Ei» Verbreche«. (10. Fortsetzung.) 25. Die Nachsorschungen, welche Sir John über den italienischen Flüchtling Sant Alban anstellte, ergaben einige interessante Thatfachtn. Einige Bekannte des Barons erinner ten sich des excentrischen Italieners noch sehr wohl. Signor Sant Alban hatte als Ver bannter in London von einer Pension gelebt, welche ihm sein älterer Bruder, der Gras Sant Alban, ausgesetzt hatte. Letzterer hatte sich nie um Politik be kümmert und lebte ruhig auf seinen Gütern. Ter Flüchtling aber hatte sich wäh rend seiner Verbannung so sehr an England gewöhnt, daß er auch später - London blieb, nachdem Victor Ema nuel König geworden war und ihm so mit die Rückkehr nach Italien offen stand. Er blieb unverhe!raihet und starb in Paris während eines Besuches dieser Stadt. Ein alter Bekannter von Sir Huntcr war mit dem verstorbcnen Ita liener befreundet und hatte ihn oft be sucht. Er erinnerte sich eines Knaben, den er oftmals bei demselben angetrof fen hatte, mit einem feine», ausdrucks volle» Gesicht, welchen der alte Italiener seine» Zigeuner nannte. Ter Kuabe war von Signor Sant Atban irgendwo als ein Modell für ein Gemälde angenommen worden, und da dem alte» Italiener das offene und in telligente Wesen des Knabe» gefiel, so hatte er sich bemüht, ihn seiner vaga bondirendcn Existenz zu entreißen und ihn zn erziehen. Was aus dem Knaben geworden sei, konnte Sir Johns Freund nicht sagen. Beim Tode seines Wohlthäters hatte er wahrscheinlich alle Unterstützung verlo ren, denn der alte »Herr besaß tein eigenes Vermögen und lebte nur von der Pension, die sein älterer Bruder ihm ausgesetzt hatte. Durch diese Mittheilungen wurde Manches aufgeklärt. Man tonnte daraus schließen, daß Mr. Saint Alban ein Mann von dunkler Herkunst war. welcher den Namen seines Beschützers angenommen und nur etwas dem eng lischen Sprachgebrauch angepaßt hatte. Denn es schien jetzt außer Frage zu stehen, daß der verschwundene Fiiianz inann mit dem ehemalige» Zigeuner kiiaben identisch war. Auch die geheimnißvolle Beziehung zu den Stanleys fand hierdurch ihre Erklärung. Jacob Stanley war, wie Tom Bru sel entdeckt hatte, Zigeuner. Es konnte also wohl sein, daß der Knabe, welchen der alte Italiener protegirte, seinen Ursprung und seinen Jugenderinnerun gc» nicht ganz vergessen hatte, und daß er bei zufälligem Zusammentreffen mit dem Zigeuner Stanley in Manchester die Bande erneuert hatte, welche die Glieder des ZigeunerstammeS verbin den. Dadurch konnten, wie schon gesagt, die Beziehungen, welche zwischen Saint Alban und der Frau des Sträflings bestanden, erklärt werden. Aber diese natürliche Erklärung war sür Robert Power.sehr unbefriedigend und machte ihn um so begieriger, nach Dartmoor zu eilen. Sobald die Verhandlung gegen Eharlotte Duvivier beendet war. verabschiedete er sich von seinen Freun den und machte sich aus dcu Weg. Sir John bestand darauf de» fran zösischen Exbürgermeister von Sand dank mit sich zu nehmen. Duvivier war ganz gebrochen. Trotz»AUem, was man ihm sagte, hatte er sich doch mit der eitlen Hoffnung geschmeichelt, daß die Anklage gegen seine Nichte sallen werde; der Ausgang der Verhandlung war daher ein sehr schwerer Schlag für ihn. Jetzt tobte er über englischen Eigen sinn, englische Ungerechtigkeit und eng lische Brutalität und verwünschte de» Jag, an dem er'seiner Nichte erlaubt hatte, den Boden des persiden Albion zu betreten. Sir John hielt es daher für das Beste, daß er Sandbank verlasse und mit Duvivier nach London gehe. ES war wenig mehr zu thun, als geduldig während der Zeit zu warten, die bis zu der von ihnen gehofften endgültigen Freifprechung Charlottens hingehen mußte. Baron Hunter hatte seinen Einfluß angewendet, um die Lage des jungen Mädchens im Gefängniß erträglicher zu