Das Verhängniß. (Iider spruch mehr, ich habe solchen genug er fahren. Ich bin Herrin und will Her rin bleiben und lasse mir meine Herr schaft nicht entreißen." dachte Graf Leonce, Du glaubst über Alle zu herrschen und herrscht über Keinen, nicht einmal mehr über Dich selbst. Die Gräfin klingelte der Kammer frau. „Ich bin müde und will zu Bett," rief sie der Eintütenden entgegen, griff nach ihrem Arm, stützte sich daraus uud wankte langsam in ihr Schlafkabinet. Graf Leonce blieb allein zurück. Allein! Das schien die Bestimmung seines Lebens allein und blind. Er ließ sich in den Sessel nieder, den seine Mutter verlassen. Schwermüthig stützte er sein Hanpt in seine Hand, »nd die Erinnerung an seine verfehlte Jugend, seine in Blindheit verbrachten Manncs jahre, stieg wie ein dunkles Schatten bild vor seiner Seele auf. Er gedachte seiner ersten Jugendliebe, gedachte der schweren Kämpfe, welche hinter ihm la gen. Er hatte geglaubt, mit diesen für alle Zeit abgeschlossen zu haben, nach dem er nach langem, hartem Ringen sich in fein Schicksal, den Verlust seines Augenlichtes, ergeben und in dem Licht, das ihm in der Seele aufgegangen, gefeit worden gegen jeden Hader mit jeiuem Geschick. Da mußte er erken nen lernen, daß, so lange wir athmen und die Frische des Geistes, des Her zens bewahren, unsere Leidenschaften nie einschlummern, unsere Kämpfe nie aufhören. Er schloß die Aiigen, er preßte die Handballen auf die Ltder und sann und sann, bis der Entschluß fest stand, daß er Handel» müsse, daß er Ange nicht aufgebeii. daß nichts, was in seiner Macht stand, unversucht bleiben dürfte, sie zu ihm zurückzuführen. xVi. Der Sommer neigt sich seinem Ende zu. Es ist herrliches Erntewetter. Auf de» Feldern steht, von der Sonne goldgelb gefärbt, das reife Korn, über welches der leichte Wind streicht, daß die endlosen Roggen- und Weizenselder einem gelben Meere gleichen, dessen Wellen leichtbewegt dahinrauschen. Hier und da klirrt der Schnitt der Sense», von schwieliger Arbeitshand gesührt, durch das Korn, das von Frauen mit .bunten Kopftüchern in Garbe» zusammengestellt wird. Die Sonne huscht durch die Blätter der Obstbäume, der Wind schüttelt dic Zweige) daß mit dumpfem Aufschlag reife Birnen oder Aepfel in das Gras fallen. Die Wiesen im Garten hinter dem Wirthshause, wo wir Ange vor Monaten im Fieberdelirium verlassen, sind mit Fallobst bedeckt, und ein sei ner, prickelnder Duft steigt von diesen empor und erfüllt die ganze Luft. Unter den Bäumen sitzt Ange. Auf ihrem Gesicht, das schmal und durch sichtig geworden, liegt ein feines Roth ' zurückkehrender Gesundheit, und die Schinerzenlinies um den weiche» Mund, welche sich während ihrer Krankheit schars ausgeprägt, haben einer sausten Traurigkeit Platz ge macht. „Nur wer die' Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide," möchte man in ihrem Gesicht lesen, dessen dunkle Mignonaugen an diesen Dichterlieb ling erinnern. Wochen, Monate lang hat ihr Leben in Gefahr geschwebt, und nur die aufopfernde Pflege ihres Vaters hatte sie dem Tode abgerun gen. Nur ganz allmählich stellte ihre gesunde Natur das Gleichgewicht in Geist und Körper her, wich die Scheu vor dem entfremdeten Vater und sie dankte ihm seine liebevolle Pflege mit leiicm schüchternen Händedruck. In Wehmuth nnd Trauer nahm dieser die Brosamen kindlicher Liebe entgegen. Er konnte kaum mehr erwarten, denn er hatte sich jeder väterlichen Rechte durch seine übereilte Trennung von Weib und Kiud begeben. Seltsam, obgleich von seiner Seite nichts ge schehen, sich ihr als Vater in'S Gedücht- niß zurückzurufen, hatte sie ihn in ih ren Fieberphantasien sofort erkannt und zu einem Schreckbild des Wahn sinns gemacht. Er erzählte ihr jetzt, wie eS ihm erst nach langem vergeblichen Forschen ge lungen, iit dcr Heimath durch ihre alte Dienerin ihren Aufenthalt zu erfah ren, wie er sie' gefunden und verfolgt habe. Erschüttert durch einen Ausbruch kindlichen drückte er sie an sein Herz und klagte sich seines verbit terten. düsteren Pessimismus an. Mit liebevollem Zuspruch suchte er Ange zu trösten, und nun einmal die QuelledcS Vertrauens erschlossen, hielt sie auch mit dem ihrigen nicht zurück, wenn sie auch mit echt mädchenhafter Scheu über die Geschichte ihres Herzens leicht hin wegglitt. Doch was sie ungesagt ließ, hatten ihm längst ihre Fieberphanta sien, dcr Ausdruck banger