Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, May 27, 1892, Page 3, Image 3

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    Wer ist der Schuldige?
(3. Fortsetzung.)
prächtig sing er an. Wenig ahnt«
mir, wie er enden sollte! Enden in
Zwiespalt mit mir selbst, in bangen
Aengsten um die Zukunft.... Die ge
plante Landpartie war trotzTropenhitze
und einiger Konfusion bei den Wagen
plätzen schließlich in allem Glanz zu
Staude gekommen. Ich nahm's dem
schneidigen Husareuoberst keineswegs
tibel. daß cr sich, gcgen alle Erwartung
seiner lieben Verwandten, auch einge
stellt halte, um der Welt auch dadurch
zu zeigen, daß er sich „das böswillige
Verlassen" seiner Ehcliebsten nicht gar
so sehr zu Herzen genommen. Sein
rothes Gesicht glühte »nd seine Aeuglein
zwinkerten lustig genug iu die Welt, als
er, mit nicht sehr geschmaikvoller Leut
seligkeit mir aus die Schultern klopfend,
etwas derb herauspolterte:
„Sind mir zuvorgekommen. Verehr
tester; mußte doch GraS über dummen
Geschichte wachsen lassen, ehe ich
Braut hätte samose Komman
dense abgegeben; Haltung, Takt, mili
tärische Schneid"
Meine Braut schien die unerwartete
Werbung ihres aiigeheiratheten EousinS
etwas nachdenklich zu stimmen, und sie
widersprach nicht, als ich dlin etwas be
leibten Herrn Oberst meinen Wagen-
Platz anbot nnd mich bereit erklärte, das
mir freundlich angebotene Reitpferd
meines gefälligen Wirthes hcute zu be
nutzen.
Ich hals meiner Gönnerin (die aus
einiger Entfernung den Eindruck eines
Pensionsmädchens in Unschuldsreife,
flatternden Schärpenbändcrn und Schä
ferhut machte, in le,i etwas engbrüstige»
Wagen, dessen Bock ei» junger Lieute
nautSvetter zierte, lief dann sporn
streichs zur Stadt und ließ mir ge
schwind den Gaul des GastwirtheS sat
teln, dcr hier Dienste für Alles lhat,
aber unter dem Schenkeldruck des siche
ren Rcitcrs sich besserer Tage zu erin
nern schien, denn mit Selbstbewußtsein
nahm cr die Haltung eines alten Ren
ners an und schoß mit feurig geblähten
Nüster» vorwärts.
Wir überholten denn auch bald die
im Sande karrenden Gefährte, die die
RegimentSdamcu trugen, uud schließlich
auch de» riesigen, guirlaudcnumwunde
nc», birkenrcisbesteckten Leiterwagen,
aus dem aus prallen Säcken die Hono
ratioren dcr Stadt, in ihrcr Mitlc Pa
stor Trost, thronten, und die Kinder
lustig im Stroh hcrumraschelteu.
Ein aufjauchzendes Zurufen meiner
kleinen Freund» bewillkommte mich.
Ein kurzer Blick zeigte mir, daßlnstine,
Marie uud das Nestküchlein fehlten.
Ich weiß nicht, ob ich eS anders er
wartet hatte, mir war aber Plötzlich zu
Muthe wie dem Liedersänger: „Mir
war, als wär' geschwunden die Sonn'
am hellen Tag."
Und richtig, da verkroch sie sich wirk
lich, dic mitleidsvoll auk uus herabge
sengt hatte, verschwand hinter einer
gar bedrohlichen Wetterwand, die dem
Wctterkundigcn nichts Gutes prophe
zeite.
Nun man muß unter lauter Gegen
warisgcnießcndcn nicht den bösen Scher
spielen wollen. Ich ließ die Damen
und Herren ruhig das weiße Wölkchen
preisen, das dic mörderischen Strahlen
geschosse aufnahm. Im Hochwald, der
uns bald umfing, war die Luft zu
einer bedrückenden Glnth wie im römi
schen Trockcnbad verdichtet und wirkte
lähmend auf Thicr und Mensch, daß
selbst dic kleinen Singvögel nur schliche
tern nufzirpteu, und die älteren Herr
schasten hie und da gemächlich ein
nickten.
Auch der Herr Oberst hatte der ein
schläscriiden Atmosphäre nicht länger
widerstehen können. Er bot kcin schö
nes Bild, als ich jetzt vorüberkam.
Tic Militärmützc war ihm bei dem
krampfhaften Versuch, für den dicken
Kopf einen Ruhepunkt zu finde», weit
von der weißbeperlten Glatze znrückge
rutscht. Das krebsrothe Gesicht sah
ausgedunsen aus. Der heruntergefal
lene Kieser ließ das falsche Gebiß her
vordräuc». Der elegante Reitcrcava
lier sah einem betrunkenen Stallknecht
zum Verwechseln ähnlich, nnd ich
staunte nur Mall»? Gleichmuth an. dic
niit einem ängstlichen „Scht" den
Schlas des Hochniächtigcn vor der Stö
rung meiner Anrede zu bewahren
suchte.
Auch gut! Run war ich der Kava
!icrpf!ichle:i dadurch ledig. Meinem
Thier drückte ich dic Sporen in die
Weichen nnd sauste von dauneii, sort
über den duftigen Waldbode», um die
Wette mit einigen gleichfalls berittenen
Officicrc», hinein iiz dic Waldesnacht,
denen Allen voran, in den tiefheiligen
Frieden, Ivo die Bäume gleich Kirchen
faulen reglos gen Himmel ragten und
ein orgelartiger Ton herrlich durch di-
Kircheustille zu rauschen begann.