machen. Er befaß mächtige Freunde und scheute sich nicht, sie zu diesem Zweck in Anspruch zu nehmen. Sir John besaß ein Haus in der Nähe des Hyde-Park, und dahin sührte er Monsieur Duvivier. Der gutmüthige Baron war weit davon entfernt, den feltfamen Zwischenfall vorauszusehen, welchen seine freundschaftlichen Gefühle für feine» französischen Freund herbei führen sollten. Der alte Franzose verbrachte seine Tage sehr trübselig, ging nur wenig «ins und hielt sich hartnäckig von allen Zerstreuungen fern. Abends saß er im Salon bei Sir John und Lady Hunter. Eines Abends einige Tage nach 'seiner Ankunst in London blätterte Monsieur Duvivier gedankenlos in einem Pliolographiealbum der Lady Hunter und wandte die Bilder, die ihm Hanz sremde Perionen darstellten, eines nach dem andern mechanisch um. Plötz lich erhob er den Kops. „Diesen hier kenne ich!" sagte er. Ich täiische mich nicht, das ist er!" „Haben Sie Jemand erkannt, Mon fieur Tuoivier?" sragte Lady Hunter mit sreundlichem Lächeln. „Wer könnte das fein?" Sie verließ ihren Platz und näherte sich dem alte» Herrn, welcher mit dem Finger auf eine Photograph» deulete. „Das ist ja Mr. Saint Alban!' sagte Lady Hunter erstaunt, „und hie, neben ihr ist seine Frau." „Saint Albcw?" sagte Monsieur Duvivier ganz verwirrt. „Aber ich habe Monsieur Saint Alban nie ge sehen, und eS ist nicht möglich, daß ich ihn kenne. Dieser da, von dem ich spreche, ist eine Person, Namens Cour tin, welchen ich vor einigen Jahren in Frankreich gesehen habe." „Nicht möglich!" rief Sir John auf springend und trat näher, um einen Blick auf das Album zu werfen. „Nein, Sie irre» sich! Dieser Mann ist, wie meine Fran sagt, Air. Sainl Alban, derselbe Mensch, welcher —aber Sie wissen ja." Duvivier starrte das Portrait mit ängstlicher Spannung wieder an. Gott," erwiderte er, „ich irr« mich keineswegs, das Bild ist zu vor züglich: es ist Courtin und kein Ande rer! Ich würde ihn überall erkennen." „b'onrtin? Courtin? fragte Sir John Huntcr, erstaunt über Duvivier- Beharrlichleit. „Was erinnert Sie an irgend einen Courtin, während doch Saint Albans Portrait vor Ihnen liegt? Ich sage Ihnen, >sie müsse» sich irren! Wahrscheinlich täuscht Sie eine Aehnlichkeit!" „Dies ist unzweifelhaft Mr. Saint Albans Photographie," sagte die Ba ronin, „er gab sie,unS erinnerst Tu Dich, mein Lieber? im letzten Som mer, Alle im Marinehotel wohnten. Nein, halt! Ich irre mich nicht, er hat sie uns nicht gegeben, son dern seine Frau. Jetzt erinnere ich mich, daß ich ihr die meinige und auch Deine dagegen gegeben habe." „Nu», ich kann Ihnen nur sagen", ex»' widerte der alte Herr, „daß Ihr Mon sieur Saint Alban derselbe Courtin ist. den ich in Frankreich kannte. Ich bin nicht im Geringsten im Zweifel, das Portrait ist ausgezeichnet. Es ist Cour tin, wie er leibt und lebt! ES ist nicht möglich, daß zwei Menschen einander so vollkommen gleichen." „Aber was war dieser Courtin?" fragte der Baron nachdenklich. ,!Taz ist eiire eigenthümliche Ge schichte, und deshalb erinnere ich mich dieses Aknschen so genau", erwidert« der Bürgermeister von Ronen, „sie be ginnt in den Tagen unseres verhäng nißvollen Krieges mit Deutschland. „Ich werde Ihnen die Geschichte er zähle» und dann müssen wir nach Frankreich, um dem Schurken nachzu spüren." Der Baron gab seinen Dienstboten einige Aufträge, sandte einen Brief an Norfolk und bereitete Alles vor. um am nächsten Morgen mit Monsieur Duvi vier nach Frankreich abzureisen. Ob gleich der Baron nicht an Schlaflosigkeit litt, sondern eine kräftige Gesundheit besaß, hielt ihn doch die seltsame Wen dung, welche die Ereignisse genommen hatten, die halbe Nacht wach. Je mehr er nachdachte, um so fester war er davon überzeugt, daß Courtin und Mr. Saint Alban identisch wären. Der Zigeuner