Sehnsucht in ihren dunklen Augen verrathen. Er versprach ihr, nach Tanner zu reisen und dem Grafen Leonce Kunde von ihr zu bringen. Diese» Entschluß filhrte er dann so fort aus. Nun wartete Ange auf fein«' Rückkehr. Die Schwarzwälder Uhr in der Küche gab laut, hell die zwölfte Stunde an. Die Schläge tönte» zu Ange in den Garten hinüber. Die Wirthin trat heraus und fragte, ob sie das Essen draußen auftragen sollte. Ange verneinte es, sie wollte über haupt nichts esse», sie hätte keine» Bis sen in dcr Erwartung, was ihr Vater bringen möchte, herunterbringen kön nen. Die Wirthin schüttelte den Kopf und ging in's Haus zurück. Auge verließ ihren Platz unter den Bäumen, sie konnte nicht mehr ruhig sitzen. Sie ginz über die Wiesen hin aus auf's Feld. Draußen hatten die Schnitter Mit tagsruhe gemacht. Nur bei cin paar weidenden Kühen fand sie einen Jun gen, der mit hochaufgezogenen Knieen im Grase auf dem Rücke» lag »nd zum Himmel starrte. Neben ihm fraßen die Kühe das saftige Gras. Das Bild war so still, so friedlich, nur sie selbst mitten in dcr warmcn, sonncndurch leuchtctep Landschaft mit ihrer Aufre gung, ihrer Angst, welche Nachricht ihr Vater bringen würde. Eine Weile blieb sie stehen und sah auf den faulenzenden Jungen und die weidenden Kühe. Tann kehrte sie wie der langsam nach dem Obstgarten zu rück und setzte sich iy's Gras. Von Müdigkeit überwältigt, schloß sie die Augen und schlief ein. Sie mußte lange geschlafen haben, denn als sie erwachte, stand die Sonne tief hinter den Bäumen und auf der Bank vor dem Hause saß dic Magd und strickte an einem großen wollene,' Strumpf. Ange richtete sich auf, strich das Haar zurück und wunderte sich, daß ihr Vater noch nicht zurück sei. Er hatte sie ge beten, sich nicht zu ängstigen, denn er könne möglicherweise länger aufgehal ten werden. Sie erhob sich und setzte sich zur Magd, um sich durch Unterhal tung die Zeit zu kürzen. Vergebens, die Spannung, in der sie sich befand, ließ sie kaum die einfachste Frage fin den, und da die Magd auch nicht von vielem Sprechen war, so saßen sieziem lich stumm nebe» einander. Zuletzt stand Ange wieder auf und ging durch den Garten nach dem Feld, von wo aus man die Chaussee über sehen konnte. Das ungewisse Warten marterte und ängstigte sie. Weshalb kam n immer noch nicht, sie von der Angst zu befreie»? Am Ende brachte er schlimme Nachricht und verzögerte des halb die Heimkehr. Da, da kam cin Wagen auf der Chaussee heran. Es war der Korb wagen dcr Wirthin. Ob cr den Vater von der Station mitbrachte? Wie ihr Herz schlug, ihre Pulse flogen. Sie lief über das Feld dem Wagen ent gegen. Ihr Vater saß darin. Er ließ den Fuhrmann halten und stieg lang sam, schwerfällig aus. Sie bemerkte eS nicht. „Hast Du Leonce gesehen?" rief sie chm athemlos zu. Er schüttelte traurig den Kopf. „Nein," sagte er. „Graf Leonce war verreist, und die Dienerschaft konnte mir keine Auskunft geben, wohin. Gräfin Tanner ist allein im Schloß. Auch Komtesse Marguerite ist nicht mehr da, ich bringe Deinen Brief zu rück." Es braust» ihr in den Ohren, und einen Augenblick lehnte sie sich an seine Brust. Da fühlte sie, wie er schwankte. „Vater, was ist Dir? Du bist krank!" Er antwortete nicht, er rang nach Athem nnd sagte heiser: „Nichts als Schwäche, sie wird vor übergehen." Aber sie ging nicht vorüber. Sanft zog Ange seine Hand durch ihren Arm und geleitete ihn nach dem Hause aus sein Zimmer. Er konnte kaum die Treppe hinauf. Oben sank er mit keu chender Brust auf einen Stuhl und schloß für einen Moment die Augen. Sie kniete nieder zu seinen Füßen un d begann lezje zn i«inen. Die Enttäu schung uud die Sorge um den kaum wiedergefundenen Vater preßte ihr das Herz zusammen. Er strich mit der kalten, zitternden Hand über ihr Haar. „Nicht weinen," bat er mit schwacher, versagender Stimme. „O, mein Vater," schluchzte sie, „es war lelbstsüchtig von mir. Dich »ach Tanner zu Hetzen, nachdem meine lange Pflege Deine Kräste erschöpst!" „ES ließ mir selbst keine Ruhe," trö stete er sie. „Doch ich habe noch eine Nachricht für Dich. Komtesse Mar guerite hat den Tag nach dem Ball mit Felbheim Tanner verlassen und ist zu ihrem Pater nach Wien gereist. In diesen Tagen soll ihr« Vermählung stattfinden." Ihr Kopf fuhr empor» ihre Thränen »ersiegten. „Valcr," jubelte sie auf, „jetzt wird Leonce an meine Schuldlosigkeit glau ben." Ihr Vater lächelte