Aha, da macht sich schon der Wind
auf. Ob ich die Herrschasten warne?
Sie glauben's doch nicht. Die
Sonne ist wieder hervor gekommen und
strahlt stechend heiß hernieder, daß es
selbst mir, der ich doch an starke Hitze
gewöhnt bin. fast zn viel wird. Durch
die dann uud wann wie von einem
Schauer durchrüttelten Baumkronen
schaukeln runde Goldösen aus dem
kurzhalmigeii Grasboden, und ein Wie
dehopf ruft fernab unablässig und
inonolou süß.
Da thut sich dic Lichtung auf. Zu
Füße» der Anhöhe liegt das Ziel, das
zierlich schmucke Forst- und zugleich
ländliche WinhShaus, vor dem sich
große Rasenflächen, zu Spielplätzen
wie geschlissen, hinbrciten.
Tie Wagen kommen allgemach her
bei und entladen ihre mehr oder minder
holden Lasten. Ich habe meiner Braut
nun den Arm zu geben und dankbar
all die sicher sehr aufrichtig gemeinten
Glückwünsche von einigen Dutzend
fremden Menschen entgegenzunehmen,
während wir Desilircour halten.
Dann stürze» sich all unsere Damen,
wie das bei Landpartien Brauch ist,
mit edlem Wcltcifcr aufdic ungewohnte
Thätigkeit des KaffeemachcnS in der
Förstcrtuche. Fräulciu von Bclow.
die zu Hause nie die weißen Pfötchen
rührte, deckte mit schneeigem Damast
höchst eigenhändig dic langen, roh ge
zimmerten Holztische und ließ sich von
dem Diener eine Batterie Kasscelassen
aus den Körben zureichen, während die
Kinder und ich cin verängstigtes Eich
hörnchen beobachteten, das sich behende
von Ast zu Ast schwang und einige ab
gerissene Eicheitäßchen dabei aus- und
niederhageln ließ.
Nach dem großen Kassccscst mit obli»
gatcn Kuchcn. dcr uichr- odcr niinder
werthig ans den diversen Borrathskör
bcn herbeigebracht und mit süßem
Lächeln angeboten wurde, begannen die
üblichen Spiele im Freien: Fanchon,
Kämnicrchenvermicthcn nnd dergleichen
harmlose Scherzc mit Pfändereinlösung.
für die ich schwerfälliger Mcnsch. mich
lcidcr nie begeistern tonnte.
Ich zeigte mich an der Seite meiner
leichtfüßigen Fce, die kindlich hüpfte
und auftrcischle, sobald mau sie cin
fing, denn auch gründlich ungeschickt
und zog mir den scherzhaften Vor
wurf zu: mir nur von alle» anwesen
de» Damen den Psänderlohii einkassiren
zu wollen, indem ich den Ungelenke»
spielte.
Tie Sonne war vom Himmel zwa»
verschwunden, aber die Hitze um nichts
wcniger drückciid. Die brütcudc Schwüle
nahm im Gegentheil nur zu, und die
Gesellschast bemühte sich vergeblich, inil
reichlichem Gcnuß vou ciskalter Bowle
dem b.'llcmnicudc» Gesühl abzuhclsc»,
„Mau muß homöopathisch Hitzc mit
Hitzc vcrtrcibcn: tanze», meine Herr
schastcn!" schlug da eiu lebenslustiger
klcincr Licutciiaut vor und führte mit
graziösen Körpcrschwcntuugcn schon
flotte Tanzpas vor.
Das wirllc anflcckcnd unter der Ju
gend. Dic Paare formirten sich uud
zogen lachend in de» schmucklosen Tanz
saal des Förste, Hauses.
.Mall» uud ich standen Arm in Arm
in der offenen Thür und sahen lächelnd
zu.
„Und wir?" fragte sie nach einer
Weile unmuthig, und ich sah, wie sie
vor Ungeduld die schmalen Lippen ze»
und dic Füßchen von Taiizlust
zappelten.
„Das ist ja der reine Wahnsinn."
sagte ich und fächelte mit einem riesigen
Farrenblatt mein heißes Gesicht.
In diesem Augenblick schassirtc der
geräuschvolle Oberst, der eben eine
Tanztour mit einer Majorsfrau been
det, auf uns zu uud machte uus. dic
Hackcu zusammenschlagend, eine ticse
Verbeugung.
„Sie erlauben doch," schuarrle er
mich an, und zu meiner Braut: „Nur
eine Tour, mein gnädigstes Fräu
lein."
Sie zog ihr Händchen kühl aus mei
nem Arm heraus nnd legte es auf die
fchnurbesctzte Attila des noch jugendli
chen Husarenoberst.
Mich kränkte e-Z nicht sonderlich, daß
sie mir dabei cin unmuthiges „rück
sichtsloser Egoist" zumurmelte. Sollte
ich dem gnädige» Fräulein denn alle
Selbstheit hingeben, ihr willen- und
wiinfchloscr Sklave, gehorsam ihres
Winkes werden? Nein, meine Gnä
digste, dazu regte sich in mir zu viel des
banernhast störrischen Selbstbewußt
sciuS. Meine Männlichkcit dürscn Sie
nicht uutcr I >re despotischen Füßchen
bringen wollen. Und sich da, in der
Brnthitze wie ein Toller im Narren-
Hanse, hcrumhetzen sollen, geht mir wi
der alle Verminst.
Ter Himmel verdüsterte sich inzwi
schen immer mehr! Durch de» Wald
ging'S zuweilen wie ein Athemhole» aus
Brust. Ein Raunen und
Nauscheu folgte. Die Baumkronen
durchrüttelte ei» plötzlicher Windstoß,
und die Blätter flatterten uud krümm
ten sich zusammen wie in vorahnender
Angst vor dem Gewitterstur in.
