl ich
bin!
Das heißt bescheiden gedacht, mein
lieber Musikante! Das Genie zugege
ben, hast du der Welt nicht „etwas",
sondern die innerste, geheimste Ge
schichte deiner Seele vorgedudelt; du
hast dich selbst in Musik gesetzt, und
was du vielleicht vor Gott und den
Menschen verschleiern möchtest, deine
trüben Instinkte, deine häßlichen Lei
denschaften, das hast du alles mit dei
nen verrätherischen Note«lköpfen
Freund und Feind in die Ohren ge
blasen.
Um diesem musikalischen Verrath,
der das letzte Siegel von den geheim
sten Falten der Seele löst, einigerma»
Ben zu steuern, haben unsere gelehrten
Tonkünstler sich eine schlaue Theorie
angeeignet, die vorher schon den
Wort-, Farbe-, Form- und Mienen
künstlern gar nützliche Dienste gelei
stet. Nämlich die Lehre von der in
teressanten Häßlichkeit.
Man ist häßlich, lediglich um inter
essant zu sein. Welch' eine Entdek
kung! Da braucht man sich ja gar
nicht mehr zu geniren; man ist häß
lich und schreibt häßliche Musik aus
piirerAusopserung für den lieben Mit
menschen, der nach interessanter Kunst
lechzt....
So ist für mich die befremdende
Thatsache auf ganz vernunftigem
Wege erklärt, warum gerade in einem
Zeitalter des wüstesten Materialis
mus, der seelischen Verrohung, der
modischen Verunzierung in Tracht
und Geberde, der Brutalisirung aller
ererbten feineren Umgangsformen die
Musik zu einer beispiellosen Stellung,
zu einem Umfang und einer Werth
juvor. Es ist nick/die Musik schlecht
hin, nicht die gute Musik, die unser
ganzes modernes Dasein mit ihrem
klingenden Zauber umwebt! t! ist die
häßliche, aber interessante Musik, die
Geschlechts am ungeschcutesten und
sinnlich reizendsten ihr Wesen treiben
darf.
WaS gilt uns heutzutage nicht alles
als Musik, und wie bereitwillig neh
men wir nicht die häßlichsten Kamera
den für ausgesucht anziehende Musi
ker! Eben weil wir alle im Ozean
universeller Häßlichkeit
schern, ist uns dieses leidenschaftliche
Verständniß für die Schönheit des
Unschönen, für das Seelenvolle deS
des Höllenhaften aufgegangen. Gol
denes Zeitalter der Musik, mir graut
vor Dir!
Ack>, wenn unsere Denker und Mo
ralisten Ohren hätten, was müßten sie
nicht alles aus einem moderne» Con-
Schandthat, lächelnde Grausamkeit
und höhnendes Mitempfinden, cyni
sche Speculation, sundhafte Lange
weile, geckenhafte Raserei, geistreiche
Hirnverbrannthcit freilich auch ein
Krümchen Tugend und ein paar ehr-
Die Zeit, wo die Musik eitel Schön-
Kunst haltend, erst selbst das Lie
nen. Heute existirt diese sittliche Noth-
Musik mehr in uns selbst haben. I«
mehr Tücke und Rücksichtslosigkeit in
unsere Cultur gekommen, desto mehr
sind wir in unserem Innern musika
lisch verarmt. Diese innerliche Verar
mung an wahrer Musir hat uns dazu
getrieben, den musikalischen Maschi
nenbau in einer bis dahin unerhörten
Weise zu erweitern und zu vervoll
kommnen. In jedem Bürgerhause,
das sich respektirt sehen will, gehören
mehrere Musikmaschinen, sei es für
kurzweg mechanischen oder für Hand-,
Mund- oder Fußbetrich, als da sind:
Flügel, Pianinos, Orchestrions, Spiel
dosen, Musikstühle etc. zur noth
wendigen Mobiliarausstattung. Daß
wir uns mit der Mehrzahl dieser Mu
sikmaschinen nur neue Folterwerkzeuge
geschaffen, ist die gerechte Strafe für
die Sünden unserer Cultur. Die Ei
tern opfern ihre ersparten Groschen,
die Ruhe ihrer Tage und die Annehm
lichkeit ihrer Nächte, um den lieben
Nachwuchs, besonders die Töchter, i»
Musik dressiren und auf einigen modi
schen Klangmaschinen abrichten zu
lassen. Die armen Mädchen werden
siech und musiktrank, ihre Nerven wer
den rythmisch zerhämmert, daß es ein
Erbarmen ist, die jungfräuliche Psyche
muß mit den häßlichen Elukubratio
nen des Modecomponisten durch Dick
und Dünn tonleitern Aber
wie soll diesem Unfug eine wirksame
Schranke gesetzt werden, so lange der
Staat sich nicht entschließt, die Musik
nianie der Töchter als ein unübtrsteig
liches Ehehinderniß zu erklären?
