Valesca. (9. Fortsetzung. Der Toctor Reinland, als cr d'.cfcn Ausspruch hörte, vergaß, daß LazarSki nur im Fieber redete, uud lachte ver zwciflungsvoll. LazarSki, ohne zu ahnen, welche Wunde er schlug, hielt dies Lachcn für cin beifälliges und fuhr zu plaudern fort: Frey ist der Eüibrechci kein anderer hat mein Silber, mein Geld gestohlen, meinen ehrlichen Namen liiif falsche Wechsel gesetzt ot cstor-r. Wenn nun Frey dic blondc Vally in di< erste Rangloge dcr Oper führt, wenn cr mit ihr chauipagilisirt in SchillersSalon, so muß man nuch glauben, daß der Capi tän Palcsrentir recht hat, der mir zu fchwört, daß dic Vally Berg auch ihre» Antheil an dcm Silbcr hat nnd zun, Lohne sür die ihr von Frey erwiesenen Gefälligkeiten dazu mitgewirkt, dem Frey dnrchzuhclfc». Entsetzlich! Welche fürchterliche An. klage! Sie wissen nicht, was Su sprechen nicht zu wem! O, seitdem ich krank bin, entgegnet! Lazarski, ist mein Gedächtniß viel schär fer geworden. Ich höre die Strmmcn der Menschen, die mir über manches, was mir unklar war, nunmehr Aufschluß geben.' Ich sehe die Personen, an dii rch denke, hier im Zimmer leibhaftig vor mir stehen den Dagobert Frey, dii blonde Vally. Hat die schöne Person cs ihnen auch angethan, daß sie mich mit io großen Uuge» ansehen? Ein Glück war es für Doetor Nein Eintritt des riesigen Portiers ein Ende and, dcr. wie er sagte, seinem Prinzipal ine wichtige Meldnitg zu machen hatte. Reinland nahm daraus Veranlassung, zu erkläre», daß cr nicht ferner stören wolle. Er hatte noch so viel Fassung, die genaueste Befolgung fcincr ärztlichen Vorschriften zu empfchlen. Was wci ?er geschah, wie cr a»S dem Kranken zimmer, wic er die Treppe hinabgekom men, dessen wußte Rciulaiid spätcr sich selbst nicht zu erinnern. Er saß in der Ecke seines Wagens, den bittersten Empfindungen und Ge danken preisgegeben. Freilich, LqzarSki lialte im Fieber gesprochen, Aber denn riocti lag in den mitgetheilten Gedanken des Kranken etwas, was auch in dcr Luft der Residenz seit Wochen schwebte. Was der Capitän Palefrenier gegen den Kaufmann LazarSki geäußert hatte, war nicht dessen vereinzelte Ansicht, wurde vielmehr von gehässigen Leuten und. von Lästerzungen weiter geflüstert. In der erfolgten Freisprechung Lazars kis fanden Uebelwollende eine Bestäti iping dieser Annahme. Man würde tiicß es den Kaufmann Lazarski we qcn Bcrlüumdung bestraft haben, wäre das Gericht nicht von dcr Wahrheit, mindestens von dcr Wahrscheinlichkeit Ver von Simon Lazarski aufgestellten Behauptungen überzeugt gewesen. Nie war die Zukunft seines Dasein? dem jungen Arzt so düster und verhäng iiißvoll erschienen als zu dieser Stuudc, wo cr durch dic volksbclcbtcn Straßen rollte und die im Krankenzimmer des Kausmanns Lazarski erfahrene Dcinü thigung überdachte. Tic Hofsnnngc» dic cr anf eine glückliche Ehcfchlicßung qcfctzt, fchiciic» vernichtet. Wenn schon das Herz ReinlandS den größten An theil an seinem Verlöbnisse mit BaleSea davontrug, so war doch seinem nüchter nen nnd selbstsüchtiger Berechnung kei neswegs abgeneigten Be.rstand die klei nere Hälste beizumessen. Neinland war überzeugt gewesen, daß die körperliche Erscheinung ValeSeas, ihre Schönheit, '.hr aninuthiges Wesen und die vielen geistige» Vorzüge, die Talente für Mu sik »nd Malerei, die er an ihr wahrzu nehmen Gelegenheit gehabt hatte, den Mangel dcr äußer» Glücksiiinstände tMsglcichcn würde», daß inforidcrhcit auch dcr Fleiß und die Wirthschaftlich keit des jungen Mädchens einer namhaf ren Mitgabe an Ecchital vollständig gleichkommen werde. Er hatte erwogen, daß, »in als Arzt Erfolg zu haben, um namentlich anch bei Krankheiten der schönern Hälflc dcr Mcnschhcit nicht ausgeschlossen zu werde», eine anmu thrge Lebensgefährtin