Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, August 18, 1893, Page 3, Image 3

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    Das Muttermal.
(3. Fortsetzung.)
.Ich sah Dich «rröthen unter Varn
ecks Augen," rief er achtlos, „zittern
das, Paulette?"
„Wie sollte ich nicht zittern," antwor
tete sie, „wenn ich wußte, Du mich
trage ich nicht! Sag« dem Manne er
ist Dein Freund unser Geheimniß."
.Ein Jahr oder sechs Monate von
heute an will ich es, vielleicht, aber jetzt
nicht," sagte er düster.
.Dann," rief sie, und sah überaus
lieblich aus in ihrem rasch«n, kindlichen
Zorne, „wenn Du so fortfährst, so
werde ich Dich hassen, Wilh«lm
hörst Du? Dich hassen!"
Er hörte es und erblaßte.
„Man sagt ja, es sei nur ein Schritt,
von der Liebe bis zum Haß," höhnte er.
„Dann hoffe ich, daß ich ihn nicht
werde thun müssen!" sagte sie kläglich
und ihre kleinen Hände ringend. „Ich
hoffe, Du wirst mich nicht dazu treiben,
Lhn zu thun!"
Seine Blässe nahm zu.
„Ich wußte nicht, daß Du ein solcher
Feuerbrand seiest," sagte er mit einem
kurzen Lachen. „Unter uns gesagt, halte
ich dieses Sprichwort für abscheulich
salsch. Wer einmal wahrhaft liebt,
kann den Gegenstand seiner Liebe nie
mals hassen. Es ist doch nicht seltsam,
daßVainecks offenes Hofmachen mich in
Galle und Hitze bringt. Ich verlange
von Dir, daß Du nie wieder mit ihm
sprichst ich verlange, daß Du mir
das versprichst, Paulette."
„Wie kann ich ein so lacherliches Ver
sprechen geben?" antwortete sie. „Nein,
ich will nicht! Du hast nur nöthig, ihm
zu sagen, daß ich nicht bin, was ich
scheine."
Er blickte mit einem finsteren, ehr
süchtigen Gesichte auf sie.
„Wir sind erst seit drei Tagen ver
heirathet," sagte er, „und ganz nach
Frauenart beginnt Dich bereits daSGe
heimniß zu brennen, das für uns zu
behalten, wir gemeinsam beschlossen ha
ben."
„Wenn es jemals gesagt wird, so
wirst Du es sagen," antwortete sie mit
einem feierlichen Blicke. „Ueber meine
Lippen soll es niemals kommen, selbst
im Sterben nicht ich schwöre es
Dir!"
„Inzwischen willst Du bezüglich
Varnecks mir kein Versprechen geben?"
rief St. John.
„Keines," erwiderte sie stolz, „weil
ich mich schämen würde, die Nothwen
digkeit eines solchen Versprechens anzu-
Jn diesem Momente hielten sie vor
Fräulein Stahls Wohnung einer
Reihe angenehmer Zimmer im südlichen
Theile der Stadt. Die Sängerin war
«ine Person mit schwachen Augen und
fürchterlicher Stimme. Sie war diese
Nacht in jungfräuliches Weiß geklei
det, das Kleid tief ausgeschnitten, da
mit man den knochigen Hals um ihre
dünnen Schultern sehen konnte. Pau
lette und ihr Begleiter er schweigend
und finster, sie mit gerötheten Augen
schritten eine Stiege hinauf und
traten in ein Zimmer, das zurHälste
mit slammenäugigen und »anghaarigen
Genies angefüllt war.
„Unser hellster Stern!" rief dkSän
gerin und wa>/ sich mit einem schallen
den Kusse auf Paulette. „Gott helfe
mir, haben Sie denn geweint?" setzte
sie flüsternd hinzu. „Wegen St. John?
Pfui! der böse Mensch! Ich hoffe,
daß Sie niemals Ihr Herz an ihn ver
lieren. Trocknen Sie Ihre Augen, ehe
«s die Anderen sehen."
Sie besorgte auch sehr gutmüthig
diesen Dienst sogleich selbst und warf
dann einen raschen Blick durch das
Zimmer.
„Und nun." sagte sie, „istunsereZahl
vollständig? Nein, noch Einer fehlt.
Der lommt wohl im letzten Augen
blicke!"
Und im Schatten der offenen Thüre
erschien jetzt H«rmann von Varneck.
„Eintreten!" rief dieÄastgeberin und
warf dem schönen jungen-Blondinßlick«
zu, die nicht mißzuverstehen waren.
„Ich fürchtete, Sie hätten uns »erges
sen und ich war untröstlich." Und sie
gab ihm einen Sitz neben Paulette.
Jetzt wurde ein magerer Truthahn
und Champagner hereingebracht. Ein
großes Liewiihl folgte, als die Gäste
rings um die Tasel ihre Plätze einnah
men.
Die Gaslustres über der Versamm
lung brannten helle. Lachen und fröh
lich« Stimmen ließen sich hören; die
matten Aug«n der Sängerin strahlten
mild iibxr Alles; die Düste von ge
dämpften Austern und delicaten feinen
Weinen mischten sich mit den Wohlge
rllchen von Gewächshaus-Blumen in
prächtigen Basen.
