Scranton Wochenblatt. (Scranton, Pa.) 1865-1918, December 03, 1891, Page 2, Image 2

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»»« »r«u»«acht.
«on „
„Endlich allein! Louise!"
„Emil!"
Zwei flammende Küsse wurden aus
getauscht. Zum ersten Male seit uns
rer Verlobung vollzog sich dieser Won
nige Tausch, ohne daß der strenge, zui
Tugend und Entsagung auffordern!»
Blick der Mama ihn controllirte. Wil
uns dabei um'S Herz war, welch«
Schauer unser Blut durchrieselten
ja, wie läßt sich da» in Worten fassen
Mit glühenden Wangen und bebend wu
ein scheuer Bogel barg sich die Ge
liebte, um deren Besitz ich jahrelang ge
rungen, in meinen Armen, dann ließ si,
den schönen Kopf, dessen Haarkrone nock
von Myrthenblüthen durchsetzt war
rückwärts sinken.
Welch' ein Tag war daS! Mit der
lärmenden Späßen und Neckereien dei
Freunde hatte er begonnen; sie. die ick
als Trauzeugen geladen, machten sick
das boshafte Vergnügen, meinen Gang
zum Standesamt durch eine Parodi«
auf Schiller'S „Gang nach dem Eisen
hammer" zu verspotten, dann war de>
feierliche Act der Trauung gekommen,
dem die Glückwünsche aller Derer, di«
dem Hause Müller anverwandt und zu
gethan sind, folgten.
Und nun kam das schier endkose Hoch
zeitSmahl mit seinen Toasten, Hc chrusen,
Umarmungen, verschütteten Sektfluther
und vergossenen FreundschastSthränen,
endlich das Lamento der Schwieger
mama, welche unter dem
„Mein einziges Kind verläßt mich!"
Louise fester umklammerte, als ein«
russische Mutter den zur Deportation
nach Sibirien verurthcilten Sohn.
Alles das lag nun hinter uns, und
die vielen Erregungen des TageS klan
gen aus in dem Jubelgeschrei: „Jehl
bist Du mein!"
Louise ließ noch ein weiteres Kuß
attentat über sich ergehen, dann ent
wand sie sich meinen Armen und be
merkte schalkhaft: .Bevor ich den Besitz
stand meines Herrn und Gebieters
rückhaltlos anerkenne, gewähre mir noch
die Freiheit, mich hier umzusehen. In
dem Bestreben, unser Nest behaglich ein
zurichten, konnte Mama kein Ende fin
den. Ich wette, wir werden noch au!
«ine Ueberraschung stoßen."
„DaS fürcht' ich auch...."
Ob mir mein ahnendes Gemüth dies,
lieblose Bemerkung auf die Lippen
drängte ich weiß eS nicht allein
nun war sie gefallen und Louise blickt,
mich zürnend an.
„Geh'! Du bist undankbar! Du soll
test es der Mama doch endlich einmal
verzeihen, daß sie Dir nicht gleich Eh
renpsorten baute, als Du mit Deine,
Bewerbung auftratst. Jede Mutte,
baut für die Zukunft ihres Kindes Luft
schlösser, und wenn dann ein wildfrem
der Mensch kommt und dieselben zer
stört, so darf dieser nicht gleich einen
freudigen Willkommgruß erwarten."
„Nun, mein Schatz, sie hat uns weid
lich zappeln lassen —"
„Ja, findest Du das nicht ganz na
türlich? Dir stand als Nival ein nam
hafter Künstler gegenüber, der zwar be
deutend älter war als ich, der mir aber
»ine sehr behagliche Lebensstellung bie
ten konnte,währendDu als engagement
loser Sänger gestehen mußtest: Mein
ganzer Reichthum ist mein Lied. Kein
Wunder, daß da die Mama auf Deinen
Antrag ironisch bemerkte: „Wir wollen
erst abwarten, ob sich das Metall in
Ihrer Kehle auch in Münze verwan
deln läßt." Die Wahl ist ihr schwer
genug geworden."
.Potz Blitz! Darin liegt ja die
Verkehrtheit mütterlicher Bevormun
dung! nicht sie hatte zu wählen, sondern
Du "
. „Und ich habe gewählt und zwar die
» sei, braunlockigen Brausekopf. Der
Professor von Krusemark aber hat mir
den Korb längst verziehen. Wie schön
er bei Tische gesprochen hat!"
„Ja, sein Toast zeichnete dieselbe ele
gische Stimmung, wie die Arie de« Jä
gers im Nachtlager! Er umschrieb den
Seufzer: „Mir blühet diese Rose
nicht." Nein, sie ist mir erblüht,
mich berauscht ihr Duft, bezaubert ihr
Glanz "
„Aber Emil!" Lächelnd wich Louise
meiner Umarmung aus. „Die Liebe
macht Dich ja zum Poeten. Wenn
Mama Dich hörte —"
„So würde mir das Wort auf den
Lippen erfrieren" diesen Gedanken
Unterdrückte ich noch rechtzeitig und be
merkte laut: „Deine Mama hatte übri
gens heute noch irgend eine Heimlichkeit
mit dem Professor, denn bevor wir uns
von der Tafel erhoben, wurde sie in'S
Borzimmer gerussn; sie verließ gleich
darauf in Begleitung des Professors
den Saal und als wir beide uns von
den Intimen des HanseS verabschiede
ten. kam Deine Mama erst wieder zum
Vorschein unv sah sehr erhitzt ans."
v. „Vielleicht ist im letzten Augenblick
noch ein Geschenk sür uns eingetroffen."
bemerkte Louise in sreudiger Erregung,
.für dessen Ausstellung Mama und der
Professor Sorge trugen; komm, laß
uns sehen, .vase» ist. Bitte, zünde die
» Lampe an."
t „Neugierig«! Hat das nicht bis mor
gen Zeit? Sollen wir diese feierliche
Mondnachlstimmuug zerstören, die so
ganz mit unserem Empfinden harmo
«irt?"