ihm zur Seite durchaus erforderlich sei. Wohin waren alle diese Hoffnungen in der letzte» Zeit geschwunden? Fest überzeugt von der Reinheit riud Schuld losigkeit seiner Verlobten, mußte Rein iaud dennoch befürchten, nicht nur auf deren Mitwirkung zu einem gcdcihlichcu Fortkommen verzichten zu »lüsseu, son dern in dem letzter» im Gegcntheil bc lnndcrt zu sei». Zu viel zu viel! murmelte er vor sich l»». Noch hab' ich Zeit. Noch hat niemand mein Un glück. meine Schmach erfahren. Während der Wagen ReinlandS mit seinem verstimmten und grübelnden Ei genthümer durch dic Straßen der Haupt ' itadt rollte, versetzte die Meldung, welche der Portier Peter Kühne seinem Bröl? Herrn überbrachte, diesen in einc neue lödtliche Ausrcgnng. Ich bringe da-t ncuestc, Hcrr LazarSki. Frey ist wie dcrgcsuiidcn, unser ehemaliger erster Bnchhaltcr! dig. Er ist aus dcr öffentliche» Siraße in feine!» Blute gefunden, erschlagen mausetodt! Zw?! Stiche im Halse! Vielleicht hat cr sich selbst das Lebe» gcnommc». Max, unser Bursche, ist an die Lcichc gcfnhrt worden. Er hat ihn mit Bestimmtheit wiedererkannt. Nicht ein rother Pfennig, nichts an Geldes werth ist bei dem Todten vorgefunden worden. ter. Er starrte den Portier lange und sprachlos an. Kein Geldeswerth ver wünscht! so ist alles hin, stammelte er und sank dann, todesblaß werdend, mit lautem Stöhnen in die Kissen seine!! Lagcrs zurück. Achtzehntes Kapitcl. In der Wohililiig der Frau Geheim räthiii Berg sah es trübe aus. Die Besuche des DoctorS Reinland, schon srühcr sparsamer und scltcuer gewor de», blieben zuletzt gänzlich aus. Fran Ludovica konnte für dieses Bcrhaltcn anfänglich nur in dcr zeitraubendcu Bc schästiguug dcS ArztcS cinc Erklärung und Entschuldigung finden. Als dies! Entschuldigung nicht mehr ausreichte, grübelte Frau Ludovica nach, ob Rein land durch irgend cincn Umstand vcr letzt fcin könntc. Sic selbst war siH keiner Schuld bewußt. Es mußte alfc nothwendigcrwcift: von Balcsca irgend ein Fehler begangen fcin, dcr rhrci» Bcrlobtcn Zurückhaltung aufcrlcgtc an einen Abbruch der wechselseitigen Beziehungen zu denken, war Frau Lu dovica unmöglich. Sie richtete prü sende, scharfe und sehr vorwurfsvoll! Blicke auf die Tochter, machte Andeu turrgen, vermied aber ein näheres Ein gehen auf die Sache, weil sie fürchtete, die Lage dcr lctztcrn dadurch noch zu verschlimmern. ValeSca, die fleißig, aber, nachdem sii das Hanswefcn besorgt hatte, mit eine, unverkennbaren Hast über ihrer Sticke rei faß, war bleich, oft auch in sich ver sunken. Die Mutter warf ihr Mangel an Vertrauen und Verschlossenheit vor. Endlich konnte Frau Ludovica die Frag! nicht mehr zurückhalten, weshalb Rein land sich so lange nich»t habe blicken las sen. Valesea lächelte uud erwiderte, sie könne keinen Grund dafür auffinden. Ach, du wirst deu Grund wohl kennen, warf ihr dic Mntter vor. Herr Richard Reinland ist wohl zn begreifen. Ein« solche Behandlung, wie d» sie dem Toc tor hast augcdcihcu lassen, erträgt kein Mann das muß wohl kränke». Er wird dich sitzen lassen denk' an mich— wenn du dich nicht änderst. Mein Verhalten gegen Richard kam ihm dazu keine Veranlassung gegeben haben, entgegnete Valesea kleinlaut mit schlug die Augcn nieder. Ich dächte, mein Kind! sprudelt« Frau Ludovica hervor. Du beHandels! ihn wie einst den Cassirer Frey, dcr cin schlechter Mensch geworden ist, wci! Dein Trotzkopf ihn zurückgestoßen hat. ValeSca wurde blutroth. O, kcin Vergleich zwischen beiden. Wic kannst Tn, wenn Tu den edelmüthigen Arzl nennst, daneben den Namcn jenes Elen den aussprechen! Unser Glück war durch Teine Vcr bindnng mit dein Doctor Reinland ini Erblühen. Welche Aussicht sür Dich, sür mich in meinem Alter! Frevle nur und zerreiß dieses Band