Li« verbreche«. (13. Fortsetzung und Schluß.) Vielleicht giebt es ein Vorgefühl eine unerklärliche Vorahnung kommen den Uebels, aber wenn daS der Fall ist, so wurde in diesem Augenblick der Fi nanzmann und Menschenfreund nicht von solchen Gefühlen gestört. Er war bereits von Feinden, die ihn zur Re chenschast ziehen wollten, umgeben, schon näherten sich die gemessenen Schritte der Gendarmen, aber Saint Alban hörte sie nicht, er sprach lebhast über den neuen Plan, den er vor hatte. Es giebt Menschen ohne Gewissen, deren Cynismus durch nichts gestört wird. Ein solcher Mensch war der Zi geuner, der falsch gegen Leute seines eigenen Stammes war, der Verrathe» und zweifache Mörder. Mit dem schüchternen Blick eines unterwürfigen und gezähmten Thier«?, daS seinen Herrn fürchtet. saß Frau Saint Alban schweigend da und richtete ihre matten, farblosen Augen auf den Mann, dessen Stärke in einer bösen Stunde ihre schwache Natur unterjocht hatte. Im Geheimen sühlte sich die Frau elend, sie wurde von Gewissens bissen gequält und war ost der Ver zweiflung nahe, wenn sie von Niemand gesehen wurde. Oesfentlich lächelte sie auf sein Gebot, sprach oder schwieg, wie er besahl. und machte alle die Höflich keiten und' Falschheiten des gesellschaft lichen Lebens mit, gehorsam dem spre chenden Blick dieser grausamen Augen. Die orientalische Philosophie behaup tet, für jede Frau in der Welt sei ein Mann vorhanden —vorausgesetzt, daß sie ihn finden könne dessen Sklavin sie sein werde, mit gebundenen Händen und Füßen, in schlimmerer Sklaverei, als jemals eine Schwarze, welche auf einer amerikanischen Pflanzung unter der Geißel des brutalen Aussehers ge schmachtet hat. Frau Saint Alban hatte ihren Herrn gesunden. Als Saint Alban den Kopf erhob, voll von den Berechnungen eines gro ßen, sicheren Gewinns, den ihm tein Zufall streitig machen könne, sah er, wie die Thüre sich öffnete. Aus der Schwelle erschien ein Mann, dessen Anblick er zu sürchten Ursache hatte, hinter diesem erblickte fein schar fes Auge blitzende Waffen. Todtenbleich sprang er auf und blickte wild um sich. Er wußte zu gut, daß jetzt sein Spiel verloren war. Man hatte ihn gesunden —sein Schicksal war besiegelt. Regungslos starrte Frau Saint Al ban mit ihren erloschenen Augen nach der Thüre und zitterte an allen Glie dern. Saint Alban hatte sich erhoben und sah seinen Feinden entgegen. Mr. Brusel trat vor mit der Ruhe eines Mannes, welcher wußte, daß er Herr der Situation sei. „Charles Courtin, alias Saint Al ban, Sie sind unser Gefangene», " sagte er. „Bemühen Sie sich nicht. Wider stand zu leisten, Sie würden sehen, daß wir stärker sind, als Sie. Also solgen Sie meinem Rath und kommen Sie mit uns. Ich glaube, Sie wissen, wessen Sie angeklagt sind? Wir haben die Sache schon früher einmal verharr delt, ich will jedoch die Formalität nicht vernachlässigen." Damit zog er den Verhaftsbefehl her aus und las ihn vor. Monsieur Ferron stand todtenbleich daneben und rang nach Athem, aber er sprach kein Wort. Seine Frau, ebenso bleich als er, hatte ihre Hand aus seinen Arm gelegt und erklärte ihm durch eine stumme Geberde, daß er zuhören und warten solle. Er gehorchte. Inzwischen