Die Sängerin setzte Paulette zu
ihrer Rechten, und neben dieser hatte
Varneck seinen Platz.
„Warum hat man sie hierhergesetzt?"
sagte Paulette etwas grob. „Ich mei
nerseits habe es nicht gewünscht."
„Und ich bin unserer Freundin un
aussprechlich dankbar dafür," antwor
tete er leichthin; „sie hätte mir keinen
wvnschenswertheren Sitz zuweisen kön
nen. Ich wünschte nur, daß St. John
halb so zufrieden schiene."
Sie sah rasch an das andereEnd« der
Tafel, wo der Genannte saß, finster
und schweigend, weder essend noch trin
kend, einfach auf seinen Teller star
rend. Sie wechselte die Farbe. „Warum
halten?" flüsterte ihr Varneck in'sOhr.
das Recht, Sie Angesichts d«r Menge
«n irrender Ritt« des Mittelalters?"
Sie senkte ihre Blicke. Er glaubte,
siezittert«. . .
.Pardon," erwiderte sie. „WollenSie
so gut sein, ferner nicht mehr mit mir
zu sprechen!"
sich auf seinem schönen Antlitz.
„Eine seltsame Bitte," sagte er, „die
zu erfüllen, mir ganz unmöglich ist.
Erklären Sie. mir, warum sollte ich
zu Ihnen nicht ebenso sprechen, wie ein
Anderer?"
„Ein Brief für Herrn St. John,"
St. John hielt ein Glas Champag
ner in seiner Hand. Er setzte es so un
stüm nieder, daß sich der Wein üher
sein« Kleider ergoß und fuhr von der
Tafel empor. Als er das gelbe Brief
couvert erfaßte, zeigte sich eine beunru-
„Ich bitte um Entschuldigung,"
murmelte er und trat an den Kamin zu
rück, wo er der Gesellschaft den Rücken
zuwendete und den Brief öffnete.
Die Sängerin sang eine Liederstro
phe. Ihre Gäste tranken ihre Gesund
heit und die Paulette«. Niemand schien
auf St. John zu achten. Er las den
Brief durch dieser war nicht lang
dann zerknitterte er ihn in der Hand
und warf ihn in das Feuer.
„Ich hoffe, Sie haben gute Neuig
keiten," sagte Fräulein Stahl, welche
das Rascheln des Papieres hörte.
„Keine Neuigkeiten sind gute Neuig
keiten, um ein Sprichwort anzufüh
ren," sagte er.
Paulette erhob sich etwas, um nach
ihm zu sehen. Ein Taschentuch siel von
ihren« Schooße auf den Teppich. St.
John hob es auf, aber er gab es nicht
mehr zurück! und sogleich begannVarn
eck, durch d«n Champagner wärmer ge
worden, wieder ihr in's Ohr zu flü
stern.
„Sie sehen wie eine verkleidete Prin
zessin aus unter diesen Leuten. Ich
träume oft. das Sie das sein müssen,
wenn ich Sie im Theater sehe. Sie
wissen, daß ich immer da bin. Bemerken
Sie mich auch immn, Paulette? Mein
ganzes Leben scheint sich in den paar
Stunden zusammen zu drängen, die ich
im Theater zubringe, um Sie vor den
Lampen zu sehen."
„Gehört das Ihnen?" unterbrach ihn
die Stimme von St. John, indem er
das Tafchentuch über ihre Schulter
warf.
Sie sah ihn mit großen Augen und
»xrwirrt an verwirrt, weil sie den
Autdruck seines G-sichtes in keiner
Weise verstehen konnte dann führte
sie das hübsche Taschentuch mechanisch
an ihren Lippen. Als sie das that, er
hob sich ein eigenthümlicher Geruch von
dem Spitzengewebe und drang ihr in
die Nase. Das Zimmer, der Tisch. St.
John, das schöne.ger'othete GesichtVar
necks, Alles drehte sich und schwamm
vor ihren Blicken. Ein heftiger Schwin
del ergriff sie. Ohne ein Wort oder ei
nen Laut sank sie auf ihren Stuhl zu
rück. St. John erfaßt« sie.
„Steh aus!" rief er Varneck zu, der
sich rasch erhob. „Wenn Du sie berührst,
geschieht es auf Deine Gefahr. Hier ist
es zu Ende, für diese Nacht wenig
stens!"
Er hob Paulette auf seine Arme und
schritt zur Thüre, dann die Stiege hin
ab. Er drückte die junge Frau ziemlich
fest an seine Brust. Ste war bewußtlos
und ohne Umhimgetuch »der Mantel.
.Gütiger Himmel!" rief Fräulein
Stahl. .ES muß ihm Jemand nachei
len! Der Mensch ist von Sinnen!"
Barneck eilte fort. Er erreichte das
Trottoir gerade rechtzeitig, um Paulet
tes Wagen in der Straße dahinfahr«n
zu f«hen. Kein anderesGesiihrt wa? zur
Hand, die Stunde spät. Er solgte zu
Fuße zu dem Hause der Königinstraße.
