Pennsylvanische Staats zeitung. (Harrisburg, Pa.) 1843-1887, June 20, 1867, Image 1

Below is the OCR text representation for this newspapers page. It is also available as plain text as well as XML.

    Jahrgang 1.,
Die
Peinlsylvanische StaatSzeitung,
Herausgegeben von
Iol. Georg Slipper,
erscheint jeden Donnerstag, und koste, 2. vi
per Jahr, zahlbar innerhalb des.lahres, und
2.SV nach Verfluß des Hahrgangs.
Einzelne Eremplaren, S <sentS per Stuck.
Keine Subscriptioncn werden für weniger
als sechs Monaten angenommen; auch kann
Niemand das Blatt abbestellen, bis alle Rück
stände bezahl sind.
Anzeigen werden zu den gewöhnlichen Prei
sen inserirt.
Office! in der „Patriot und Union"
Druckerei, Dritten Straße. Harrisbnrg, nd
in der „Hntelligencer" Druckerei, am Eentre
Square, Lancaster.
Wohnung: Nro. tl ChrSnutstraße, zwi
chen der 4ten und üte Straße. ..
Poesie.
Die Weltmacht.
Das Geld, das Geld
DaS Geld regirt die Welt,
ES ist der mächtigste Regent,
Wo'S mangelt, da fällt's Regimen.
DaS Geld, das Geld
Gibt Anskh'n in der Welt;
Geehrt wird selbst sonst schlechtes Pack,
Wenn es nur Späne hat im Sack.
DaS Geld, das Geld
Macht schön in dieser Welt;
Ruch wjrd der Grützkopf witzig, klug,
Hat er nur Golddollar genug.
Verstand, Verstand
Galt elnst durch'S ganze Land ;
Jetzt ist er außer SoureS gesetzt,
Ist er nicht stark mit Gold versetzt.
Das Geld, das Geld
Macht Freunde in der Welt;
Doch wo der Geldsack kehrt und wend't,
Da hat die Freundschaft bald ein End.
Da Geld, da Geld
Bahnt Wege durch die Welt;
E öffnet sich das schwerste Thor,
Schlägt man mit güldnem Hammer vor.
Das Geld, das Geld
Ist ein gewalt'ger Held ;
Wo diese Macht zu Felde zieht.
Traun, daß der Feind d bald entflieht.
Das Geld, das Geld
Bestimmt in dieser Welt
De Werth des Menschen auf ein Haar,
Kein Maßstab je hier sich'rer war.
Da Geld, das Geld
Macht blind hier auf der Welt;
Der Goldsand ist ein wahres Gift,
Verdirbt die Auge, die er trifft.
Mit Geld, mit Geld
Wird'S Recht oftmals entstell;
Geld rennt voran, Recht schleichet nach,
Geld macht das Recht oft krank und schwach
Da Geld, das Geld
Verbindet in der Welt:
Viel Geld, viel Geld
Hät gern die ganze Welt;
D'rum weiß ich, daß der Wunsch gefällt:
„Komm zu uns Allen, König Geld!"
-feuitleson.
Ein
Gisenbahn - Abenteuer.
Von
F. W. Hackländer.
(Schluß.)
Da aber die junge Dame, ohne et
a zu erwiedern, einstieg, so nahm
der Schaffner das Alles für eine ausge
machte Sache an, Schlo Bdie Thür des
CoupeS und sagte, ehe er davon ging -
„Wir haben bis München keine Zwi
schenstation; die Fahrt dauert eine star
ke Stunde."
„Sie sehen mich untröstlich!" sagte
der junge Mann, nachdem er sich in
hrerbietigre Entfernung von der Gräfin
Patasky niedergelassen, „daß der Zufall
schuld daran ist, wenn ich Sie durch
meine Gegenwart belästige."
„Eine Bemerkung," sagte sie heiter
zur Antwokt, „die eben so unwahr als
unrichtig ist. Sie sind darüber nicht
untröstlich und Ihre Gegenwart belä
stigt mich nicht im Geringsten —beden
ken Sie nur die langweilige Fahrt einer
ganzen Stunde ohne Zwtschenstation —
ich hoffe, Sie fangen Ihren Dienst als
mein Kavalier schon jetzt dadurch an,
daß Sie ein wenig mit mir plaudern.
Der Zug hatte sich wieder in Bewe
gung gesetzt, und Herr Stollberg fand,
te unendlich er in jeder Beziehung bei
dem Wagentausch gewonnen. Wie an
geüehm saß er hier auf den weichen
Sammctkissen und der viel sanfteren
Bewegung dieses neueren uns besseren
Wagens. Ungleich köstlichere Atmosph
äre herrschte hier; die junge schöne
Dam strömte einen sanften Duft wie
on Veilchen aus und dabei that es ihm
außerordentlich wohl, endlich einmal
erlöst zu sein von dem Eisenbahnunfäl
ke erzählenden dicken Herrn und von
der Weise der Fahneuwacht, welche Bei
de ihm unerträglich geworden waren.
Dabei herrschte in dem Coupe ein ange
nehmer Dämmerschein, denn das Licht
der Krpslallschale mit der Lampe oben
in der Decke war gemildert durch einen
halb darübergezogenen grünseidenen
Borhang.
