2 Prof«ff»ren»H«mor. Neber den Humor der berühmten Berliner Professoren ließe sich ein gan zes Büchlein schreiben. Hier einige Proben von diesen „huschenden Blitzen" des Hörsaals: Einer der geistreichsten Gelehrten, der von Humor förmlich übersprudelt, ist der Chemiker Geh. Rath A. W. von Hofmann. Wenn er, um nachzuweisen, daß der Diamant aus Kohle besteht, einen winzig kleinen Splitter verbrennt, so Pflegt er an den Glasballon die Hand zu halten, da eS, wie er hinzuiügt, ihm nicht alle Tage vergönnt sei, sich an einem Diamant feuer zu wärmen! Und wie Homer von einer schaumgeborenen Aphroditr spricht, so nennt Hoimann die bei der Verbrennung entstehende Kohlensäure die „diamantgeborene"! Der sieghafte Humor VirchowS ist aus derberem Stoff: Eines TageS sprach der welt berühmte Patbolog von dem Bau der Leber und meinte dabei, daß ihm regel mäßig eine GtwebSart genannt werde, die in der Leber vorhanden sein solle. „Ich gebe Ihnen 3 Mark",ries Virchow mit erhobener Stimme, „wenn Sie mir dies Gewebe nachweisen wollen." Als sich bei diesem Anerbieten schallendes Gelächter erhob, setzte er trocken hinzu: „Lachen Sie nicht, 3 Mark sind für mich eine große Summe!" Interessant ist es, wie der Gelehrte parlamentarische Redefloskeln in den Hörsaal verpflanzt. Wenn er sein Colleg aussalleu läßt, so spricht er von „vertagen", und nach den Weihnachtsferien will er seine Zuhörer „wieder einberufen." AIS er jüngst bei einer Verspätung durch das übliche Scharren empsangen wurde, wandte er sich an die „Herren von der reckten Seite" mit dem Er suchen, jene Begrüßung einzustellen. Das Scharren erinnert übrigens a» eine Episode aus den Vorlesungen des Romanisten Professor Tobler, des vor jährigen Rektors. ES war an einem Wintertage im großen Auditorium No. 6. Die Zuhörer waren mit irgend etwas unzufrieden, ich glaube mit den Störungen, welche die Nachzügler verursachten. So wiederholte sich von Zeit zu Zeit das heftigste Scharren. Professor Tobler mußte wohl anneh men, daß die Aeußerung des Mißfallens Ihm selber gelte, und fragte ganz ruhig und trocken: „Ich weiß garnicht, warum sich die Herrki, soviel Bewegung ma chen, ist Ihnen denn gar so kalt an den Füßen?" In jener Stunde scharrte Niemand mehr. Auch der jüngst geadelte Profes sor v. Bardeleben weiß feine Reden durch guten Humor zu würzen, manche seiner „Schnurren" kehren aber stereo typ in jedem Semester wieder. So er zählt er regelmäßig von folgender Exa menfrage eines alten Generalarztes: „Was würden Sie thun, wenn Sie auf da» Schlachtfeld gerufen und Ihnen ge sagt würde, das Pferd des Majors wäre gestürzt und hätte sich das Schlüs selbein gebrochen." Der Examinator habe alle möglichen Verbände und Heil mittel als unzweckmäßig abgewiesen und nur die Antwort hören wollen: „Ich würde das Pferd für eine hohe Summe in ein großes Museum verkaufen, denn sonst gibt eS —keine Pferde mit Schlüs selbeinen !" Proiessor du Bois - Reymond pflegt bei der Accomodation der Augen die Thatsache zu betonen, daß eS unmög lich sei, beide Augen verschieden zu be wegen. „Nnr ein Thier hat die Fähig keit, gleichzeitig nach mehreren Seiten zu blicken ; das ist der Basilisk. Des wegen wird von „BasiliSken-Blick" ge sprochen. Allerdings besitzt auch eine Kategorie von Menschen diesen Blick, ich meine die Frömmler, die das eine A»ge aus die Erde richten und mit dem andern nach dem Himmel schielen!" Geh. Rath Leyden ist vielleicht der liebenswürdigste aller Professoren. Es war in der letzten Stunde eines Se mesters, da nahm der berühmte Klini ker bei Vorstellung eines Patienten die Gelegenheit wahr,'hinsichtlich der Er nährungsfrage besonders aus Alcoho lica die Rede zu lenken. Aus einen Wink erschien nach der Demonstration ein Wärter mit einem Korbe von sechs Flaschen Ehampagner, die dem Gehei men Rath von einer Firma zur Prü fung übersandt waren. Der Professor schien die bis zum Semesterschluß aus harrenden fleißigen Studenten belohnen zu wolleu. Bald hatte Jeder ein ge fülltes Glas in der Hand, unter dem Rufe „Prosit, Herr Geheimrath," „prosit, Herr Collega," wurde der Wein „geprüft" und sür gut erklärt, wenig stens sür - Gesunde! Bor einigen Jahren be lustigte den schwäbischen Landtag fol gender Vorsall: Im Jahre 1873 war da» Institut der Heranbildung von NotariatScandidaten geschassen worden. Der in den achtziger Jahren vorgelegte Etat wies hierfür über 8000 Mark ius, welche Summe auf SSV» Mark herabzusetzen man beantragt hatte. Em Abgeordneter sprach für die höhere Summe und führte aus, daß zwar Jedermann vermeiden könne, vor den vtrasrichter, ja auch vor den Civllrich !er treten zu müssen, daß aber dem Notar Jeder verfalle. Er schloß mit der gehobenen Tones vorgetragenen Apostrophe! «Sorgen wir durch sorg fältige Heranbildung