Da er nicht so schnell sein konnte, als
die Equipage, sand er das Hau», als
er es erreichte, finster und todtenstille.
Die Läd«n der Fenster waren geschlos
sen, nirgends ein Licht sichtbar. Er ging
auf dem Trottoir hin und her, aber er
sah und hört« nichts. Dann zündete er,
etwas verdrossen, eine Cigarre an und
ging nach Hause.
„Ich möchte wissen," sagte er zu sich
selber, indem er zu dem kalten Winter-
Mond« empor blickte, der traurig und
schweigsam sein Licht auf die schnee
bedeckten Dächer fallen ließ, „ob meine
festhält, ein Opfer des Ostwindes und
schöner Mädchen?"
„Eine klein« Actrice! Und noch dazu
Eine, die Gefallen daran fint-et, nach
der Pfeife eines solchen Burschen zu
tanzen, wie dieser Sl. John es ist! Ist
sie meine Mühe werth? Ist «s über
haupt nicht eine Thorheit?"
Er schien sehr ernst nachzudenken,
dämmte Geschichte! Paulette! Paulette!
Ach, wenn sie nur nicht so schön wäre!
Alles für die Liebe und wenn d!« Welt
darüber zu Grunde ginge!"
5. Capitel.
„Beim Jupiter! Da ist sie!"
Mr. Varneck schlenderte auf dem
Trottoir der Ludwigsstraße entlang. Er
war sehr fein und elegant gekleidet. Er
war frisch nach einem reichlichen Früh
stück, obgleich es hoch >?n einem Nachmi
ttage war, denn die'er Günstling des
Glückes war luxuriös in seinem
Ichmacke, wie in seinen Gewohnheiten.
Mit seinen blauen Au«n und seinem
schönen, blonden Haar, mit seiner sü
perben Figur sah er aus, wie ein le
bendig gewordenes mann iche« Mode
Plötzlich sah er eine kleine, ver
schleierte Gestalt vor sich, die sofort
gengesetzten Richtungen bewegte.
„Beim Jupiter! Sie ist es!" mur
melte Varneck, sofort in Feuer vom
Kopf bis zu den Füßen. „Natürlich,
sie lommt von der Probe zurück. Mei
verloren gehen darf!"
Er warf seine Cigarre fort Und eilte
der kleinen Gestalt nach, wie besessen.
Beim Eck derSchellingstraße erreichte er
sie.
„Fräulein Werner!" sprach er sie an.
Sie hörte ihn und wendete sich rasch
um. Sie warf ihm durch den Schleier
einen überrasöiiten Blick zu und ohne
ein Wort zu sazrn, eilte sie vorwärt«
und versuchte, auf die andere Seite d«r
Straße zu kommen. In demselben Mo
mente kamen ein Paar Pferde, vor ei
nen leeren Wagen gespannt, ohneKut
scher und scheu, die Zügel unter ihren
Hufen schleppend, wie ein Sturmwind
h«rgejagt. Entw«d«r sah Paulette in
ihrer Hast die Gefahr nicht, oder es
war zu spät ihr zu entrinnen. Als ihr
Fuß das Pflaster des Straßenübergan
ges berührte, stürzten die fcheuenThiere
auf sie los.
„Mein Gott!" rief Barneck und warf
sich mit aller Macht den Pferden entge
gen, mit einer Hand die Zügel an den
Köpfen fassend, während er mit der an
deren Paulette unter den stampfenden
Hufen hervorzog.
So plötzlich in ihrem Laufe aufge
halten, wieherten die Thiere und schlu
gen wild um sich; aber er hielt sie mit
eisernem Griff, und sogleich strecken sich
ein Dutzend Arme aus, ihm zu helfen.
Bleich und athemlos stand Varneck, und
an seiner Brust lag Pauletie, wie todt.
„Ist sie verletzt?" fragten mehrere
„Ich denke, sie isi nur ohnmächtig,"
antwortete er. „Holt einen Wagen!
Nein, ich brauche keine Hilfe ich
werde sie sogleich nach Hause führen."
Eine Miethkutfche rollte heran und
Varneck hob in diese seine bewußtlose
Bürde, gab dem Kutscher eine Weisung,
rasch zu fahren und stieg dann nach.
Bald hielt er vor dem stillen Hause
der Königinstraße. Varneck nahmPau
lette auf seine Arme denn sie hatte
noch kein Zeichen des Bewußtseins gege
ben sprang heraus, stieg die Stu
fen hinauf und zog die Glocke.
Eine kleinePaufe folgte; dann wurde
die Thüre vorsichtig geöffnet undMar
tha, der bärtige alte Drache in der ho
hen Haube, sah finster heraus aus ihn.
„Mein Gott!" rief sie, als sie die be
wußtlose Bürde sah, die er trug.
.Sie hat einen Unfall gehabt," sagte
Varneck,über die Schwelle tretend; „las
sen Sie uns so bald als möglich sehen,
ob er ernst ist oder nicht. GehenSie vor
aus und hübsch rasch. Sehen Sie denn
nicht, daß sie bewußtlos ist?"
Die alte Frau riß ganz verwirrt die
nächste Thüre auf und Varneck trat ein
und legte Paulette auf ein Sopha nie
der.