melancholisch. „Ich hoffe und denke das auch/' Sie bedeckte seine Hände mit Küssen. Dann siel ihr ein, wie nothwendig er eine Erquickung haben müsse, und sie eilte, sie für ihn zu besorgen. Mehr ihr zur Beruhigung, als saß er sich hiervon Stärlung versprach, genoß er etwas kaltes Fleisch und trank einen Schl»j Wein. Mit der Aufbietung seiner letzten Kräfte hatte er die Reise zurückgelegt, um sür seine Tochter in Graf Leonce den Beschützer zu gewin nen, den sie bald nothwendig haben würde, da er als erfahrener Arzt es sich nicht verhehlen konnte, daß seine Tage gezählt waren. Wohl wäre er seinem Kinde noch gern so lange zur Seite ge blieben, bis er ihr Schicksal in den Händen eines edlen Mannes geborgen wußte, allein es sollte nicht sein. Ange brach bei der Gewißheit seines Todes nicht in laute Klagen, noch hef tige Thränen ans. Sie wußte, wie heiß ihr Vater sein Ende herbeigesehnt und nur aus Sorge um sie sich dem Leben zu erhalten gewünscht. Diese Sorge lag jetzt wieder allein auf ihren Schultern aber wieviel leichter, als damals nach der Mutter Tode, als das dunkle Verhängniß über ihr geschwebt! Die Vereinigung, das Wiedersehen mit ihrem Vater hatte dieses Gespenst der Vergangenheit verscheucht, die Erinne rung an jene furchtbare Scene ihrer Kindheit erbleichen lassen. Leise hob die Hoffnung die Schwingen und ließ die Thränen um den Heimgegangenen Vater sanft und ergeben fließen. XVII. Es war am Morgen nach des Vaters Bestattung, als Ange den kleinen Ort verließ. Die Wirthin hatte ihr bis zum Bahnhof das Geleit gegeben und war, um sich die Thränen der Rührung weg zuwischen, oft mit der Hand verkehrt über die Augen gefahren, als es nun wirklich zur Trennung kam. Auch Ange ging das Scheiden von der gutmüthi gen Frau nahe, welche in ihrer langen, schweren Krankheit viel Mühe und Plage gehabt und ihr eine fast mütter liche Theilnahme gezeigt hatte. Sie versprach, ihr bald Kunde von sich zu geben, verschwieg aber, wohin die Reise ging. Der Zug fuhr in die kleine Station ein. Noch ein Händedruck, ein Dank, und er brauste mit Ange da hin. Der Morgen war drückend heiß ein Gewitter im Anzüge. Die Wirthin hatte gemeint, ob sie es nicht abwarten und den andern Tag reisen möchte. Ange hatte davon nichts wissen wollen. Noch ein Tag endloser Unruhe und Un entschiedenheit, nein, nein, lieber in das drohende Wetter hinein, a!S solch? noch länger ertragen! Dumps grollt der Donner in der Ferne. Der Sturm peitscht die Wolken zusammen. Ueber dem Tannendickicht züngeln die gelben Schlangen und win den sich durch die dichten Stämme. Die Telegraphendrähte klirren, die Maschine des Schnellzuges keucht und im Coupee brütet eine Hitze. Ange, als einzige Insassin, hat ein Fenster geöff net, schwere Regentropfen kühlen ihr heißes Gesicht. Sie lauscht auf den Donner, auf das monotone Rollen und Stoßen der Räder, sie schaut auf die Landschaft, über welche die Wolken tief, schwefelgelb herabhängen und die flam menden Blitze zucken. Das Bild ist großartig, erhaben; sie Mmmt eS auf, aber dentt dabei an ein anderes, dem si? entgegeneilt. Alle Furcht ist von ihr gewichen, sie kennt nur ein Ziel: Schloß Tanner. Nicht, daß sie dort Graf Leonce zu finden hofft, aber seine Mutter! Ihr will sie abringen, wo sie ihn zu suchen hat nicht eher weichen, bis sie es ihr gesagt. Sie fürchtet die kalten, schar fen Äugen der Gräfin nicht mehr, seit sie nicht mehr das Verhängniß zu fürch ten hat. Sie weiß, daß es sie an der Seite des Geliebten nicht ereilen kann was sie ihm selbst giebt: ein sreieS Herz, einen freien Geist, eine große Liebe können nicht unterliegen, sie müs sen den Sieg über alle Vorurtheile erringen. Sie kann den Augenblick nicht erwarten, wo sie mit seiner Mutter um diese» kämpft. Weiter geht der Schnellzug, der Donner grollt fort und fort, das Ge witter will kein Endenehmen, von allen Seiten flammt der Himmel auf, er scheint in ein Icuermeer getaucht. Sie wird nicht müde, Hineinzusehen, sie achtet des Regens nicht, der prasselnd in das Conpee schlügt: erst als sie die Nässe durch die Kleider fühlt, läßt sie das Fenster herunter. Der Zug braust unaufhörlich dahin, an den kleinen Stationen vorüber, ge rade wie damals in jener schrecklichen Nacht. Aber heute möchte sie ihm kein Halt gebieten. Stunde auf Stunde eilt dabin, endlos scheint die Fahrt. Jetzt geht der Zug über die Haide, ihr Herz schlagt