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In ausgeregter Stimmung eilte er nach seiner Wohnung, um, wie er sich selbst sagte, durch den Inhalt der Briefe sich die genügende Ueberzeugung zu verschaffen, »aß dieselben Nichts entb elten, was die Ehre seines Weibe» compromitirte. Ohne ein Wort mit dem Dienstmädchen zu spre chen, nahm er dieser das Licht au» der Hand und begab sich nach der Stube sei- Sein Herz schlug heftiger, als er die Thür hinter sich verschlossen hatte und dem kleinen Schreibpult Verena's gegenüber stand, welche» die wichtigen Geheimnisse barg. Da« Pult war verschlossen. Er probirte einige seiner kleinen Schlüssel. Richtig!., einer schloß. Arthur hatte sich genau da« Kästchen gemerkt, in der sie die Briefe verwahrt hatte. Er öffnete e«. Da» kleine mit rothfeidenem Bande umwundene Packet lag vor ihm. Noch einmal ertönte die Stimme seine« besseren Ich«, denn es durchlief ihn ein eisiger Schauer und es däuchte ihm, al« raune ihm eine Meisterstimme ,u: Arthur was thust Du? Bist Du ein Mann, wenn Du, ohne Deine Frau zu hören, unbeson nen bandelst und gewaltsam in ihre Ge heimnisse, wie ein Dieb, wie ein Räuber eindringst? Im nächsten Augenblicke aber waren diese Gedanken verschwunden. Die Neu gierde, angestachelt von den fortgesetzten Einflüsterungen, übertönte Alle«. Arthur löste da« rothseidene Band, wel che« das kleine Packet zusammenhielt. Seine Hände zitterten, seine Pulse fieber ten, als er das geöffnete Packet, ohne die einzelnen Briese in die Hand zu nehmen, zaudernd aus den Tisch legte. Es war ihm, al« lege sich eine kühlende Hand auf seine erhitzte Stirn und rief nochmal« eine Gedankenreihe in ihm hervor. Wenn es Briefe aus ihrer Jugendzeit wäre», aus der Zeit, wo er das Her, Verena's noch kiebe eines jeden Menschen vorkommen? . . . . Da sch»b sich unter dem Drucke sei ner Hand eine Photographie aus dem Seufzer seiner Brust. Dann hielt er sich beide Hände vor das Gesicht und ließ da« Schreckliche, daß er soeben aus den Brie fen gelesen, an seinem Geiste vorüber, ziehen. War es doch der elendeste Verrath, der worden ist. All diese Freundlichkeit, alle Aufopferung, Alles das, wa» ihn so sehr an das Weib seiner Wahl gefesselt hatte, war Verstellung, war anempfohlene jtlug gehen? 112 A s, Also sene Glückseligkeit, die ihn einge blind gegen da» ränkevolle, hinterlistige Weib gemacht. Hinter seinem Rücken, „wenn er auf dem Bureau ist und arbei- Lieden«würdigkett lullt man am besten ei nen tölpelhaften Ehemann ein," hatte in einem Briefe gestanden. Da« war also diese Herzlichkeit, diese Munterkeit, diese Anhänglichkeit. Und alle diese Briese woren theil« vor der Zeit seiner Berdel rathung mii Verena, zum größten Theil aber während der seiner kurzen Ehe datirt. Da« dumpfe Stechen im Kopfe nahm plötzlich so zu, daß er aufsprang und seine beiden Hände gegen die glühende Stirn preßte. Er warf die Briefe ungeordnet in den Kasten, verweilte noch einige Au genblicke bei dem Anblick der Photogra phie, in der er, soviel Müde er sich auch gab, keine Aehnlichkeit mit dem von Ve rena mit „William" angeredeten Manne eilte, nachdem er da» Pult »erschlossen, hinau« in die Sternennacht, deren Lichter in ewiger Klarheit funkelten. Er wußte nicht, wie er nach dem Theater kam, s» so peinliche Gefühle durchströmten ihn. Als er wieder in die Loge zu Verena trat und diese flüsternd und etwas betreten nach seinem Ausbleiben fragte, winkte er ihr Ruhe zu, gleichsam, als wolle er durch sein Gespräch seine Nachbarn nicht stören. nach der Bühne, ihr Auge verweilte mi nutenlang auf dem blassen und entstellten Gesicht ihre« Gemahls. Dieser starrte sein Blick die Bühne. Als der Vorbang den Schluß des Aktes anzeigte, rückte Verena ihrem Gatten nä her und befragte ihn nochmals über sein Wegbleiben. „Mein Kopf schmerzte mich so fürchter lich, daß ich vorzog, lieber eine Zeitlang zu