ES war ein heiiereS, kleines Zimmer.
Mit einem raschen Blicke sah er das
tiefe Fenster voll Singvögel »nd Blu
men, die Landschaftsgemälde an den
Wänden, die harmonischen Farben des
Teppichs und der Möbel; dann wan
derten seine Augen schnell wieder zu der
kleinen Herrin von all' dem, die wie
eine geknickte Lilie aus den purpurnen
Sammtkissen des Sophas lag, diese
überströmend mit dem Glänze ihres
goldblonde« Haares
„Gehen Sie jetzt, Herr," sagte Mar
tha, indem sie mit d«r knochigen Hand
nach d«r Thüre wie?.
„Entschuldigen Sie!" antwortete
Varneck höflich, „da« ist ganz unmög
lich, bis ich weiß, daß Sie unverletzt
ist."
„Gehen Sie! Mademoiselle erholt
sich!" rief Martha. Und siehe, ein Zu
cken ging über die weißen Schläfe Pau
lettens und die Farbe kehrte in ihre
Wangen zurück.
„Dem Himmel sei Dank! Si« ist
nicht verletzt!" rief Varneck mit Ent
zücken.
Er sank auf ein Knie vor demSopha
und hob ihre Hand an seine Lippen.
Paulette sah auf ihn mit großem E
rstaunen.
„Sie!" lispelte sie. „hier!"
»Ich Zog Sie unter den Hufen der
Pferde hervor," antwortete er im Ton«
des Vorwurfes. „Und ich habe mir die
Freiheit genommen, Sie nach Hause
zu bringen."
Sie holte tief Athem. Die Erinne
rung an ihren Unfall machte sie schau
dern.
„Nein, nein! Ich danke! Ich erinnere
mich an Alles. Sie sind sehr gütig und
ich danke Ihnen. Darf ich Sie jetzt bit
ten, mich zu verlassen?"
Der Drache öffnete die Thüre in
sehr verständlicher Weise; aber Varneck
blieb stehen wie eine Erzstatu«. Sein
Gesicht hatte ganz seinen sonstigen Au
sdruck von Kaltblütigkeit verloren.
„Verzeihung," bat er, „einen Mo
ment!"
Sie drückte ihre Hände auf ihr An
tlitz.
„Halten Sie ein!" rief sie bekümmert.
„Hallen Sie ein! Sagen Si- nichts
mehr!"
Er wußte, daß ihm wenig Zeit blieb
daß er vielleicht nie wieder eine
gleiche Gelegenheit finden würde. Er
entschloß sich daher, schnell zu sein.
„Ich denke," rief er, „daß ei« Mann
das Recht hat, einer Frau zu sagen,
Antwort sein möge. Ich denke, sie ist
verpflichtet, ihn anzuhören. Und ich
liebe Sie, Paulette, und es ist mir vol
ler Ernst damit. Seit Wochen habe ich
nur auf «ine Gelegenheit gewartete Sie
i fragen, »b Vi« mich Heirathen wol
!N."
inf das Sopha zurück und machte eine
Ävehrende Geste. Er stand vor ihr
nd betrachtete sie ängstlich. Es schien,
:ls begreife er nicht, wie er das „Nein!"
iner Frau annehmen könne, wenn sein
Herz ihm fast ein lautes „Ja!" zurief.
Die leidenschaftlich« Liebe der Jugend
iberwältigte ihn völlig. Mit einem
Schrei warf er sich an ihrer Seite nie
der; seine Arme schlössen sich plötzlich
im sie. Er zog sie an sich und preßte
sie an seine Brust, trotz ihres Wider
standes.
„Sie müssen mir antworten!" rief er,
.Paulette, verstehen Sie mich? Ich liebe
Sie —ja so sehr, daß ich ohne Sie
nicht leben lann! Verlangen Sie nicht,
daß ich Sie verlasse; ich kann es nicht.
Liebe für Lieb«! Paulette, lieben Sie
mich lieben Sie mich, wie ich Sie
liebe!"
Dies« Worte rief er in seiner lauten
Stimme, wild und leidenschaftlich, und
er hielt sie dabei fest in seinen Armen.
„Nehmen Sie sich in Acht, Herr!"
kreischte jetzt die alte Frau.
Auf diesen schrillen Warnungsruf
sah sich Varneck um. Er hörte Schritte,
:r sah einen Schalten, und auf der
Schwelle d«s Zimmers stand, auf die
Scene starrend, bleich, mit gierigen,
blutunterlaufenen Augen, aus denen
vas Feuer der Hölle zu leuchten schien,
St. John.
Er stand er betrachtete düster,
nachdenklich den knieenden Liebhaber,
der die ermattet« Paulette mit seinen
Armen umschlossen hielt.
„Mein Gott!" schrie die alte Frau;
„fliehen Sie, er wird Sie tödten!"
Ein Blitz, ein Knall, ein Schrei folg
ten und Hermann von Varneck sprang
aus seine Füße, taumelte und stürzte,
mit dem Gesichte abwärts, zu Boden.
In diesem Momente erwachte Pau
lette völlig auS ihrer berhängnißvöllen
Ohnmacht; wie durch einen elektrischen
Schlag wurde sie unter Zittern und
Schauern in'» Leben zurückgerufen.