hatte Saint Alban Zeit gefunden, sich zu fassen. Der Finanz mann, dessen Selbstbeherrschung au ßerordentlich war, hatte sein gewöhn liches, spöttisches Wesen wieder ange nommen. „Ich sehe, ich bin in einer Falle ge» fangen," sagte er. „das ist eine glückliche und merkwürdige Fainüienversamm lung Ricmand fehlt dabei, wie ich sehe, selbst nicht mein alter und ge schätzter Freund, Sir John Hunter, oder mein noch älterer Freund, der Herr Kapitän," fügte er mit einem Blick auf Duvivier hinzu. „Aber ich glaube, ich muß Sie elwas über eng lische Gesetze belehren, mein verehrter Mr. Brusel. Was sagen Sie dazu, wenn ich Ihnen erkläre, daß der HaftS besehl, den Sie da haben, nicht das Papier werth ist, aus dem er geschrieben steht?" Saint Alban'» Ruhe war erstaun lich, für einen Augenblick waren seine Feinde verdutzt. „Wie so?" fragte der Detectiv. „Die Anklage, die Sie zum zweiten Male gegen mich vorbringen," erwi derte Saint Alban, „ist bereits vor einem englischen Gerichtshof verhandelt worden. Sie und Ihr vortrefflicher Genosse, der medizinische Polizist, wissen sehr wohl, mit welchem Resultat. Ich bin als unschuldig freigesprochen wor den. Sie können mich nicht nochmals verhaften, ich leiste Ihnen Wider stand Mr. Brusel zuckte mit den Achseln. „Ist das Alles?" sagte er. „Das be weist. daß Sie nicht viel vom englischen Gesetz verstehen. Wenn Sie sagen, Sie seien freigesprochen worden, so ist das ein großer Irrthum. Sie wurden nur aus Mangel an Beweis entlassen, das Gericht hatte keine Macht, Ihren Fall endgiltig abzuurtheilen." „Ich bin freigesprochen worden!" erwiderte Saint Alban zornig. „Ich denke, Sie haben die Entschuldigung des Gerichtshoses gegen mich vernom men?" „Das war nur ein Ausdruck persön licher Meinung, mein guter Herr, ohne Bedeutung," erwiderte Brusel kühl, „wenn die Richter sich auf solche Weise lompromittiren wollen, was kann ich dagegen thu»? Ja, wenn St» schlau genug gewesen wären, sich vor ein Ge schworenengericht zu stellen, und wenn Sie dann als unschuldig freigesprochen wären, so läge die Sache anders. Dann könnte ich Sie auf keinen Fall fassen, wie ich jetzt thun werde, ob es Ihnen recht ist oder nicht." Hier unterbrach ihn Robert Power, indem er die sarkastische Redeweise Saint Albans nachahmte. „Ich bin nicht ganz sicher," sagte er. „daß selbst, wenn die eine Anklage gegen diesen Herrn abgewiesen worden wäre, wir nicht noch etwas anderes finden könnten, was bessere Wirkung hat." „Was meinen Sie damit? Was unterstehen Sie sich?" rres der Finanz mann. „Zum Beispiel Verleitung zu fal schem Zeugniß," fuhr Robert ruhig fort. „Wir haben Beweise dafür. Und dann ist noch etwas Besseres da. WaS sagen Sie zu einer Untersuchung der Umstände, unter welchen Mr. Gallo plötzlich gestorben ist? Oder zu den Erkundigungen über die Wirtungen einer Dosis Arsenik, welche diesem un glücklichen Manne beigebracht worden ist?" Dieser Schlag wirkte. Saint Albans dunkle Gesichtsfarbe war in ein fahleS Grün übergegangen, wie eS bei ihm in Augenblicken der Furcht und der Wuth zu bemerken war. Von Schrecken über wältigt. war Frau Saint Alban mit einem Aufschrei in ihren Stuhl zurück gesunken; ihre