Leider kaiöi in diesem Falle wenig
oder nichts von einem Staate erbosft
werden, der selbst musikalisch insicirt
und alljährlich horrende Summen für
setzt. Nein, es ist keine Hilfe mehr ge
gen die allgemeine Musikpest. Wir
alle sind von ihr ergriffen, Groß und
Klein, Arm und Reich, Hohe und Nie
drige. Jeder braucht und mißbraucht
sein Jnstrumentchen. Der alte Fritz
selbst, jeder Zoll ein Held, wandelt
durch die Geschichte mit seinem Flöt
chen. Der elegische Spätromantiker
seinem Tamtam. Ach, die Seligkeit
in Dur und M 011.'... Gott sei unse
ren zukunftsmusikalischen Enkeln >nii->
dig!
Persisch« «nthüllungei».
W ist nur gut, daß MonteSquie«,
der, berühmte Verfasser der „Lettre!
Profanes", so lange schon todt ist; der
Achmed Bey in der „Nouvclle Revue"
über die Zustände des heutigen Per
siens veröffentlicht. Das Land des
Schah, von Montesquieu indirect «ls
ein Utopien der Freiheit und des
GlüHs hingestellt, ist ein Land der
Sklaverei, des entsetzlichsten Despotis
mus, der unglaublichsten Willkür und
Ausbeutung geworden. Wir wissen
nicht, woher Achmed Bey die Verhält
nisse Persiens so genau kennt; daß er
sie aus eigenerAnschauung keunt, wird
Jedem zweifellos, der die lebendig,
mit aufrichtiger Entrüstung geschrie
benen Aussätze liest. «Alle Leiden,"
schreibt Achmed Bey, „welche dieses
Land erduldet hat, seine Zerstückelung,
seine Erniedrigung vor den Fremden,
die Vernichtung seines Handels, sei
ner Industrie, seiner Kunst, sie sind
verschuldet durch die Nachlässigkeit
milie entnommen; sie haben nichts zu
thun und unterhalten kein« Beziehun
gen zum Bolke. Die wirklichen Statt
halter, die Pischkars, sind Alles in
Vollstrecker. Hakims und Pischkars
erkaufen ihre Aemter; sie wenden sich
diesfalls, natürlich mit wohlgefüllten
Börsen, an den „Himmlischen Hof"
des Schah, dessen „Edelmuth die Fi
sche im Wasser und die Sterne am
Himmel beschützt"; wer das Meiste
giebt, wird Statthalter. Aber außer
dem Schah giebt es in Teheran noch
andere maßgebende Persönlichkeiten,
Eunuchen und Minister, die auch ihr
Tbeil verlangen. Die Statthalter be
kommen kein Gehalt und müssen trotz
diese zahlt, ist klar: Geht es nicht an-
Dritter nennt sich „Minister der Mu
seen". Es giebt sogar einen „Minister
der elektrischen Apparate". Selbst
verständlich verlangen alle diese gro
staat von Untergebenen, die das arm«
Volk bezahlen muß, zieht hinter ihnen
her. Einen Richterstand giebt es
nicht; Streitsachen erledigt der Wol
lah, und die Waage der Gerechtigkeit
neigt stets nach jener Seite, wo da!
Geld ist. Die sogenannte Armee kennt
Generale, Oberste und Soldaten; letz
tere tragen übrigens keine Schuhe und
nähren sich, so gut sie können, von
allerlei Beute. Das Amt der Heer
führer ist gleichfalls für Geld zu ha
ben. So geht eine schreckliche Anar
chie durch das ganze Land. In Mas
sen wandern die Perser aus, um in,
der F«?mde sich niederzulassen, wo ts'
ihnen ausnahmslos besser geht.
Manchmal auch giebt es Revolutio
nen; unter dem gegenwärtigen Herr
scher zählte man deren nicht weniger
als dreißig. Sie wurden unterdrückt
und ihr« Urheber grausam getödtet.
Aber das persische Volk, das gute und
tüchtige Charaktereigenschaften in sich
trägt, hat fein letztes Wort noch »icht
gesprochen.' »