Bleich, mit aufgelöstem Haar sprang
sie empor, als der mörderische Schuß
ihr in die Ohren tönt« und stand vor
St. John, Aug' in Aug'.
„Wilhelm!" schrie sie, mit einer
Stimme voll unaussprechlichem Entse
tzen. „O Wilhelm! Was hast Du ge
than?"
Er stürzte zu Varneck, hob ihn vom
Teppich auf und wendete sein Gesicht
dem Lichte zu.
„Ich habe ihn getödkt!" rief er; und
dann sprach er wieder mit einem fürch
terlichen Blick: „Er ist todt! Ich hab«
ihn getödtet!"
Dann stieß er mit dem Fuße nach
dem Körper.
„Wikhelm, m«in Gatte!" rief sie und
stürzte auf ihn zu, aber «r schleuderte
sie mit Gewalt von sich.
„Leb« wohl!" antwortete er wild;
„da ist Dein Liebhaber nimm ihn!
Fahre hin, Verrätherin! Von diesem
Augenblicke bist Du sr«i! Vergiß, daß
Mit einer Miene, die sein Gesicht
bis zur Unkenntlichkeit entstellte, stieß
„Komm zurück!" rief sie, ihm einige
Schritte nachschwankend, „komm
zurück!"
Aber er war ein Mann voll Wahn
sinns der Leidenschaft und jetzt ein
Flüchtling mit d«m Instinkt« d«r
Selbsterhaltung. Sie sprach nur in die
leere Luft, St. John war fort.
„Ach, großer Himmel! Die Polizei
kommt, Mademoiselle!" jammerteMar-
Sch 'tt k dkSt 112 p mch'
Thür«. Paul«tt« stand einige Augen
blicke wie ein gejagtes Wild, das einen
Ausweg suc'it, ihre Augen waren voll
Entsetzen, du in wurde es dunkel vor ih
ren Sinnen, sie stürzt« neben Varn«ck
zu Boden und wußte nichts mehr.
6. Capitel.
Der verhängnißvolle Tag war im
Dahinschwinden, als Paulette ihre
Augen öffnete. Sie lag in ihrem Schla
fzimmer im oberen Stockwerke imßette,
und Martha saß neben ihr und schüt
telte eine Medicinflasche, in der ein
narkotisches Mittel aufgelöst war. Pau
lette sah zuerst die hohe Haub«, bann
das eingeschrumpfte Gesichi mit dem
behaarten Kinn und die knochige Hand,
mit der Flasche — dann schrie sie
laut:
„Martha! Ist er todt?"
Die Alte sah sie an.
„Todt, sage ich sprich! Sprichl
Dieser Mann, Varneck?"
„Bleiben Sie liegen, Kleine," sagt»
Martha, die Flasche wrgstellend. „Nein,
er lebt. Sie haben ihn festgenommen.
Es kamen viele Leute, seine Freund«
kamen, sie führten ihn fort, ich weiß
nicht wohin. Er lebt "
Pauletie lag nachsinnend.
„Weißt Du hast Du gehört," be>
„Ich hab« nichts von dem Herrn ge
hört, der ihn schoß," sagt« das Weib
ruhig. „Ich weiß nichts von ihm. Ich
sprach mit den Leuten so wenig als
möglich; aber och, sie Alles.
Das Haus ist geschlossen die Straße
ist ruhlig. Ich habe alle Blutflecken im
keit oder ein entsetzlicher Traum? ES
schlug sechs Uhr. Es war nun völlig
finster und,Martha erhob sich, umLicht
anzuzünden. Als st« sich umwendet«,
um dies zu thun, fand sie ihre klein»
Herrin inmitten deS Zimmers stch«n,
schaurrnd und mit «rregten Blicken.
pielen."
„Spielen! In's Theater!" rief die
Hrau entsetzt. „Sie können doch nicht
m Ernste die Absicht haben, zu spie
len, nach dem, was geschehen ist, und
Ein Dutzend Jahre schienen in den letz
ten paar Stunden über ste dahinge
gangen zu sein. Sie kannte kaum ihr
eigenes Gesicht. Entsetzt sah sie ihre
aschfarbenen Wangen, ihren bleichen
Mund, ihre glanzlosen Augen.
„Ich sehe aus wie ein Schmetterling
mit gebrochenen Flügeln," sagte sie;
.aber es Hilst nichts, ich muß auftreten.
Die Leute werden heute in Massen her
beiströmen, mich zu sehen. Mein Name
ist jetzt in aller Mund mein Ruf ist
für immer dahin. ES hilft aber nichts,
ich muß doch meine Rolle spielen.
Martha, mein Kleid! Eile! Ich will
mein Bestes thun Rouge für meine
Wangen kein menschliches Wesen
soll mich in diesem jammervollen Zu
stande sehen und ein Glas Wein,
oder ich sterbe!"
Die alte Frau flog nach dem Ge
tränke und hielt «s Paulette an die
farblosen Lippen, die es gierig ausso
gen.
„Sie werden das Theater nicht er
reichen Sie werden es nicht aushal
ten. Befehlen Sie nur, daß ich zum In
tendanten gehe, um ihm zu sagen,
daß Sie krank sind."