Dann wieder die athembeklemmende
Stille und jählings cin Wirbclwind,
dcr mir de» Staub in dic Augen
peitscht. Nun eiu gülden Hinzncken
über die ganze Brcitc dcr violetten,
go!dgeräiidcrtcn Wetterwand am Fir
mament.
Ich stürze in den Saal und mahne
zum Ausbruch, und nun entsteht cin
wirres Tnrchcinandcr van Solche», die
bleib.» uud sich weiter amüsirc» wolle»,
,uid Andere», die ängstlich zum Aus
bruch treiben.
Ein dumpfes Grollen nnd Rollen
über »uscr» Häuptern bringt endlich
dic Entscheidung. Mall» ist wohl die
Einzigc.die mit blassem Gesicht, irr vor
liiidischcr Furcht. zu bleiben verlangt,
die Fensterläden sollte» geschlossen,
Lichter angesteckt nnd Gebete gesprochen
werden. Sie forderte, ganz unzurech
nungsfähig. in blasser Angst, cin
Kissen, das sie sich um die Ohren stop
sen kann, um nicht den Donner zu hö
ren.
Ich stauiic mir dieses bejahrte alberne
Beschöps niit einem gewissen gering
schätzigen Mitleid an, als sie hestig zu
meinen und lameutiren beginnt, da sie
sich überstimmt und mit halber Gewalt
in den bereits vorgesahrenen Wagen
zedrängt sieht.
Das Unwetter zieht allerdings schnell
zcnug h»aus und kommt näher und
läher. Die breite» Platancnblüttcr
Irümmen sich angstvoll unter de», hoh
len Sturmgcheul, das mit elementarer
Rewalt hereinbraust. Die Rächt bricht
lirplötzlich heicin, und der aufgewirbelte
Wegsaud macht uns fast erblinden.
Die Pferde werde» unruhig und bäu
men schreckhaft auf bei jedem neuen
Llitz, der als funkelnde Schlangenlinie
das schwere Gewölk zerreißt. Große
laue Tropsen beginnen zu fallen, und
die Damen verstecken die Hüte mög
lichst unter Mänteln und Tüchern, und
binden sich Taschentücher um den Kopf.
Merkwürdig still und kleinlaut ist
der erst so mnntcre Trsß geworden: aber
plötzlich gellt cs schreckhaft aus einem
Dutzend Kehlen, und als ich dcr ich
mich zur Scitc des Gefährtes meiner
Braut gehalten nun schnell znrück
sprenge, um zu sehen, was da hinten
geschehen, sinde ich den größeren Theil
der Insassen des Leiterwagens rathloS
neben diesem stehen, der gegen einen
Prellstein in der Finsterniß angefahren
und ein Rad dabei gebrschen hat.
Der Pastor Trost fand zuerst mit ge
schulter Geistesgegenwart wieder Fas
sung.
„Es bleibt uns nichts übrig, meine
Herrschaften, als so schnell wie möglich
in'S ForsthauS zurückzukehren. Zum
Glück sind wir ja noch nicht weit. Jo
hann muß mit dem Hauptpserd sofort
zur Stadt und Fuhrwerk für uns her
ausschicken, und Sie, Herr Jbclius,
habcn vielleicht die Freundlichkeit, bei
meiner Schivestcr mit heran zu reiten
und sie zu benachrichtigen, damit sie sich
nicht unnöthig nin uns ängstigt."
Mit kurzem Gruß sprenge ich davon
und mit einem Wort der Erklärnng
auch an dem Wagen meiner Beaut vor
über, die übrigens am ganzen Leibe
zitternd, de» Kops tief in Miß Samp
fonS Busen vergraben, für mich kein
Interesse übrig hatte.
Im fürchterlichsten Gewitterschauer,
triefend vom herabstürzenden Wolken
bruch, umtracht vom Donnergetöfe
zweier sich begegnenden Gewitter, um
loht von den immer schneller sich folgen
den Blitzen, erreichte ich endlich das
Pfarrgehöft, sprang ab und übergab
mein zitterndes Thier dem herbeieilen
den Knecht.
Dann flog ich die Verandastufen hin
auf und stand vor Marie.
DieArmeuberdcn Busen verschränkt,
lehnte sie in dem Thürrahmen und
blickte ruhig in den Kampf der Elemente,
während der Sturm an dem Rebenge
rank ihr zu Häupten rüttelte und bei
jeder bläulich aufzuckenden Blitzhelle
phantastisches Schattenspiel über ihr
geisterhaftes Antlitz hinbewegte. Auch
die Augen waren spukhaft geöffnet, als
sähen sie da in tem Tosen der Elemen
targewalten etwas Schreckliches neu er
stehen.
Sie war so geistesabwesend, daß sie
mein Kommen nicht gehört, und ein
ächzender Laut versteinerten Entsetzens
fuhr ihr über die Lippen, als ich als,
dunkler »Schattenriß urplötzlich vor ihr
stand.
„Nein, nein," wehrte sie sich mit auf
gehobenen Händen, wild wie gegen eine
Schreckensgestalt.
„Ich bin eS, Fräulein Marie, ich,
Franz Jbclius."
„Golt sci Dank!" hörtc ich sie auf
cithmcu. nnd dann sah ich sie wan
ken.
„Sie haben mich so furchtbar er
schreckt," entschuldigte sie sich mit blei
chem Lächeln.
„Das thut mir in der That leid.
Wollen Sie niir aber nicht erlauben,
herein zu kommen und ein bischen trocken
zu werden? Der Herr Pastor schickt
mich: ich soll Fräulein Justine etwas
bestellen."
