Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, April 29, 1892, Page 6, Image 6

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    6 Unter Menschenfressern»
Wenn man irgendwo längere Zeit
lebt und sich einer Kulturarbeit hingibt
sei sie nun geistiger oder materieller
Natur—so bildet sich für den Ort oder
das Laud uud seine Bewohner ein tie
sergehcndcs Interesse heraus. Dies
Interesse zeitigt die Liebe zur Scholle,
wie sie im Gegensatz zum Nomaden der
seßhafte Bauer empfindet, es zeitigt
das edelste aller Gefühle, die Vater
landsliebe.
Nicht gaiu so weit habe ich es bei
dem dem Genuß von Menscheufleisch
huldigenden Völkchen der Mangala ge
brach!, aber eines gewissen sympathi
schen Interesses kann ich mich doch nicht
entäußern, wenn ich än die arnien
Teufel zurückdenke, denen ich da unweit
dcr o.bcrcn Cougoufer in einem para
ditsisch - schönen Landstrich begegnet
bin.
Mit wenigen Vorzügen und viclcn
Echwächcn ausgestattet, hat der Votls
slamin der Mangala vor denen, die ihn
dcr europäischen Eultur zu unterwersen
über Land uud Meer kommen, wenig
stens Eins vorans, den Mangel des
Verständnisses für Recht uud Unrecht.
Was wir für verächtlich halten, wie
Betteln und Stehlen, das gilt bei ihnen
sür einen höheren Grad von Intelligenz,
was uns vceabscheueiiswerth dünkt, der
Knnuibalisinus, das ist ihnen eine be
rechtigte und dcn höchsten Gcnnß in sich
schlicßcudc Eigcnlhümlichkcit.
Ich vcrwics einmal einem Neger diese
scheußliche Liebhaberei und er antwor
tete mir mit dcr Micne der gekränkten
Unschuld:
,;Abcr Moundcle, wk ungerecht Du
bist! Wir schweigen dazu, wenn Du
jeden Tag einige Deiner Ziegen köpfen
läßt und sie verspeisen hitsst —aber,Du
thust beleidigt, sobald wir uns einmal
einc klcine Festinahlzeit vergönnen!
Nicht einmal ein kleines Mädchen kön
nen wir mehr schlachten, ohne daß Ihr,
Mouudele, uns Vorwürfe deswegen
macht."
„DaS wundert Dich?" gab ich znr
Antwort. „Wir schlachten die Ziegen,
weil wir dcr Nahrung bedürfen. Aber
Meuschcn, das ist doch ganz etwas an
deres."
„Warum denn aber?"
„Nun, der Mensch ist nicht dazu ge
boren, um geschlachtet zu werden. Be
denke nur, Du sitzest jetzt mit einem
Freunde zusammen oder mit einem an
deren Menschen uud gleich darauf
schlachlest Du ihn und frißt hn auf!"
„Ah, Du irrst. Wir schlachten keine
Menschen. Wir nehmen zu unseren
Fcstmahlzeiteu nur Sklaven, Kriegs
gefangene und Leute, die etwas Un
rechtes gethan haben. Menschen
ah, was denkst Du denn?"
Unkenntnis! des Gesetzes schützt in
einem Kulturstaate nicht vor Strafe.
Gewiß nicht. Aber in Eentralasrika
gibt es lein Gesetz als das, das der Be
sitzer dekretirt. lind die Mangala ha
be» nicht nur kein Gesetz, sondern auch,
wie schon bemerkt, nicht die Erkenntniß
dessen, was gut nnd böse ist. Im
Verkehr untereinander folgen sie ganz
eigenen Begriffen über das, was gciitle
manlike ist. Besucht ein großer Hänpt
ling einen anderen, so geschieht das mit
beträchtlichem Gefolge, das heißt, der
Gast bringt Weiber und Kinder und
Sklaven mit eine ganze Karawane.
Bei seiner Ankunft stellt ihm der einge
sessene Häuptling eine Hütte zur Vcr
süguug und liefert ihm Brennholz nnd
Nahrung. Hierauf beginnt der Aus
tausch der Geschenke und nach diesem
«in leidenschaftlicher langwährender
Zwist. Jeder von den Zweien behaup
tet nämlich, bei dem Zuerkennen der
Geschenke üborvorthcilt zu sein. Nach
stundenlangem Hin und Her vollzieht
sich ebenso obligat wie der Zwist die
Versöhnung, und bei dieser stellen die
Häuptlinge sich gegenseitig ihre Favo
ritinnen vor mit den mehr als verbind
lichen Worten: „Mein Weib soll das
Deinige sein. Dein Weib das meinige!"
Des Negers hervorragendste Eigen
schaft ist der Hang zum Diebstahl,
Eine» Weißen bcstehlcn, ist in seinen
Augen eher ein Verdienst als ein Un
recht, Diebstahl der Neger untereinan
der wird zwar strenge, aber nicht immer
bestraft, bei den Männern nicht selten
mit dem Tode, bei den Frauen aber ge
wöhnlich mit Ohrenabschueiden nnd
Verkauf in dje Sklaverei. Seine Ver
schlagenheit bringt der Mangala und
«überhaupt der Bewohner der oberen
Congogegendcn vornehmlich beim
Tauschhandel zur Geltung. Aus nahe
liegenden Gründen, besonders wegen
der zollfreien Einfuhr afrikanischer Pro
dutte und wegen seiner vortrefflichen
Schiffsuhrtvcrbindungen mit der West
küste des dnuklenErdtheils domlnirt als
Kaufherr am Eongo der Engländer, in
alkoholischen Getränken allenfalls auch
der hamburgische Exporteur. Der
Congoueger sieht natürlich mehr auf
Quantität, als auf Qualität uud so
kommt es, daß z. B. Haniburg einen
Rum ins Laud bringt, ver an Ort uud
Stelle mit l 5 Psennigen pro Liter be
zahlt wird. Nicht viel kostspieliger sind
die Maniifakturwaaren, die massen
haft aus England importirt werde»!
