Die gnädige Fra«. I. Es ist gegen die sechste Abendstunde. Ein seiner, durchdringender Regen fällt bereits seit Tagesanbruch herab und hüllt die gauzeAtmosphäre in feuch te» Nebel. Der nahende Winter kün digt sich diesmal zeitiger an, als sonst; das Unbehagen des unwirthlichen Wet ters theilt sich unwillkürlich der Stim mung der Menschen mit; verdrießlich und sröstelnd eilen sie unter ihren tri«- senden Ütegenschirmen an einander vor über, und begleiten das unvermeidliche Anstoßen der gewölbten Bedachung mit mehr oder minder lauten Verwünschun gen. Denn wer mag bei solchem Wei ter höflich sein? Selbst der Berliner verliert seinen natürlichen Humor, nicht allein wenn er hungrig und durstig ist, sondern auch, wenn er vor Frost mit den Zähnen klappert. Darnm ist der stattliche Herr in mittleren Jahren, welcher eben, vom Schloßplatz kommend, in die Mitte der Stechbahn eintritt nnd hier mit seinem ausgespannten Regenschirm gegen eine ähnliche Schirmwehr stößt, augenschein lich wohl kein Berliner. Denn obgleich bei dem jähen Zusammenstoß sein neuer Schirm tödtlich getroffen zusam menknickt, hat der Inhaber des unglück lichen Schlachtopfers doch keinen Aus ruf des Zornes odcr nur des Un willens. Nicht einmal das naturge mäße „Nanu —!" entringt sich als ein Präludium zu unheilverkündenden Ex- Pectorationen seinen Lippen. Er blickt seinem Gegner unter das Visier des zierlich gebauten Schirmes und bemerkt, daß der Gegner eine Gegnerin ist. Sollte es der bloße An blick sein, der ihn entwaffnet? Die Möglichkeit wäre nicht zu bestreiten. Aus einem zwax nicht regelmäßig schö nen, aber desto ausdrucksvoslere» Ge stüte blicken ihn zwei dunkle Augen keck und herauSsordernd an, und ein paar srische Lippen spitzen sich schon zu einer turzangebundenen Replick, falls der Beschädigte sich bis zu einer lauten Be schwerde über die ihm zugefügte Unbill versteigen sollte. Allein der Fremde scheint nichts der gleichen zu beabsichtigen. Er fixirt die ihm gegenüber stehende Erscheinung einige Augenblicke, läßt ganz flüchtig den Blick an der schlanken Gestalt hinabgleiten, und hat bequeme Gele genheit. unter dem aufgeschürzten Ge wände ein schön geformtes Bein zu ge wahren, welches durch Rundung ersetzt, was ihm an Zierlichkeit mangelt. „Pardon!" Mit diesem höflichen Wort» lüftet e den Hut und geht wei.dr. „ Bitte recht sehr!" Weiter wußte die Schöne in der Uederraschling nichts zu entgegnen, auch kam selbst diese kurze Gegenrede noch zu spät, denn der Herr hatte sich bereits einige Schritte entsernt, und die moderne Diana setzte ihren Weg unbehindert sort, nachdem sie sich noch eiiinial nach dem lakonischen Herrn umgeblickt und sich zu wirksamerem Schutze gegen das unsaubere Pflaster beträchtlich höher geschürzt hatte. Aber wir können ihr nicht folgen, wir Haben den Herrn zu begleiten, welcher sich rechts nach dem Ausgange der Stechbahn wendet. Indessen scheint «s, als sollte er heute aus lauter Hin dernisse stoßen. Diesmal ist es eine am Boden hockende, zusammenkauernde Gruppe, über welche er iu dem Däm merlicht der nur schwach erhellten Pas sage beinahe gestolpert wäre. „Was Teusel haben wir denn hie» wieder?" Damit bückte er sich, um den Gegen stand näher in'S Auge zu nehmen, über den er beinahe gefallen wäre. Aber Kind! Warum bleibst Du bei diesem abscheulichen Wetter nicht zv Hause?" Mit diesen Worten redete er das kleine Mädchen an, welches zusammen gekauert hinter einem der Pfeiler sitzt, und ein Bündel im Arme zu halten scheint. Das Kind blickt aus, unwill kürlich regt es die Arme, und das kleine Packet, das auf feinem Schooße liegt, gewinnt Leben und Bewegung. Ein armseliges, verkümmertes kleines Ge schöpf, nothdürftig in dünne Lumpen eingehüllt, hebt den Kopf empor, ver dreht den Mund zum Weinen, läßt aber, als mangelte ihm selbst dazu die Kraft, gleich wieder den Kopf auf die Brust seiner Wärterin zurück sinke». .Weshalb gehst Du denn nicht nach Hause?" wiederholt der Herr seine Frage. Das Mädchen sieht ihn an. als ver stände es seine Worte nicht, streckt ihm mechanisch die Hand entgegen und ant wortet mit heiserer Stimme: „Einen Dreier, lieber Herr!" Als ihre Bitte nicht sofort gewährt wird, zieht sie das bloße Aermchen wieder un ter das dünne