Glidder zitterten und ihr« Augen funkelten in wilder Angst. Der Finanzmann sah, daß sein Spiel verloren war. Er blickte sich um. Flucht war unmöglich. Seine Verfolger umgaben ihn: auf ihren fin steren Gesichtern las er die Entschlossen heit. Im Hintergrund stand der Bri gadier, und hinter ihm sah man daS Blitzen von Waffen. ES gab kein Mitleid für ihn, am allerwenigsten von Seiten der Schwester MadcleineS, welche mit glühenden Au gen neben ihrem Gatten stand. „Eleiider. herzloser Mörder, Deine Stunde ist gekommen!" sagten ihre Blicke. Mr. Saint Alban legte resignirt die Arme über einander. „TaS KriegSglück ist gegen mich," sagte er mit grimmigem Lächeln, „ich ergebe mich! Alcide," fuhr er fort, zu Monsieur Ferron gewendet, „lasse Deine Träume von Reichthum schwrn den! Unser Plan war vortrefflich, aber ich und mein Geld mußten an der Spitze stehen. Schade! Ohne Kapital ist wirtlich nichts zu machen. Nimm meinen Rath an. versuche die Sache nicht, es würde Dir nicht gelingen. Meine süße Genossin im Verbrechen." saate er dann zu seiner schaudernden, halb betäubten Frau, „Du wirst der Geiellschast Deines liebenden Gatten be raubt sein! Du weinst? Welch ein Trost ist eS. daß Jemand um mich weint! Messieurs, ich stehe zu Diensten. Sie können mich mit Ihren Handschel len verschonen. Mein Ehrenwort, daß ich ruhig mit Ihnen komme!" Saint Alban hatte die Scene auf seine Weise beendigt. Der Detectiv gab ein Zeichen, die Gendarmen traten vor und von ihnen bewacht, ging der Finanzmann und Menschenfreund, das zukünftige Parlamentsmitglied, die Treppe hinab, dem Gefängniß zu. 34. Wenn Brusel und seine Begleiter sich darauf verlassen hatten, daß der Ge fangene in der Obhut der Gendarmen sicher sei, so hatten sie sich geirrt. Zwei derselben waren an seiner Seite und zwei andere folgten dicht hinter ihm. Deshalb stiegen der Detectiv, Sir John, Robert Power und Duvivier gemäch lich die Treppe hinab, um'ihren Gesan genen bis zur Thüre des Gefängnisses zu begleiten. Brusel hatte Saint Alban durchsucht und da er teine ver borgenen Waffen bei ihm gesunden, hatte er ihn der französischen Polizei übergeben, überzeugt, daß er unschäd lich sei. Ader als sie die Hausthüre erreich ten. zeigte Saint Alban nochmals, wessen er sähig war. Bisher hatte er den Cynismus des gewissenlosen, er tappten Verbrechers gezeigt, der sein «chicksal auf sich nimmt, jetzt aber zeigte er plötzlich die Wildheit des Pan thers. Mit einem gewaltigen Ruck be freite er sich von seinen Wächtern, mit einem geschickten Stoß, welcher wohl ge zielt den Magen traf, machte er den einen Mann kampfunfähig; ein zweiter Stoß traf ebenso den Mann an seiner anderen Seite. Alles oaS war das Wert eine- Augenblickes und dann rannte Saint Alban mit gewaltiger Schnelligkeit davon. Die Scene war unbeschreiblich. Die beiden Gendarmen und ihr Führer, der Unterosfizier, welche den gefährlichen Stößen des Gefangenen entgangen wa ren, eilten ihm nach. Auf ihr Geschrei traten die Fremden aus dem HauS und liefen zornig aus voller Kraft dem Flüchtling nach. Hinter ihm, bleich, verstört und mit wilden Blicken, lies die Frau des Verbrechers, die einem seltsa men, unerklärlichen Antrieb