des Notariats standes, daß wir ruhig sterben können." Ihm gegenüber erhob der Abgeordnete für Ulm den geflügelten Einwurf: .Wir hatten auch vor dem Jahre 187 Z tüchtige Notare; wir sind auch vor dem Jahre 1873 ruhig gestorben!" In der Sylvesternacht. „Warum hörst Du so plötzlich zu trin ken aus " «S' is noch eine Se cunde bis zwöls Uhr! Ich will im »lten Jahr mal wenigstens eine Se cunde solid gewesen sein!" In einer Versammlung. Junger Mann ( begeistert): „Auch rch war m Arkadien geboren! Mitanwe sender: Ha, glaubet Se doch dees Ding net; i woast's g'wiß, der ischt aus vopfinge»!" »t« »letder. Di« Moden des Tage» werden ge meinhin sür Product« der Willkür und der Laune gehalten. Man glaubt, der Zufall fei der maßgebende Factor im Werden und Vergehen moderner Ge schmacksrichtungen. Wir haben bereits so viel von Modethorheit und Mode narren hören muffen, daß eine ernsthaft« Opposition nicht ausbleiben kann. Di« seit Jahrzehnten dominirende naturwis senschaftliche Denkweise hat uns daran gewöhnt, in sämmtlichen irdischen Er scheinungsformen nach Entstehungsge setzen zu suchen. Warum pflegt man nun nicht auch den Wechsel der Mode für gesetzmäßig sich entwickelnd zu hal ten? Selbst daS Studium der Kleider moden dürste verlangen, ebenso wissen schaftlich ernst genommen zu werden, wie das Studium der Käfer und Schmetterlinge. Allerdings ist man heute sehr geneigt, eine wissenschaftliche Disciplin erst dann ernsthaft zu behandeln, wenn dieselbe so viel gelehrtes Material gesammelt hat, daß ein Ausstellen weitausschauen der Hypothesen unmöglich geworden ist. Da jedoch die „Entwicklungsgeschichte der menschlichen Kleidermoden" momen tan noch nicht so weit gediehen, daß man von kecken Hypothesen absehen könnte, so niag in diesem Umstände wohl auch eine Erklärung der verchtetenen Stel lung deS TrachtcnstudiumS enthalten sein. Forschen wir nach de« Gesetzen, v-lche bei der Entstehung des Mode wechsels bestimmend sind, so dürft« zunächst auffallen, wie jedes Kleidungs stück zu allen Zeiten in mnigster Bezie hung zu dem allgemeinen Kunst- uns Kulturcharakter einer Zeit oder eines Volkes steht. Vergleicht man z. B. di« Tracht des Rokoko mit der des Empire, so wird daS Verhältniß ohne Weiteres sich fühlbar machen. Nehmen wir den Nockschnitt der Herrcnkleidung der Ro< kokozeit, so bemerken wir eine ständige Verwendung weitausgeschweiiter Linien. Ganz anders wird die Rockform nach 178». . Zur Revolutionszeit ist bereit» de> Frack das dem Stil des Empire ent sprechei.de Kleidungsstück. Der Empire geschmack vermeidet die geschweifte Li nie, bevorzugt dagegen den rechten Win kel diesen aber finden wir nur all zudeutlich auf der Vorderseile des Fracks wieder gerade dort, wo das Rokok« eine weitaus geschweifte Linie ange bracht hatte. Dieses Beispiel dürft« geeignet sein, das Verhältniß zwiichei, Kulturgeschichte und Trachtenkuude ent sprechend zu illustriren. Die Bedeutung der Trachtsormen ge stattet auch ein Rückschluß aus die Be deutung der entsprechenden Kulturhöhe. Die Tracht ist unter Umständen das Kainszeichen einer Kultur. Demnach dürste das Kleiderstudium immerhin sür interessant gelten dem Kulturhi stori er werden die Kleider noch häufig genug bedeutend erscheinen. Die Gesetze, nach denen sich der Mc< degeschmack umwandelt und entwickelt, werden einerseits ähnlicher Art sein wie diejenigen, welche sich bei der Weiter bildung der Krystallsormen unserer un organischen Natur geltend machen. ES werden die complicirteren Formgeoilde den einsach-n solgen, die Kurven werden die Winkel in der Herrschaft ablösen und umgekehrt. Die einzelnen Klei dungsstücke werden sich immer weiter ..bilden r ach den einfachen Naturge setzen, die bei Thieren, Pflanzen. Stei nen. :c. die Entwicklungsgeschichte be stimmen. Aus der anderen Seite wer den die Modesormen in der Kleidung vcn denselben Wandlungsmotiven ge leitet, unier denen sich die allgemeinen künstlerischen Bestrebungen ständig ver ändern oder entwickeln. Architektur und bildende Kunst dürften sich dabei eben soviel maßgebenden Einsluß aus die Kleidung verschaffen, wie Literatur und Musik. Nur dars man nicht ver gessen, daß sich bei Ausbildung der Mo den der Geschmack großer Massen kund thut, nicht der allein dastehende Ge schmack einzelner Individuen. Wenden wir uns den speciellen For> men der modernen Kleider zu, so wer den wir das bisher Gesagte vielsach illustriren können. Um aber die Be handlung des Themas übersichtlicher zu gestalten, wollen wir uns hier auf die moderne Herrenkleidung beschränken. Die moderne internationale Herren kleidung ist vorwiegend ein Product der französischen Revolution von 1789. Man darf jedoch nicht behaupten, daß vor 100 Jahren in Paris der Empire geschmack eine herrschende Stellung