„Nein, Du hast Recht, Liebster.
Welch' eine wunderbare Nacht ist dies!"
Meine Frau blieb wie gebannt in
mitten des schön ausgestatteten Salons
stehen und betrachteie den Erker, dessen
. feine Spitzengardine, wallende Portiere,
rothe mit Weinlaub umschlungene
Ampel, majestätisch wirkende Marmor
tüste und schöngesormten Stühle ganz
»om Mondlicht Übergossen waren. Aus
der Majolika - Vase, die sich im Fond
des ErkerS von einer korinthischen
Eäule erhob, drängten sich in üppiger
Mlle rothe und gelbe Rosen hervor,
AIS suchten sie das milde HimmelSlicht.
„Wie traumhaft daS alles ist!"
Louise kehrte mir ihr schönes Gesicht
lächelnd zu, dann schritt sie über die
Stufen zum Erkerfenster und blickte
zum Himmel aus, wo lichtumsäumte
Wolken mit dem Herbstwind über die
Himmeldecke segelten. Ich folgte ihr
mit den Blicken und als sie «un m-t
erhobenem Gesicht und strahlenden
Augen da oben stand, die jugendlich
blühende Gestalt ganz in Licht getaucht,
kam mir die Illusion, als erfülle sich ein
6is sandte Schauer durch mein Blut
und ich flog mit einigen Sprüngen zum
Erker hin, um mich durch eine Umar
mung zu überzeugen, ob diese Lichtge>
stalt ätherischen oder irdischen Ur
sprung« sei.
Als wir aber zärtlich aneinander ge
schmiegt beim Fenster standen und aus
die Bäume des GartenS schauten, zog
etwas durch die Lust, das befremdend
und erkältend wirkte. E» war ein Ge
ruch, der seltsam mit den nahestehenden
Rosen contrastirte. Ich erhob die Nas«
mit einer schnuppernden Bewegung und
sagte: „Wie merkwürdig die Rosen duf
ten sollte fauliges Wasser in der Vaft
sein?"
Louise wandte sich dem Blumen
strauß zu und meinte nach gewissen
hafter Prüfung: „Die Rosen sind schuld
los."
„Aber es liegt ein böseS Element in
der Luft, von dem Hallet sagen würde -
und Boten Gottes uns bei das
wird ja immer schlimmer! Sollte sich
die Verfälschung der Genußmittel schon
auf die Luft erstreckt haben? Das riecht
ja, als habe ein boshafter Chemiker den
Sauerstoff eliminirt und durch Schwe
felwasserstoff ersetzt. Wenn ich in dieser
Atmosphäreden Lohengrin singen sollte,
würde ich in der Brautnachtscene den
Text dahin abändern:
„Athmest Du nicht die Schwefelgase,
Elsa, so hast Du keine Nase."
Louise trat lachend in die Mitte de«
Salons.
„Wahrhaftig, hier strömt GaS aus.
Bitte, öffne die Zensier, Emil, ich werde
die Lampe anzünden. Vielleicht ist ein
Gashahn offen geblieben."
Ich brachte frische Luft, mein Frau
chen Licht in die Sache, dann forschten
wir mit Eifer der Gasquelle nach, Un
sere Wohnung war nur klein und mir
fanden alle Berfchlußmittel der GaZ
kronen in Ordnung. Als Louise aber
zuletzt die Schlaszimmerthüre aufstieß,
prallten wir Beide zurück, denn es
strömten giftige Dünste heraus, die uns
des AthemS beraubten. Schnell die
Lampe bei Seite stellend, sprang ich in
den gasgefiillten Raum und stieß das
Fenster weit aus.
Als ich hastig in den Salon zurück,
kehrte, schnappte ich wie ein auf den
Strand geworfener Stockfisch nach Luft,
dann brach ich in Verwünschungen gegen
den Anstifter dieses Bubenstücks aus,
denn ich nahm an, daß einer meiner
übermüthigen Collegen mir einen Possen
habe spielen wollen.
Louise besänftigte meinen Grimm
durch den Einwand, daß man erst das
Schlafzimmer untersuchen müsse, bevor
man sich ereifere. Sobald die kalte
Nachtluft den Raum durchströmt hatte,
'traten wir ein. Unsere Blicke fielen
aus das lebensgroße Porträt meiner
Schwiegermama.
„Da hast Du die große Ueberraschung
des Tages!" rief Louise aus und be
trachtete mit Andacht das Gemälde.
„Das hat Krusemark gemalt. Wahr
scheinlich ist der Rahmen nicht rechtzei
tig fertig geworden und so konnte das
Bild erst vor unserem Eintritt ausge
hängt werden."
Mit sehr gemischten Gefühlen in der
Brust erhob ich die Lampe. Mir schien
es, als sei daS Bild recht deplaeirt.
Jeden Abend vor dem Schlafengehen
und jeden Morgen beim Ausstehen der
gestrengen Schwiegermama in'S Antlitz
sehen zu müssen, das förderte wahrhaf
tig nicht mein Wohlbehagen. Wenn es
sich auch nur um ein Bildniß, nicht um
die Person selber handelte, so hatte
Krusemark seine langjährige Freundin
doch mit einer geradezu unheimlich wir
kenden Naturtreue dargestellt. Diese
stahlgrauen Augen besaßen ganz den
scharfen, inquisitorischen Blick des Ori
ginals und auf den Lippen schien die
Bemerkung zu schweben: „Noch ist
meine Tochter nicht Ihre Frau."
Es schien in der That, als verthei
dige die Mutter ihr Kind mit Waffen,
welche durchldie Vöikerconvention von
der modernen Kriegssührung ausge
schlossen sind. Vom Bilde her strömten
Miasmen, welche einen längeren Auf
enthaltsort im Schlafzimmer ganz un
möglich machten, Sobald wir minuten
lang das Fenster geschlossen hatten,
wurde der Raum zum Gasometer.