folgte. Bald hatte sich eine Menge von Zu schauern auf der Straße und auf dem Platze vor der Kathedrale angesammelt. „Haltet ihn!" schrieen die Gendarmen außer Athem. „Haltet ihn!" rief Brusel, ..zehn Goldstücke für den Mann, der ihn fest hält!" Robert Power sagte nichts, aber er biß die Zahne zusammen, hielt Haus mit seinem Athem und rannte so rasch, als seine Beine ihn tragen tonnten. CS schien vollkommen unmöglich, daß Saint Alban entrinnen könne, seine Freiheit war nicht besser, als die Frei heit der Maus bei der Katze. FerronS Laden lag der prachtvollen gothischen Kathedrale gerade gegenüber, ein gro ßer Platz lag-zwis >'t!i beiden. Ueber diesen hin flog Saint Alban wie ein ! Panther, bald in gerader Richtung, bald zur Seite biegend, uad bedrohte mit seines» Fäusten und Füßen alle Diejeni gen, welche ihin entgegen kamen und ihn auszuhalten suchten. „Ein Dieb! ein Dieb!" schrie die auf geregte Menge. .Haltet ihn fest! Haltet ihn sest!" „Nein, das ist ein Mörder!" schrieen Andere. „Nehmt euch in Acht, oder ihr könnt einen Schuß erhalten!" Alle schrieen, aber keiner wagte es, sich dem Flüchtling zu nähern, nach dem sie gesehen hatten, was Einigen, die dreister gewesen waren, widersah' ren war. Saint Alban bot einen schrecklichen Anblick mit seinem dunkeln Haar, das wild um seinen Kopf flatterte, seinen funkelnden, schwarzen Augen. Er sah mehr einem Dämon, als einem mensch lichen Wesen ähnlich. Die Leute zogen sich daher vor ihm zurück. Indessen kamen seine Verfolger nä her. Robert Power und hinter ihm Brusel und hinter diesen auch noch Sir John Hunter waren nahe daran, ihn zu erreichen. Der Flüchtling blickte sich einen Augenblick um und sah vor sich die Menge, die jeden Augenblick an wuchs wie eine dicke Mauer. Es war hoffnungslos, diese durchbrechen zu wollen, ebenso hoffnungslos war es, sich umzuwenden und diesen entschlosse nen Männern entgegen zu treten. Saint Alban sah, daß er verloren war, eins blieb ihm aber noch übrig und das that er. Er befand sich in der Nähe des Einganges zur Kathedrale. Die Thüre war offen. Mit einem raschen Sprung verschwand er in derselben. In alten Zeiten wäre der Flüchtling hier sicher gewesen, die Kathedrale hätte so gar ihn, den Mörder, gegen die Gerech tigkeit geschützt, aber dieses Asqtrecht hat ja aufgehört. Wo hatte sich Saint Alban verbor gen? Wo war er zu finden? Im Schiff, im Seitenflügel, uirgends ivar er zu entdecken. Doch da führte eine Wendeltreppe hinauf auf den Glocken thurm; Arbeiter waren während des Morgens auf dem Thurme beschästigt gewesen und hatten die Thüre offen gelassen. Das hatte der Flüchtling sosort wahrgenommen und war hinaus geeilt. „Er ist auf dem Thurm!" schallte e? aus der Menge. Im Augenblick waren Power und Brns'el an der Thüre; sie war ver schlössen. „Er hat die Thür abgeschlossen!" ries einer der Arbeiter. „Der Schlüs sel war da, das weiß ich! So ein Spitzbube, er hat uns damit ausge> schloffen." So war eS auch. Saint Alban hatte seine Geistesgegenwart nicht ver loren und benutzte jeden Vortheil, den ihm der Zufall bot. Er hatte ein« anscheinend starke, schwere, eisern« Thüre zwischen sich und seine Versolge« gebracht. „Wir