knabe, welchen der italienische Flücht ling erzogen hatte, war ohne Zweifel seinem Wohlthäter nach Frankreich ge folgt und nach dem Tode desselben aus feine eigene Krast angewiesen geblieben. Er hatte Beschäftigung gefunden und war nach TonrS gekommen, wo er sich verheiratheie. DaS Uebrige mußte sich durch Nachsorschungen in Tours selbst aufklären. Jedenfalls hatte man jetzt eine wichtige Spur in Bezug auf Saint Alban'S Vergangenheit, die sofort ver folgt werden mußte. Die Stunde der Abreise kam endlich, und Sir John suhr mit Duvivier nach dem Bahnhof. Ein Herr mit buschigen Augenbraunen und scharfen, grauen Auge» erwartete sie dort, welchen der Franzose erkannte und dem Baron als Monsieur Brusel vorstellte. Aber Mister Brusel hatte noch etwas Besseres zu seiner Empfehlung, als diese Vorstellung.' Ein Brief von Mister Norfolk, den er übergab.' sprach die Meinung auS, der Dctectiv würde Ihnen ein nützlicher Begleiter sein. „Wenn eS Jhnen recht ist, Sir", sagte der Letztere, „so werde ich mich Ihnen anschließe«!. Zwei Köpfe sind besser, als einer, sagt mau. und drei sind besser als zwei, und sechs Fäuste schaffen mehr als vier und Niemand kann sagen, ob unsere Fäuste nicht auch noch nützlich sein werden." Sir John, dem ein gewandter Mann stets willkommen war. nnd der Tom Brusel aus den ersten Blick richtig be urtheilte, nahm das Anerbieten dessel ben mit Vergnügen an. 27. Wer in Plymonth früh aufsteht, ficht oft Schaaren glatt rasirter Män ner, welche an einander gekettet find. Solche Gruppen kommen häutig mit der Eisenbahn auf dem Bahnhof an und nehmen nach kurzem Autenthalt ihre Plätze in einem großen, düster aus sehenden Omnibus ein, welcher von finster dreinschauenden Wächtern be gleitet wird. Die Einwohner von Ply mouth sind an diese» Anblick gewöhnt und achte» wenig auf diese Reisenden. Es sind Sträflinge, welche in das Ge fängniß von Dortmoor abgeliefert wer de»! das auf einer Anhöhe, etwa zwei taufeud Fuß über deni.Spiegel des Meeres liegt. Es ist ein düsteres Ge bäude, das rings von einer Einöde um geben und fast das ganze Jahr über in trübe Nebel eingehüllt ist. Wenn ein Sträfling in das Gefängniß von Dort moor eintritt, so gelten DanteS Worte („Laßt alle Hoffnung hinter euch.") Es gibt keine Aussicht aus Flucht und keine Hoffnung für ihn, bis seine Zeit um ist; nur durch gute Führung kann er dieselbe ablnrzen. Dortmoor ist eine. Welt für sich: Leute aller Stände, aller Typen sind in seinen Mauer» zu finden. Jeder Sträfling ist nur unter feiner Nummer bekannt, aber wenn man den Namen zu der Nummer fügt und die Geschichte zu dem Namen welch' eine Mannigfaltigkeit ergibt sich dann hier! Zum Besspiel Nummer 25,730. Seine äußere Er scheinung ist nicht im geringsten ver schieden von der seines Nachbars in der nächsten 25,731. Beide tragen diesel ben Mützen und Jacken, die mit einem breiten Pfeil gezeichnet sind, beide tra gen dieselben rauhen Strümpfe und Stiefel, beide führen dasselbe Sträs lingSlebe» und gehorchen denselben Vor schriften, und doch, welch' eine Kluft liegt zwischen der Vergangenheit dieser beiden! Der eine ist ein geborener Ver brecher, sein Bater war ein Dieb, seine Mutter vielleicht auch, er ist im Laster ausgewachsen, zum Verbrecher erzogen worden und im Gefängniß vollständig zu Hause. Sein Nachbar Nummer 25,73 l ist dagegen ein Neuling. Vor noch nicht langer Zeit war er ei» gut aussehender, hoffnungsvoller Jüngling mit rosigen Wangen und einem herzlichen Lache», der im Wohlleben aufwuchs und die Freude feiner Eltern und Verwandten war. Aber seine Genußsucht brachte ihn auf böse Wege und in schlechte Ge sellschaft, und hier büßt er für die Thor heiten einer tollen Jugend. DaS Leben der Wächter und Solda ten ist wenig verschieden von dem trüb seligen Dasei» der