Um nun dem ihm ertheilten Befehle,
seine interessante Nachbarin zu unter
halten, so gut als möglich nachzukom
men, erzählte er, welches Interesse ihm
seit der Abfahrt von Stuttgart dieses
heimetisch verschlossene Coupe einge
flößt, und welch' mächtigen Eindruck es
auf ihn gemacht, als die Dame in dem
selben nun endlich, nach sehr langer
Zeit, so freundlich gewesen. Auch be
richtete er ferner, als nun derselbe grün
seidene Vorhang so plötzlich wieder nie
dergefallen wäre, sei ihm zu Muthe ge
wesen, wie wenn an einem klaren Svm
mertage plötzlich die Sonne durch eine
schwere neidische Wolke verfinstert wür
de. Dieses Bild war an sich nicht neu,
auch nicht übermäßig poetisch; doch ver
fehlte es nicht, einen heiteren Eindruck
aus die süße Nachbarin des Herrn
Stollberg zu machen. Ja, sagte nach
einer Pause: „Sie wissen es, daß, wenn
man so allein in einem Coupe fährt,
man sich endlich langweilt, und in dieser
Langenweile gewährt es mir eine kleine
Zerstreuung, hinter dem Vorhänge her
mein Gegenüber zu beobachten. Schon
lange vorher, che Sie mich sahen, hatte
ich Sie bemerkt —neben Ihnen einen
dicken Herrn mit echauffirtem Gesicht —
dann eine lange Figur mit großkarrir
tem Anzüge —"
„Und noch langweiliger dadurch,"
siel ihr der junge Mann in's Wort,
„daß dieses Ungeheuer in einem fort die
Weise eines Liedes, „die Fahncnwacht"
Pfitff.
Herr Stollberg hatte eine sehr schöne
Stimme, und da seine Nachbarin nun
in einem fragenden Tone sagte: „Die
Fahneuwacht ?" und dann wie nachden
kend schwieg, sang er „wue?s vcw";
Kennst Du da Lied,
Das ich einst so gerne gehört ?"
Sie erwiederte lachend: „Das Lied,
welches Sie einst so gerne gehört, kenne
ich allerdings, wenn dieses Lied näm
lich die „Fahncnwacht" ist, ich hörte es
einmal in einem Conzert —dann war in
der andern Ecke des Wagens noch ein
Herr, der beständig las."
„Ein Gelehrter oder ein Schriftstel
ler—er war stumm wie ein Fisch, und
wenn wir rauchten, so schien er wie ein
solcher nach Luft zu schnappen."
„Sie sind ein Raucher?"
„Ja wohl, gnädige Gräfin."
„Warum rauchen Sie nicht!"
„O, in Ihrer Gegenwart würde ich
mich dessen nicht unterstehen."
„Dazu sehe ich keinen Grund: man
öffnet ein Fenster und ist durchaus nicht
genirt."
„Verzeihe Sie mir, gnädige Gräfin,
aber in Ihrer Gegenwart würde mir,
wie ich überzeugt bin, die feinste Cigar
re nicht schinecken; auch erinnere ich
mich so eben, meine Cigarrentaschc
drüben gelassen zu haben."
„Das ist kein Grund; nehmen Sie
von meinen Cigarren —das heißt, von
denen meines Bruders —Sie werden sie
in der ledernen Tasche finden dort ne
ben dem hellen Paletot."
„Ich weiß in der That nicht, ob ich
mir erlauben darf —"
„Machen Sic keine Umstände, rauche
mit Ihnen." <-
„A—a—ah!" sagte der junge Mann,
und in der Betonung dieses Aufrufs
lag eine nicht unbedeutende Verwunde
rung.
„Wollen Sic mir eine Cigarre rci
che ?"
„Mit dem größten Vergnügen." .
„Und sich selber eine nehmen?"
„Mit noch größerem Vergnügen."
„Schön ich danke Ih
nen. Sie werden auch dort das Feuer
zeug finden, und bitte ich Sie um ein
brennendes Wachskerzchen."
Er hatte ihr die Cigarre dargereicht
und nun auch das brennende Wachsker
chen; dann schaute er ihr zu, wie ele
gant sie eine kleine Scheere handhabte
und damit die Spitze der Cigarre ab
schnitt. Auch konnke er es nicht unter
lassen, hierauf mit einem langen Blicke
ihr schönes Gesicht anzusehen, als es
nun so eigenthümlich roth angestrahlt
war von dem Schein des keinen Lichtes,
während sie ihre Cigarre anzündete. Da
bei wandte sie ihm ihre leuchtenden Au
gen zu und sah ihn so freundlich an,
daß er nicht unterlassen konnte, einen
tiefen Athemzug zu thun.
„So, jetzt rauchen Sie auch und
dann fahren Sie in Ihrer Erzählung
von vorhin fort, oder wenn Sie wollen,
will ich es thun. Als Sie, nachdem ich
meinen Vorhang herabgelassen, es mit
dem Ihrigen ebenso machten, lachte ich
über Ihre Kriegslist, denn ich bemerkte
wohl, wie Sie mich durch einen etwas zu
großen Spalt fortwährend betrachteten;
das amüsirte mich und ich mochte Sie
nun nicht länger des Glückes berauben,
mich ansehen zu dürfen."
„Ach ja, des Glückes —wer möchte das
leugnen. Darf ich nun wieder fortfah
ren ?"
„ES ist dieß eigentlich unnöthig, denn
was nun geschah, blieb Keinem von uns
Beiden verborgen."
„Sie machen mich glücklich, indem Sie
das sagen und mich so ahnen lassen, daß
Sie mich auch verstanden."
„Ob ich Sie verstanden, weiß ich nicht
genau," entgegnete die schöne Gräfin
mit einem gleichgültigen Tone, „ich
glaube, Sie machten mich, ihr vis-a-vm,
zuweilen auf die Schönheit der Gegend
aufmerksam."