Eine fabethafte Vorliebe zeigt der
Mangala für weiße Gasflaschen, znmal
wen» sie leer sind. Bei dem beträchtli
chen Durst der Europäer, der immer
mehr GlaSgesäße in's Land bringt, fällt
der Werth derselben naturgemäß rapid,
«der als ich vor einigen Jahren „och
unter Stanleys Aegide einem Magazin
am Corgo vorstand,waren die
noch hoch im KnrS. Eines Tages be
suchte mich ein Mangalahauplling mit
dem mohllliiigenden Namen Motam
popo, in Begleitung seiner beiden
Frauen. Als er bei mir eine Essig
flasche von besonders welßem Glase f,ih,
war er außer sich vor Vergnügen und
bat mich in rührende» Tönen:
„Mouudele, gib mir die Flasche!"
„Geht nicht," erwiderte ich achtel»
zuckend, „wo soll ich meinen Essig dann
lassen?"
»Trink' ihn aus!"
„Er ist mir zu sauer —"
„So trink' ich ihn!"
„Danke, m)? lch muß ihn anf
bewahren uud dazu brauche ich dic
Flasche."
„Moundcle Matampopo konnte
gar eindringlich schmeicheln Moun
dele, gib mir die Flasche; sieh, ich gebe
Dir meine beiden Frauen dafür —"
Das war nun freilich ein schlechteres
Gebot, als der brave Negerhäuptling
iu seiner Unschuld sich's träumen ließ.
Die beiden Heldinnen waren, was man
in Europa mit liebenswürdiger Um
schreibung ein paar Drachen nennt
alt, runzelig und von einer ganz unbe
schreibliche» Farbe. Aber Herr» Ma
tampopo, der ebenso närrisch verliebt
in sie, wie in die weiße Flasche zu sein
schien, Herrn Matampopo, das sah ich
ein, wurde ich nicht los, wenn ich nicht
die Flasche opserte. So opferte ich sic
denn, und mein Nigger band sie sich au
die linke Seite, etwa wie ein Krieger
sich das Schwert umgürtet, uud dau»
zog er mit dem seltene» Schinucke und
seinen beiden Frauen hochbeglückt von
danuen.
Nicht alle Geschäfte gehen so glatt
am oberen Eongo. Der Europäer
zahlt iu der Regel iin Tauschhandel,
und zwar init minderwcrthigen Waa
ren alten Kleidern, geistigen Ge
tränken oder böhmischen Glasperlen.
Aber es bedarf der Geduld beim Han
del, denn diese Tugend besitzen die
Schwarzen in geradezu verblüffendem
Maße.
Den Werth der Zeit nützen sie in
ihrer Art aus, das tii»s is iu
englischem Sinne überlassen sie den
Engländern. Sie warten lieber wo
chenlang, ehe sie ihre Waaren Elfen
bein nnd Palmöl--losschlagen. Wenn
sie zum ersten Male bei einem Europäer
vorsprechen, fordern sie immer einen
bis zwölsmal höheren Preis, als
sie schließlich zn erlange» hoffe». Sie
können bei der Anpreisnng ihrer Waare,
uud zwar bei den geringfügigsten Din
gen, ununterbrochen mehrere Stunden
lang reden nnd jeder Einwurf, jedes
Preisangebot entfesselt neue Rede
ströme.
Ist lange genug gesprochen uud das
Geschäft doch nicht zustande gekommen,
so gehen sie höchst unzufrieden fort, um
bei einem andern Fremden ihr Glück zu
versuche!!. Endlich, nachdem eine Par
tei die andere an himmlischer Geduld
übertreffen hat. wird der Handel ab
geschlossen. Der Neger liefert feine
Waaren ab und heimst den Gegenwerth
ein. Aber ii»u beginnt er zu betteln.
Er iiiiiß ein Geschenk haben für sich,
für feine Fraueii uud —fei» ganzes,
mitunter recht zahlreiches Gefolge, nnd
gewöhnlich erhält er anch wenigstens
einen Theil dessen, um was er bittet.
Außer den Schwierigkeiten im.Ver
kehr mit den Eingeborenen begegnet der
ncuciiiwandernde europäische Geschäfts
mann am Eongo auch noch anderen.
Diese bereite» ihm seine weißen Coneur
rentcn. Kommt so ein Neuling aus
Europa au uud beginnt er seine Ver
bindungen anzuknüpfen, so hat er so
sort die ganze schon angesessene Zunft
gegen sich. Es entsteht eine Koalition,
die die Preise in rninöser Weise herab
drückt, so tief, daß man dafür in Eu
ropa nicht einmal einkaufen kann. Ist
der Ankömmling nicht sehr lapitals
kräftig, kann er den Wettstreit im Un
terbieten der Preise nicht aushalte», so
muß er bald mit Verlust seines Ver
mögens das Feld räumen und die hohn
lachenden Sieger reguliren dann un
gesäumt die Preise wieder nach anf
wärtS. Ich habe eine Menge derart
Hineingefallener getroffen, die nicht
einmal mehr die Mittel zur Heimkehr
nach Europa besaßen.