Ich bin ganz allein zu Hanse", er
widerte sie. während sie mir schon Platz
machte und mich in das von der Hänge
lampe erhclltc Gartenzimmer eintreten
ließ.
„Fräulein Trost ist mit Fränzchen
heute Nachmittag zu Tante PeterS ge
wandert nnd da wohl eingeregnet, und
Stine habe ich erlaubt zur Stadt zu
gehen. Dcr Knecht uud ich sind allein
zurückgeblieben. Mein Gott, wie Sie
aber naß geworden sind, Herr Jbclius,"
rics sie im nächsten Augenblick besorgt
aus.
„Bitte, gehen Sie da hinein, da ist
das Schlaszimmcr des Herrn Pastor.
Sie werde» so ziemlich eine Grös'.onha
ben. Wechseln Sie doch schnell dic
Kleider, ich hole Ihnen unter der Zeit
was zu trinke», damit Sie sie sich nicht
erkälten."
Erkälten! Mir war, als liefen
Fcuerströme mir durch de" Körper und
stiegen mir brausend zn Kops. Gehor
sam nahm ich das angezündete Licht
aus ihrer Hand entgegen und ging in
das bezeichnete Zimmer. Wie im
Traum entledigte ich mich der durch
weichten Kleider und zog das erste beste
an, was ich im Kleiderschrank sand.
Da klopstc es leise, und auf mein
„Herein" streckte sich Mariens (ich nenne
sie lieber von jetzt ab bei ihrem wirk
liche» Nameiij Romanas Kops zur Thür
herein.
„Sind Sie fertig? Soll ich es hier,
hereinbringen?" sragle sie ganz »iibe
sanacn.
Mein „Ja" mag nicht sehr natürlich
geklungen haben. Zum Glück ließ ihre
ausbrechende Heiterkeit sie nicht znr Be
sinnung kommen. Ich hörte sie zum
erst n Male lachen, frisch, jugendlich,
belustigt auflache», und diese Fröhlich
keit Neidete sie reizend. Es nahm ihr,
was wie ein Stück drückender Unnatur
in frühreifem Ernst auf ihr ruhte.
„Rein, wie Sie aussehen!" rief sie in
die Hände schlagend, nachdem sie das
Brett mit Weinflasche und Glas auf
den Tisch neben das einsame Licht ge
stellt. „Lang genug möchten die Sa
chen wohl sei», wen» Sie nicht noch
mal so breit, wie unser schmächtiger
Herr in Brust und Schultern wären.
Wenn Ihnen der Rock unbequem ist,
ziehen Sie ihn nnr wieder aus und
bleiben in Hemdsärmeln."
Ich machte von der Erlaubniß Ge
brauch. Ich that alles wie ein Auto
mat, und sah auch mechanisch zn, wie
das Mädchen sich abquälte nnd vor
Anstrengungen roth im Gesicht wnrde,
als sie, die Weinflasche zwischen die
Knie gezwangt, mit Leibeskräften an
dem Pfropsc»,immer zog und zog, bis
endlich der widerspenstige Kork wich und
sie das beriisteinbraune Naß eines
icurigen spanische» Eadinetsweincs mir
in den geschlissenen Pokal goß.
„Nnn müssen >sie aber mittrinken,
Fräulein Romana, mir den Trunk
redenzen." sagte ich, ihr das Glas »u-
Haltcsd, während ein langanhaltender
Blitz das Zjmmer taghell erleuchtete uud
ein furchtbarer Donner sich übcr uns
entlud, gerade, als wollte die Welt zu
Grunde gehen.
Hatte dcr Schlag das sonst so be
herzte. unerschrockene Mädchen so cnt
sctzcn können? Jeder Blutstropfen war
wieder aus ihrem Gesichte gewichen,
das freundliche Licht aus den Augen
gelöscht. Sie sah wie das versteinerte
Bild graueuhastesten Enisctzeiis aus.
„Ich trinke nie Wein." lehnte sie kurz
ab.
»Wie?" fragte ich gedankenlos, und
war erstaunt, das bleiche Gesicht plötz
lich wieder auflohen zu sehen, als habe
ich sie einer Lüge überführt.
„Wenigstens feit Jahren keinen Tro
pfen mehr," wehrte sie sich mit einem so
energischen Widerstande, wie die Sache
ihn mir nicht zu verdienen schien.
„Mir zu Gesallen". drang ich bittend
in sie, „machen Sie mir zu Gesallen
heute mal wieder eine Ausnahme.
Sehen Sie, es ist so unbehaglich, in
Gesellschast sein und allein trinken
müssen."
„Ich habe mir mein heilig Wort ge
geben. Nie unter keinen Umstän
den " Dabei wies sie schaudernd
das GlaS zurück.
„Dann setzen Sie sich wenigstens zu
mir. Bleiben Sie da nicht so unge
müthlich am Tisch wie ein Kellner ste
hen. Ich werde Ihnen wohl noch ein«
Weile zur Last fallen müssen, bis das
Wetter sich ganz ausgerast hat."
Ich goß dabei, ohne ?echt zu wissen,
was ich that, schon das zweite Glas be
schweren Weines hinunter, während sie,
auf der äußersten Stuhlkante hockend,
mir etwas beunruhigt zusah.
„Ich möchte doch eine Lampe holen,"
sagte sie etivas beklommen.
„O lassen Sie doch, die Beleuchtung
genügt ja. Ich sehe Sie."
Wir schwiegen ein paar Secunden:
dann streckte ich halb besinnungslos
meine Hand über den Tisch fort »ach
der vornehm schlanken, die auf dem
Rande ruhte, zu.