promeniren, als hier in der schwülen „So wollen wir nach Hause fahren!" „Der Fiacre ist noch nicht da —ich habe nach der Nummer gesehen!" „So wollen wir zu Fuße gehen. Komm, mein Arthur!" Verena sprach die wenigen Äiorte mit einer so wohltönenden Stimme und mit einem solchen Ausdruck, daß Arthur über diese Verstellungskunst erstaunte. Nun sie ist ja Schauspielerin gewesen! raunte ihm der finstere Dämon wieder in das Ohr! Arthurs Zustand wurde bedenkli cher. Der dumpfe Schmer; im Kopfe schweigend neben seiner anscheinend so be sorgten Gattin hin, als sie das Schau spielhaus verlassen hatten und nach Hause eilten. Die Schläge der zwölften Stunde der Nacht tönten mit ihrem dumpfen Klange an das Ohr des immer noch wachenden Gatten. Die sonderbarsten Pläne Patten seinen Kops durchkreuzt; Für und Wider hatte einen entsetzlichen Kampf begonnen, bis endlich da« Wider gesiegt hatte und Verena als treulose Gattin vor seinem er regten Innern stand. Sie hatte sich zwar noch nicht gerechtfertigt, aber wozu noch eine Rechtfertigung, die ihm jedenfalls wieder in der Maske der Verstellung ge bracht worden wäre? Ein schrecklicher Gedanke war in ihm zur Reife gediehen. Er schri>t zur Ausfüh rung. Als er sich so leise, wie ein Panther, von seinem Lager erhoben und flüchtig ange- Er trat wieder in das Schlafzimmer. Der matte Schein des Lichtes in der wie ihn der Pinsel des Malers nicht schö ner darzustellen vermag. Etwa» zur Sei te gebogen, trat das Profil des Gesichtes in den weißen Kissen höchst vortheil haft hervor. Dazu kam, daß sich hinter der klaren, glatten Stirn in diesem Au ter!" den blitzenden Stahl und nieder senkie er sich nach der Gegend des Herzen,. Es war ein gräßlicher Augenblick Daliegende. Gesenkten Hauptes schritt er nach der Thür und trat hinaus auf die Veranla. Lange stand er hier, anscheinend in tieses Sinnen verloren. Doch war das nicht der Fall. Dunkelheit, Oed? füllten sein Hirn; ein Geist, ein fürchterlicher, der Geist de« Wahnsinne« hielt seine Gedanken gesan gen. In diesem Zustande näherte er sich, als er die Stufen der Veranda hinabgegangen war, dem Hinteren llieile des Garten«, an dessen Rückseite das Wasser eine« Flußar. Ein dumpfer Fall auf den Rasenboden de« User«, da» Auftreffen eine« leichten Gegenstandes aus den Wasserspiegel gingen der Todtenstille voran, die hieraus eintrat und nur durch da» Plätschern de« Was sers an dem steinigten Ufer unterbrochen 13. HiobSpoften. Der Chef der Firma Moritz galkeaing in Bremen saß allein in seinem kleinen, an da» Comptoir stoßenden Cabinet. Ein greller Sonnenstrahl lief an der Wand herunter und beleuchtete den still Dastßen den. Es mußten bedeutende Pläne hinter dieser gesuichteu Stirn kreisen, daß der sonst so thätige und geschäsiseifrige Prin cipal so bewegungslos dasaß und grübelte. Oder waren e« trübe Gedanken an Ver gangenheit und Zukunft? Treten wir ein in den engen Schrein, in dem die Gedanken und Gefühle des Menschen geboren werden. Morih Falkening traten die Ereignisse der jüngst vergangenen Zeit vor die Seele. Er blickte hinüber nach dem leeren Piaße, auf dem bis vor wenigen Wochen der ein. zige Freund, de» er besessen, gearbeitet hatte. Der unbarmherzige Feind des Le bens hatte ihn von seiner Seile gerissen. Er war in die kühle Erde gebettet worden, ohne daß stch sein Mund noch einmal ge öffnet und ihn feine Augen noch elnmal angeblickt hätten, um ihm Lebewohl zu sa gen vor der Reise nach dem Orte der Ver geltung; denn als die Kunde von dem Tod des Freundes zu ihm gedrungen war, war er bereits marmorkalt gewesen. Vergeblich hatte er sich über das Lager Valeria»« geworfen und ihn unter Weinen und Schluchzen geküßt; vergeblich hatte er fei nen Namen wohl hundertmal gerufen: stumm und kalt war der todte Freund ge blieben. Da hatt« sich ein neues Gewit ter über feinem Haupte zusammengezogen und ihn an die Vergänglichkeit