mnthwillig. Ich werde den Toctor aufsuchen unt ihn offenherzig befragen sein Aus bleibe» ist nicht zufällig, cr wird mir rcincn Wein einschenken und ich werd« die Schuldige kennen. Mutter, ich bcschwörc Dich, so etwas nicht zu «ntcriiehnrcn. Gereuet Ri chard sein beleidigendes Fernbleiben ich habe keinen Anlaß dazu gewährt —, so wird cr unaufgefordert sprechen. Die Mntter beruhigte sich scheinbar, aber ihr Entschluß, den Doctor Rcin land aufzusuchen, stand nnerfchütterl fest. ValeSca crhntc, daß die abendlichen Wege, welche die Mutter allein unter nahm, diesem Ziele galten. Sic wcinte still vor sich hin, währcnd dic Muttcr abwesend war, uud sah eS den erzürnten und vergrämten Mienen der Heimgc kehrte» au, daß ihre Ausgänge ohne Er solg geblieben waren. Frau Ludovica konnte nicht lange schweigen. Er will mich uicht annehmen, sagte sie mit bc benden Lippen: ich war mehrfach in seinem Borzimmer, cr hat sich vcrlcng ncn lassen! Und abermals richtete sich cinc Fluth vou Vorwürfen gegcn Va leSca. Das junge Mädchen hegte schon längst keinen Zweifel mehr, daß sie verlassen sei. Sie bemühte sich, gefaßt zu er scheinen, gleichwohl ließ ihr stilles und gedrücktes Wesen nicht verkennen, daß die Ueberzeugung von der Treulosigkeit ReinlandS sie auf's Tiefste gcdemüthigt batte. Jede getäuschte Hoffnung hat Trübsal im Gefolge. BaleSea hatte vor den Kenntnissen ihres Verlobten die größte Hochachtung. Sein gefälliges Aenßere war nicht ohne Eindruck ge Seite» erfuhr, regte auch den Stolz der von ihm Erwählten an. Seine aus die dürstige Beamtentochter gefallene Wahl war für die damit Ausgezeichnete schmeichelhaft und erfreulich. Uni fe tiefer schmerzte die Kränkung und Ent tänschung. Flatterhaft und wankelmüthig war Richard nicht. Aus Leichtsinn batte er nnngen Baleseas vernichtet. Auch die sorgfältigste Se'.bstprüfung ließ BaleSea in ihrem eigenen Verhalten keinen Grund sür Richards Benehmen aussiu den. Und doch tauschte sie sich über ihre Schuld vielleicht. Tic Mutter wenig stens sand eine solche und behauptete, BaleSea habe sich nie ihrem Verlobten vertranenSwüroig gezeigt, nie ihm die einer anderen Gelegenheiten ValcSca, d» bist ihm zu gering, du hast dich ärm lich benommen. In der That, in den Gesellschaftskreisen, in welchen er sich bewegt, würdest du eine passende Rolle Unter diesen .Mmmeruissen schlich die Zeit hin. Tie Tage wurden kürzer und düsterer. Tas WeihnachtSfest, wcl cheS so häufig im Zusammensein mit Heinrich Gcmkenthal Versöhnung mit dem irdischen Leid, Friede und Glück seligkeit gebracht bat, ging ohne Hein rich Gemkenthals Anwesenheit diesmal vorüber. Er sandte eine ziemlich beträchtliche Summe Geldes an Frau Ludovici und bat in den begleitenden freundlichen Zeilen, dafür den Christbaum zufchmük- ken, dessen Lichikranz diesmal an seiner Stelle cincn andcrcn Stcrblrchcir cr frcncu wcrdc « er mciiite Reinland), so wie die größcrcn Anforderungen zu bc streiten, welche BaleScaS Brautstand nothwendig mit sich bringe. Glcichzci tig bcdancrtc Gcmkcnthal in dcm Be gleitschrciben, daß gerade die Weih nachtszeit ihn von Bcrliu abrufc. Die süddeutsche Geschenklitcratnr mache ciuc Rcisc nach Stuttgart und Basel nothwendig: cr habc auch in an drrn gros-.'» Städtcn in geschäftlicher Weise auzuknüpse» und beabsichtige so- vielleicht, eine Zweignicdcrlassnng im Auslande zu gründe». Man möge, schloß cr, ihm nicht zürnen, wen» er vicllcicht Woche» »nd »iviiatelang von sich nichts hören lasse. In dcr That Gcmkenthal schien ans dor Welt verschwunden zu einer Zeit, wo sein srcuudlicheS Wort den beiden Frauen am meisten Bedürfniß war. sagte Frau Ludovica. Sein reiches Weihnachtsgeschenk hat uns nach außen hin auf Jahresfrist von jeder Sorge be freit. Der innere Kummer freilich