eingenommen hätte. Der Empire stil steht zu der französischen Revolution fast in gar keiner Beziehung. DaS Charakteristische des Empire finden wi, bereit» in den Möbeln Ludwig XIV. vor. Man kann sogar sagen, daß de, Empirestil seit dem IK. Jahrhundert anknüpseud an die einsachsten Renais sancesormen durch zwei Jahrhundert, sich in der Stille ausgebildet habe, mit daß sein Erscheinen 1780 durchaus nichl für unvorbereitet gehalten werden darf Ein BeweiS für das Nebeneinander gehrn von Empire und Rokoko liegt in der Thatsache, daß auch in diesem Jahr hundert beide Stilarten friedlich mit einander sich weiterentwickelt baden. Neben dem Empiregeschmack machte sich aber noch der echte Barbarengeschmaii der Revolutionäre geltend; dieser Iva, vornebmlich bestimmend: für die mo derne Männerkleidung und das un künstlerische Element der Revolutionär, ist für die künstlerische und kulturelle Entwicklung im ganzen 19. Jahrhun dert immer in erster Linie maßgebend gewesen. Im Banne revolutionärer Ideen be gann man in Paris bereits im Jahre 178 V seine Kleidung zu vernachlässigen. Die eng anliegenden Beinkleider de, englischen Fuchsjäger wurden Mode. Indessen dieie Mode war nicht durch die Begeisterung für das Jagdvergnü gen entstanden die eng anliegenden Beinkleider hatten zur Tracht der eng- kschen Revolutionäre gehört, »nd da» allein gab der neuen Mode die DaseinS fähigkeit. Zur englischen Revolutions zeit hatte man auch kurze Haare ohne Perrücke :c. getragen auch die natür lichen Haare wurden demnach zur sran zösischen Revolutionszeit modern. Be kannt ist, wie aus dcr Kniehose (orilotts) die lange Hose (p»nt»l»n) geworden. Di« enganliegenden Bein kleider mußten naturgemäß in den Stulpstiefeln stecken, und als die Revo lutionäre auch die weitesten Beinkleider neben den Stulpstiefeln trugen, gab man sich schließlich nicht mehr die Mühe, die Hose in den Stieseln zu verbergen, man ließ sie hinübersallen und so entstand das charakteristische Kleidungs stück unserer modernen Herrenwelt. Ä«gen die lange Hose muß wohl zu nächst Front gemacht werden, wenn wir den RevolutionSgeschmack nicht weiter :ultiviren wollen. Die Entstehungsgeschichte der einzel ,en Kleidungsstücke ist leider meist so lomplicirt, daß wir fernerhin hier nur ilndeutungen geben können. An die stelle des RokotorockeS trat allmählich »er Frack, der anfänglich fehr lange Zchöße, bunte Farben, blanke Knöpfe >c. befaß und dessen Schnitt unsäglich siele Wandlungen durchmachen mußte. Zlm Anfange diefeS Jahrhunderts ward Ser Empiregefchmack hart bedrängt, und sie runden Formen fanden wieder An klang, was zur Folge hatte, daß auch ser Frack runde Formen zeitweilig em pfing. Neben dem Frack bildete sich roch der sog. Gehrock aus, der vielleicht inter dem Einfluß des polnischen schnürrockeS zur Entwicklung gelangte. Der Gebrock war eigentlich nur eine Lersimpelung des Rokokorockes. Der liioderne Geschmack kennzeichnete sich nur dadurch, daß er es verstand, sämmtliche durchgebildeten Formen so lange abzu schleiien, bis sie gänzlich unkenntlich und bedeutungslos geworden. Unsere mo dernen Röcke, Jackets, Paletots etc. sind oorzügliche Exempel einer unküustleri schen Tracht, deren Utilitätscharakter durch Abschleisung von künstlerisch ent wickelten Formen erzeugt wurde. Die Weste hat ihre frühere Bedeutung m Laufe der Jahrhunderte völlig eiu zebüßt. Das Halstuch trat zur Revo lutionszelt an Stelle des SpitzentucheS. Die Jncroyable bildete die sogenannten Latermörder durch, aus denen sich un sere modernen Stehkragen entwickelten unsere Spazierstöcke dürften ein Pro suct der Reitgerten sein, denn die vor lvl) Jahren beliebten Stöcke besaßen last Körperlänge und galten als Srra zenwasse. Ueber die modernen Hüte läßt sich wenig sagen, man muß nur be ilagen, daß sie so herausfordernd ge schmacklos sind sowohl die steisen wie veichen Hüte. Der Cylinder, dessen Zorn» schon im Mittelalter bei Deut schen und Spaniern sich zu entwickeln legann und zu alle» Zeiten z. B. bei Assyrern und Persern in verwandten Sildungen beliebt war, wird auch ser lerhin seiner Höhe wegen die Mode be herrschen, obgleich der Cylinder eigent lich nur als Pendant des Fracks betrach et werden sollte. Die moderne Herrenmode hat sich so iach, wie wir gesehen, im 19. Jahr hundert nicht wesentlich weiter eniwik !elt. Nur die Farblosigkeit hat ständig Zugenommen. Der unkünstlerische Ge chmack der Revolutionäre ist maß gebend geblieben. Selbstverständlich sind aber auch noch viele andere Ele nente in der Trachrentwicklung unserer Zeit maßgebend gewesen und die Nach hänge des Rokoko und Empire, der Renaissance und Antike :c., sie haben ämmtlich auch in der Kleidung kleine Züge hinterlassen, deren Aufzählung »es Raumes wegen hier allerdings licht