Gefangenen. Die selben Nebel verdüstern ciuch ihre Exi stenz, dieselben kalten Windstöße blasen auch ihnen ins Gesicht, auch sie haben sich einer strengen Disciplin zu unter werfen. Unverheirathete Wärter woh nen beisammen, sie haben ihr Lesezim mer, ihr Billardzimmer und eine mit Sand bestreute Wirthsstube, aber eS ist im bestm Füll ein melancholisches Da sein. Die Unterhaltung dreht sich mei sten« um Erlebnisse im Gefängniß, um die Schlauheit Bosheit und Intriguen der 'Verbrecher und die Eifersucht der Angestellten, welche die gute Meinung ihrer Vorgesetzten zu gewinne» strebe». Auch über ihnen liegt der Schatten des düsteren Gefängnißdaseins. Eines Nachmittags, früh im Novem ber trat Robert Power in das düstere Gebäude ein, mit einem Brief von Mister Norfolk, der ihn dein Tirector des Gefängnisses empfahl. Dieser em pfing ihn mit militärischer Kürze und wies ihn an eine» Oberaufscher, eine» plumpen Jrländer. welcher unter so schwierigen Verhältnissen immer noch etwas von seinem nationalen Humor bewahrt hatte. Tielem war die Ver anlassung zu Roberts Aufenthalt i» Dortmoor mitgetheilt worden. „Gut, gut. mein Sohn." sagte her Jrländer, „kommen Sie mit mir. wir wollen Jhnen gleich Ihre Arbeit an weisen. Wir wollen einen hübschen, niedlichen Gefängnißaufsehcr aus Ihnen machen; wir haben eine Uniform, die Ihnen passen wird, wie ein Handschuh. Sie werden der Adoiiis von Dortmoor sei»! Ich weiß, warum Sie gekommen sind, aber, merken Sie sich: nichts gegen die Borschrift. Ich habe strenge Ordre, darauf zn sehen, und es wird nicht gut für Sie sei», wenn Sie sie verletzen." Der Oberausseher meinte dies wirk lich. wie er sagte, aber in seinen freund lichen Augcn war zu lesen, daß er im Grunde ein vortrefflicher Bursche sei, auf dessen guten Wille» innerl) „Warum gehen Sie denn nicht ins Spital?" sagte Robert. .Das wäre besser für Sie." Ter Sträfling schüttelte den Kopf. .Das Spital kann mir nicht helfen, was ich brauche, ist frische Luft und Befreiung von meinen Sorgen! Die nagende Sorge ist schlimmer, als alles Andere." „Wa-Z haben Sie für Sorgen, da Sie nun doch einmal im Gefängniß sind, wo Sie Alles, was zum Leben nöthig ist, erhalten?" Wieder schüttelte Stanley den Kopf. „Das ist es nicht." sagte er. „aber der Gedanle an meine Frau drückt mich schwer, und ich kann ihn nicht auS den Sinn bringen, Ich weiß. Sie sind kein Freund von mir. Herr Doctor. aber Sie würden trotzdem Niemand mehr Elend wünschen, als ich zu ertra gen habe!" „Wollen Sie damit sagen, daß Sie sich um Ihre Frau gramen?" fragte Robert. Stanley nickte. „Um sie,gräme ich mich. Ich hätte schon vor wenigstens vierzehn Tagen ihren Brief erhalten sollen, aber der schielende Jim. der Aufseher in der Werkstatt, hat einen Groll gegen mich und zeigte mich an. Ich verlor zwölf gute Noten und die Aussichten, Nachrichten von meiner Frau zu erhalten." Ter Sträfling bedeckte sein Gesicht mjt den Händen. Seine Gedanken waren weit entfernt, bei der Frau, von der er getrennt war, nnd an welcher er zu hängen schien. Robert Power be mertte dies wohl, nnd sah deshalb vor aus, daß Stanley nicht schwer zu be handeln sein werde. Bei seiner Nieder geschlagenheit tonnte ein freundliches Entgegenkommen augeuicheinlich von bester Wirkuug sein und der junge Sergeant war um so mehr daz-u ge neigt, als er in Wirklichkeit von dem traurigen Blick des Mannes gerührt war. „Was würden Sie sagen." begann Robert nach einigen Minuten langsam. ..wenn ich Ihnen Nachrichten vonJlxer Frau geben könnte?" „Sie?" ries der Zigeuner mit fun kelnden Augen. Robert nickte. Aber ein Verdacht stieg in dem Sträf ling auf. „Sie wollen mich ausfor schen!" sagte er finster. „Sie sind ge kommen, um Ihre Rache zu kühlen, das weiß ich." „Nein. Stanley," erwiderte Robert, .ich bin nicht