ist durch seine Mittel nicht zu hebe». Ich schlage das, was er zur Verbesserung unserer Lage gethan, nicht gar zu hoch an. Er entbehrt darum nichts. Es ist seiue Pflicht, sür uns zu sorgen. DaS Glück hat seine Launen. Heinrich ist, wie man allgemein hört, auf dem Wege, cin reicher Mann zu werden. Ich war neulich, um ihn zu sprechen, cs ist zu denken, in welcher Angelegen heit, in feinem Geschäfte auf der Wal demarstraße. Er iväre von Stuttgart zurück, sagtcu mir scinc Lente, bald darauf indessen abermals, nnd zwar nach München abgereist. Wic nobcl, wic gediegen, sieht alles bei ihm ans! begeht nnd eine Frau nimmt. Das würde für uns ein wahres Unglück sein, uns ihm entfremden, uns, die wir doch auf seinen Beistand angewie sen sind. Ich fürchte, ich fürchte ich habe eine Ahnung davon, daß er uns nächstens mit einer jungen Fran über rascht. BaleSea verfärbte sich und starrte durch das Fenster nach den schweren, über die Dächer hiusegeluden Wolken. Dem Ohcim wäre ein rechtes Glück zn gönnen! sagte sie dann mit bewegter Stimme. Hoffentlich schützt ihn sein Alter vor einem solchen unüberlegten Entschlüsse. DaS Alter? entgegnete Valesea eifrig. Onkel Gemkcuthal ist jnng an Geist uiid Körper. Das Alter entschei det in der Liebe überhaupt nicht. ' Du sprichst wic ein unverständiges K ind. Hu, wie dunkel cs wird nnd wie der Regen gießt. Wenn das so fort geht, kann kein Mensch mehr ans die Straße hinaus und setzte sie boSluft hinzn der Doetor Reinland hat die beste Entschuldigung, wenn er auch heute seine Braut, nicht besucht. Dergleichen schlimme Bemerlungen hatte BaleSea schon seit Wochen häufig anhören müssen. ES kostete ihr Ueber Windung, ihrer bittern Empfindung nicht durch eine scharfe Entgegnung Ausdruck zu verleihen. Doch fast im vie Augen aufschlug, begegneten sie dem über dem Schreibtisch hängenden Bilde des verstorbenen Baters. Sein ernster, vornehmer' und milder Blick sprach ihr Trost zu. Sic schloß ihre Lippen ge waltsam und preßte die kleine Faust auf's Herz, um den nagenden Schmerz, der nach Worten rang, zu erdrücken. Als BaleSea aufstand, um iu der ncbcnanlicgcndcn Kammer ihre Thrä nen zn verbergen, klopfte der Postbote zn, schüttelte von sciiicm Mantcl vraußcn auf dem Borflur die Regerr iropfen ab uud reichte mit den Worten: „Nach dem Regen wird eS grün Wer ve»!" cin Palct in die Thür hinein. Die Fran Gcheimräthin öffnete dasselbe nach seiner Entfernung. Es enthielt, ohne daß eine schriftliche Crklärnng beigefügt war, dic kleinen Reinland im Laufc dcr Zeit gcmacht hatte, cin in Perlen gesticktes Notizbuch, ?in Sanimtkisscn mit eingcnäthem Kreuz vou Edclwciß und ein kleines selbstge sertigteS, vortreffliches Lclgemälde, ?ine Ansicht dcS Hüttentcichs bei Alte nau. Frau Ludovica, sonst s» redselig, ver stummte bei dem Anblick dieser Sen- Zlirig. Nun ist es entschieden es ist rus! stammelte sie endlich, als sie wie )er sand, und hielt sich au dem ValeSca faltete die Hände und schlug ihre großen Augen langsam zn der Decke des Zimmers empor. Ihr Antliy -var blaß wis der Marmor einer Sta nie. Ich wußte eS schon lange lange! Dank dem Himmel, der nun Gewißheit zcgeben hat. Seit diesem Tage hatte sich ein schlimmer Gast eingenistet, schlimmer ils Noth nnd Entbehrung. Er stand in der Gestalt eines bösen Geistes zwl scheu Mutter nnd Tochter nnd iianntc sich Unfriede. Tic Vorwürfe der Mutter zahmen kein Endc, sie wurde» stets hef Mit Tir ist gar nicht mehr zu spre chen, warf Fran Ludovica der Tochter vor, nicht einmal für den »nininer einer sie keiner Antwort. O, wäre nur Outel Heinrich zur Stelle, damit man sich aussprechen »nd seinen Rath einholen Leranlassnng gegeben, sich von uuS zu rückzuziehen. Tie gequälte und von den mrzerechten Beschuldigungen