„Nein, nein! Sei ruhig! Die
Schwäche geht vorüber. Sie sollen an
diesem Abend sehen, was ich thun kann
denn, ich werde dann niemals wie
der vor ihnen spielen nein, nie
mals!"
Und dann ging sie.
Das Gerücht, daß auf Varneck ge
schossen worden, hatte in der That die
ganze Stadt von einem Ende bis zum
andern alarmirt. In Folg« d«ssen war
das Haus, wie es Paulette vorherg«-
sagt, g«drängt voll. Jedermann war
neugierig, die kleine Künstlerin zu se
hen, für deren Liebe ein Mensch bald
seine unsterblich« S«le dahingegeben
hätt« und für die ein Anderer «in
Flüchtling geworden war vor dem rä
chenden Arme der Justiz.
Der Vorhang hob sich, und in der
zweiten Scene kam der Liebling Aller
auf die Bretter. Ihre Blässe war mit
Rouge verdeckt, ihr goldenes Haar fiel
auf ihre blendendweißen Schultern
hinab; sie war da» Bild frischer, un
schuldsvoller, kindlicher Schönheit. B«i
ihrem Anblick ging ein Gemurmel des
Beifalls durch das ganze Haus. Aber
von den Gallerten zischte man auch -l
es ging ihr wie Pfeile durch's Herz
zum ersten Male in ihrem Leben hörte
sie Zischen ein lang andauerndes
böses Zischen.
Sie sah zornig um sich. Dann schien
sie einer Ohnmacht nahe; aber im näch
sten Momente hatte sie sich wieder ge
faßt, nickte dem Auditorium lächelnd
zu und war auch schon mitten in ihrer
Rolle.
Ihr Gehirn war wie im Feuer. Es
war ihr, als rausch« Wasser vor ihren
Ohren, so daß sie ihre eigenen Worte
nicht hörte. Nichtsdestoweniger spielte
sie, wie sie noch nie zuvvr gespielt hatt«.
Sie sah die vielen Mensch«ngrsichter
vor sich gar nicht. Ihre Augen waren
nur oft auf einen Punkt gerichtet, und
das war der Sitz, den am Abende vor
her Varneck inne gehabt. Von diesem
Sitze aus hatt« er ihr das Bracelet zu
geworfen, von diesem Sitze aus hatte
er so ost sein« Augen mit solcher In
nigkeit zu ihr erhoben, als ob er sie an
bete. Auch diesen Ab«nd war d«r Sitz
genommen, aber nicht von ihm. Diesen
Abend sixirte sie von dort ein andere«
Antlitz, das alt war und broncefar
big, aber auch dieses schien wie bezau
bert. Das Antlitz hatte eine Adlernase,
einen buschigen, weihen Schnurrbart,
der einen stolzen und wie es schien recht
reizbaren Mund überschattete. Es ge
hörte einem Manne von soldatischer
Haltung und von aristokratischem Aus
sehen, wie es die lange Gewohnheit,
zu befehlen, schafft. Ein schwererMan
tel, mit Pelzwerk gefüttert, war über
seine Kniee gebreitet, und er beobachtete
die kleine Schauspielerin mit eine«
Blick, der vermuthen ließ, daß si« ihn
aniüsir«. Er schien keinen Bekannten
neben sich zu haben, denn «r sprach mit
Si« w«>r gekommen, ym mit brechen
dem Herzen Comödie zu spielen und sie
spielte sehr gut. Schauernd und kaum
fähig, sich aufrecht zu erhalten, war sie
auf di« Bühne gekommen und am
Schluss« d«s zweiten Actes empfing si«
die lebhaftestenComplimente der Scha
uspieler.
Noch nach Jahren konnte sich Pau
lette an diesen Abend nicht ohneSchau
dern erinnern an die sie anstarrende
Menschenmenge, die heiße Lust, die Lic
hter, die Musik des Orchester« und vor
Allem an den alten Aristokraten auf
Varnecks Sitze, kurz, an dai ganz«
Haus, das sie damals so düster ge,
sehen, wie durch ein schwarzgesärbteS
Gla«. - i , Akt d
todtenbleich, «usgenommen die Stel
len der Wangen, welche die roth«
Schminke deckte, war sie, scheinbar voll
and«rs, es mußte applaudirrn. Und jetzt
mischte sich kein Zischen mehr in die lau
ten Zeichen des Beifall. Jetzt trat sie
die flackernden Gasflammen, wie eine
kecke, feuertrunlpie Motte, ihre wir
belnden Augen sahen nichts Alle«
schwamm ineinander vor Ihren Blicken.
Als sie so dastand, flackerten die Lich
ter plötzlich von einem Lnftzuge auf
eine kleine fchlangenförmige Feuer
kinie züngelte empor und erreichte den
Saum ihres Kleides. Im nächsten Mo
ment war Paulette vom Kopf bis zu
den Füßen in eine Flammengarbe ein
gehüllt.