„Ja und —"
„Auf besonders malerisch gelegene
Schlösser? Erinnern Sie sich an eines
derselben, es lag auf meiner linken Seite
hoch auf einem Berge? Ein anmüthigcS
höchst pittoreskes Gebäude."
„Burgan?"
„Ah das war Burgau ist es be
wohnt ?"
„Ich glaube, daß es bewohnt ist," er
wiederte der junge Mann mit einem so
auffallenden Seuszer, daß sie nicht anders
konnte, als ihn nach der Bedeutung des
selben zu fragen.
„Dieses Burgau," gab er zur Ant
wort, „kommt mir immer vor, so oft ich
es sehe, wie der Sitz der Glückseligkeit,
wie das Asyl einer still verborgenen, wun
derbaren Liebe ich weiß nicht warum,
aber in dem kleinen Schlosse scheint mir
fern von aller Welt, irgend ein glückli
ches Liebespaar zu Hausen, und in mei
ner Phantasie sehe ich dieses Paar Hand
in Hand an einem der Fenster sitzen, se
lig in ihrer Abgeschiedenheit den fern
dahinzeichcndcnEisenbahnzügcn zuschau
end."
„Fänden Sie es aber nicht langwei
lig, wenn das liebende Paar den ganzen
Tag Hand in Hand am Fenster säße?"
„Meinetwegen mitUnterbrechung—sie
werden auch sonst noch etwas zu thun
haben."
„Es ist dies doch eine sehr
fange Station", sagte die junge Dame,
nachdem sie eine Zeit lang geschwiegen
und sich in ihre Ecke zurückgelehnt hat
te.
„Ach, wenn ich mir nurerlauben dürf
te, dies ganz und gar nicht bedauerlich
zu finden!" konnte er sich enthalten, zur
Antwort z geben; „so oft ich das Pfei
fen auf einerZwischenstation höre, fürch
te ich immer, es sei München".
„Unbesorgt wir fahren kaum eine
Viertelstunde", entgegnete sie, nachdem
sie bet der Glut ihrer Cigarre auf ihre
kleine Uhr gesehen, die sie an einer schwe
ren Kette im Gürtel trug.
„Wenn wir ankommen, gnädige Grä
fin, so darf ich mir also erlauben Ihr
Kavalier zu sein?"
„Gewiß aber thun Sic mir einen
Gefallen und sagen Sie nicht immer
„gnädige Gräfin," das klingt so un
endlich langweilig" sie sah ihn bei
diesen Worten mit einem ausdrucksvol
len Blicke an „so förmlich", setzte
sie ausathmend hinzu, „und da uns das
Schicksal, oder wenn Sie wollen, der
Zufall in ein gewisses Verhältniß zu
einander gebracht, so wollen wir auch
die übergroßen Förmlichkeiten verban
nen, wenn Sie es zufrieden sind".
„Ob ich es zufrieden bin, aber —"
„Was quält Sic für ein Aber ?"
„Ich muß doch wissen, wie ich Sie
nenne soll?"
„Nennen Sie mich einfach Gräfin,
oder Gräfin Mathilde, was Ihnen ge
läufiger erscheint."
„Ich glaube, am geläufigen wird mir
Ihr Titel mit dem schönen Namen
Mathilda sein ach! ein Name, der
für mich einen ganz besonders zauber
haften Klang hat".
Dann summte er aus der Oper Tell
die Arie Melchthal's: „Mathilde, o
Mathilde!" worüber sie still vor sich
hin lächelte und dann sagte : „Es ist
doch eine großartige Musik!"
„Ja," fuhr er in einem innigen Tone
fort, und ein so rein menschliches Ver
hältniß, daß zwischen den beiden Liebe
nden zwischen dem bürgerlichen
Melchthal und der Gräfin Mathilde."
Ist in der Oper wirklich eine Gräfin ?
Ich dachte sie wäre ein Freifräulein."
„ES ist das auch möglich," entgegne
te er mit einem Seufzer, „und in der
Oper wie im gewöhnlichen Leben von
keiner großen Bedeutung Freifräu
lein oder Gräfin, eine Kluft, die nicht
zu überspringen ist."
„Ohne Brücke allerdings nicht, mein
lieber Herr Stollberg," sagte sie leicht
hingeworfen, „und es gibt Leute, die
den Muth haben, eine solche Brücke zu
schlagen."
Während die schöne Gräfin das sag
te, hatte sie das Fenster ein wenig her
abgelassen und ihre Cigarre hinauSge
worsen. Dann fuhr sie mit ihrem fei
nen Taschentuch wiederholt über ihre
Lippen und nahm hierauf aus eine?
kleinen Reisetasche eine Orange, die sie
auf's Zierlichste schälte, auseinander
brach, ihrem Nachbar dann anbot, in
dem sie sich aus eine uugezwungcne
Art gegen ihn neigte, und dann von der
Frucht essend, mit aufgestütztem Arm
in dieser Stellung verblieb.
Sie kam ihm dabei so nahe, daß er
mit gierigem Ohr ihre Athemzüge hörte
und daß ihm zu Muthe war, als steige
die Temperatur in dem Eisenbahnwagen
um 10 Grad Reaumur. Er zog hastig
seine Uhr hervor und sah zu seinem
Harrisburg, Pa., Donnerstag, Juni 2, 187.
Schrecken, daß sie bereits fünfundzwan
zig Minuten gefahren waren.