Schaudernd und fröstelnd holten wir
unsere Mäntel herbei, um nach der Ur
sache des Uebels weiter zu forschen. Die
Hängelampe des Schlafzimmers gab
kein Licht her. Wir folgerten daraus,
daß das Gas der Leitung einen anderen
Ausweg, als durch den Brenner her ge
nommen habe. Wo aber lag diefer
Punkt? Unsere Nasen hatten bald die
rechte Witterung er lag unter dem
Bitde, oder dicht über demselben. Wir
nahmen das fatale Hochzeitsgeschenk
herunter, allein wir fanden nichts, als
einen großen Bilderhaken.
Und doch mußte in der Nähe dessel
ben das Gas ausströmen, denn plötzlich
bildete sich über der in Louisens Hän
den befindlichen Petroleumlampe eine
Flamme, der Cylinder platzte und im
nächsten Augenblick lag die Lampe zer
schmettert am Boden.
Entsetzt sprang ich »us meine Frau
,u und riß sie aus dem Zimmer. Zum
Glück war sie unversehrt und die
Klamme verlöschte gleich nach der Ex
plosivn, allein wir waren beide minu
itnlang vom Schreck gelähmt v«d mit
oem Gasgeruch mischte sich jetzt das
Parfüm des Naphtas.
Rathlos standen wir im dunkel«
gimmer und als sich gleich darauf drau
ßen die volle Mondscheibe durch die
Wolken drängte, schien es uns, als lache
der Mai.'» im Monde unserer Ver
zweiflung.
Endlich raffte ich mich auf. Es gal
einen Entschluß zu fassen. »Louise, ii
dieser von Pestluft erfüllten Wohnum
können wir nicht Hausen, das Schicks«
zwingt uns, in einem Hotel Zuflucht z>
suchen."
.Gott sei'S geklagt, lieber Schatz!"
.Da verzichtet man aus Furcht Do
den Hotelbetten aus die Hochzeitsreis
und muß schließlich seine Flitterwoche
in einem Berliner Hotel znbringm -
es ist zum rasend werden!"
.Ja, lieber Mann."
„Aber nicht eher verlasse ich das Lo
kal, als bis ich weiß, wer unser Schlaf
zimmer in eine GaSretorte verwandet
hat. Wo ist Dora?"
»Sie schläft."
.Bitte, wecke sie."
Dora war uns von der Schwieger
mama als Dienstmädchen aus eine»
Kurort des Schwarzwalds zugesühr
worden. Sie leitete ihr Reden un>
Handeln gewöhnlich mit den Worte!
ein: „Warten Se mal e Bißle". Diese
Redensart entsprach auch die Zeit
dauer, welche sie für ihr Erscheinen ii
Anspruch nahm. Als sie endlich schlaf
trunken über die Schwelle schritt un
ich ihr bebend vor Kälte und Ungedul!
die Frage stellte, wer das Bild aufge
hängt habe, legte sie erst nachdenklici
den Zeigefinger au die Nase und sagte
.Warten Se mal e Bißle". Endliö
malte sich ein geistiges Aufleuchten ii
ihrem Gesicht. „Ja freili, jetzt weis
is. Die Frau Schwiegermutter isch
dagewese mit 'nem ältere Herre in
Zwicksbart, aber aufgehängs Hat'S Bil!
e Ma aus der Kellerwohnung und i hab
em die Leiter g'halte."
.Als dies geschah, war da schon eim
solch schlechte Lust im Zimmer, wie jetzt
Dore?"
„Warte Se mal e Bißle. —WaS isch'
denn das? Ach Du lieb's Herrgöttll
von Biberach, das benimmt dem Men
sche ja den Athem. Noi, so geschdunk,
hat's derzei net."
.Zünden Sie draußen eine Kerze an
Dora, und führen Sie mich nach de,
Kellerwohnung, ich muß den Mann »er
hören, der den Haken eingeschlage,
hat."
Als wir die Kellerwohnung erreich'
hatten, fragte ich Dora nach dem Na
men de» Einwohners.
„Warte Se mal e Bißle! Wann
Mersch recht ischt, so führt er de Nan
vun einem berühmte russische Kaiser
aber wie der heischt das haw ich ver
g-sse."
All' meine historischen Kenntnisse zu
sammenrasfend schrie ich: .Herr De
metrius! Herr Boris! Herr Alexander
Herr Iwan! der Schreckliche!"
Endlich regte sich etwas. Also Jwar
war der Name, der den Schläfer aufge
rüttelt hatte. Ein Mann im Schlaf
rock und einer Pudelmütze öffnete brum
inend die Thür: .Was für verlückti
Namen schreit Ihr denn da aus ?"
.Herr 1wan...."
„Ich heiße Peter und bin meines
Zeichens ein Kkmpner. Wo brennt'S
denn?"
Ich erklärte dem Meister Peter unsere
„Hm, hm! Das ist freilich schlimm."
Der Alte kraute sich den Kops und
meinte dann: „Als ich den Bilderhaken
zuerst in die Wand trieb, stieß ich aus
etwas Hartes und ich mußte eine ander«
Stelle wählen... .hm, sollte amEnde?"
Peter holte etwas Handwerkszeug aus
seiner Werkstatt und folgte mir dann zu
unserer Wohnung. Nach kurzer Unter
suchung der Wand stellte sich die verblüf
fende Thatsache heraus, daß Peter beim
Eintreiben des BilderhakeuS aus ein«
Röhre der Gasleitung gestoßen war und
diese im Eifer durch einige heftige Ham
merschläge zertrümmert hatte.
Alle Bersuche, die Gasquelle zu ver
stopfen, schlugen fehl und als der Mei
ster erklärte, daß eine neue Röhre einge
legt werden müsse, verließen wir gegen
zwei Uhr Morgens unser Domicil mit
dem traurigen Bewußtiein, daß unser
Schlafzimmer während der nächsten drei
Tage unbewohnbar sein werde.