„Allmächtiger Gott! Reitet sie!" rie»
lette erreichte, war der alte Aristokrat
von dem Parketsitze. Der Beifall Iva»
rasch in ein fürchterliches Geschrei ver
farbige Gesicht mit dem weißen
Schnurrbart, fühlte es, wie die Arm«
dieses Mannes sie umschlossen, ihr daS
leichte, brennende Spitzengewebe ab
rissen und wie sie dann in den dichten
Mantel gedrückt wurde. So stand sie
noch eine Moment, fest umhüllt, wäh
rend er alle Flammen austilgte, dann
und eilet mit ihr in das Schauspieler
zimm«r. Der Borhang fiel.
Er ließ sie auf ein Fauteuil sinken.
Die ganze Gesellschaft umgab sie, bleich
und entsetzt. In schwarzen Flocken sie»
len die verbrannten Spitzen von ihr.
von sich gebend.
„Gütiger Himmel! Welch' ein Un
glück!" riefen Alle.
„Mein armes Kind, Sie leiden wohl
sehr!" sagte der Mann. „Lassen Si«
mich Sie nach Hause bringen und eine«
mit bebender, schwacher Stimme; .se
hen Sie auf Ihre Hände."
.Das hat nichts zu sagen. Ich bir
ein starker Mann <Äe sind ei»
Kind. Wollen Sie sogleich fort? So»
ich Sie auf meine Arme nehmen?"
Jetzt stürzte der Regisseur herein.
„Kann man Ihre Verletzungen nich!
er. „Das Publikum besteht darauf, Si>
sie. „Ich habe zum letzten Male aus st
hinabgesehen. Hörten sie heute nicht dal
Zrschen? Man soll mich niemals Wiedel
sehen niemals!"
Der Regisseur starrte sie an.
„Das können Sie nicht im Ernsti
meinen! Sie sind aufgelegt, Fräulm
Werner! Hören Sie nur! Man wirk
das Haus demoliren."
„Mögen sie es thun!" antwortete sie
„Ich gehe nach Hause. Hören Sie es?
Ich gehe nach Hause. Gute Nacht!"
gespielt werden, bevor Sie sich nicht ge>
zeigt haben," rief der Direktor ganz
verwirrt.
„Ich wM nicht! Ich will nicht! Sa>
Straße!"
gelbe, lheilweis« versengte Haar fliv
gend, stürzte sie auf ihren Retter zu
„Nehmen Sie mich fort!" schrie st
wild. „Ich kann in dieser Luft nich
länger athm«». Oh, ihr muthigen, gu>
ten Hände, die den Tod von mir abge>
wehrt, nehmt mich fort! Rettet mich«
Ich will nicht mehr vor Jene treten
sage ich! Ich würd« todt vor ihnen nid
derstürzen!"
„Beim Donner dS Himmel«! Nein
alt« Aristokrat und rasch hüllte er fi
ter eilte er mit ihr aus dem Schauspiel,
zimmer und die Stiege hinab auf di>
Straße.
„Ihre Wohnung—wo ist sie," fragt
er
Hilflos an ihm hängend, währenl
sie in der kalten Winternacht auf den
Sterne her hörte sie den Mann mit de
Adlernase un!» dem weißm Schnurr
barte rufen:
Dann rollte ein Donner in ihrei
Ohren, als wären es die Ausbrüche ei
n«s Vulkane«; es war nur das Gerasse
von Wagenrädern. Und dann war dv
arme Paillette in ihrer Phantasie nich
länger mehr sie selbst, sie kam sich v«
wie ein Flocken Distelwolle von h«i>
Ben Winden durch den unendlichei
Raum getragen ein Samum schiei
ihr den Athem geraubt zu haben, dani
war ihr, als sei sie ein welkes Blatt
von einem Wirbelst»nne umheigejaat
und «sleich wieder träumte ihr, sie se
eine Koje, umhergeworfen in einer tin
tenschwarzen, stürmischen See. Zettas
t«r schienen ihr über sie dzbingeroll
und wieder war sie ein mensch.ichesW«
sen mit üldern voll Feur statt Blut; si
Martha« Antltz sah ihr aul
fürchterliche Gesicht von St. John.
lFortsttzung folgt.j
»Herr Schönfeld ist wirklich eil
treuergebener Gatte!" „Inwiefern?'
welchem seine Frau verreiste, eine Type
writerin engagirt, um seiner Frau tilg
lich schreiben zu können.'
~J» tun« Dt j« »«« helpe« l"
Unter dieser Spitzmark« bringt di«
.Voss. Ztg." folgenden Beilrag e>n«a
Lesers zum Abdruck: Die Aufwärtcri«
meiner Frau, ein etwa vierzigjährige«
daß 'sie mehrere Tage verreisen müsse,
ihr Vater läge aus den Tod darnieder.
Als ich vom Bureau heimkedrte. fand
ich si« in schwarzrm Traueranzug in der
Wohnstube bei meiner Frau, die ebenso
wie mein jüngstes Tdchterchen verweinte
Augen hatte. „Ihr Vater ist gestor
ben?" fragte ich. ihr die Hand reichend.