möglich ist. Andererseits wird Iber nicht geleugnet werden, daß unser materielles und materialistisches Zeit iger die praktischen Utilitätsprincipien sowohl im Leben wie in der Kleidung in einer Weise zu Ehren gebracht hat, daß jedem künstlerisch empfindenden Renschen der Muth der ästhetischen Principien vergehen kann. Der Aesthetiker wird nach dem Vor zange der Antike zunächst verlangen, daß die menschlichen Körpersormen durch feine Faltengewänder durchwirken, wie wir das an den hellenischen und helleni stischen Gewandstatuen bewundern kön »en. Man hat häufig und nicht mit Anrecht in diesen Gewandstatuen den Vipsel der Plastik erblicken wollen. Am Ende des vorigen Jahrhunderts sucht? man diese Geivandwirkung durch die leichtesten Kleiderstoffe künstlich wieder hervorzuzaubern, es entstand aber nur rin allgemeiner Husten und Schnupfen in der damaligen Damenwelt. Wir muffen mit Rücksicht auf unser Klima »uf den antiken Trachteffekt verzichten. Deswegen sollten wir aber noch nicht ius die Reize des Faltenwurss über haupt Verzicht leisten. Wir können auch in unserem rauhen Klima der sorm irmen Glätte entgegenarbeiten. Der Utilitätsstandpunkt darf in der Klei dung nicht allein maßgebend bleiben. Zunächst müßte das lange Beinkleid schwinden durch Einführung von Stulpstieseln, Kanonen, Strümpfen oder Gamaschen. Nach meinem Dafürhal ten wäre die faltenreiche Pluderhose ein zugleich bequemes und künstlerisch wir kungSsäliiges Kleidungsstück. Dieselbe muß natürlich als Kniehose auftreten, sie gäbe auch den übrigen Stücken einen besonderen Weg an. Auch die Rockärmel müßten bauschige Falieiipuffen zeigen. Wenn diese hoch oben auf der Schulter bereits begän nen, so entgingen die Schneider der jetzt fast unvermeidlichen Unschönheit der Schulterblaitkleidung. Der Falten wurf läßt sich also ersetzen. Die Mo den der Zukunft irgendwie beeinflusse» zu wollen, scheint aber gemeinhin Ver gebliche Mühe zu sein. Nur große Künstler, ein Rubens, ein Schinkel, ein Makart :c. haben ver mocht, einen künstlerischen Einfluß aus bie Trachtenententwickelung ihrer Zeit auszuüben. Nur die Druckkraft große? Persönlichkeiten vermag, getragen durch verwandte Kraftäußerungen im Volks, leben, Wandlungen in unserer Welt hervorzubringen. Auch eine neu« Kleid?rmode wird, -wie sie auch sein mag, immer nur daS mittelbare Resul tat von Bestrebungen sein, die sich auch in der Kultur und Kunst eines Zeit alter- Geltung verschafft haben. Der Kre>sa»ay. Berlioz erzählt eine spaßhafte Anek bote aus jener Zeit, Ivo der „Freischütz", sretlich in mannigfacher Entstellung, in Paris zuerst zur Aufführung kam. „Ei war im Jabre 18LL, ich wohnte damals im lateinischen Viertel, angeblich unt wie meine Eltern sich einbildeten, uw Medicin zu studiren. Als im Odeon Tbeater der „Freischütz" gegeben wurde, ging ich fast jeden Abend in'S Theater, häufig begleitet von einem anderen Studenten der Medicin, Dubonchet, de» später einer der 'gesuchtesten Aerzte von Paris wurde. Bei der siebenten Bor stellung fiel eS einem dicken rothhaari gen Bengel ein, die Arie der Agathe im zweiten Akte auszupfeifen; er behaup tete. daß sei „barocke" Musik und in der ganzen Oper nichts gut, als höch stens der Walzer und der Jägerchor Natürlich wurde dcr Barbar an die Lust gesetzt und Dubouchet rief, indem ei seine zerknitterte Kravatte wieder in Ordnung brachte: Den Kerl kenne ich er ist Gewürzkrämer-Commls auS der Straße Samt Jacques!" Das Par terre spendete der Heldenthat rau schenden Beifall. Sechs Monate später wurde der arme Teufel von Dütchen dräher krank, kam in's Hospital und starb dort. Zufällig kam feine Leiche dem Herrn Srudiofus Dubouchet vor Augen, und der unerbittliche Jünger AeSkulaps kaufte sich dieselbe und ließ sie „tro:ken präparir » Fünfzehn Jahre waren seitdem ver gangen; Berlioz hatte sich ganz der Tonkunst gewidmet, uud der Direktor der Oper ihm die Composition der Re ntation im „Freischütz" übertragen. Da wendete er sich an den Ober Gar derobier und Requisiten-Jnspector und verlangte noch einen Todteukopf und Skelette als Erscheinungen sür die Wolssschlucht, aber wirkliche Gerippe, leine von Pappe, wie unlängst, im „Don Juan". Der Jnspector zuckte mit den Achseln und sprach von Unmög lichkeiten, so daß Berlioz endlich sich inhcischig machte, selb r sür ein Zkelett ;u sorgen. Er sährt zum Doctor Vidal, der Hute aber nnr einen gut conservir ten Todtenkopf zur Hand. Berlioz nahm feinen Hut und machte sich wieder auf den Weg; da traf er zu fällig seinen Freund Dubouchet, den er feit mehreren Jabren nichr gesehen. Die Freude des Wiedersehens wurde noch erhöht durch die Mittheilung Du bouchets, daß er deu Gewürzkrämer, den sie einst gemeinschaftlich zu Ehren der Kunst aus dem Theater geworfen, wohl präparirt