so grausam, wie Sie glauben. ES gab eine Zeit, wo ich Sie für Ihre Schändlichkeit hätte erwürgen können, aber das ist vorüber. Ich bm durch langes Nachdenken zu dem Schluß gekommen, dag Sie verleitet wurden, inir zu schaden, denn Sie selbst konnten keinen Haß gegen mich haben, da ich Ihne» nie etwas BöseS that." Der Zigeuner nickte, schwieg aber noch immer argwöhnisch. „ES ist die Wahrheit, was ich Ihnen sagte, ich kann Ihnen Nachricht von Ihrer Frau geben," suhr Robert fort, .ich habe sie gesehen." „Sie haben sie gesehen?" fragte Stanley mit zitternder Stimme. „Und ich weiß, wo sie wohnt." „War sie, war siegcsund, als Sie sie sahen?" „Ich konnte nur einen flüchtigen Blick nach ihr werfen, sie schien gesund zu sein, aber ich glaube tqum, daß sie in günstigen Verhältnissen lebt." Der Sträfling stöhnte. „Ich hätte vor vierzehn Tagen einen Bries erhalte» sollen, und jetzt liegt er da rmd ich darf ihn nicht lesen! Das ist genug, um einen Menschen zur Ver zweiflung zu bringe»!" rief er mitZor »eSgluth auf feinem bleichen Gesicht. „Man hätte m» Alles anthun können, Dunkelarrest, Brot und Wasser, oder Schlasen in Ketten daraus hätte ich mir nicht viel gemacht, wen» sie mir nur erlaubt hätten, den Bries zu lesen! Hören Sie, Herr Doctor, spreche» Sie wirklich im Ernste?" sragte er, während seiu alter Verdacht wieder erwachte. „Sie wollen einen armen Teufel nicht unglücklich machen? Ha ben Sie sie gesprochen?" „Nein", erwiderte Robert, „ich habe sie nnr einen Augenblick gesehen, ohn' daß sie mich bemerkte." „Wo war das?" „In der Dangerfieldstraße. gegen über Saint Albans Haus." „Sie ist zu ihm gegangen", mur melte Jacob Stanley vor sich hin, „nun. dann wird es ihr jetzr besser gehen." Diese Mittheilung schien ihn etwas zu trösten, und er sah etwas heiterer aus. „Sie haben mich sehr erfreut, Herr Doctor," sagte er, „jetzt ist mein Kops etwas leichter geworden, da ich weiß, daß sie lebt und gesund ist. Sie ist keine starke Frau, und harte Arbeit würde sie bald zu Grunde richten. Aber jetzt wird sie nicht verlassen sein," murmelte er getröstet, „man wird ihr helfen und sie vor Noth schützen." „Würden Sie glücklicher sein, wenn Sie den Bries Ihrer Frau erhielten?" fragte Robert nach einer Weile. würde die ganze Welt dafür geben!" erwiderte der Zigeuner leb haft. „Nun, ich will nichts versprechen, aber, wenn Sie sich gut führen," sagte Robert, „werde ich versuche», ihn sür Sie herauszubekommen jedenfalls will ich für Sie sprechen." Der Sergeant hielt die Unterhaltung für einen Tag sür genügend. Es war verboten, mit den Sträflingen zu sprechen, und er durfte sich nicht zu viel auf die Nachsicht des Oberauffehers verlassen, deshalb öffnete er vorsichtig die Zelle und trat hinaus. Der Zigeuner sah ihm mit seltsamen Blick nach. „Sie wollen mich nicht noch unglücklicher machen?" sagte er. „Sie sehen wie ein guter Mensch aus. aber ich kann an mein Glück nicht glau ben. Es wäre gegen die Natur, wenn Sie mir Gutes erweisen wollten. Es ist auch wider die Natur," widerholte er kopffchüttelnd, „denn ich verdiene es nicht von Ihnen." Aber Robert war bereits verschwun den, ehe Stanley sein heiseres Flüstern beendet hatte. In der Einsamkeit seiner Zelle bedeckte der Sträfling sein Gesichl mit den Händen und versank in tiefes Nachdenken, bis das Signal gegeben wurde. daS öie Gefangenen wieder zu, Arbeit rief. 29. Einige Tage vergikigen, aver Robert Power fand das Leben im Gefängniß nicht tiiitörmig. Wenn ein Mann einen bestimmten Zweck vor sich hat. läßt er sich nicht von Unbequemlichkeit und düsterer Umgebung ansechten. Außerdem hatten der Ort und die Sce nen. die er täglich sah. einen gewissen Reiz der Neuheit sür ihn. Er hatt« sich in seine Pflichten sehr bald einge lebt und feine Intelligenz, sein Gleich muth