Tuch zurück und bleibt mit gesenktem Kopse in ihrer vorigen Stellung sitzen. Der Fremde ist von dem Anblicke so betroffen, daß er ganz gegen seine milde Gesinnung, der Aufforderung der klei nen Bettlerin nicht sofort entipricht. „Ist das kleine Kind Deine Schwe ster?" sagt er. »och näher zu der Gruppe herantretend. Das Mädchen scheint aus seinem Halbschlummer wieder zu erwachen, aber es antwortet auch diesmal nur mit dem nämlichen heisern Klagelaut: „Einen Dreier, lieber Herr!" 17 „Hast Du Hunger?" fragte der Herr. Das Kind schüttelt sich. „Kalt!" ant wortet es mit zitternden Lippen. „Wo wohnst Du?" der Gartenstraße." „Wo ist das?" „Vor dem Rosenthaler Thor." „Aber das ist ja eine Stunde Weges von hier! Und so weit schleppst Du Äch mit dem Kinde?" Die Kleine hat sich jetzt einigermaßen aus ihrer Erstarrung aufgerafft und gibt bereitwilliger Antwort. „Nach Hause brauch' ich sie nicht zu tragen, um zehn holt uns die Pincker ten " „Wer ist daS: „Die Pinckerten"?" „Das ist die Mutter." „Wessen Mutter? Deine odcr des Kleinen? Seid ihr denn Geschwister?" „Nein, das Kleine ist der Waffelguste ihres, und die Pinckerten ist die Zieh mutter. ..." „Und Du? wer sind Deine Eltern?" „Meine Eltern.... ich habe keine." Der Regen begann stärker zu strömen und gewährte selbst hinter dem Pseiler kein trockenes Asyl mehr. „Tu kannst bei diesem Wetter un möglich länger hier sitzen bleiben. Ich werde Dich nach Hause fahren." Das Kind horchte hoch auf. und schickte sich an. mit seiner kleinen Last auszustehen. Aber es besann sich wieder. „Ich darf nicht " „Und weshalb nicht?" „Ich habe noch nicht meine Zahl." „Welche Zahl?" „Das Geld, das ich alle Abend nach Hause bringen muß." „Und wie viel ist das?" „Zwölf Silbergroschen." „Und was geschieht Dir. wenn Du nicht so viel mitbringst?" Das Kind wars einen scheuen Blick auf den Fremden, welcher so sonder bare Fragen stellte, und zuckte dann leicht mit den Achseln, als wollte es an deute«, diese Frage beantworte sich von selbst. Der Fremde besann sich einen Au genblick. „Ich werde Dich nach Hause brin gen," sprach er dann, „komm!" Ein glücklicher Zufall fügte es. daß in diesem Augenblicke eine leere Droschke vorbeisichr; er winkte dem Kutscher, zu halten und bedeutete das Mädchen, mit seinem kleinen Pflegling einzusteigen. Das Kind wußte noch nicht recht, ob diese Aufforderung ernstlich gemeint sei. Der Fremde sah aber so ernst und be stimmt orein, daß sie unwillkürlich ge horchen mußte. Sie erhob sich mit dem eingeschlase nen Kinde, und wie sie nun aufrecht dastand und ungewiß aus großen dunk len Augen auf den Fremden blickte, er schien sie diesem älter und größer, als die zusammengekauert?, fröstelnde Ge stalt des am Boden hockenden Kinde? hatte vermuthen lassen. „Wie alt bist Du. mein Kind?" fragte er. „Zwölf Jahre." „Zwölf Jahre....!" murmelte der Herr für sich, „und da wundere sich Ei ner über die zunehmende Verderbniß. Das ist ihre gepriesene Musterwirth schast. Wenn sie den Unfug riesengroß haben anwachsen lassen, dann erheben sie einen Lärm.... Nach der Garten straße!" ries er dem Kutscher zu. nach dem er dem Mädchen mit dem Kinde in den Wagen geHolsen. „Da soll dochgleich ein Donnerwetter drein schlagen —!" fluchte der Drosch kenregent ingrimmig, „bei dem Wetter so 'ne Fuhre —!" Der Herr nahm aber nicht die min deste Notiz von dem kräftig geäußerten Unwillen des Rosselenkers, forderte ihm kaltblütig die Marke ab und stieg ein. Die Fahrt war eine vollkommen schweigsame. Die kleine Bettlerin ver mochte der schaukelnden Bewegung des Wagens nicht lange zu widerstehen und schlies ein. Erst als der Wagen vor einem kleinen, unan sehnlichen Hause hielt, dessen Nummer dem Kutscher bezeichnet worden war. er wachte sie. „Geh' voron", sagte der Herr, nach dem sie ausgestiegen waren, „ich werde Dir solgen". Das Mädchen schien zu zaudern, wagte aber leinen Widerspruch, und schritt, nachdem es nicht ohne Mühe die knarrende Hausthür geöffnet, den finstern Hausflur entlang, über einen ungepflasterten, lothigen Hos. eine schmal?, winklige Stiege hinauf. Sie traten in eine finstere Stube, das Mäd chen legte das kleine Kind auf ein in der Finsternis nicht erkennbares Möbel und tappte nach dem Feuerzeug. Dert Fremde