„Was sagte ich doch vorhin ?" fragte
sie nach einer kleinen Pause.
„Sie sprachen von Jemand, der den
Muth hatte, über einen Abgrund im
geschäftlichen Leben eine Brücke zn le
gen— wenn er aber bei diesem Versuche
eine Niederlage erlitte ?"
„Wer kann wissen, ob Ihm nicht vom
anderen Ufer eine sehr hülfreiche Hand
geboten wird?"
„Um ihn zn sich in die Höhe zu zie
hen ?" fragte er hastig.
„Vielleicht vielleicht aber auch,
um mit ihm in den Abgrund zn stür
zen."
„Ah, mein Fräulein, auch das wäre
eine Seligkeit, mit Jemand, den man
liebt, in einen Abgrund zu stürzen."
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,,
„Das, was Sie soeben deklamirten,"
sagte sie heiter, „ist aus kcner glücklichen
Zeit, als die Seejungfrauen noch öffent
lich ihr gefährlichcsWesen treiben durf
ten."
Ah gewiß eine glückliche Zeit!
ich möchte auch so hinsinken wie jener
Jüngling, selbst auf die Gefahr hin,
nicht mehr gesehen zu werden."
Er hatte sich bei d-csen Worten, wel
che er mit großer Bewegung aussprach,
langsam gegen sie geneigt und dabei
hatte seine Hand, die er ebenfalls auf
stützte, die ihrige leicht berührt, doch
nur für eine Sekunde, den alsdann
richtete sie sich rasch auf nnd sagte, zum
Fenster hinausschauend : „So viel ich
sehen kann, fahren wir über eine flache,
einförmige, traurige, öde Gegend."
„Ja, traurig und öde —sehr öde und
sehr traurig."
„Ich weiß nicht, ob eö Ihnen auch
so geht," fuhr sie in einem gcfülligen
Tone fort, „aber das Vorbeihuschen im
Dunkel der Nacht an Gegenständen, die
man nicht zu unterscheiden vermag, hat
für mich etwas Unheimliches: ich ziehe
es vor, im ringsum verschlossenen Cou
pe zu sitzen, wobei man sich einbilden
kann, man sei zu Hause in seinem klei
nen Boudoir,"
Bei diesen Worten zog sie langsam
den grünscidenen Vorhang des Seiten
fcnsterS herab.
„So," sagte sie mit einer liebenswür
digen Heiterkeit, „jetzt sitzen wir wie die
Kinder in einem verschlossenen Wagen
und können uns Märchen erzählen —sa-
ßen Sie als Kind ebenfalls gerne im
verschlossenen Wagen?" sagte sie.
„O ja—außerordentlich gerne."
„Ich that es wegen des köstlichen Lc
dcrgeruchs—und weßwegen thaten Sie
es ?"
„Ich wegen einer minder unschuldi
gen Ursache —ich hatte damals eine klei
ne Geliebte."
„Als Kind—Sie haben sehr früh an
gefangen."
„Sie werden mich nicht mißverstehen,
Gräfin Mathilde. Es war eine jener
kleinen Leidenschaften, für welche man
Vogelnester ausnimmt, die Aepfel des
Nachbars stiehlt, dem Haushahn die
schönsten Federn ausrupft und Veilchen
sucht ach!" rief er enthusiastisch,
„und Veilchen liebten wir Beide leiden
schaftlich!" er sagte dies mit Beziehung
auf das feine Parfüm ihres Sacktuches,
das sie ihm nun lachend zuwarf, ttzdem
sie sagte - „Es ist eigenthümlich, Herr
Stollberg, trotzdem wir uns bisher nicht
gekannt, sympathisiren wir doch in einen
gemeinschaftlichen Odeur, in der Liebha
berei, in einer verschlossenen Kutsche zu
fahren, und—"
„In dem Gedanken," fiel er rasch eiu,
„daß nur Muth dazu gehört, um einen
tiefen Abgrund zu überbrücken.
„Darin sympathisiren wir nicht so
ganz, denn ich bin der Ansicht, daß der
Muth nur dann etwas hilft, wenn uns
vom anderen Ufer eine hülfreiche Hand
geboten wird."
Sie brauchten nnr noch eine Viertel
stunde, um München zu erreichen.
„O Gräfin Mathilde, reichen Sie mir
für einen Augenblick Ihre Hand."
„Und wozu?"
„Um mir über einen Abgrund hin
wegzuhelfen !" rief er in leidenschaftli
chem Tone.
„Ich sehe aber keinen Abgrund/'
„O ja, er ist da, tief nnd gefährlich ;
ich fürchte'nicht das Hereinstürzen; ich
fürchte nur, wenn ich in diesen Abgrund
fiele, daß Sie droben am Rande stehen
bleiben, herzlich lachend über den armen
Getäuschten —darum reichen Sie mir
Ihre Hand o, nur die "Spitze Ihres
Fingers."
Die Lokomotive des Zuges stieß einen
gellenden Pfiff aus.
„Ich glaube, wir werden bald in
München sein," sagte sie in ruhigen
Tone. -
„Und kein Mitlied, keine Güte, kein
Erbarmen?"
„Wollen Sie nicht so freundlich'sein,
zu sehen, ob Sie schon etwas von der
Stadt erblicken, vielleicht Gaslichter in
der Ferne? es ist das immer ein tröstlt
cher Anblick, wenn man sich seinem Rei
seziele nähert."
. „Für mich ein sehr unglücklicher/
sprach er mit einem tiefen Seufzer, doch
kam ihm plötzlich eine sehr glückliche
Idee.