Äe handelsgerichtlichen Einrichtun
gen bei den am oberen Eongo wohnen
den Stämmen sind naturgemäß über
aus primitiv. Es gibt eine Art Gc
richtSstellc für Klagen privatrechtlicher
Art, aber das Richtercollegiam, be
stehend ans drei der angesehensten oder
lltestcn Männer des Stammes, crman
zclt nie, den zn vcrurthcilcn, dcr die
wenigsten Geschenke gemacht hat. Und
za man das weiß, schafft sich jeder Recht,
so gut es gcht. Gegen säiimigc Schuld
ner gibt es ein summarisches und in
»er Regel ganz wirksames Verfahren:
Ter Gläubiger nimmt, von.den Seinen
unterstützt, dem Schuldner die Fran.
die Kinder oder einen Sklaven sort nnd
hält dies Psand so lange in sicherem
Vewahrsam, bis er befriedigt ist.
Besitzt der Schuldner weder das Eine
aoch das Andere, so fängt man ihn sel
ber ein und verkauft ihn als Sklaven,
l'rizliatuin sst! Im Falle ehelicher
Untreue, die nicht eben selten vorkommt,
ist das Verfahren nicht minder fchnci-
Zig. Ist dcr schuldige Theil frei, so
hat er Strafe zu zahle», ist er Sklave,
so werde» ihm die Ohren abgeschnit
ten. Es lausen bei den Mangalas
viele Leute mit abgeschnittenen Ohren
»mhcr. Die letzteren werden übrigens,
wen» Eiiicr sie bei einem Strafvcr
sahrcn cinbüßt, nicht vcrzchrt, obschon
Ohicn. zumal solche vou jungcn Mäd
chcn, mit Patmölsaucc zn den bevor
zugtesten Leckerbissen gezahlt werden.
')! ach dieser Delikatesse kommt das am
Rost gebratene Fleisch junger Frauen,
während das von Männern weniger be
liebt ist.
Alle Kannibalcnstänime am Eongo
betrachten Mcnschcnflcisch als cinc sel
tene KcsttagSspcisc und bereiten sich aaf
sen Genuß desselben wie zu einer Fest
lichlcit vor. Aber obgleich sie den ab
lchclilich.'n Brauch mit allen Gründen
chrer verschlagenen Logik vertheidigen,
macht sich doch vo.n Jahr zu Jahr mehr
:ine gesittetere Auffassung dcr Dinge
bei ihncn gcltend. Die Zeiten, in de
i.'n der Mangala den Europäer, weil
neser eine weiße Haut hatte, sür den
Zeuscl hielt, sind vorüber; man ist auch
!chon in der Mcinung, daß die Fluß
zampscr von im Kielraum verborgenen
Tklavcn vorwärlS bewegt würden.
wankend geworden auch die Vorein
genommenheit für den Kannibalismus
ivird bei diesen Naturmenschen dcr fort
schreitenden Cultur weichen, umso
schneller dann, wenn am Congo an
Stelle des Stanley'schen Despotismus
dcr mcnschenfreundliche Einfluß tritt,
den der Soiiverün des Congostaats.
König Leopold von Belgien, dort aus
geübt wissen will.
Seine Schwiegermutter.
Herr Bonaventura Drehpcter halte
bei der Lektüre der unterschiedlichen
humoristischen Blätter herausgefunden,
daß hauptsächlich die Schwiegermütter
zur Erzeugung von Witzen verwendet
werdW. Er schloß daraus aus deren
vergnügliche Eharakiercigenschaftcn und
faßte dcn Entschluß, sich cinc solche zu
zulegen. Herr Drehpeter lachte gcrn
nnd mit einer Schwiegermutter hoffte
er eine Quelle beständiger Heiterkeit zu
gewinnen. Wie man sieht, besaß der
Harmlose eine etwas naive Logik.
Das Gerücht von seinen Absichten
verbreitete sich rasch und Herr Drehpe
ter wurde bald cinc gesuchte Persönlich
keit. In Familien mit heirathsfähi
gen Töchtern riß man sich um sei»e
Gesellschaft. Herr Drehpeter kam sich
bald vor wie eine Ka»o»c»ki>gel, er
wurde geladen und hinausgefeuert'
wenn er nicht bald anbeiße» wollte.
Er kam in Familien, welche angesehen
waren, er sab sie noch genauer an und
blieb ans.
Endlich fand er, was er suchte,
eine Schwiegermutter, wie sie nach sei
ner Ansicht sein mußte. Außer der dazu
gehörenden Tochter waren noch zwei
Jungens da, welche die für ihre höchst
geräuschvollen Lebeusäußerungen sehr
bezeichnenden Namen Max und Moritz
führten. Die beiden jungcn Herren
faßten bald innige Znneiguug zu
ihrem zukünftigen Schwager, in wel
chem sie bei allen ihren Unternehmun
gen eine stets bereitwillige Stütze fan
den. Zu den meisten ihrer höchst geist
reichen Spiele wurde Drehpeter als akti
ver Theilnehmer zugezogen, und wo sie
seiner nur ansichtig wurden, wußten sie
ihm eine ebenso nützliche als angenehme
Beschäftigung zn geben.