stand in der Nähe der Thür und harrte mit einiger Spannung der Scene, welche sich aus der Duntelhei entwickeln sollte. Draußen strömte der Regen unabläs sig und schlug knisternd gegen die Fen sterscheiben. Das Zimmer war mit »iner schweren, drückenden Lust ange füllt, die fast den Athem benahm. Durch das Geräusch des an die Fenster schlagenden Regens hindurch konnte man deutlich die tiefen Athemzüge eines Schlafenden vernehmen. Das kleine Kind war erwacht, aber es machte seine elende Existenz nicht durch naturgemäßes kräftiges Schreien, sondern nur durch ein schwächliches Wimmern bemerkbar. Es dauerte lange, ehe das Mädchen Feuerzeug fand. „Da haben wir'S". rief sie unmu thig, „nicht ein einziges Schwefelholz haben sie übrig-gelassen. Warten Sie einen Augenblick, ich werde gleich welche vom Kaufmann holen". Sie ging, und da ihr der Windzug die Thür aus der Hand riß, so fiel diese krachend in'S Schloß, daß der Schläser erwachte. „Warte. Nickel! Dir soll der Teusel aus den Kops sahren!" Das waren die Begrüßungsworte, mit denen der Schliß fer sich vollends ermunterte. „Wo ist das Geld?" fuhr die rauhe, heisere Mannsstiinme fort. „Wird's bald?" schrie er laut und zorniger, als keine Antwort ersolgte.und dann spranp er aus die Füße. Der Fremde befand sich in einer eigenthümlichen und nicht allzu behag lichen Situation. Indessen rief er dem Ungeduldigen, den er auf sich zu schreiten horte,' mit möglichster Ruhe ,u: Sie sich nur «inen Au- genblick, bi» Licht kommt, das Mäd chen ist eben nach Feuerzeug gegan gen. Der Inhaber der finsteren Wohnung blieb einen Augenblick betroffen stehen, als er den Klang einer ihm ganz frem den Stimme hörte, die noch dazu etwas entschieden Polizeimäßiges an sich zu haben schien. AW er sich von seiner Ueberraschung erholt hatte, schrie er den Fremden mit heftigem Tone an: „Wer sind Sie? Was wollen Sil hier? Wie können Sie sich unter stehen " Der Fremde war unwillkürlich eine» Schritt zurückgetreten, da er aus einer branntweindunstigen Luftströmung di« bedrohliche Annäherung des Trunken boldes gewahrte. Mit fester Stimm« entgegnete er: „Sie werden wohl thun, sich ruhig zu verhalten, es möchte Sie sonst gereuen...." Wer weiß, ob trotz dieser Mahnung ein unerquicklicher Zusammenstoß ver mieden worden wäre, hätte nicht in die sem Augenblicke das Mädchen mit an gezündetem Lichte die Stube betreten. Der Fremde überflog mit schnellem Blicke seine Umgebung, und fand die Wahrnehmungen, die er jetzt machte, derjenigen entsprechend, welche er be reits mit dem Organe des Geruchs in der Finsterniß gemacht Hatte. Die Aermlichkeit der ganzen Einrichtung war das noch am mindestkn Abstoßende. Eine große, zerbrochene Bettstelle bildete den Hauptbestandtheil des Mobiliars; ein Haufen Lumpen in einem Winkel und ein defekter Korb schienen die La gerstätten der beiden Kinder zu bilden. Eine geleerte Flasche, welche am Fuß ende des Bettes stand, deutete die Art der Recreation an, welche der würdige Hausherr sich zum Abendbrot gegönnt hatte. Dieser selbst, ein langer Mensch mit eingefallener Brust und aufgedun senem Gesicht,»aus welchem ein paar gläserne Augen unstät um sich blickten, stand dicht vor dem Fremden, als das Zimmer durch das Eintreten des Mäd chens plötzlich erhellt wurde. Seine erste Bewegung war, mit erhobener Hand auf das Kind loszufahren. Der Fremde kam ibin jedoch zuvor und hielt ihn von der beabsichtigten Mißhandlung zurück: „Was wollen Sie von dem Kinde? Es hat nichts gethan, was Strafe ver dient —am allerwenigsten von Ihnen —" setzte er mit unwilligem Blicke hinzu. „Ich frage Sie nochmals, was Sie hier suchen? Hier ist nichts zu spio niren!" Der Fremde blieb ruhig. „Wo ist Ihre Legitimation zeigen Sie mir Ihre Medaille, wenn Sie hier was zu suchen haben, icy kenne Sie nicht!" fuhr er, heftiger werdend, fort und trat drohend dem Fremden näher. „Ich habe weder eine Legitimation, noch eine Medaille," antwortete dieser gleichmüthig, „das ist auch gar nicht nothig." „Meinen Sie, Männeken? entgegnete oer Trunkenbold höhnisch, „na. warten Sie, Sie scheinen noch etwas in der Kultur zurück zu sein". Damit wandte er sich zu einem klei nen eisenbeschlagenen Koffer, welcher in einer Nische der Wand am Bette stand, kramte