Und das hatte mit ihrer Ueberra
schung die Schwiegermutter gethan.
Unserer Austreibung aus dem ersehn
ten Paradiese folgte eine Odyssee in der
Nachtdroschke. An, nächsten Tage sollte
eine große Einzugsfeierlichkeit stattfin
den und Berlin war von Fremden über
schwemmt. Wohl ein Dutzend Portiers
und Hausknechte brachten wir um die
wohlverdiente Nachtruhe, ohne aus
unsere Bitte um ein Zimmer ander«
Auskunft zu erhalten als die: Alles
besetzt! Nach langen Zickzackfahrten
durch die Stadt erklärte Louise fiebernd
vor Kälte und Müdigkeit, daß sie in
das HauS ihrer Mutter zurückkehren
müsse, um nicht krank zu werden. So
brachte ich denn gegen 5 Uhr Morgens
meine junge Frau in» elterliche HauS
zurück, wo sie in aller Stille ihr alte»
Stübchen bezog, und ich klopfte meine
hauswirtbin aus dem Schlaf und
streckte noch einmal die müden Glieder
im Bett meiner Junggefellenwohnung
iuS.
So endete unsere Brautfabrt.
Al» wir am nächsten Tage verSchwie
zermutter uuser Mißgeschick berichteten,
lachte diese hellauf. Zu unserer Er
ivlung fuhren Louise und ich auf drei
läge »ach Dresden.
Als wir zurückkehrten, stellten sich
Pros Krusenmark und die Schwieger
uama als Brautpaar vor. Ich über
reichte dem glücklichen Brautpaar
tnjere Gasrechnung.
Ein nobler Geselle.—
Sin Schneidermeister geht mit seinem
ieuen Gehilfen aus Hausarbeit. Sie
!o»imeu da zu einer Bäuerin, die ihnen
Mittags Zwetschkenknödel vorsetzt. „Du
Meister," fragt die Bäuerin nach "dem
Wen, .wo hast Du denn den nobeln
Äesellen her? Der spuckt ja, wenn er
Zwetschken ißt, die Kern' aus!"
Boshaft.— «.: „Em ent
etzlicher Roman da» l" B.: Aber
Autor muß doch ein edler Mens»
ein-.' Er schreibt ja gleich am An
ang d>,'S Buches- Bor Nachdruck wird
lewarnt i"
SüaKcagnt« „gmtco Art,.««
In Rom hat die neue Oper Pietro
Mascagnis, „Freund Fritz- bei ihrer
ersten Aufführung eine enthusiastische
Aufnahme gesunden. I« einem aus
führlicheren Berichte, welcher dem Pa
riser „Figaro" zugeht, heißt es: Man
darf diese Premiere als das größte mu
sikalische Ereigniß betrachten, welches
Italien seit der Erstaufführung von
Verdis „Othello" erlebt hat. Der au
ßerordentliche Erfolg der „<^!>v»llori»
i-ustionna." welche ihren Sieges.zug
durch alle europäischen Hauptstädte,
ausgenommen Paris,genommen hat, hat
die Italiener mit der Hoffnung erfüllt,
daß ihnen ein würdiger Nachfolger der
großen Meister erstanden sei, welche die
italienische Oper zur Blüthe gebracht
haben.
Wird Mascagni die Hoffnungen er
füllen, welche man in ihn setzt? Wird
er in die Fußstapsen Rossinis, Donizet
tis, Bellinis treten? Oder wird er sich
vielleicht als eines jener glänzenden
Meteore erweisen, die einen Augenblick
hindurch leuchten, um dann für immer
zn verlöschen? Das sind die Fragen,
die nicht nur in Rom, sondern in ganz
Italien erörtert werden und für welch:
die Aufführung des „Amico Fritz" die
Entscheidung bringen sollte. Die Ueber
schwänglichen hegten wie immer keiner
lei Zweifel, aber es gibt eben uicht uur
Ueberschwängliche. Es gibt auch viele
Besonnene, die sich fragen, ob der plötz
liche und lärmende Triumph der
Arbeiten des Musikers von Rachtheil
sein würde. Seine erste Partitur ist
in der Zurückgezogenheit eines kleinen
Dorfes mit allem Fleiße ausgefeilt
worden, mit allein erforderlichen Stu
dium und reiflicher Ueberlegung.
Mascagni, durch Mangel an Hilfs
mitteln gezwungen, seine musikalischen
Studien abzubrechen und die Stellung
eines kleinen Gemeindekapellmeisters
anzunehmen, hat in der
rusuoaii!," alle seine Kräfte zusammen
gerafft, die durch das Selbstvertrauen
des Berusenen, den Eifer des Auser
wählten gesteigert waren. Heut ist das
anders. „Amico Fritz" ist in gewisser
Hinsicht ein improvisirteS Werk. Der
Compznist war gerade damit beschäf
tigt, die Partitur zu einem Libretto
aus den „Rantzaus" zu schreiben, als
ihm sein Verleger Sonzogno den Erck
mann Chitrian'lchen Roman „Freund
Fritz" zu lesen gab.
Das elsässische Idyll reizte den Eom
ponisten, er sühlte sich angeregt, es in
Musik zu setzen. Innerhalb weniger
Wochen schon hatte er die wichtigsten
Nummern niedergeschrieben. Die neue
Partitur hat also eine weniger ftimpa
thische Entst htagsgeschickte, aus dem
armen Dorsmuütmei'ter war inzwischen
ein beneideter, überall bekannter Maestro
geworden. Es handelt sich nun darum,
zn erfahren, ob Mascagn, von dem
Schlage iener Musiler ist, die, wie Do
nizetti, Arbeit oder Studium durch eine
geniale Leichtigkeit des Schaffens er
gänzten. Darauf kommt Alles an.