Mit einem wahren Jndiancrgehenl
wurde Bonaventura auch heute von
Mar nnd Moritz empfangen, als er das
Zimmer betrat. Die beiden Buben
hatten ein neues Spielzeug. Sie schös
se» mit Fcdcrkugel» nach einer Scheibe,
welche an dcr Thür zum zweiten Zim
mer befestigt war.
„Onkel Peter, Onkel Peter,—komm'
und schieß', sieh' mal, wie schön das
geht!" nnd mit einem dumpfen
Schall schlug dcr Ball an die Thür
„Wo ist Mama?"
„Sie schläft driuncn, sonst könnten
wir keinen solchen Lärm machen."
Herr Drehpeter sieht dies ein, ergreift
die Büchse uud zielt nach dcr Schcibe,
—eins —zwei—-drei—dum! Dcr Ball
saß in Mamas weit ausgesperrtem Ra
chen, ivclchc, wüthend über die Störung
ihres Schlummers, die Thür ausgerissen
hatte. Sie würgte zum Erbarmen und
drohte zu ersticken. Offenbar tonnte sie
dem Balle in ihrem Schlünde keinen
rechten Geschmack abgewinnen.
Bonaventura stand erstarrt und war
keiner Bewegung fähig, bis seine
Schwiegermama in sps durch energische
Selbsthilfe wieder in Activität kam.
Was dann gcfchah, ist nicht bctannt;
nur so viel steht unzweifelhaft fest, daß
sich dcr schwiegermutterfreudige He:r
Drehpcter zwei Monate lang nicht aus
die Gasse wagte. Er kann es auch
nicht mehr leiden, wenn über diese
Sorte von Müttern ein Witz gemacht
wird, er hält nämlich die Sache sür viel
zu ernst
Nach der Debatte über die Solda
tenmisivandluugen.
Untcrofficier: Kerl, ich fahre mit Dir
am Firmament entlang, daß Du die
Milchstraße für die illuminirten Linden
ansiehst und mit der Nase am großen
Bären hängen bleibst.
Hauptmann: Untcrofficier Meyer,
Sie haben da cben einem Ihrer Leute
ein Versprechen gegeben, welches Sie
weder den Gesetzen, noch den Umständen
nach zu halten im Stande sind.
Ursache und Wirkung.
Feldwebel: „Meyer, was machen Sie
denn, zum Teufels Sie magern ja zu
sehends von Tag zu Tag ab!"
Meyer: „Herr Feldwebel, meine
Braut ist slit sechs Wochen ohne
Dienst."
Der Schein trügt oft, der
Trauschein anch.
Slnarchisttsche Höllenmaschinen.
Die wiederholten Attentate, welche in
Paris neuerdings mit erschreckender
Häufigkeit und kurz aufcinauder verübt
wurden, haben die Wachsamkeit dcr ge
heimen Polizei auf's Höchste ange
spannt. Ihren Bemühungen ist es
denn auch gelungen, in der Person
eines berüchtigte» Anarchisten Namens
Ravachol, auch Bleuner, Leo» Levy
und Königstein genannt, einen dcr
Hauptsührcr, wenn »icht die Seclc je
ner Verschwörungen zu ermitteln un'tl
dingfest zu machen.
Bekanntlich gelang eS, fcincr bald
nach Vcrübung dcS Attcntats gegcn dcn
Richter Benoist, dcr bei Vcrurthciluug
von Anarchisten mitgewirkt und sich
deshalb den Haß derselben zugezogen
chatte, habhaft zn werden. Anch steckl
er höchst wahrsclieinlich hinter dem Dy
namit-Eoinplott, welches gegen die Lo
bcau-Kascrne vcrübt wurde.
Fnzur I Handtasche mit Dynamlilwmbe.
Der Sprengstoff, dessen sich Ravachol
bedient man weiß übrigens nicht, ob
eS Dynamit, Roborit oder Melinit war
wurde von ihm in einem cifcrnen
Topf verborgen, zu dem er sich einen
eisernen Deckel anfertigen ließ. Be
kanntlich wurde dcr letztere Umstand sein
Verräther, denn der Handwerker, der
den Dcckcl angefertigt, konnte cim
gcnaue Personalbeschreibung seines
Auftraggebers mittheilen, und da Ra
vachol sehr charakteristische
.—wie Orangutang-ähnlich lange Arme,
entsetzlich große Füße und stechend
schwarze Augeu besitzt, so kouulc du
ihu mit Leichtigkeit idcntisieircn.
Ravachol hat übrigcnS nach scstcr Ueber
zcngttiig dcr politischen Polizei irgcndwc
in der Umgegend von Paris eine Fabril
für verborgene Dynamitbatterien errich
tet, wohin u. A. auch alle die Quauti
täten Sprengstoffe gewandert sein sollen,
welche aus bisher unaufgeklärte Weis»
aus verschiedenen Arsenalen in Frank
reich gestohlen worden sind. Ravachol
beschästigt sich nämlich hauptsächlich mit
der Herstellung harmlos aussehende,
Gegenstände, welche aber in ihrem In
nern Höllenmaschinen bergen.