alle» Ir dischen gemahnt. An dem Morgen, als er von der Bestattung de« Freundes zurück gekehrt war, hatte ihm der Telegraph und ein später eintreffender Brief seine« Soh ne« gemeldet, daß ein nicht unbeträchtli cher Theil seines Vermögen« durch Raub in Paris fpurio« verschwunden sei. Die ser Schlag hatte ihn, den geldstolzen Ari stokraten, noch tiefer berührt, als der Ver lust des einzigen Freunde«. Mehrere Ta ge hatte er bedurft, um sich wenigstens oberflächlich zu beruhigen, und kaum war dies geschehen, so klopfte wieder derHiob«- bote an die Thür. Da« offen daliegende Schreiben, ein Telegramm au« der thüringischen Residenz, dem Wohnorte seine« Sohne«, meldete, ersterer im Garten tödtlich verwundet und leßtere in ihrem Schlafkabine» ermordet aufgefunden worden sei. Morip Falkening fand keine Worte, um seinem Schmerze Luft zu machen und Thränen, um seinem gepreßten Herze« Lin derung zu verschaffen. Desto mehr kochte und schäumte es aber in seinem Innern, das einem vom wüthende« Sturm aufge peitschten Meere glich. barsten Gedanken waren in bunter Rei henfolge durch sein Gehirn gejagt, ohne daß eine Klärung eingetreten wäre, oder Richtung angenommen hätten. Da mußte ein Lichtbich die Dämmerung erhellt ha ben, denn er stand von seinem Sipe auf, grust öffnen, denn übermorgen wird die Leiche meiner Schwiegertochter hier an kommen !" „Aber, Herr Falkening—" Das konvulsivische Zucken umdie Mund- Winkel, wie fernes Wetterleuchten, trat in diesem Augenblicke etwa« stärker bei dem Principal hervor. „Wie ich Dir sagte: meine Schwieger tochter ist vergangene Nacht ermordet wo»- den. Vielleicht bringe ich auch" —Falke ning stockte „vielleicht bringe ich auch bensgefährlich verwundet, wie hier das AIS der Diener sah, wie über die falti gen, schlaffen Wangen de« Alten einige Seite und trocknete die feuchten Augen. . Ich selbst werde bei der Beerdigung nicht zugegen sein können, ich muß Dir Lchmückung desselben bemüht sew. Die Gelder läßt Du Dir von meinem Kassirer geben." „lind Sie kommen nicht mit, Herr?" „Ich werde die Genesung oder .... oder den Tod meiin« Sohnes abwarten müssen!" Dem alte» Diener war das Schicksal seines Pnncipais so zu Herzen gegange«, daß er demselben, als er den Auftrag er dielt, den Koffer zum Bahnhofe befördern ,u lasse», vor Schmerz und Rührung lein» '.'lunort zu geben vermochte, sondern sich, nur mit dem Koose bejahend nickend, ent fernte. „Herr, ich beuge mich vor Dir," sagte Falkening mit gefalteten Hände» und zum Himmel gerichtetem Blick; „ich erkenne Deine rächende Hand, die Alle» lohnt und Alles straft!" Eine Stunde später rollten die Wagen des Eisenbahn,»ge« dahin und trugen auch den reichen Herrn Falkening au« Bremen seinem Bestimmungsorte, der thü ringischen Residenz zu. IS, Eine Sorrespondenz. Abermals war eine Woche dahingegan gen. Arthurs körperliche Genesung machte täglich Fortschritte. Die Wunde war Stahl a« einem harten Gegenstand« in dem R»cke, d«n Arthur in jener verhäng nißvollen Nacht übergeworfen, abgeprallt war, und auf di«f« Wkis« nur eine «in- Ao. 30. fach? Schnittwunde hatte verursachen kön- Schlimmer stand e« um Arthur« geisti gen Zustand. Die fire Idee. eine schmerz hafte Stille auf der Stirn zu besitzen, be unruhigte ihn unaufhörlich. Oester« fragte er seinen Vater, ob er denn die Wunde nicht wahrnehme, und wenn dieser e« ver neinte, schüttelte der Sohn den Kopf, gleichsam al« könne er die Antwort nicht begreifen. Die Stirn zeigte allerdings eine leichte Nöthung, doch war diese einzig und allein durch da« wiederholte Betasten entstanden. Ebenso häufig wie der Bater. wurde auch der Spiegel befragt. Die übrige Zeit verbrachte der Unglückliche in dem Rohrsessel am Fenster, ohne feiner Umgebung irgend welche Aufmerksamkeit zu schenken. Seit zwei Tagen hatte er sogar die gewöhnlichen Fragen an den Vater eingestellt, und alle Versuche dessel ben, seinen