Wenn Mascagni mit „Amico Fritz"
seine Sache gewinnt, so wird man aus
lange hinaus mit guter Bühnenmusik
versorgt sein, vorausgesetzt, daß dem
Komponisten ein langes Leben beschie
den ist. Aber der Einsatz ist ein be
deutender. Das Werk hat keine
Ouvertüre. ES beginnt mit einem
kurzen Präludium von leichtem gefälli
gem Stil, ohne jede Prä'.ension. Der
erste Akt spielt sich im Speisezimmer bei
Fritz Kobus ab und hält sich Schritt
vor Schritt an das Erckmann-Chatrian'-
sche Stück.
Der erste Theil des Aktes ist ganz in
Recitativen gehalten, während das Or
chester eine melodisch wechselnde Beglei
tung bringt, ein gesprochenes Lustspiel
mit musikalischem Hintergründe, wie
deren die komischen italienischen Opern
viel ausweisen. Die Glückwünsche Su
zels sind in naiven und zärtlichen
Strophen abgefaßt, die der Maestro
mit sanfter, inniger und beredter Melo
die umkleidet hat. Gerade der erste
Theil der Oper trägt den Charakter der
idyllischen Empfindung Mascagni«.
Man setzt sich zu Tisch ganz wie in
dem Lustspiel als plötzlich der Ton
einer Geige von der Straße her das
Gespräch unterbricht. Alle treten sn'S
Fenster, um dem Spiel zu lauschen. ES
ist Beppo, der Zigeuner, welcher seine
Lieblingsmelodie spielt.
Er tritt ein und singt einige Liedchen,
die dramatisch belebt sind und im Cha
rakter und Rhythmus echtes Zigeuner
wesen athmen. Hier ist eine Scene
eingeschoben, die vom L'brettisten
stammt. Man vernimmt au« der Ferne
eine Fanfare und Stimmen. Die von
Fritz aufgenommenen Waisenkinder na
hen, um ihm ihre Glückwünsche darzu
bringen. Man begiebt sich auf den
Balkon hinaus. Die Fansare geht au«
einem Marschtempo in eine thematische
Phi.ase über das elsässische Lied „I bin
lusti". Der Vorhang sällt. Dieser erste
Akt ist sehr kurz, er dauert nur zwanzig
Minuten und enthält nur zwei Num
mern von wirklich m Werth: die wahr
haft schönen Strophen Suzels unz die
Liedchen BeppoS. Zweiter Akt. Spielt
>m Hofe der Farm MesangeS. Er wird
eröffnet mit einem Pastorale (Chor
hinter den Coulissen, Sopransolo und
Orchester), in welchem der Hautboist die
Melodie des elsässischen Liede« „Es
trug das Mägdelein" erklingen läßt.
Hierauf folgt ein Lied SuzelS. Fritz
hört zu, und al« sie geendet hat, steigt er
herab.
Die hierauf folgende klaive und an
mu hige Scene bei den Kirschen soll
Mascagni bestimmt haben, die Musit
i» „Freu»d Fritz" zu schreiben. Da«
„jUrscheilduett", wie e« bereit« in Aller
Nunde heißt, ist denn auch diejenige
liummer der Partitur, welche von der
schönsten Eingebung zeugt. Da« Idyll
vird unterbrochen, die Musik ahmt den
Aufschlag herannahender Pferde nach,
>arauf versucht sie den Lärm und Tru
wiederzugeben, den auf einer ruhi-
I i» Farm der Einzug einer freudig er
rgten Schaar hervorbringt. Wir kom>
men alsdann zu der Wort für Wo,
dem französischen Lustspiel entnomme
nen Scene am Brunnen, In derselbe
entwickelt sich die biblische Erzählun
von der Begegnung Eliesers und R«
bekkas, abwechselnd von David un
Suzel vorgetragen, mit der Feierlichkei
eines lithurgischen Gesanges. Sie i
begleitet von einer Nachahmung de
Chorals und zeugt von bemerkenZwer
ther Technik.
In der Ferne nimmt der Chor da
Motiv des Pastorale vor dem Begin
des Aktes wieder aus, indem er singt
„Die Liebe, die von hinnen geht, keh,
nimmerinchr zurück," Suzel, volle
Verzweiflung, wieserholt mit de,
Chore: „Kehrt nimmermekr zurück!
während daZ Orchester die dominirend
Phrase aus dem Kirschenduett wiede
ausnimmt. Der Vorhang sSllt. Di«
ser Akt dürste der beste s-in. Dritte
Akt. Als Einleitung dieses Aktes ha
MaScazni ein Präludium gesck a sen, da
ist. Der Meister entwickelt hier die ir
ersten Akt von Beppo gespielte Geigen
melodie, und dieses Motiv, zugleich un
plötzlich von den Geigen, Celli un
Bcss.-n schwungvoll ausgeführt, maH
einen großen Effekt. Die Handlun
spielt im Hauie Fritz', der einsam, trau
rig, kränklich ist.
Bevpo, um ihn zu zerstreuen, sing
ihm ein LiebeSlied. das ihn aber nu
noch melancholischer stimmt. Allein
klagt Fritz seinen Schmerz in einer Ro
manze, welche oie große T-nornumme
der Partitur und dramatisch efsectvol
ist. Suzel tritt ein, ebenfall» sorge»
voll, und bittet Fritz um seinen Einfluß
damit er ihre von dem Rabbi geplant
Heirath verhindere.
Diese Scene, die mit einem gegensei
tigen Liebesgeständnisse abschließt, if
vortrefflich gesteigert und von größere
Eindringlichkeit als ia dem französische!
Stücke. Die Musik ist voller Farbe
Krast und Leidenschaft. Ein Duett
,m Stil der großen Opec gehalten
weist den ganzen südlichen Schwung de
Composition auf. Mit der Ankunf
Eichels und seiner Freunde schließt da
Stück. Der Chor singt einen Hymnu
auf die Macht der Liebe, in welchen
das Romanzeninotio domiuirt, woran
der Vorhang fällt.