dort unter allerlei Lumpen und Geräth umher und brachte endlich ein kleines, schmutzig Büchelchen zum Vor schein. „Kennen Sie das hier?" rief er fra gend, indem er dem Fremden dys son derbare Opus auf der linken Hand präsentirte und mit der flachen Rechten darauf schlug, „das nennt man Straf gesetzbuch! Verstehen Sie mich?" Der Fremde mußte lächeln. Jener aber blätterte einige Zeit in dem Bü chelchen herum und rief endlich: „Hier! Jetzt passen Sie aus: Para graph 3461! MitGeldbuße bis zu fünf zig Thalern oder Gefängniß bis zu sechs Wochen wird bestraft, wer in die Wohnung, das Geschäftszimmer oder das befriedigte Besitzthum eines Anderen widerrechtlich eindringt...." „Lassen Sie es nur dabei bewenden, ich beabsichtige nicht, wider Ihren Wil len hier zu bleiben; ich komme, um nicht zu sagen, als Ihr Freund, doch jedenfalls iii freundlicher Absicht." „Das müßte mit dem Teufel zuge hen," brummte der Dozent des preußi schen Strasrechts. „Ich bin auch kein Polizeibeamter, wie Sie anzunehmen scheinen, sondern ein Privatmann, und ein Fremder, den ein, vielleicht nicht allzu gerecht fertigtes Mitleid bewog, sich dieser ar men Kinder anzunehmen. Ich möcht« helfen, wenn Hilfe noch möglich i5t...." „Das Mädchen, welches sich in einem Winkel mit dem kleinen Kinde zu schaf fen gemacht hatte, näherte sich schüchtern der Gruppe der beiden Männer, und bedeutete den Haustyrannen, daß der fremde Herr sie und das „Ziehkind" in einer Droschke nach Hause gefahren habe. Die Branntwein-Nebel in dem Gehirn des Biedermannes schienen sich endlich so weit zu lichten, daß er begriff, es lasse sich aus dieser Situation Vor theil ziehen. „Sie werden es nicht ungütig neh. men," sprach er. von äußerster Grob heit zu niedriger Unterwürfigkeit über gehend. „daß ich Ihnen verkennt habe. Wenn ich gewußt hätte, daß Sie von der inneren Mission sind —" „Lassen Sie das gut sein," entgeg nete der Fremde, „ich bin ebenso wenig von der inneren Mission als von der Polizei. Ich habe den guten Willen, sür das Madchen etwas zu thuu, damit es nicht vollends der Verwahrlosung entgegen gehe. Das Mindeste, was ich dafür verlangen kann, ist offene Aus kunft über ihre Aerhältnisse." „I. von Herzen gern, mein bester Herr Baron! Sie sollen Alles erfah ren, was Sie nur wollen —" „Wer sind die Eltern dieses Mäd chens?" ..Ja. sehen Sie, bester Herr, d« liem eben der Hase im Pfeffer! TaS weiß so zu sagen, kein Mensch. Ich vertrete so zu sagen, Vaterstelle an ihr, das heißt als Vormund." „DaS Mädchen ist also eine elternlose Waise?" „Nu freilich! DaS ist es za eben; wenn ich sie nicht erhielte." „Das heißt, das Kind muß für Sie betteln, um Ihnen abliefern, was es bekommt?" Der Ehrenmann zuckte die Achseln. „Bei den schlechten Zeiten und der Theuerung muß man Vieles thun, was man nicht möchte. Sie glauben nicht, bester Herr, wie schwer es einem ehr lichen Manne fällt, anständig durch zukommen. jetzt, wo alle Lebensmittel so im Preise gestiegen sind " Der Fluß seiner Rede stockte: er sah sich nach einem Anknüpfungspunkte zu weiteren Auslassungen um, gewahrte aber nichts, als die geleerte Brantwein flasche. „Sie sind verheirathet?" nahm der Fremde wieder daS Wort. „Verheirathet das heißt ja w0h1...." lautete die etwas proplema- Antwort. Das Erscheinen einer weiblichen Per son gab der Unterhaltung eine andere Wendimg. Die eintretende Dame war Niemand anders als die „Pickerten". von welcher das Kind gesprochen. Sie präsentirte sich als eine Erscheinung, welche die Harmonie des Familienkrei ses in keiner Weise störte. Als sie nothdürftig über die Bedeutung des seltsamen Besuches informirt war, er goß sich ihr Redeschwall in ungezügel tem Fluß, und sie wußte nicht Worte genug zu finden, um ihre Noth und Aufopferung für die „fremden Kinder" zu schildern. Ans ihrem verworrenen Gewäsch ent nahm der Fremde ungefähr Folgendes: Sie war mit dem „Vormund" noch nicht kirchlich getraut, weil ihre Sache, wie sie sich ausdrkckte, noch beim Ober kirchcnrath liege. Denn obgleich sie von ihrem bisherigen Ehemanne gesetz lich.geschieden war, nachdem derselbe sie böswillig verlassen hatte und hinterher wegen verschiedener Verbrechen zum Zuchthaus verurtheilt worden war, so hatte das „Consistorium" dennoch Be