Sie stand schnell auf. ~Es ifl
furchtbar heiß," murmelte sie, wie nach
einem Vorwand suchend. Um die Ent
fernung zwischen uns zn machen,
trat sie an das Fenster, öffnete es unt
hakte bedächtig langsam den Flügel cin.
Ein Strom von berauschendem Dusl
zog hinein und stieg mir betäubend zu
Kops. Die einsame Kerze flackerte be
deutlich und drohte jeden Augenblick zu
verlöschen. Die Blitze lohten im feu
rigen Zickzack über den ganzen Horizont
von rechts und links und tauchten das
Gemach in gespenstische Helle. Wi»
Geister der Finsterniß grinsten dii
dunkelgebeizten Karyatiden an den Ei
chenholzschränken. längs der Wände,
dann und wann aus falbem Lichte her
vor. Mir ward immer sonderbarer,
traumumsponnener, märchenhafter zu
Muthe, und über mich kam jener schlaf,
wache Zustand, der Handlungen bege
hen läßt, für die wir im nüchternen
nimmer verantwortlich gemacht werden
können. Dämonen peitschten mein hei
ßes Blut zu glühendein Verlangen auf.
Dämonen des beginnenden Rausches
oder der elektrisch heißen Gewitterluft
raunten mir Häßliches zu von lächer
licher Blödigkeit und Ucberskrupulositäl
gegenüber einer Paria der Gesellschast.
Umstände mit einer Strafentlassenen
machen, die zufällig cin Madonnenge
sicht macht! Mein Herz hämmert«
wild, die Pulse jagten. In den Ohren
gellte das erregte Blut wie Glockenläu
ten. Ein unbezwingbarer Durst nach
ihrem Munde überfällt mich mit Rase
rei.
Ich hielt mich nicht länger. Ich
stürze tollwild vor, Werse mich mit um
schlingenden Armen auf das wehrlose,
ahnungslose Wcib'uud suche mit gieri
gem Munde ihre Lippen. Da gellt cin
Schrei, ein so Mark und Bein erschüt
ternder durch die Stille, daß ich mein
Blut erstarren suhle und meine Arm«
wie gelähmt hcruntersinken vor Schreck.
Mein Athem geht keuchend, mein Herz
klopft zum Zerspringen. Wir stieren
uns eine Sekunde beim nächsten Blitz
auflohen in die weit aufgerissene» Au
gen.
„Was haben Sie? stotterte ich: ich
weiß nicht, ob der Ton verlegen, be
schämt oder voll zorniger Enttäuschung
war, während ich meine Gestalt so zwi
schen ihr uud der Thür hinpflanzte, daß
sie den Versuch zu entweichen ausgeben
mußte.
Sie weinte. Es war ein Weinen,
von tief innen sich hcrvorringcnd, dem
Orkansturm draußen vergleichbar. Ich
hätte nicht gedacht, daß cin Mensch sc
bitterlich sich ausweinen kann. Ich
haßte mich dafür. Ich kam mir bru
tal und grausam vor. Besch imt, ver
ängstigt trat ich in sie, mir den Grünt
ihrer Thränen zn nennen. „Empör!
es Sie so sehr?" versuchte ich meine un
edle Anwandlung zu beschönigen, „daß
ein Mann Sie liebt und es Ihnen
«igt?"
Sie schüttelte das Haupt.
„Nnn?"
„Daß man mich so tief verachtet, daß
man mir das anthnt." klagte sie hände
ringend.
„Was?" fragte ich immer eingeschüch
terter.
„Daß man mich überfällt wie eine
cinc, /gut genug hält für
weil, weil ich "
„Roinana, ich liebe Sie ja", ver
sicherte er freilich.
Sie lächle schneidend auf und rief in
tiefer Bitterkeit:
„Ja. für diese Stunde, diese Gewit
ternacht. So seid Ihr Alle mit dem
Ehering am Finger!"
Ich erschrak in inncrster Seele. DaS
hatte ich ganz und gar vergessen im
Sturm der zügellosen Leidenschaft. Und
nun bat ich ab, de- und wehmüthig.
Allmälig mochte sie suhlen, daß sie in
meiner Gesellschast jetzt sicher gegen jeden
neuen Angriff sei, und kehrte an den
Tisch zurück, wo sie sich, wie zerschlage»,
aus ihren Stuhl fallen ließ. Ich stand
vor ihr mit bittend gefalteten Händen.
Ich bat, ich beschwor sie, die leiden
schaftliche Uebereilnng zu vergessen, mir
wieder vertrauen, mir das Glück ihrer
Freundschaft nicht entziehen zu wollen.
Ich klagte mich bitter der Selbstvergef
senheit an, uud als sie noch immer
schwieg und. geistesabwesend vor sich
Anstierte, that ich das Äleußerste, um
mich in ihren Augen vor dem Verdacht
doppelzüngiger Ausschweifungen zu rei
nigen. Ich sprach ihr ehrlich von
meiner Jugcndschwärmerei und von
meinem jetzigen Verhältniß zu meiner
Braut, i» das ich, dem falschen Ehr
gefühl folgend, nun hincin gedrängt
sei: aus dem ich freilich keine Erlösung
sähe.
Sie nickle eiii paar Mal und sah mich
mit ihren wunderbaren Augen durch
und durch.
„Freilich, freilich," sagte sie endlich,
wie einen innern Gedankengang bestäti
gend. „Was nützte es auch, wenn es
anders wäre?"
„Wenn ich noch frei wäre, meinen
Sie?" fragte ich ungestüm.
Sie begnügte sich, kaum merklich den
Kopf zu seilte».