müssen sie einschlagen!" sagt, Mr. Brusel, „kommt. Jungen, w>r wollen es mit unsern Schultern versu chen. Ich sehe, es ist ein altes Schlok und wahrscheinlich verrostet und abge nützt; mit einem bischen guten Willen brechen wir durch." Der Detectiv und Power stemmten ihre Schultern gegen die Thüre, Sir John schob ein Dutzend schwatzend« Franzosen bei Seite und stellte sich nebe» Brusel. „Nun, los!" rief der Letztere, „noct einmal! noch einmal! Ich merke, e; geht!" Mit einem Krach flog die Thüre aus und die Verfolger eilten Stufen de> engen Treppe hinauf. Inzwischen war die Scene außerhalt der Kathedrale ebenso ausregend, als die innerhalb derselben geworden. Di« ganze Stadt. Jung und Alt, schien sich vor der Kirche angesammelt zu haben, jedes Fenster war besetzt, das heiser, Gemurmel der Menge ersüllte die Lust. „Die Kathedrale brennt!" sagte!' Einige. „Was seid ihr für Narren!" riefen Andere; „es sind doch teure Flammen zu sehen!" „Es ist ein Tieb, den man ertappi hat, als er den Altar bestahl! Faßt ihn, den Kirchenräuber!" „Schweigt doch, ihr Dummköpfe! Ich sage euch, eS ist ein Mörder, welcher eben einen Mann ermordet hat. Jean, mein Sohn, sah die Gendarmen hinein gehen." Hin- und hergestoßen von der Menge, ohne Kopfbedeckung, stand Frau Saint Alban vor dem Glockenthurm, welcher gespenstisch mehr als zweihundert Fuß gerade vor ihr aufstieg. . Mit ver wirrten, geistesabwesenden Blicken blickte sie aus die erregte Menge um sich. Sie hatte ihren Mann in die Kirche lausen sehen, sie hatte einen Versuch ge macht. ihm nachzufolgen, aber durch die VolkSmassen war sie daran verhin dert worden. Jetzt stand sie hier in wilder Aufregung, wie in einen' Traum. „Sieh, sieh!" schrieen Hunderte von Leuten, nach der Spitze des Thurmes zeigend, „da ist ein Mann! Das ist der Dieb, der Mörder! Was wird er machen? Heilige Jungfrau, was wird er machen?" Der Glockenthurm wurde ausgebes sert, an der Spitze war ein hölzernes Gerüst angebracht und aus dieser schwindelnden Höhe, am äußerste» Rande dieser Platform von Zimmer werk stand ein Mann, welcher hastig du Arme bewegte. Bon unten aus sah er in der Höhe nur wie ein Zwerg aus, aber er war deutlich zu ertennen und seine Arme wintten der Menge zu. Jetzt wandle er sich um. .Sie sind hinter ihm! Er spricht mit ihnen!" schrie die Menge. Es dauerte nicht lange. Der Mann dort oben wandte sich wieder der Platsorm zu. In diesem Augenblick wurden andere Gestalten sichtbar, welche auf ihn zu sprangen. „Nehmt euch in Acht!" Hieß es, „er wird sich herunter stürzen!" Durch das Brausen der Stimmen schien ein teuflische» Gelächter hörbar zu werden. „Gebt Acht, gebt Acht! Er stürzt sich herab!" Auf diese WarnungSrufe drängte die Menge unter den kleinen Balkons, zu den hellerleuch teten Fenstern im zweiten Stockwerk, hinter deren Vorhängen eS so lustig hin und herbewegt, daß förmlich ein Strom von Vergnügen und Uebermuth herun terfluthet in die frostige Herbstnacht. Manchmal hört man auch bis in die stille Straße herab daS Klavier klingen, das unermüdlich gespielt wird: Walzer! Immer Walzer! Dann macht der Sol dat da unten wohl ein finsteres Gesicht und stampst wie zornig mit dem Fuße