Er ließ rasch den Vorhang in die Höhe
schnellen und sagte in lebhaftem Tone:
„Dort sieht man ferne Gaslichter durch
die Nacht schimmern; eS wird München
sein. Wollen Sie vielleicht hinauS
schauen?"
Sie erhob sich rasch, wobei ihr Kleid
von schwerer Seide rauschte; sie trat ne
ben ihn, sie schaute hinaus.
„Wo denn?" fragte sie.
„Dort, mehr nach vorne. Sie müssen
sich etwas mehr vorbeugen ; sehen Sie
die Gaslichter?"
„Ja, ich sehe sie."
„Schon das Ziek unserer Fahrt; ist
das nicht traurig? einer so schönen Fahrt,
die ich nie vergessen werde."
„Auch ich werde dieser Fahrt und Jh
rer dankbar gedenken."
„O, Dankbarkeit ist nicht das Gefühl
welches Sie beseelt: ich batSie, mir Ih
re Hand zu reichen, Sie haben es mir
grausam verweigert, und trotzdem bitte
ich noch einmal darum."
„Sie sind ein sonderbarer Mensch!
Da haben Sie meine Hand."
Er hätte gern mit glühenden Worten
dafür gedankt; doch war ihm das im
gegenwärtigen Augenblick nicht möglich,
denn er führte diese kleine, weiche Hand
an seine Lippen und drückte unzählige
Küsse darauf.
Auch ließ sie das nicht nur geschehen,
sondern da sie die GaSlaterncn deutli
cher sehe wollte, so beugte sie sich noch
stärker gegen das Fenster, wodurch sie
ihn mit ihrer schlanken und doch so vol
len Gestalt eine Sekunde lang berührte,
so daß es ihn elektrisch durchzuckte.
„Seien Sie verständig,"
sagte sie in sehr ernstem Tone, „dort ist
schon der Bahnhof Sie versprachen
mir in ehrerbietiger Weise mein Cavalier
zu sein, und ein Ehrenmann hält, sein
Wort machen Sie mich nicht böse,
sonst—"
„Was sonst ?" rief er glühend.
„Sonst nehme ich auf dem Bahnhofe
Abschied und werde Ihnen gewiß nicht
erlauben, mich in meinem Hotel wieder
zu sehen."
„Aber wenn ich folgsam bin wie ein
Kind?"
„In dem Falle vielleicht."
„O gewiß—gewiß !" jubelte er, „jetzt
befehlen Sie über mich, was soll ich
thun?"
„Mir behülflich sein, meine kleinen
Sachen und die meines Bruders aus dem
Wagen zu bringen, mir alsdann eine
Droschke zu besorgen, die mich allein zu
den „Vier Jahreszeiten" bringt."
„Allein, Gräfin Mathilde?"
„Allerdings allein wogegen ich es
Ihnen nicht verwehre, ebenfalls in den
„Vier Jahreszeiten" Ihre Wohnung zu
nehmen —verstehe Sie mich?"
Ich hoffe, Sie zu verstehen !" rief
er in einem Tone des Glückes.
„Also nun zu unseren verschiedenen
Sachen —nicht wahr, das ist eine schöne
Menge—wir werden kaum Alles tragen
können, nnd dann noch Paletot und
Shawl meines Bruders wissen Sie
was ?" sagte sie in heiterer Laune, "zie
hen Sie Paletot und Shawl an, das
wird Sie so weniger geniren. Sollte Je
mand auf dem Zuge sein, der uns in
Stuttgart einsteigen sab, so wird er Sie
für meinen Bruder halten —wollen Sie
meinen Bruder vorstellen?" fragte Sie
mit einem schalkhaften, süßen Blicke.
„Ich will Alles das, sein und vorstel
len, wozu Sie die Güte haben, mich zu
machen."
„Gut, das ist köstlich ich versichere
Sie, es macht mich glücklich, zu sehen,
wie Ihre Gestalt der meines Bruders
ähnelt —so, jetzt werfen Sie den rothen
Shawl über Ihre Schultern, wie er zu
thun pflegte, und Jeder, der uns früh
er sah, wird uns für ein Geschwisterpaar
halten.
Das gellende Pfeifen der Lokomotive
war verstummt, der Zug hielt, die Wa
genthüren wurden aufgerissen; die Grä
fin hatte einen großen Theil ihrer Effek
ten selbst zu sich genommen, und er trug
ein paar kleine, aber schwere Handsäcke.
Sein eigenes Gepäck in dem Halbcoupe
vis-a-vis kümmerte Ihn wenig. Dasselbe
konnte ruhig dort liegen bleiben, bis er
die Dame in einen Wagen und nach dem
Gasthofe gebracht hatte. Der Schnellzug
mit dem er gekommen, hatte, ehe er wei
ter nach Wien ging, hier einen Aufent
halt von drei Viertelstunden.
Der junge Mann stieg so langsam
wie möglich aus dem Coupe, und dazu
hatte er seineGrüude, da es ihm begreif
licher Weise nicht sehr angenehm gewe
sen wäre, jetzt mit seinen früheren
Reisegefährten wieder zusammenzutref
sen ; doch waren dieselben bereits ver
schwunden nur glaubte er zwischen
der Menschenmenge am Ende des Bahn
hofes die Gestalt des Großkarrirten
verschwinden zu sehen. Herr Stollberg
dachte vergnügt bei sich, ob derselbe wohl
immer noch die Fahneuwacht pfeife?