„Wenn ich »och frei wäre," lachte ich
aus. «Wisse» Sie nicht, Romana. was
ich dann thäte?"
„Sie reisten augenblicklich ab." gebot
sie diktatorisch.
„Möglich." gab ich zurück, und dann
eben so bestimmt: „Aber nicht ohne
Sie."
Ihre Brauen zogen sich finster wie
im Schmerz oder Zorn zusammen.
„Hat Ihnen Pastor Trost nicht
sagt," stieß sie scharf heraus, „woher ich
lomme?"
Jetzt nickte ich bestätigend.
„Und Sie sürchten sich nicht vor mir?"
fragte sie bittcr auslachend.
„Ich hatte es vergessen."
„Doch nur heute Abend. So scid
Ihr Männer alle, wenn Euch die Lei
denschast packt. Ihr vergeht Euch bis
zur Pflichtverletzung, bis zur Selbst
erniedrigung. Sehe» Sie," brach es
geharnischt aus ihr hervor, „das habe
ich Ihnen vorhin so übel genommen.
Sie traten mein Mcnschenre.i,t mit Fü
ßen. Was auch meine Vergangenheit
gewesen, Ihnen gab ich kein Recht, mich
wie Käufliche zu behandeln, bei der-man
eine Sluude die Raserei seiner Leiden
schaft stillt, uni sie gesättigt dann bei
Seite zu stoßcn." Emporschnellend
stand sie plötzlich hochaufgerichtet da.
..Hut Ihnen Pastor Trost gesagt,
was ich? Haben Sie es deshalb
gewagt?" suhr sie mich mit zornflam
menden Augcu an.
Ich war über die Maßen bestürzt
über diese Wendung. Ich stammelte
Unzusammenhängendcs wie: „Keine
Ahnung. Blind hingerissen vom Zwang
des Augenblicks, dem Zauber
des Alleinseins nicht widerstehend" und
so weiter Sie lachte wieder höhnisch
und schneidend und rief erregt:
„Sie haben eins anzuführen verges
sen: Meine Lockungen und Versüh
rungskünste."
Ich sah sie betreten an. Fast fürchtete
lch, sie rede irre.
„Nein, also doch nicht? Dann sind
Zie gerechter und mnthiger, als dic mei
sten Ihres Geschlechts. Sie meinen,
ich rede im Wahnsinn? O, Gott be
wahre! Ich spreche aus Erfahrung.
WaS man einem Madchen von fünfzehn
Jahren zur Last legt, wird man einer
Welterfahrenen von fünfundzwanzig
sicher zutrauen. Also dürfen Sie sich
bei Ihrer Braut gern damit entschul
digen, sollle ihr etwas zu Ohren kom
men."
Jetzt war an mir die Reihe, empört
aufzuflammen, und ich sparte bei Gott
die Worte niederschmetterndster Indig
nation über so schmähliche Znniuthuu
zcn nicht. Mit einem ~Psui" spuckte
>ch höchst zur Seite.
Aber anstatt mir darob zu zürnen,
klärte sich das sinstere Gesicht der Belei
digten mehr und «ehr auf, und zuletzt
reichte sie mir sogar freimüthig die
Hand hin.
„So sind wir quitt, glaube ich. Sie
haben mir angethan, was man nur
nuer Frau bietet, die man nicht hoch
hält, ich habe Sie dafür mit einer gänz
lich falschen Beurtheilung Ihres Cha
rakters und Ihrer Motive gekränkt.
Einer hat dein Andern bitter Unrecht
gethan, und nun einen Strich da
rüber."
Ich wagte die Hand nicht mehr fest
zuhalten, drückte sie nur leise uud gab
sie wieder frei.
„Sie sollen übrigens von mir hören,
weshalb ich im Großen und Ganzen
Ihrem Geschlecht so sehr mißtraue und
es so gründlich verachte. Das Wetter
verzicht sich. Sie werden bald gehen
können. Gute Nacht."
Sie nickte mir kurz zu »nd ver
fchwand. Ich hätte nnn auch wohl gehen
können. Aber ich saß da wie ange
leimt und sanil rathlos den uncnlwirr
baren Verwicklungen meines Lebens
nach, in die ich mich selbst hinein
gestürzt.
Das Gewitter vergrollte in der
Ferne, nur dann und wann wie im
Berscheid?» nochmals aufzuckend. Der
Regen siel spärlicher, und nur zuweilen
kl.ilschlc noch ein schwerer Tropfen ans
ke i Zinkbeschlagdes Fenstcrvorsprungs.
Der Mond lugte sogar schon vorüber
gehend aus dem, wie Flor sich hinziehen
den leichten Gewölk und das triefende
Bnschwcrk leuchtete dann aus wie sma
ragdgrünes Eoelnictali. Dic Rosen
.lud Rcscscn dustctcn doppelt süß und
erhoben crsrischt die »lattgcjenkten
Häupter.
Thier »nd Mcnsch erfreuten sich der
ZluserstchungSwoune der Natur. Nur
ich saß mit wirbelndem Kops und
dumpsbrütciidcn Sinnen, uud aus mir
lastete cin unbeschreiblicher Druck von
Angst und Pein.
Als lange nachher ein Wagen heibei
zcrollt kam, mußte ich erst, weshalb ich
da stundenlang geduldig geharrt; ich
mußte mein Gewissen erst entlasten, ehe
i ch ging.
Nun lauschte ich mit angehaltenem
Rkhcm.
Trippelnde Füßchen hallten über den
Fliesen des Gartenzimmcrs, schlaftrun
kene Kinderstimmen wiederholten in
allen Tonarten ihr: „'Nacht Väter
chen!" In grober Mundart meldet:
irgend Jemand dem Herrn Pastor:
„daß das alte Fräulein mit dem Kind?
die Nacht bei Peters bleiben und erst
morgen früh nach Hause kommen
würde.