auf. Welch' öde Stunden für ihn! Und sie, sie tanzt und lacht! Aber wenn er dann wieder zu dem Eckfenster, mit dem blauen Stoffgewoge dahinter, empor schaut, lächelt er ganz weich und gerührt: ! „DaS süße Ding! Seine liebe Edy! iSie weiß eS ja nicht, wer da unten steht! Ja. wenn sie's wüßte!" Mit einem Seufzer lockert er dann wohl das Gewehr, das ihn aus die Schulter drückt. Eduard Fernhagen ist ein wenig spät >aran sür den Freiwilligen-Dienst; er ist fünfnnzwanzig Jahre alt, ein Mann mit einem Vollbart, dem'S nun nicht leicht fällt, sich unterzuordnen und in die strenge Disziplin zu füge»; denn zu Hause, in der kleineren Stadt in Fran len, ist er bereits Herr über viele hun dert Arbeiter, der Prinzipal einer gro zen. weitbekannten Fahrik. Eben weil er so früh sein Erbe anzutreten und die Verantwortlichkeit, die Verpflichtungen tines großen Betriebes zu unternehmen hatte, war eS ihm bisher unmöglich ge ivesen. ein ganzes Jahr abzukommen, -im seiner Militärpflicht zu genügen. Aber nun mußte es einfach sein. Im Sommer hatte er aus einer Reise !in Mädchen kennen gelernt, das ihn bezaubert gleich in der ersten Stunde, das er dann an jedem Tage des Zusam nenseins lieber und lieber gewonnen hatte, bis er sich sn seliger Begeisterung zesagt: sie und teine Andere müsse sein« Wcii werden. Ö, die lieben unvergeßlichen Stun >en in jenem kleinen, ländlichen Bade irt! Wie er gezittert hatte um ein Zeichen ihrer Gunst! Wie lange er oiel zu scheu vor ihr gewesen war, um nur ihre Hand zu drücken, um ihr ein Wort zu verrathen. Und dann der selige Tag ! Die wunderbare Gewiß heit, daß auch sie ihm gut sei! Das Plätzchen an dem kleinen Weiher, wo sie unter einer süßduftenden Linde sich gelobt hatten, auf einander zu warten, in treuer, unerschütterlicher Liebe. Er hatte sie um das heimliche Versprechen bitten müssen. Er konnle noch nicht vor ihre Eltern hintreten und um sie werben, obwohl er ja berechtigt gewesen wäre zu dem stolzen Wort: Ich ver mag Ihrer Tochter eine schöne Zukunst zu bieten. Aber der Militärdienst! Wie ironisch würde ihr Vater ihm wohl erwidert haben: „Mein lieber Herr Fernhagen, dienen Sie doch erst, ehe Sie Heirathen wollen. Ein Einjährig- Freiwilliger als Bräutigam; das ist komisch!" Darum hatte er schweigen müssen ; darum sollte erst dieses einzig» Hinderniß bei Seite geräumt sein. Dem Fabrilherrn würden die Eltern seiner Ed» wohl gern die Arme öffnen; das wußte er. Also in Gottes Namen noch rasch durch s Fegeseuer, ehe das Paradies sich ihm erschloß! Er hatte seinem Liebchen nicht ge schrieben. daß er in ihre Stadt komnie. Er schämte sich, vor ihr, die ihn als freien, eleganten Mann kennen gelernt, nun in der schlichten Uniform zu er fcheinen; schon die Vorstellung, er könnte bei einem Besuch in ihrem Hause einen Ossizier treffen und die Honneurs machen muffen, er, der Aeltere, vielleicht einem zwanzigjähri gen Lieutenant, war ihm unerträg lich. Wenn einmal die schlimmsten, ersten Wochen vorüber waren, dann erst sollte sie seine Anwesenheit erfahren. Nein! -in ganze» Jahr tonnte er es ja doch nicht aushalten, ihr so nahe zu sein und kein Wort mit ihr zu tauschen. Es ist doch ein hübscher Zufall, daß