denken gehegt, ob der vom Richter ange nommene Scheidungsgrund ein „schrift mäßiger" wäre, und Aufgebot und Training waren vor der Hand inhibirt worden. „Da müssen wir uns denn vorläufig so behelfen," meinte die Pinckerten, „bis der Oberkirchenrath endlich ein Einsehen hat. Aber getraut will ich partout sein, und wenn sie uaS auf's Aeußerste treiben, na denn ist es ihre eigen« Schuld, wenn wir aus der „Landes kirche" ausscheiden, wie der Maurerpo lier hier im Borderhause, den sie auch hingehalten haben, bis er tückisch wurde und auf's Stadtgericht ging, wo die Geistlichkeit nichts drein zu reden hat!" Ueber das Mädchen erfuhr der Fremde nur, daß das würdige Paar das Kind als eine Erbschaft von einer vor mehre ren Jahren verstorbenen Verwandten überkommen hatte, und daßdie Armen direttion monatlich zwanzig Silbergro schen Pflegegelder sür das zwölfjährige Mädchen gewährte. Das kleine Kind war dagegen ein Pflegekind einer un verheirateten jungen Person, welche, obgleich im lleberflusse lebend, dennoch schon seit geraumer Zeit mit den zu zahlenden Unterhaltungskosten im Rück stände war, so daß man sich des „ar men Wurms" nur aus reiner „Chri stenpflicht" annahm. Nachdem der Fremde alle diese De tails vernommen, ward er mit nieder drückendem Gesühl inne, daß er an »m gar nicht zu bewältigendes Unter nehmen gewagt hatte. Was konnte er unter solchen Umständen für das Kind thun? Das Erste wäre gewesen, sie aus dieser Umgebung zu entfernen. Abe» wohin mit ihr? „Hast Du die Schule besucht? fragt er das Mädchen. „Ja. bis vor einem Jahre." „Hättest Du wohl Lust, etwas Recht' schaffenes zu lernen?" Die Augen des Kindes glänzten, seine Gestalt hob sich höher. „Sprich' srei heraus was möchtest Du wohl gern »och lernen?" „Ich möchte Kunstreiteriu werden!" Es sind mehrere Jahre vergangen. In den Straßen der Hauptstadt fällt eine ungewöhnliche Lebhaftigkeit des Verkehrs auf, welche auf einen beson deren Anlaß schließen läßt, der, abge sehen von dem schönen Herbsttage, die Menge nach dem Thiergarten lockt. Denn dorthin mündet der zunehmende Strom von Equipagen, Reitern und Fußgängern, um sich nach den verschie denen Richtungen hin zu zerstreuen, von denen her rauschende Musik entgegen- klingt. Beim Ausgange aus den verschiede nen Portalen des Brandenburger Tho res treffen zwei Herren dicht zusammen. Der Eine von ihnen ist der uns aus dem vorigen Capitel bekannte Fremde. Er hat sich wenig verändert. Sein Gesicht hat den nämlichen Ausdruck ruhigen Wohlwollens wie srüher, aber der ernste Zug um Mund und Auge fordert zu keiner Annäherung auf. Der zweite Herr ist erheblich jünger an Jahren, der äußeren Erscheinung nach einer der jungen Elegants groß'ftädti scher Lebenskreise, die kein besondere«' Signalement haben. „WaS Tausend! Sie hier in Ber lin. und kein Mensch erfährt etwas da von? «sie haben sich entschlossen, Ihre pkwrn» ru?» jetzt, in der Erntezeit zu verlassen, um hier wohlthätige Zwecke fördern zu helfen? Das nenn' ich Aufopferung!" „Sie erweisen mir zu viel Ehr«, lie her Baron." erwidert der ältere der beiden Herren, „erstens ist die Ernte vorüber, was Sie natürlich als ehema liger landwirthschastlicher Akademiker nicht zu wissen brauchen, zweitens habe tch Geschäfte, und Ihres neumodischen. humanen Concert-Beitels wegen werden Sie mir im Ernste keu.'e Reise nach Ber lin zutrauen." „Hab' ich'S Ihnen nicht>drophezeit," lachte sein Begleiter, indem' Beide ihren Weg gemeinschastlich fortsetzt, „daß Sie früher odcr später vou Ihren phi lantropischen Schwärmereien zmiickkom men? Ja, ja! eS geht nichts über eon irete Anschauungen, das curirt von manchen Utopieen —" „Was wissen Sie davon ?" ver setzte der Andere, „Sie haben sür das Studium concreter Zustände viel zu viel Nervosität! Sie sind nicht im Stande, zwei Stunden in einer Kossä tenstube, in einem Spital, oder nur in einer Proletarierbehansung Ihrer stol zen Hauptstadt auszuhalten —" „Sie vergessen, mein gestrenger Herr, daß ich ein ganzes Jahr lang rathsamts-Verweser war." „Richtig! Beinahe Hütte ich'S vergessen, sreilich, freilich! Und dieser undank bare Staat, der Ihre Verdienste nicht zu würdigen wußte !" „Spotten Sie nur! Sie wissen recht gut, daß ich nicht gerade meiner tadelns werthen