ihr Athem versagt, da, da liegt Tanner vorbei, vorbei der Endstation zu ein greller, lang gezogener Pfiff — der Zug fährt ein. - Leonce hatte unterdessen alle Schritte gethan, um eine Spur von Ange zu entdecken. Hundertmal glaubte er sie entdeckt zu haben und ebenso oft wurde er bitter enttäuscht. Er hatte München von einem Ende bis zum andern abge sucht, bei dem einstigen Lehrer Ange'S nach ihr geforscht, aber auch hier ver gebens. Oft hatte er während dieses vergeblichen Suchens in der Dunkelheit die-Arme sehnsüchtig nach ihr ausge streckt, um sie an sich zu ziehen, sie nie mehr zu lassen, nie mehr. Aber nur die leere Lust war ringsum und die un durchdringliche Nacht. Nach seiner Rückkehr hatte die Mutter sich milder gezeigt. Die Zeit der Ein samkeit hatte den grollenden Zorn der tiefgekräntten stolzen Frau allmiUig abgestumpft, die harte Rinde gelöst velche sich um ihr von Vornrtheilen verknöchertes Herz gelezt. Sie ver-- langte nach ihren» blinden Sohne. Er sei in der Augenklinik, sagte man ihr. Sie wollte es nicht glauben, man hatte ihr davon ja bisher nichts gesagt. Ihre llmgebung schwieg, sie wagte nicht zu erwidern, daß sie ja nie, ja überhaupt nach keinem ihrer Kinder gefragt hatte. Das Muttcrhcrz zeigte sich doch stärker, als der Groll, es siegte die Sehnsucht nach dem von ihr am tiefsten gekränkten Sohne. Sie sprach von ihm. sie fragte nach ihm, sie wollte täglich Nachricht von dem Verlauf der Operation haben. Man 'heilte diesen Wunsch dem Grafen mit. Von Stund' an fehlte die Nachricht nicht, pünktlich jeden Morgen licse» die Bulletins von der Hand feines Kam merdieners an seine Mutter ein. Dann kam er selbst nach glücklich vollendeter Operation. Wortlos streckte die alte Gräfin ihm beide Hände entgegen, Mutter und Sohn waren zu bewegt, zu sprechen, und als sie zuerst das Wort fand, sragte sie nicht, ob er die ganze Zeit über in der Klinik gewesen, son dern: „Hast Du sie gefunden?" Diese unerwartete Frage überwältigte ihn. „Nein," sagteer, „ich habe sie vergebens gesucht." Dabei cntstürzten Thränen seinen Augen und sielen auf die mütterliche Hand, welche er an seine Lippe» gepreßt hatte. Wie glücklich hätten sie werden kön nen wie glücklich! Ange hätte das große Werk der Wandelung in dem ver söhnlich gestimmten Herzen der Mutter vollendet und ihr einsamer Lebensabend wäre von inniger Kindesliebe verschö nert worden. An alles das denkt Leonce, als er am Tage des Gewitters hinaus in die neu belebte Natur blickt. Der Himmel hat sich ganz geklärt. Ein frischer Luftzug streicht über die Erde, langsam erheben sich Bäume und Sträucher. Die Sonne glitzert bunt in den Regentropfen, die wie zitternde Perle» an den Zweigen der Sträucher hängen und über das Gras ausgesäet scheinen. Graf Leonce wendet sich vom Fenster ab. Seinen so lange an die Dunkel heit gewohnten Augen thut das helle Sonnenlicht weh. Er tritt an das Harmonium. Seit dem Tage, daß Ange Tanner verlassen, hat er nicht wieder gespielt. Die Erinnerung an jene Stunde, wo sie, angezogen durch sein Spiel, ihm zuerst begegnet, er wacht. Er öffnet das Instrument, und wie ein Sehnsuchtsruf nach der fernen Geliebten brauste das Agnus Dei hin aus in die klare Lust. Was ist das? Nahen sich nicht leichte, eilige Schritte vom Palmenhause her? Er hält mitten im Spiel inne, sein Herz schlügt, als sollte es seine Zelle sprengen. Hastig springt er empor, wendet sich, dem Palmenhause zu. Träumt wacht er? Ist diese holde Gestalt mit den dunklenMignonaugen, dem süßen Liebreiz des weichen Mun des nicht Ange seine Ange?" „Leonce geliebter Leonce!" Er breitet die Arme aus, und mit einem Jubelschrei wirst sie sich ihm an die Brust. Er sragt nicht, woher sie gekommen, weshalb sie ihm nie ein Zei chen von sich gegeben. Sie ist da das ist genug. Als er spricht, sind es nur Worte der Liebe, des unveränderten Vertrauens. „Leonce!" ruft sie, den Kopf immer noch an seine Brust bergend. „Und Du hast nie an mir gezweifelt?" „Ja, meine Ange, eine kurze Zeit nach Deiner unerklärlichen Flucht glaubte ich. Dein? erste Liebe wäre wie der erwacht Du hättest mich deshalb verlassen." „Es geschah nur aus Furcht vor Deiner Mutter, doch jetzt jetzt ist mein Geist von dieser erlöst. Wie viel habe ich Dir zu erzählen! Doch sage mir >uvördelst, wie steht es mit Deiner Mutter?" „Meine Mutter? Sie erwartet Dich, meine Ange!" „Sie erwartet mich?!" Ange