dcr Mutter gepeinigte Jugend entblätterte, nach und barg ihr IhräncnbenctztcS Antlitz leise schluchzend. um den Schlaf der Mutter nicht zi> stören, in die Kissen. Warum noch weiter lcbcn, wenn alle Liebe gewichen und das Dasein nutzlos ist? jammert! sie leise vor sich hin. O, hätte ich ein Mittel, welches rasch und schmerzlos alles beendigte sie würden wenig stens, wenn ich von ihnen gcschieder wäre, wenn ihre Augen mich nicht mehr sähen, meiner mit Wehmuth gedenken Diese Vorstellung kehrte stets zurücl und gewann bei jeder Wiederkehr ar Stärke, Gestaltung »nd geheimen Reiz Neunzehntes Capitel. Ter dünne, Ende März gefallen, Schnee begann zu schmelzen, als be hereinbrechender Dammenrng ein langn Leichenzug schnell und gespensterhaft über das feuchte Straßenpflaster fict fortbewegte. Ter Wind blies in du Fackeln, die neben dem Sarge getrager wurden. Er wehte die Flammen dei Straßenlaternen flackernd hin und hei und fing sich in den ausgebauschier Mänteln des zahlreichen, ans Männcrr und Frauen bestehenden Gefolges. Dil Schattengestalten, welche dieser düster, Zug auf d-n Erdboden warf, konnter wegen der Einwirkung des Windes nni wegen der Schnelligkeit der Wandeln den keinen scharfen Umriß gewinnen. Der reiche Kanfmann Simon La zarSki war eS, dessen Leib nach langer, qualvoller Krankheit der Erde zurücker stattet werden sollte. Keine ärztlich, Kunst war imstande gewesen, sein Leber zn retten. Zn derselben Zeit strahlter die Fenster der Etage, welche Wolfganc von Bern Ergestedt in der Residenz be wohnte, von dem Glanz unzähliger Wachskerzen. Ihr Licht spiegelte sich in dem nassen Straßenpflaster wider Mancher neugierige Blick Vorübergehen der richtete sich nach der langen Frow des Hauses empor, um zu erspähe», was hinter den seidenen Vorhängen sich ereignen möchte. Dennoch war eS nur eine kleine, freilich eine gewählte Ge sellschast, welche Wolfgang erwartete. Die Zeit war noch nicht herangekom inen, zu welcher die Einladungen ergan gen waren. Sic wolle» nicht mein Begleiter sein fragte Betty d' Israeli. Welche Musi! lag iu dieser Frage! Nicht durch du Augen allein, auch „durch das Ohr" zieht jene süße Täuschung ein, wie der Dichter in seinem Drama meisterlich auSsührl. Die klangvolle Stimme des Menschen ist ein edleres Mittel der Bestechung, fügen wir hinzn das Aug« der Sinnlichkeit näher verwandt. Di> Stimme des Menschen aber, wenn si< ans der Tiefe der Brust, sei eS Lust, sei es Leid, erklingen läßt, gibt den Ton der Seele reiner, unverfälschter unt unbestechlicher wieder. Sie erhebt, be strickt und rührt wie Musik unmit telbar und unwillkürlich einwirkt während das Auge, die äußere Schön heit erfassend gleich dem Gemälde, aus übt. Ich wein nicht,' was mich heute sc unruhig macht, entgegnete Wolsgang, O, die sich hier einfinden werden, sint eS nicht werth, diese Melodie zu hören, den richtigen Ausdruck iu meinem Spie! gesunden habe, der diesen Gesang be gleiten muß. Tas hätte ich srüher be denken und sie nicht bitten sollen, Ihn Schätze in diesen Räumen zn vergeu den. Sie sind thöricht, lieber Freund, sagtr Bett», Ihre Stimmung ist heute »ich! natürlich. Gut, so mag ein anderer der Professor Deitlinger vielleicht dii Begleitung übernehmen. Etwa eine Stunde vor der angesagter! Zeit snhr ein stattlicher Landauer an dem EingangSportal vor. Eine tief ver schleicrie, schlanke Frau entstieg dem Wagen und w.rrde von der Tienerschasl die teppichbelegte Treppe hinanfgeleitet, Bettn d'Jsraeli war es, weiche in dem Toilettenzimincr Mantcl und Schleier Wolfgang versprochen, in der Gesell schaft einige Lieder vorzutragen. Wolj selbst, ein mittelmäßiger Clavicrspiclcr, sreute sich nnd war stolz darauf, die Be nothwendig, die noch vor Ankuiist der geladenen Gesellschaft erfolgen sollte. Wolsgang hatte von jeher ein beson deres Interesse und eine hohe Verehrung sür di.e ausgezeichnete und allgemein geachtete Künstlerin an den Tag gelegt. Er ging ihr .