Jetzt folgten die Beiden den Passa
gieren, welche sich langsam entfernten,
und die Gräfin sagte - „Jetzt erst fällt
mir ein, daß mein Bruder den Ge
päckschein hat das ist sehr fatal - ich
werde mich behelfen müssen." Sie
näherten sich dem Ausgange nnd woll
ten eben den Bahnhof verlassen, als ein
fremder Herr mit einem behaglichen
Aeußern und in einer sehr wohlwollen
den Miene Herrn Stollberg leicht am
Arme berührte und ihm in freundlich
em Tone sagte : „Dürfte ich Sie wohl
bitten, mir zwei Worte allein zn gön
nen ?"
„Ist dies ein Bekannter von Ihnen?"
fragte die Gräfin ihren Begleiter.
Ich habe diesen Herrn in meinem
Leben noch nie gesehen"—erwiederte
Herr Stollberg, und sich alsdann zu
dem wohlwollend Aussehenden wendend,
sagte er in einem ärgerlichen Tone:
„Ich begreife in der That nicht, was
Sie, ein gänzlich Fremder, mir zu sa
gen hätten; auch können Sic wohl
nicht verlangen, daß ich die Dame hier
stehen lasse und mit Ihnen auf die Sei
te trete."
„Und doch muß ich meinen Wunsch
wiederholen," erwievcrte der Andere so
höflich als möglich. „Madame wird
vielleicht die Güte haben, einen Augen
blick hier zu warten, wenn es Madame
nicht vorziehen sollte, so lange in die
Nestauratio zu treten."
„So sprechen Sie hier, was Sie mir
zn sagen haben ich mag Madame
nicht allein lassen."
„Seien Sie wegen meiner unbesorgt,"
flüsterte ihm die Gräfin zu, „ich mache
mir nichts daraus, einen Augenblick zu
warten."
„Nun, so kommen Sie, mein Heir!"
sagte der junge Mann aufbrausend,
„aber dessen kann ich Sie versichern,
wenn Ihre Mittheilungen für mich nicht
vom höchsten Interesse sind, so werden
Sie die Erfahrung machen, daß ich Ihr
aufdringliches Benehmen für eine star
ke Beleidigung nehmen und als solche
behandeln werde."
Der behaglich aussehende Fremde
verbeugte sich lächelnd und ersuchte da
rauf den junge Mann, in ein Zimmer
zu trete, dessen Thüre sich neben dem
Bahnhossausgange befand.
„Und nun? was wollen Sie von
mir?"
„Erlauben Sie zuerst, daß ich mich
Ihnen vorstelle. Ich bin der Polizei-
Eommissär Wtldhuber."
Der junge Mann war so arglos und
dabei so aufgebracht über die Einmisch
ug dieses Fremden in sein kleines Pri
vatverhältniß, daß er mit sehr lauter
Stimme erwiederte: „Herr, es ist mir
sehr gleichgültig, wer Sie sind, und ich
frage nochmals, was wollen von mir ?"
„Der Polizeicommissär Wildhuber,"
entgegnete der freundliche Beamte in
sehr sanftem und langsamen Tone,
„wünscht eine Unterredung mit Ihnen."
„Und zu welchem Zwecke? Ich habe
nichts mit Ihnen zu schaffen und hasse
die Polizei gründlich."
Der Andere zeigte ein gemüthliches
Lächeln, ehr er erwiederte - „Dergleichen
Ausbrüche der Abneigung sind wir zu
gewohnt, als daß sie irgend einen Ein
fluß auf nS hervorbringen könnten;
auch bitte ich, nicht zu vergessen, daß ich
Ihnen nicht aus eigenem Antriebe in
den Weg getreten bin, sondern daß ich
hier in höherem Austrage von Ihnen
stehe."
„Vor mir? vor Eugen Stollberg
aus Frankfurt am Main, als den ich
mich mit meiner Paßkarte legitimircn
kann?"
„Vor Ihnen, mein lieber Herr —daß
heißt vor Ihrer Person, ohne daß wir
auf diesen Namen gerade viel Gewicht
legen wollen."
„Erlauben Sic ich lege auf mei
nen Namen sehr Gewicht dieser Na
me steht hier auf meiner Paßkarte : ich
bin in einem konstitutionellen Staate
und ich erkläre Ihnen jetzt kurz und bün
dig, daß ich es satt habe, mich hier auf
einem so unwürdigen Orte ausfragen
zu lassen."
Damit wandte er sich um, um das
Zimmer rasch zu verlassen; doch sagte
ihm der Beamte z „Ich bitte Sie recht
schön, Herr —r —r, wie heißen Sie?
doch bitte ich heute kein unnöthigcö
Aussehen zu machen und mir zu glau
ben daß es mir zuweilen selbst peinlich
ist, meine Pflicht erfüllen zu müssen."
Doch Herr Stollberg hörte nicht auf
diese Worte—er hatte die Hand auf de
Drücker de Schlosses gelegt, er öffnete
die Thüre, fuhr aber etwas betreten zu
rück, als er dort einem sehr breitschulteri
gen Gendarmen bemerkte, der ihm bei
seinem Erscheinen etwas auffallend ent
gegentrat. Trotzdem aber der junge
Mann im höchsten Grade überrascht
war, benutzte, er doch den Augenblick,
wo die Thüre offen war, um einen Blick
in die Bahnhofhalle zu werfen und nach
der schönen Gräfin zu sehen.