ruft ?S erstaunt, ungläubig, und hebt den Kopf von seiner Brust. Da begegnen sich zum ersten Mal ihre Blicke. Wie von einem elektrischen Strahl berührt, zuckt sie zusammen und senkt in sprach loser Verwirrung ihre Augen tief in die seinen. Er lächelt. Dieses Lächeln erhellt noch leuchtender den einst so glanzlosen Blick. „Leonce!" jauchzt sie auf. „Du siehst Du bist nicht mehr blind!" „Ja, ich sehe sehe meine Ange sehe nichts als Licht nach dunkler Nacht!" (Ende.) Ein Abenteuer. „Ja, Bären!" rief Peter Uzindal, „da könnte ich Ihnen eine Geschichte :rzählen, meine Herren.... eine Ge schichte sag' ich Ihnen na, das Er lebniß ist mir öfter eingefallen, als mir lieb war. und," er strich sich mit der Hand über den total kahlen Schädel, „da sträubten sich mir jedesmal die Haare so arg, daß, daß —" „Sie ihm aus den Charnieren' ge gangen sind," ergänzte einer von der Tafelrunde. „Leicht lachen schwer besser ma chen," gab Peter Uzindal unter einem strafenden Blick zurück. „Ich hätte Sie an meiner Stelle sehen mögen, mein Lieber; da hieß es Haare auf den Zähnen haben, mit denen auf dem Kopf genügte es nicht." „Also los damit!" mahnte ein An derer, „Sie sehe», wir fiebern fchon nach der Geschichte." „Guter that einen kräftigen Zug aus seinem Stutzglase und brachte dann bedachtsam seine Cigarre in Brand, die in einer Meecfchaumspitze mit langem Rohr steckte. „War schon einer von den Herren in den Karpathen?.... Nicht?.... Schade, eS ist eine schöne Geacnd. Also kurz und gut, ich war dort bei einem ehemaligen Regiments kameraden zu Gast. Damals gab'S noch Chevauxlegers, meine Herren, wissen Sie, mit den kurzen weißen Spencer» und—" „Gehört das zur Geschichte ?" unter brach einer dcr Zuhörer. „Wissen Sie, ich frage nur wcgen unserer Statuten, da für Abschweifungen in die Sylvester Strafkasje zu zahlen ist." „Ja so,—das hätten Sie mir früher sagen müssen." „Uzindal ist ja unser Gast", ent schied sein Begleiter, der ihn eiugesllhr» hatte. „Freilich, freilich!" stimmte man dem Sprecher bei. „Nein, nein, meine Herren." wehrte Peter Uzindal. „Gleiches Recht für Alle. Wenn etwas zu zahlen ist, zahle ich, und damit Pnnktum.... So, und um nicht wieder straffällig zu werden, wollen wir die Sache jetzt ernstlich an gehen: Ich sagte Ihnen schon, daß ich bei einem Freunde zu Gast war. Ein Junggeselle wie ich, ein leibenschast licher Jäger und Naturfreund eben falls wie ich. Wir verbrachten also unsere Zeit mit Jagen, Spazieren gehen, Essen, Trinten, Rauchen und Abends gab es in der Regel ein hitziges Piquet. Uebrigens traf Jeder seine Zeiteintheilung wie es ihm beliebte; bald unternahmen wir die Dinge ge meinschaftlich, baid einzeln, je nach Lust und Gelegenheit. Um gemüthlich zu leben, darf es keinen Zwang geben in keiner Beziehung. Eines schönen Morgens unternahm ich somit einmal zur Abwechslung allein einen Spaziergang. Ich hatte zwar nicht die Absicht zu jagen, aber in jenen Gegenden ist es nie gerathen, ohne Flinte weit vom Hause zu gehen. Wer so eine Karpathenlandschaft nicht mit eigenen Augen gesehen, kann sich schwer eine Vorstellung davon machen, meine Herrschaften; solche Eichenbestände gibt es bei uns gar nicht, es find Ihnen da alte Herren darunter, daß. daß, wie soll ich nur sagen, sechs Mann herum gehen können." „Das können sie um cine Haselstaude auch," fiel sei» Kritiker von vorhin ein. „Freilich können ste's auch, aber das wird ihnen wohl nicht dafür stehen.... Na, denken Sie sich mit einem Wort etwas Kolossales. Und das geht oft meilenweit so fort. Auch mein Freund besaß in der Nähe so einen Wald und der war an jenem Morgen mein Ziel. Ich glaube schon vorhin erwähnt zu ha ben, daß ich ein Naturfreund bin; ich schwelgte also in dieser wilden Ur sprünglichkeit, ich ergötzte mich am Sang der Vögel, am Summen der Bienen, am Duft der Blüthen ich war thatsächlich ganz dichterisch gestimmt und hub eben an: „Wer hat dich, du schöner Wald" zu intoniren, als meine gesungene Frage mit einem grantigen Gebrumme erwidert wurde; gleichzeitig regte sich etwa» im Dickicht vor mir und ein zottiger schwarzer Kerl trollt'' langsam davon. Wenn Einer unter Ihnen ein Jäger ist, wird er begreifen, daß es mit der Sängerstimmung vorbei war und daß ich im Nu die Büchse an der Backe hatte. So schußgerecht war mir noch nie ein Bär gekommen; kaum dreißig Schritte trabte er vorbei und wies mir so