Eigenschaften halber übel ange sehen wurde. Ich danke meinem Schöp fer. daß ich aus dieser vermaledeiten Tretmühle heraus bin. Die innere Hohlheit unseres ganzen Adelthums zeigt sich namentlich in dem Eiser, mit dem unsere StandeSgenossen sich zu „Bediensteten" machen lassen. Sie wissen, daß ich mich den politischen Streitfragen gegenüber ziemlich indiffe rent verhalte, aber mindestens muß es überall „Avntlsm»nliks" hergelien, sonst stelle man lieber gleich Lohnbe dientc an, nicht Männer von Erziehung und Selbstachtung... „Und welches sind denn gegenwärtig Ihre Pläne sür die Zukunft?" Der junge Mann säuberte sein Au genglas an dem seinen Battisttaschen tuche, blickte sorschend in die Gruppen der Lustwandelnden und wandte sich dann wieder, nachdem er vergeblich gesucht zu haben schien, zu seinem Be gleiter. Das ist eine ganze Litanei, und ich weiß kaum, was ich sagen soll. Ver waltungsbeamter mag ich nicht bleiben, man würde mir auf die eine oder an dere Weise die Sache zu verleiden wis sen. Meine Familie wünscht, daß ich in die diplomatische Carriere eintrete. Wird sehr amüsant werden, als zweiter oder dritter Attache bei der Legation eines der kleinen Raubstaaten zu figu riren, dick, alt und häßlich zu werden vor Langeweile, und so seine Mission als sittliches Individuum im Dienst' dea höchsten Staatszwecke " Unser Diplomat wurde in seiner Her zensergießung durch eine ihm ganz un erklärliche Wendung seines Begleiters unterbrochen. Dieser wandte sich näm lich unmittelbar nach der Stelle eines Kreuzweges, an der ein nicht sehr ein ladend aussehender langer, hagerer Mann einen fliegenden Cigarrenkram hielt, dessen Vorräthe er in einem um den Hals gehängten Kasten den Vor übergehenden feil bot, während er in der Rechten ein glimmendes Tau-Ende zum Anzünden präsentirte. Was dieser lockende Anblick und Duft nicht ver mochte. mußte der heisere Ruf ersetzen: „Cigarro! Cigarro, meine Herren, mit „Barmherziger!" rief der angehende Diplomat mit ungeheucheltem Entsetzen, indem er den Vorwärtsschre tenden zu rückhielt. „Sie werden doch nicht im Ernste —?" „Und was wäre dabei so Entsetz liches?" fragte dieser ernsthaft. „Wie? Der Gedanke,' eines dieser scheußlichen Fabrikate in den Mund zu nehmen, flößt Ihnen nicht Grauen ein? Ich bitte Sie. hier —" suhr er fort, indem er ein zierliches Eigarren - Etu> hervorlangte. „Beruhigen Sie sich, es war nicht aus die Cigarren abgesehen, sondern nur auf den Mann. Ich glaube, einen alten Bekannten in ihm zu erkennen." Damit trat er. unbekümmert um das Erstaunen seines Gefährten, auf den fliegenden Cigarrenhändler zu, der nicht sobald die Annäherung eines ver meintlichen und noch dazu vornehmen Kunden gewahrte, als er dienstbeflissen in seinem Vorrathe zu wühlen begann und die Vorzüge seines Krauts mit einem neuen Schwall lobpreisender Re densarten ausschrie. De« also Bedrohte nahm aber von diesen Manövern nicht die mindeste No tiz, sonder» richtete den prüfenden Blick fest auf den heiseren Cigarrenkrämer, und, die dargebotenen Glimmstengel kurz abweisend, sragte er: „Kennen Sie mich?" Der Angeredete, dieser Diversion nicht gewärtig, nahm den Fragenden näher in Augenschein, verfärbte sich ein wenig, faßte sich aber bald, und einen Ton dreister Vertraulichkeit anschlagend, erwiderte er: „I, sehen Sie mal. auch mal wieder in Berlin? Wo werde tch Ihnen denn nicht kennen? So einen vornehmen und spendablen Mann —" Der Gepriesene schien wenig von diese» Lobeserhebungen erbaut, und weitere Ergießungen ähnlicher Art kurz abschneidend, fuhr er fort: „Ihr seid eine saubere Gesellschaft, Sie sammt Ihrer „Pinckerten". Ich konnte meine guten Absichten nicht schlimmer in's Werk setzen, als indem ich Euch zu deren Vollstreckern machte. Ich kann inir denken, welchen Weg die mir abgenöthigten Unterstützungen ge nommen habe», und was davem zur Erziehung und Ausbildung des Kindes verwsndei worden ist. Was ist denn aus dem Mädchen geworden? DaS we nigstens werde ich doch von Euch erfah re» können. ES wird schwerlich viel Gutes zu berichten sein." Der Ehemann der „Pinckerten" hatte mit dem ihm eigenen scharfen Instinkt bald eingesehen, daß sich aus dieser Situation schwerlich noch irgend ein Vortheil ziehen lasse. Denn