üit dankerfülltem, freudi gem Herze» heute entgegen und trat »nd Bewunderung einen Schritt zurück. Daß Betty d'Jsraeli einige Jahre älter als Wolsgang war man rnnßte es heute vergessen, vergessen die nicht schö nen und unregelmäßigen Gesichtszügc der Sängerin. Ihr ganzes Wesen wirkte wahrhast bezaubernd, der Zchim uier der Kerzen schien vor der Grazie, welche diese Erscheinung und jede ihrer Bewegungen auszeichnete, zu erblassen. Alle Mittel, welche aus der Bnhm Reiz und Dust verleihe», waren ver schmäht, gleichvohl war der Eindruä dieser schlanke» und üppigen Gestalt überwältigend. Ein einfaches, matt rosafarbenes Seidenkleid schinicgte sich an den blendendweißen Hals und dii alabastergleichcn, nach griechischer Art nackten Arme. Der einfache, schim inernde Faltenwurf deutete die vollendet fchöneil Körperformen leichthin an. Kein Schmuck verunzierte das volle blauschwarze Haar, welches wie ein schirmende: Diadem die Stirne leiS be schattete nnd in stolzer Fülle über den Racken nngesesselt herabfiel. Kein Handschuh verdeckte die feinste und wohlgebildctste Hand, die Wolfgang kaum zn iasscn und zn seinen Lippen O, wie entzückend! stammttte er, in dem er sich aus diese Hand herabbeugte. Sic spotten, erwiderte sie. Sie ken nen meinen Grundsatz: schmucklos und wahr! Wir haben übrigens kaum noch > Znt, die Lieder nnd Arien, die ich sin gen soll, zu proben. Lassen wir dahei alles übrige beiseite. Sie schritt zu dem inmitten des Zim mers stehenden Flügel nnd ordnete arij dem Pult die mitgebrachten Noten. Wolsgang folgte ihr mit heiße» Au gen. Jede ihrer Bewegungen übte cincn nciicn Zaubcr auf ihn. Ach, fagtc cr, wic werd' ich ncbcn Ihnen, dcr gro ßen und edle» Künstlerin, mit meinein dürftigen Spiel erscheinen! Mir flirrt es vor den Augcn, meine Finger sind unsicher. ES war Verwegenheit, daß ich Sie bat, Ihr Begleiter sein zu dürfen. Betty d'Jsraeli blickte ihn über die Schulter verwundert an. Sie war überzeugt, i» dem jungen Diplomaten einen ausrichtigen Verehrer zu besitzen. Heute klang seine Stimme bewegter noch als sonst, fast zitternd rn ihr Ohr. Wolfs Huldigungen waren anf Fräu lein d'Jsraeli nicht ohne Eindruck ge blieben. Mit Blumen, mit köstlichem Schmuck hatte er sie bei jeder Gelegen heit ausgezeichnet. Diese Huldigungen nahm Fräulein d'Jsraeli als die eines jugendlichen Enthusiasten zwar, aber nni so lieber und erfreuter auf, als sie uicht gleich andern Genossinnen der Knust durch Zeichen solcher Anerkennung und Bewunderung verwöhnt war. Sic wußte, daß sie nicht schön war, und empfand, zurückgesetzt im Vergleich mit feiner nnbedellteirden Kraft, die ihr bezeigte Theilnahme um so wohlthuen der. Doch auch Wol'S Aufmerksamkei ten Ware» von ihr nicht als über das Maß gewohnter Beifallsbezeigung hin ausgehend geschätzt worden, obwohl si chln gegenüber sich wärmer und im Ge dankenaustausch hingebender erwies. Einc Art von Freundschaftsbund bildete sich unter beiden. Sie hatten sich das Wort gegeben, aufrichtig, offen und ehrlich zueinander zu sein. Man glaubte von beiden Seiten in Betracht der wech selseitigen Verhältnisse hierzu imstande zn sei». In den Kreisen, in welchen Wolf und Betty verkehrten, kannte man diefeS Verhältniß und würdigte eS was in ähnliche» Fällen kaum geschieht richtig. ES entbehrte zwar nicht ei ner gewissen Romantik, aber eS war dennoch so natürlich nnd nnbefangcn, daß niemand jemals eine tiefere Nei gung, die schon durch die hoffirungcr weckende Zukunft dcS reichen jungen Mannes und dic gcringe AirzichnngS kraft dcr äußcri> Rcizc