So sieht man obcn in Figur l cim
Höllenmaschine in Form eines Reise
täschchenS aus schwarzem oder braunem
Leder. Das Innere zeigt verschieden«
Abtheilungen, von dcncn die eine (I!)
mit gehacktem Eisen und Blei, diejeni
gen, welche dcn Buchstaben <.) tragen,
mit Fnlminat oder Zündstoff angefüllt
sind. Mit letzteren steht eine dünne mil
Schwefelsäure gefülltcGlasröhre iu Ver
bindung. Zerbricht letztere, z, B. dnrch
einen schweren Fall, so entzündet die
ausfließende Sänredas Fnlininat, nnd
das Dynamit welches den ganzen
übrigen Raum des Täschchens anfüllt,
explodirt mit furchtbarer Gewalt.
Eine zweite Dynamitbattcrie sieht
einer harmlosen Hutschachtel au- Leder,
wie sie Reisende zn tragen Pflegen, täu
schend ähnlich. Wie Figur 2 zeigt, ist
diese Schachtel innen mit Röhren
ans Metallblech ausgekleidet sowie ei
nem Flechtwerkc aus gläsernen Röhren
welche durch eiserne Ringe (v) be
sestigt sind. Erstere sind mit Zünd
stoff, letztere mit Schwefelsäure gesüllt;
zerbricht eine der letzteren, so wird mit
tels des im Piston t> enthaltenen Sil
bcrsulmiuals eine starke Erschütterung
herbeigeführt, wodurch das Dynamit,
welches den übrigen Raum der Hut
schachtel anfüllt, explodirt.
Figur 3. Die neueste Erfindung.
Man mns! es den Ingenieuren des
Anarchismus lassen, daß sie Schritt
halten mit den Fortschritten der Zerstö
rungruugSkunst und sich mit großer
Schnelligkeit jede neue Erfindung auf
diesem Gebiet für ihre Zwecke dienstbar
machen. Die durch Figur 3 veran
schaulichte Höllenmaschine ist zur Fül
lung mit dem neuen französischen rauch
losen Pulver, dem sogen. Melinit, be
stimmt, dcsjcn Geheimniß, obwohl
sorgfältig von der Regierung behütet,
doch in die Hände der Anarchisten ge
langt sein muß. ES darf nicht uner
wähnt bleiben, daß die französische Re
gierung dnrch die unbestreitbare That
lache, daß die rothe Propaganda in der
Armee große Fortschritte macht, sehr be
unruhigt wird. In Genf, wo franzö
sisches Militär aus der benachbarten
Garnison Bonncville an der Arve, De
partement Haute Savoie. fortwährend
verlchrt, fratcrnisircn Anarchisten ganz
l ungcnirt mit französischen Ossiciercn,
und diese tragen die eingesogenen
anarchischen Ideen bei dem häufigen
Garnifonwechsel über ganz Frankreich.
Die Wunder des Colorado.
Von?)uma dcn Eolorado-Fluß ab.
wärts bis nach Point Isabel, wo sich
seine Gewässer in den Golf von Cali
fornic» ergießen, sind 120 Meilen, von
Point Isabel bis nach dem Eingang
des Golfs GW Mcilcn. Auf dieser
ganzen Strecke, und zwar aus beiden
Usern des Flusses, ist der Boden durch
weg fruchtbar, und verdient. l»esscr und
fleißiger angcbaiit zu wcrdc». Das
Klima ist außcrordcntlich heiß, uud
zwar des Tages das ganze Jahr hin
durch, die Nächte vom October bis zum
März sind dagegen kühl. Die Ufer
sind mit Weiden und Mesquit bewach
sen; im Sommer tritt dcr Fluß in
Folge von Regenschauern häufig über
seine Ufer und befruchtet dic Gcgcnd
wcit herum.
Der Fluß zeigt einen wechselnden
Charakter. Ost ist er tief und wir
belnd, dabei trüb und röthlich, bald
windet er sich wie ein schmaler Silber
gürtel entlang mit völlig durchsichtig
klaren Flnthen. Manchmal kann man
ihn leicht durchwaten, zu anderen Zei
ten wieder wälzen seine trüben Fluthen
rauschend und donnernd, gewaltige La
sten entwurzelter Bäume, abgerissener
Brücken, zertrümmerter Häuser und
losgerissener Kühne mit sich fortführend,
sich nach dem Meere zu.
Etwa vierzig Mcilcn von Anma licgt
Castle Dome. Von da ab aus cinc
Wegstrecke von neunzig Meilen durch
fährt dcr Reisende eine Berglandschast,
wie sic großartiger kaum gedacht werden
kann. Thurmsörmig steil und schlank
aufstrebende Bergpfeiler, welche auf
dcr californifchcn Scite eine Höhe von
l2vv Fnß erreichen, »lachen ans dcr
Ferne gesehen dcn Eindruck gewaltiger
gothischer Dome.
Ehrenberg war früher vor Voll
endung der Atlantic- und Pacisic-Eiscn
bahn ein bedeutender Stapelplatz mit
mehreren Millionen Dollars Umsatz,
heute liegt es öde nnd verlassen. Zehn
Meilen weiter, und wir haben die sog.
Barriere erreicht, nämlich zwei einander
gegenüberstehende mächtige Felsblöcke,
welche eine Art Engpaß im Fluß bilden.
Eine noch merkwürdigere Bildung ist der
sog. Lenchtthnrm, ein zweihundert Fuß
hoher Felicupfeiler, der mitten aus dem
Flnßbetr kerzengerade emporstcigt.