Dann hörte ich noch von dem sonoren
Organ, das mir alles Blut zum Herzen
jagte, ein ruhiges: „Schlafen Sie wohl,
Herr Pastor." und seine herzliche Ent
gegnung.
Die verschiedenen' Füße trappelten
über meinem Kopf, alsdann die Treppe
in den ersten Stock hinauf. Daun ward
es still.
Jemand kam schnell auf das Zimmer
zugeschritten, die» Thür wurde ausge
.nächt und überrascht stand der Pastor
einen Augenblick auf der Schwelle.
„Gott zum Gruß. Was, Sie noch
hier?" sprach er sreundlich. die Thür
hinter sich zuziehend mitgebrachte
Lampe auf den Tisch setzend, während
er, «ls sparsamer Hausvater das Licht
schon ausblies.
„Haben Sie Ihren Auftrag so wört
lich genommen, daß Sie Justine erst
abwarten wollten?" scherzte cr humor
voll. „Sie kommt hcute nicht mehr."
Und dann mit einem billigenden Blick
auf die angegossene Weinflasche: „Ver
nünftig von Marie, daß sie Sie we
nigstens versorgt hat," und mit einem
Lächeln auf mein seltsames Kostüm:
„Das Mädchen findet instinctiv immcr
as Richtige, wenn Sie sich auch hier
„in der Beschränkung" erst „als Mei
ster" zeigen müssen. Was machen Sie
denn aber für eine trübselige Miene?
Ist Ihnen die Zeit so lang geworden?
Warum hat Ihnen Marie nicht bessere
Beleuchtung und etwas zum Lesen ge
bracht oder Ihnen Gesellschaft geleistet?
Sie sagte keinen Ton davon," schloß er
ganz arglos, „daß ich Sie hier antres
sen würde. Nun müssen Sie sich meine
Gastfreundschaft sür die Nacht gefallen
lassen," und als ich mit etwas einfallen
wollte, das er als Ablehnung ansah,
sagte er immer mit der gleichen bezwin
genden HerzenSwärinc und Gastsreund
lichkcit: „Sie verursachen nicht die ge
ringste Mühe. Das Bett meiner seligen
Frau steht immcr rcin bczogcn für uu
erwartctc Nachtgüste: einen AmtSbru
der oder anreisenden Verwandten, da."
„Halten Sie ein." preßte ich, in tief
ster Seele beschämt, heraus. „Sie
sollen erst wissen, welch' einem Unwür
digen Sie vertrauensvoll Ihr HauS
öffneten, und wie schmählich er das
mißbrauchte."
Und lies zerknirscht berichtete ich ihm
den Frcvcl dcr lctztcn Stunde, die maß
lose Aufregung, in der ich mich befun
den, die gehcimnißvollen Einflüsse der
WitterungSvcrhältnissc, die aus mein
stürmisches Temperament eingewirkt
haben mußten, daß ich so völlig de»
Kops verlor, das geschenkte Vertrauen
mißbrauchte uud der Versuchung unter
lag.
Tiefernst hatte er mir zugehört, ohne
ein Wort zu erwidern, während Blässe
ind Röthe in seinem, dem jähen Far
venwechsel unterworfenen Gesicht kamen
und gingen uud cr die schlanken Hände
nervös zusammenkrampfle. Sein idea
les Augenpaar verlor keinen Augenblick
.den mild schoiiilngsvollcn Blick. Der
Seelenkenner, Seelsorger, der er in der
That war, sah ja auch die schlimmsten
Ausartungen menschlicher Leidenschaf
ten wie irunkhafle Auswüchse an, denen
er als liebevoller Arzt Abhilse schaffen
wollte.
Wie viel nachsichtiger mußte er meine
Verirrung beurtheilen, für dic er auch
physiologisch bei meinem Alter und mei
ner Constitution eine Entschuldigung
finden konnte.
Ich w« daher doch einigermaßen
überrascht, als er nach kurzem Schwei
g«i, während dessen cr erregt in seinem
Zimmer aus- und abging, kurz vor mir
stehen blieb nnd mit leise zitternder
Stimme sragle:
.Und sie Marie?" .
Ich brachte vor, was ich in Wahr
heitsliebe und als Mann von Ehre sa
gen iiiiißte: ihre vollkommene Schuld
losigkeit au der Scene, ihren Unwillen,
ihr schließliches Vergeben und Entfer
nen.
Der Postor nickte iminer beifällig zu,
als wenn er gewisse innerliche Voraus
setzungen nur bestätigt fände.
Er sagte ganz deutlich darin: Ich
hgbe nichts anderes von ihr erwartet.
Tie flammende Rothe, dic bei der eif
rigen Frage sein seines Gesicht übcr
loyte, machte einer Blässe tödtlicher Er
schöpfung Platz, und er stützte sich, wie
ermüdet, mit beiden Händen aus den
Tisch.
„Nach diesen Vorgängen," sagte er,
sich zu einer leisen Strenge zwingend,
kann ich allerdings meine vorherige
Aufforderung nicht wiederholen, denn
Sie
„Haben das heilige Gastrecht zu
schmählich verletzt, - fiel ich heftig eiik.