ihm der Posten an der Eommandantur zugewiesen wurde, gerade ihrem Hause gegenüber. Ja, trotz einem gewissen eifersüchtigen Prickeln und Brennen in seinem Herzen ist eS hübsch, daß er Wache halten darf vor ihren Fenstern. Wie sie die Andern da drinnen ver gessen. wie sie das Fenster ausreißen, sich herabneigen, ihm zunicken würde in heißem Jubel, wenn sie nur eine Ahnung hätte, wie nahe er ihr ist! Droben tanzen sie. Edy hat einen Walzer durchgerast und sitzt nun mit ihrem Partner in einer ruhigeren Ecke, und dieser sächelt ihr Kühlung zu. Ter schwarze Seidensächer ist ein Ge schenk Eduards, und er lelber hat mit Joldlettern in eine Ecke geschrieben: „Und treu gedenken sei die goldene Brücke Vom Scheidegruß biZ zum Wieder sehen." Die Buchstaben leuchten und flim mern auf der schwarzen Seide, aber die Augen des Mädchens gleiten über sie hinweg und schauen lachend in das lecke, hübsche Gesicht des jungen Man nes, der ihr gegenübersitzt und ihr in seiner übermüthigen Weise den Hof macht. Er weiß so amüsant zu plaudern. Er sagt ihr so netle Schmeicheleien. ES sallt ihr gar nicht ein. sie sür baare Münze zu halten, wer würde den ausgelassenen jungen Maler je ernst nehmen wollen. Aber lachen muß fi« mit Keinem so wie mit ihm. „Ach Gott, Fräulein Edy." sagt er mit einem Male mit einem ernsten Ton, „wer weiß, ob wir nicht heut« zum letzten Mal mit einander getanzt haben, zum letzten Mal so lustig mit einander schwatzen. Denn ein halbe» Jahr bleibe ich sicher in Paris, und mittlerweile, bis ich wiederkomme, sind Sie am Ende verlobt, verheirathet?" Sie sieht ihn an mit einem Lächeln, das nicht widerspricht. „Als ob Sie in Parts an mich den ken würden! Als ob Ihnen dort irgend etwas d'ran läge, ob ich verlobt oder verheicathet, todt oder lebendig bin." „Oh! Oh! Dagegen vertheidige ich >nich gar nicht! Sie wissen, wie falsch, wie grundfalsch diese Behauptung ist. Wenn mir nur etwas daran liegen dürste, ob Sie sich verloben, verheira then! Aber habe ich denn ein Recht, nur ein Wort dagegen zu sagen? ich, ein Anfänger, ein Maler, ein Nichts, der Junggeselle wider Willen. Ich muß eS wohl so hinnehmen, daß ein Ande rer nach Ihnen die Hand ausstreckt! Ich weiß nur, daß Sie heute zum Ab schied noch ein bischen lieb mit mir waren." „Ich finde, daß Sie sich gar nicht im Geringsten über mich zu beklagen ha ben," erwiedert sie mit einem koketten Blick. „Nein! Aber ich bin eben ein unver schämter Mensch," sagt er leise unl» sucht hinter dem Fächer nach ihrer Hand, „unverschämt in meinen Wün schen. Und ich hätte so schrecklich gern einen Abschiedskuß von Ihnen, Fräu lein Edy!" Sie entzieht ihm ihre Hand; sie springt aus. „Sie sind unartig, mein Herr!" be merkt sie mit snnkelnden Augen. Aber der Zorn ist nicht groß, oder er sitz» nicht tief, denn nach kurzer Weile hält der Maler sie wieder im Arm. und sie tanzen den „Rheinländer" in schönster Harmonie. Nun schweigt die Musik. Die Paare gehen plaudernd aus und ab. Edy ist aus dem Zimmer geschlüpft in den Sa lon; sie hängt den weißen Pelzkragen um die Schultern und öffnet die Bal konthür. Es ist zum Ersticken schwül; sie muß ihre brennenden Wangen küh en. Der Soldat unten auf der