Stimme, indem sie mit der Hand eine
bezeichnende Bewegung nach der Stirn
, machte. Ich erfuhr nun folgend»
traurige Geschichte:
> Vor mehr als 2V Jahren sie war
eb«n consirinirt worden unternahm
ihr Vater, ein Jollensichrer, in Begl«i
-> tung tines Knechtes eine Fahrt nach
einer einige Meilen entsernlen Eldsta
! tion Sein einziger 7jithriger Knabe
bat den Vater, ihn mitzunehmen, und
dieser willfahrte dem Wunsche, trotzdem
ein ziemlich hestiger Wind wehte, da er
sich über die Bourage seines blauäugi
gen Lieblings sreute. Kaum war das
Schiffchen abgestoßen, als auch des wi
drigen Windes wegen lavirt werden
mußte, und der Vater schickte sein
Söhnchen in die kleine Cajiite der
Jolle. Ein solch kleines Flußschiffchen
hat in der niedrigen Cajüte nach der
Hinterseite zwei Fenster, von d.nen ie
des kaum einen Ouadratfuß groß ist.
Ter Knabe langweilte sich in dem
Raume und wollte heraus, aber der
Vater tröstete ihn mit den Worten:
.eenmal leggt wi noch um, denn kommst
du mit ant Land."
Bei dem nun bewerkstelligten Um
legen warf aber ein plötzlicher Wind
stoß die Jolle um. so daß sie Wasser
faßte und der Schiffer mit seinem
Knechte in die Elbe geschleudert wur
den. Glücklicherweise erhaschten beide
jedoch da« kleine mitgefühlte Boot, unt»
nachdem sie es mit vieler Mühe bestie
gen, sahen sie sich nach der Jolle um.
Diese lag zur Seite und süllke sich
immer mehr mit Wasser; und der
Knabe? Er war in der Cajüte dem
Tode verfallen, denn der an die niedrig
im Schiffchen liegende Cijütenthür
stoßende Schiffsraum war schon mit
Waffer gefüllt, und von dieser Seite
aui keine Rettung möglich.
Der Vater legte sich mit dem Boote
hinter das Schiff unmittelbar vor die
Kajütenfenster, und er sah sein Söhn
chen, welche« sich in der schiefliegenden
Kajüte an die Fenstcrbrüstung geklam
mert hatte, so daß sein Kops über
Wasser war, und der Unglücklich«
hörte, wie der arme Junge in feiner
Todesangst schrie: „Vatter, Help' mi!"
Er streckte den Arm durch das Fenster
und streichelte die leichenblassen, vor
her so blühenden Wangen seines Lieb
lings, und das Waffer stieg immer
höher in den, kleinen Raume! Das
Fenster war viel zu eng schon für den
Kops des Kindes, und nun packte den
Vater die Verzweiflung; eine Axt war
nicht da, um das feil« Holz zu zer
trümmern und der unselige Mann in
dem kleinen Kahne gebrauchte seine
Fäuste! Er zerschmetterte sich die Rechte
an den eichenen Schiffsbohlen ver
geblich dann klangs noch einmal
starke Mann fiel ohnmächtig in den klei
nen Kahn zurück. Mutter
»nd Schwester, unsere Auswärterin,
weinten viel heiße Thränen, der Vater
blieb thränenlos! Seit jener Zeit hat
er kein Schiff mehr bestiegen, sein Geist
war umnachtet und auf seinem Sterbe
bette, nach mehr als zwanzig Jahren,
waren buchstäblich seine letzten
Worte: „Jk tunn di jo nich helpen,
mien lütt Hannes, ik kunn jo nich!"—
Eine recht seltsame T u
gendpkobe sah ein Reisender, wie,.Das
Land' erzählt, in der Gegend von
Vrattian, am Drewenzsluß, eine länd
liche Braut mit ihrem Bräutigam an»
Vellen. Sie führte ihren Herzaller
liebsten an einem Sonntage, begleitet
von der Dorf,!,gen'':.vor ein« Linde,auf
welcher sich ein Bienenschwarm ange-
Sie selbst trat mit den Anderen zu
rück. Der Bursche nahm «ine kühn«
Haltung an und saßt« den Bienen
klumpen scharf ins Auge. Da gährte
der Aufruhr in d - p':,>?nrepud!il;
die Blicke der Entferntstehenden ab«r
waren mit ängstlicher Aufregung aus
die Bienen und den Burschen gerichtet.
Einige von den Insekten tiraillirten
zornig summend hervor und setzten sich
den ganzen Bienenschwarm zu ver
schlingen, während die Bienen um sei
nen itopf umhcrschwarmten. Eine
„andächtige" Sülle herrscht« in der
Gemeinde, und nur die Braut verrieth,
auf den braten Burschm thuend, ei
nige Unruhe und Besorgnrß, daß die
Probe schlimm ablaufen Allein
Du bist kein
Beim Wort genommen.
Sidonius prahlte cinst damit, daß er
in allen vhilosovhischen Schulen be
wandert sei. „Wenn Aristoteles mich
zum Lyceum ruft," sagte er. so solg«
ich; wenn Plato zur Akademie, so
komme ich; wenn Zenon zur Stoa
Poekile, so widme ich mich ihm; wenn
Pythagoras ruft, so schweige ich."
.Hakt!" rief D«monax, „Pythogora»
ruft Dich'" 3