„Das wollte ich nicht sagen. Ich
mache mich nie zum Richter meiner ir
renden Mitmenschen. Ich möchte ihnen
vielmehr stets die helsendc Hand zurei
chen, aus den Wirrnissen sündigcr Ge
lüste sich empor zu rasten. Ich ver
damme Sie nicht," betonte er unsäglich
..Richt Jedem steht Gott mit der nöthi»
gen moralischen Kraft helsend zur Seite,
das; er die Stimme >vs Versuchers, des
heißen Blutes, des sehnende» Herzens
zum Schweigen bringen kann. Richt
Jeder blieb ledig, wie Sie, mit uner,
schöpster Krast des Leibes und d'.rSecle.
dic ihre Glücksanrechle stürmisch geltend
machen will, auch zur Unzeit, üvcr
unversucht diesem Weibe gegenüber
bliebe," sprach cr träumeri'ch vor sich
hin, und bcach verwirrt, nach Worten
suchend, ob.
(Fortsetzung folgt.)
Dorfschulen t» »««tschlynd.
Zu den interessantesten Beobachtun»
zrn. die man auf der Fahrt durch die
Lande machen kann, gehören die Wan
derungen der kleinen Jungen und
Mädchen zur Dorfschule. Vom behag
liche» Sitze im dahinsausenden Zuge
aus sieht man, wie die allgemeine
Schulpflicht unserem Volke in Fleisch
Blut übergegangen ist. Im Sommer
und im Winter, in Regen und Sturm
ziehen sie von allein liegenden Wiesen
und Gehöften einzeln und zu Zweien,
die Mappe auf dem Buckel, über Wiesen
und quer durch Getreidefelder dem
llächstgelegenen Dorfe zu, dessen Kirch
thurm ihnen als Zielpunkt dient. Ber
thold Auerbach und Rosegger in
pqckenden Bildern uns vor die Augen
geführt, wie im Schwarzwald und in
der Alpenwelt die Erfüllung dieser
Pflicht oft nur mit Lebensgefahr durch
zusetzen ist.
Ein« der ergreifendsten Erzählungen
ist die von jenem Vater, der den Sohn
bei hohem Schneefall auf seinem Rücken
über Berg und Thal selbst in die Schule
trägt und dann zuhört, wie der Bube
sein ABE lernt, um es dabei gleich
mitzulernen. Wir in der Großstadt
wissen von diesen Erschwerungen des
! Schulbesuchs nichts. Wir murren
schon, wenn die Schule nicht in Stein
wurfsnähe von dcr Wohnung liegt, und
gerathen in große Sorge, wenn in
Folge eines stärkeren Schneefalls der
Pferdebahnbetrieb zum Gymnasium er
schwert ist. Und doch, so schreibt die
„Rat. Ztg." brauchen wir gar nicht
allzuweit zu gehen, um zu sehen, daß
selbst im Schatten der Großstadt der
Schulbesuch oft schwere Anforderungen
an Eltern und Kinder stellt.
Die Frühwagen der Pferdebahn brin
gen aus deir uächstgelegenen Vororten
ganze Schaaren von Kindern in die
Stadt, in manchen dieser Wagen sind
nur Kinder, ein kleines Rudel von 50
und mehr. Während die eine Hälfte
tobt und lärmt, holt die andere Hälfte
die versäumten Schularbeiten, so gut
es gerade geht, noch nach. Aber weiter
hinaus bekommt man schon schwache
Vorstellungen von den Schulgängen auf
dem Lande. Da ist z. B. Lichterfelde,
dessen Gymnasium jetzt noch ziemlich
auf freiem Felde steht, cin stattlicher,
aber vereinsamter Bau. Eine beson
dere Eigenthümlichkeit dieses Gymna
siums ist, daß zu ihm ein Stall gehört.
Der Gymnasiast hat ja in ganz Deutsch
land für fein Schulhaus den etwas
zweifelhaften Kosenamen „Stall" adop
tirt. Das Lichterfelder Gymnasium
kann sich rühmen, einen wirklichen
Stall zum Einstellen von Pferden sein
eigen zu nennen. Unter den Schülern,
die aus Lankwitz, Südende und anderen
benachbarten Ortschaften und von ein
zelnen Gütern ans dieses Gymnasium
geschickt werden, befinden sich auch einige„
die hoch zu Roß zur Schule kommen —>
eine Entfernung bis zu zwei Meilen.
Wie stolz dcr Obertcrtiancr sich von
feinem Pferde schwingt und es in den
Stall bringt, um dann, nachdem er
ihm den Futtersack umgehängt, sich mit
O»id und Homer zu befreunden und
schließlich wieder nach Hause zn traben?
Andre kommen zn Wagen und der
bäuerliche Grundbesitzer, der die beiden
vcrschiedenalterigen Jungen anmeldete,
begründete seinen Wunsch, sie in dcr
sclbcn Klasse zu haben, damit, daß sie
ja doch auch zusammen kämen und
gingen. Aber «nler den weitab Woh
nenden sind auch solche, die in der
Wahl ihrcr Eltern unvorsichtig waren
»nd denen weder ein Reitpserd noch ein
Break zur Verfügung steht.
Wenn zwet daSselbt thun —t
Herr und Frau Lehmann (unisono):
Allerliebst!
kuttüuscht.
Junger Herr: „Fräulein Toni, ich
Me Jhretivegen dic gan?e Nacht nicht
schlafen können!"
Tochter des Hausherrn (erröthend):
„Aber, Herr Müller ..."
Junger Herr: .Ich kam nämlich erst
um fünf Uhr nach Hause und da be
gannen Sie jujt dic Nebenstube zu,
scheuern!"
KindticheNaivetät. „Du.
Mama, ist denn Herr Larsen, dcr uns
gestern bnuchte wirklich ein Schwede?"
„Gewiß, liebes Kind! Warum
zweifelst Du?" „Weil er noch ja
jung ist es gibt doch- nur alt«
Schweden!" 3