Oberhalb Ehrenberg, etwa sieben
Meilen davon, liegt La Paz, Aubrey
und Parker, welche hente, da der Fluß
plötzlich in eigensinniger Laune sein
Bett geändert hat, ziemlich weit vom
Colorado entfernt liegen und verödet
sind. Am sogen. Bill Williams' Fork
durchbricht das romantische
Chcmehievis-Thal in einer Länge von
25 Meilen und strömt dann durch das
berühmte Mojave Eannon, welches in
8-förmiger Gestalt sich zehn Meilen lang
windet; dessen letzter Ausläufer trägt
den befonderen Namen „Great Bend"
des Coloradostioms. Dicht dabei liegen
die „Ncedles", ein wichtiger Punkt der
Santa Fe-Eisenbahn, wo eine stäh
lerne Eisenbahnbrücke in kühnem Bogen
den Fluß überwölbt. Acht Meilen vom
Camp Mojave, 21 l) Meilen von Ehren
berg, steht ein eisernes Grenzmal, dort,
wo die Staaten Kalifornien und Revada
aneinander stoßen.
Nach sechszig Meilen erreicht man El
Dorado Eannon, wo der Strom an
sängt, resp, aushört, schiffbar zu wer
den. An Näturschönhcit und imposan
ter Pracht kann sich dieses Eauuon ge
trost mit dem etwa IW Meilen weiter
oberhalb liegenden Grand Eannon mes
se». wenn auch dieses gewaltigere Di
mensionen ausweist, denn eS hat eine
Länge von 4vt) Meilen und die Tiese
des Abgrundes, aus dessen Boden der
Fluß sich brausend pnd schäumend sei
nen Weg bahnt, mißt zwischen 8t)t) und
ZWO Fuß. Major Powell war der
irstc und bisher auch einzige Reisende,
velcher das Grand Eannon bis zu sei;
ier ganzen Lange und Tiefe erforscht
and beschrieben hat. Das war vor
!twa einem Viertcljahrhundcrt.
Mitleid. Dame: Staatsan
valt sein ist doch sehr anstrengend?
Staatsanwalt: Weshalb denn? Dame:
?o lange in allen Blättern suchen zu
müsse», bis man eine Majestätsbelcidi
;uug findet!
Ber schnappt. „Also, Sie
>aben in letzter Zeit znr Aushilfe be<i
inem Juwelier gearbeitet; was haben
Zie da gekriegt!'" „Sechs Wochen!"
Ein Süuder. Hm, meine
Hrau ichcnkt mir znm Geburtstag einen
das Symtwl der Treue; sollte
ie schon etwas gemerkt haben!
Ein rpser der Kindesliebe.
Rosa war vierzehn Jahre alt, als ihr
Vater in der Fabrik verunglückte und
an den Folgen erlittener schwerer inne
rer Verletzungen starb; ihre Mutter,
nicht mehr im Stande, das Schulgeld
für ihre einzige Tochter zu erschwingen,
behielt dieselbe bei sich nnd suchte, so
viel sie konnte, durch Waschen und Bü
geln außer dem Haufe den kargen Le
bensunterhalt sür sich und Rosa zu
verdienen.
Wenn die Mntter außer dem Hause
zu weilen gezwungen war, besorgte
Rosa das bescheidene Hauswesen in dcr
kleinen Dachwohnung, strickte Strumpfe
auf Bestellung und kochte für Mutter
und sich. Sic liebtc ihre Mutter ab
göttisch und jeden Abend stand sie an
der halbgeöffneten Thür lauschend, bis
dcr müde Schritt dcr Mnttcr die fünf
Trcppcn, die vom Erdgeschoß an zn
steigen waren, herauskam; dauu leuch
tete ihr blasses Gesichtchen vor innerer
Frcudc; sie eilte an den Tisch, die
llcine Oellanipe zn entzünden nnd
schnell noch den Topf mit dcr damptcn
dcn Suppe uachznfehcn, damit Mnucr
lein Alles zum Empfang bereit finde.
Saß die Mntter dann in des seligen
VaierS alten Lehnstiihl, so sagte sie ge
wöhnlich, die Hand auf den dunklen
Scheitel ihres Töchterchens legend:
„Röschen, Du bist mein gutes Kind!
Tu bist für mich eine rechte Stütze uud
machst mir viel Freude!"
Da war Röschen glücklich—so glück
lich, Ihr könnt's kaum glauben!
So stand Röschen auch einmal eines
Abends; es war schon sehr finster ge
worden; der Wind pfiff kalt, eisig kalt,
durch die Straßen, die Nüsse auf den
selben in Eis verwandelnd; längst schon
war die Stunde vorüber, in dcr Mnttcr
zu kommen pflcgtc; das Mädchen hatte
das Lämpchen entzündet nnd den' Fuß
schemel vor den Lehnstuhl gerückt; dann
eilte es klopfenden Herzens, an seinen
gewöhnlichen Posten und horchte hinan»
aus die sinstere Treppe.