und seine Pünktlichkeit erwarben ihm den Beifall von Mr. O'Connor, dem Oberaufseher. Er lernte auch noch viele ander« Sträflinge außer Jakob Stanley ken nen. unter denen sich auch die beiden Einbrecher befanden, deren Ergreifung er bewirkt hatte. Diese erkannten ihn sofort. Es wa ren Leute von ziemlich heiterem Wesen und sie begrüßten Robert mit über raschender Freundlichkeit. Sie sagten sich, daß er seine Arbeit gethan habe, ebenso wie sie die Ihrige—alles geschäfts mäßig und daß das Geschick gegen sie entschieden habe. Einer derselben rief sofort, als er Robert erblickte: „Halloh. Sergeant, sind Sie es? Das ist eine angenehme Ueberraschung! Wi« geht eS Ihrer Schulter? Hoffentlich ist sie nicht für die Dauer beschädigt." Der Andere grinste von einem Oh, zum andern und tanzte umher, bis er hierbei durch den raschen Eingriff eines Aufsehers unterbrochen wurde, der ihn beim Kragen nahm und in seine Zelle sührte. Aber da die Beiden außerhalb des Gekängnisses beschäftigt wurden, sah sie Robert selten. Er hörte jedoch, daß die Burschen viel zu schassen mach ten und den Aufsehern, welche die un dankbare Aufgabe hatten, sie zu be wachen, viel Mühe und Verantwortliche teit verursachten. Er kam auch noch mit anderen Stnif lingen in Berührung. Leute, die er zu seinem großen Erstaunen hier wieder fand, deren Namen ihm in früheren Jahren wohl bekannt gewesen und welche beschämt ihre Köpfe senkten, als sie ihn erblickten. Inzwischen besserte flch der Zustand Stanleys. Robert hatte mit dem G:- fängnißarzt gesprochen und ihm drin gend vorgestellt, daß etwas für den Mann geschehen müsse. Demzufolge wurde Stanley mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Die frische Lnst, nach der er so sehr verlangte, und deren Entbeh rung seine Gesundheit so geschädigt hatte, wurde ihm zurückgegeben. Ta er sür die Arbeit im Steinbruch zu schwer war. andererseits aber, wie die meisten Leute seiner Rasse, mit Pferden und Rindvieh umzugehen wußte, so wurde er in die Abtheilung mit rothen Kragen versetzt. Diese ist eine bevor zugte, welche mit landwirthschasllichen Verrichtungen beschäftigt wird. Schon einige Tage genügten, um eine merkwürdige Veränderung in ihm hervorzubringen. Er erlangte seinen Appetit wieder, faßte Muth, und sein hohles Geficht sah runder und weniger geisterhaft aus. wtanley wußte natür jich, wer diese Veränderung veranlaßt hatte, und war Robert dafür sehr dank bar. Endlich kam der Tag, an welchem er den zurückerhaltenen Brief bekam. Robert war nicht zugegen, als er ihn erhielt, aber er sah Stanley noch am Abend. Der Sträfling war blaß vor Wuth. „Halloh!" sagte Robert, „was ist mit Ihnen? Ter Brief scheint Ihnen nicht zu gefallen?" „Ter Schurke!" rief Jakob zur Ant wort. „Er läßt sie verhungern! Sie kann nichts von ihm erlangen und ver hungert, sage ich Ihnen!" „Verhungert? Wer läßt sie verhun gern?" fragte Robert. „Nun er, der Mann, der verpflichtet wäre, ihr und mir bciznftehen." „Wen meine» Sie damit?" Jakob Stanley ging in seiner Zelle auf und ab und murmelte erregt un verständliche Worte in der Zigeuner sprache. „Ich bin mit ihm fertig!" rief er, die Faust schüttelnd, „wir find geschieden! Sie sind ein wirtlich guter Mensch, Herr Doctor, und ich werde thun, was Ihnen gegenüber recht ist. Der Mann, der mich und Bessy, meine Fran, ver anlaßte», Jhnen zu schaden, war Char ley, derselbe, der mein Spielkamerad war. als wir noch kleine Jungen wa ren. Verflucht soll er sein!" „Was schwatzen Sie da?" sagte Ro bert, obgleich er wohl ahnte, wer die Person war, der Stanleys Wuth galt. „Ich kann Jhnen nur sagend daß jener, derjenige, der uns verleitete, kein anderer ist, als der, welcher Saint Alban heißt." „Saint Alban! Das wußte ich, da mit sagen Sie mir nichts Neues! Ich hatte schon einige Zeit