Die drei Acte spielen nicht länge
als LH Stunden; die Musik ist muuiei
und melodiös. Sieben Nummern wur
den wiederholt, 33 mal ist Mascagn
gerufen worden.
WaS trägt sas'stngen?
Man weiß in den weitesten Kreisen
daß berühmte Sängerinnen und Teno
risten die größten Einnahmen erzielen
die eS aus künstlerischem Gebiete gibt
wenn man die Zeitdauer der Produk
tion in Rechnung zieht. Die Patti ha
seinerzeit in Amerika für ein Concer
25,000 Franken erhalten, die berühmt
Henriette Sontaz erzielte in London ai
einem Abend das Doppelte, es wa>
allerdings ihr Benefiz Abend, Rnbin
nahm in Petersburg ebenfalls 50,00(
Mark für ein einziges Concert ein
Von außerordentlichen Entlohnunger
bei besonderen Gelegenheiten soll ers
gar nicht weiter die Rede sein. Mai
weiß z. B, daß die Eatalmi von Napo
leon 1., vor dem sie in St. Cloud sang
für ein Concert 500» Franken erhiel
und die Zusicherung einer lebenslängli
chen Pension im Betrage von 12,(1M
Franken, außerdem wurde ihr an zwe
Abenden die Oper zur Verfügung ge
stellt zur Veranstaltung eines Concerts
und doch ging sie nach London, wo mal
sie mit 25(1,<100 Franken für eine Sai
son engagirte und wo der Catalini-Kul
tuS in wahrhaft fabelhaften Summen
die man ihr allseitig anbot, seinen Aus
druck fand.
Auch die Einnahmen der Sembricl
dürften eine sehr erileckliche Summl
darstellen, sowie die unserer reisenden
Gäste, besonders Goetze der z. B. ir
Köln eine Jahresgage von 6(1,S?0 M
bezog; er ist bereits ein sehr wohlha
bender Mann geworden, hauptsächlich
freilich durch die Gastspiele. Aber aucl
die ständigen Gagen sind sehr bedeuten!
und sichern den stimmbegnadeten Künst
lern ein sehr auskömmliches Leben
Ein amerikanischer Heldentenor hat
für eine Gage von 750,000 Franker
dem Impresario verpflichtet. Dagegei
schmelzen die 30,000 Gulden, die de,
Tenorist Perotti in Pest—verlangte
sehr zusammen, oder gar die 18,000 fl
des Reichmann und die 32,000 M., di,
die Münchener Hofbühne dem Kamme
rsänger Vogel bezahlt, es sind eben euro
pSische G.,gen, und Vogel erhielt ir
New Uork auch 6000 Dollar für der
Monar.
Schon seit langer Zeit wird da uni
dort gexe» die schwindelnde Höhe de,
Tenoristenzagen geeisert, ober di,
Opern tlnlernehmer sind es selbst, welch,
die Gage» so maßlos in die Höhe trei>
den, nur um sich gegenseitig die Be
rühmtheiteu abzujagen. Kein andere,
Künstler erntet einen solchen Lohn, wi,
ihn die Sänger zu empfangen gewohn!
sind. Freilich ist aber auch dasür ge
sorgt, daß die Bäume nicht in den Him
mel wachsen, und oft dauert die Zei!
der goldenen Triumphe für den Stimm
begnadeten nicht allzu lang. ES gil»
aber hinwieder nichts Aussichtsloseres,
Traurigeres, als ein ausgesuiigenc,
Tenorist ein Sänger, der di,
Moderne Theater« n
, eig e. Zur Feier des hier stattha
benden Gärtnertage» findet beute ein«
Festvorstellung von „Wilhelm Till"
statt. Der Apfel ist aus der Gärt
nerei des Herrn Krause. Hochach
tungSvollst die Direktion.
Neues I u bi läum. „Un
ser Freund Arthur sollte jetzt doch
heirathen! Lange genug verlobt ist
er!" »Das mein' ich auch de,
kann demnächst seine silberne Verl»
bung seiernl'
Der kleine Trinker. Va
ter (zum Kellner): „Bringen Sie ein
GlaK Bier!" — Hänschen: ,Ja, V.<
ler, darn» hast ja Du kein»!"
Sin »octurno.
! Der Nachtzug halte den Anschluß
i versäumt. Wie ärgerlich! Ta stand
ich nun im Bahnhof und überlegte, was
ich mit dem verlorenen Abend beginnen
sollte. Mich allein in s Hotel setzen,
das wollte ich nicht; nieine innere Un
ruhe war dazu zu groß wo sollte ich,
eine Dame, sonst noch hingehen? Drau
! sie» stürmender Regen, gepeitscht von
eisigem Wind ein ungemüthlicher
Novemberabeud. Da fielen meine Au
i gen auf ein großes Plakat: „Heute
> Abend Concert von Hans von Bülow."
Ja, das war es, was ich suchte; eine
> Viertelstunde später saß ich in der Frem
Eine neue Symphonie von Urahn,S
> wurde zum ersten Male gespielt, aber
sonderbar, ich konnte mich nicht dasür
! erwärmen. Wogten die Gedanken in
mir so stürmisch auf und ab. daß ich
! jenen des Meisters nicht wie sonst zu
folgen vermochte? Over war die
Fraze: Wie wird sich Tein Leben
morgen gestalte»? so laut in mir, daß
sie die Musik übertönte? Was wollte
ich thun? Ich, die Frau von
Jahren, ich wollte das Glück kennen
lernen, das Glück, von de?z ich so viel
gelesen und geiränmt, und das ich bis
jetzt noch nicht geiunden hatie Ich
wollte mit dem Glücke ringen, bis es
sich mir beugte: „Ich l,ifse dich nicht,
du legnest mich denn."
Tie ganze Bergangenheit wollte ich
auslöschen, weil eine Leidenschaft in
mir Einzug gehalten, groß „„d ae
waltig.