Unten wird die Hausthüre aufgeris
sen; Tritte, Stimmen, Lichter im Flur;
ina» koninit die Treppe herauf, tmmer
näher koninit es, endlich gütiger
Gott!' — die bleiche Fran von mehreren
Männern getragen, eS ist ihr Müm
terchen! Rosa ist im Nu bei ihr. „Was
Ungeschehen. Mutter?" ruft sie angst-
Ml; doch Mntter antwortet nicht; aus
einer tiefen Wunde am Kopfe läuft das
Blut über das todtbleiche Gesicht. Asch
bleich. doch ohne Thränen in den Au
gen, ösfuet das Mädchen den Männern
die Thür nnd sieht, wie sie ihr Mütter
lcin auf's Bett legen.
Cio alte» der Doktor, unter
suchte die Ohnmächtige. „Hier kann
die Fra» nicht bleiben, sie muß zu bes
serer Pflege in'S Spital!" entscheidet er
endlich. Roia hat des Toltors Wort
gehört; ihre Mutter in's Spital? nim
mermehr! Sie geht und stellt sich vor
das Beil der Mutter,als wolle sie Jeder
mann den Zutritt wehren, ihre Wan
gen glühten. „Lassen Sie die Mutter
hier, Herr Doktor, spricht sie entschiede
nen Tones, die blitzenden Angen anf
den Arzt geheftet, „ich will sie pflegen
und alles thun, was Sie anordnen, aber
in s Spiial darf die Mutter nicht, so
lauge ich lebe!"
Äerwundert blickt der alte Doktor
ans die hoch.infgcschoffcne schmächtige
Madchengestalt; doch er ist Menschen
kenner, in ihren Augen liest er un
beugsamen Willen und Entschlossen
heit!
„So mag'S darum sein," sagte er zö
gernd. „doch, Kleine, harte Nachtwachen
wird es Dich kosten nnd wochenlange
Pflege, bis Deine Mutter wieder gesun
det!"
«s?o übernahm Rose allein die Pflege
ihrer Mutter; Nacht und Tag wich sie
»icht vom Bette der Kranken und sooft
sie ih: tische Eonipressen auf die tiefe
Kopsw.mdc legte, die ihr der erzbe
wehrte Huf eines Pferdes geschlagen,als
sie ar.i Straße ausglitt
und stü'.z!'', and ein leiser Handdruck,
ein Lächeln der Mutter ihr dafür dankte,
leuchtete ihr ouukleS Auge voll tiefer,
opferfrcnktgec Liebe!
Nach vierzehn langen Tagen end
lich, erklärte der Armenarzt, Mntter
dank der gehabten ausgezeichueten
Pflege a!S außer Gefahr, stellte seine
weiteren Besuche ein uud erlaubte der
Kranke», zum ersten Mal aufzustehen.
Röschen rückte den Lehnstiihl an'S
Fenstcr ui.d balf der Mutter beim Auf
stehe . und Ankleiden; dann, als Müt
terlciu behaglich eingerichtet war, öff
nete sie. znm ersten Mal seit Wochen
das Fenster. Mit Wonne athme
ten Beide die eindringende frische Luft,
zugleich bemerkte aber die Mntter mit
Schrecken, wie hinfällig und mager ihr
Kind geworden war! Sie schkug
ihren Arm um ihr Kind und preßte
es stumm an sich; ihre Angen füllten
sich mit Thränen Thränen des Dan
kes an die Vorsehung für solch' eine
Tochter! Beide schwiegen.
Plötzlich erschauerte Rosa.
„Wir wollen das Fenster schließen
Mutter, bat fie, eS könnte Dir sonst zu
viel werde», komm, lege Dich wiedlc
zu Bett, ich bringe gleich die Abend
suppe!"
Längst schon schläft die Mutter, durch
die kleinen Scheiben des Dachfensters
blinzelt der Mond und verklärk Rosas
blasses Gesichtchen, sie sitzt am Bette
und hält die Hand der ruhig und tief
Schlafenden in ihren fieberhaften Händ
chen, den Blick nicht von ihr wendend.
Endlich erhebt fie sich leise und sucht ihr
Bcttcheu, doch lange kommt kein Schlaf
in -ihre Augen.
„Wenn Mntter gesund ist, denkt sie,
uud wieder verdienen kann, so will ich
in die Fabrik dort drüben gehen. Nach
bars Anne ist ja auch nicht älter als
ich.nnd verdient ein hübsches Stück Geld
die Woche.
Mutter dachte nie an sich, die Gnte
braucht Kleider, ich will sie ihr schaffen
mit meiner Hände Arbeit, werde ich es
könne»? Sie hustet leise und Preßt
die Ha»d gegen die Brust. „ES
schmerzt mich so sehr hier innen und ich
kann oft kaum athmen doch, ich muß
es können! Wenn doch der liebe Gott
wollte, daß ich recht stark würde, um
tüchtig arbeiten zu können; Mutter soll
besser leben, wie kann sie es, wenn ich
es nicht möglich mache?"
Die schmalen Arme kreuzen sich über
der raschathmenden Brust. ,Mlf mir,
lieber Gott," betete sie, „daß ich Mutter
besseres Leben verschaffen kann, ich will
auch immer sromm und brav bleiben,
nur laß mich kräftig werden wie Nach
bars Anne, daß anch ich bald viel ver
dienen kann, wie sie! und wenn ich
dann der guten Mutter das bieten
kann, was sie sich versagt, um .meinet
willen— o! welches Glück für mich!"
Noch einmal, wie zum Abschied,
blinzt der Mond über den benachbarten
Tachgiebel uud wirft fein weißes Licht
aus das hagere Gesichtchen mit fieber
glühenden Wangen auf die sammt
schwarzen Augen und das Rabenhaar
des Mädchens, dann verschwindet er.