in einem Zimmer stehen habe, blos der Kopf fei ein wenig schadhaft. „Den mußt Du geben," rief Berlioz, „der muß noch eine Rolle im „Freischütz" spielen." Gesagt, gethan. Als das nächste Mal Samiel wieder rief: „Hier bin ich!" erschien der selige Gewürzkrämer, der Feind der Weber'- jchen Musik, als Skelett ur bengalischer Beleuchtung uno schwang nach Herzens von» Kurfürsten von «srssc». Frisch, fromm, sröhlich und frei führte »er letzte Kurfürst von Hessen die Re zierung in Kassel nach füritlicher Laune. As war kurz vor dem Jahre Achtund oierzig. Bei dem Obergericht in Kas sel hatten sich solche Rückstände ange sammelt, daß man daran verzweifelte, sie mit dem vorhandenen Personal be wältigen zu können. Der Justizminister schlug daher vor, den Obergerichtsdirek tor Casselmann aus Rinteln zu berufen. Dieser Mann besaß eine enorme Ar beitskrast. Er allein that mehr Arbeit, ils sein ganzes Collegium zusammen genommen. Er kannte nichts anderes, »lS die Arbeit. Er mied Vergnügen und Gesellschaft. Ja, nian kann sagen, er war dem Umgang mit Menschen natürlich mit AuSnabme seines Ge richtspersonals vollständig entfrem det. Er vernachlässigte alle Äußerlich keiten und litt so sehr an Zerstreuung, daß er eines Tages, ohne es zu wissen, in Schlafrock und Pantoffeln spazieren zing. In Rinteln that das jedoch seinem Ansehen keinen Eintrag. Man kannte ihn und seine kleinen Schwächen und vergaß über letztere» nicht die Achtung, welche man dem fleißigen und pflicht eifrigen Richter schuldete. DaS war also der Mann, welchen der Justizmi nister dem Kurfürsten zum Director des Obergerichts der Haupt- und Residenz stadt vorschlug. „Erst sich vorstellen," versügte der gestrenge Herr. Cassel mann erschien also vor dem Kurfürsten. Ein altes, seltsam verkrümmtes Männ chen, mit einem blöden Gesichtsaus druck und mit Knickebeinen, altmodisch und nachlässig gekleidet, nahte er sich dem hohen Herrn mit ebenso zahlreichen als ungeschickten Bücklingen. Der Kur fürst musterte ihn mit wechselndem Un- Millen. Endlich explodirt er mit den Worten: „Kein Easselmann sein, nein, nein, Rintelmann sein, Riiitelmann blei ben." Bei dieser Entscheidung hatt« die Sache ihr Bewenden. Der Man« blieb in Rinteln, die GefchäftSrück stände in Kassel blieben gleichsalls, denn dorthin kam ein Anderer, der es besser verstand, sich zu kleiden and zu beneh men. Triftiger Grund. A.: Bei Ihrem Leiden würde ich entschieden einen Arzt cvnsultiren! B.: Ach, wozu? Mir kann doch keiner Helsen! A.: Aber bedenken Sie doch. Sie wis sen ja dann einmal gar nicht genau, Woran Sie gestorben sind! Sie kennt ihn. Student: „Klara, Du bist mein Ein und AlleS! Doch sag' mir, daß ich heute schon Del nein Papa ineinen Besuch machen kann?" Klara: „Ich weiß nicht, ob Pap» heute bei Kasse sein wird!" luqe«dli«be »Schreiben Sie auch!" —„Schreib« Sie auch!" klang es mir von Seiten in die Obren, als ich mich von Stuttgart verabschiedete, um nach dem Süden zu gehen. Wenn ich all' diese» Aufforderungen nachkommen wollte, hätte ich nichrs zu tbun, als Briese z« schreibe». Nun gehört aber diese, schor mehr weibliche, Liebhaberei keineswegs zu meinen Passionen, um so weniger als das Schreiben den Charakter eine» Berufsarbeit für mich hat. Wie dei Schneider gewöhnlich am schwerst» dazu kommt, die eigenen Hosen, und de, Schuhmacher, die eigenen Stiesel zi flicken, oder wie der Anwalt keine groß, Lust verspürt, sür sich selber Prozess« zu führen, so kostet es auch dem Schrift fteller eine gewisse Ueberwindung, i» persönlichen Angelegenheiten zur Fedei zu greisen. Gleichwohl ist eS unmög lich, dieses brieflichen Drangsals sict ganz zu entschlagen, und wie ich mir si überlegte, bei welchem Ende am beste« anzufangen wäre, kam ich aus den nicht unebenen Gedanken, jeweils einen Kol lectivbrief an die ganze Freundschaft z» schreiben, und den „Beobachter" zun Briesträger zu bestellen. Allerdings bin ich nicht nach Italien gegangen, um artistische Studien zr machen und ästhetische Berichte zu lie fern, sondern um wieder ordentlick schnaufen zu lernen. Aber diese Brief, sollen auch gar nichts Anderes sein, ali barmlose Erzählungen persönlicher Er lebnisse sür d'e Tafelrunde meine. Freunde. Ich habe in der Jugend be harrlich genug geschwiegen, um jetzt ei niges Anrecht auf die Schwatzhafligkeit des Alters zu haben. So will ich denr auch einmal die Plaudertasche mache» und ein wenig aus der Schule schwitzen und wenn bei dieser Gelegenheit dai heimische, um den Stammtisch sitzend, Publikum nach gemüthlich schwäbi schem Kneipenbrauch als Galerie zu gelassen wird, so hat es sich als Gast z» betrachten und sich demgemäß discrel auszusühren. Wein aber diese Roll, nicht paßt, der mag sich des Zuhöreiii enthalten und die Briese ungeleser lassen. Als