Ich kannte ihn seit einem Jahre Er
war mir zuerst aus der Promenade be
gegntt, seine Frau am Arm: ihr klei
ner Junge lief einem Schmetterling
nach. Wir blieben Beide sieben, er und
ich, und fahen uns wie gebannt an, bis
seine kleine Frau verwundert zu ihm
aussah und sagte: „Rudi, was ist Dir'->"
Da strich er sich mit der Hand über
die Augen, als wenn er geträumt habe,
und ging weiter. Er war einen
Nopf größer als ich. die ich zu den
ungewöhnlich großen Frauen gehöre,
etwa 4(i Jahre alt; die Figur tadellos,
die KestchtSsarbe ziemlich duntel, große
schwarze Augen und schwarzes Haar
Seine Frau war sehr klein, blond, zier
lich; der Junge ganz ihr Ebenbild
Ein paar Tage später sahen wir uns
im „Siegfried". Er war allein, wie
überhaupt in allen Wagner Opern;
sonst besuchte seine Frau mit ihm das
Tlieater. In den beiden ersten Akten
bemerkte ich, wie hingerissen auch er von
dem Wunder dieser göttlichen Musik
war; ,m dritten Akt eristirten nur wir
zwei für einander ich glaube, wir ha
ben uns dreiviertel Stunden lang un
verwandt angesehen.
In den folgenden Wochen sahen wir
uns noch in der „Walküre", in der
„Götterdämmerung» und in „Tristan"
und „Isolde". Wagners Genius hat
mnere Leidenschaft geboren und hat sie
groß gezogen; was ist dagegen Seelen
freundschaft oder eine brave, bürgerliche
Liebe? WaS ist vergleichbar mit diesen
lodernden Flammen in uns, die den Ei
nen verzehren, wenn er nicht zum An
dern kommt? Da gibt es nur ein Ge
fühl: „Ich bin der Eine und Du der
Andere; außer uns gibt es Nichts auf
der Welt." Ich war ihm Isolde und
Brünhitde; er war mir Siegfried und
Tristan zugleich.
-An einem FrnhlingSabend sprach ich
ihn zum ersten Mal. Da, wo der Rhein
lief in« Land getreten war, stand ich
und sah den Wellen zu wie sie Schritt
sür Schritt sich die Erde unterjochten
und wie wunderbar die untergehende
Sonne die unermeßlich scheinende
Fläche beleuchlete: Rheingold Rhein
gold!
Da stand er vor mir! Mit beiden
Händen ergriff er die meinen: „Was
soll nun werden, sag inir'S! Du kannst
nicht meiir ohne mich leben wie ich nicht
ohne Dich. WaS je ich ersehnt, ersah
ich in Dir, in Dir sand ich. was je mir
gefehlt! Tu bist nicht mehr Dein, ich
nicht mehr mein, denn Du gehörst mir
wie ich Dir." Ich stand da und sah
ihn stumm an. Unaushaltfam ergoß
sich von seinen Lippen der Strom der
Worte; ich dämmte ihn mit keiner
Silbe. Er legte inir seinen ZukunstS
plan iwr; er wollte sei» Abschiedsgesuch
«»reichen, dann die Scheidung veran
lassen und dann dann er war wie
trunken; einen Moment fühlte ich seine
Lippen auf den ineinen, dann Wal: er
fort er hat meine Stimme gar nicht
gehört!
Ich reiste am nächsten Tage fort
sechs Monate find inzwischen vergangen
und jetzt—jetzt bin ich auf dem Wege zu
ihm! Wir haben schriftlich verabredet,
uns in H. zu treffen, um noch einiges
wegen der Scheidung zu besprechen;
dann: leb' wohl, kleine blonde Frau,
leb' wohl, alte Heimath ich will das
Glück keimen lernen.
Die Symphonie ist zu Ende, der
laute Beifall hat mich nicht aus meinen
Träumen geweckt, ebenwwenig die
Sängerin, die eine italienische Arie
vortrug. Jetzt betritt Bülow das
Wie fesselnd sein Vortrag, wie
wunderbar perlen die Töne; er spielt
mit Bravour eine grandiose Komposi
tion, mir deucht es ein Hymnus der
Liebe zu sein: „morgen, morgen!" hallt
Mit mächtiger Steigerung schloß das
Stück, und nachdem der Beiiall sich ge>
legt halte, ließ sich der Meister zum
zweiten Male nieder. Ein kurzes Prä
ludium und dann eine süße, schlichte
Melodie im zauberischen Pianissimo
die Nocturne op. I? von Ebo
Pin. Wie ein Hauch ziehen die Töne
dahin, wie Mondstrahlen, die Musik ge
worden sind, wie die Stimme eines En
gels, der sich verloren hatte und der sei
nen Himmel wieder findet. Wie ge
bannt lausche ich den reinen Manzen,
und es ist mir, als ob sich in mir etwas
irei mache, das ich eingesargt hatte mit
jrevelnder Hand. Und da lösen i'ich mir
die Thrcinm und rinnen unaufhörlich
llber mei» Gesicht und auch ich finde
meinen Himmel wieder, meine Kindheit,
meine sanfte Mutter, die so früh starb,
die manchmal in der Dämmerstunde
diele Nociurne spielte,und mir dann
zählte vom Varadies in das alle Men
sche» dereinst kommen würden, die sich
redlich Mühe geben, das Gute zu thun,
lind dann tritt meine erste, einzige
Liebs vor Seele! Zwanzig Jahre
a!twar ich damals; den Mann, den ich
«r.'ii iind innig liebte, kannte ich von
fcüh auf.
Er war mein Lehrer gewesen, er hatte
in meine Seele die Liebe z -m Guten
und schönen qep'laint. er bitte mich
eingeführt in die Welt des großen Gei
stes. Die ga»,e Literatur habe ich
durch ilm kennen gelernt, aber alles
Edle seines Charakters erkannte ich ersk
aus ieiaein Spiel. Beethoven und
Cbonn stellte er am höchsten, er lehrte
auch mich sie ersassen, und als ich ihm
einst diese Nocturne vorspielte, da bat
er mit Thränen in den Augen seine
Zchülerin. die er nichts mehr lehren
lönne, sein Leben mit ihm zu theilen.