Sohn während dieser Zeit zum Sprechen zu bringen, waren geschei tert. E« war am Vormittage de« dritten Ta ges. Die Glocke hatte schon längere Zeit die elfte Stunde verkündet, als Frau Will mann gemeldet wurde. Arthur gab dem Diener ein Zeichen, daß er für sie zu sprechen fei, und als Frau Willmann kurz darauf eintrat, ging er ihr entgegen und nahm, ohne daß der starre Ausdruck aus seinem Antlitz gewichen wäre, die Condolen, der Freundin feiner Frau entgegen. „H»rr Falkening," begann sie. „Frau Registrator!" „Gestatten Sie mir, Ihnen eine Mit theilung zu machen." „sprechen Sie!" „Vorher möchte ich mich Ihrer DiScre tion versichern." „Hal'en Sie mich einer Jndi«cretion für fähig?" „Verzeihung! Sie sind ein Ehrenmann. Ich beginne also. Sie dürften jedenfalls durch Verena erfahren haben, daß meine Ehe keine glückliche ist." Arthur murmelte ein Wort des Be „Das unglückliche Verhältniß," fuhr Frau Willmann zögernd fori, „hat mich Schritte thun lassen, für die ich allein ver aniwortlich bin. Ich demüthige mich vor Ihnen durch das Geständniß, daß ich ei nen Freund fand, daß ich mit diesem Freunde in Briefwechsel stehe und daß diese Correspondenz sich in Ihren Händen be findet." „In meinen Händen?" „Wenigsten« gegenwärtig." „Wollen Sie mir Aufklärung geben." „Sie erinnern sich jene« Abend«, an welchem Sie von Paris zurückkehrten." „Gewiß." „An demselben übergab ich Verena ei» kleines Packet Briefe und eine Photogra phie. Packet ist an einem rothseide nen Bande, mit dem ich es mehrfach um wickelte, kenntlich und befindet sich in dem Schieibtisch Ihrer seligen Frau Gemahlin in einem Kästchen, das ich Ihnen bezeich nen kann, wenn Sie die Güte haben wol len, mich nach jenem Zimmer zu führen." Arthur erhob sich rasch. „Haben Sie die Wahrheit gesprochen?" fragte er mit zitternder Stimme. „O wie derholen Sie mir, daß die Briefe Ihnen gehören, daß dieselben nicht an Verena gerichtet waren." „Sie sind mein Eigenthum. Ich über gab sie Ihrer Frau Gemahlin zur einst weiligen Aufbewahrung." Arthur« Biust arbeitete mächtig, dann verbarg er weinend sein Gesicht in den „Verena! Verena!" schrieer auf. „Keh re wieder! Vergieb! Barmherziger Gott! Mitleid! Gieb mir Verena, gieb mir mein Weib wieder!" In diesem Augenblicke erschien, von ei nem Ausgange zurückkehrend, Falkening in der Thür. Er hatte den Schmerzaus bruch feines Sohne« vernommen und maß die Fremde mit düsterem Blick. „Was ist geschehen?" „Ich bin hier," entgegnete Frau Will mann, „um ein Packet Briese, welche« ich meiner verstorbenen Freundin zur Ausbe- Währung übergeben, zurückzufordern." „Aber weshalb weint mein Sohn?" „Um Verena'S Verlust." „Rein, nein, nein!" rief Arthur in höch ster Erregung, „das ist e« nicht. Ich bin der unseligste Mensch, den je die Erde ge tragen. Welch gräßliche Täuschung!" „Beruhige Dich. Arthurl" Die Frau Registrator sah ein. daß der Augenblick nicht günstig war, um weiter auf die Herausgabe der Eorrefpondenz zu dringen, und empfahl sich, kaum beachtet, mit stummer Vernetzung. Falkening hatte seinen Sohn neben sich aus das Sopda gezogen und fetzte seine Bemühungen fort, um dessen Aufregung zu beschwichtigen. Es gelang ihm anschei nend. Arthur war in feine frühere Schweigsamkeit zurückgefallen; »ur zuwei len lachte er aus und trat an den Spiegel, betastete eine Stelle der Stirn und setzte sich wieder. Die liebevollen Versuche, ihn zum Sprechen ,o bringen, scheiterten jedoch gänzlich. Abend. Eben fiel ein Streifen Sonnen licht, einer der letzten Strahlen de« unter gehenden Tagesgestirns, durch die Vor bänge de« Zimmer«, al« Arthur vor den Vater trat und ihn lange schweigend an blickte. Sein Auge war nicht mehr starr, „Vater!" der Genesung erklang. „Mein Sohn! Mein theurer Sohn!" „Bater," wiederholte Arthur, „wo ist Verena?" Der Vater schwieg. (Stehe »i«te Getk.)
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