einladend das rechte Schulterblatt, daß eS wirklich unhöflich gewesen wäre, der Aufforderung nicht Folge zu leisten. Ich nahm ihn sest auf's Korn und päck päck versagten beide Schüsse. Die beiden Patronen herausschleudern, war das Werk einer Minute, als ich aber hastig in die Tasche griff, entdeckte ich zu meinem Aerger, daß ich leinen Ersatz zu mir gesteckt hatte. Nun ja. ich ausgezogen, um herumzuschlendern, und da hatte ich es sür überflüssig gehalten, mich mit Schießbedarf zu versehen Was mich aber noch weniger angenehm überraschte, war, daß mein guter Bär kein heuriger Hase zu sein schien; er mochte sich auf Versager verstehen, denn statt weiterzu traben, wie ich es nun dringend ge wünscht hätte, hielt er plötzlich stille und sah sich den Kerl an, der einen schlechten Witz mit ihm vorgehabt. Ich meinte die Sache damit zu applaniren, daß ich ihm mit dem Taschentuch zuwinkte und begütigend rief: „Psch —pfch—es war ja gar nicht so gemeint"—allein, nach einiger Ueberlegung schien er doch ande rer Ansicht zu sein, denn er schlug di' Richtung direkt auf mich zu ein. Sapperlot, da wurde mir doch etwas heiß im Magen und ich sagte mir: Es ist vielleicht besser. Du wartest nicht die Auseinandersetzungen unter vier Augen ab! Gedacht, gethan. Ich warf den nutzlosen Schießprügel meinem freundlichen Interpellanten zum Will» lomm entgegen und eins, zwei, drei hatte ich mich auf einen knorrigen Ast geschwungen, um von da mit möglich ster Beschleunigung meinen Ausstieg zr nehmen. In beruhigender Höhe angelangt, sah ich mich »ach dem Herrn unten um. Er schnupperte an meiner Büchse, schleu derte sie dann zur Seite und hob plötz lich sei»?» liebenswürdigen Blick zu mir empor. Ich versichere Sie, meine Her ren, der braune Satan lachte, als wollte er sagen: Wozu die Umstände, mein lieber Peter, wir kommen dzch noch heute zusammen! Wie um seine Versicherung zu bestätigen, kam er langsam auf den Baum zu. erhob sich auf die Hinterbeine und begatm in aller Gemächlichkeit den Stamm zu er klimmen. Na, jetzt geht'S gut! dachte ich bet mir, aber mit dieser philosophischen Betrachtung, war mir verdammt wenig geholfen. So schnell ich konnte, ging eS daher ein Stück höher hinauf, um wenigstens den »latus yuo zu verlän gern, und da stieß ich mit der Schulter an einen kräftigen Ast, der vom näch sten Baum herüberragte. Sogleich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf: ich konnte solche Astbrücken benützeu, um meine Flucht statt unten, hier oben fortzusetzen, ja, wenn ich die rechte Richtung einschlug, war es sogar mö^- lich, daß ich mich dem Kastell näherte und an den Rand des Waldes ge langte, wo ich Leute arbeiten gesehen hatte. „Sie können mir glauben, daß ich mit der Gelenkigkeit eines Affen an's Werk ging; im Nu war ich aus dem zweiten und von da aus dem dritten Baum. Jetzt hieß eS aber ein wenig schnaufen, auch interefsirte es mich, zu erfahren, was mein biederer Freund zu dieser Kombination sagte. Ich strengte meine Augen an, iim ihn im Astwerk zu entdecken, aber kein Zweig regte sich, und schon begann ich innerlich zu ju beln, daß er die Partie aufgegeben, als mein Blick nach abwärts fiel: Da saß er ganz behaglich unter mir und blin zelte mir wohlwollend zu! Du Raben vieh, drohte ich hinunter. Der hatte sich die Sache weit bequemer eingerich tet: statt heroben mühsam nachzuklim men, folgte er mir unten auf dic ge müthlichste Weise der Welt. Blieb ich ihm zu lange auf ein uud demselben Baume fixen, so machte er Miene, mich zu besuchen. Und das bewog mich, schleunig den Weitermarsch anzu treten. Sie können mir glauben, meine Her ren, so eine Hochtour in den Baumkro nen eine- Urwaldes ist keine Kleinig keit.. . .Meine Muskeln waren wie die Glockenseile angelaufen, der Schweiß troff wie ein Gußregen von mir hinab, und es bedurste des ganzen Ansporns, daß eS sich hier um Leben oder Tod han delte, um mich zur äußersten Kraftan streiigling anzulialten. Gott, wie ver fluche ich Kanaille da unten, die mich in die Zwangslage versetzte, in das Studium des primitiven Menschen was sage ich des Affen zurückzuver fallen!.. ..Ich, Peter Uzindal, der im mer so aus den Fortschritt der Mensch heit gepocht da, wie ein leibhastiger Gorilla von Ast zu Ast hüpfend bei Gott. eS war beschämend! Diese »nd andere Gedanke» durchkreuzten mir den Kopf, aber Selbsterhaltungstrieb war doch stärker, als alle