Verdacht auf ihn." .Ja, das ist der Mann", fuhr der Zigeuner sort, ..verflucht sei er! Ich wünschte, ich hätte ihn nie gesehen, sein Geld hat mir nur Unglück gebracht! Wenn er nicht wäre, so säße ich jetzt nicht hier!" In seinem Zorn war Stanley au genscheinlich abgeneigt, sein Geheimniß zu verrathen. Robert hatte es bisher unterlassen, ihn dazu zu drängen, da er fühlte, daß es noch nicht an der Zeit war, jetzt wollte er den günstigen Zufall benutzen. „Sehen Sie, Stanley," sagte er, „dieser Bursche, dieser Saint Alban hat mich ruinirt, er hat auch Sie ge schädigt und ist zu allem fähig, wie ich sicher weiß. ES gibt keinen abscheu licheren Schurken auf der Welt, auch nicht in diesem Gefängniß. Sie hoff ten wahrscheinlich, daß er als Be lohnung sür Ihre Dienste für Ihre Frau sorge» werde, so lange Sie im Gefängniß sind. Aber es ist ganz ver gebens, wenn sie sich auf ihn verlas sen, dieser Mensch hat kein Herz und ist gegen niemand ehrlich!" „Das sagt auch meine Frau," erwi derte der Sträfling. „Aber ich muß meine Rache haben!" rief er in einem neuen Wuthausbruch. „Wir wollen einen Handel schließen," fuhr Robert sort. „Was wollen Sie mir dasür leisten, wenn ich Jhnen ver spreche. Ihrer Frau zu helfen und da für zu sorgen, daß sie keine Noth leidet, so lange Sie hier sind?" „Dafür winde ich alles thun!" rief Stanley lebhaft, „alles! Dieser Brief von ihr hat mein Herz gebrochen! Sie sagt nicht viel darin, aber ich weiß, er hat sie ihrem Schicksal überlassen. Arme Bessy! Sie ist nicht von unserm Volk und hat keinen Freund in der Welt außer mir. Ich habe sie auch zu dem Unrecht verleitet, ich schwöre es auf meine Seele, daß sie von Ansang bis zum Ende dagegen war. Sie that es nur, weil ich eS so haben wollte." „Nun also, sagen Sie mir Alles der Wahrheit gemäß, baun werde ich mein verspreche» halten, so gewiß, als ich ein ehrlicher Mann bin," sagte Robert ernst. „Und Sie versprechen mir, daß Sie Bessy nicht in Unannehmlichkeiten brin gen werden, wenn ich Jhnen Alles sage, und Ihnen den Weg angebe, um es zu beweisen?" sragte Stanley ängstlich. „Ich habe nichts gegen Ihre Frau, sie war nur das Werkzeug, aber den Diann selbst muß ich treffen." „Gut. gut." sagte Stanley, „meine Aussage gegen ihn wird nicht viel gel len. aber meiner Frau, und sie hat die Macht, ihn zu treffen." Das war eine erfreuliche Neuigkeit für Robert; er beherrschte jedoch seine Freude. (Fortsetzung folgt.) Aus Erfahrung. Princi pal (zum Eommis, der ihm gelündigt hat): „Sie wollen wirklich Heirathen?" Comniis: „Ja. Herr Principal.weil ich mich seldstttandig machen mochte!" Principal (mit einem Seitenblick auf feine Frau): „Und da wollen Sie hei ralhen?!" Beurtheil» niemals ei nen Menschen nach einer guten That — aber auch nicht nach einer schlechten. »ie Rach« de« DaS Regiment war mit Sack und Pack zur nächtlichen Felddienstübun» ausgerückt; ein Halb-Bataillon versah den Vorpostendienst und obwohl man jeden Augenblick auf das Anrücken veZ „markirtcn" Feindes gefaßt war unl» den Feldwachen angesichts der nahen Gefahr selbst das Rauchen verboten hatte, war vom Feinde immer noch nichts z» eripähen. DaS Verweilen der Truppe in der Nähe seines Gehöfte» sich zu Nutze machend, schlich der „Waldwirth" sich mit einer Hunde suhre an die Vorpostenlinie.heran und verkauste heimlich den hungernden und durstenden Marssöhne» den mitgeführ te» Vorrath an Bier, Schnaps und Hottehü - Würstchen. Die Leute der Feldwache No. 1 hatte er bereits ge stärkt, da, im Begriff, den Rest seiner Waare bei der Feldwache No. 2 abzu setzen, siel er dem gestrengen Herrn Vorposten - Commandeur in die Arme, der ihn stellte, einem Verhör unterzog und ihn dann aus der Vorpostcnkette hinausbefördern ließ. Mit der Hälfte seines KramS heimkehrend, schwor der