ich des Abends in Zürich an kam, wurde ich von einem junger Freunde dem Sohne eines alten am Bahnhofe empfangen und in fei» gastliches Haus geführt, wo die liebens würdige Hausfrau, in Gesellschaft alten, jetzt eiiigeschwenerten Stuttgartei Freunde-, bereits mit dem Nachtessen auf uns wartete. Am folgenden Tage wollte ich vo> allem die Stadt infpiziren und verblaßt« Erinnerungen wieder auffrischen; abe» das alte Zürich war verschwunden und ein neues an seine Stelle getreten. Do dieses bei aller Verschönerung, mehi oder weniger aussieht wie beutzutag« alle neuen Städte, so machte dessen Pomp meinem erinnerungsdurstigen Herzen anfänglich einen etwas, auf dringlichen Eindruck. Es wurde mir ordentlich leicht, als ich beim Münster, die Limmat abwärts, auf eine Gruppe steinerner „Züribieter" stieß, die mir als alte Bekannte grüßend entgegen winkten. Auch die schmale Straße und das altz Haus mit dem breiten, erker artig vortretenden Fenster, wo ich im Jahre '4!) als Flüchtling wohnte, war noch vorhanden. Als ich es wehmüthig betrachtete, eingedenk der schönen Ju gendzeit, die inzwischen die Limmat und andere Flüsse hinab ist, stiegen verblaßte Bilder wieder in jugendlicher Frische vor mir auf, und das alte Haus schien sich zu beleben. Ach! Da ist ja noch der große Hausflur, in welchem man ein Pferd tummeln könnte, und auch die ausgeireteue Hosztreppe, die rechtwink lig sich umbiegend, gemächlich empor führt. Wie oft bin ich da hinaufgegangen mit erwartungsvollem Herzklopfen, und fast hätte ich Lust, es wieder zu probi ren. Aber woz»? Sie wird mirnicht mehr begegnen auf den Stufen, die holde Lisi mit den blauglänzenden Augen und den goldblonden Locken. Und die Roscn und Geranien aus dem Blumenbrett vor ihrem Fenster, die so fröhlich in der Sonne glänzten wie lange sind sie verwelkt! Ost genug huichte sie an mir vorüber, die schöne Nachbarm, meinen Gruß sittsam er widernd, ohne die Augen auszuschlagen, und es wollte mir nicht gelingen, ihre Blicke zu sesseln. Eines Nachmittags aber, als ich vom Spaziergang heim kehrte und meine Thüre öffnete, da fand ich das Zimmer von einem Schwarme junger, munterer Mädchen besetzt. Irgend ein Skandal aus der Straße harte ihre Neugierde rege gemacht, und da mein Fensler sür solche Schauspiele die erste Lage bildete, so hatten sie meine Abwesenheit benützt und sich des selben bemächtigt. Ich nahm alsbald meines Vortheils ivahr, schloß die Thüre ab. steckte den Schlüssel in die Tasche und sagte: „Erwischt!" Die Mädchen machten zweifelhafte, halb lustige, halb verlegene Gesi hter. Ich aber fuhr in komijch pathetischem Tone fort: „Holdselige Jungfrauen, die ihr die Bille Klause des einsamen Jungge sellen mit Fröhlichkeit füllet, seid mir willkommen! Aber da ihr immerhin unerlaubter Weise hier eingedrungen, so hoffet nicht, ebenso flüchtigen Fußes aus diesen Räumen zu gehen, wie ihr hereingekommen. Ich bin der Haus meister dieses Lustschlosses, in das ich alle hübschen Mädchen einlasse; jede aber, die wieder hinauswill, muß als Buße einen Kuß Thorgeld bezahlen. Ein Retourbillet tostet zwei. Nun ging ein Gekicher und Gelächter durch die lustige Schaar, gleich als hätte sie aufs Neue den Beweis zu li-sern, daß die Strase als Abschreckungsmittel eine falsche Theorie ist. Ich war frei lich damals Ü8 Jahre alt und ein schlanker Bursche was ich heutzutage selber nicht mehr glauben würde, wenn ich eS nicht ganz gewiß wüßte. Trotz dem wollte keine der Gefangenen mit Entrichtung des Lösegeldes den Anfang machen, uno die eine libob in ir r die andere vor Da eS mir jedoch um meine Nachbarin und nicht um die übri gen zu thun war, sagte ich: „Meinet halben 501 l diesmal Gnade sür Recht gelten: atec ganz ohne Denkzettel dars's bei diesem Hausfriedensbruch doch nicht abgehen. Ihr werdet Hälmchen ziehen, und wer das kürzeste hat, zahlt sür die andern." Ich riß nun ein Blatt Pavier in Streifen, steckte diese zwischen die Fin ger und ließ die Muthwilligen der Reihe nach ziehen. Zu meiner Nachba rin trat ich zuletzt, und während siv nach dem einzigen noch übrigen „Hälm chen" die Hand ausstreckte, riß ich daS Ende desselben unter meiner Hand ab; da war das ihre natürlich das kürzeste. Jetzt ließ ich die Mädchen desiliren, und als zuletzt die Schuldnerin kam, klappte ich die Thüre zu. Sie bezahlt« jedoch baar und verlangte keine Quit tung ; und als sie mir jetzt in die Augen sah, war weder Groll noch Reue darin zu entdecken. DaS war der erste Kuß, aber nicht der letzte denn sie löste ein Retourbillet. Die holde Lisi war nicht nur körper lich von harmonischer Wohlgestalt, son dern auch geistig von jenem anzebornen Gleichgewicht der Seele, welches von selber Maß hält, wie eine Waage, die sich immer wieder aus ihren Schwer punkt stellt. Ein