Philosophie und es ging immer weiter, sobyld ich mich einigermaßen ausgeschnauft hatte und der Satan unter mir das Zeichen gab, daH wir es wieder angehen wollten. Endlich athmete ich erleichtert auf. Zwischen den Baumkronen schimmerte es lichter durch ein Zeichen, daß ich mich dem Waldrande näherte. Jetzt setzte ich auch zu lautem Rufe an und ich horchte klopfenden Herzens, ob nicht eine Antwort erfolgte.... Nichts kein Laut. Offenbar fing das Lauhwerk den Schall auf; es hieß also trachten, bis an s Ende zu gelangen. Auch mein liebenswürdiger Begleiter schien dieser Ansicht zu sein, denn er schickte sich eben an, mir das aus nächster Nähe in s Ohr zu raunen, und so nahm ich denn wie der meine Kräfte zusammen. Ich kroch den starken Ast entlang, entdeckte aber nun, daß der andere, der mir einen Ucbcrgang bot, so tief unter mir war, daß ich ihn nur durch einen«Sprung erreichen tonnte. Zum Glück breiteten sich seine Neben zweige so stark aus. daß die Gcsahr, das Ziel zu verfehlen, nicht besonders groß war. Ich sammelte mich somit ein paar Minuten hindurch, dann kau erte ich mich zusammen und hopp ging es hinunter. Ich langte glucklich an und klammerte mich sogleich fest, aber da. o Schreck, vernahi» ich das verdächtige, unheimliche Knarre» und Knistern von Holzwert, das in seinem innersten Mark morsch ist Ich weiß nur noch, daß ich einen verzweifelten Versuch machte, mich a» einem Neben ast zu sangen.., daß ich das Triumph gebrüll dieses verdammten Viehs hörte ... .und da»» wirbelte ich mit meinem ausgerenkten Ast durch die Luft hinun ter.. .." Der Erzähler schien eine Kunstpause machen zu wollen, denn er leerte sein Stutzglas und zog langsam eine frische Cigarre aus der Tasche. „Und?" mahnte einer der Zuhörer „Und?" gab Peter Uzindal zurück. „Nun, das Ende!" fiel ein Anderer ein. „Ja, das Ende!" versetzte der Erzäh ler seufzend. „Wenn keiner von Ihnen eines weiß, dann —" „Aber Peter," rief sein Freund, „Dn bist ja doch gerettet worden, so erzähle doch noch, wie das geschah." „ES ist wirklich ein eigenes Verhäng niß," sagte Peter wehmüthig. „In wie vielen Gesellschaften habe ich schon meine Geschichte —bis hierher erzählt, — aber daß einem Menschen ein gu?eS Ende ciiigesallcn wäre, bewahre! Immer sitzen sie dann da nnd gaffen und nichts für ungut reißen die Mäuler auf, wie bort z. B. mein witzi ger Karl, der meine verlorenen Hcuzre bespöttelte, aber daß mir Einer zu Ende geholfen hätte, nein! Und Sie werde» zugeben, meine Herren, die Ge schichte wäre gut, wenn sie einen passen den Schluß hätte. Jede Redaktion nähme sie mir ab unt> wöge sie mir mit Gold auf, allein in dem unsertigen Zu stand kann ich nichts mit ihr machen. Na. einmal wird sich doch ein Dichter finden, dessen Phantasie die meine er gänzt—und dann sende ich Ihnen den gedruckte» Schluß zu." „Er hat uns einen Bären ausgebun den, das kostet nach den Statuten Strafe!" riefen nun die entrüsteten Stimmkn durcheinander. Peter Uzindal nickte ergebungSvo? vor sich hin: „Hat mich schon manche Strafgelder gekostet, dieses Rabenvieh von eiivm Bären! Na. gut, meine Herren, versuchen wir einmal eine Bowle! bei der werden wir schneller zu Ende kom men. als bei meiner Geschichte a»s den Karpathen, bei der mir NiemarU) über '»en letzten Ast Helsen will." Doch einmal a » gebro» che»! Studiosus Windig (in der Neu jahrSnacht beim Zechen, fünf Minuien nach 12 Uhr): „Ich muß aber wirklich in mich gehen und jetz 'n ordentliches Leben anfangen!" Studiosus Pump: „Ach was! Dieses Jahr ist ja nun doch rinmal angebrochen!" Blüqera«schi»t«n. Von den vielen Blüchergeschichten. die zur Feier seines hundertfünfzig» jährigen Geburtstages zu neuem Leben erweckt wurden, sei hier eine der am wenigste» bekannten und denkwürdig sten zugleich, dic wir in der „Deutschen Romanztg." veröffentlicht finden, wie dergegeben. AIS Napoleon am 29. Juni iBls dem Thront zu Gunsten seines Sohnes entsagt hatte, ernannten die eingesetzten Regicrungsverweser dm Marschall Davoust zum Oberbefehls haber der französischen Truppen. Die ser erließ am ZV. Juni an den Mar schall Fürsten Blücher ein Schreiben, worin er ihm mittheilte, die verbünde ten Mächte hätten bereits erklärt, durch Napoleons Thronentsagung sei die Ur sache des Krieges hinweggeräumt, mit Oesterreich sei ein Waffenstillstand ab geschlossen. »nd er (Blücher) würde vor der ganzen Welt eine große Verant