Die.Bahnhofhalle war so leer als
möglich und die Gräfin Mathilde Pa
tasky verschwunden natürlich wer
hätte auch von einer so eleganten und
vornehmen Frau erwarten können, daß
e sich hier von naseweisen Bahnhof-
Beamten angaffen lasse —vielleicht hatte
sie die Restauration betreten vielleicht
hatce sie auch bei dem Baktthosinspcktor
eine Klage zu seinen Gunflcii vorge
bracht das Letztere schien das Wabr
schcinlick'ere er schloß die Thüre wie
der und wandte sich ins Zimmer zurück.
„Nun, mein Herr, ich bin also Ihr
Gefangener?"
„Es scheint fast so."
„Und was haben Sie weiter mit mir
vor?
„Das hängt sehr von Ihnen ab,
mein lieber Herr —sägen Sic sich der
für Sie allerdings sehr traurigen Noth
wendigkcit, und wollen Sie mich mit
gutem Willen und hübschem Anstand
begleiten, so führe ich Sie sogleich zn
dem Herrn Pvlizcidircktor; ziehen Sie
es aber vor, oder halten Sie es für nö
thig, vorher Ihren vielleicht gerechten
Uiiiiinth z.i beschwichtigen, so will ick
Sie recht gern einige Stunden allein in
diesem Zimmer lassen."
„Gegen die Gewalt ist nickts auszu
richten !" gab der junge Mann zähne
knirschend zur Antwort: „aber, Herr
Polizcicvniinissär," fuhr er in einem t>e
sen Athemzuge fort, wobei er seine Hän
de krampfhaft zusammenballte, „glauben
Sic ja nicht, daß ich mich wie einen
Schulbuben behandeln lasse, nnd seien
Sic versichert, daß ich von Ihnen nnd
Ihrem Herrn Polizeidireklor Rechen
schaft verlange werde."
Der frenndlichc Beamte zuckte die
Ackseln, wobei sein Gesicht einen Ans
druck annahm, indem man deutlich las
daß die Aussicht, zur Reckenschast gezo
gen zu werden, keinen großen Eindruck
auf ihn mache.
„Nein, das ist unerhört das ist
empörend !" rief der junge Reisende,.wo
bei er mit hastigen Schritten ans und
sb ging, „vor ihren Augen verhaftet zu
werden ? sie wird mich für einen
Taugenichts ersten Ranges halten
mein Herr! Sie haben ei grenzenloses
Unrecht an mir begangen—Sic behan
deln mich niit einer Gewaltthätigkeit,
für welche ich im andern Falle die Ver
antwortung nickt übernehmen würde."
„Ick übernehme sie mit großem Ver
gnügen, und da es mir scheint, Sic
wünschen noch ein paar Stunden allein
zu bleiben, um sich zu beruhigen-so
will ich Ihnen damit nicht hinderlich
sein."
Er machte Miene, das Zimmer zu
verlassen. Doch bezwang sich der junge
Mann so gut es ihm möglich war, und
sagte nach einem liefen Seufzer: „Ich
verlange durchaus nicht, allein gelassen
z werden, ich bin in Ihrer Gewalt,
führen Sic mich, wohin Sie wollen."
„Dieser Entschluß ist sehr vernünftig
—Sie haben doch gewiß einen Gepäck
schein bei sich ?"
„Hier ist er."
„Sie ließen vielleicht auch noch Hand
gepäck im Wagen?"
„Ja, in der rechten Ecke eines Halb
conpeS zweiter Klasse o mein Gott?
wer hätte das vor einer Stunde ge
dacht."
„Ich muß wohl aber balt —da
kommt mir eine Idee! Wenn ich hier
Jemand auffinde, der mich und meine
Familie kennt, der bereit ist, jedeziivcr
langende Bürgschaft für mich zu lei
sten —"
„In dein Falle," entgegnete der Poli
zcikvmmiffär mit einem ungläubigen
Lächeln, wobei ein Blick aus dessen Au
gen scharf und rasch wie ein Blitz über
die Gestalt und das Gesicht des junge
Manncs fuhr, „in dem Falle allerdings
—doch ist ein solcher Fall nicht denk
bar."
„O, er ist sehr denkbar, mein Herr,"
versetzte der junge Mann in lebhaftem
Tone, „gewiß, ich werde Jemand finden
der meine Identität beweise kann
denn meiner Verhaftmng kann nur eine
Verwechslung zn Grunde liegen ich
werde Jemand finden, der für mich
bürgt."
„Das müßte eine sehr respektable Per
son sein."
„Ah, ich weiß, wer für mich bürgt
kennen Sie Herrn Schimon, Besitzer der
Vier Jahreszeiten?"
„Gewiß," lächelte der Polizcikommis
sär, „und in dem für mich unglaubli
chen Falle, daß Herr Schimon eine
Bürgsrst für Sie übernehme oder daß
er Sie persönlich kennt, daß er über
zeugt ist, Sie seien in der That Herr—"
„Eugen Stollberg aus Frankfurt am
Main."
„Nichtig —daß Sic dieser Herr Stoll
berg wirklich sind, so würde ich keinen
Augenblick Anstand nehmen, Sie unter
der vortrefflichen Obhut des Herrn
Schimon zu lassen und Ihnen oben
drein noch meine Entschuldigung ma
chen."
„Gut! fahren wir nach den „Vier
Jahreszeiten" —ich bitte Sic dringend
darum."
Ich will Ihnen diese Bitte nicht
abschlagen—obgleich ich überzeugt bin,
daß wir einen vergebliche Umweg ma
chen."