Kind des Volks, sprach sie ihr „Züridütsch" ohne Milde rung des Dialekts, aber mit den ge wählteren Satzbildungen und stilisti schen Wendunzen des Schriftdeulfchen. Dies gab ihrer Unterhaltung den eigenthümlichen Reiz einer Verbindung des sinnlich Naiven mit denr seelisch Reisen und war um so wirksamer, als sich tiefes Gemüth und klarer Verstand bei ihr zusammenfanden. Sie war eine Art schweizerischen Gretchens. mit etwas mehr Umsicht und Selbstständigkeit. Eine republikanische Sympathie sür den Freiheitskampf des Volkes uud ei» weibliches Mitgefühl sür das Schicksal der Flüchtlinge gab ihrer Zuneigung eine Art poetischer Weihe, uud so trug diese liebliche Schweizermard nicht wenig dazu bei, mir die ersten Bitternisse des Exils zu versüßen. „WaS wär das Leben, wenn der Trost nicht bliebe: Des Geistes Arbeit und des Herzens Liebe?" Aber wie ein Blitz aus heiterem Himmel sollte plötzlich ein vernichtender Schlag in diese Freuden fallen. Em« gewisse Theilnahme, welche die weibli chen Gemüther den verbannten Käm pfern entgegenbrachte, war nicht geeig net, diese bei dem männliche» Theile der Bevölkerung in Gunst zu setzen im Gegentheil! und als der damalige Poli zeidirector von Zürich —Bolier, glaub' ich, hieß „die Kanaille" eine persön liche Demüthigung durch die Bevor zugung eines Flüchtlings erfuhr, er grimmte er über die ganze Bande und srganisirte eine förmliche Ausweisungs iind Jnternirungs-Razzia. Mich schickte ir nach Luzern. Ich ging zwar nicht dorthin, aber Zürich mußte ich knall und fall verlas en, wenn ich nicht von Gendarmen -xpedtN werden wollte. Unglücklicher veise war am Abschiedstage Besuch im Hause meiner Freundin. Sie war sehr in Anspruch genommen und konnte nur flüchtig bei mir vorüberhuschen. Die Augen standen ihr voll Thränen, ihr Mund zuckte in Schmerzen, und doch Surfte sie nichts merken lauen. Noch linnial kam sie, bleich, klopfenden Her fens, noch einmal warf sie sich an meine Brust: „Ade, ade, auf 'Nimmerwieder sehen!" Als ich sieben Jahre später wieder nachZürich kam, erkundigte ich mich nach meiner alten Freundin und sandle ihr :ine diScrete Botschaft, denn sie hatte sich inzwischen verheirathet. Sie schickte nir freundliche Grüße mit dem Be dauern, der Familienverhältnisse wegen mich nicht empsangen und sprechen zu lönnen, wie sie so gern gewollt bätle. Zeit dieser Zeit waren wieder etliche und dreißig Jahre vergangen; der Utere Mann mußte längst gestorben sein, aber Lisi konnte noch leben. Ich begab mich auf die Suche und hatte bald die Wohnung der Wittwe ausge mnden. Nicht ohne eine gewisse schmerz liche Erregung stand ich zaudernd vor >er dunklen Treppe des übrigens statt lichen Hauses. „Ist es wohlgethan für euch Beiden" sagte eine Stimme zu mir „nach so langen Jahren der Trennung das süße Bild der Jugend mit der Verben Maske des Alters zu vertauschen? " „E>! ei!" sagte eine andere Stimme, „wer versprach denn seiner alten Flam me: .Da seh' ich nicht die müden Wangen, Ter Jahre Furchen seh' ich nicht —?" „Sachte," erwiderte die erste, „das ist schön und gut, wenn man zusammen in Liebe alt geworden; aber ein Inter mezzo von vierzig Jahren, das wirkt !vie ein Hohlspiegel, der die Runzeln »ergrößert." „Du wirst dich doch nicht fürchten, der Wahrheit in's Gesicht zu sehen?" flü sterte eine zweite Stimme wieder. „DaS wäre das erste Mal." Da machte ich der Zwiesprach ei» Ende, sagte zum Verstand: Wart' unten aus mich, zum Herzen: Komm' mit herauf. und stieg die Treppe empor. Ein Dienstmädchen empfing mich und öffnete die Tbür des Wohnzimmers. Ich trat ein. Gerade mir gegenüber, auf dem Sopha, hinter einem Tische mit weiblicher Arbeit, saß ein altes Mütterlein mit gefurchtem Antlitz, mü den Augen und eingesunkenen Lippen. Ich las ihr mein eigenes Alter von, Ge sicht ab, und eS sröstelte mich. Doch hatte in diesen Zügen offenbar nicht blos das Alter gehaust, sondern wohl auch Sorge und Krankheit. Die durch den fremden Besuch erregte Neugierde des Mädchens machte sich noch im Zimmer zu schaffen und da ich in dessen Gegenwart keine ErtcnnungS seene aufführen wollt«, fragte ich die vreisin, ob sie mich noch kenne. Ich dachte, dcr Klang der Stimme und de« schwäbische Dialect werde vielleicht ihr« Erinnerung wachrufen. Sie schaute mich prüfend an und sagte: „Nein". Ich gab ihr meine Karte. Sie konnte die Schrift nicht recht entziffern und nahn, den Zwicker. Da ging plötzlich ein verklärender Schimmer über ihr Antlitz, ihre Augen leuchteten auf. und sie gab mir die Hand. „Ach! wi? freut es mich," fagte sie „daß Sie mei ner noch gedenken. Auch ich habe oft an Sie gedacht und manche Nacht ge weint, damals, als Sie so plötzlich von Zürich fort mußten. Aber gegen da» Schicksal ist nicht anzukämpfen, es ist stärker als wir; da» hab'ich