es war nur zu begründet, daß er und seine würdige Gefährtin die reichlich gespendeten Unterstützungen de« fr^a de» Wohlthäters fast gänzlich skr sich verwendet hatten, ohne sich im Ent ferntesten an die Absichten desselben zu lehren. Damit ihre ergiebige Quelle nicht zu früh versiege, wurde der Fremde durch ein System von Lügen und Täuschungen in dem Glauben erhalten, daß des Mädchen sich in jeder Beziehung auf das Vortheilhaftist« entwickle, und während dasselbe wenig mehr als seinen Namen schreiben tonnte, gingen in regelmäßigen Zwi schenräumen lange und wohlstilisirt« Danksagungsschreiben des Schützlings an den theuren Wohlthäter ab. Endlich wurden diesem die Angen geöffnet, als er sich nach etlichen Jahren bei Gelegenheit seiner persönlichen An wesenheit von der Sachlage selbst über zeugen wollte, aber weder die Pflege eltern noch das Mädchen ' ausfindig machen tonnte, anderweit jedoch ermittelte, daß er in srechster Weise hintergangen worden sei. Der Cigarrenhändler, der. wie ge sagt, erkannt hatte, daß hier nichts mehr zu gewinnen sei, dispensirte sich von dem Zwange jeder unfruchtbaren Höflichkeit, und erwiderte grob: „Lieber Mann, Sie jammern mir, wissen Sie das? Wir hätten Ihnen zu Gefallen den „Balg" wohl unter eine Glasglocke stellen sollen, oder in eine Schachtel mit Watte legen? Härten Sie sich doch Ihre Zuckerpuppe mit nach Ihr verwunschenes Schloß genommen, wenn sie Ihnen bei reputirliche Leute nicht gut genug aufgehoben war! Daß uns der „Nickel" weggelaufen ist, wer den Sie wohl lange wissen, und wenn Sie sich auch noch so heilig anstellen, so wissen wir doch, was mit der Sache IoS ist. Wir'sind nicht von gestern—" Der junge Baron hatte diesem, für ihn ganz unverständlichen Zwiege spräche mit Befremden und immer wachsenden Mißbehagen zugehöH. Sein älterer Begleiter wollte auf , Reden des Cigarrenhändlers eben voll Unwillen antworten, als ihn ein noch maliger Blick auf die in den Gesichts zügen und der ganzen Haltung seines Gegners ausgeprägte vollendete Ge meinheit noch zur rechten Zeit davon abhielt, etwas jedenfalls Thörichtes zu thun. Er begnügte sich daher, ihn mit einem Mick stolzer Verachtung zu mes sen, der jede minder verthierte Natur verletzt oder doch gereizt haben würde, in diesem Falle aber nur ein Hohnge lächter hervorrief. Eben wendeten sich die beiden Freunde zum Weitergehen, als eine vorbeifahrende glänzende Equipage mit einem prächtigen Jsabellen-Gespann in theatralischem Aufputz ihre Aufmerk samkeit sowie die des Publikums fes selte. Im Fond der offenen Victoria- Chaise hatten zwei Tinnen Platz ge nommen ; die eine jung, von auffallender Schönheit, die andere wohl doppelt so alt, als ihre Gefährtin, und von einer grotesken Gesichtsbildung, die häßlich und komisch zugleich war. Beide lagen in weitbauschigen Roben nachlässig hin geMssen im Wagen, die Füße gegen den Rücksitz gestemmt und schienen vollständig unbekümmert darum, daß sie «n Gegenstand der allgemeinen, wenn auch nicht der zartesten Ausmerk samkeit waren. Der ältere unserer beiden Bekannten wendete diesem Schau spiel eine nur geringe Aufmerksamkeit zu, sein seines Gefühl suchte vergeblich der Verstimmung Herr zu werden, welche die eben stattgehabte Begegnung in ihm erweckt hatte. Sein jüngerer Begleiter aber wurde durch das Erscheinen der beiden Damen leohaft erregt, er wechselte mit der jün geren der Beiden BliÄe des Einver ständnisses, Gruß und Gegengruß wur den herüber und hinüber getauscht und den Arm des älteren Freundes sasseud, rief er diesem hastig zu: „Kommen Sie, Sie müssen das rei zende Geschöpf genauer betrachten, Sie werden nach der Diana des Louvre nichts Schöneres in diesem Genre fin den." Widerstrebend schickte sich der Fremde an, der Aufforderung zu folgen, als er oen Cigarrenhänvler seiner Seite gewahrte, welcher, wiederum einen „ge müthlichen" Ton anschlagend, ihm in's Ohr zischelte: „Na, das war ja Ihr „Schutzengel" ist die nicht propper herausgemu stert? Was geben Sie, wenn ich Jh nen sage, wo sie zu finden ist?" Sein Bemühen hatte indessen nicht den gewünschten Erfolg, denn der A-- geredete, würdigte ihn keines Blickes, auch keiner Antwort, und um den wi» derwörtigen Gesellen IoS zu werden, und sich, wenn möglich zu