dcs ältcrn Fräu leins ausgeschlossen schien. DaS heißt mich demüthigen! erwi derte Wolf noch erregter. Deitlinger am wenigsten ist dessen würdig. Nein, Bettn, Sie dürfen überhaupt uicht sin gen Wic seltsam Sie sind. Ich glaubte in diesem Wunsche den Zweck Ihrer Einladung zu crkcnncu. Nimmermehr! O. wie falsch Sic mich beurtheilen. Wäre es der Fall, ich würde kein Opfer gescheut haben, bezahlte klasissche Musik meiner klei nen Gesellschaft vorzuführen. Allein, ich dachte, den höchsten Genuß sür mich felbst eiiizuhcimscn, wenn Sie wenn Sie ans Liebe zu mir sich herab lassen wollten Nun wohl ich bin bereit. Nein, nein! Ich mag cs den andern nicht gönne». Sie verstummte. Nach einer Weile sagte sie dann: Herr von Bern, Sit erinnern sich, was wir uns einst in einer Stunde heitern, frenndfchastlichen Zu sammenseins uns gelobten. Die Welt ist falsch, sprachen Sie, wir beide wenigstens wollen stets offen gegenein ander sein. Ich versprach es Ihnen nnd habe meines Wissens Wort gehalten. ES scheint, als fühlten Sie wegen dieses Gelübdes heute Reue. Wenn Sic cs wünschen, werde ich Ihr Versprechen als ungeschehen betrachten. Wolsgang kämpfte mit sich selbst. Sie sagten, ich sei thöricht. Nun wohlan, ich bin eS. Ich will mich überwinden. Lassen Sie uns spielen. Er öffnete den Concertflügel nnd nahm auf dem Sessel Platz. Fräulein d'Jsraeli suchte mit einer gewissen Un ruhe in ihren Noten. Als Wolf dic rechte Hand auf die Tasten legte, zitter ten seine Finger. Er drehte sich zu dem Fräulein um. Sie erinnern mich an jene Stunde eines glücklichen Zusam menscins, sagte er leise. Wir sprachen damals über »laircherlci, was die Her zen der Menschen bewegt. Sie schenk ten niir Ihr volles Vertrauen. Si« sprachen von dem Schein des Glückes, welcher trüge. Sie nannten die Kunst, welche Sie übe», einc falsche Freundin, an die Stelle der Wahrheit setze si« die Täuschung. Man beneidet mich, sagten Sie allein ich bin zu beklagen. Ich selber bin ein Trugbild geworden, entsremdet jeder wahren Empfindung durch dic Gewalt, dic mich zwingt, Schmerz, Glück, Behagen und Leiden schaft zn heucheln. Ja, und Sie spra chen wcitcr, Sic empfänden zn jeder Stunde, was jene schönen Verse der Dichterin Barbara Glück so rührend ausdrücken, daß man bei jedem Glücke sagt: „8» spät!" Fräulein d'Jsraeli wandte sich ab. Die Glück Betty Paoli hat recht. Es ist so, sagte sie tonlos. „Nein, die Kunst ist keine falsche Freundin. Sie erhebt, sie veredelt, fic bannt den Zweifel und ebnet den Pfad des Leben?. Der Atom Gottes wcht in ihren Töne» »nd wcht aus ihre» Melo- Himmels nicht cin Labsal wäre und fein Leben fristctc. wußte, daß sie damals von dem falschen Schein gesprochen, nur in der Absicht, sich selbst zu täuschen und um die damals wie heute von Wolf aus dem gewöhnli chen Geleise in das Gebiet der leiden schaftlichen Neigung hinübergespiclte Unterhaltung aus andere Bahnen zu lenken. Sie reichte dem Baron die Hand zum Zeichen ihrer Einstimmung. Sic sendet ihre Boten aus, damit wir vom Himmel träumen und vom Leid der Erde erlöst werden. Sie Sie, theure Betty, sind eine solche Botin. Wolf war aufgestanden und hatte bei diesen Worten seinen Arm um ihre schlanke Hüfte gelegt. Sie widerstrebte nicht, sie lehnte sich an ihn. Sie thaten einige Schritte langsam weiter nach dcm Fcirstcr zn. In der Fensternische, welche die herabhängenden schweren sei denen Gardinen verdeckten, standen sie uud flüsterten leise, nicht achtend, daß aus der Straße vorbcigchcnde Mcnschen die beiden Schattengestalten zn beobach ten Gelegenheit fanden. Als sie nach kurzer Zeit Hand in Hand wieder hervortraten, küßte Wolf ihre Stirn. Nein! sprach er, du darfst heute nicht singen. Ich werde den Grund dafür bei Tische nicht