Pfeudo-Marketender dem Herrn Major grimmige Rache. Einst selbst Soldat gewesen, versicl er aus folgende Idee. Er bewaffnete sich mit einigen beim letzten Feuerwerk nicht mehr zur Ver wendung gekommenen „Fröschen", schlich sich abermals an die Vorposten heran und brachte in einiger Entfer nung vor der Front der Posten die FeuerwertSkorver zur Explosion, dann stahl er sich schnell wie der Wind davon. Die Wirtnng war eine glänzende. Der Knall rief bei der lagernden Truppe die Wirkung hervor, daß der Feind ar»> greife; einzelne Schüsse sielen, bald aber wurde es auf der ganzen Linie mobil, Eommandoruse ertönten, das Feuer wurde verstärkt und was daZ Wunderbarste war nun zeigte sich auch der wirkliche, d. h. markirte Feind. Diesen! Zufall verdankt es der Frevler. >aß dem gestrenge» Herrn Commandeur )ie eigentliche Ursache des Alarms ent jing. Die rechte Flügelfeldwache frei lich hat den Braten gerochen und den rachsüchtigen Waldwirth hinterher tüch :ig ausgelacht. Anztigeblüthtn. Der „Hannover'sche Courier" hat lus Zeitungsannoncen folgende Blu tenlese gesammelt: „Ehrenerklärung! Hch nehme die seither verbreiteten lügen haften Gerüchte gegen Amalie P. zurück znd erkläre sie sür ein schönes, mittel iltes, ehrenhaftes und unbescholtene? Frauenzimmer. Oberlaak 27» wer >en Hühneraugen, Ballen, sowie Ueber deine nach Maß ausgearbeitet. We zen Krankheit der Frau wird zu sofort :ine andere oder ein Mädchen in Mo liatsdienst gesucht. —Gesucht: Ein vor nehm und gesund aussehender Herr, im den „geheilten Patienten" im Wartesaal eines Arztes darzustellen. —- Keisende, welche geneigt sind, die sämmtlichen Militärtuche der preußi lchen Armee nebenbei mit auf die Reise !U nehmen, werden gebeten, ihre Adres sen nebst Bedingungen sub X V 55 ab >ugeben. In Langenfalza sind in »er Enggasfe No. zu verkaufen: acht Zentner Scchswochenkartoffeln. neun Meter Spalier und zwei Spalier ihüren, ein großes Faß mit eisernen keifen, sechs Bohnenstangen, eine Hundehütte, Runkelkerne und verfchie zene Gemüsesämereien, Alles keimfähig. Warnung. Das Gerücht, ich hätte :ine Frau mit zwei lebenden Kindern, varne ich einen Jeden, solches weiter »uszusagen oder zu verbreiten, da ich i,lches auf's Strengste gerichtlich ver folgen werde. Daß ich solche gehabt habe, leugne ich nicht, aber lasset sie luhen. Rosen- und Blumenstöcke in ltder beliebigen Größe sind vorräthig und werden aus Wunsch angefertigt. Milch- und Badekurort! Nach selbstge prüften Erörterungen ist derOrtMüN' henbernsdorf reich an Sauerstoff und Stickluft, wie zur Heilung für Lunge »nd Leber und Zersetzung des Blutes lußerordentlich ergiebig. Es werden hierdurch geehrte Reflektanten aufge fordert." Biertrinker» Trost» Wenn ich d'rüber nachstudir'. Was in unserm braunen Bier, Außer Hopsen und Getreid'. Sich noch sonst macht olles breit: Koklelskörner, Alkohol, Opium und Vitriol, Kalmus, Mermuth, Bitterklee, Wachs, Alaun und Aloe, Pfeffer, Coriander, Zimmt, Schwefelsäure selbst man nimmt, Natron, Kali, Süßholzsast. Farbmalz, Syrup massenhaft Käm' mich fast ein Zweifel an, . Ob der Trank gesund sein kann. Wenn ich nicht zum Troste wüßt'l Daß das Meiste—W qffcr ist. I. Klipp. Der Muster-Gatte. Ich bin als Mustergatte Wohl ziemlich unerreicht: Was sie mir kocht, das ess' ich .Und das ist nicht so leicht!" Doch, daß ich auch ruhig lausche Wenn sie mit Weh' und Ach Mir ihre Verse vorliest: .Das macht mir Keiner nach!" Vor Gericht. .Aber. Herr Richter, warum krieg' ich denn sür die >wei gestohlenen Gänse Heuer zwei Wochen mehr als voriges Jahr? Heuer sind lue Gäns' doch viel billi ger !" Physikalische Erschei. nuiig, Lehrer: „Müller, wenn Sie während eines Gewitters den Rücken ei mr Katze reiben, besonders gegen den Strich, was springt Jhnen da in vi« Luaen?" Schuln: .Dle Kaue!" 3