Röschen hat ihm mit den mageren
Händchen gewinkt; „Gnte Nacht,
Mond", flüstert das Kind, „sage es den
Sternen und die mögen es den lieben
Englein sagen, das? Gott mich recht
bald stark macht, daß ich für Mutter ar
beiten nnd verdienen kann!"
Endlich schließen sich die müden
Augen und in die tiefen regelmäßigen
Athemzüge der genesenden Mutter mi
schen sich diejenigen des Kindes, von
häufigem Husten unterbrochen.
Am anderen Morgen erwachte die
Frau nach erquickendem Schlummer;
ein Blick auf Röschens Bett zeigte dies
leer. Das liebe Kind war ohne Zwei
fel schon in der Küche, den Mutter den
Frühtrank zn bereiten; und wie leise,
wie sorgsam stille es sie thut, die Mut
ter, die sie schlafend wähnt, nicht z»
wecken, kein Laut ist zu hören.
„Rosa," ruft die Mutter, „Rosa,
mein liebes, liebes Kind, ich schlafe
nicht mehr: komm ein wenig zu mir
herein komm!"
Keine Antwort erfolgt.
„Sie wird auswärts lein," meint die
Frau in Gedanken, und wartet; sie
denkt an ihr liebes Kind, wie sie ihm
jetzt alle Liebe vergelten will; auf
Händen will sic cS tragen; eS soll sich
schonen, bis die schmalen, blaffen Bäck
chen wieder dicker und roth werden; so
soll es sein!
Eine unbezwingliche Sehnsucht nach
ihrem Kinde erfaßt sie; sie kann nicht
widcrstchen, lcise erhebt sie sich und öff
net die Küchcnthür.
Da knieet Röschen vor dein noch nn
angezündeten Ofen, das bleiche Köpf
chen mit dein langen schwarze» Haar
an den Ofcnrand gelehnt.
Einen Aiigcnblick steht die Mutter
unbeweglich, den Blick fest auf ihr Kiud
geheftet; dauu ruft sie laut „Rosa!"
und breitet die Arme aus.
Das Röschen rührt sich nicht; der
bleiche Mond sagte es den Sternen und
diese wieder den lieben Englein. so, wie
das kranke Mädchen eS wünschte; die
Englein aber sagten es dem lieben
Gott uud der befahl ihnen, die reine
Seele des edlen Kindes in jene Sphä
ren zu tragen, wo kein Kummer mehr
herrscht.
Anne Mutter! Mögest Du bald Dein
Kind wiederfinden!
Di« Beleidigung durch das Kla
vierspiel»
Ein besonders zart organisirteS Ohr
und eine cmpsindsame Seele nennt Herr
Grünzweig sein eigen, der neulich vor
einem Wiener BezirkSrichter in folgen
der Angelegenheit stand. Richter:
Griinzweig, Sie haben sich wegen bos
hafter Beschädigung fremden Eigen
thums zu verantworten und erscheinen
zugleich der der Ehrenbe
leidigung angeklagt. Angeklagter:
Es ist nicht meine Schuld, daß ich da
stehe, man hat mich gereizt bis zum
Wahnsinn, ich bin der Beleidigte, nicht
die Damen dort. Ich bin ei» Sammt
weber, die Damen sind meine Nachba
rinnen und verhöhnen mich alten, armen
Mann von früh bis Abends auf die
raffinirteste Weife, man nennt mich
eine» alten Esel, einen Lump, die Da
men fekkircn mich unausgesetzt durch
ihr Klavierspiel. Einmal ahmen sie
das Geräusch meines Webstuhls nach
am Klavier, dann, wenn sie merken,
daß ich aufhorche, folgen die schrecklich
sten Beleidigungen. O, ich kenne das,
„ich habe es genau ausgenommen" und
verstehe, was die Töne sagen. Einmal,
recht hoch ein Triller, hihi, hi, hi, lachen
sie mich aus—dann, wann sie mich wü
thend wisse», telephoniren sie im Grund
baß: tnm, tumtum dum. Das heißt:
du alter Esel, uud wieder stakkato: du
Lump! o, Herr Richter, das thut weh.
ich halte es nicht aus."
Richter: „Sie sind wohl kein Freund
der Musik!" Angeklagter:
Herr Richter, aber ein Feind
leidigungen. Ich habe ein feiins Ge
hör." Richter: „Ja, mir
aber allzu fein. Wareü Sie schon
krank?" „Nie, Herr
Richter, ich verstehe, was Sie meinen,
ich bin geistig ganz normal."
Der Angeklagte schildert dann, wie
er in namenloser Aufregung über die
musikalischen Beleidigungen einen Be
senstiel ergriffen und leider unter
Schmähungen auf den Fensterrqbmen
der Damen im Zorn loSged«schen yabe.
Ein Schaden ist glücklicherweise nicht
nachweisbar und da die Damen dem al
ten Herrn verzeihen, konnte der Richter
Freisprechung verkündigen.
Guck', i' sag's ja unverhola.
Guck', i' sag'S ja unverhola.
Und i' gib'S ja zua,
I' hau' Diar a' Küßle g'stohla
Als a' böser Bua;
Aber Du, um 'zahlt De z'macha.
Daß e' sei so keck,
Nimmst m'r, des sind koine Sachs,
Glei' 's aanz Herzle weg!