wortlichkeit aus sich laden, wenn er trotzdem noch die Feindseligkeiten fort setzen wollte. Als der alte Marschall Vorwärts die französische Epistel gelesen, verfinsterte sich sein Gesicht nicht wenig. Er rief seinen alten Genossen Gneisenau und dictirte ihm eine Erwiderung an Da voust, in der eS hieß: „Mein Herr Marschall! Es ist irrig, daß zwischen den verbündeten Mächten und Frank reich alle Ursachen zum Kriege aufge hört, weil Napoleon dem Throne ent sagt habe; dieser hat nur bedingungs weise entsagt, zu Gunsten seines Soh nes, und der Beschluß der vereinigten Mächte schließt nicht allein Napoleon, sondern auch alle Mitglieder seiner Fa milie vom Throne aus. Wir verfol gen unseren Sieg, und Gott hat u»S Mittel und Wille» dazu verliehen. Sehen Sie zu, Herr Marschall, was Sie thun, und stürzen Sie nicht aber mals eine Stadt in's Verderben. Wol len Sie die Verwünschungen von Paris ebenso wie die von Hamburg auf sich laden? Nur in Paris kann ein zuver lässiger Waffenstillstand Platz haben. Ich mache Ihnen, Herr Marschall, übrigens bemerllich, daß. wenn Sie mit uns unterhandeln wollen, es son derbar ist. daß Sie unsere mit Briefen und Aufträge» gesendeten Officiere ge gen das Völkerrecht zurückhalten." Als Gneisenau dies geschrieben hatte, sagte Blücher zu ihm: „Nanu, geben Sie mal Ihre Feder her! Nu will ich meinen Namen drunter schreiben, und dann schicken wir meinen Liebesbrief ab." „Durchlaucht vergessen", er widerte Gneisenau. „daß ich den Brief erst ins Französische übersetzen muß?" „Was? Sie wollen den Brief erst ins Französische übersetzen?" rief Blücher verblüfft. „Natürlich, Durch laucht, mir können doch einem Franzo sen nicht zuinuthen, daß er einen deut schen Brief verstehen soll!" „Na. und warum können wir ihm das nicht zu nuthen?" schrie der alte Feldmarschall. dem die Zornesröthe ins Gesicht gestie gen, „Herr Gott im Himmel, was sind ivit Deutsche doch immer für demüthige Fuchsschwänzcr unterthänigste Duckmäuser! Wir köiinenS ander» Völ kern nicht zumutheu, daß sie unsere Sprache kennen, um uns zu verstehen, darum lernen wir gehorsamst ihrs Sprache, um sie zu verstehen. Ich frage Sie, in welcher Spracht hat Davoust an mich geschrieben?" „Nun, natürlich in französischer Sprache, Durchlaucht!" „So, daH finden Sie natürlich, daß der Franzose an einen Ausländer, an einen Deut schen, in französischer Sprache schreibt der Franzose hat. das Recht dazu? Na, dann habe ich auch das Recht, ihm in meiner Sprache zu antworten!" Er mag meinetwegen vornehm die Nase rümpfen und sagen: „Der Kerl, der Blücher, ist so dumm, daß er nicht ein mal das Französische versteht und mir in seiner Muttersprache schreibt." Ich rümpfe auch dic Nase und sage: „Der Kerl, dcr Davoust, ist so dumm, da? er nicht einmal deutsch versteht und mir in seiner Muttersprache schreibt!" So und damit basta!" Der Brief ging deutsch ab. Davoust schimpfte allerdings nicht wenig über den ungelecktcn Bären Blücher. Die Kraue« un» ver Wein. Es gleiche» dem Weine oft di« Frau'n Besonders aber die netten; Nicht immer ist ja deu Weinen zu trau n Mit hübsche» Etiquetten. Die Farbe auch ist nicht immer echt. Man merkt's beim Küssen und Trinken, Dieweil sich oft. wmn'S Keiner dächt'. Die Mädchen und Weine schminke»! In Einem nur erscheint nimmermehr Das Vergleichen Beider gelungen: Bei Weinen liebt man dic alten sehr. Bei Frauen aber die jungen! An einem Kaiser wort soll mau nicht drehen noch deuteln. Als der berühmte chinesische Kaiser Kang-Hi, der von lttöl—l722 regierte, das Neiijahrsfcst einmal in dem wun derhübsch gelegenen buddhistischen Klo ster von Golden Island bei Tschin iiang am ?)angts»tiang feierte, starte »hn am Borabend des Festes das Ge grunzc von unzähligen Schweinen in der nahen Zollstatwn. Um rasch Ruh« zu bctomnien, besaht der Kaiser, daß am Tage vor Neujahr aus Golde» Is land lein Zoll, auf Schweine erhoben werden sollte. Nun aber ist im Chine sischen das Wort „Ischu" für Schweine gleichlautend, mit „tschualle". Der Minister verstand den mündlich, gegebe nen Befehl dahin, daß alle Zölle am Tage vor Neujahr ausgehoben sein sollten und ertheilt» demgemäß seine Weisungen. Als sich dann das Miß verftändniß aufklärte, wollte der.Kaifer die Zusage gleichwohl nicht zurückneh men. und bis zum heutigen Tage wird >in jener, von Chinesen verwalteten Station am Tage vor Neujahr kein Zoll erhoben. 3