seit jener Zeit noch oft genug erfahren. Auch körperlich hat es mich getroffen, denn ich bin seit mehreren Jahren rückenlei dend und kann nicht mehr gehen." Während sie sich nun in unsere Jugend erinnerungen vertiefte und in weh müthiger Erregung eine Vergangenheit heraufbeschwor, die wohl seit vielen Jahren still und stumm in ihrer Seele geschlummert hatte, schien sie sich zu ver jüngen, und durch die Hülle des Alters blitzte oft, wie eine Ahnung, ein Schim mer der jugendlichen Züge. Ich m Bte mich nun in ihrcn Lehn stuhl an, Fenster setzen, das einen Durch blick in's Freie gewährt, und gleichsam als wolle sie mein Erscheinen durch eine höchste Leistung seiern, raffte sie, trotz meiner Einsprache, sich auf und schleppte sich, jede Beihilfe verschmähend, an ih rem Krückenstock aus einen Lehnstuhl dem meinigen gegenüber. Sie erzählte mir nun ihre Erlebnisse, die keineswegs rosig waren, deren Einzelheiten aber nicht hierher gehören. Sie hatte einen älteren, tüchtigen Mann aus guter Familie geheiratliet, der jedoch nicht glücklich i» seinen Unternehmungen war. „Ich habe viel durchgemacht," sagte sie, aber ich habe meine Pflicht gethan, und ich bin ihm treulich zur Seite gestan den." Auf meine Frage nach ihren ökonomischen Vcr iä t lissen gab sie mir die beruhigende Anrwort, daß für ihr Alter ,n einer Weise gesorgt sei, die ihre» Bedürfnissen vollständig genüge. Während wir so sprachen und sie mir wiederholt ihre Frcude über meinen Besuch ausdrückte, wobei sie meine» Arm saßte. oder meine Hand ergriff, schaute die Limmat mit ihrem aufstei genden U'er durchs Fenster, ein sonni ger Streifen Landschaft, der n?ch ebenso liebreich glänzte wie vor vierzig Jah ren. Die ewig junge Natur schien die verblühte Gegenwart mit der einst blü henden Vergangenheit durch lhr Zau berband verknüpfen zu wollen. Ich war froh, gekommen zu sein, da ihr mein Besuch eine uuverhoffteFreude ge macht und gleichsam einen sonnigen Schimmer aus schöneren Tagen in ihr einsames Dasein geworsen halte. Doch nun war es Zeit zun. Scheiden. Lisi wollte mich durchaus begleiten; sie Hinz sich an meinen Arm, und gestützt aus ihre» Stock, ging sie mit mir bis an die Treppe.—Noch einmal Adieu auf Nim merwiedersehen! „O Menschenherz! Dein Erbtheil ist der alte Schmerz; Verwelke» und Vergehen!" Blüliender Unsinn. Das Hirn von Begeisterung umne belt, in einem sinnverwirrenden Tau mel des Entzückens wankte der Bericht erstatter deS„Braunschioeigi!chen Volks blaties" an seinen Schreibtisch uud ver faßte folgenden Artikel: „Nachdem Ihre Königl. Hoheit am Tage zuvor Sich die Comitedamen hatte vorstellen lassen, erschien Hochdieselbe am 25. No vember zur Eröffnung.... Mit größ ter Leuneligkeit bewegte Sich die Frau Prinzessin mitten i» der Schaar der Besucher, kaufte wohl an jedem Stande reichlich ein, und bezauberte Alle durch Ihre Liebenswürdigkeit. Wenn die Hohe Frau zwischen den Ständen Hin durchging, und die Reihen dcr Damen sich vor Ihr verneigten, dann wars, wie Ivenn der Zephyr durch die Halme des Kornfeldes raufcht. So erschien Hochdieselbe fünfmal wahrlich, da» dürfen wir als ein Zeichen davon anse hen, daß es Ihr in unserem Bazar wohlgefiel. Am 3. Tage, Morgens 11j Uhr, als wir noch beim Wiederausräumen der Stände beschäftigt waren, kam plötzlich die Botschaft, Se. Königl. Hoheit der Regent wird um 1j Uhr kommen. Nun mußten eiligst telephonisch und münd lich die nicht gegenwärtigen Mitglieder citirt, dann schnell nach Haus gesprun gen werden, um in große Toilette zu schlüpfen, und was noch schwieriger war sür die jungen Damen, ihre Costüme anzulegen. Aber siehe da, zur rechten Stuude war Alles in schönster Ord nung, nicht eine Flechte saß falsch, höch stens einige Comiteschleifen waren ver gessen (wir trugen natürlich die grün weißen Farben unserer Allergnädigsten Herrin). Se. Königl. Hoheit und Se. hohe Gemahlin fuhren mit Vieren und mit Spitzenreiter vor und wunderten Sich, daß wir All« da waren. In fröhlichster Laune unterhielt sich der Regent mit den Verkäuferinnen, man ches Scherzwort flog hin und wieder, und mit dankbarem Herzen geleiteten wir die hohen Herrschaften zum Wa gen Mein Herze geht in Sprüngen Und kann nicht traurig sein!" Die geringste Sühne. Herr (der aus Ungeschicklichkeit einem kleinen Mädchen das Bier über da» Kleid schüttet, zu dessen Vater): Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, mein Herr, womit kann ich wohl die Sache gleich machen? —Vater: Heira then Sie meine Aelteste, dann ist S ab gemacht! Das Passendste. Banquier: Ich möchte gerne ein Denkmal sür da» Grab meiner Frau, das ein Motiv aus der deutschen Heldensage behandelt, welches zugleich als Symbol unserer Ehe gelten kann. Künstler: Also neh men wir 'mal Siegsrieds Kamps mil dem Drc>ch,n.