verschwei gen. Als Wolfs Gäste versammelt waren, ging man nach einer kurzen, der Unter haltung gewidmeten Stunde zu Tische. Es war eine ziemlich gemischte Gesell schaft von Freunden und Verehrern des jungen Mannes, Ofsicierc. Künstler, Literaten. Während die Gäste aus dem Officicrstande meistens unverhcirathet waren, erschienen die übrigen, soweit sie vcrheirathet, mit ihren Frauen. Sie nahmcn keinen Anstoß daran, daß der Gastgeber selbst nicht verheirathet war, so waren Wolfgangs Gesellschaften auch schon srüher zusammengesetzt und des halb vielleicht desto beliebter und beleb ter gewesen. Die Tafel war wohlbe setzt und bot die ansgewähltcsten Gc< nüfse, die feinsten Werne. Die Heiter keit und Fröhlichkeit der Gäste ließ anch diesmal nichts zu wünschen übrig. Einen Theil der Unkosten der Unter haltung trng Frau von Hüter, die ehe malige Geigenspielerin Sclma Verena. Nicht, daß sie selbst sehr anregend sprach, aber sie war die Zielscheibe geist reicher, harmloser Scherze ihrer Tisch nachbarn. Diese Scherze steigerten sich nnd wnrden ausgelassener, je mehr Selma durch ihre Antworten den Stoff verdoppelte. Jetzt lachen Sie ver kündigte sie in ihrer langsamen und ge dehnten Weisc, warten Sie nur, wenn ich nach aufgehobener Tafel mein Schatz kästlein öffne, die Violine hervorhole und die Prumesche Melancholie vor trage, dann werden Ihre Augen sich mit Thränen füllen. sagte der Professor von Lerbach, indem ?r den Champagnerkelch der Geigenspie lerin vollschenkte. Um seine junge Frau aus diesem Fe gefeuer zu retten, suchte der Assessor von Hüter das Gespräch ans andere Gegen schon, wandte er sich an seinen Nachbar, von dem glücklichen Fang gehört haben, vc» wir, das heißt die Criminalpolizei, ilnlängst gemacht haben. Eine sehr wichtige und folgenreiche Entdeckung, llm sie zn mache», hab' ich die Ruhe zwei aufeinander folgender Nächte den Acten geopfert. Das muß schon längere Zeit her sein, vcnn in den beiden letztcn Nächten hast Sil, wie ich weiß, fest geschlafen. Ich versichere dir, liebes Kind, der kommen vom Bureau nicht bemerkt. Lor längerer Zeit wurde in einem un serer Vororte ein ehemaliger Commis lich lierabgckomi»cncr nnd zum Verbre cher gewordener Mensch, der sich früher in anständigen Kreisen bewegt hatte. Er Der Doetor Richard Reinland, der ziemlich entfernt und schweigsam am Tisch saß, fuhr bei diesen Worten jäh zusammen und wurde purpurroth. Nur Wolfgang bemerkte dies, lächelte zu sei nem alteu Freund hinüber und legte den Zeigefingcr ans den Mund, um jenen» jeine DiseretionH» versichern. Nun gut, fuhr der Polizeiasscssor fort, cS schwebte lange Zeit ein »»durch vriuglichcS Dunkel über diese Äugele zcnheit. Sie wissen, es gibt auch sür ?>c intelligenteste Polizei Geheimnisse deren Schieier nicht zu lüsteu ist. Alle Mühe, den Thäter zu ermitteln, war vergeblich. Die Sache begann, wie man ;» sagen pflegt, cinziifchlascn. Jetzt 'ndlich ist ein Lichtstrahl in dieses Dun kel gedrungen. Ein junges bildschönes Mädchen ja, bildschön ist der richtige Ausdruck Flora Hagele, die Tochter :iner Hökerin, die übrigens auch als zewohilheitsmäßige Hehlerin in dem schwarzen Register ein Blatt hat, wäh ceiid die Tochter in der Verbrecherwelt sen wohldiislendeil Namen der Zimmet Handschuh führt Flora Hagele also zieldcte sich bei mir. (Fortsetzung folgt.) Tic und band an dessen Abzug eine Schnur, dic cr am untere» Ende derart befestigte, daß beim Ans drücken der Thüre ein Schuß fallen mußte. Beruhigt ging cr dann feiner Wege. Als cr iiuu wieder zu feiner ncnen Wohnung zurückkehrte, fand er Da hab' ich meiner vorige» Gnädigen extra a' paar Visitenkarten geschnipt, um mir auf ihren Namen 'was aus den Geschäften zu holen— und jetzt gibt mir kein Mensch 'was darauf!"