überzeug«, ob der Strolch die Wahrheit gesprochen, ließ er sich willig von dem eisrig vtir wärts drängenden jüngeren Freunde nach der Richtung dirigtren, in w«l. cher sich die Equipage langsam vor wärts bewegte. ES fehlte nicht an zahlreichen Be. segnenden zu Pferde, Officieren, jun gen Cavalieren, und den mancherlei Exemplaren blafirter Elegants, welche jederzeit ein k»ikl« dafür haben, sich auf's hohe Pferd zn setzen, wäre das selbe auch nur ein MiethSgaul nieder sten Ranges. Die Mehrzahl derselben wechselte mit den beiden Insassen d«S Wagens Grüße, welche den Charakter einer ausgeprägten Familiarität an sich trugen. (Fortsetzung folgt.) Homöopathische Kur. Ein Arbeitsmann war durch den Ge nuß von einem Quart Branntweiit schwer betrunken geworden. Der Ho möopath kam, tauchte eine Nadelspitze in gleichen Branntwein, berührte damit die Zunge des Betrunkene« und nach zehn Stunden erwachte dieser wieder nüchtern. Ein Ersatz. Richter: „ES ist doch merkwürdig, daß Ihr Bauern Euch alle Sonntage prüaeln'müßt." Bauer: „Ja, Euer Gnaden, a Theater haben m'r halt net!" Sin« Theaterseen«. Der Erlaß der Kaiserlich russische, Theake»i>irektion,in Petersburg/welche, dem Publikum das Zischen in den Kai serlichen Theatern untersagt, erinnert einen Mitarbeiter des „B. B. E." a« eine Scene, di« sich anfangs der achtzi ger Jahre im „Alexandra-Theater" in der Newa - St«M zutrug. Es würd« ein rassisches Schauspiel, ein ganz schauderhaft roh»? Stück gegeben. Di« große Mehrzahl der Darsteller hatte be trunken auf der Bühne zu erscheinen und bemühte sich, das nationale Laster in den grellsten Farben zur Anschauung zu bringen. Es war geradezu wider lich anzusehen —aber der süße Pöbel aus dem Olymp schwelgte m diesem Kunst genuß und klatschte, als der Borhang nach dem ersten Akte wie wild Bei fall. Im zweiten Akte wimmelte di« Scene wieder von Betrunkenen. Aber min schämte sich das bessere Publikum im Parkett und in den Logen der skan dalösen Vorgänge und begann zu zischen. Namentlich besorgte das ein Slkrrr Herr, der einen Eckplatz amZwr schengange innehatte. Dicht vor ihm war aber der Platz des wachthabende? PolizeiofsicierS, der auch von diesem besetzt war. Der Ossicier wandte sich wiederholt um und warf dem zischenden Herrn drohende Blicke zu. die diesen aber nicht im Geringsten zu beeinflußen schienen. Als der Vorhang zum zweiten Mal fiel, erhob sich der Ossicier und trat auf den Herrn zn. „Was fällt Ihnen ein." sagte er barsch, „hier solch' Aer gerniß zn verursachen! Ich werde Si« nach dem Udschastok (Polizeiwache) bringen, wenn Sie sich nicht ruhig ver halten!" „Aergerniß?" sagte der Herr, einechter Russe, „wollen Me mir wohl sagen, wen ich geärgert habe?" „Nun," erwiderte der Ossicier etwas besannen, „das Publikum! Haben Sie denn nicht gehört, daß Alle geklatscht haben, während Sie für nöthig hielten, zu zischen?" „Ja. bei Gott, das ist wahr." sagte der Herr in größter Ruhe, und drehte sich »ach dem Olymp um, „die haben dort Alle geklatscht und ich hab« gezischt. Aber sagen Sie mir, hat sich denn Einer beschwert? Ich habe ja gar nichts gesehen?" „Lassen Sie alle unnützen Redensarten und verhalten Sie sich während des Stückes still. Ich wiederhole Ihnen, ich führe Sie sonst nach' dem Udschastok!" „Ich werde mich bemühen," sagte der Herr ver bindlich. Inzwischen hatte sich um die Beiden aber eine stattliche Korona gebildet, und im Nu verbreitete sich daS Ver bot des OsficierS durch das ganz« Theater. Der dritte Akt begann. Aber kaum erschien der erste Betrun kene, so erhob sich ein gewaltiges Zi schen vom Parket bis zum höchsten Platz des Olymps. Nur der zur Rede gestellte Herr klatschte, daß seinem Vordermann die Ohren dröhnen moch ten. So ging es de» ganzen Akt durch. Der Ossicier saß mit hoch rothem Kopse starr auf seinem Platze. Kaum senkte sich der Vorhang, so erhob er sich nnd wollte schnell hin ausgehen. Aber auch der Herr war aufgestanden und rief mit lauter Stimme: „Sie. Herr Pristaw, ich be schwere mich! Das Publikum hat ge zischt! Wollen Sie die Güte haben, es nach dem Udschastok zu führen!" Der Officier that, als hörte er nichts und verließ »nter schallendem Gelächter den Saal. Nur mit Mühe konnte das Stück zu Ende geführt werden. Glü