5s sollte ihm nich werden. Eine heim
tückische Krankheit ergriff ih», er trug
sie mit rührender Geduld, und
wenn die Schmerzen gar zu unerträg
lich murden, bat er „Banne die böse»
Äeister!" und da m spielte ich diese
Nocturne. Und als eines Abends die
lehren Töne verfallt waren und ich zu
ihm trat, di lag er da. ein überirdisches
Lächeln aas den Lipven die süße
Me'odie hatte ihu hinüber getragen!
Rülcm hatte zu Ende gespielt. Don
nernder Avvla is wurde ihm zu Tbeik.
Ich aber, ich hätte still die Hände fal
len und ihm danken mögen. Ich war
geratet. Der gute Engel in mir hat
'einen Himmel wiedergefunden. Ja,
ick, will das Glück suchen, aber nicht in
blinder Leidenschaft: ich will es suchen
im Entsagen, im stillen freudigen Ent
sagen. streue Dich, kleine blonde Frau,
und auch Du, ahnungsloser, kleiner-
Engel er kommt zurück zu Euch --
ich geb: ihn Euch wieder!
Nnlängst wnrde dem Posthalter, dem
desselben und einigen
Gastwirlh.-n in Schliersee und Hans
kam „das Haberfeld getrieben". Da»
Haoerftldtreiben ist bekanntlich eine
Art Volksjusti;, die sich in Oberbahern,
namentlich in der Gegend vvn Tegern
see, noch von alter Zeit her erhalten
hat. Das Hans des Mißliebigen wird
in dnnkSer Nacht von vielen Vermumm
te», geschwärzten und wohl gar bewaff
neten Verionen umstellt, und er selbfb
an s Fenster oder unter die Thür ge
rufen, die er aber nicht überschreiten
darf. Einer der „Meister" tritt nun
'iiehr vor und verliest ein Sündenregi
ster des Delin.-uinten in >!nitielversen.
Nach jeder Strophe stimmt die ganze
Zchair der Haberfeldtreiber ein von
schrecklicher Katzenmusik begleitetes Ge
heul und Gelächter au. Alsdann ver
schwindet die Schaar ebenso schnell, wie
sie gekommen. Im Uebrigen wird den«
so Verhöhnten kein Leid angethan. Der
Gebrauch hat trotz der Bemühungen der
Behörden bisher nicht ausgerottet wer
den können. TaS in der Nacht zum
LS. Oct. zwischen und 1 Uhr in
Schliersee abgehaltene große Haberfeld
treiben nahm, wie die „Münch. N. N."
mittheilen, feinen „regelrechten" Ver
lauf. Die Zahl der bis an die Zähne
bewaffneien und mit geschwärzten Ge
sichter» ui'lcniUlih gemachten Theilneh
mer scheint sehr hoch (ungefähr Ä00)
gewesen zu sein, da die weit ausgedehnte
Borpostenkette an und für sich schon eine
grvße Anzahl von Männer» benöthigte.
Das von dem Haberermeister in lau
ter Sprache und in Reimen vorgetra
gene Sündenregister ließ erkennen, wie
gut unterrichtet die Haberer von den
Verhältnissen der Bewohner sind, und
da fast alle Einwohner, selbst von den
umliegenden Ortschaften, durch die Un
masse von Gewehrschüssen und den gro
ßen Spektakel ausgeweckt und herbeige
lockt wurden, fehlte eS der eigenthüm
lichen Scene nicht an Zuschauern. DaS
zum Schlüsse aus den Prinzregenten
ausgebrachte Hoch deS HabererineisterS
wurde von den Haberern stürmisch auf
genommen, woraus sie dann unter dem
von einem 0-Trompeter gefällig gebla
senen „WaS man aus Liebe thut" und
unier Hinterlassung von zwei leeren
Bierfässern und etlichen Maßkrügen
spurlos verschwenden und dadurch
bis jetzt alle eifrigen Fahndungen sei
tens der Behörde fruchtlos gemacht
haben. Angesagt war dieses Treiben
unterm IS. Octbr. in dem von Schlier
see acht Stunden entfernten Heilbrunn.
Mit welcher Kühnheit übrigens diesmal
vorgegangen wurde, zeigt der Umstand,
vaß die entfernt wohnenden Theilneh
mer bis in die Nähe des Versamm
l.ings Platzes angefahren kamen und
auch von da mit eigenem Fuhrwerke
heimkehrten.
Zal»rcsze»oen.
Was der Friehlingk, fragt ihr mich.
Denn' fier ä' Landsmann eigentlich?
DaS is ä' Lachse. Denn warum?
„Grien" malt er'ich Feld, du meine
Giede!
Un „weiß" de Kärsch un Aebbelbliedhe.
Ooch läbbert's eich ze wissen sehr,
WaS Sommer fier ä' Landsmann weer'.
Der Sommer, liewes Buwligum,
Is gleichfalls Sachse. Denn warum?
Ae' Jeder sieht's, ja uf der Stelle:
Die Jahreszeid is hellisch „helle".
Ihr in iuirirt mich iewerdiß,
Was wohl der Herbst fier eener is.
Der Hei bst, mei' liewes Buwligum?
Nadierlich Sachse. Denn warum?
Wenn's Beste reif wärd weit un breit.
Gedeiht ooch de „Gemiethlichkeit".
N» ahnt ihr wohl schon jetzt gewiß,
Was schließlich ooch der Winder is?
Ei nee, mei' liewes Buwligum,
Das is gee Sachse. Denn warum?
Der Wiu der is ä' fauler Kopp.
U» fier än Sachsen viel ze grob.