„Aber sagen Sie mir um's Himmels
willen, wenn ich nicht Eugen Stollberg
Nro. SS
ans Frankfurt am Main bin, wer soll
ich denn eigentlich sein ?"
„Der Herr, welcher in Begleitung
jener Dame reist."
„Sie kennen die Dame ?
„Nein. Die Dame ist uns sehr
gleichgültig."
„Aber der Herr ?"
Nun—Per Herr," erwiederte der Pv
lizeikommissär mit einem eigenthümli
chen sehr freundliche Lächeln, „reist
mit jener Dame und trägt einen hellen
Paletot und einen rothe Shawl, dessen
Ende er die Gewohnheit hat, über die
rechte Schulter zn weifen."
„Alle Tcnscl! mir geht ein Licht
ans! —lch der ich glaubte, ein so deli
ciöses Abenteuer gefunden zu haben,
bin zum Beschluß desselben in die Hän
de der Polizei gerathen-aber kommen
Sie nach den Vier Jahreszeiten —kom-
mcn Sie so rasch als möglich."
Sic verließen das Zimmer deSßahn
hosgcbäudcs zu Zwei und den Bahnhof
selbst zu Drei; denn der breitschultrige
Gendarm folgte ihnen und setzte sich
ans de Bock eines schon bereitstehenden
Wagens. Dann fuhren sie davon zu
einem SeitciiauSgange hinaus, um bei
der Hauptsront des Gebäudes, wo sich
die Eiiisttighallc und Restauration be
findet, vorübcrzufahrcn.
War es Täuschung war er
geblendet von den Lichtern der Gas
flammen, oder war sie cS wirklich, die
Gräsin Mathilde Patasky, die dort oben
unter der Säulenhalle stand, neben ihr
das grvßkarrirtcU ngeheuer,mit demselben
lachend und plaudernd—ja, sie war es
—sie waren es Beide und ihm schien cS,
als blicke sie den vorübcrrollcndcn Wa
gen an.
Nein, das war zu arg ; er mußte hin
zu ihr; sie nnd der Großkarrirte sollten
ihm Rex stehe, lind da Herr Stoll
berg ein junger Mann von raschen Ent
schlüssen war und stets bereit, dieselben
ohne Säumen auszuführen, so öffnete
er hastig den Wagenschlcig, um hinaus
zuspringen. Doch fühlte er sich Plötz
lich von einer kräftigen Hand am Kra
gen gepackt und vernahm die Stimme
des Pvliztikoininissärö neben ihm, der
ihm aber nicht in dem freundlichen und
wohlwollenden Tone wie früher sagte:
„Herr, lassen Sie Ihre Dummheit un-
Irrwegs. Sie versprachen mir, sich
ruhig und anständig aufzuführen, und
zum Dank dafür, daß ich Ihnen ge
glaubt, wollen Sie mir entwischen."
„Herr! ich habe keine Ursache, zu
entwischen."
Herr! —mäßigen Sic sich oder ich
lasse halten und lege Ihnen Hand
„Mir Handschellen?"
Für Ihren Fluchtversuch."
„Es ist mir durchaus nicht eingefal
le, zu entfliehen ; diese Vermuthung
ist höchst lächerlich. Dort vor der Ei
senbahn sah ich jene Dame stehen, um
derentwillen ich verhaftet wurde, und
neben ihr diesen verfluchten großkarir--
ten Kerl, der mich mit seiner Fahnen
wackt schon genug nialträtirt hat.
!bnn Sie mir den Gefallen und lassen
Sic mich einen Augenblick hin, um
Beide zur Rede zu stellen."
„Thun Sie sich und mir den Ge
fallen, ruhig zu bleiben —es ist das
Gcscheidtcste, was Sie thu können—
zwingen Sic mich nickt; mit Ihnen hart
,zugehen und Sie, ohne bei den
„Vier Jahreszeiten" anzuhalten, aus
die Polizcidirckton abzuliefern."
„Das wäre entsetzlich! Gut denn,
ich will ruhig sein."
Bei diesen Worten warf sich der junge
Mann, so ergeben in sein Schicksal, als
ihm möglich war, in die Wagenccke zu
rück.
Endlich hielt die Droschke. Die
nervcncrschüttcrnde große GasthofSglo
ckc erklang und in einem Kreise von sechs
eleganten Kellnern stand Herr Schimon
von der Treppe seines Hotels, um die an
kommenden Gäste zu empfangen, die zu
seinem großen Befremden mit Gendar
mcnbegleitung anrückten. Da aber Nie
mand den Wagen verließ, so trat der ge
fällige Wirth ans das Trottoir, um sich
die seltsame Erscheinung in der Nähe zu
betrachten.
„Guten Abend, Herr Schimon," sag
te der freundliche Beamte im Wagen.
„Ah! —Herr Polizeikommissär —wo-
mit kann ich dienen ?"
„Ich habe hier einen jungen Herrn
bei mir,welcher vvnJhnen genau gekannt
sein will; bitte betrachten Sic ihn."
„Ah ! Das ist ja Herr Stollberg aus
Frankfurt."
„In der That? Sie kenne ihn al
s?„
„Wie mich selber, Herr Polizcikom
missär."
„Und Sie irren sich nicht ?„
„Durchaus nicht ich kenne Herrn
Stollberg, sowie dessen achtbare Fa
milie auf's Genaueste."
„lind wollen jede Bürgschaft überneh
men, daß dieses in der That Herr Stoll
berg ist?"
„Jede, welche Sic verlangen."
„Das ist sehr unangenehm," sagte