Straß, erkennt die helle Gestalt aus dem er leuchteten Hintergrund. Er schaut zu ihr einpor wie zu einer Lichterscheinung. Jubeln, jauchzen möchte er! Es ist ihm wie ein Beweis für die geheim« Magie der Liebe, daß sein Mädchen sich ihm zeigt, daß sie wie von einer Ah nung getrieben herunterblickt auf di« nächtliche Straße. Aber während er steht und starrt, wie anbetend, tritt neben die Lichter fcheinung ein Schatten; eine dunkle Minnergestalt. Der Maler oben flüstert in Edy» Ohr: „Bitte, bitte! Zum Abschied!" und neigt sich zu ihrem heißen Gesicht herab. „Aber, gehen Sie doch, der Po sten sieht herauf!" wehrte sie ab, ohne Kraft. „Ah bah, der Posten!" lacht er und küßt sie heiß und lange auf d'.e Lippen, die nicht widerstreben. Nur ein flüchtiger Moment. Aber für den Mann da unten ist die Lichtgestalt plötzlich schwarz und häßlich geworden; sein Paradies ist ihm fortge löscht. zertreten. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht ' huscht Edy wieder zurück in den Salon. Sie ahnt ja nicht, daß sie in dieser leichtsinnigen Minute ein Lebensglück verscherzt, eine glänzende Zukunft über den kleinen Balkon hinaus geschleudert und, was noch mehr ist, ein treue», warmes Herz verloren hat. Droben tanzen sie; drunten wird der Posten abgelöst; sein Schritt hallt durch die Straße. Einmal blickt er zurück: dort bei dem Schilderhaus liegt ein Alück begraben. ZurEoncurrenz der hei ligen Röcke wird aus Paris geschrieben: „Der Ruhm und auch wohl der reiche Srtrag in klingender Münze, den die Schaustellung des heiligen Rockes von Trier einbringen, haben die Hüter des heiligen Rockes von Argenteuil nicht schlafen lassen. Heute zum letzten Male ist die Schaustellung dieses RockeS, „den Christus trug, als er gekreuzigt wurde", in der „bescheidenen" Form verlaufen, wie bisher. Vom nächsten Jahre ab soll dem Trierer Rock Concurrenz ge macht werden. Man will zu dem Zweck eine ganz neue „Geschichte" des heiligen Rockes ausarbeiten, auch soll er geflickt und in seiner ursprünglichen Länge von 1.45 Meter hergestellt werden. Ein kostbarer Reliquienschrein, in dem er in ' Zukunft aufbewahrt werden soll, ist schon in Arbeit gegeben, und damit da» Interesse erhöht werde, soll auch hier fortan die Schaustellung nur alle sieben Jahre stattfinden. Die nächste Aus stellung ist sür den 10. August 1393 festgesetzt, „als Erinnerung des Tage» und der Stunde, da Karl der Große in das Dorf Argenteuil einzog und seiner Schwester,- die damals Äebtifsin des Klosters war. den heiligen Rock über brachte." Wie werden sich nun Argen teuil, Rom und Trier über die Frage einigen?" Ans der Schult. Lehrer (den „Tell" erklärend, liest): „Also Stauffacher spricht hierzu seinem Weib: „Nach Uri fahr' ich stehn'den Fuße» gleich!" Wer kann mir sagen, was hier stehn'den Fvße» heißt?" Fritz: „Vierter Klasse!" Gaunerstolz. Richter: „Sie geben an, in betrunkenem Zustand die That ausgeführt zu haben ? Das glaud' ich Ihnen einfach nicht!" Angeklag ter: „Warum denn nicht, Herr Richter? Glauben S', ich hätt' mich fangen las sen, wenn ich nüchtern gewesen wäre!" Geduld undLangniuth gelten oft für Schwäche, während st« der Ausdruck höchster K»«ft sind. 3